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04 006003 190171 4 6 EURO HEILIG ROBERT POLIDORI FOTOGRAFIERT FRA ANGELICO VISIONÄR WIE EINE APP DIE KUNSTWELT REVOLUTIONIERT MONSTRÖS CHICAGOS VERGESSENE NACHKRIEGSMODERNE MAI 2016 EIN KUNSTMAGAZIN Nr. 11 Marguerite Humeau AUFTAKT „ Müssten die vermeintlich großen Erzählungen der Kunstgeschichte nicht viel kleinteiliger und abschweifender erzählt werden?“ Direktflüge sind eine feine Sache, aber nichts geht über Zwischenstopps, die einen die Kunstwelt mit neuen Augen sehen lassen. Meine liebsten in den vergangenen Monaten: Houston, Texas (dazu in einer späteren Ausgabe mehr), und Chicago, Illinois, wo ich Ende März einen Tag verbringen durfte, ohne den diese Ausgabe eine andere geworden wäre. Alles begann mit einem Besuch des Art Institute of Chicago, dem Museum, das, wie ich einem Aufkleber an der Eingangstür entnehmen konnte, kürzlich von Tripadvisor zum besten Museum der Welt gewählt wurde. Zwei Stunden später, die ich in den Abteilungen für moderne und zeitgenössische Kunst verbrachte (das ganze Museum zu besuchen hätte einen Tag gekostet), war ich mit Tripadvisor ganz einer Meinung. Es waren nicht allein die Räume, die der jüngsten Schenkung von Stefan Edlis gewidmet waren (Johns, Rauschenberg, Twombly, Richter, Warhol etc. – und von allen nur das Beste). Es war die ständige Sammlung, die mich am nachhaltigsten beeindruckte, und wie der junge Direktor James Rondeau mit ihrer Hilfe versucht, den Malereikanon zu erweitern. Blockbuster-Werke, die mit den berühmtesten Arbeiten im MoMA mithalten können, lässt er auf Unbekanntes und Vergessenes treffen. Koreaner, Japaner, Südamerikaner: Wohin man schaut, entdeckt man neue Namen, denen es immer wieder gelingt, mit den von Postern und Postkarten bekannten Hauptwerken der household names mitzuhalten. Ein Höhepunkt von vielen: das Gipfeltreffen zwischen Jackson Pollock und dem heute 90-jährigen, völlig unbekannten Afroamerikaner Ed Clark, dessen Untitled von 1957 das wahrscheinlich erste shaped canvas-Gemälde der Kunstgeschichte ist. Von all den neuen Namen, die ich im AIC notierte, begegnete mir einer schon am Nachmittag wieder: Dominick Di Meo. Das Smart Museum of Art der University of Chicago 4 zeigte Monster Roster – Existentialist Art in Postwar Chicago, und was ich dort von ihm und Malern wie Leon Golub, Fred Berger und Ted Halkin sah, ließ mich erneut darüber nachdenken, ob die vermeintlich großen Erzählungen der Kunstgeschichte nicht viel kleinteiliger und abschweifender erzählt werden sollten. Nur gut, dass ich den Abend mit den Kuratoren der Ausstellung verbrachte, Jim Dempsey und John Corbett. Und noch besser, dass Corbett sich ganz nebenbei als einer der renommiertesten Jazzkritiker der USA entpuppte. Würde er für BLAU die Geschichte der „Monster Roster“ aufschreiben, jener vergessenen Künstlergruppe, deren Grundton er mir nach einem Song von Thelonius Monk als ugly beauty beschrieb? Er würde. Und siehe da: Das erste Ergebnis meines Zwischenstopps lesen Sie ab Seite 60. CORNELIUS TITTEL Happy Anniversary! 1966 –2016 50 Years of Lamy design. Celebrating a timeless icon. LAMY 2000 APÉRO CONTRIBUTORS / IMPRESSUM 19 ESSAY Ein Akt des Patriotismus 22 NEUES, ALTES, BLAUES 24 HINTERGRUND Ernst Wilhelm Nay 26 DICHTER DRAN Jörg Albrecht 27 BEWEGTBILD Thomas Scheibitz 27 DIE SCHNELLSTEN SKULPTUREN DER WELT 28 BLITZSCHLAG Lars Eidinger Nr. 11 / Mai 2016 MARGUERITE HUMEAU The Opera of Prehistoric Creatures, 2011, Mixed Media, 50 × 115 × 30 cm, Australopithecus afarensis „Lucy“ „Wenn ich nicht an meine Träume glaube, wie sollten es dann andere tun?“ — MARGUERITE HUMEAU FRA ANGELICO WIE FÄNGT MAN DEN ZAUBER SEINER FRESKEN EIN? MAN LÄSST ROBERT POLIDORI ZWEI WOCHEN MIT IHNEN ALLEIN. EIN PORTFOLIO s. 34 MEXICO CITY DIE KUNSTSZENE FEIERT SICH ALS „NEUES BERLIN“. GUT, DASS CHRIS SHARP WEISS, WO DIE ZEIT STEHEN GEBLIEBEN IST: IN ROMA SUR S. 30 HIGH DEFINITION HORROR VOODOO UND WISSENSCHAFT: DAS DAZWISCHEN, SAGT MARGUERITE HUMEAU, IST, WAS INTERESSIERT s. 46 INHALT 6 Von oben im Uhrzeigersinn: FRA ANGELICO Das Abendmahl, Fresko im Klostermuseum San Marco, Florenz. Tortillería im Stadtteil Roma Sur, Mexico City, fotografiert von Carlos Álvarez Montero. MARGUERITE HUMEAU Still aus dem Requiem for Harley Warren „Screams from Hell“ , 2015, Mixed Media, 800 × 420 × 950 cm EIN KUNSTMAGAZIN 10 TO BREAK THE RULES, YOU MUST FIRST MASTER THEM. DAS VALLÉE DE JOUX: SEIT JAHRTAUSENDEN WURDE DIESES TAL IM SCHWEIZER JURAGEBIRGE VON SEINEM RAUEN UND UNERBITTLICHEN KLIMA G E P R Ä G T. S E I T 1 8 7 5 I S T E S D I E H E I M AT V O N AUDEMARS PIGUET, IM DORF LE BRASSUS. DIE ERSTEN UHRMACHER LEBTEN HIER IM EINKLANG MIT D E M R H Y T H M U S D E R N AT U R U N D S T R E B T E N DANACH, DIE GEHEIMNISSE DES UNIVERSUMS DURCH IHRE KOMPLEXEN MECHANISCHEN MEISTER WERKE ZU ENTSCHLÜSSELN. DIESER PIONIERGEIST INSPIRIERT UNS AUCH HEUTE NOCH, DIE REGELN DER FEINEN UHRMACHERKUNST STETS ZU HINTERFRAGEN. ROYAL OAK AUTOMATIK EXTRAFLACH AUS EDELSTAHL PROUD PARTNER OF ENCORE 74 WERTSACHEN Was uns gefällt 78 GRAND PRIX Die Kunstmarkt-Kolumne EIN KUNSTMAGAZIN Nr. 11 / Mai 2016 79 BILDNACHWEISE 80 BLAU KALENDER Unsere Termine im Mai 82 DER AUGENBLICK Paul Graham — LEON GOLUB DIE MONSTER AG WIE CHICAGO DEM NEW YORKER NACHKRIEGSZEITGEIST TROTZTE – UND EIN ZU UNRECHT VERGESSENES KAPITEL KUNSTGESCHICHTE SCHRIEB s. 60 MUSEEN IM PRAXISTEST BERLIN SUCHT NACH DEM STAR-ARCHITEKTEN DER ZUKUNFT. WIR SAGEN, WO ER SICH INSPIRIEREN LASSEN SOLLTE – UND WO NICHT S. 54 MAGIC MAGNUS WIRD DIESER MANN DIE KUNSTWELT REVOLUTIONIEREN? ER SELBST GLAUBT FEST DARAN s. 69 INHALT 8 Von oben im Uhrzeigersinn: LEON GOLUB The Ischian Sphinx, 1956, Öl und Lackfarbe auf Leinwand, 82 × 132 cm. Kolumba Museum in Köln. Magnus Resch, fotografiert von Adam Golfer „Ich bin ein Reporter und ich berichte von diesen Monstern, weil sie tatsächlich existieren. Das ist keine Fantasie, kein Symbolismus. Die Situationen, die solche Kräfte zum Leben erwecken, existieren wirklich“ smeg.de DEICHTOR HALLEN INTERNATIONALE KUNST CONTRIBUTORS UND FOTOGRAFIE HAMBURG WWW.DEICHTORHALLEN.DE © COURTESY THE ARTIST ANDREAS SLOMINSKI DAS Ü DES TÜRHÜTERS 14. MAI – 21. AUGUST 2016 HALLE FÜR AKTUELLE KUNST Robert POLIDORI Spätestens mit seiner Bildreportage zum Hurrikan Katrina hat sich der kanadische Fotograf einen Weltruhm erarbeitet, der sich nicht zuletzt in einer gefeierten Einzelausstellung im Metropolitan Museum of Art spiegelte. Was ihn treibt, ist eine unstillbare Neugier für das Ruinöse, Prekäre. Doch nicht weniger faszinieren ihn Räume, wie er sie in Florenz entdeckte – im Klostermuseum San Marco. Fast zwei Wochen verbrachte er allein mit den berühmten Fresken, die Fra Angelico seinen Klosterbrüdern Anfang des 15. Jahrhunderts in die Zellen gemalt hat. Ihre Premiere feiern Polidoris Bilder in dieser BLAU-Ausgabe. (Seite 34) Wolf LEPENIES KEN SCHLES, LIMELIGHT, 1983, © KEN SCHLES KEN SCHLES JEFFREY SILVERTHORNE MIRON ZOWNIR 5. MAI – 7. AUGUST 2016 HAUS DER PHOTOGRAPHIE Melancholie und Gesellschaft war nicht nur der Titel seiner Dissertation, sondern auch der des anschließenden Suhrkamp-Klassikers, mit dem der Soziologe 1969 aus dem Stand zum akademischen Star avancierte. Ein Stern, der fortan nicht mehr sinken sollte: 2006 wurde Lepenies für seine Lebensleistung mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. In seinem BLAU-Essay widmet er sich nun Georges Clemenceau und seiner Freundschaft zu Claude Monet – einem seltenen Glücksfall der Verschränkung von Politik und Kunst. (Seite 19) John CORBETT RAYMOND PETTIBON, NO TITLE (MY FIRST RIDE), 1983, © RAYMOND PETTIBON RAYMOND PETTIBON HOMO AMERICANUS 28. FEBRUAR – 11. SEPTEMBER 2016 SAMMLUNG FALCKENBERG PARTNER DER DEICHTORHALLEN KULTURPARTNER Jazzkritiker, Kurator, Produzent, Galerist: Mit seinem Partner Jim Dempsey betreibt John Corbett die Galerie Corbett vs. Dempsey, die sich nicht nur der Kunstszene ihrer Heimatstadt Chicago verschrieben hat, sondern auch internationale Stars wie Albert Oehlen und Christopher Wool vertritt. Jazz veröffentlicht er auf dem gleichnamigen Label – und schreibt als Senior Reviewer des DownbeatMagazins. Für uns porträtiert er die fast vergessene Künstlergruppe „Monster Roster“, über deren Geschichte er soeben auch eine Ausstellung im Smart Museum of Art in Chicago kuratiert hat. (Seite 60) IMPRESSUM Redaktion CHEFREDAKTEUR Cornelius Tittel (V. i. S. d. P.) MANAGING EDITOR Helen Speitler STELLV. CHEFREDAKTEURIN Swantje Karich ART DIRECTION Mike Meiré Meiré und Meiré: Philipp Blombach, Marie Wocher TEXTCHEF Hans-Joachim Müller BILDREDAKTION Isolde Berger (Ltg.), Jana Hallberg REDAKTION Gesine Borcherdt, Dr. Christiane Hoffmans (NRW) SCHLUSSREDAKTION Claudia Kühne, Max G. Okupski REDAKTIONSASSISTENZ Manuel Wischnewski Autoren dieser Ausgabe Jörg Albrecht, Uli Aumüller (Übersetzung), John Corbett, Lars Eidinger, Hanno Hauenstein, Klaus Honnef, Charlotte Klonk, Oliver Koerner von Gustorf, Wolf Lepenies, Ulf Poschardt, Chris Sharp, Marcus Woeller, Ulf Erdmann Ziegler Fotografen dieser Ausgabe Yves Borgwardt, Alexandre de Brabant, Jonnie Craig, Adam Golfer, Carlos Álvarez Montero, Robert Polidori Sitz der Redaktion BLAU Kurfürstendamm 213, 10719 Berlin +49 30 3088188–400 redaktion@blau–magazin.de BLAU erscheint in der Axel Springer Mediahouse Berlin GmbH, Mehringdamm 33, 10961 Berlin +49 30 3088188–222 Nr. 11, Mai 2016 Verkaufspreis: 6,00 Euro inkl. 7 % MwSt. Abonnement und Heftbestellung Jahresabonnement: 48,00 Euro Abonnenten-Service BLAU Postfach 10 03 31 20002 Hamburg +49 40 46860 5237 [email protected] Verlag GESCHÄFTSFÜHRER Jan Bayer, Petra Kalb MARKETING Julie Willard (Ltg.), Arne Hartwig arne.hartwig@blau–magazin.de Sales ANZEIGENLEITUNG Eva Dahlke (V. i. S. d. P. ), [email protected] ANZEIGENLEITUNG KUNSTMARKT Julie Willard julie.willard@blau–magazin.de HERSTELLUNG Olaf Hopf DIGITALE VORSTUFE Image- und AdMediapool DRUCK Firmengruppe APPL, appl druck GmbH Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 2 vom 01.01.2016. Copyright 2016, Axel Springer Mediahouse GmbH ROBERT LONGO LUMINOUS DISCONTENT PARIS MARAIS MAI 2016 ROPAC.NET PARIS MARAIS PARIS PANTIN SALZBURG ANDREAS SLOMINSKI »A – ski« 23.04. – 28.05.16 GALERIE BÄRBEL GRÄSSLIN SCHÄFERGASSE 46 B, 60313 FRANKFURT/MAIN, WWW.GALERIE-GRAESSLIN.DE Galerie Max Hetzler Berlin | Paris Edmund de Waal Irrkunst 29. April – 16. Juli 2016 Bleibtreustraße 45 | Goethestraße 2/3 10623 Berlin maxhetzler.com Basim Magdy Die Sterne standen gut für ein Jahrhundert des Neubeginns 29.4.—3.7. © Basim Magdy »Künstler des Jahres« 2016 Deutsche Bank KunstHalle Unter den Linden 13/15, 10117 Berlin 10—20 Uhr, montags Eintritt frei, deutsche-bank-kunsthalle.de BASSENGE Andy Warhol (1928–1987). Mick Jagger. 1975. Farbsiebdrucke. Feldman/Schellmann 138. Kunstauktionen 26.–28. Mai 2016 Gemälde, Zeichnungen und Druckgraphik des 15. bis 19. Jahrhunderts Moderne und Zeitgenössische Kunst Fotoauktion 1. Juni 2016 Mit einer Sammlung „Indien – Fotografien des 19. Jahrhunderts“ G A L E R I E B A S S E N G E · E R D E N E R S T R A S S E 5 A · 1419 3 B E R L I N Tel.: +49 30-8938029-0 · Fax: +49 30-8918025 · E-Mail: [email protected] · Kataloge: www.bassenge.com EXHIBITION APRIL 29–MAY 28 2016 Galerie Michael Haas Niebuhrstraße 5 10629 Berlin-Charlottenburg Lise-Meitner-Straße 7–9 10589 Berlin-Charlottenburg Kunst Lager Haas GALLERY WEEKEND BERLIN APRIL 29–MAY 1 2016 Frühjahrsauktionen 2016 30. April 30. April 19./20. Mai 21. Mai 3./4. Juni 10./11. Juni 15. Juni Berlin Auktion (Berlin) Russian Sale: Russische und sowjetische Avantgarde (Berlin) Schmuck, Kunstgewerbe Gemälde, Skulpturen und Zeichnungen des 15.–19. Jh. Moderne Kunst, Photographie, Zeitgenössische Kunst Asiatische Kunst Afrikanische und Ozeanische Kunst (Brüssel) Pieter Brueghel d. J. Hochzeitsmahl im Freien. Öl auf Holz, 42 x 59 cm. WVZ E 877. Auktion 21. Mai, Köln Neumarkt 3 50667 Köln T 0221-92 57 290 Poststraße 22 10178 Berlin T 030-27 87 60 80 München 089-98 10 77 67 Zürich 044-422 19 11 Brüssel 02-514 05 86 [email protected] www.lempertz.com ESSAY EIN AKT DES PATRIOTISMUS CLEMENCEAU und MONET in Giverny Vor hundert Jahren besuchte Georges Clemenceau die Schützengräben von Verdun – und den Garten seines Freundes Monet. Nie wieder haben sich Kunst und Politik so befruchtet Von Wolf Lepenies V erwirrt steht der Jurist Wassily Kandinsky 1891 in einer Kunstausstellung vor einem Bild, dessen Objekt er nicht „entziffern“ kann. Erst der Blick in den Katalog belehrt ihn, dass es sich um einen Heuschober handelt. Missbilligend urteilt Kandinsky, kein Künstler habe das Recht, so unklar zu malen. Und nimmt erstaunt wahr, wie sehr das Bild ihn doch beeindruckt: „Was mir klar wurde, war die unerwartete Macht der Palette, die mir bislang verborgen geblieben war und die meine kühnsten Träume überstieg. Das Bild enthüllte eine märchenhafte Kraft und Eleganz.“ Es war ein Bild aus der Serie der Heuschober von Claude Monet. Die Episode zeigt, welch große Rolle Monet in der Entfaltung einer malerischen Moderne spielte, die sich von der Gegenständlichkeit emanzipieren wollte. Seine spätere Wirkung verdankte Monet auch einem Arzt und Politiker, dem französischen Ministerpräsidenten, der am Ende des Ersten Weltkriegs von den Franzosen als „Vater des Sieges“ gefeiert wurde: Georges Clemenceau. Im Rückblick erscheint die lebenslange Freundschaft zwischen Monet und Clemenceau wie eine vergangene Utopie: Kunst und Politik sind danach nie wieder in eine vergleichbar enge und produktive Beziehung zueinander getreten. Dass Kunst und Politik wechselseitig Kritik aneinander üben, ist die Regel. Ausnahme ist es, dass ein Politiker den Mut zur Fremdkompetenz fasst und Kunstkritiker wird. Clemenceau war Bürgermeister von Montmartre, Abgeordneter, Senator, Innenminister, Ministerpräsident (1906–1909, 1917–1920), ein gefürchteter Redner, Journalist und Gründer mehrerer Zeitungen und Zeitschriften, Autor eines Romans und eines Theaterstücks. 1895 kann er „der Lust nicht widerstehen, mich einen Tag lang zum Kunstkritiker zu machen“. Er hat bei einem Händler zwanzig Bilder der Kathedrale von Rouen gesehen, die Monet an unterschiedlichen Tageszeiten und bei wechselndem Licht gemalt hat. Für seine eigene Zeitung La Justice schreibt Clemenceau einen sechsspaltigen Artikel mit der Überschrift Révolution de Cathédrales. Es wurde ein Hymnus und präzise war er auch: „Der APÉRO 19 Stein vibriert und diese Vibration gibt Monet wieder … Äußerste Perfektion der Kunst, bisher nie erreicht. Ich komme davon nicht los.“ Den Staatspräsidenten Félix Faure forderte Clemenceau auf, sich umgehend die „Kathedralen“ anzusehen: „Es könnte ja sein, dass Sie auf einmal etwas verstehen, und im Gedenken daran, dass Sie Frankreich repräsentieren, könnte Ihnen vielleicht die Idee kommen, Frankreich diese zwanzig Bilder zu schenken.“ Ein Akt des Patriotismus – und mehr. Es ist die politische Konsequenz aus der Einsicht in den unverwechselbaren Charakter der Malerei von Monet. Was sie einzigartig macht, sind die Bilderserien, Versuche, auf von Marcel Proust so genannten „erhabenen Leinwänden“ den Fluss der Zeit zu spiegeln und den Betrachter zu lehren, das Licht zu verstehen. Die Serien Monets als Ensemble zu bewahren ist Aufgabe des Staates. Wenn Clemenceau in diesem Zusammenhang den Präsidenten daran erinnerte, dass er Frankreich repräsentiert und deshalb handeln muss, ist die Aufforderung zum Staatseingriff nicht politisch, sondern ästhetisch motiviert. Das Kathedralen-Ensemble ließ sich nicht zusammenhalten, die Bilder wurden einzeln verkauft. Ebenso erging es den Heuschobern, den Pappeln und der Themse bei Westminster. Erst mit den Nymphéas, den Seerosen im Garten Monets im Örtchen Giverny, hatte Clemenceau Erfolg. Die Voraussetzung für das Entstehen dieser „Serie“ wurde vor hundert Jahren geschaffen. Als 1916 in Verdun und an der Somme die blutigsten Schlachten des Ersten Weltkriegs tobten, fand Clemenceau die Zeit, Monet in Giverny zu besuchen. Dort war eine „gigantische Konstruktion“ vollendet worden, ein 250 Quadratmeter großes Atelier. Sein Glasdach erlaubte es, im Tageslicht zu arbeiten, „das weder von links noch von rechts, weder von Norden noch von Süden, sondern ganz einfach vom Himmel kommt“. Jetzt konnte Monet die großen panneaux, sie maßen bis zu zwei mal drei Metern, auch im Atelier malen. Bei Friedensschluss versprach Monet, dem französischen Staat einige Leinwände mit den Seerosen zu schenken: „Das ist wenig genug, aber für mich ist es die einzige Möglichkeit, an diesem Sieg teilzuhaben.“ Dann aber erkrankte der Maler auf beiden Augen an Grauem Star, fürchtete zu erblinden, zweifelte daran, das Projekt der Nymphéas je vollenden zu können, und wollte sein Geschenkversprechen zurücknehmen. Mit List überredete Clemenceau den Freund zur Operation, wies Jahr für Jahr seine Selbstzweifel zurück und drohte mit Aufkündigung der Freundschaft, wenn Monet sein Versprechen nicht erfüllen sollte. Epische Sturheit zum Nutzen der Kunst: „Arbeiten Sie, arbeiten Sie, nichts anderes zählt, worauf es jetzt ankommt, ist einzig, dass Sie keinen Löwenzahn malen, wenn Sie Seerosen malen wollen.“ Monet malte weiter, von seinen Seerosen aber trennte er sich nicht. Erst nach Monets Tod konnte im Mai 1927 Clemenceau die Säle der Nymphéas einweihen. Gegen lang anhaltenden Widerstand der Staatsbürokratie hatte er in der Orangerie der Tuilerien den passenden Ort für sie gefunden. Er stellte sicher, dass die Bilder ungerahmt, dicht aneinandergefügt und so tief gehängt wurden, dass der Betrachter sich wie in einem Garten fühlen konnte, die „Tore zum Feenreich“ öffneten sich. Umso mehr ärgerte Clemenceau, dass nur wenige Besucher den Weg in die Orangerie fanden. Eine kaum sichtbare kleine graue Tafel wies auf die „Sixtinische Kapelle des Impressionismus“ hin, während daneben ein Riesenplakat eine Hundeausstellung ankündigte. ei Ausbruch des Ersten Weltkriegs waren Clemenceau und Monet 73 und 74 Jahre alt. Sie kannten sich seit Jahrzehnten, teilten die Liebe zu Gärten, schnellen Autos und gutem Essen: „Halten Sie zwei getrüffelte Truthähne bereit“, schrieb Clemenceau einmal an Monet, „komme ich nicht, dürfen Sie sie allein aufessen.“ Wenn man die Fotos betrachtet, auf denen der Politiker und der Maler in Monets riesigem Garten in Giverny zusammen stehen, kommen sie uns – rauschbärtig der eine, schnurrbartmächtig der andere – wie Figuren aus einem Märchen vor. Stets wirken sie, als heckten sie etwas miteinander aus: ein Komplott zum Nutzen der Kunst. Von ihrer Korrespondenz sind nur die 153 Briefe des „Tigers“ an seinen vieux camarade erhalten: Dokumente einer Alterszärtlichkeit, in der B Selbstironie und schwärmerische Empathie sich mischen. Clemenceaus letzter Brief an Monet vom September 1926 endet mit den Worten: „Ich bin genau so verrückt wie Sie, aber meine Verrücktheit ist von anderer Art. Deswegen werden wir uns bis ans Ende verstehen.“ Im Dezember stirbt Monet. Clemenceau stirbt 1929, sein letztes Buch ist Monet und den Nymphéas gewidmet. „Schutztruppe“, die Manets Skandalbild Olympia vor Attacken bewahren wollte, und als es einem Besucher dennoch gelang, das Bild zu bespucken, stürzte sich Clemenceau auf ihn, verprügelte ihn nach Strich und Faden und stellte sich zum Duell. Die Mär will es, dass er dem Gegner, der ihn nur leicht verletzt hatte, später zur Begnadigung verhalf, weil er ein so schlechter Schütze war. Auch als Kunstliebhaber blieb Clemenceau seinen politischen Überzeu„Ich bin genauso verrückt gungen treu. Der Sozialist unterstützte das Projekt der Musées du Soir, in denen wie Sie“, schreibt im Osten von Paris den Arbeitern nach der „Tiger“ Clemenceau an Feierabend die Kunst nahegebracht werden sollte, der Laizist mochte Bilder religiösen seinen vieux camarade Inhalts wie Jean-François Millets Angelusläuten Monet. „Aber meine nicht, der Deutschenhasser Clemenceau, im Versailler Frieden die Demütigung Verrücktheit ist von anderer der Deutschlands durchsetzte, lehnte den Art. Deswegen werden wir entstehenden Kubismus als boche ab, weil ersten Händler und Sammler Deutuns bis ans Ende verstehen“ seine sche waren. Bracque und Picasso kamen nicht in sein Blickfeld. Die Protagonisten dieser folie à deux zwischen Clemenceau liebte die ostasiatische Kunst und Politik erscheinen uns überleKunst und verehrte die griechische Antike. bensgroß – im Sinne jener grandeur, in der Die Verehrung der Klassiker aber war für Charles de Gaulle, der Clemenceau verehrte, ihn trivial: Schon auf der Schule lernte man das Wesen Frankreichs sah. Größe macht sie zu schätzen. Enthusiastisch kämpfte er Vergleiche gefährlich. Der französische für die Kunst der Impressionisten, von der Ministerpräsident Manuel Valls hatte schon lange Zeit das große Publikum mit dem als Innenminister ein Foto Clemenceaus in Kritiker des Figaro behauptete, ihre Bilder seinem Arbeitszimmer, stolz bezeichnet er hätte auch ein Affe malen können. Für sich als Clemenciste. Ironisch ist in der Presse Clemenceau musste die Politik Risiken auf vom „Tiger Valls“ die Rede. Grandeur in sich nehmen: Sie hatte die Pflicht zur der Kunst ist geblieben, in der Politik sucht Avantgarde. man sie heute vergeblich. Auch das macht es schwierig, in unserer Zeit an eine große Koalition aus Kunst und Politik zu denken, wie Monet und Clemenceau sie einmal verkörperten. Die ästhetische Motivation politischen Handelns macht Clemenceau zu einem einzigartigen Akteur. Die Kunst war für ihn keine Kompensation der Politik, sie war nicht das Reich der schönen Freiheit im Kontrast zur oft schmerzlichen Notwendigkeit politischen Handelns. Vorwärtsdrängende Kunst war im buchstäblichen Sinne stets ein Kampf um Anerkennung. Und so kämpfte Clemenceau nicht nur für die Kunst, er schlug sich für sie. Rabiat in der Politik, war er genauso rabiat in der Kunst. Clemenceau gehörte zu einer APÉRO 20 Two Figures, 2016, Mixed Media, 47 x 60 x 45 cm Tamara Kvesitadze Any Direction 23. April – 4. Juni 2016 Gallery Weekend | 29. April–1. Mai 2016 Fr, 11–21 Uhr | Sa + So, 11–19 Uhr GALERIEKORNFELD Fasanenstraße 26 | 10719 Berlin Di – Sa, 11– 18 Uhr | www.galeriekornfeld.com Papier! 23. April – 4. Juni 2016 Group show curated by Thole Rotermund & 68projects www.68projects.com GALERIEKORNFELD BERLIN Fasanenstr. 68 | 10719 Berlin APÉRO NEUES, ALTES, BLAUES W LICHTSPIELE o liegen die Wurzeln der Fotografie? Wo fängt Kunst an? Und wieso eiferte das neue Medium der Malerei nach, statt mit den eigenen Mitteln zu experimentieren? Dokumentation, Narration und das Piktoriale – für den niederländischen Konzeptkünstler Jan Dibbets haben die Säulen der Malerei das Verständnis vom Lichtbild kaputtgemacht. Die Ausstellung Pandora’s Box (bis 17. Juli), ANNA ATKINS Padina Pavonia, 1843–1853 Oben: Nasa-Bild Viking Lander 1, 1976 die er nun im Musée d’Art moderne de la Ville de Paris kuratiert hat, vereint deshalb Fotografien, die eher im Bereich der Wissenschaft angesiedelt sind – von Biologen, Astrologen und Künstlern. So nutzte Anna Atkins die Kamera, um Pflanzentypen festzulegen. Sie gilt als erste Fotografin – allerdings nicht im Kunstbereich. „Das sind hervorragende Fotos“, sagt Dibbets, „die man bisher als reine Wissenschaft sieht. Aber nicht als Kunst. Dabei war das der Anfang des Nachdenkens über Fotografie! Malerei kann so etwas gar nicht erfinden.“ Und die Nasa-Aufnahme vom Mars: Ist das nur Wissenschaft oder auch Kunst? Oder Bruce Nauman, der 1966 eine Wasserfontäne emporprustete – seine Hommage an Duchamps Fountain spielt auch mit dem perfekten Augenblick. „Wieso befragen so wenige Fotografen den Apparat selbst? Sie denken: Technisch kann ich das, also mache ich schöne Fotos. Aber schöne Fotos sind Quatsch.“ GB APÉRO 22 U IER E N H Zur Sammlung des Museum of Modern Art gehören seine Bilder: Otto Umbehr, genannt Umbo. Der 2014 verstorbene Berliner Galerist und Sammler Rudolf Kicken kümmerte sich nach Umbos Tod 1980 um das Vermächtnis des deutschen Avantgardefotografen, vermittelte Arbeiten bis nach New York. In Deutschland aber könnte noch mehr getan werden, um die Erinnerung an diesen Pionier des Neuen Sehens und einen der bedeutendsten Fotokünstler des Bauhauses lebendig zu halten. Vor diesem Hintergrund ist es jetzt eine kleine Sensation: Die Berlinische Galerie, das Sprengel Museum Hannover und die Stiftung Bauhaus Dessau erwerben gemeinsam Umbos Nachlass. Der Kollektivankauf ist eine logistische Meisterleistung, an der 14 Förderer beteiligt sind. Der Fotograf war von 1921 bis 1923 am Bauhaus in Weimar, lernte bei Schlemmer, Kandinsky und Klee, UMBO Träumende, 1928/29 bevor er nach Berlin ging. Dort entstand seine berühmte Filmmontage Der rasende Reporter. Mit der legendären Ausstellung Film und Foto 1929 in Stuttgart zählte er zur Foto-Avantgarde. Im Krieg aber wurden seine 60.000 Negative zerstört. Und so erlebte Umbo erst Jahrzehnte später eine Würdigung, die nun durch diesen Ankauf seiner wichtigsten Werke, Kontaktbogen und Notizen weitergeführt und für die Zukunft gesichert wird. SWKA Missbrauch. Die ungegenständliche Avantgarde hingegen sei unschuldig. In Amerika brach sich diese nichtfigurative Kunst gerade Bahn: Unter Anleitung des deutschen Emigranten Josef Albers hatte sich in New York bereits die Künstlergruppe „American Abstract Artists“ gegründet. Wenig später formierte sich um Jackson Pollock und Willem de Kooning die berühmte New CLEMENT GREENBERGS Apartment mit Werken von KENNETH NOLAND (links) und JULES OLITSKI York School. Und Clement Greenberg wurde der mächtige Wortführer einer Weltanschauung, die den Abstrakten Expressionismus hne Clement Greenberg wäre New in seiner ästhetischen Vorherrschaft überhaupt York nicht zur Welthauptstadt der erst legitimierte. Jetzt bietet sich die Chance, zeitgenössischen Kunst im 20. JahrhunGreenbergs eigene Sammlung kennenzulernen, dert aufgestiegen. Der Kritiker hatte frühzeitig die er bis zu seinem Tod 1994 zusammengetraerkannt, dass die Wunde, die der Nationalsozialis- gen hat. 20 Höhepunkte der Kollektion kommen mus und der Weltkrieg der europäischen Kunst am 11. Mai bei Christie’s in New York unter den zugefügt hat, nicht von Paris und Hammer: abstrakte Gemälde schon gar nicht von Berlin aus von Friedel Dzubas, Kenneth geheilt werden könnte, sondern nur Noland oder Jules Olitski. von New York aus. Dabei argumenHelen Frankenthaler nimmt tierte er ebenso ideologisch wie eine besondere Stellung ein: ökonomisch clever. In seinem Essay Von ihr ließ sich Greenberg Avantgarde und Kitsch, der 1939 in nicht nur bekochen, sie durfte der linken Politik- und Literaturzeitihn auch porträtieren. Eine schrift Partisan Review erschien, Skizze aus dem Jahr 1950 warnte er vor den gefälligen Produkzeigt sein markantes Profil. ten der Massenkultur, die in ihrer So viel Repräsentation ließ Anbiederung an Moden und Stile „Clem“ dann doch einmal KENNETH NOLAND New Problem, 1968 anfällig seien für propagandistischen durchgehen. WOE KRITIKERKUNST O Stern „(359103) Ottopiene“ EIN STERN FÜR PIENE „(359103) Ottopiene“ – dieser Name beschreibt einen jüngst entdeckten Stern im Universum. Er trägt den Namen Otto Pienes, des vor zwei Jahren verstorbenen Zero-Künstlers, der wie kein anderer den Himmel zu seinem Aktionsfeld gemacht hat. Für Otto Piene war er ein Zeichen für Freiheit. Vor dieser Folie ließ er seine sternenförmigen Lichtskulpturen tanzen, die unter dem Begriff „Sky Art“ in die Geschichte eingehen werden. Die Idee, dem Künstler selbst im Universum einen dauerhaften Platz zu geben, hatte Pienes Freund Dieter Jung. Zwei Jahre lang suchte der Berliner Holografiekünstler, der in den 80erJahren gemeinsam mit dem Künstler am Center for Advanced Visual Studies am MIT in Cambridge, USA, arbeitete, nach einem Wissenschaftler, der ihm helfen würde. Er gewann, nach einigen Fehlschlägen, Felix Hormuth vom MaxPlanck-Institut für Astronomie. Der Wissenschaftler machte sich in der Sternwarte Calar Alto auf die Suche und fand „(359103) Ottopiene“. Mit diesem Stern hat Pienes Werk nun seine wahre Vollendung gefunden: Mission completed. HO APÉRO 23 DAS IST KEIN KOFFER, DAS IST KUNST Tobias Rehberger macht Kunst, die man nicht nur anschauen, sondern auch benutzen soll. Also fast schon Design. Aber nur fast: Moderne Möbelklassiker ließ er von afrikanischen Kunsthandwerkern nachbauen – nach Skizzen aus seinem Gedächtnis. Künstlerfreunde porträtierte er als Blumenvasen. Poppig-bunte Sitzmöbel laden zum sozialen Miteinander ein. Für das schrille Interieur des Cafés der Biennale von Venedig, das er von einem Tarnmuster ableitete, erhielt er 2009 den Goldenen Löwen. Nun hat der Professor der Frankfurter Städelschule für das Luxus-Modelabel MCM eine exklusive Edition für Taschen und Koffer hergestellt. Auch hier diente Camouflage als Vorbild. Und auch hier gilt: Nicht nur sehen, sondern bitte auch gehen, tragen, anfassen – und vor allem: gesehen werden! GB Aus der MCM-Kollektion von TOBIAS REHBERGER HINTERGRUND AN DIE DECKE Ernst Wilhelm Nay sorgte 1964 auf der Documenta III für Kontroversen. Jetzt ist seine Serie noch einmal zu sehen – auf dem Berliner Gallery Weekend s war einmal. So beginnen auch die schönsten Erzählungen, die die Kunstgeschichte überliefert. Es war einmal ein deutscher Maler, der gemessen am deutschen Format ungewöhnlich große Bilder malte und dazu ungewöhnlich große Worte sprach. „Bilder kommen aus Bildern“, also sprach Ernst Wilhelm Nay. Und das klang in einer Zeit, als die Kunst noch immer an ihrem Weltbezug gemessen wurde, schon wie schiere Überheblichkeit. Ein Werk, nie vergessen, in Museumssammlungen und auf dem Markt noch immer präsent und doch irgendwie eingefroren im märchenhaften Gestern. Und nun steht man einigermaßen verblüfft vor diesen Bildern, vor ihrer Hitze, ihrer unverbrauchten malerischen Wucht, ihrer Frische, als seien die frühen 60er-Jahre von aller Patina der zu Ende gehenden Adenauer-Epoche gereinigt worden. Die Berliner Galerie Aurel Scheibler hat noch einmal acht der seinerzeit berühmten Augenbilder von Ernst Wilhelm Nay versammelt. Zwei von ihnen gehörten zur Gruppe, die 1964 auf der Documenta III in Kassel gezeigt wurde und dort für erregte Dispute sorgte. Was genau den Kritikerzorn entflammt hatte, ist nur noch schwer zu rekonstruieren. Arnold Bode, der Documenta-Gründer und vorerst unersetzliche Chef, hatte trotz erster PopArt-Signale aus den USA, trotz Fluxus und Nouveau Réalisme noch einmal der europäischen Malereitradition eine große Bühne geben wollen. Ernst Wilhelm Nay zählte er zu den Bewahrern und Erneuerern zugleich. In einem etwas kühnen Regieeinfall ließ er drei der für die Documenta gemalten Nay-Bilder in einem relativ schmalen Gang des Fridericianums an der Decke befestigen. Der Künstler soll nicht E Drei Bilder im Raum, Installationsansicht, Documenta III, 1964 Rechte Seite oben: Silberstern, 1964, Öl auf Leinwand, 200 × 160 cm APÉRO 24 gerade begeistert von der Idee gewesen sein, hat aber dann doch der Sonderbehandlung zugestimmt. Umso mehr als seine Malerei so an Prominenz und Auffälligkeit gewann. Wohl nahm die luftige Präsentation auch Bezug auf die neue Spielform Environment, die ein paar Räume weiter der Italiener Emilio Vedova mit seiner Installation aus skulptural gestellten Bildern eindrucksvoll vorführte. Während Vedova einigermaßen ungeschoren durchkam, fiel der Schmäh auf Nay. Klaus Jürgen-Fischer, selber Maler, ein wenig altmeisterlich-ledern und als Mitherausgeber des Magazins Das Kunstwerk eine kunstkritische Stimme von Gewicht, mokierte sich über den „Sonderaufwand eines Kathedralraumes mit drei an der Decke gestaffelten Riesenbildern von Ernst Wilhelm Nay, den man offenbar eingerichtet hat, um diesem Kölner Maler eine Weltgeltung zu sichern, die er nicht besitzt“. Die von Arnold Bode besorgte Hängung sei geistreich, dass sie dem Falschen zugutekomme, entspreche nicht nur einer freundschaftlichen Vorliebe des DocumentaRates für diesen Künstler, sondern einem nationalen Missverständnis: „Hier ist kein Weltrang, sondern ein künstlerisches Versagen zementiert worden.“ Wenn man an die ungewöhnliche Schärfe des Urteils denkt, aus heutiger kunstkritischer Sicht fast erschreckend aggressiv, dann lohnt es sich, noch einmal darüber nachzudenken, was die Polemik in Wahrheit munitioniert hatte. Jürgen-Fischer sollte später noch deutlicher werden: „Der Maler Ernst Wilhelm Nay ist deshalb zu einem Fall geworden, weil seine unaufhörliche Exponierung das deutlichste Symptom für die chronische Schwäche eines immer fester umreißbaren Lagers unserer kunstkritischen und kunstfördernden Intelligenz darstellt, für die die ästhetische Kategorie der bildnerischen Ordnung, Klarheit und Disziplin nicht existiert.“ Es hallt wie ein Echo der bestimmenden Nachkriegsauseinandersetzung. Der Siegeszug der Abstraktion, der von den lautstarken Museumsleuten als Wiederanschluss an die lange verpönte Moderne gefeiert wurde, war für Maler, die beim Gegenstand geblieben waren, wie ein Verrat der fortschrittsunbedürftigen Kunst an den Fortschritt. D FORME ÎN TIMP – VIITORUL NOSTALGIEI Art Collection Telekom art-collection-telekom.com 20. 04.− 09. 10. 2016 National Museum of Contemporary Art MNAC Bucharest 3DODFHRIWKH3DUOLDPHQWZLQJE4,]YRU6W Bucharest Klarheit und Disziplin sorgen – anders als es das Ressentiment wahrhaben wollte. Man sieht das heute viel besser. Und das erstaunliche Ensemble, das Aurel Scheibler mithilfe der Nay-Stiftung zusammenbekommen hat, führt die ganze ungetrübte Qualität dieser Malerei noch einmal eindrucksvoll vor Augen. Nicht zuletzt sind es die Formate mit ihrer Neigung zur grandiosen Dehnung des Bildraums, die immer noch und immer wieder überraschen. Es wäre eine Untersuchung wert, welche Rolle Sam Francis mit seinen gallertartigen Farbriesenmolekülen spielte, die bereits auf seinen Bildern auf und ab schwebten, als Nay seine Scheiben- und Augenbilder entwickelt hat. Ganz sicherlich hat der Deutsche Maß an den amerikanischen Abstrakten Expressionisten genommen. Doch während in den USA bald das Zepter an die Bildermacher des Pop-Jahrzehnts weitergereicht wurde, hat Ernst Wilhelm Nay den Zeitgeist wie die Fliegen abgewehrt. So ist sein Werk eingegangen ins märchenhafte Gestern. Aber wie immer bei Märchen hat weder die böse Stiefmutter noch der böse Kritiker recht behalten. TEXT: HANS-JOACHIM MÜLLER AUSSTELLUNG IN DER BERLINER GALERIE AUREL SCHEIBLER VOM 30. APRIL BIS 18. JUNI SHAPE OF TIME– FUTURE OF NOSTALGIA ,JRU*UXELþ366 Liberation Rituals'HWDLO Ernst Wilhelm Nay, der als Karl-HoferSchüler realistisch begann und sich bei langen Frankreich-Aufenthalten vom Surrealismus beeinflussen ließ, war spätestens seit seinen Scheibenbildern, mit denen er in den 50er-Jahren auftrat, ein Star der abstrakten Szene. Und die Dynamik, die mit den leuchtenden Farbkreisen in seine Bilder einzog, machte ihn zusammen mit der rhetorischen Brillanz, mit der er seiner Malerei die Gestalt einer aufgeklärten Farbtheorie gab, zum Pionier der ungegenständlichen Kunst. abei hielt Nay stets Abstand zur gestischen Abstraktion. Während nicht wenige seiner Generation dem malerischen Aktionismus huldigten, wie er in Frankreich unter der BürgerschreckParole „Tachismus“ Kult war, blieb Nay bei seinen besonnenen Entwürfen. Und auch dort, wo sich die Farbe in kraftvoll-ungestümen Malhandlungen über die Bildfläche ausbreitet, stößt sie immer wieder auf gesetzte Formen, auf Scheiben, Kreise, augenähnliche Gebilde, die dieser Malerei Dynamik geben, aber auch für Ordnung, DICHTER DRAN NO-GOBOY Jörg ALBRECHT Was für Energien werden frei, wenn die Sprachkunst auf die Bildkunst triff t? Für BLAU hören Lyriker auf den Klang der Kunst. Jörg Albrecht, Jahrgang 1981, sieht dem Tanz im White Cube zu. Inspiriert von Félix GonzálezTorres Was hast du da auf den Rücken tätowiert? Nen Anker? Den Eiffelturm? Nein, das Gesicht meines Freundes Brian Storm. Er ist Performancekünstler und Teilzeit-Go-Go-Boy. Oder Go-Go-Boy und Teilzeit-Performancekünstler? Je nachdem, wer den Lebenslauf schreibt. Je nachdem, ist er Ami mit deutschem Background oder Deutscher mit namibischem Foreground. Jedenfalls wollte Brian Storm unbedingt diesen Job, wollte dieses Stück Kunst tanzen. Bestandteile der Installation: — — — — — — — — — weißer Kasten, irgendwo im weißen Würfel zirka sechsundvierzig Glühlampen am Rand dieses Würfels Strom ein Tänzer in silbernem Lamé-Höschen Kopfhörer und Walkman [wenn möglich: gelb] Musik, die niemand außer dem Tänzer hört die Atemstöße des Tänzers beim Tanzen, fünf Minuten pro Tag die Veränderung des Raumes durch den Auftritt des Tänzers die Veränderung der Tanzstile durch die Jahrzehnte, von 1991 bis zum heutigen Tag — kein Schild: NICHT ANFASSEN, aber dennoch wird niemand anfassen — der Respekt und die Scheu des Kunstpublikums, im Gegensatz zur Gier des Klubpublikums — das Ineinander von Poesie und Politik, das die frühen 90er noch prägte, und das ich schmerzlich vermisse [VERMISSE!] Dann der Anruf des Museums bei Brian Storm: Daß sie gedacht hätten, er sei Latino, so wie der Künstler auch. Daß seine Haut so uneindeutig sei, so halb-dunkel. Daß sie in jedem Fall einen gut trainierten Latino bräuchten, Latino, jung und biologischer Mann. Meine Fresse, Brian! Die kuratierte Wirklichkeit! Anstatt dessen: Einen alten Go-Go-Dancer jenseits der achtzig tanzen lassen. Ein Mädchen von sieben Jahren tanzen lassen. Eine biodeutsche Frau um die vierzig. Eine deutsch-türkische Frau um die sechzig. Einen brasilianischen Mann. Einen koreanischen Mann im Rollstuhl. Eine indische Frau mit Trisomie 21. Jeden Tag für fünf Minuten eine andere Art von Go-Go-Dance. Und da tanzt du doch noch, Brian Storm, tanzt und tanzt und tanzt im White Cube. [Critical White Cube.] FÉLIX GONZÁLEZ-TORRES Untitled (Go-Go Dancing Platform), 1991, Holz, Acryl, Glühbirnen, 55 × 183 × 183 cm, Installationsansicht Kunstmuseum St. Gallen APÉRO 26 BEWEGTBILD DIE SCHNELLSTEN SKULPTUREN DER WELT DAS URCOUPÉ THOMAS SCHEIBITZ über seinen Lieblingsfilm Naked Lunch „Naked Lunch, David Cronenbergs Film über oder besser: um das gleichnamige Buch von William S. Burroughs herum ist die Beschreibung einer obsessiven Zwischenwelt. Der genaue Ort ist unwichtig. Es wird ein kreativer Akt beschrieben, der gleichsam vergessen wird und dabei Tiefe, Dichte und komprimiertes Verlangen magnetisch anzieht. Absurde Aufträge an Einbildungskraft und Flucht in eine unter Einfluss stehende Fantasiewelt. Fantasie, die man braucht, um Ängste, Beklemmungen und Co-Abhängigkeiten zu absorbieren. Untertauchen, um Abstand zu gewinnen. Das 1959 erschienene Buch schien unverfilmbar, und es verweigert sich einer logischen Erzählstruktur, was ich bei jeder Kunst für zentral halte. Multiperspektive ohne Narrative, die trotzdem nachvollziehbar bleibt, ist große Kunst.“ DIE KUNSTHALLE DARMSTADT ZEIGT VOM 3. MAI BIS 24. JULI MALEREI ALS FILM, U. A. MIT THOMAS SCHEIBITZ Von wegen biederistisch: Bei diesem Audi war der hedonistische Urimpuls plötzlich in jeder Chromschwingung lebendig Lässige Alternative: AUDI COUPÉ H erkunft ist Zukunft. Audi baut seit Jahren und Jahrzehnten weitgehend perfektoide Autos, aber der Erfolg hat viel Charme gekostet. Die Anfänge von Audi bieten Inspiration, insbesondere der Start der heutigen Markengeschichte 1969. Damals präsentierte der einst biederistische Beamtenkutschenhersteller ein Coupé, dem die Sonne Italiens in jedes Detail schien. Das elegant und sportlich geschnittene Auto kam überraschend – aber nicht aus dem Nichts. Die Schwestermarke NSU hatte mit dem Ro 80 ein ähnlich spektakuläres wie wegweisendes Konzept in die Aufbruchsära der späten 60er-Jahre geworfen, und so konnte aus Audi wenig später die Undergroundmarke für die technische Intelligenz werden. Reiche Leute mögen Mercedes Naked Lunch, 1991, ein Film von David Cronenberg fahren, sportliche BMW, aber die gebildeten Stände hatten mit dem Ingenieur-Chic der Ingolstädter eine lässige Alternative bekommen. Die Fahrleistungen des Audi Coupé waren für ein Auto der gehobenen Mittelschicht Ende der 60er-Jahre beeindruckend. Der 1,9-Liter-Vierzylinder machte den Audi 185 km/h schnell und ließ ihn in elf Sekunden von 0 auf 100 km/h schnellen. Damit konnten die S-Reihe und große BMWs geärgert werden, noch wichtiger aber waren die Irritationen in der deutschen Distinktionsgrammatik. Was hat es mit Audi auf sich, welcher sozialen Logik folgt deren nüchtern beschwingtes Design? Gerüchte besagen, dass der damalige Entwicklungschef der Auto Union gern ein Coupé als Dienstwagen haben wollte und ein ebensolches in Auftrag gab. Dieser hedonistische Urimpuls ist in jeder Chromschwingung lebendig. Designt hatte den meisterlichen Entwurf ein Twen namens Hartmut Warkuß, der in APÉRO 27 den 90er-Jahren Designchef von Volkswagen wurde. Wie auch beim Lamborghini Miura, dem Maserati Ghibli oder dem Porsche 911 waren es ganz junge Burschen, die Ungeheuerliches entwarfen. Heute sind derart juvenile Geniestreiche eher undenkbar. Das Coupé war teuer, technisch nicht sonderlich robust und deswegen auch kein Erfolg – verkäuferisch. Heute ist das Fahrzeug eine Rarität und auf Oldiemessen ein Publikumsmagnet. Wie schön wäre es, wenn Audi wieder so eine Sensation entwerfen könnte wie dieses zauberhafte Urcoupé. Vielleicht würde sich dann auch das Klientel der Audi-Fahrer ändern, die das Autobahn-Unsympathentum anführen, gefolgt von ŠkodaEhrgeizlingen und Posern in asiatischen Günstig-SUVs. Das Urcoupé und alle anderen Audi Coupé werden im Werksmuseum in Ingolstadt bis 18. September ausgestellt. ULF POSCHARDT BLITZSCHLAG „DER TOD IST PERFEKT“ Es ist ein Augenblick der Gewissheit: Dieses Kunstwerk trifft mich im Kern. Lars Eidinger über ein Monochrom von Yves Klein, vor dem ein Schlüsselerlebnis hatte ich vor einem Bild von Yves Klein, plötzlich die Zeit das 2001 im Deutschen Guggenstillstand heim hing. Erst sah ich nur M eine blaue Leinwand und wollte weitergehen, aber dann entschied ich mich, stehen zu bleiben. Je länger ich es betrachtete, desto mehr entfaltete es eine Wirkung auf mich. Einen regelrechten Sog. Das Blau ist leicht rotstichig, flirrt und leuchtet scheinbar von innen heraus. So entsteht Bewegung, obwohl es ein stilles Bild ist. Die Tatsache, dass einen etwas, das sich scheinbar sofort erschließt, verweilen lässt, faszinierte mich. Was passiert, wenn man sich Zeit nimmt? Mir fiel auf, dass ich der einzige Besucher war, der so lange davorstand. Was ich in dem Moment verstanden habe – auch über die Kunst, die ich selber ausübe –, war, dass man sich für Kunst öffnen muss. Es gibt ein Zitat von Julian Schnabel: „Wenn Menschen Kunst anschauen, müssen sie einfach nur fühlen. Und zwar ihre eigenen Gefühle, nicht meine. Das Kunstwerk ist tot, bis jemand davorsteht und es anschaut.“ Das leuchtet mir ein, vor allem bei diesem Bild. Ich mache auf der Bühne oft die Erfahrung, dass sich Zuschauer verweigern, sowohl mir als Darsteller als auch der Kunst allgemein. Da ist Kunst machtlos. Das ist wie mit einem Orgasmus. Man kann niemanden vergewaltigen mit dem Ziel, ihn zum Orgasmus zu bringen. Das geht nur, wenn sich das Gegenüber öffnet. Für mich drückt das Bild das aus. Es drängt sich nicht auf, sondern ich entscheide, mich ihm auszusetzen. In der Zero-Ausstellung letztes Jahr habe ich gelesen: Jede Linie auf einem Bild ist bereits eine Einschränkung. Das Einfarbige ist die größte Freiheit, eine Form von Anarchie. Das fasziniert mich auch beim Spielen: In dem Moment, in dem ich die Bühne betrete, gibt es keine Regeln, die ich nicht brechen könnte. Was nicht heißt, dass ich das ständig ausreizen muss, aber ich finde die Option attraktiv. Mich LARS EIDINGER, Star der Berliner Schaubühne, fotografiert von ALEXANDRE DE BRABANT fasziniert auch der Anspruch, aus dem Nullzustand heraus zu agieren. Oft arbeitet man sich gedanklich an der Vergangenheit und Zukunft ab, aber mich interessiert das Jetzt. Ich versuche mich vor der Vorstellung in diesen Zustand zu versetzen. Das ist natürlich paradox, weil man den Moment nicht festhalten kann. Diesen Widerspruch gilt es auszuhalten. Die Sehnsucht nach Stillstand, Erlösung und Ruhe ist zugleich eine Todessehnsucht. Der Tod ist perfekt. Es gibt ein Stück von Peter Handke, Zurüstungen für die Unsterblichkeit. Da gibt es die Raumverdränger, deren Parole lautet „Reiz statt Raum“. Der Reiz stellt eine permanente Bedrohung dar. Er schränkt uns ein und lenkt ab. Ich habe eine Sehnsucht nach Raum und dem Reizlosen. Der Transzendenz. Kunst kommt nicht von Können, aber Rezipieren von Wollen. APÉRO 28 YVES KLEIN Monochrome bleu sans titre (IKB 68), 1961 WIR VERBINDEN FOTOGRAFIE MIT 700 JAHREN KUNSTGESCHICHTE. Mit der DZ BANK Kunstsammlung, der größten Sammlung ihrer Art, machen wir zeitgenössische Fotokunst seit über 20 Jahren für alle erlebbar – mit Ausstellungen in unserem ART FOYER sowie in langjähriger, erfolgreicher Zusammenarbeit mit dem Städel Museum. Die älteste Museumsstiftung Deutschlands umfasst Werke aus 700 Jahren europäischer Kunstgeschichte. Wir freuen uns, mit 200 Werken dazu beizutragen, künstlerische Fotografie auf diese Weise zu fördern. Mehr unter » www.dzbank.de UM DIE ECKE ROMA SUR, MEXICO CITY Jede Stadt hatt ihre Mikrokosmen, wir stellen sie vor. Mit Chris Sharp streifen wir durch das Zwielicht von Mexico City, vorbei an der besten Saftbar der Stadt, einer wilden Pozolería und dem Kunstraum Bikini Wax I m Jahr 2013 eröffneten der Künstler in Soto Climent und ich einen ProjektMartin Lulu“ in Martins Atelierraum namens „Lulu“ wohnung. Sie liegt im fast dörflichen Stadtteil Roma Sur in Mexico City. Die Gegend war damals so einfach und authentisch, dass ich als offensichtlich einziger Ausländer hier zu scherzen pflegte, ich sei eben der Gentrifizierungsagent von Roma Sur. Auch wenn es kaum zu glauben ist, ich bin noch immer allein auf weiter Flur. Jedwede Kolonisation der Arbeiterviertel in Mexico City durch die Kreativklasse scheint sich zuverlässig auf die nördliche Flugbahn in Juárez und San Rafael zu beschränken. Dort befinden sich Galerien und Projekträume wie Joségarcía_,mx, Marso, Lodos Contempo ráneo, Casa Maauad und viele andere. Roma Sur aber hat sich seit meiner Ankunft in Mexico City im Herbst 2012 kaum verändert – es ist noch genauso zu erleben, wie ich es damals vorgefunden habe. APÉRO 30 Mit der Ausnahme ein einiger Starbuckssteht die Gegend vvor allem aus kleiLäden besteht nen, freundlichen Ma an and Pa enterprises – Schneidereien, Schönheitssalons, Bäckereien, comida corrida-Restaurants und Ähnlichem. Die alte Architektur ist ein bisschen heruntergekommen und patiniert und kaum höher als zwei Stockwerke. Die Häuser sind im Pueblostil aus den frühen 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts erbaut. Zusammen mit der Art-déco-Mischung aus dem benachbarten Stadtteil Condesa und jüngeren Bauten aus den 80er-Jahren trägt diese vertikale Bescheidenheit ihren Teil dazu bei, dass man insgesamt das Gefühl hat, sich in einem Dorf zu befinden – und das in einer der größten Städte der Welt. SÜSSE MATTIGKEIT MITTE: CHRIS SHARP GRÜNDETE VOR DREI JAHREN DEN PROJEKTRAUM LULU. BIS HEUTE IST ER DER EINZIGE KURATOR IN ROMA SUR – DIE GEGEND FÜHLT SICH NOCH IMMER AN WIE EIN DORF. UNTEN: DIE ECHTE LULU IST CHEFIN DER SAFTBAR JUGOS Y LICUADOS LULU Im Frühling ist das Wetter lau, eine Brise flüstert in den Blättern der umliegenden Bäume und die Sonne belebt behutsam die unebenen und gerissenen Bürgersteige mit ihren Fleckenwürfen. Gegen halb sechs beginnt der Sonnenuntergang. Dieser weiche, unbeschreibliche Zauber des Zwielichts ist der eigentliche Grund, weshalb ich nach Mexico City gezogen bin. Voll süßer Mattigkeit, urban und zeitlos zugleich, ist der Sonnenuntergang hier anders als an jedem anderen Ort, den ich kenne. Er hat eine sehr liebevolle und dezente Art, einen innehalten zu lassen, egal was man gerade tut – wie in einem Moment der Stille zwingt er dich, seinen honigsüßen Schwellenzustand zu beobachten. Doch muss ich zugeben, dass ich gerade in diesem Augenblick wieder von allerlei Unbehagen bestürmt werde, ganz so als würde ich nur die halbe Wahrheit erzählen. Die Bedenken kommen immer, wenn ich gebeten werde, über mein Leben in Mexico City zu schreiben oder davon zu erzählen. Ich fühle mich beinahe schuldig, im Guten wie im Schlechten, zum Mythos dieser Stadt als urbaner Utopie in der globalen Vorstellung beizutragen. Gerade vor ein paar Monaten führte die New York Times Mexico City als eines der Top-Reiseziele für 2016 an. Die Kunstwelt feiert sie ständig auf die eine oder andere Weise als „das neue Berlin“. Einerseits bin ich mir vollkommen bewusst, dass Städte den Stoff von Mythen und Legenden bilden – schließlich war die reichhaltige, subkulturelle Geschichte von Schriftstellern wie William S. Burroughs und Thomas Pynchon, die nach Mexiko zogen, um dort zu leben und zu schreiben, einer der Gründe, der mich hierhergelockt hat. APÉRO 31 Ich spüre, wie diese geistigen Einflüsse die Stadt bestimmen, begleiten, vollenden. Andererseits ist mir klar, wie naiv das aus der Sicht eines chilango (Einheimischen) erscheinen muss. Denn sie, die chilangos, wissen: Es ist eine Sache, die Stadt für eine oder zwei Wochen zu besuchen – aber eine andere, hier wirklich zu leben. Vom Verkehr, der einer höheren Gewalt zu gehorchen scheint, der starken Umweltverschmutzung und der unheimlichen, unsinnigen Bürokratie, die einen bereits beim Einlösen eines Schecks erwischt, über die schlechte Wasserqualität bis hin zum Lärm, ganz zu schweigen von der Kriminalität (die abgenommen hat, aber immer noch Alltag ist), ist Mexico City weit von der Utopie des 21. Jahrhunderts entfernt, die die Medien daraus machen. Dies ist eine harte Stadt; es gibt viel zu lieben und nicht wenig zu hassen. Ich habe meine guten und meine schlechten Tage, aber ich lebe hier seit über drei Jahren und bin immer noch da und liebe den Ort. Was ich an ihm liebe? Abgesehen vom Zwielicht, der unvergleichlichen Atmosphäre und der Liebenswürdigkeit der Menschen? Es ist definitiv das Essen. Einige Lieblingsorte in meiner Nähe sind das Jugos y Licuados Lulu, die Taquería Los PINKE PAUSE DER HIMMEL ÜBER MEXICO CITY GIESST SEINE FARBEN IN ALLE STRASSEN. IM CINE TONALÁ (LINKS UNTEN) GIBT ES KINO UND COCKTAILS. RECHTS OBEN: DER KÜNSTLER DANIEL AGUILAR RUVALCABA HAT DEN KUNSTRAUM BIKINI WAX INITIIERT. UND IM CASA DE TOÑO (RECHTS UNTEN) HERRSCHT DAUERND HOCHBETRIEB Parados und das Casa de Toño. Das Jugos y Licuados Lulu – der Fruchtsaftladen, nach dem wir unseren Projektraum benannt haben, liegt nur anderthalb Blöcke die Straße hinunter auf der Bajío. Lulu ist ein kleiner Straßenstand, der vor allem auf Säfte und Smoothies von frischen Früchten der Saison spezialisiert ist. Lulu heißt auch die Besitzerin. In den mehr als zwanzig Jahren, in denen sie Säfte herstellt, hat sie ihre Kunst zur Meisterschaft gebracht – jede ihrer Gesten destilliert sie in eine perfekt entschiedene und beinahe maschinenartige Wirtschaftlichkeit. Ich bestelle oft einen entsprechend köstlichen antigripal („gegen Grippe“) aus Guave, Orangen, Limette und Honig, dazu kommen, wenn ich darum bitte, Rote Beete. Ich bin immer wieder erstaunt von dem Tempo und der Effizienz, mit der Lulu das Ganze vor mir in einen Becher zaubert. Etwa fünf Minuten zu Fuß vom Lulu, die Tehuantepec hinunter, an der Ecke Monterrey und Baja California, ist Los Parados, berühmt als eine der besten Taquerías in Mexico City. Der Name bezieht sich auf die Tatsache, dass es hier keine Tische oder Stühle gibt, sondern die Menschen beim Essen stehen – auf jeder verfügbaren Oberfläche (parado heißt auf Spanisch „stehend“). An manchen Tagen ist es extrem voll. Jedes Mal wenn mich der Koch kommen sieht, blickt er gestresst vom Grill auf, schaut mich an und sagt: ¿Holá güero, hamburguesa? („Hallo Weißer, Hamburger?“), als wäre das alles, was ich dort essen würde. Alles wird sauber und APÉRO 32 frisch am Grill zubereitet und schmeckt lebensverändernd gut. Wenige Blöcke die Straße weiter, auf der Avenida Cuauhtémoc in Narvarte, befindet sich eine Dependance des Kettenrestaurants Casa de Toño – eine lange, kantinenartige Pozolería (von pozole, einem Maiseintopf). Ich genieße den Weg die Bajío hinunter dorthin. Entlang einer der Hauptschlagadern der Stadt ist die breite Wohnstraße Miguel Alemán gesäumt von Bäumen, einem oder zwei Antiquariaten und einigen besonders schönen Häusern im Pueblostil. Das Casa de Toño ist immer laut und überfüllt, eine Meute hungriger Mexikaner ergießt sich die Treppen hinunter. Sie haben eine Nummer gezogen und warten nun darauf, aufgerufen und platziert zu werden. Doch wegen der slapstickartigen Schnelligkeit, mit der die wimmelnde Menge buchstäblich sprintender Kellner Bestellun- Treppenabsatz zum ersten Stock. Was ich daran liebe, ist, dass sie vor allem mit der lokalen Gemeinschaft arbeiten und andauernd Ausstellungen machen, egal was passiert. Sie organisieren Diskussionen und Studiengruppen und fungieren dabei als Zelle, aus der sich eine ganze Generation mexikanischer Künstler herausbildet. Einer ihrer Gründer, Daniel Aguilar Ruvalcaba, dessen neugierigem, offenem und aufmerksamem Wesen der Ort seine positive Atmosphäre verdankt, ist zugleich einer der aufsteigenden Sterne am Kunsthimmel Mexikos. ine Tonalá, das in Roma Sur startete, genau einen Block von meiner Wohnung auf der Calle Tonalá entfernt, hat sich inzwischen zu einer Art Franchise entwickelt. In La Merced im kolumbianischen Bogotá wurde eine Filiale eröffnet, und ein dritter Ableger in Tijuana, im Nordwesten Mexikos, ist in Planung. In erster Linie ist Cine Tonalá ein kleines Kino, das Independent- und Festivalfilme zeigt. Aber es gibt auch eine Bar, ein Restaurant und eine Konzerthalle (ich habe sogar zeitgenössischen Tanz dort gesehen). Ausgestattet mit viel Holz und Eisen, Filmpostern und einer Markise, wirkt das elegante Interieur warm genug, um sich hier willkommen, aber nicht allzu hip zu fühlen. Die Organisatoren arbeiten mit ortsansässigen Künstlern und Projekträumen, und so umarmt der Ort auf bewundernswerte Weise das Lokale, ohne seine ursprüngliche Funktion als Kino zu verlieren. Im Gegensatz zu den meisten Kinos ist Cine Tonalá dezidiert sozial – an den Freitag- und Samstagabenden tummelt sich hier eine attraktive, cocktailtrinkende Menge an 20- und 30-Jährigen. Tonalá, das vom Aztekischen herrührt und „der Ort, von dem die Sonne kommt“ bedeutet, ist auch eine meiner Lieblingsstraßen in Roma Sur. Ironischerweise ist Tonalá, trotz seines linguistischen Ursprungs, im Zwielicht ein beinahe magischer Ort. Auf dieser schläfrigen, ruhigen, baumgesäumten Straße, auf der kaum Autos fahren, würde ich am liebsten für immer im Abendrot entlangspazieren. Und in Gedanken, während ich diese Zeilen schreibe, tue ich das auch jetzt. C gen aufnimmt, Essen herbeiträgt und Tische säubert, muss man nie lange warten. Die Spezialität des Hauses ist Pozole, eine prähispanische Suppe und ursprünglich ein heiliges Aztekengericht mit Menschenfleisch. Sie besteht heute aus einem Sud, Maisgrütze und nichtmenschlichem Fleisch, das man mit allerlei Zutaten garnieren kann, etwa Limette, Avocado, Tortilla und Chili. Doch Vorsicht: Je nach der eigenen Reizschwelle führt der Verzehr dieser Suppe zu einem semieuphorischen Essenskoma. Und noch etwas liebe ich an Mexico City: den kulturellen Reichtum. Die Stadt kann mit mehr Museen als die meisten europäischen Städte prahlen. Seit einigen Jahren flutet eine neue Welle von Initiativen die Stadt, angeschoben von mexikanischen Künstlern und jungen Kunstleuten. In dieser Gegend gibt es zwei sehr unterschiedliche Schlüsselorte: zum einen den von Künstlern betriebenen Projektraum Bikini Wax und zum anderen das Cine Tonalá, ein Independentkino mit Restaurant und Konzerthalle. Bikini Wax liegt unweit vom Lulu im benachbarten Escandón. Die Ausstellungen finden in jedem Winkel der notorisch unaufgeräumten Wohnung der Künstler statt, von den Schlafzimmern bis unters Dach oder auf dem TEXT: CHRIS SHARP, KUNSTKRITIKER UND FREIER KURATOR FOTOS: CARLOS ÁLVAREZ MONTERO ILLUSTRATION: KRISTINA POSSELT APÉRO 33 Pablo Picasso, Arlequin à cheval (Étude), 1905 © Succession Picasso / VG Bild-Kunst, Bonn 2016 FRA ANGELICO Von Robert Polidori TEXT: HANS-JOACHIM MÜLLER Seit der kanadische Fotograf Robert Polidori Fra Angelicos Fresken im Florentiner Klostermuseum San Marco entdeckte, ließen sie ihm keine Ruhe. Nach jahrelangem Drängen erhielt er endlich die Erlaubnis, sie zu fotografieren. Raum für Raum wartete er in den nachmittäglichen Schließstunden auf das richtige Licht. Entstanden ist eine Bildersuite, so feierlich still, wie es die Tage in den Zellen gewesen sein müssen, bevor wir, die Touristen, sie fluteten. Jetzt zeigt Polidori sie erstmals in BLAU DAS ABENDMAHL Noch einen Schritt weiter und man steht in der Zelle und sieht, wie Christus die Hostie verteilt Auftaktseite: DIE VERSPOTTUNG CHRISTI Einer spuckt, eine Hand schlägt DIE VERKÜNDIGUNG Der heilige Dominikus schaut vom Garten aus zu, wie der Engel im Bogengang gelandet ist und der ergebenen Maria ihr Schicksal verkündet DIE AUFERSTEHUNG Maria trauert, der heilige Dominikus hat eine Vision, Christus erhebt sich aus dem Grab — und wie aus dem Off erscheinen an der schwarzen Wand Szenenbruchstücke der Passionsgeschichte DIE BEWEINUNG CHRISTI Der tote Christus wird gepflegt, als ob es noch etwas zu pflegen gäbe. Und Fra Angelico malt die Grabhöhle so weich und zart wie den Faltenwurf der Gewänder DIE KREUZIGUNG MIT DEM LANZENSTICH Kreuzigungsfresken finden sich in San Marco in vielen Zellen. Doch nur hier kann Maria nicht zuschauen und birgt entsetzt ihr Gesicht in den Händen J etzt trippelt die Gruppe. Und jetzt hält sich die Gruppe die Ohren zu. Muss ja auch nicht sein, dass einer mit der getunten Vespa durch die Via Ricasoli donnert. Ringsum dämmert die Stadt in den Morgen. Und wenn der japanische Touristenfleiß nicht wäre, man würde Florenz nicht anmerken, dass sich irgendetwas verändert hat seit den Tagen, als Dante durch alle Himmel und Höllen reiste. Wer das schmale Sträßchen nach Norden trippelt, hat nur ein Ziel: San Marco, damals Kloster, heute Museum, wo der Dominikanermönch Fra Angelico Jahre seines unbekannten Lebens verbracht und seinen Brüdern im Glauben Wunschfresken in die Zellen gemalt hat. Es würde sich empfeh- Fra Angelico hat seinen Ordensbrüdern nichts erklären müssen. Sie haben seine Zeichensprache, seine malerischen Kürzel gut verstanden len, ein wenig schneller zu gehen. Vielleicht schafft man es ja noch vor dem Andrang am Kassenhäuschen. Aber von rechts aus der Via del Pucci quellen schon die Holländer. Und hundert Meter weiter an der Via Guelfa hat man die Briten eingeholt. Nie ist man allein mit Fra Angelico. Nur Robert Polidori war mit ihm allein. Der kanadische Fotograf hat die Fresken vor Jahren bei einem Besuch im Kloster entdeckt und war, wie er erzählt, sofort tief beeindruckt von ihrem Ernst, ihrer mysteriösen Eleganz. Wie sich Zelle um Zelle die erzählenden Bilder zu einer geheimnisvollen Enzyklopädie verbinden, das hat alles übertroffen, was er von Fra Angelico aus Büchern kannte. Dass er wiederkommen würde, war abgemacht. Aber es sollte dann doch noch Jahre dauern, bis er die Erlaubnis bekam, dort zu fotografieren, wo die Mönche einmal wie in einem Museum gelebt haben. Es war Frühjahr, als Polidori mit einem Kameraassistenten und zwei 500-Watt-Lampen vor der Klostertür stand. Immer nachmittags, wenn San Marco geschlossen ist und die alte feierliche Stille einkehrt, hat er geduldig gewartet, bis im Gleichgewicht von Kunstlicht und eindringender Sonne die Fresken zu leuchten begannen, als seien sie eben aus dem Dämmer der Zeiten erwacht. IM FEIERLICH-STILLEN WELTABSCHLUSS Was Robert Polidori von jenen Nachmittagen mit Fra Angelico aufbewahrt hat, ist hier zum ersten Mal zu sehen. Und so wie der Fotograf in die Räume blickt, ist es allerschönste kontrafaktische Erzählung. Nur so, im feierlich-stillen Weltabschluss wird noch einmal jene Schwellenzeit vorstellbar, als das späte Mittelalter nicht mehr spätes Mittelalter und noch nicht ganz frühe Neuzeit, die Gotik nicht mehr Gotik und noch nicht ganz Renaissance gewesen war. Es passt nur einer in jede Zellentür und weiter darf man nicht hinein. So steht man, wie man sonst nie vor Bildern steht – im Rücken das Völkergemisch, vor einem die gewölbte Kammer, das tief eingeschnittene Fenster, die Wand, in deren halbrunde Oberkante der Maler sein Gemälde mit der halbrunden Oberkante eingepasst hat, dass man denken könnte, es lehnte sich an die Schultern des leeren Raums. Maria Magdalena hat gerade die Grabhöhle verlassen. Vom Schreck über den verschwundenen Leichnam ist ihr nichts anzumerken. Sie kniet in der blühenden Wiese. Ein heiterer Ostermorgen, der ein wenig schmunzeln muss über die Pinie und die Palme dort und hier über die Zypresse, die so gar nicht nach botanischer Vorschrift geraten scheinen. Da kommt der weiß gewandete Auferstandene vorbei und der Kreuzschritt, den er tut, ist überaus kompliziert. Es ist fast wie Schweben durchs hohe Gras. Und weil er eine Hacke über der Schulter trägt und es ja nicht anders sein kann, meint Maria, es sei der Gärtner. Und streckt die Hand nach ihm aus. Und der vermeintliche Gärtner sagt: Rühr mich nicht an. Und wie er seine Hand über ihre Hand hält, dass es aussieht wie ein Berührungswunsch, der nicht mehr ganz Berührungswunsch und REVUE 42 noch nicht ganz Berührung ist, das ist so kaum einmal gemalt worden. Einige würden sagen, sagt Giorgio Vasari, der Maler habe nie den Pinsel in die Hand genommen, ohne vorher gebetet zu haben, und nie ein Kruzifix gemalt, ohne dass ihm die Tränen über die Wangen geströmt seien. Nun muss man dem großen Biografen der großen Maler des 14. und 15. italienischen Jahrhunderts ja nicht alles aufs Wort glauben. Und vor den mancherlei Kreuzigungsfresken in den Nachbarzellen mit den routiniert rinnenden Blutrinnsalen darf einem die heilige Dreifaltigkeit aus Pinsel, Tränen und Gebet auch wie ein Markenzeichen vorkommen. Aber diese Christusund die Mariengebärde, ihre berührungslose Berührung, das ist so voller Empfindungszauber, dass man nicht glauben mag, dass zwischen ihren Händen und unseren Händen fünfeinhalb Jahrhunderte liegen. Weil Fra Giovanni ein so außerordentliches Maltalent war, nannten sie ihn Fra Angelico, den Engelsgleichen In der langen Zeit ist manches vergessen worden. Man weiß heute wirklich nicht mehr viel. Guido di Pietro stammt wohl aus Vicchio, einer kleinen Gemeinde im toskanischen Hügelland nördlich von Florenz. Schon als junger Mann trat er dem Dominikanerorden von Fiesole bei. Von nun an hieß er Fra Giovanni. Und weil Fra Giovanni ein so außerordentliches Maltalent war und sich in Florenz und über Florenz hinaus einen bald legendären Namen machte, nannten sie ihn Fra Angelico, den Engelsgleichen. Und der bedankte und revanchierte sich nach Kräften und trug mit Engeln und anderen überirdischen Personen nachhaltig zur irdischen Wohlfahrt seines Ordens bei. Tatsächlich war es keine schlechte Vermögensanlage, einen Meister wie ihn im Konvent zu haben. Die Dominikaner von Fiesole, die – zur Armut verpflichtet – immer knapp bei Kasse waren, hätten Anfang des 17. Jahrhunderts den Offenbarungseid leisten müssen, wenn da nicht noch eine stille Rücklage gewesen wäre. Für 1.500 Dukaten verkauften sie im Jahr 1611 des Malers berühmte Verkündigung Mariens an einen Farnese-Herzog. „Lob und Dank sei dem Herrn“, diktierte der Prior in die Chronik, „aber auch unserem Maler Angelico, von dem unser Kloster noch nach 160 Jahren eine solche Wohltat erfahren darf.“ Immerhin reichte die erwirtschaftete Summe für einen Glockenturm an der Klosterkirche und einen neuen Sakramentsschrein auf dem Hochaltar. Heute gehört das Gemälde dem Prado in Madrid und auch wenn man die Bewunderung etwas anders ausdrücken würde, gilt noch immer, was Michelangelo über seinen hochgeschätzten Kollegen gesagt hat: Der Maler eines solchen Gemäldes habe es verdient, im Himmel zu sein, um das zu bewundern, was er auf Erden so schön geschaffen hat. nd jetzt – zwei Zellen weiter – stehen wir vor der Verkündigung, die er in San Marco so schön geschaffen hat. Vor jener Szene aus dem Geschichtenbuch des Evangelisten Lukas, die der Kunstgeschichte stets Anlass für großes Figurentheater war: der Engel Gabriel mit den apart gefiederten Flügeln, der sich Zugang verschafft ins Mariengemach und mit hehren Worten die Seelenruhe seines Menschenopfers zerstört, ihm von der Fremdbestimmung seines Leibes erzählt, von göttlicher Insemination, vom menschenvaterlosen Kind, und gleich wieder verschwindet. Immer haben die Maler die heikle Stelle der christlichen Erzählung als faktische Überrumpelung gegeben, als heilsgeschichtlich notwendige Form der Vergewaltigung, bei der der ancilla Domini, der Magd des Herrn, gar nichts anderes übrig bleibt, als sich mit matter Abwehrgeste ins Schicksal zu fügen. U Christus stürmt in die Vorhölle, erlöst die auf Erlösung Wartenden, und dem Teufel fällt die Tür auf seinen missratenen Leib men. Aber das zumindest ist urkundlich beglaubigt, dass sie den „Guido di Pietro dipintore“ am 31. Oktober 1417 in die Compagnia di San Niccolò, eine der Florentiner Malerzünfte, aufgenommen haben. Es muss nicht sein, dass er da schon einen beträchtlichen Ruf gehabt hat. Nach den Regularien stand die Malergilde auch dem Nachwuchs offen. Aber es ist eher wahrscheinlich, dass die Handwerkerzunft – und damals gehörte die Malerei noch dem Handwerkerstand an – ihre Privilegien und Lizenzen nur Leuten verlieh, die bereits im Netzwerk der kirchlichen und bürgerlichen Aufträge eine auffällige Rolle spielten. DIE FEHLENDEN ANDERTHALB JAHRZEHNTE Er ist aus den frommen Geschichten nicht wegzudenken, der mustergültig nachdenkliche heilige Dominikus, der Gründer des Ordens Bei Fra Angelico sind sich Engel und Maria gegenüber wie zwei, die sich wortlos verstehen. Es ist so gut wie keine Körperbewegung gemalt. Das Rauschen der Engelslandung, das sonst noch in der Luft liegt, ist völlig verstummt. Keine ausgestreckte Begrüßungshand, kein Zeigen, Bedeuten, Zurückweichen, kein lautes Zeichen. Maria kniet auf ihrer Bank, der Engel steht vor ihr, beide haben die Arme vor der Brust verschränkt, beide schauen sich an, und niemand schlägt die Augen nieder. Vielleicht stehen und knien sie schon eine ganze Weile so da und werden noch eine ganze Weile so stehen und knien bleiben. Beobachtet nur vom heiligen Dominikus in den Arkaden, der hier in San Marco immer zur Stelle ist und das Unwahrscheinliche bezeugt. Vielleicht sieht er ja, was wir auch sehen. Sieht mit der gleichen Faszination den schmalen, spitz zulaufenden, dunklen Schatten hinter der Maria an der Wand. Nie hat Fra Angelico Figurenschatten gemalt. Nur einmal und nur hier. Als traute er dem Frieden, der ihm so unvergleichlich gelungen ist, doch nicht alles zu. Woher er das hat? Wenn man’s wüsste! Bei irgendjemand muss er in der Werkstatt gewesen sein. Ohne Ausbildung, ohne Lehrjahre ist damals keiner Maler geworden, hat keiner, mag er noch so staunenswert begabt gewesen sein, irgendwelche Aufträge bekomREVUE 43 Magnolia Scudieri, die Direktorin des Museums San Marco, hat ihr Büro in einem finsteren Gang hinter dem ehemaligen Refektorium des Klosters, wo heute der Bookshop ist. Alle müssen an ihr vorbei, wenn sie wieder ans Florentiner Licht wollen. Jahrzehnte hat die Kunsthistorikerin mit dem Maler ihres immer wieder stillen Hauses verbracht. Was man über Fra Angelico sagen kann, guten wissenschaftlichen Gewissens, hat sie gesagt, geschrieben, immer wieder. Mit Nachdruck betont, dass man Vasari, dem großen Biografen der großen Maler des 14. und 15. italienischen Jahrhunderts, wirklich nicht alles aufs Wort glauben darf. Bei ihm ist der Maler 1387 geboren. Und so liest man es auch in der römischen Dominikanerkirche Santa Maria sopra Minerva, wo sie ihm nach seinem Tod 1445 ein schmuckloses Grabmal eingerichtet haben. Wenn es stimmt, wäre er bei der Aufnahme in die Compagnia di San Niccolò vierzig Jahre alt gewesen. In einem Alter also, in dem einer längst über die Lehrzeit hinaus ist. Muss aber nicht stimmen. In der Zwischenzeit führt die Forschung gute Gründe an, Fra Angelicos Geburt wesentlich später anzunehmen, vielleicht erst kurz nach 1400. So lange nichts entschieden, nichts entscheidbar sei, sagt Magnolia Scudieri, müsse man mit beiden Zeitrechnungen rechnen. Dann freilich fehlen anderthalb Jahrzehnte im Leben des Malers. Und so hat es nicht ausbleiben können, dass sie kräftig wucherten, die Fantasien, und man ohne ver- lässliche Führerschaft Fra Angelico hin und her durch das Florenz seiner Zeit begleiten wollte. Hat er bei Lorenzo Monaco studiert, der die Spätgotik ins Bizarre aufzulösen begann? War er mit Filippo Lippi zusammen, der so ziemlich die erste Galerie der stolzen frühhumanistischen Erfolgsmenschen gemalt hat? Hat er die Seelentiefe seiner Figuren bei Masaccio oder Masolino gelernt, die in Santa Maria del Carmine, in der berühmten Brancacci-Kapelle, Menschen im Aufruhr ihrer Gefühle freskiert haben, wie man das so noch nie gesehen hatte? DIESE MISCHUNG AUS INNIGKEIT UND NAIVITÄT Ist alles möglich. Aber wenn man dann vor dem Weihnachtsbild steht, vor der Innigkeit, mit der das puppig-steife, nackte Neugeborene angebetet wird, während hinten Ochs und Esel aus einem Kübel fressen und sich dabei anstarren, als sei ihnen gerade ihre Artfremdheit bewusst geworden, dann ist man sich doch ganz gewiss, dass diese Mischung aus Innigkeit und Naivität, alter Bildformel und neuer Erzählweise ohne wirkliches Vorbild ist. an gewöhnt sich rasch an diese unverwechselbare Malhandschrift, würde nach einem Morgen in San Marco darauf wetten, Fra Angelico unter allen Mitbewerbern im grandiosen Contest der Frührenaissance heraussehen zu können. Schon wie er Felsen, Hügel, Berge gemalt hat. Immer kahl. Immer rundlich ausgewaschen, wie Klippen, an denen die Brandung seit Urzeiten nagt. Man könnte sich vorstellen, dass er sich im Atelier kleine Holzgerüste gebaut und graubeige Tücher darübergelegt hat. Jedenfalls hat die Landschaft in diesem Werk ihren eigenen Faltenwurf und mutet so weich an wie die Gewänder der Figuren, durch die ein Knie oder ein Arm drückt. Ist das der stile nuovo, als den die Kunstwissenschaft die malerische Schwellenepoche zu Beginn des 15. Jahrhunderts bezeichnet? Schon Giotto, ein ganzes Säkulum früher, hat ja die erstarrten Konturen des ikonischen Personals mit ungesehener Emotion aufgeweicht. Wenn man in den Uffizien vor seiner thronenden Madonna steht, dann ist es, als sei jetzt vollends der Schmerz aus seiner Schmerzmaske gebro- M chen. Aber erst Fra Angelico wird dann das Schmerzmotiv bis in die Figurenregie hineinverfolgen. Beim Kreuzigungsfresko in Zelle 42 muss sich Maria abwenden und bedeckt voller Schauder ihr Gesicht mit den Händen, während der heilige Dominikus entsetzt zuschaut, wie der Soldat seine Lanze dem Gekreuzigten in die Rippen bohrt. Das ist neu. Und neu ist auch, wie Fra Angelico seine Geschichten mitunter comicartig abkürzt. Auf einem der seltsamsten Bilder sitzen Dominikus und Maria versunken in fromme Lektüre und trauernde Anschauung. Jeder für sich, in kolossaler Weise einsam. Ist das allein schon von bestürzender Intensität, so bekommt die Szene etwas Magisches, indem sich hinter den Figuren auf einer Art heruntergerollter Projektionsleinwand die Passionsgeschichte wie in Sprech- oder Traumblasen abspielt. Der dornengekrönte Christus mit verbundenen Augen, umgeben von isolierten Schlagehänden. Eine hält einen Knüppel, eine hebt spöttisch einen Hut, eine zupft am Heiligenschein. Ein Solokopf spuckt. Das ist ziemlich grotesk, und solche zeichenhafte Abbreviatur sollte man nicht mit jener Volksbelehrung verwechseln, die auf einem mittelalterlichen Altarbild die Marterwerkzeuge versammelt, um an das Leiden Christi zu gemahnen. In der Summe haben diese Fresken kein anderes Thema als Versenkung, Vision, vorbewusste Gewissheit Fra Angelico muss ja niemanden belehren. Jeder hier kennt die überlieferten Geschichten mitsamt ihrem pädagogischen Mehrwert. Anders als im Außendienst, bei dem die Dominikaner als ordo praedicatorum, als Predigerorden, in Erscheinung traten, sind sie hier in ihrer Florentiner Kloster-Dependance unter sich und ohne Publikum. Kein Geringerer als der berüchtigte Girolamo Savonarola, der wortmächtige Hetzer gegen kirchlichen und politischen Sittenverfall, der die aufgeschreckten Wutbürger um sich scharte, bis man ihn als Staatsfeind auf der Piazza della Signoria erhängte und verbrannte, hatte in San Marco seinen Stamm- und RückREVUE 44 zugstrakt. Mit Bravour spielten die Dominikaner ihre herausgehobene Rolle bei den kulturellen Umbrüchen des frühen 15. Jahrhunderts. Und ihr malender Bruder, den sie immer wieder auch mit Leitungsaufgaben betraut haben und der doch alle künstlerischen Freiheiten genoss und im monastischen Atelier so viele Gehilfen beschäftigen durfte, wie er brauchte, musste keinem in die Zelle malen, was alle in- und auswendig kannten. Vielleicht liegt es ja am Ort, der nichts von seiner gebieterischen Ausstrahlung verloren hat, dass man bald wie unter Hypnose in eine Laiennachdenklichkeit verfällt. Gibt es denn so etwas wie ein Bildprogramm, das sich Zelle um Zelle und die langen Gänge entlang entfalten würde? Haben die Novizen und geweihten Konventualen bestimmen dürfen, mit welchen Bildern sie ihr Klosterleben teilen wollten? Auch das wüsste man gern. Ja, auch das wüsste man gern, sagen alle, die wie Magnolia Scudieri dem Maler und seinem Werk unermüdlich auf der Spur sind. Verlässt man sich auf den Augenschein, dann wird aus den einzelnen Bildern an den Wänden kein neutestamentlicher Geschichtenfries. Alles, fast alles hier hat seinen Ursprung in der Passion, in jenem Zwischenreich zwischen Tod und Auferstehung, das die christliche Botschaft als ihre geheimnisvollste und zugleich erfolgreichste Pointe hütet. Und in der Summe haben diese kaum verblassten Fresken kein anderes Thema als Versenkung, Verklärung, Abkehr, Traum, Erscheinung, Vision, vorbewusste Gewissheit. Fra Angelico hüllt, was er malt, in einen somnambulen Dämmerzustand. Und wenn man sich an sein pastellenes Farblicht gewöhnt hat, dann entdeckt man auch, dass alles fehlt, was auf Welt hindeuten könnte. Das eben ist der Unterschied zur bald beginnenden Renaissance und ihrem drängenden Interesse an allem, was Welt ist und Welt war und Welt sein soll. Mit Fra Angelico hätte man nicht über Vergil und Ovid diskutieren können. Und von den Gebräuchen und Gepflogenheiten der neuen bürgerlichen Machtelite hatte er nicht viel Ahnung. Seine Welt ist auf wundersame Weise weltentlastet. Nur einmal ist der Malermönch – ein bisschen politisch geworden. Zumindest wollen wir es so annehmen. Denn ganz hinten im Kloster-Umgang hatte Cosimo de’ DIE ANBETUNG DER KÖNIGE In diese Zelle zog sich Cosimo de’ Medici gelegentlich zurück. Fra Angelico empfahl dem Machtmenschen, es so zu halten wie die demütigen Könige Medici seinen bescheiden-behaglichen Unterschlupf. Der sündhaft reiche Banker, der Päpste, Könige und Kaiser finanzierte, der mit seiner Familie ein knappes Jahrhundert lang die Machtfäden seiner Stadt in der Hand hielt, der bewunderte Freund von Künstlern und Gelehrten, dieses Modellsubjekt aufgeklärter Bürgerlichkeit – er also, Cosimo mit den spitzen Ohren und der spitzen Nase, bewohnte – gelegentlich – Zelle 38. Schließlich hatte er die vom Baumeister Michelozzo entworfene Klosteranlage mit rund 50.000 Florinen gesponsert. Das wären heute umgerechnet rund eine Million. F ür den Machtmenschen eine Art Spa, verbunden mit doch irgendwie lukrativer Investition ins Seelenheil. Ob Cosimo im Refektorium bei dünner Suppe saß, wissen wir nicht. Aber das wissen wir, dass ihm Fra Angelico eine muntere Anbetung der Könige und Magier aus dem sogenannten Morgenland in die Kammer gemalt hat. Einerlei ob der Aufmarsch und Kniefall der Edelleute vor dem Kind im Stall bestellt worden war oder nicht. Hier jedenfalls hat der Maler in schönster Unbescheidenheit dem illustren Klostergast etwas zum Schauen, Staunen und Nachdenken gegeben. REVUE 45 Und weil es mit dem Schauen, Staunen und Denken einfach kein Ende haben kann, richtet sich jetzt der Mann von seinem Wärterstuhl auf, auf dem er die ganze Zeit mit geschlossenen Augen saß. Gleich würden die schweren Tore ins Schloss fallen. Und wenn er uns einschlösse? Dann geradewegs zurück zur Verkündigung. Und dann stünde man neben dem heiligen Dominikus in den Arkaden und schaute dem Engel und der Maria zu, wie sie sich noch immer unverwandt anschauen. Und weil es bald dunkel würde, wäre auch der schwarze Schatten an der Wand nicht mehr da. THE OPERA OF PREHISTORIC CREATURES, ENTELODON „HELL PIG“, 2012, MIXED MEDIA, 360 × 320 × 100 CM REVUE 46 Marguerite Humeau HIGH DEFINITION HORROR REVUE 48 MARGUERITE HUMEAU, FOTOGRAFIERT IN LONDON VON JONNIE CRAIG THE OPERA OF PREHISTORIC CREATURES, 2011, MIXED MEDIA, 700 × 405 × 900 CM Von links nach rechts: ENTELODON „HELL PIG“, AUSTRALOPITHECUS AFARENSIS „LUCY“, AMBULOCETUS „WALKING WHALE“ IHR DING SIND DIE GROSSEN GEGENSÄTZE: ZUKUNFT UND VERGANGENHEIT, MAGIE UND TECHNIK, ELEFANTENTRÄNEN UND 3-D-DRUCKER. IHRE VISION: DEN URSPRUNG DER WELT NACHSPIELEN. EIN TREFFEN MIT MARGUERITE HUMEAU arguerite Humeau trägt heute Kleopatra-Schmuck, denn der ist gut für ihre Nerven. Das etwas muffige HipsterCafé im Londoner Stadtteil Dalston, in dem wir uns treffen, ist der Abklatsch einer Szenekneipe aus Kreuzkölln, nur dass hier der Wildkräutersalat doppelt so teuer ist. Alle hier wirken irgendwie jung und wichtig, angehende Start-up-Unternehmer oder Designer, für die dieses alternative Ambiente als hedonistische Kulisse ihrer Geschäfte dient. Sie komme gar nicht oft hierher, lacht Humeau, nur die Journalisten wollten sie immer hier treffen. Man fragt sich warum. Die Musik ist so laut, dass wir uns anschreien müssen. Auf den ersten Blick passt Humeau mit ihrem langen Rock und den Doc Martens ganz gut in diese Umgebung. Sie sei ständig auf Reisen, habe kein Atelier, arbeite nur in einem kleinen Büro, plane ihre Ausstellungen lediglich am Computer, hatte Duve, ihre Berliner Galerie, im Vorfeld verkündet. Man könnte sich Humeau als Post-Internet-Profi vorstellen, eines dieser Millionen Wesen, die in Lokalen mit Wifi-Anschluss skypen oder auf ihr Notebook einhämmern, die aussehen, als hätten sie Spaß, sich vor allem aber selbst ausbeuten. Tatsächlich treffen auch wir uns hier wie alle anderen zum Arbeiten. Schaut man genau M REVUE 49 hin, ist auch Humeau eine gewisse Erschöpfung anzumerken. Doch da ist auch diese andere, fast romantische Aura, die sie ausstrahlt: Mit ihrer opulenten Silberkette, dem abgepuderten Gesicht, roten Lippen, welligen Haaren wirkt sie wie eine Figur aus den poetischen Filmen, die Jean Vigo oder René Clair in den 30er-Jahren gedreht haben. Eine dieser Heldinnen, die in Kaufhäusern arbeiten, aber einen großen Traum haben. Gerade, so erzählt sie mit dieser flapsig-rauchigen Stimme, die alle Französinnen haben, wenn sie Englisch sprechen, habe sie ihre Haare abgeschnitten. Das Gespräch ist für sie eine willkommene Auszeit von den Vorbereitungen zu ihrer ersten großen institutionellen Einzelausstellung im Juni im renommierten Palais de Tokyo in Paris. Anders als die Frauen in den alten Schwarz-Weiß-Filmen träumt Humeau nicht von einem Mann oder einer besseren Zukunft. Ihre Vision, erklärt sie, ohne mit der Wimper zu zucken, sei es, den Ursprung des Lebens nachzuspielen, ganz besonders von fühlenden und intelligenten Lebensformen. Es sind Geschichten von verlorenen oder jenseitigen Welten, die Humeau interessieren, von prähistorischen Ungeheuern, dem Ägypten der Pharaonen, außerirdischen Raumschiffen oder geheimen Bestattungsritualen von Elefanten. Sie selbst bezeichnet sich als eine Art „Indiana Jones in den Zeiten von Google“. Die „Kleopatra-Kette“, wie sie sie nennt, ist eine Referenz an ihr Projekt Cleopatra – That Goddess, das sie 2014 für den von Hans Ulrich Obrist kuratierten Extinction Marathon realisierte, eine Veranstaltung in der Londoner Serpentine Gallery, die sich mit dem Aussterben und gleichzeitig mit Visionen für die Zukunft beschäftigt hat. An Kleopatra fasziniert Humeau besonders, dass es zwar zahlreiche Berichte über ihre überwältigende Schönheit gibt, aber nicht davon, wie wohl ihre Stimme klang. Humeaus Plan: sie wieder als Diva des 21. Jahrhunderts auferstehen zu lassen – durch ihre Stimme. Die Pharaonin Kleopatra soll neun Sprachen beherrscht haben, neben Altgriechisch, Aramäisch oder Althebräisch auch lange ausgestorbene Dialekte. Humeau reiste um die Welt, THE THINGS? – A TRIP TO EUROPA, PROPOSAL 2 FOR SERENADING OUTER SPACE CREATURES WITH STUNTS, VIBRATIONS, CHEMISTRY, LIGHT, AND LIVE MAGIC, 2014, PVC UND LUFT, 300 × 150 × 300 CM um Experten zu finden, die diese Sprachen übersetzen können, und ließ Kleopatras Stimme von der Speech Research Group des Machine Intelligence Laboratory, einer Spezialabteilung der University of Cambridge, nachbauen. Zuvor hatte sie präzise Beschreibungen von Historikern, Sprach-und Kommunikationswissenschaftlern, Chirurgen und Forschern für Stimmorgane eingeholt. Das Liebeslied, das Humeaus Kleopatra singt, stammt aus dem Ägyptologischen Institut des University College London. Diese Idee, Stimmen wieder zum Leben zu erwecken, eine Art digitale Reinkarnation zu versuchen, ist maßgeblich für Humeaus ebenso fantastisches wie philosophisches Werk. „Wie abstrakt kann Leben sein?“, fragt Marguerite Humeau. Und: „Wie figurativ muss es sein?“ Zu Beginn ihrer Laufbahn stellte sie nicht nur in der Serpentine Gallery und im Victoria and Albert Museum aus, sondern auch im MoMA, das gleich ihre Abschlussarbeit des Designstudiums am Londoner Royal College of Art für seine Sammlung ankaufte. In diesem Sommer wird sie auch auf der von Christian Jankowski kuratierten Manifesta 11 in Zürich zu sehen sein. Um ihre Karriere zu starten, nahm Humeau einen hohen Kredit auf und setzte alles auf eine Karte. „Wenn ich nicht an meine Träume glaube, wie sollen es dann andere tun?“, sagt sie. Mit nur 29 Jahren hat sie organisch-technoide Maschinenskulpturen aus lackiertem Styropor gebaut, die wie Aliens wirken. Ihre Oberflächen sind so glatt wie die weißen Helme der Stormtroopers bei Star Wars. Sie stehen auf Metallbeinen und wirken wie Prothesen. Ausgestattet sind diese Wesen mit Stimmbändern, die 3-D-Drucker produziert haben. Für The Opera of Prehistoric Creatures generieren sie Laute aus der Urzeit, dem Jenseits oder der Zukunft, die auch aus Steven Spielbergs Jurassic Park oder einer Zwölftonoper stammen könnten. Die Kreaturen tragen Namen wie „Lucy“, „Mammoth Imperator“ oder „Terminator Pig“. „Ich war gar nicht immer an der Vorzeit interessiert“, sagt Humeau, „ ich hatte mich schon lange mit Stimmen beschäftigt. Als ich mein Projekt für das RCA begann, dachte ich eher an die Zukunft der Performance. Ich hatte dieses Video eines japanischen Ingenieurs gesehen, der wirklich Organe in 3-D ausdrucken konnte. Und ich fragte mich, was wohl passiert, wenn man seinen Kehlkopf ausdrucken und zur selben Zeit an verschieden Orten singen oder sprechen könnte, und was das wohl für die Performance bedeuten würde.“ Spätestens seit ihrer Show Echoes bei Duve, die zum Berliner Gallery Weekend 2015 eine kleine Sensation auslöste, gilt Humeau als geniale Bildhauerin und Installationskünstlerin. Für die Ausstellung hatte sie urtümliche, nach altägyptischen Gottheiten benannte Wesen entwickelt, die in künstlichen Blutkreisläufen Gifte und Gegengifte, Elixiere des Lebens und des Todes produzieren. Die Wände der Ausstellungsräume strich Humeau mit neongelber Farbe, in die sie homöopathische Dosen von Mambagift träufelte. Einen „liquiden Körper“ REVUE 50 ALIEN SIGNAL (BLACK POWDER), EXTRACT FROM DIRECTOR’S CUT, 2013, DIGITALER HD-DRUCK nennt sie diesen Anstrich, ein „Fresko“. Dieses Prinzip des dekonstruierten Körpers, der nur feinstofflich oder reanimiert, wie ein Gespenst präsent ist, wird auch die Ausstellung im Palais de Tokyo bestimmen. „Die große Frage in meiner Arbeit ist, was Leben und Tod sind, wo das eine anfängt und das andere aufhört“, erläutert Humeau. „Am interessantesten ist der Zustand, der dazwischenliegt. Wie konstruiert, wie designt man ihn? Wo liegt die Grenze? Was bedeutet Existenz? Und was braucht man, um zu existieren? Nur eine Stimme? Im Film Her ist Scarlett Johansson nur eine Stimme, aber existiert sie? Lebt sie oder nicht? Ist das eine andere Lebensform? Wie abstrakt kann Leben sein? Wie figurativ muss es sein?“ en Ausgangspunkt der Pariser Schau bildet die hypothetische Frage, was wäre, wenn die Evolution nicht den Menschen, sondern ein anderes Säugetier zu einem empfindsamen, selbstbewussten und intelligenten Wesen hätte werden lassen. Die Idee dazu kam Humeau beim Lesen des Buches Der dritte Schimpanse. Evolution und Zukunft des Menschen, wo Jared Diamond die These aufstellt, dass nur die völlig zufällige Transmutation eines einzigen Gens den Kehlkopf der ersten Menschen so D veränderte, dass Sprache entstehen konnte. In Anspielung darauf entwickelte Humeau für Paris gemeinsam mit dem Wissenschaftler Pierre Lanchantin eine Ursonate für das 21. Jahrhundert: einen synthetischen Chor aus 108 Millionen Stimmen, in denen alle nur möglichen Varianten einer Ursprache durchgespielt werden. Dabei simuliert Humeau mit einem speziellen Programm nicht nur die Sprachen, die tatsächlich gesprochen wurden, sondern auch jene, die möglich gewesen wären und erst jetzt durch ihre Kunst zum Leben erweckt werden. Die Soundarbeit begleitet eine wahrhaft psychedelische Installation, ein evolutionärer Showroom. Für ihn ermittelte die Künstlerin die Menge aller chemischen Elemente, aus denen ein 80 Kilogramm schwerer menschlicher Körper besteht – wie etwa Wasserstoff, Sauerstoff und Schwefel. Aus den Festformen dieser Elemente entwickelte sie eine Art von Pigmenten. Diese mischte sie zusammen und versetzte sie dann mit dem Gift des Stechapfels, dem Sinnbild der „verbotenen Frucht“ im Garten Eden. Mit der aus dieser Mischung angefertigten Farbe färbte sie einen Teppich ein – einen weiteren „liquiden Körper“, in dem Menschwerdung und Sündenfall stofflich vereint sind. REVUE 51 THE LIVING DESCENDANTS I (ELEPHAS MAXIMUS), 2011, DIGITALER HD-DRUCK (3-D-REKONSTRUKTION EINES CT-SCANS) Auf diesem Teppich platziert sie eine Skulpturengruppe, die von jenem Säugetier inspiriert ist, das nach weltweiten Umfragen bei Experten und Forschern den Platz des Menschen als führende Spezies hätte einnehmen können – dem Elefanten. „Ich habe mich intensiv mit ihnen beschäftigt“, erzählt Humeau. „Sie haben ihre eigenen Totenrituale. Ich las diese faszinierende Geschichte eines Forschers, der ein Muttertier beobachtete, das gerade erst gestorben war. Seine Familie versammelte sich still darum. Am zweiten Tag begannen sie Blätter und Blumen zu sammeln und es damit zu bedecken, am dritten Tag trompeteten sie und gingen zurück in den Urwald.“ ie Skulpturen, die Humeau entwickelt, sind wie alle ihre Objekte eher prothesenhaft, dekonstruiert, hybrid – wie zukünftige Lebensformen. Die Trauer der Elefanten hat die Künstlerin ihren Skulpturen buchstäblich eingeimpft: Tatsächlich fuhr sie in ein thailändisches Reservat, um Elefantentränen zu sammeln, die sie mit Wasser verdünnte und dann in ihre Werke injizierte. Ein schamanisch anmutender Materialismus, der sich unverkennbar mit einem aktuellen (Um-)Denken in der Kunst und Philosophie verbindet, das das uneingeschränkte Primat des Menschen infrage stellt. Bereits auf Carolyn Christov-Bakargievs Documenta 13 wurde über ein nichtanthropozentrisches Weltbild und die Intelligenz von Bienen und Erdbeeren verhandelt. Die von Susanne Pfeffer kuratierte Ausstellung Speculations on Anonymous Materials gab 2014 dann den Startschuss für die radikale Verzahnung von Kunst mit Ökologie, Naturwissenschaften, Politik und Philosophie und versinnlichte den Einfluss philosophischer Strömungen, wie sie vom Spekulativen Realismus oder Akzelerationismus ausgehen. D So interessieren sich Künstler wie Philosophen für einen Zugang zur Welt, unabhängig von Sprache und menschlicher Perspektive. Die Aussagen der Naturwissenschaften über Jahrmillionen Erdgeschichte, die es vor dem menschlichen Bewusstsein gab, sind deshalb für den Neuen Realismus so faszinierend, weil sie auch das Denken über die Zukunft betreffen, die irgendwann ebenfalls ohne menschliches Bewusstsein sein wird. Dieses „posthumane Denken“ wird noch belächelt. Doch Humeaus Kunst zeigt, dass in der Materialität einer durch Kunst aufgeladenen Elefantenträne universelles, existenzielles Leid und zugleich die Möglichkeit einer Befreiung steckt. Die absurden Odysseen und endlosen Recherchen, die sie auf sich nimmt, die vermessenen Experimente, die dem Leben auf die Schliche kommen wollen, sind notwendig, um ein neues Denken zu entwerfen, das keine festen Parameter für Leben und Bewusstsein mehr kennt. Begriffe wie „Ich“ und „Körper“ verlieren ihre Festigkeit. „Ich versuche diesen erleuchteten Horror zu erzeugen“, sagt Humeau, „etwas sehr Helles, Glänzendes, das dich anzieht. So wie Kleopatras Stimme. Du willst dich von ihr verführen lassen, bei ihr verweilen. Doch zugleich merkst du irgendwann, dass sie schrecklich und geisterhaft ist. Genauso ist es mit meinen Werken; wenn man näherkommt, merkt man, dass es Körperteile und körperlose Stimmen sind, dass die ganze Sache viel beunruhigender ist, als sie aussieht.“ Die Stimmen und Kreaturen, die Humeau aus grauen Vorzeiten oder dem Jenseits channelt, ähneln Erscheinungen bei spiritistischen Sitzungen. Es gehe ihr genau um diese geisterhafte Präsenz, sagt sie. Sie erzählt von ihrer Faszination für den Regisseur Apichatpong Weerasethakul, der in Filmen wie Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben (2010) die spirituelle Tradition Thailands mit völlig neuen Erzählformen verbindet. „Für mich ist er absolut zeitgemäß, weil er Geister und Reinkarnationen völlig ohne Special Effects zeigt, so als ob das Übernatürliche ganz selbstverständlich neben uns existiert. Wenn man sich alte Kirchen anschaut, ist es ähnlich. Sie versuchen wirklich, ein ganz reales Erlebnis des Erhabenen zu kreieren. Die Sixtinische Kapelle ist ein Riss von dieser in eine andere Welt.“ Immer wieder ist Humeau mit einer irren Forscherin verglichen worden, doch während sie spricht, leuchtet in ihr die Entdeckerin auf. Was veranlasst sie eigentlich, solche Strapazen auf sich zu nehmen, um den Ursprung des Lebens, Stimmen einer toten Königin oder die Träne eines Elefanten zu finden? „Ich habe mich immer für große Odysseen und die Abenteuer in den Romanen von Jules Verne begeistert“, antwortet sie. „Entdecker und Lotsen faszinieren mich. Ich stamme aus einer Seefahrerfamilie. Mein Großvater war der Doktor auf einem großen Segelschiff und fuhr hoch bis zum Nordpol. Wir haben ein Haus in Südfrankreich, mit vielen Palmen im Garten, die die Kapitäne in unserer Familie gepflanzt haben. Wenn wir in den Ferien dorthin kamen, sagte meine Mutter: Sieh mal, die Palme da drüben, die stammt von deinem Urgroßvater, er hat das Kap Hoorn umsegelt und sie mitgebracht.“ TEXT: OLIVER KOERNER VON GUSTORF AUSSTELLUNG: PALAIS DE TOKYO PARIS, 23. JUNI BIS 11. SEPTEMBER REVUE 52 TAWERET, 2015, MIXED MEDIA, 90 × 180 × 230 CM REVUE 53 AUF WEN W KONNEN WIR BAUEN? NEW YORK! MAILAND! BASEL! DIE AUSSTELLUNGSHÄUSER WERDEN ZURZEIT IM SCHNELLEN TAKT GEPLANT. WÄHREND IN BERLIN DIE ENTWÜRFE ZUM NEUEN MUSEUM AM POTSDAMER PLATZ ENTTÄUSCHEN, FREUEN SICH IN LONDON ALLE AUF DEN SPEKTAKULÄREN TURM DER TATE MODERN. WIE ABER ERLEBEN WIR AUSSTELLUNGSHÄUSER? HALTEN DIE STARARCHITEKTEN, WAS SIE VERSPRECHEN? EIN PRAXISTEST ir lieben das Museum! Aber zufrieden sind wir mit ihm selten. Kann es nicht wieder so sein wie in der Antike? Als hier die Musen wohnten. Als im althellenischen Museion die Schutzgöttinnen verehrt, aber auch angemessen schwungvolle Feste mit ihnen gefeiert wurden. Als hier der Kult, aber auch der Geist seine Heimat hatten. Und als gebaute Form und ihr Inhalt in Einklang waren. Denn gerade heute gilt das Museum wieder als der öffentliche Raum par excellence. Kein Wunder, dass es zu den vornehmsten Bauaufgaben für Architekten gehört. Am Ideenwettbewerb für das geplante Museum des 20. Jahrhunderts in Berlin haben sich gerade mehr als 400 Büros beteiligt. Das kaum zufriedenstellende Ergebnis zeigt zumindest dies, dass der Bau von Museen zu den großen Herausforderungen gehört: Der Ort für die Kunst muss selber großartige Kunst sein und zugleich ihr untertäniger Diener. Die Architekten geraten in den Zwiespalt zwischen ihrem Anspruch, hehre Baukunst zu produzieren, und der Verpflichtung, profane Funktionen zu erfüllen. Von den Zwängen, die ihnen Brandschutz, Haustechnik und Energiebilanz heute auferlegen, ganz zu schweigen. Bilbao-Effekte will niemand mehr, trotzdem werden die Erwartungen an das Museum immer noch größer. Jenseits von äußerer Erscheinung und ihrem unmittelbaren Zweck, Kunstwerke auszustellen, zu vermitteln und zu beschützen, soll das Museum außerdem noch ein Markenzeichen sein, ein Problemlöser für die Stadtplanung, ein multifunktionaler Raum und ein erkennbarer Ort der Hochkultur, der niemanden ausgrenzt und Mäzene wie Kinder gleichermaßen magisch anziehen soll. Alles was man liebt, muss vor Ausbeutung geschützt werden. Nicht so einfach – im Zeitalter des „ästhetischen Kapitalismus“, wie es der Philosoph Gernot Böhme in seinem neuen Buch beschreibt. Für die Ökonomie werde heute alles so lange ästhetisiert, bis der „Inszenierungswert der Waren zum neuen Gebrauchswert aufsteigt“. Böhme kritisiert die „ungeheure Ausbreitung von Inszenierungsstrategien, die ursprünglich in den Bereich der Warenästhetik gehörten“. Und der Architektur komme in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle zu, schreibt er: „Sie gestaltet den Auftritt von Gebäuden und dient damit dem Marketing von Firmen und Unternehmen einerseits und dem Image von Institutionen andererseits.“ Museen stehen da sozusagen an vorderster Front. Von ihren Architekten kann man also erwarten, ihre Bauten nicht nur ästhetisch, sondern auch ethisch im Griff zu haben. Wie aber erleben wir Besucher die spektakulären Ausstellungshäuser? Halten die Architekten, was sie versprechen? In diesem Sinne haben wir die gefeierten Neubauten der letzten Jahre einem Praxistest unterzogen. Und waren überrascht, dass ausgerechnet das gefeierte Whitney Museum in New York durchfällt. Und das beste Museum der Welt für uns auch nicht in London oder Rom steht. Sondern ausgerechnet im Rheinland. MARCUS WOELLER REVUE 54 WHITNEY, NEW YORK VERKEHRTE WELT Außen hui, innen eine Enttäuschung m Ende der Highline, wenn man so einige zugeknöpfte Galerien in Chelsea hinter sich gelassen hat, sieht man schon von Weitem ein Gebäude, an dem sich außen Menschen auf Terrassen aufhalten oder auf Stahltreppen in die Höhe schrauben. Es ist das im letzten Jahr eröffnete neue Whitney Museum of American Art. Entworfen und erbaut wurde es vom italienischen Architekten Renzo Piano. Von außen ist es ein kantiges, stahlig-silbergraues Gebilde. Doch auf Straßenhöhe saugt es die Besucherströme durch eine gläserne Wand ein und öffnet sich zugleich nach allen Seiten. Rechts schwappt das elegante, minimalistische Café auf den Bürgersteig unter der Highline in den Meatpacking District, links öffnet sich der Blick auf die andere Seite des Hudson River, und geradeaus spülen einen die geräumigen, von Richard Artschwager gestalteten Aufzüge in die darüberliegenden Geschosse und hinaus auf die weiten Terrassen mit Blick über Manhattan. Im obersten Ausstellungsgeschoss erwartete die Besucher in diesem Frühjahr erst einmal ein Kontrastprogramm. Das herrliche Licht und die Freizügigkeit der Blicke von der Terrasse im Osten und durch die verglaste Wand im Westen musste hinter sich lassen, wer die erste Einzelausstellung der Filmemacherin Laura Poitras sehen wollte. In vier dunklen Räumen, die nur langsam wieder heller wurden, begab man sich auf die Schattenseite des öffentlichen Gemeinlebens und in die zwielichtige, zum Teil grausame Welt der US-amerikanischen Sicherheitsbehörden. Noch ganz benebelt und nachdenklich taumelte man dann in die Sammlungspräsentation RENZO PIANO A in den Stockwerken darunter. Auch hier öffnet sich das Museum zur Stadt im Osten und zum Fluss im Westen. Doch auf den vielen von Kunstlicht beleuchteten Quadratmetern dazwischen läuft man die Kunst an hallenhohen Wänden ab, als wäre sie ein abfahrender Zug auf einem Bahngleis, von dem man hofft, dass er einen bald schon in die Weite der Welt trägt. Da hilft auch keine rotgetünchte Wand, um die Salonatmosphäre wiederherzustellen, in der viele der Werke am Ende des 19. Jahrhunderts zu sehen waren. Kein Wunder, dass sich an schönen Tagen mehr Menschen auf den Terrassen aufhalten als im Innenraum des Museums. Es ist eine merkwürdig verkehrte Welt: ein Kunstmuseum, das seine Öffentlichkeit zur Schau stellt, die Kunst aber zur Durchgangsstation erklärt. Was in der Tate Modern noch gut funktioniert – eine stark belebte öffentlich zugängliche Turbinenhalle und Aussichtsplattformen mit Cafés über der Themse, zugleich eigenwillige und sehr unterschiedliche Räume für die Kunst –, bleibt hier ein leeres Versprechen. Na gut, denkt man, weil ja seit dem Besuch der Ausstellung von Laura Poitras selbst der Sternenhimmel nicht mehr zum Träumen einlädt, und registriert beim Rausgehen in der Lobby noch einmal die hohen Eintrittspreise des Museums: Freiheit hat also seinen Preis. Hier bekommt man sie auf Kosten der älteren Kunst. CHARLOTTE KLONK PÉREZ ART MUSEUM, MIAMI TRAUMHAUS Ein Museum als überdimensionertes Pfahlhaus ie bei einem Tauchgang fühlt man sich, wenn man auf das Pérez Art Museum in Miami zuläuft. Von oben brennt die Sonne auf die Wasseroberfläche der Biscayne Bay. Vor dem Auge taucht ein von hängenden Gärten überwuchertes Holzskelett auf, es erinnert an die traditionellen Pfahlbauten der Gegend. Dieses neue „Stiltsville“ ist riesig. In hochwassersicheren W REVUE 55 sechs Metern Höhe beginnt das Erdgeschoss, hinauf führt eine breite Treppe, darum herum erstreckt sich ein Park, der bis ans Wasser führt. Oben auf der Veranda spürt man das warme Holz unter den Füßen. Überhaupt: Holz überall, bis hinauf zum imposanten Strebedach. Wie in einem Nest hockt die dreiteilige Betonarchitektur darunter, scheint aus manchen Perspektiven zu schweben. Die Wände sind teilweise aus gemeißeltem, rauem, dann poliertem, reflektierendem Beton. Die Architekten und Pritzker-Preisträger Jacques Herzog und Pierre de Meuron haben das 2013 vollendete Museum bis ins kleinste Detail geplant. Wir kennen die Basler von der Hamburger Elbphilharmonie, der Münchner Allianz Arena JACQUES HERZOG UND und der Tate Modern in PIERRE DE MEURON London, wo die Architekten im Juni einen neuen Gebäudekomplex eröffnen werden. Was sie in Miami geschaffen haben, ist das perfekte Museum. Bitte nicht falsch verstehen, es geht nicht darum, anhand dieses Hauses eine Schablone zu erarbeiten, vielmehr geht es darum, diese mutige Adaption zu begreifen – ganz unabhängig davon, welche Qualität die Kunst darin hat. Unabhängig davon, ob man es gut findet, dass der Name des Museums an einen einzigen Stifter verkauft wurde, obwohl die Einwohner der Stadt jetzt die von 5 auf 14 Millionen Dollar gestiegenen Betriebskosten tragen müssen. Der Museumsbau hat 220 Millionen Dollar gekostet und hat die weltweit größten hurrikansicheren Fenster. Schauen wir also einmal nur auf die Architektur: Das Pérez Art Museum ist ein Kunstwerk. Aber eben nicht nur – es dient auch der Kunst. Warum ist es so gelungen? Weil sich die Architekten explizit Gedanken gemacht haben, wie die Kunst gezeigt werden soll, wie sie die Menschen abholen wollen. Es gibt im Museum fließende Räume für die Sammlung und architektonisch-extravagante Einzelkabinette, in denen die Aufmerksamkeit ganz allein einer Arbeit gehört. All diese Räume haben feste, ruhige Wände, ein Gegenüber für die Künstler und Kuratoren. Und es gibt keinen verschenkten Raum, keine Spielereien, kein ödes Auditorium, das den Großteil der Zeit leer steht. Man fühlt sich nicht gehetzt und nicht stillgestellt. Im Innern gibt es viel ruhige Wand für die Kunst, ganz ohne klassischen White Cube. Zur Eröffnung des Museums 2013 zum Beispiel in der Ausstellung Image Search: Photography from the Collection: In einem quadratischen Betonraum mit seinem warmen Holzboden, einem holzumrahmten Fenster und Sitzen mit Blick auf die Biscayne Bay hingen Fotos ganz unterschiedlichen Formats in Petersburger Hängung. In der Mitte konnte man sitzen und auf Tablets entscheidende, präzise Information abrufen. Selten habe ich so intensiv Fotografie gesehen, obwohl die Arbeiten, zum Beispiel von Eugène Atget oder Rineke Dijkstra, schon bekannt waren. Auch in London beim Neubau für die Tate Modern geht es den beiden Architekten darum, zu begreifen, was ein Museum im 21. Jahrhundert sein sollte: Dort entsteht ein partizipatives Lernzentrum. Auch das Haus in Miami propagiert diese Offenheit. Die große, lange Treppe, die alle Stockwerke verbindet, kann in ein Diskussionsforum umfunktioniert werden. Das Pfahlhaus von Miami zieht an einem wie ein Riff beim Tauchen, man kann sich dort einnisten, sich von den Wellen auf und ab heben lassen, man stöbert und forscht, sucht und findet. SWANTJE KARICH KOLUMBA, KÖLN DAS BESTE Die schönste Säulenhalle der jüngsten Museumsgeschichte er lieber über Knopf im Ohr hört, was man sieht, ist im Kolumba am falschen Ort. Ebenso wenig finden sich neben und unter den Gemälden, Reliefs, Fotografien und Zeichnungen die vertrauten Schrifttafeln. Im unaufwändigen Foyer des Museums erhalten die Besucher zwar ein schmales Heftchen mit Raumplan und knappen Texten über die gezeigten Zeugnisse aus Kunst und Kulturgeschichte, doch bei trübem Wetter oder ungünstigem Lichteinfall fällt es schwer, die Anmerkungen vor den Werken zu entziffern. Dann muss man sich zu einem der oft bodennahen Fenster mit Blick auf Köln begeben. Sie spenden Licht. Das wechselnde Licht ist Faktor der Raumgestaltung. Nicht die Beleuchtung. W REVUE 56 Wegen solcher und anderer vermeintlicher Mängel erhielt das „Kunstmuseum des Erzbistums Köln“ in einem „Tripadvisor“ lediglich zwei von fünf Sternen. Das Fazit des Ratgebers: „Eine Museumspersiflage“. Mit salvatorischem Fragezeichen versehen. Für mich ist das Kolumba das beste Museum in Deutschland. Der Grund: Das Kolumba PETER ZUMTHOR nimmt die Bilder ernst. Zu den Bildern zählen illuminierte Handschriften, Skulpturen, Altäre und Filme. Es sind nur die Bilder, die in seinen wohlproportionierten Räumen reden. Nicht die geschriebenen und gesprochenen Worte. Die Bilder beherrschen die grauen Backsteinwände und entfalten ihren Eigenwillen. Nichts lenkt vom Betrachten ab. Deshalb nimmt das Kolumba mit den Bildern auch seine Besucher ernst. Weil es ihnen zutraut, ohne Anleitung sehen zu wollen und zu können. Im Kolumba sind die Besucher auf sich gestellt. Auf das Spektrum ihrer sensorischen und emotionalen Fähigkeiten. Ja, das Kolumba ist eine echte Herausforderung. Dieses Museum provoziert. Bewusst. Es provoziert die Wahrnehmung. Es stimuliert das Sehen und setzt dabei auf die menschliche Neugierde. Es veranlasst mit sanftem Zwang, genauer hinzusehen. Länger und intensiver als gewohnt. Das Museum soll „zur Sensibilisierung der Wahrnehmung“ beitragen, hieß es schon im Aufgabenkatalog für den Architekten. Denn wer wirklich sieht, denkt zwangsläufig und empfindet. Das menschliche Gehirn ist so konstruiert. Allerdings ist das „sehende Sehen“ im Sinne von Max Imdahl ohne eigene Anstrengung nicht zu haben. Die tagtägliche Überflutung mit belanglosen Bildern und nichtssagenden Verbalgeräuschen hat die optische Wahrnehmung abgestumpft und die Menschen auf bloßen Empfang abgerichtet. Ein Museum für Kenner? Selbst die blicken mitunter ratlos drein und bedürfen zusätzlicher Informationen. Dazu gibt es Gelegenheit in einem wunderbaren Leseraum. Dort kann sich, wer Lust hat, mithilfe des kleinen Textbuches und weiterführender Literatur fachlich fit machen. Führungen und Gespräche sind ebenfalls im Angebot. Und Wünsche gefragt. Andererseits ist das Kolumba ein Museum der katholischen Kirche. Einer Institution, die schon früh um Macht und Ambivalenz der Bilder wusste und stets darauf geachtet hat, dass ihre Bildprogramme alle Gläubigen erreichten. Gerade diejenigen, die nicht schriftkundig waren. Aber schon vor 90 Jahren hat László Moholy-Nagy prophezeit, die Bildunkundigen seien die Analphabeten der Zukunft. Nur bedarf es Zeit und Geduld, um wieder sehen zu lernen. Rare Güter. Im Kolumba unbedingt erforderlich. Bevor der große Schweizer Architekt Peter Zumthor, der im Kunsthaus Bregenz sein Meisterwerk für die Gegenwartskunst geschaffen hat, hier auf dem Grundriss der zerbombten Kirche St. Kolumba seinen Bau realisierte, lag das inhaltliche Konzept vor. Nicht weiter verwunderlich, dass er ein Haus der Kunst für die Kunst geschaffen hat. Keine selbstgenügsame Architekturikone. Gleichermaßen für die Kunst vor der Kunst und die Kunst mit Autonomieanspruch. Eröffnet wurde es 2007. Nur einmal im Jahr, am 14. September, gibt es eine neue Ausstellung. Jede widmet sich einem bestimmten Thema und jede kombiniert Kunstwerke aus dem glanzvollen Kirchenschatz mit Kunstwerken der Moderne. Gegenwärtig läuft die achte unter dem Titel Der rote Faden – Ordnungen des Erzählens. Sie ist exemplarisch für die Richtung des Kolumba unter der umsichtigen Leitung von Stefan Kraus. Über die Räume verteilt elf Gemälde des „Meisters der Ursulalegende“ – ein Kinofilm des späten Mittelalters (um 1500). Wie in den Gemälden zweigen sich in der Ausstellung die unterschiedlichsten Wege und Formen des visuellen Erzählens in inspirierender und bisweilen verblüffender Korrespondenz ab. Vom Mittelalter bis zur „medialen“ Jetztzeit. Eingeschlossen Verweigerung und Parodie, etwa in der grandiosen Installation „Transzendentaler Konstruktivismus“ von Anna und Bernhard Blume durch Anna Blume. Das Tageslicht verändert das Outfit der Bilder ständig. Auch das gehört zum Kolumba-Prinzip: Verzicht auf wohlfeile Antworten, Fragen aufwerfen, Zusammenhänge stiften. Nicht zuletzt durch außergewöhnliche Künstler, die nicht die immer gleichen Schemata kommerzieller Kuratorenkunst reproduzieren. Kurzum, das Kolumba ist ein vorbildliches Museum. KUS HONNEF MAXXI, ROM SCHWINDELGEFAHR Verspielte Architektur mit langen Wegen ls die gebürtige Irakerin Zaha Hadid unlängst verstarb, rühmten die Nachrufe die fantastische Kurvenkunst der „Stararchitektin“. Niemand habe so kühn fließende Eleganz entworfen, niemand so viel Dynamik in schwerfällige Baukörper gebracht. Und kein beschwingtes Lobeswort war zu A REVUE 57 viel. Es gibt berühmte Museumsprojekte von Zaha Hadid. In Cagliari auf Sardinien, in Reggio di Calabria, in Cincinnati, im schottischen Glasgow. Es gibt das Phaeno-Museum in Wolfsburg. Am stolzesten aber ist ihr der florale Dekonstruktivismus beim Maxxi in Rom gelungen. Tatsächlich scheint an diesem Haus alles weich. Geht man um das Maxxi herum, hat man eine rechte Wanderung hinter sich, aber könnte nicht sagen, wie man den Eindruck der Architektur beschreiben sollte. Und drinnen ist die Wanderung nicht kürzer. Man folgt den schlauchartigen Aufgängen von Ebene zu Ebene, kurvt an geschliffenen Betonwänden und wulstigen Treppengeländern entlang, schlurft über Stahlgitter, steigt aufwärts, steigt abwärts, ist immer unterwegs. Die Leute in Bewegung halten, sagte Zaha Hadid bei der Eröffnung 2010, das sei ihr Programm. Wobei es nicht ganz so verständlich ist, warum die Leute ausgerechnet in einem Museum dauernd in Bewegung sein sollen. Es sei denn, man rechnet mit Massen, deren Durchfluss architekturorganisatorisch zu regeln ist. Es gibt im Maxxi viel Raum, aber kaum einen abgeschlossenen. Kein Kabinett der Stille, keinen Platz, an dem die Kunst ihren Zauber spielen könnte. Überall geht es weiter. Und jeder Kunstauftritt ist ZAHA HADID nur Station auf dem Weg zum nächsten. So wie hier hat noch keiner von Zaha Hadids illustren Kollegen und Kolleginnen das Primat der reinen Form vor der Funktion behauptet. Auch wenn man nach zwei, drei Jahren wiederkommt, bleibt der Befund: ein Museum ohne Kenntnis seiner Aufgabe. Ein Museum, dem der Titel „Museo nazionale delle arti del XXI secolo“ so fremd ansteht, wie der Baumeisterin die Belange und Bedürfnisse eben dieser Kunst der Gegenwart fremd sein müssen. Dass es ein Touristenmagnet wäre, kann man nicht sagen. Wer fährt auch schon nach Rom der zeitgenössischen Kunst zuliebe. Inzwischen hat das Haus nicht wenige Direktionen verschlissen. Und international ist es bis heute kein ernst zu nehmender Partner. Andererseits ist schon wahr, dass das Maxxi zur Gentrifizierung des Quartiers beträchtlich beigetragen hat. Nur, ist das Bauziel Museum schon erreicht, wenn man urbanistisches Übersoll leistet, aber den Museumsleuten zumutet, dass sie auf die gute alte Stellwand zurückgreifen, wie man sie aus dem Kunstverein kennt? Wohl nicht umsonst erfüllt sich die populäre Unterhaltungskunstarchitektur gerade im Museumsbau so ergiebig. Kann sie doch bei keiner anderen Bauaufgabe prätentiöser vorführen, wie frei sie ist, wie erhaben sie sich fühlt, wie kunstähnlich, wie kunstüberbietend sie geworden ist. Aber triumphaler als hier zwischen der Tiberschleife und dem Parioli-Hügel hat sich kaum einmal die dienende Gattung Architektur in spektakuläre Selbstgefälligkeit aufgelöst. HANS-JOACHIM MÜLLER MUSEUM FOLKWANG, ESSEN LICHTER BLICK Klare Linien, freie Flächen und viel Licht für ein Traditionshaus s ist nun wirklich nicht so, als hätte Sir David Chipperfield die ersten Besucher des neuen Essener Folkwangs mit ausgestreckten Armen empfangen. Als ich im Januar 2010 auf der Bismarckstraße aus dem Taxi stiegt, fröstelte es mich. Nicht weil die Temperatur gegen Null ging, sondern weil sich die Fassade in ihrer Businessparkhaftigkeit so kongenial deprimierend in die Essener Stadtlandschaft fügte. Schlimmer noch, der einstöckige Pavillonkomplex präsentierte sich auf einem Steinpodest, für das Chipperfield ein oxidierendes Grün gewählt hatte, das mich augenblicklich an die Hautfärbung einer Wasserleiche erinnerte, ohne dass ich je eine gesehen hätte. Kurz: Chipperfield hatte so konsequent auf Understatement gezielt, dass man es Underwhelment hätte nennen müssen, gäbe es diesen Begriff. Aber dann! Einmal drinnen, wollte man nicht mehr raus. Essen? Vergessen. Schon die leeren Räume versprachen Großes. Die Deckenhöhe, das Licht, der Übergang von Pavillon zu Pavillon, die Durchblicke in die asketischen Innenhöfe, der mit Rheinkieseln gesprenkelte Boden: Hier würde die Kunst, einmal eingezogen, strahlen. Sie würde für sich sprechen können, sie würde ihre Kräfte schonen dürfen für den eigenen Auftritt. Das Duell Kunst versus Architektur: abgesagt. Knapp sechs Jahre und etliche Besuche später darf konstatiert werden: Dass Wilhelm Lehmbrucks Skulpturen so herzerweichend traurig den Blick senken, kann alles und jedem angelastet werden, nur nicht dem Architekten. Der erste Eindruck hat nicht getäuscht. Und auch Chipperfields Idee, die Raumabfolge so zu gestalten, dass man immer neue Wege durch die DAVID CHIPPERFIELD ständige Weltklassesammlung E REVUE 58 nehmen kann, hat sich bewährt. Schnell ist das Lieblingswerk gefunden, doch stetig ist der Sog der Bezüge, die sich von ihm aus entfaltet. Und noch eine Ahnung hat sich bestätigt: dass der kühle Brite im Berliner Exil letztlich viel eher das Erbe der ebenso großen wie bescheidenen deutschen Wirtschaftswunderarchitekten angetreten hat als die Flughäfen- und Stadienbauer, die hierzulande als Stararchitekten durchgehen. Auch wenn sie sich über die lichten Raumhöhen gewundert hätten: Sep Ruf und Egon Eiermann hätten das neue Folkwang geliebt. CORNELIUS TITTEL FONDAZIONE PRADA, MAILAND MATERIALWUNDER Architektur, die nicht angestaunt, sondern ertastet, benutzt werden will illiger Effekt, mag man denken, ein Fabrikgebäude mit Blattgold zu überziehen. Aber schließlich will jedes Museum ein Leuchtturm sein, manche wie die Tate Modern in London haben sogar einen. Das vergoldete Haus der Fondazione Prada in Mailand strahlt von sich aus. Sogar bei dem berüchtigten Nebel, der die Stadt in der Poebene viele Tage im Jahr verschleiert. 24 Karat erfüllen ihren Zweck – und sei es als gar nicht billiges Fassadenmaterial. Um Material-Werte geht es auch Miuccia Prada, die als wichtigste Modedesignerin der Gegenwart gilt und Präsidentin der Kunststiftung ist, die neben einem Palazzo in Venedig seit 2015 auch eine ständige Vertretung in Mailand hat. Miuccia Prada führte ungewöhnliche Produktionsverfahren ein, belebte den Stoffdruck wieder und kombinierte Naturmaterialien mit Kunststoffen. In Rem Koolhaas hat die Trendsetterin einen Architekten gefunden, der ähnlich unkonventionelle Wege geht, am Ende aber ein Produkt schafft, das sich doch in den Dienst der Nutzbarkeit stellt. So ist die Fondazione Prada in ihrem Mix aus Bestandsgebäuden einer Schnapsbrennerei und futuristischen Neubauten nicht nur ein B glamouröses Schmuckstück geworden, sondern bespielt 12.300 Quadratmeter Museumsfläche, die gestalterisch und funktional auf der Höhe der Zeit sind. Während man von der Terrasse der 50ies-poppigen „Bar Luce“ – ausgestattet von Regisseur Wes Anderson – noch die Vergoldung des „Haunted House“ prüft, wo sich eine ständige Installation mit Werken von Louise Bourgeois und Robert Gober befindet, fällt der Blick auf den Boden, der mit rohen Holzbohlen gepflastert ist. Das Spiel der Kontraste geht in einem versteckten Foyer weiter, das die Besucher verteilt. Hier wird der Goldputz zur profanen Innenwand. Drei majestätische Rundbögen daneben weisen den Weg in einen stützenlosen Saal: Zwei riesige Quader sind zum kühnen „Podium“ gestapelt. Ehe man eintritt, bleibt man wieder an einer überraschenden Fassade hängen, deren silbern schimmernde Betonhaut porös ist wie ein Schwamm. Gegenüber ist das Tonnengewölbe der flankierenden „Sud“-Hallen hinter glatten Kunststoffplatten zu erahnen, und in den nächsten Hof kommt man nur durch einen Vorhang aus Thermolamellen. Rem Koolhaas hat eine Architektur entworfen, die nicht wie viele Museumsneubauten angestaunt werden will, sondern untersucht, ertastet, benutzt. Bald läuft man wie ein Materialwissenschaftler durch den Komplex und streichelt kostbare Kalksteinplatten, kratzt an Metallprofilen oder lehnt sich an alte Bäume, die wie Skulpturen herumstehen. Es geht industrielle Rampen hinauf, an Terrakottadächern vorbei, über exaltierte Treppen, hinab in einen engen Stollen (wo sich Thomas Demands Processo Grottesco verbirgt) und hinauf ins „Cinema“, eine langgezogene High-Tech-Schachtel, die im Inneren ein dunkler Aufführungssaal, außen ein Spiegelriegel ist, der den Hof optisch vergrößert. So staffeln sich die unterschiedlichsten Raumformate – drinnen und draußen, für Flachware wie für Dreidimensionales, für Performances und Videokunst. Ein Jahr bevor die Fondazione Prada eröffnet wurde, hatte Rem Koolhaas als Leiter der Architekturbiennale von Venedig schon seine Typologie architektonischer Elemente vorgestellt. Hier in Mailand scheint er nun alles noch einmal zusammengefasst zu haben. Vom Korridor über die Fensterfront bis zum Turm – über dem hintersten Winkel der Anlage ragt noch der Rohbau des „Torre“ in die Höhe. Er soll ab 2017 ein Restaurant und die stetig wachsende Unternehmenssammlung aufnehmen. Für die Kunst ist die Anlage jetzt schon ein elementarer Gewinn, weil sie alle Art von Raum bekommt. Sie kann sich ausbreiten, wo sie muss, sich an der Architektur messen, wo sie es verträgt, und zurückziehen, wo sie Ruhe braucht. Und der Besucher? Bleibt frisch, weil er ständig das Setting wechselt, nie durch Raumfluchten irrt und bei der Begutachtung von Fassadendetails und Hofpflasterungen immer wieder Geist und Auge reinigt. Man darf sich wie als Tagesgast in einem Kloster der visuellen Konzentration fühlen. REVUE 59 MARCUS WOELLER REM KOOLHAAS FRED BERGER Untitled, 1958, Öl auf Leinwand, 127 × 183 cm DIE MONSTER, DIE SIE RIEFEN Chicago in den 50er-Jahren: Während in New York der Abstrakte Expressionismus regiert, setzt in der Stadt der Schlachthöfe eine junge Generation von Künstlern auf schonungslose Figuration, in der sie Kriegserfahrungen und andere Traumata verarbeiten. John Corbett erinnert an die „Monster Roster“, eine Gruppe, die keine sein wollte und doch gemeinsam ein zu Unrecht vergessenes Kapitel Nachkriegskunstgeschichte schrieb DOMINICK DI MEO Torso/Landscape, 1962, Vinyl auf Leinwand, 51 × 36 cm Linke Seite: TED HALKIN Angel, 1953, Öl über Gouache auf Tafel, 125 × 100 cm D DOMINICK DI MEO Torso, 1962, Mixed Media auf Leinwand, 51 × 36 cm er Krieg war zu Ende. Und angesichts des wirtschaftlichen Wohlstands, der sich am Horizont abzuzeichnen begann, verspürten viele Amerikaner überschwänglichen Optimismus. In Chicago jedoch gab es in den späten 40er-Jahren einige Künstler, die anders empfanden und andere Töne anschlugen. Sie malten dunkle, groteske, schonungslose Bilder in düsteren Erdfarben mit aufblitzendem Violett. Abgetrennte Glieder, leere Augen, aufgeblähte Körper, lädierte Torsi, Geburtswehen und Todeskämpfe, abgeschabte, aufgeschlitzte Oberflächen. Obwohl sie keine Arbeitsgruppe bildeten und sich nie offiziell organisierten, spürten diese Künstler, dass sie etwas verband, und andere bemerkten die Verbindung auch. Doch erst 1959 wird ein Künstler und Journalist, der früher selbst einmal zur Gruppe gehörte, seine alten Kollegen „Monster Roster“ taufen. Der Name blieb hängen, auch wenn nicht alle einverstanden waren. Monströs waren ja auch nicht alle Werke – trotz der gemeinsamen Sicht auf das Drama der menschlichen Existenz. Aber in diesem Fall ist es schon bedeutsam, dem malerischen Stil einen Namen zu geben, umso mehr, als die Monster Roster mit ihrer ästhetischen Vision zur ersten originalen Bewegung in der Chicagoer Kunst werden sollten. Es ist ein angespannter, ernster Ton, der in den Werken herrscht. Und in der Entschiedenheit, mit der die Künstler für ihre Themen gegenständliche Bildzeichen wählten, grenzten sie sich von der Abstraktion ab, die damals die amerikanische Szene bestimmte. Die Monster Roster waren allesamt figurative Maler, die aus antiken und klassischen, literarischen und europäischen Quellen schöpften. Und wenn sie auch mit großer Aufmerksamkeit die neuen Entwicklungen DOMINICK DI MEO Torso, 1962, Vinyl auf Leinwand, 51 × 36 cm in New York und Paris verfolgten, blieben sie doch Künstler und Intellektuelle vom alten Schlag, allemal bereit, die disparaten Einflüsse zu einer machtvollen Vision der Menschheit in der Jahrhundertmitte zusammenzufassen. Wenn sich eine Bewegung herausbildet, spielt der Ort eine wichtige Rolle. Die Malerei der Monster Roster entstand in einer Stadt, von der man lange meinte, es spuke in ihr. Damals die zweitgrößte amerikanische Stadt, war sie ein wirtschaftlicher Knotenpunkt mit Eisenbahnzügen voller Güter und Menschen, die von einem Ende des Landes ans andere gebracht wurden. Vielleicht rührt ja das Makabre an Chicago von all den Schlachthöfen her, von der gespenstischen Anwesenheit der Tiere, die im finsteren Herzen der Stadt mit industrieller Sachlichkeit ausgenommen und verarbeitet wurden. Oder vielleicht erforderte die Gründung einer Metropole auf einem Indianerhandelsposten einfach diese nüchterne Grenzermentalität, die dann im Blutvergießen gipfelte, das den Weg erst freimachte für die aufstrebende Stadt. Eine Erinnerung, die in gruseligen Fratzen dann und wann aus dem sumpfigen Untergrund hochkam. Vielleicht auch wurde die unheilvolle Stimmung durch die Spannungen der Rassentrennung erzeugt, durch die aufgestaute Wut, die sich immer wieder entladen hat. Er sei nur ein Berichterstatter, hat Leon Golub einmal gesagt. Er berichte über diese Monster, weil diese Monster tatsächlich existierten. Nichts an ihnen sei Schein, nichts Fantasie: „Die Situationen, die solche Kräfte zum Leben erwecken, existieren wirklich.“ Woher es auch stammen mag, das Monster ist in Chicago eine vertraute Figur. Und mehr als ein Jahrzehnt nach dem Zweiten Welt- REVUE 63 COSMO CAMPOLI Absalom, Absalom, 1958, gefärbter Gips, 79 × 76 × 76 cm krieg erlebte die Kunst der „Windy City“ einen regelrechten Ansturm von Monstern, die berühmtesten in den Werken von Leon Golub, George Cohen, Cosmo Campoli und June Leaf. Wie in einem Zombiefilm steigen in ihren Bildern die bösen Geister auf. abei gab es schon Monster vor den Monstern. Carl Hoeckners Gemälde The Homecoming of 1918 zum Beispiel, unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gemalt, zeigt eine Legion von ausgehungerten, einbeinigen Ghulen, leichenfressenden Wesen, die anklagend vor dem Betrachter aufmarschiert sind. Oder Ivan Albright und seine morbide Faszination für das Groteske. Seine Bilder sind so übergenau gemalt, wie sie verstörend wirken. Sie reflektieren die Erfahrungen, die der Maler als Sanitäter im Ersten Weltkrieg sammelte. Bilder wie Into the World There Came a Soul Called Ida („Eine Seele namens Ida kam zur Welt“) von 1929 bezeugen den Schock angesichts abgetrennter Glieder und klaffender Wunden. Streng genommen waren die Monster Roster kein Team. Nie arbeiteten sie gemeinsam oder kollektiv. Es gibt kein Manifest von ihnen. Was sie zusammenhielt, war ihr Glaube an die Möglichkeiten der figurativen Kunst in einer von der Abstraktion beherrschten Epoche. Obwohl ihre Arbeiten gelegentlich in Ausstellungen anderer D Künstler gezeigt wurden, galten sie nicht als Ausstellungsgruppe, wie es die Chicago Imagists in den 60er-Jahren waren oder die Hairy Who, die False Image, die Nonplussed Some. „Monster Roster“, das Label erfand der Kunstkritiker Franz Schulze, der es 1959 erstmals in einer Besprechung in ARTnews verwendete. Wenig später erschien im TimeMagazin ein Artikel mit dem Titel Jetzt kommen die Monster über Chicagos „neue Horrorschule“, in dem es namentlich um Campoli, Cohen, Golub und Fred Berger ging. Im selben Jahr nahmen Campoli, Golub und H. C. Westermann an der von Peter Selz kuratierten, bahnbrechenden Ausstellung New Images of Man im MoMA teil, die bei der Kritik keinen Erfolg hatte. Schulze selbst hat darauf hingewiesen, dass Selz ihm womöglich mit dem „Monster“-Etikett voraus war, als er Ende der Fünfzigerjahre Irving Petlin gegenüber verkündete, er wolle in seiner bevorstehenden Ausstellung „der Welt Chicagos Monster zeigen“. „Jedenfalls hatte der Name ‚The Monster Roster‘ den Sound von gutem Kunstjargon“, erinnerte sich Schulze. „Es machte mir Spaß, ihn zu prägen, weil ich – ich geb’s gern zu – als junger Kunstkritiker die Chance sah, aus einer neuen Kunstrichtung eine einprägsame Marke zu machen.“ Dabei spielte Schulzes Signatur „Monster Roster“ viel weniger auf die Eigenart der Werke an als auf die Chicago Bears, die Footballmannschaft der Stadt, die damals besser bekannt war unter dem Namen „Monsters of the Midway“. Doch der Spitzname passte und half, diese lose Verbindung von Künstlern zu definieren, die sich alle kannten und respektierten. Einige standen sich sogar sehr nahe. Golub und Nancy Spero waren verheiratet; Di Meo und Golub waren Zimmergenossen gewesen; Campoli und Golub ebenso; Cohen und Golub waren an der University of Chicago intellektuelle Sparringspartner; June Leaf und Seymour Rosofsky waren befreundet und eine Zeit lang ein Liebespaar; Leaf und Don Baum waren befreundet, genauso wie Ted Halkin und Evelyn Statsinger und Di Meo und Campoli. Und alle hatten an der School of the Art Institute of Chicago (SAIC) studiert. Die meisten Monster Roster waren Weltkriegsveteranen, Campoli, Cohen, Golub, Halkin, Rosofsky. Irving Petlin, ein wenig jünger, meldete sich zur Armee in den späten Fünfzigern. Don Baum und Fred Berger machten ihren Universitätsabschluss vor Kriegsende, die anderen aber nutzten die GI Bill, ein amerikanisches Stipendienprogramm, das Veteranen erlaubte, an Hochschulen zurückzukehren. REVUE 64 Die gemeinsame Erfahrung am SAIC waren prägende LehrerSchüler-Beziehungen. Hinzu kam, dass die Kunstschule mit einem angeschlossenen enzyklopädischen Museum arbeiten konnte, das vor allem die Künstlerin und Kunsthistorikerin Kathleen Blackshear „ Art Brut stimmte gut mit der ChicagoÄsthetik überein. Splitt, Oberfläche, die Straße, alles was sozusagen Un-Kunst ist, hat uns sehr angezogen“ nutzte. Sie war es, die in ihrem Kurs über primitive Kunst ihre Schüler anwies, im Field Museum of Natural History Stücke aus der ethnografischen Sammlung zu zeichnen, herausragende Beispiele der präkolumbianischen, ozeanischen und afrikanischen Kunst. Eine Art der Ausbildung, die nicht nur für das SAIC ungewöhnlich war, sondern einzigartig im amerikanischen Kunststudium. Die Monster Roster teilten ein starkes Empfinden für die Kraft nichtwestlicher Kunst. So galt Golubs Interesse vor allem der Antike – der griechischen, etruskischen, hethitischen und immer wieder auch der römischen. Seine frühen Gemälde bewegen sich zwischen dem Monströsen und dem Heroischen hin und her. ichtwestliche Kunst, das ist die eine Referenz. Geradezu magnetisch aber fühlten sich die Künstler auch von Europa angezogen. Halkin und Campoli besichtigten zusammen die Kathedrale von Chartres und verweilten einige Zeit in Campolis Haus auf Mallorca. Golub und Spero sowie Leaf und Petlin zogen in den Fünfzigern nach Paris; Di Meo verbrachte in den frühen Sechzigern zwei Jahre in Italien. Schulze reiste während seines Studiums mit einem Konrad-Adenauer-Stipendium ausgiebig durch Europa. Die sichtbaren Auswirkungen des Krieges, das Entsetzen vor den Bildern des Holocaust, die gerade bekannt wurden, die Vernichtung der europäischen Kultur, die Reaktionen der existenzialistischen Schriftsteller, das alles machte enormen Eindruck auf die Chicagoer. Zumal die meisten dieser Künstler auf die eine oder andere Weise gesellschaftlich marginalisiert waren, als Juden oder jüngst Eingewanderte, was die Ereignisse in Europa für sie und ihre Familien umso persönlicher machte. Zumindest in dieser Hinsicht waren sie mit manchen ihrer Kollegen in der New York School eng verbunden. Das Engagement der Monster Roster für die Figur unterschied sie jedoch und bildete einen unüberbrückbaren Graben zu den Abstrakten Expressionisten. Eher fanden sie ihre Verwandten bei europäischen Pionieren wie Alberto Giacometti, Francis Bacon oder Jean Dubuffet. Dubuffets Vortrag Anticultural Positions, den er 1951 im Arts Club of Chicago hielt, wirkte wie ein Fanal. Dubuffet verfocht die Geltung der Kunst von Geisteskranken, plädierte für die Beschäftigung mit Stammeskunst, verwies auf unberührte Quellen der Inspiration, dass es den jungen Chicagoern in den Ohren klang. „Art Brut stimmte gut mit der Chicago-Ästhetik überein“, sagte Di Meo einmal. „Splitt, Oberfläche, die Straße, alles was sozusagen Un-Kunst ist, hat uns sehr angezogen.“ Auf einem Wandtext für eine Ausstellung in einer New Yorker Galerie formulierte Golub: „Ich denke, wir leben in einer Zeit der N kreativen Degeneration, in der nur die Unwissenden, die Naiven und Primitiven einfach und klar sprechen. Hin und wieder erhebt sich ihre andere Stimme, aber der Bombast und Kitsch der Stereotypen und Konventionen übertönen sie. Für mich ist der kreative Prozess eine moralische Verpflichtung, die allen Formalismus transzendiert.“ Und in der Art, wie die Monster mit den inneren Dämonen rangen, reihten sie sich ein in eine europäische Tradition, die über James Ensor und Francisco de Goya bis hin zu Hieronymus Bosch und Matthias Grünewald zurückverfolgt werden kann. Künstler wie Di Meo, Cohen und Golub bedienten sich in ihrer meisterhaften Malerei ungewöhnlicher Techniken und Materialien, bevorzugten raue Oberflächen, ließen sie gesprenkelt, geschabt, zerrissen aussehen, tauchten ein in dunkle Farbräume. Ugly Beauty, die Komposition des Pianisten Thelonious Monk hätte ihr Motto sein können. Und dies war die heimliche Agenda der Monster Roster: Eine Gegenästhetik aus verpönten Materialien – Teer, Ruß, Schlamm, Fäkalien, Blut. Die Essays von Jean-Paul Sartre und Albert Camus, die Stücke von Antonin Artaud, die Romane von Franz Kafka und James Joyce, Begriffe wie „Angst“ und „Absurdität“, die Konzepte des Unbewussten, die Ahnung der unvordenklichen Schrecken, die aus den Bildern und Berichten aufstieg, nachdem die USA ihre Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen hatten – all diese kulturellen und gesellschaftlichen Erfahrungen sind in die zwischen Expressionismus und Surrealismus schwankende Bildsprache der Künstler eingegangen. Jeder Einzelne der Monster Roster hatte seine eigene Grammatik. Doch im langen Abstand kann man gut erkennen, wie all diese Werke aus einem gemeinsamen Genpool der Gefühle und Gedanken stammen. REVUE 65 Von oben nach unten: Leon Golub, Dominick Di Meo, June Leaf, Ted Halkin, Cosmo Campoli JUNE LEAF The Salon, 1965, Öl auf Leinwand, 112 × 91 cm Linke Seite: LEON GOLUB Colossal Figure, 1961, Lackfarbe auf Leinwand, 266 × 200 cm Die Ausstellung The Chicago School 1948–1954 wurde die bislang umfassendste Übersicht über die Monster Roster. Zusammengestellt hatte sie 1964 Don Baum, der Direktor des Hyde Park Art Center in Chicago. Da hatten die Monster Roster bereits ihren Zenit überschritten, hatten sich künstlerisch und geografisch in alle Winde zerstreut. So wurde die Ausstellung Retrospektive und Nachruf zugleich. Im Klima nach der ersten Welle der Pop-Art erschien so ziemlich alles an den Bildern der Monster Roster vergangen, gestrig, abgetan, von ihrer erdigen Palette bis zu den Selbstverletzungen, die sich ihre gewaltsame Malerei beibrachte, vom humorlosen Ton bis zum untergründigen Machogehabe. Das Dunkle schien out angesichts der glatten Oberflächen, die die Pop-Art versprach. „Dies ist nicht Kunst um der Kunst willen“, hatte Golub noch 1963 über seine Arbeit geschrieben, „dies ist weder Ironie noch Spiel.“ Aber Ironie und Spiel waren eben in Mode gekommen. Und im Vergleich mit der Energie eines Peter Saul, dessen in Chicago entstandene und gerade wiederentdeckte Vietnam-Bilder vehement und ironisch zugleich wirkten, oder mit seinen eigenen, zunehmend konkreter, gegenständ- licher werdenden Bildern von Krieg, Folter und Politikern, muteten Golubs Arbeiten aus der Chicago-Zeit mühsam an. „Wären die Monster Roster eine Gruppe in New York und nicht in Chicago gewesen“, sagte Fred Berger, „wären sie in den Rang eines nationalen Phänomens aufgerückt. Und sofort hätte die Bewegung Anerkennung und Erfolg gefunden. Aber so wie es nun einmal geschehen ist, zündete der Funke nur einen Augenblick und verglühte.“ Im größeren Rahmen, während Kunsthistoriker weiter daran arbeiten, das Profil der amerikanischen Kunst des 20. Jahrhunderts neu zu interpretieren, bieten die Monster Roster eine provozierende Alternative zur Hegemonie des Abstrakten Expressionismus, einen dynamischen und vielfältigen Kontrapunkt, gleichermaßen verankert im kosmopolitischen Humanismus und einem elementaren Korpsgeist. ÜBERSETZUNG: ULI AUMÜLLER DAS SMART MUSEUM OF ART IN CHICAGO ZEIGT BIS 12. JUNI DIE AUSSTELLUNG MONSTER ROSTER: EXISTENTIALIST ART IN POSTWAR CHICAGO REVUE 67 ENCORE MAGNUS-APP — — WERTSACHEN — AU KT IO NE N GR AND PRIX — BL AU K ALENDER — DER AUGENBLICK Magnus, der Allwissende Das ist die Revolution: Ein Foto von der Kunst, und schon hat man alle Informationen auf dem Smartphone. Was bedeutet das für die Kunstbetrachtung? S o sieht die neue Kunstzeitrechnung nach Freischaltung der App Magnus aus: Wir gehen in eine Galerie oder ein Museum oder eine Privatwohnung, schauen uns kurz um. Wenn uns ein Bild gefällt, wir mehr wissen wollen, halten wir unser Smartphone hoch, machen ein Foto und lassen uns erzählen, was die Datenbank so alles gespeichert hat: Gesammelt hat der Erfinder dieser CrowdsourcingApp Magnus Resch schon Künstlerna- men, Titel, Jahre, höchste Preise, Ausstellungen, andere bereits verkaufte Bilder, die wir mit Herzen versehen, wenn sie uns gefallen. Und es gibt natürlich einen Link zur Galerie. Die App wurde für den Kunstmarkt entwickelt, um für Transparenz im Dschungel der internationalen Megapreismacherei zu sorgen. Wir können uns aber auch auf einem Stadtplan anschauen, welche Ausstellungen in der Umgebung eröffnen, und uns über die Künstler informieren. ENCORE 69 Mit Magnus hat die App-Digitalisierung also auch die Kunst erreicht. In einem Restaurant genießt man ja schon länger einen guten Wein, scannt das Etikett, bekommt auf Vivino einen mittleren Preis für die Flasche genannt, eine Bewertung und Information über die Rebsorte, Geschmack, Ranking, Jahresvergleich und wo man ihn in der Nähe kaufen kann. In einer Kneipe hört man ein Lied, das einem gefällt, man hält sein Smartphone in die Höhe und lässt sich „ Jeder bekommt alle Infos. Sofort und umsonst!“ DER ÖKONOM UND SOCIAL-MEDIA-STAR MAGNUS RESCH HAT SEINE APP ZUR KUNSTERKENNUNG SELBSTBEWUSST MAGNUS GENANNT. EIN GESPRÄCH Herr Resch, Sie haben in den USA gerade eine App gelauncht, die den Kunstmarkt radikal verändern soll. „Magnus“ erkennt Kunstwerke und liefert alle Informationen dazu: Künstler, Preis und Ausstellungsorte. Mit mehr als acht Millionen Einträgen haben Sie die größte Kunstdatenbank der Welt auf der Basis von Crowdsourcing. Sie sprechen vom „Shazam“ für die Kunstwelt. Wie kamen Sie auf diese Idee? — Sie ist über Jahre gereift. Schon seit meinem BWL-Studium wundere ich mich über die fehlende Transparenz auf dem Kunstmarkt. Der Besuch in Galerien bereitet mir nach wie vor Unbehagen. Sie fühlen sich elitär an, obwohl sie öffentlich sind. Und wenn man nach dem Preis fragt, wird er oft gar nicht genannt. Ich habe selbst kurz eine Galerie geführt. Damals fand ich es fast lustig, dass man Preise meist aus dem Bauch heraus bestimmen konnte. Nur bei der Malerei gibt es eine – allerdings schräge – Formel: Länge mal Breite mal Multiplikator. Kommt dann jemand vorbei, der ein bisschen wohlhabender aussieht, schlägt man 2.000 Euro drauf, um mehr Spielraum für den Handel zu haben. Der Preis ist aber doch etwas Essenzielles. Auf dem Kunstmarkt benehmen sich alle wie auf einem Basar. Und nun sollen die Teilnehmer dort die Hüllen fallen lassen, und Sie verdienen damit Geld. — Zunächst einmal: Die App ist gratis. Ich mache bisher kein Geld damit. Aber ich bin natürlich auch nicht von der Heilsarmee, die Monetarisierung kommt später. Zuerst will ich den Kunstmarkt zugänglicher machen. Ich bündele die Suche auf handliche, digitale Weise, sortiere nach Preisen, Orten, Ausstellungen, Künstlern. Im Gegensatz zu Datenbanken wie Artnet oder Artprice findet man aber nicht nur Preise aus Auktionen, sondern auch aus Galerien. Wir decken den kompletten Markt ab. Magnus Resch, fotografiert von Adam Golfer in New York Wer Ihre App nutzt, kann jetzt Kunstberatern wie Helge Achenbach oder Yves Bouvier auf die Finger gucken. EntTatsächlich hat die Undurchspricht Magnus – was ja ein sichtigkeit in den vergangenen Jahren Betrügereien begünstigt. bisschen größenwahnsinnig von Shazam zeigen, wer da singt, verlinkt mit einer Seite zum Erwerb des Liedes. Die Kunst aber, so dachte man lange, bleibt außen vor. Sie hat nach dem Verlust ihres Originalität-Schutzschirms durch Instagram und Co. jedoch keine Mittel mehr, sich der Gesichtserkennung zu entziehen, die unsere Welt derzeit durchsichtig macht. Magnus wird unseren Blick auf die Kunst nachhaltig verändern. Denken wir die App weiter: Von nun an können wir unsere Neugierde ganz ohne Vorkenntnisse befriedigen. Erinnern wir uns an die Zeiten, als man sich durchs Internet schlängeln musste, hindurchzappte, Link auf Link folgte, bis man sich irgendwo verloren hatte – mit dumpfem Kopf vor dem Rechner hing. Natürlich ist Magnus nichts für Forscher. Doch den Anspruch hat die App auch nicht. ENCORE 70 klingt – einem allgemeinen Bedürfnis nach Kontrolle und Transparenz? — Transparenz, Demokratisierung, das behauptet heute doch jede Online-Plattform. Aber Schauen wir uns eher den Vorteil gegenüber Brockhaus-Zeiten an, als die dicken Bände im Regal verstaubten. Dann kam Wikipedia – am Anfang verpönt. Wer aber kann von sich sagen, die Seiten nicht zu nutzen? Die stets aktualisierten Literaturlisten geben einen möglichen Pfad zur tieferen Beschäftigung frei. Im Museum sieht man immer häufiger Leute, die sich auf ihren Smartphones fast überall muss man hohe Beiträge bezahlen, um an Informationen zu kommen. Meine App aber ist unabhängig. Und extrem einfach: Man macht ein Foto von einem Kunstwerk und erfährt sofort alles darüber: den Preis, den Künstlernamen und die Ausstellungshistorie. Ein Sammler kann sich ein eigenes Profil erstellen, bekommt Meldungen über Künstler, die er gut findet, erfährt, wo sie ausstellen oder ob sie gerade in Auktionen angeboten werden. Außerdem vergleichbare Werke und Preise. Ein Käufer sieht: Dieses Werk aus der Galerie wurde schon bei Christie’s 2011 für einen bestimmten Preis versteigert. Wir führen also die Preisentwicklung vor. Und die User helfen dabei. Die App erkennt Bilder, die bereits in der Datenbank sind. Wenn nicht, wird das Foto neu registriert, und man erhält am nächsten Tag Informationen dazu. Findet man auch Skulpturen, Konzeptkunst und Performance? Oder weiße Leinwände von Robert Ryman? — Nein. Die Technologie der Wiedererkennung von Bildern ist noch nicht so weit, dass sie Dreidimensionales wahrnimmt, da sind wir noch genauso rudimentär wie Google und Amazon, die mit derselben Software arbeiten. Und rein weiße Leinwände wird keine Technologie der Welt als konkretes Kunstwerk definieren können. Aber dann sucht man einfach nach dem Künstlernamen, spezieller auch nach Entstehungszeitraum oder Größe der Leinwände, und kommt der Information schon näher. Wir lassen zwar die Software auf Kunsterkennung hin verfeinern, so wie Amazon auf Objekte oder Vivino auf Weinlabels – künstliche Intelligenz steckt ja noch in den Anfängen. Aber sie ist nicht das Herzstück der App, sondern unsere Datenbank. Fotografiert man ein Werk, bekommt man Informationen zur Kunst und konsumfreundlich: den Preis Mit Magnus kann man sich in der Stadt bewegen, von einer aktuellen Ausstellung zur anderen Er erstellt damit seine digital collection. So erfährt er etwas über Wertzuwächse und den aktuellen Preis seiner Künstler in Galerien. Viele Werke befinden sich in Museen, wo man nicht fotografieren darf, oder in Privatsammlungen. Auch manche Galerien werden ein Fotoverbot verhängen, weil sie ihre Preise nicht publik machen wollen. Galeristen untersagen den Zeitungen jetzt schon, Preise öffentlich zu machen. Wie werden Sie Ihrem Anspruch auf Vollständigkeit und Fehlerfreiheit gerecht? — Wo keine Fotos erlaubt sind, können wir nichts zeigen. Wo keine Preise öffentlich sind, zeigen wir nur das Bild und das, was wir dazu wissen. Oft erfahren wir die Preise dann durch Galeriebesucher – und haben ja auch noch die Auktionszuschläge. Spätestens der nächste Käufer kennt den Preis. Vielleicht nutzt er unsere App und speist seinen Neuerwerb dort ein. Ich war schon bei vielen Sammlern zu Hause und habe noch nie erlebt, dass ich keine Fotos machen durfte. Wir zeigen ja nicht, wo ein Bild hängt. Einer der wichtigsten und größten Sammler aus New York ist mit meiner App durch sein Haus gelaufen, hat alles abfotografiert und Preise eingegeben. die Grundinformation mühsam bei Wikipedia holen. Magnus könnte das jetzt alles ablösen. Wollen wir aber überall mit unseren Handys auf die Kunst zielen? Uns nicht lieber über das Gesehene austauschen? Als Shazam und auch Spotify an den Start gingen, war die Hochkultur in großer Sorge. Werden wir in der Kunst auch bald die Hit Song Science bekommen, die bislang nur von Auktionshäusern ganz analog betrieben wird, wenn sie junge Künstler hypen? Dank der App-Info lässt sich errechnen, was ein Hit wird. In der Musikbranche gibt es Firmen, die Big-Data-Ströme auswerten, um festzustellen, was gut läuft. Welche Songs Taylor Swift veröffentlicht, darüber entscheiden die Algorithmen. ENCORE 71 Aber viele Sammler haben kein Interesse daran, dass überall bekannt wird, was sie zu Hause hängen haben. Aus steuerlichen Gründen, aus Angst vor Einbrüchen oder nervenden Leihanfragen. Sammeln ist etwas Privates. In Deutschland hört man das angesichts des geplanten Kulturgutschutzgesetzes ziemlich häufig. Wenn Sie Ihre App in einigen Monaten auch hier anbieten, könnte Zurückhaltung bei den Kunstkäufern herrschen. Für wen ist die App dann gut? — Noch mal: Die App zeigt nicht, wem ein Werk gehört und wo es sich befindet. Google, Malen Künstler bald Bilder nach den Wünschen der Magnus-Nutzer? Die Antwort ist wahrscheinlich: Ja. Magnus zeigt, dass auch die Kunst ihre Sonderrolle längst verloren hat. Anders als in der Musik aber baut die Kunst immer noch sehr hohe Hürden auf für die Besucher. Passend dazu definiert die neue Direktorin des Kunstmuseums Bern Uber, Instagram und Facebook wissen mehr über uns alle, als ich jemals wissen werde. Die App ist einfach für jeden, der sich für Kunst interessiert! Nehmen Sie diesen Fall: Ein Tourist steht in New York und möchte wissen, welche Ausstellungen gerade laufen. Entweder er googelt nach Galerien oder Websites, die Shows zahlender Mitglieder oder andere gefilterte Empfehlungen nennen. Oder er greift sich einen Flyer, auf dem die Galerien für ihre Ausstellungseinträge ebenfalls bezahlen. Bei mir aber finden Sie nicht nur fast jede Galerie der Stadt, sondern ich sage Ihnen auch, welche Ausstellung genau diesen Touristen interessieren könnte, weil die App sein Profil auswertet. Zudem listen wir die Lebensläufe aller Künstler detailgenau. Auch das musste man sich bisher mühsam auf Websites zusammensuchen. Wenn die App alles weiß – wird das Gespräch mit Galeristen und Experten jetzt überflüssig? — Die App bietet ja nur einen Wissensvorsprung. Da kann man doch nicht ernsthaft davon sprechen, dass hier ein wichtiges Gespräch verloren geht. Wenn ich in einer Galerie nach dem Preis frage, spreche ich meist mit dem Praktikanten oder dem Sales Director. Der intensive Dialog findet da eh nicht statt. Vielleicht interessiert manch einen ja auch die Kunst selbst, und nicht nur der Preis? Der Markt ist in der Kunst doch ohnehin schon so dominant. Befeuert das Digitale diese Entwicklung und verlagert sich die Kunstrezeption bald komplett ins Smartphone? — Ich glaube, dass das Digitale den Offline-Markt nicht ersetzt, sondern unterstützt. Die bestehenden Player – Artnet, Artsy, Auctionata, Paddle8, Artspace und Artbinder – finde ich großartig. Aber online werden doch nur weniger als zehn Prozent des gesamten Marktes umgesetzt. Auctionata zum Beispiel verdient mit Uhren, Autos und Antiquitäten mehr Geld als mit Kunst. Ich bin überzeugt, dass das Digitale den Markt vergrößert, aber ihn nie verdrängen wird. Die Inspiration kommt allein durch den direkten Kontakt. Man kann Kunst nur offline erleben. Trotzdem treten Sie nun in Konkurrenz mit Online-Plattformen, die das Sehen und Kaufen von Kunst in den letzten Jahren stark beeinflusst haben. Nina Zimmer die Bedürfnisse des Kunstschauenden heute eindeutig: Es gebe viel mehr als vor zehn oder fünfzehn Jahren Bedarf an Basiswissen. Die Grundmotive der christlichen Ikonografie seien den meisten unbekannt. Sobald ein Hauch des Bildungskanons vorausgesetzt werde, führe das schon dazu, dass die Besucher die Ausstellung ablehnten. Die Vermittlung der — Ich bin eine App. Eine Preisdatenbank wie Artnet oder Informationsplattform wie Artsy sind Websites. Dort gibt es ein anderes Userverhalten. Trotzdem ist für mich jemand wie Hans Neuendorf, der vor 20 Jahren Artnet gegründet hat, ein absoluter Revolutionär. Er hat Transparenz in den Markt gebracht, indem er Auktionsergebnisse gebündelt an einem Ort zugänglich macht. Das hat etwas Entscheidendes verändert: In Auktionsräume, wo früher nur Experten saßen, kamen plötzlich andere Leute, die sich vorab informiert hatten. Früher musste man Kataloge anfordern und Preislisten sammeln. Nun waren die Preise verfügbar, zumindest für Mitglieder. Bei uns ist es klar: Jeder bekommt alle Informationen sofort und umsonst. Wir decken den kompletten Kunsthandel ab, nicht nur den Auktionsmarkt. Preise aus dem Primärmarkt zu sammeln war bisher der heilige Gral. Außer uns hat sich dorthin noch niemand vorgewagt. Verliert der Kunstbetrieb nicht seinen Reiz, wenn alles sofort verfügbar und konsumierbar ist? — Nein. Für mich entsteht der Reiz nicht dadurch, dass künstlich Exklusivität aufgebaut wird. Das ist reines Marketing. Auch das Verheimlichen der Preise ist Teil davon. Der Reiz Grundlagen muss also stimmen. Und so ist Magnus vielleicht der Anfang einer kleinen Revolution für den Kunstbetrachter. Ganz im Sinne des Kulturpolitikers Hilmar Hoffmann, der diese demokratische Öffnung der Kunst schon in den 70er-Jahren forderte und „Kultur für alle“ nannte. Die Kunst überrumpelt im besten Fall unsere Sinne sowieso – und wir vergessen das Smartphone in der ENCORE 72 entwickelt sich durch das Kunstwerk selbst. Wenn ich daran jedes Detail beschreibe, alles erkläre, es totinterpretiere – vielleicht geht dann etwas verloren. Aber ich setze nur die Hürden herab, damit mehr Menschen Kunst sehen können. Vor drei Jahren haben Sie Ihre Doktorarbeit als Handbuch herausgegeben, in dem steht, wie Galerien mehr Geld verdienen können, etwa durch Kundenbindung mit Armbändchen, auf denen Kunst abgedruckt ist. Sie selbst kommen aus dem Startup-Bereich. Was versprechen Sie sich finanziell von der App? — Eines ist klar: Ich verkaufe keine Userdaten, und die Basisfunktionen der App werden immer gratis bleiben. Was kostenpflichtig dazukommen könnte, sind Extra-Services wie bei Spotify. Es gibt die Gratis- und die Premiumversion mit Sonderleistungen wie Market-Alerts. Ich könnte mir auch vorstellen, dass Galerien irgendwann selber Daten hochladen und Zugang zu den Analysen der App erhalten. Sie sehen dann: Wie oft wurde dieses Bild in meiner Galerie fotografiert? Die Galeristen werden so meine Partner. Aber auch dann müssen sie keine 250 Dollar pro Monat zahlen. INTERVIEW: GESINE BORCHERDT Tasche. Holen wir es aber raus, kann die Kunst uns lehren, dass wir sie vielleicht noch nicht verstanden haben, wenn wir alle schnellen Informationen über sie besitzen. KOMMENTAR: SWANTJE KARICH ILLUSTRATIONEN: AHAOK & Sienna Miller #jungbleiben WERT SACHEN — MAGNUS-APP — — A U K TI O N EN WERTSACHEN R AU K ALENDE GRAND PRIX — BL K — DER AUGENBL IC Was uns gefällt: Highlights und Abseitiges aus dem Angebot des Kunsthandels In seiner berühmten Blackboard-Serie sieht man es: Cy Twomblys wahre Leidenschaft galt dem Schreiben. Die schwarz-weißen Bilder, die zwischen 1966 und 1971 entstanden, bilden die Essenz eines Œuvres, das zwar keine Gegenstände zeigt, aber trotzdem sehr viel erzählt – von Poesie und Mythologie, Mallarmé oder Ovids Metamorphosen. Fast minimalistisch wirken die Schreibschlaufen, die Twombly rhythmisch auf schwarzen Grund gesetzt hat. Wie das bei einem Format von 154 mal 174 Zentimetern ging? Ganz einfach: Er setzte sich auf die Schultern eines Freundes, schwenkte vor der Leinwand hin und her und zog so seine Linien. Untitled (New York City), das Sotheby’s auf 40 Millionen Dollar schätzt, fällt aus der Blackboard-Reihe: Twomblys Wachsstift ist hier blau statt weiß. Der Besitzer erwarb das Bild direkt im Atelier, es Nachkriegs- und Gegenwartskunst wurde nie öffentlich gezeigt – bis jetzt. Gelockt wurde er sicherlich 11. und 12. Mai bei Sotheby’s von Twomblys jüngstem Rekord bei Sotheby’s; ein Bild gleichen in New York Namens brachte unlängst 70,5 Millionen Dollar. GB BLAUPAUSE Expression ade M A R I O N E T T E Man sieht es dem artigen Sujet nicht an, dass es in eine kunstgeschichtlich spannende Beziehungsgeschichte verwickelt ist. Als sich die Dresdner Moderne Kunst „Brücke“-Maler 1905 3. Juni bei zur Gruppe formierLempertz in ten, suchten sie bald Köln nach Gesinnungsfreunden und setzten einige Hoffnung auf den Schweizer Cuno Amiet, der, mit Matisse bekannt, ihnen die Tür nach Frankreich öffnen sollte. Amiet gesellte sich kurzzeitig zur „Brücke“, die heftige Expressivmalerei aber blieb ihm fremd. Schön zeigt das Stillleben aus dem Jahr 1908, wie viel näher ihm sein Pariser Freund Matisse war. Lempertz schätzt das Gemälde auf 80.000 bis 120.000 Euro. MÜ ENCORE 74 Nach dem Ersten Weltkrieg, der die Menschen erschüttert hat wie keine Kampfhandlung davor, panzerte sich der Mann auch im Alltag. Die Ritterrüstung der Neuen Sachlichkeit waren der schwarze Mantel, das taillierte Sakko, der gestärkte Kragen und der steife Hut. Erich Kästner hat ihr in Emil und die Detektive ein Denkmal gesetzt. August Sander fotografierte den Kölner Maler und Kriegsheimkehrer Anton Räderscheidt in diesem Aufzug. Und der Maler selbst nennt sein Epochenbild Junger Mann mit gelben Handschuhen. Räderscheidt steht unbeholfen da, „geschützt … aber umso einsamer“, schreibt Wieland Schmied. Das kleine Gemälde von 1921 galt als im Krieg verloren, erst in den 70ern tauchte es auf. Grisebach schätzt es auf 180.000 bis Ausgewählte Werke 240.000 Euro (ein 2. Juni in der Foto von Sander gibt es als Beigabe). WOE Villa Grisebach in Berlin EINE AUSWAHL der BLAU REDAKTION AUKTIONEN 6./7. MAI NAGEL IN STUTTGART Asiatische Kunst 7. MAI DR. FISCHER IN HEILBRONN Kunst und Antiquitäten 9./10. MAI SOTHEBY’S IN NEW YORK Impressionismus und Moderne 10./11. MAI QUITTENBAUM IN MÜNCHEN Jugendstil und Art déco 10./11. MAI CHRISTIE’S IN NEW YORK Nachkriegs- und Gegenwartskunst 11./12. MAI BONHAMS IN NEW YORK Impressionismus und Moderne, Nachkriegs- und Gegenwartskunst 11./12. MAI SOTHEBY’S IN NEW YORK Nachkriegs- und Gegenwartskunst 11.–13. MAI ZISSKA & LACHER IN MÜNCHEN Seltene Bücher und Grafik 12./13. MAI CHRISTIE’S IN NEW YORK Impressionismus und Moderne 13./14. MAI VAN HAM IN KÖLN Alte Kunst, Europäisches Kunstgewerbe 18.–20. MAI REISS & SOHN IN KÖNIGSTEIN 19. MAI SOTHEBY’S IN LONDON Fotografie 20. MAI CHRISTIE’S IN LONDON Fotografie 20./21. MAI LEMPERTZ IN KÖLN Kunstgewerbe, Alte Meister und Kunst des 19. Jahrhunderts 23./24. MAI KETTERER IN HAMBURG Wertvolle Bücher 25. MAI CHRISTIE’S IN LONDON Shakespeare: Die vier Folianten 25. MAI KETTERER IN MÜNCHEN Kunst des 19. Jahrhunderts 26. MAI SOTHEBY’S IN NEW YORK Alte Meister Helmut Newton, French Vogue, Paris 1969 © Helmut Newton Estate Wertvolle Bücher, Handschriften, Reise, Fotoalben und Grafik HELMUT NEWTON PAGES FROM THE GLOSSIES 26.–28. MAI BASSENGE IN BERLIN Kunst des 15. bis 19. Jahrhunderts und Moderne 30. MAI CHRISTIE’S IN ZÜRICH Schweizer Kunst 31. MAI SOTHEBY’S IN ZÜRICH Schweizer Kunst 1. JUNI BASSENGE IN BERLIN Fotografie 1.–4. JUNI VILLA GRISEBACH IN BERLIN Moderne und Gegenwartskunst, Fotografie 2. JUNI VAN HAM IN KÖLN Moderne und zeitgenössische Kunst 3./4. JUNI LEMPERTZ IN KÖLN Moderne und Gegenwartskunst GREG GORMAN COLOR WORKS BIS 22. MAI 2016 | HELMUT NEWTON FOUNDATION | MUSEUM FÜR FOTOGRAFIE JEBENSSTRASSE 2, 10623 BERLIN | DI, MI, FR 10-18, DO 10-20, SA, SO 11-18 UHR PFLICHTLEKTÜRE E BELL E Ob wir uns den Fotografie New Yorker 1. Juni bei Bassenge Paparazzo Arthur in Berlin „Weegee“ Fellig so besessen vorstellen dürfen wie Jake Gyllenhaal als Psycho-Paparazzo im Film Nightcrawler? Beschrieben wird er jedenfalls als Mann ohne Scham und Scheu, der sich auf der Rückseite seiner Bilder mit „Weegee the Famous“ auswies und dicke Zigarren rauchte. Im New York der 30er- und 40er-Jahre folgte er den Hinweisen des Polizeifunks, keine Grausamkeit war ihm zu hart. 2007 zeigte das C/O Berlin in einer Ausstellung mit 220 Bildern, wozu er fähig war. Beim Auktionshaus Bassenge in Berlin wird jetzt eines seiner harmloseren Motive versteigert, ein Vintage seiner Marilyn Monroe on Pink Elephant, 1955, 25,3 mal 20,5 Zentimeter klein. Abstand aber hält der Fotograf auch hier nicht. Die Taxe liegt bei 2.000 Euro. SWKA FAMOUS ENCORE 76 Die Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert nennt man nicht ohne Grund die Belle Époque. Bestes Beispiel ist diese Vase mit „PhänomenDekor“ aus der Kunstglasmanufaktur Joh. Loetz Witwe aus Klostermühle in Böhmen. Ein filigranes Gefäß aus kobaltblauem und transparentem, silbern und perlmuttfarben irisierendem Überfangglas, das nur zu einem Zweck gefertigt wurde: staunen zu lassen. So geschehen auf der Weltausstellung 1900 in Paris. Quittenbaum Jugendstil und Art déco schätzt die Vase auf 10. und 11. Mai 8.000 bis 10.000 bei Quittenbaum in Euro. WOE München QU Ein Bild aus dem Frühwerk Corinths, als der Maler noch an der Pariser Akademie studierte und dort dem impressionistischen Zeitstil mit Skepsis begegnete. Gleichwohl sieht man dem genussvollen Schwelgen in abgestuften Grüntönen an, dass sich der Maler an der Lichtregie der Franzosen und ihrem aufgelösten Kolorismus orientiert. Wobei der deutsche Impressionismus immer noch ein wenig symbolistisch gebunden bleibt. Tatsächlich könnte man bei der Rückenfigur neben dem beherrschenden Baumstamm an eine Böcklin-Szene denken, an einen Wiedergänger aus einem mythischen Arkadien, der hier im sonnendurchfluteten Wald Pans Stunde genießt. Wie Thomas Deecke, die unbestrittene Corinth-Autorität, betont, ist das Motiv singulär im Werk, was das Alte Kunst Gemälde Im Walde (1886) umso bedeut13. Mai bei samer macht. Van Ham schätzt es auf Van Ham in Köln 40.000 bis 60.000 Euro. MÜ ÉPO PANS STUNDE Er wirkt fast wie Tarnung, der Titelkupfer. Man könnte an eine pathetische Schäferszene denken, wenn man nicht wüsste, was 1781 nur wenige wussten: dass sich zwischen den Buchdeckeln ein dramatischer Sprengsatz versteckt, der Lot und seine Töchter vom bürgerlichen 8. bis 12. April bei Moralgefüge nur noch Christie’s in Trümmer hinterlassen New York wird. Die überaus seltene Erstausgabe von Schillers anonym publizierten Räubern Wertvolle Bücher stammt aus dem Nachlass der 23. und 24. Mai bei Widerstandskämpferin Ruth Ketterer in Hamburg Andreas-Friedrich. 1947 hat Peter Suhrkamp in den veröffentlichten Tagebuch-Aufzeichnungen (Der Schattenmann) auf die Schriftstellerin aufmerksam gemacht, die zusammen mit ihrem Partner Leo Borchard und der Flüchtlingshilfegruppe „Onkel Emil“ Juden beim Versteck oder Exil half. Die gut erhaltenen Räuber kommen bei Ketterer mit einer Schätzung von 10.000 Euro zum Aufruf. MÜ Adolph Menzel. EMILIE IN ROTER BLUSE. Um 1850. Pastell auf braunem Papier. 21 × 28 cm. (Detail) Tschudi 252. Provenienz: Sammlung Rudolf Mosse, Berlin. Schätzpreis EUR 300.000–400.000 Wilhelm Leibl. BILDNIS DES APPELLATIONSRATS STENGLEIN. 1871. Öl auf Leinwand. 51,5 × 42 cm. (Detail) Signiert. Waldmann 119. Provenienz: Sammlung Rudolf Mosse, Berlin. Schätzpreis EUR 120.000–150.000 Ludwig von Hofmann. FRÜHLINGSSTURM. Circa 1894/95. Öl auf Leinwand. 145 × 197 cm. (Detail) Signiert. Provenienz: Sammlung Rudolf Mosse, Berlin. Schätzpreis EUR 200.000–300.000 Frühjahrsauktionen in Berlin 1. bis 4. Juni 2016 Restituierte Werke aus der Sammlung Rudolf Mosse Kunst des 19. Jahrhunderts Fasanenstraße 25, 10719 Berlin grisebach.com — MAGNUS-APP — — A U K TI O N EN WERTSACHEN R AU K ALENDE GRAND PRIX — BL K — DER AUGENBL IC GRAND PRIX ZAUBERKUNST Sind Fälscher geniale Illusionisten? Eines jedenfalls a steht es: wizard. Während der Lektüre eines Interviews im Art Newspaper bin ich an diesem so wunderbar zischenden Wort hängen geblieben: wizard. Die amerikanische ist sicher: Ihr Kunstzeitung warb mit einem Exklusivgespräch. Gesprochen hat Ann Freedman. Man muss wissen: Ann Freedman schwieg ungefähr fünf Jahre – außer vor Gericht. Dort Handwerk wurde sie gezwungen. 2011 flog der von ihr geleiteten Galerie Knoedler in New York ein Fälschungsskandal um die Ohren. Ann Freedman hatte jahrelang Bilder verkauft, die von Jackson wird bald Pollock und Mark Rothko sein sollten, die aber ein Chinese in Manhattan in seinem Studio gemalt hatte. Die Zwischenhändlerin Glafira Rosales hatte großartige Geschichten von einer natürlich aussterben tollen historischen Sammlung erzählt. Und fast alle haben ihr geglaubt. Besonders Ann Freedman. TITELBLATT VON LYMAN FRANK BAUMS THE WIZARD OF OZ D Die Folgen: Die Knoedler-Galerie wurde nach 165 Jahren geschlossen, die Vermittlerin der Fälschungen Glafira Rosales angeklagt, doch kurz bevor Ann Freedman dran war, wurde das Verfahren eingestellt. Eine dramatische Geschichte. In Erinnerung geblieben ist mir aber von dem Interview nur ein Wort: wizard. Genauer sagte Ann Freedman: Sie sei das perfekte Opfer gewesen und die Betrüger „exquisitely conspiratorial wizards“ – Zauberer, ja Illusionisten. Sie haben ihre Sinne getäuscht. Der vermeintliche Jackson Pollock war natürlich ein Pollock, der falsche Rothko war ein Rothko. Im Bann des Zauberspruchs sind sie es noch heute. Während ich das Wort wizard wie Brause auf der Zunge spüre, erst kurz, dann länger an die vielen „Zauberer“ in den „Panama Papers“ denke, die auch mit Illusionen arbeiten, lande ich schließlich bei Petrosilius Zwackelmann aus Der Räuber Hotzenplotz von Otfried Preußler. Petrosilius Zwackelmanns größter Erfolg war es, Kasperl mit einem Zauber zu belegen, um ihn daran zu hindern, über die Mauer zu klettern, sich aus der Gefangenschaft zu befreien. So muss es für Ann Freedman gewesen sein, im Bann von Petrosilius Zwackelmann. Die amerikanischen Zeitungsleser denken vielleicht eher an den Zauberer von Oz. Demnach wäre Ann Freedman die warmherzige, geradlinige Dorothy und Glafira Rosales der Zauberer von Oz. Bevor Dorothy und ihre Freunde das Reich des Zauberers betreten dürfen, müssen sie grüne Brillen aufsetzen, damit sie nicht vom Glanz der Smaragdenstadt geblendet werden. Eine grüne Brille trug Ann Freedman nicht. Sie wurde zum Zauberlehrling, der die Kontrolle verliert. Von wizards im Kunstmarkt aber wird man schon bald nichts mehr lesen. Ihre Sprüche werden nicht mehr wirken – auch ohne grüne Brillen. Big Data wird’s richten, Algorithmen werden die Wahrscheinlichkeit von Fälschungen berechnen, unmöglich machen. Auch die guten Illusionisten-Künstler werden dann vielleicht nicht mehr gebraucht. SWANTJE KARICH ENCORE 78 BLAU IM ABO Verpassen Sie keine Ausgabe mit unserem BLAU-Jahresabo. Für nur 48 Euro erhalten Sie druckfrisch frei Haus neun Ausgaben BLAU zum Preis von acht. www.blau-magazin.de/abo [email protected] BILDNACHWEISE Nr. 11 / Mai 2016 Titel: Peter Watkins Collection, Museum of Modern Art, New York. Editorial: S. 4: Foto Yves Borgwardt für BLAU. Inhalt: S. 6 l. u.: TBA21 Thyssen-Bornemisza. Foto: Jens Ziehe. S. 6 M. o.: Foto: Robert Polidori. S. 6 r. u.: Carlos Álvarez Montero für BLAU. S. 8 l. u.: Foto: Adam Golfer für BLAU. S. 8 M. o.: Collection of Ulrich and Harriet Meyer. Art © Estate of Leon Golub/Licenced by VAGA, New York. S. 8 r. u.: Foto: Roland Halbe. Contributors: S. 10 M.: Foto: Mary Scherpe. S. 10 u.: Foto: Isolde Ohlbaum/Laif. Essay S. 19: Foto: Getty Images. Apéro: S. 22 o.: © NASA. Courtesy Daniel Blau, München. S. 22 l.: © Paris, Bibliothèque du Musée d’histoire naturelle. Direction des bibliothèques et de la documentation. S. 22 r.: Stiftung Bauhaus Dessau. S. 23 l. o./M.: Courtesy Christie’s. S. 23 r.: Courtesy MCM. Ernst Wilhelm Nay: S. 24: Foto: Günther Becker / Documenta Archiv. S. 25: Courtesy Aurel Scheibler. Dichter dran: S. 26: Dauerleihgabe aus Privatbesitz. Kunstmuseum St. Gallen. Foto: Sebastian Stadler. Bewegtbild: S. 27 l. o.: Atelier Scheibitz. S. 27 l. u.: Foto: DDP Images. Schnelle Skulpturen: S. 27 r.: Foto: Audi. Blitzschlag: S. 28 o.: Foto: Alexandre de Brabant für BLAU. 28 u.: Private Collection. © Yves Klein / Adagp, Paris, 2016. Foto: Banque d’Images de l’Adagp. Um die Ecke Mexico City: S. 30: Illustration: Kristina Posselt für BLAU. S. 31 bis 33: Carlos Álvarez Montero für BLAU. Fra Angelico: S. 34 bis 45: Fotos: Robert Polidori. Margueri- te Humeau: S. 46/47: Foto: Felipe Ribon. S. 48: Foto: Jonnie Craig für BLAU. S. 49: Foto: Pierre Antoine for STUK. S. 50: HEAD Genève (Dylan Perrenoud). S. 51: Marguerite Humeau/Le Studio Humain. S. 52: Marguerite Humeau und IZW. S. 53: Marguerite Humeau / Duve Berlin. Foto: Trevor Good. Museen: S. 55 l. o.: Foto: Thomas Spier / Artur Images. S. 55 l. u.: Foto: Getty Images. S. 55 r. u.: Foto: Roland Halbe. S. 56 l.: Courtesy Herzog & de Meuron. S. 56 r.: Foto: Roland Halbe. S. 57 l.: Foto: DPA/Picture Alliance. S. 57 r.: Foto: Iwan Baan. S. 58 l.: Foto: DDP Images. S. 58 r. o.: Foto: Christian Eblenkamp / Artur Images. S. 58 r. u.: Foto: Caro. S. 59 r.: Foto: Iwan Baan. S. 59 l.: Lydie Lecarpentier / REA / laif. Monster Roster Chicago: S. 60/61: Smart Museum of Art, The University of Chicago, Gift of Robert and Mary Donley. S. 62: Collection of the Illinois State Museum. S. 63: Collection of Scott Nielsen and Adrianna Ballén, Chicago. S. 64: Smart Museum of Art, The University of Chicago, Gift of Joyce Turner Hilkevitch in memory of Carl Turner and Jonathan B. Turner. S. 65 v. o. n. u.: Courtesy of Mary Baber. Courtesy of Jim Falconer. Courtesy of Joel Press. Courtesy of Mary Baber. Courtesy of Art Shay. S. 66: Ada S. Garrett Prize Fund. The Art Institute of Chicago. S. 67: Roy and Mary Cullen Art Collection. Art © June Leaf. Encore/Magnus Resch: S. 69: Illustration: Anna Szilit / Ahaok. S. 70: Foto: Adam Golfer für BLAU. Kalender: S. 80 l. o.: Centre ENCORE 79 Pompidou, Paris. Don de la Galerie Alexandre Guillemain, 2015. © Collection Centre Pompidou, Musée national d’art moderne. Foto: Georges Meguerditchian. S. 80 l. u.: Centre Pompidou, Paris. Don de Maia Paulin, 2015. © Collection Centre Pompidou, Musée national d’art moderne. Foto: Georges Meguerditchian. S. 80 M.: Courtesy the artist and Cabinet, London. S. 80 r.: Tate. Presented by W. Graham Robertson 1940. S. 81 l. o./l. u.: © Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg. S. 81 M.: Courtesy the artist and Modern Art, London. Foto: Robert Glowacki. S. 81 r.: © Staatliche Graphische Sammlung, München. Der Augenblick: S. 82: The Museum of Modern Art. Acquired through the generosity of Shirley C. Burden. Foto: Scala Archives VG Bild-Kunst, Bonn, 2016 Leon Golub, Yves Klein, Ernst Wilhelm Nay, Kenneth Noland, Jules Olitski, Anton Räderscheidt, Thomas Scheibitz, Umbo PA E UL R R IN PI E BLAU K ALENDER — MAGNUS-APP — — A U K TI O N EN WERTSACHEN R AU K ALENDE GRAND PRIX — BL K — DER AUGENBL IC CENTRE POMPIDOU, Paris 11.05. – 22.08.2016 Rund 24 Jahre unseres Lebens schlafen wir. Durchschnittlich 7,5 Stunden am Tag sitzen wir auf dem Drehstuhl am Computer oder vor dem Fernseher. Und was noch schlimmer ist: Wir verbringen diese Zeit meist nicht auf einem Sessel des französischen Interiordesigners Pierre Paulin (1927–2009). Neben Arne Jacobsen und Verner Panton gehörte er zu den Gestaltern, die das Sitzen zu einer foto- und telegenen Lifestyle-Beschäftigung gemacht haben. Grellbunt und organisch geformt waren seine Entwürfe – mit Beinamen wie „Zunge“, „Schleife“ oder „Champignon“. Also nicht ganz das, was man bislang unter dem Oberbegriff „Stuhl“ kannte. Im allem Futuristischen zugeneigten Frankreich seiner Zeit machte sich Paulin schnell auch politische Freunde. Er richtete Georges Pompidous Privaträume im Élysée-Palast ein ebenso wie François Mitterrands Präsidialbüro. Nun wird sein Lebenswerk anhand von 70 Entwürfen gewürdigt. F300, 1967 woe THE NEW HUMAN MODERNA MUSEET, STOCKHOLM 21.05. – 04.12.2016 PAINTING WITH LIGHT CM 170, genannt „Tripode Cage“, 1964 DANTE GABRIEL ROSSETTI Proserpine, 1874 Unsere TERMINE im Mai TATE BRITAIN, LONDON 11.05. – 25.09.2016 Als die Fotografie erfunden wurde, war ein neues ED ATKINS Even Pricks, 2013 Medium hinzugeWie lange halten sich Visionäre visionär? Wie lange ist kommen, das die Malerei keinesihre Sicht auf die „Zukunft“, die sie erkunden, neu, aufregend, wahr, weil gegenwärtig? Die Ausstellung The wegs konkurrenzieren wollte. New Human im Moderna Museet in Stockholm zurrt Noch war es zur Klärung dieser Fragen an einem Ort zusammen, unvorstellbar, dass was in den vergangenen Jahren durch die vercyborgte Kunstwelt waberte: Ed Atkins, talentierter Shootingstar Knipsen und Klicken mal zur und großer Erzähler, zeigt uns in seinem Video Even Pricks von 2013, wie sehr wir von der Facebook-Tech- Laientechnik werden könnten. nologie-Denkweise durchdrungen sind. Seitdem sein Für die FotopioMenschenaffe auf dem Screen auftauchte, war er mit niere galt die Einzelausstellungen in der Tate Britain, in der Chisengleiche Professiohale Gallery, im MoMA PS1, auf der Biennale in nalität, die auch Venedig – fast also ein Alter Meister vom Atelierarbeiunserer Zukunft. Wie auch ter erwartet wurde. der gefeierte Ryan Trecartin, in Und geradeso, wie hysterisch-tiefem Ernst schon eine Weile suchend. Das Moderna sich die Fotografie am malerischen Museet bringt sie und viele andere mit Langzeitvisionären wie Blick orientierte, entdeckten auch Harun Farocki zusammen. Ein die Maler die Utopietreffen des alten und des Möglichkeiten der neuen Menschen. swka ENCORE 80 Kamera. Painting with Light macht die Wechselbeziehung an Beispielen englischer Malerei und Fotografie des 19. Jahrhunderts einmal mehr anschaulich. Rossetti, Whistler, Millais, John Singer Sargent, Margaret Cameron – all die großen Namen sind dabei. Und wenn die Maler der Präraffaeliten in antikisierende Fantasiewelten entführen, dann fotografiert Roger Fenton seine Water Carrier im exotischen Kostüm. MÜ YNGVE HOLEN Die mystische Vermählung der hl. Katharina, um 1692 PAUL GOESCH KUNSTHALLE BASEL 13.05. – 07.08.2016 SAMMLUNG PRINZHORN, HEIDELBERG 12.05. – 18.09.2016 Eine gute Ausbildung führt nicht zwingend zum Erfolg. Bevor Paul Goesch (1885–1940) seinen Lebensmittelpunkt in Nervenheilanstalten verlegte, hatte er Malerei und Architektur studiert, als Regierungsbaumeister in Berlin gearbeitet und war als expressionistischer Maler in der Avantgardeszene aktiv. Diese Umstände reichten aus, dass Hans Prinzhorn ihn aus seinem wegweisenden Buch Bildnerei der Geisteskranken (1922) ausschloss und Alfred Kubin ihn als „uninteressant“ ob seiner „unangenehm technischen ‚Ausbildung‘ “ abtat. Dass Goesch unter Nervosität litt und ab 1917 in psychiatrischen Kliniken lebte, spielte keine Rolle. Inspiriert von strengem Katholizismus, Rudolf Steiners Anthroposophie und Sigmund Freuds Psychoanalyse verlor sich Goesch in Fantasiearchitekturen, abstrakten Kompositionen und mythologischen Szenen. Er malte unermüdlich auf Packpapier und Briefumschlägen. Als einziger Künstler aus der Sammlung der Universitätsklinik Heidelberg tauchte er 1937 in der Ausstellung Entartete Kunst auf. Zehn Jahre später wurde er von Naziärzten ermordet. Goesch geriet in Vergessenheit. Zwar tauchten immer wieder Blätter in Gruppenausstellungen auf und 1977 fand in Berlin eine Einzelausstellung statt. Doch erst jetzt erhielt die Sammlung Prinzhorn 340 neue Blätter von Goeschs Familie – und der Maler selbst endlich eine RetrosOhne Titel (Sitzender), 1920 Oben: Phantastische Landschaft, pektive. gb 1917–1919 Unsere Welt wird immer technoider und wir selbst mit ihr. Konsequenterweise stellt Yngve Holen Fabrikware zu Readymades zusammen, deren Dreh- und Angelpunkt der menschliche Körper ist. Mit CT-Scannern, Waschmaschinen, Wasserkochern und Autoscheinwerfern überführt der Deutsch-Norweger, Jahrgang 1982, die Prinzipien von Pop- und Minimal Art Ha ter He a d l i ght, 20 15 in die Ära „Post-Internet“. Auch wenn er sich diesem Begriff nicht unterordnen will: Holens Skulpturen sind aalglatte Hybride aus Mensch und Maschine, Medizin und Massenproduktion. So hängt er die Front eines CT-Scanners als Relief an die Wand, überzogen mit neonfarbenen Netzstrümpfen. – Wer nicht mehr weiß, was Op-Art ist, denkt jetzt einfach an OP. Was wir im Alltag übersehen, verwandelt er in hyperdesignte Prothesen, Symbole für den Körper – gescannt, geschleust und ständig optimiert. GB ENCORE 81 JOHANN ANDREAS WOLFF Pinakothek der Moderne, München 05.05. – 17.07.2016 Er hat sich getreulich an den Kanon gehalten und seine Themen und Motive aus dem gültigen Vorrat geholt. Er hat nichts besser gemacht als seine Kollegen. Aber was Johann Andreas Wolff gemalt hat, das war exquisites Handwerk. Weshalb er in seiner Zeit einen guten Namen hatte und als Qualitätsgarant galt, wenn es um gestalterische Regie beim großen barocken Ausstattungstheater ging. So war er Hofmaler beim Kurfürsten in München, stand in Diensten des Fürstbischofs in Freising und war an zahllosen Schmuckund Illustrationsaufgaben im süddeutschen Raum beteiligt. Die vielen Spuren, die der Maler hinterlassen hat, sind in der schmalen WolffLiteratur bis heute nicht lexikalisch erfasst. Dafür erinnert jetzt – zum 300. Todestag – die Pinakothek der Moderne an den etwas vergessenen Künstler. Gerade an dem umfangreichen Zeichnungskonvolut, das die Graphische Sammlung München verwahrt, wird die Virtuosität anschaulich, mit der Wolff seine Projekte von der Skizze zu bildhafter Perfektion trieb. MÜ DER AUGENBLICK LEERE MITTE Ein Bild und seine Farbe PAUL GRAHAM Waiting Room, Poplar DHSS, East London, 1985, chromogener Farbdruck, 68 × 88 cm L ange Zeit galt das SchwarzWeiß der Fotografie als Zeichen des Dokumentarischen überhaupt. Farbe war Werbung oder Kalenderblatt, damit wollten seriöse Fotografen nichts zu tun haben. Eine jüngere Generation, in den 50er-Jahren geboren, hat das verändert. Zu ihr gehört in vorderster Linie der Engländer Paul Graham. Der Thatcherismus hatte das Land voll im Griff, als Graham durch Londoner Arbeitsämter tingelte. Man nannte so etwas damals „ein Projekt“, was bedeuten sollte, es sei kein Auftrag. Der Fotograf mit seiner Kamera war sein eigener Unternehmer. Anders als anderswo hatten die Architekten dieser behördlichen Kastenbauten immer ans E VON BL AU DI E NÄCHST E AUSG AB I 2016 ER SCHEIN T AM 28. MA CH IM NA IN DER WELT UN D DA L DE AN NH TE SCHRIF Tageslicht gedacht. Das kam dem Fotografen zugute. Mit Konturen wäre er nicht zufrieden, das Blitzlicht zu bösartig gewesen. Grahams Beobachtung richtete sich auf unwahrscheinliche Dinge in einer mehr als alltäglichen Szene: Der lackierte Sockel des Wartesaals, hoch angesetzt, in seinen Schattierungen von Braun, und dagegen die ENCORE 82 nagellackroten Bänke! Eine steile Unverträglichkeit. Wir befinden uns hier im Bereich bildlicher Strapazen und sozialer Paradoxien. Die Sitzenden zeigen mit ihren Körpern auf eine leere Mitte. Es gibt keine Akteure, nur Zuschauer, die allerdings nicht schauen. Vielleicht sollte man sie Passagiere nennen, denn der ganze Raum ist aus seiner Achse gekippt wie ein Schiff bei schwerem Wellengang. Die Uhr und der Spiegel erinnern an Bullaugen, das weiße, vertikale Fenstergitter an eine Reling. Krücken wurden rechtzeitig beiseitegestellt; ein älterer Mann fängt sich an der Schiffswand auf, die hinter ihm nachgibt. In der Tiefe des Decks grübelt ein Philosoph, wie wohl das Ganze ausgehen mag. Auf der Website von Paul Graham (www.paulgrahamarchive.com) kann man sich durch die Serie Beyond Caring klicken, sein zweites fotografisches Projekt überhaupt. Der Titel, sprachspielerisch, meint wohl zweierlei: die Grenzen der Fürsorge und das Egal-seinLassen, das Aufgeben. Was man hier fotogeschichtlich sieht, ist der Übergang von einer didaktischen Fotografie zu einer umfassenden Beschreibung. Subtext: Am britischen Arbeitsmarkt erscheint der Fotograf als ungesehener Engel der Verkündung. Die Zukunft liegt in Aufgaben, die einer sich selber stellt. ULF ERDMANN ZIEGLER S E I T 17 0 7 Lucio Fontana, Concetto spaziale, Attesa, 1967/68, Acryl auf Leinwand, 46 x 55 cm, € 600.000 – 800.000, Auktion 1. Juni Palais Dorotheum, Wien Zeitgenössische Kunst, Klassische Moderne Auktionswoche 31. Mai – 3. Juni Düsseldorf, Tel. +49-211-210 77-47 München, Tel. +49-89-244 434 73-0 www.dorotheum.com LUMINOR 1 950 8 D AYS G M T A C C I A I O - 4 4 M M ( R E F. 2 3 3 ) PA N E R A I B O U T I Q U E MÜNCHEN - MAXIMILIANSTRASSE 31 PA N E R A I . C O M • +49 (0)89 20 30 30 95