Supply Chain Risk Management in der Industrie
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Supply Chain Risk Management in der Industrie
Arbeitspapiere der FOM Die 1993 von Verbänden der Wirtschaft gegründete staatlich anerkannte gemeinnützige FOM Hochschule verfügt über 31 Studienorte in Deutschland. Als praxisorientierte Hochschule fördert die FOM den Wissenstransfer zwischen Hochschule und Unternehmen. Dabei sind alle wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge der FOM auf die Bedürfnisse von Berufstätigen zugeschnitten. Die hohe Akzeptanz der FOM zeigt sich nicht nur in der engen Zusammenarbeit mit staatlichen Hochschulen, sondern auch in zahlreichen Kooperationen mit regionalen mittelständischen Betrieben sowie mit internationalen Großkonzernen. FOM-Absolventen verfügen über solide Fachkompetenzen wie auch über Klumpp, Matthias / Marner, Torsten / Sandhaus, Gregor (Hrsg.) ild Schriftenreihe Logistikforschung Band 41 herausragende soziale Kompetenzen und sind deshalb von der Wirtschaft sehr begehrt. Weitere Informationen finden Sie unter fom.de Supply Chain Risk Management in der Industrie – am Beispiel der Metall- und Elektroindustrie Bayer, Frank / Bioly, Sascha Das Ziel des ild Institut für Logistik- & Dienstleistungsmanagement ist der konstruktive Austausch zwischen anwendungsorientierter Forschung und Betriebspraxis. Die Wissenschaftler des Instituts untersuchen nachhaltige und innovative Logistik- und Dienstleistungskonzepte unterschiedlicher Bereiche, initiieren fachbezogene Managementdiskurse und sorgen zudem für einen anwendungs- und wirtschaftsorientierten Transfer ihrer Forschungsergebnisse in die Unternehmen. So werden die wesentlichen Erkenntnisse der verschiedenen Projekte und Forschungen unter anderem in dieser Schriftenreihe Logistikforschung herausgegeben. Darüber hinaus erfolgen weitergehende Veröffentlichungen bei nationalen und internationalen Fachkonferenzen sowie in Fachpublikationen. Weitere Informationen finden Sie unter fom-ild.de ISSN 1866-0304 © 2014 by MA Akademie Verlagsund Druck-Gesellschaft mbH Leimkugelstraße 6, 45141 Essen Tel.0201 81004-351 Fax0201 81004-610 Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes ist ohne Zustimmung der MA Akademie Verlags- und DruckGesellschaft mbH unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Oft handelt es sich um gesetzlich geschützte eingetragene Warenzeichen, auch wenn sie nicht als solche gekennzeichnet sind. Bayer, Frank / Bioly, Sascha Supply Chain Risk Management in der Industrie - am Beispiel der Metall- und Elektroindustrie FOM Hochschule für Oekonomie & Management ild Institut für Logistik- & Dienstleistungsmanagement Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Mai 2014 ISSN 1866-0304 Essen Der Autor dankt Dirk Krome für Korrekturhinweise zu dieser Publikation Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie II Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................ IV Abbildungsverzeichnis .................................................................................................. V Tabellenverzeichnis ..................................................................................................... VI Abstract ...................................................................................................................... VII 1 Einleitung ............................................................................................................... 1 1.1 Hintergrund und Forschungsinteresse ............................................................ 1 1.2 Zielsetzung und Aufbau.................................................................................. 3 2 Definitorische Abgrenzung ..................................................................................... 5 2.1 Risikobegriff und Risikomanagement ............................................................. 5 2.2 Supply Chain und damit verbundene Risiken ................................................. 6 2.3 Supply Chain Risk Management .................................................................... 9 3 Grundlagen des Supply Chain Risk Managements .............................................. 12 3.1 Verwundbarkeitstreiber in der Supply Chain ................................................. 12 3.2 Richtlinien für ein standardisiertes Risikomanagement ................................. 14 3.3 Idealtypischer Supply Chain Risk Management Prozess .............................. 15 4 Identifizierung von Supply Chain Risiken ............................................................. 18 4.1 Ausgewählte Methoden zur Identifikation von Supply Chain Risiken ............ 19 4.1.1 Kreativ-intuitive Techniken .......................................................................... 19 4.1.2 Analytisch-strukturierte Techniken .............................................................. 21 4.1.3 Spezielle Techniken mit Supply Chain Charakter ....................................... 22 4.2 Risikoarten in der Supply Chain ................................................................... 23 4.2.1 Systematisierung ......................................................................................... 23 4.2.2 Exogene Risiken.......................................................................................... 26 4.2.3 Endogene Risiken ....................................................................................... 28 4.2.3.1 Unternehmensübergreifende Risiken ..................................... 28 4.2.3.2 Unternehmensbezogene Risiken ............................................ 30 5 Bewertung von Supply Chain Risiken .................................................................. 32 5.1 Quantitative Methoden ................................................................................. 33 5.1.1 Value at Risk................................................................................................ 33 5.1.2 Sensitivitätsanalyse ..................................................................................... 33 5.1.3 Risikosimulation ........................................................................................... 34 5.2 Semi-Quantitative Methoden ........................................................................ 35 5.2.1 Fehler- und Ereignisbaumanalyse .............................................................. 35 5.2.2 Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse .................................................... 36 5.2.3 Scoring-Modelle ........................................................................................... 39 5.3 Qualitative Methoden ................................................................................... 40 Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie III 5.3.1 Risikoklassifizierung .................................................................................... 40 5.3.2 Szenarioanalyse .......................................................................................... 42 5.3.3 Risikoportfolio .............................................................................................. 42 6 Steuerung von Supply Chain Risiken ................................................................... 45 6.1 Ursachenbezogene Steuerungsmaßnahmen ............................................... 46 6.1.1 Risikovermeidung ........................................................................................ 46 6.1.2 Risikoverminderung ..................................................................................... 47 6.2 Wirkungsbezogene Steuerungsmaßnahmen ................................................ 50 6.2.1 Risikobegrenzung / Risikoübertragung ....................................................... 50 6.2.2 Risikoteilung ................................................................................................ 52 6.2.3 Selbsttragung des Risikos ........................................................................... 53 7 Supply Chain Risiken am Beispiel der Metall- und Elektroindustrie ...................... 55 7.1 Vorstellung des betrachteten Unternehmens ................................................ 55 7.2 Aluminiumbänder und damit verbundene SC Risiken ................................... 56 7.2.1 Betrachtungsgegenstand ............................................................................ 56 7.2.2 Methodische Vorgehensweise .................................................................... 57 7.2.3 Ergebnisse aus der Know-how Träger Befragung ...................................... 57 7.2.4 Gewonnene Erkenntnisse und mögliche Steuerungsmaßnahmen ............ 61 8 Fazit ..................................................................................................................... 64 Anhang und Anlagen .................................................................................................. 66 Literaturverzeichnis ..................................................................................................... 71 Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie Abkürzungsverzeichnis ABWL ........ Allgemeine Betriebswirtschaftslehre Al ............... Aluminium B2B ............ Business to Business BCP ........... Business Continuity Plan COSO ........ Committee of Sponsoring Organizations of the Treadway Commission DDP ........... Delivered Duty Paid EN ............. Europäische Norm ERP ........... Enterprise Resource Planning ETA ........... Event Tree Analysis FIFO .......... First In, First Out FMEA ........ Failure Mode Effect Analysis FTA ............ Fault Tree Analysis HP ............. Hewlett Packard Incoterms ... International Commercial Terms KMU .......... Kleine und mittlere Unternehmen KonTraG .... Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich KPI ............. Key Performance Indicator LCP ........... Lean, Clark and Peacock QM ............. Qualitätsmanagement RFID .......... Radio-frequency identification RPZ ........... Risikoprioritätszahl RWE .......... Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk SAP ........... Systeme Anwendungen Produkte SC ............. Supply Chain SCM .......... Supply Chain Management SCRLC ...... Supply Chain Risk Leadership Council SCRM ........ Supply Chain Risk Management SCRMP ..... Supply Chain Risk Management Process TQM .......... Total Quality Management unt. bez. ..... unternehmensbezogene VaR ........... Value at Risk IV Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie V Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: SCRM als Schnittstelle von SCM und Risikomanagement ....................... 9 Abbildung 2: SCRM Prozess von Interos .................................................................... 17 Abbildung 3: Kategorisierung von Supply Chain Risiken nach Entstehungsorten ....... 26 Abbildung 4: Beispiel für ein Risikoportfolio mit einer 6 x 6 Matrix ............................... 43 Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie VI Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Beispiel für ein FMEA Formular .................................................................. 38 Tabelle 2: Risikoklassifizierung nach Tummala und Schoenherr................................. 41 Tabelle 3: TOP 15 Supply Chain Risiken für beschichtete Al-Bänder.......................... 60 Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie VII Abstract Today industrial enterprises are confronted with an increasing trend to focus on their core capabilities. By outsourcing certain activities to logistics providers or suppliers a company has the possibility to create a lean organization and decrease fixed costs. As a result supply chains gain complexity and the dependency on third parties rises which bears new risks for the functionality of the value network. While in the past only risks connected to internal processes were analyzed a contemporary approach is pursuing the theory that risks can move along supply chains and influence the operations of multiple supply chain partners. Because of that Supply Chain Risk Management was introduced as a new academic discipline that deals with the identification, evaluation and mitigation of such risk factors. The present working paper explains the theoretical background of Supply Chain Risk Management and transfers the findings to a company belonging. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 1 Einleitung 1.1 Hintergrund und Forschungsinteresse 1 Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Analyse des Forschungsfeldes Supply Chain Risk Management, um das Verständnis für den eigenen Umgang mit Risiken innerhalb eines Wertschöpfungsnetzwerks zu schärfen und gewonnene Erkenntnisse später in der Praxis nutzen zu können (Verständnisinteresse). Konkret wird der Supply Chain Risk Management Prozess thematisiert, mit dessen Hilfe potenzielle Risikofaktoren innerhalb einer Wertschöpfungskette aufgedeckt, kategorisiert und bewertet werden können, um im Anschluss Steuerungsmaßnahmen abzuleiten. Die Notwendigkeit und Relevanz von SCRM im Wirtschaftsumfeld ist aus verschiedenen Gründen gegeben: In der heutigen Zeit sind Lieferketten zunehmend komplexer strukturiert. Bedingt durch den Trend zur Konzentration auf die eigenen Kernkompetenzen mittels Outsourcing ganzer Unternehmensbereiche, wird die Leistungstiefe kontinuierlich reduziert, während die Bedeutung der Zulieferer wächst. Daraus resultiert eine immer feinere Aufteilung der Wertschöpfung auf mehrere unterschiedlich ausgerichtete Unternehmen.1 Als Gründe für diese Entwicklung lassen sich insbesondere die Entwicklungen in Politik und Weltwirtschaft seit Beginn der 80er Jahre anführen. Dazu zählen unter anderem die Globalisierung, die Verkürzung der Produktionszyklen, die Implementierung von Just-in-time Konzepten, aber auch die Fokussierung auf die Maximierung des Shareholder Value börsennotierter Unternehmen inklusive der daraus entstandenen betriebswirtschaftlichen Konsequenzen, wie zum Beispiel der Reduzierung von Anlagevermögen. Um diesen Umständen gerecht zu werden, sehen sich Unternehmen in der Pflicht die eigene Lieferkette stetig zu analysieren und nach Optimierungspotenzial zu suchen. Das Resultat ist ein hochkomplexes Wertschöpfungssystem in dem jeder Lieferant eigene Unterlieferanten unterhält, die auch ihrerseits einen individuellen Lieferantenstamm führen. Des Weiteren treibt die Übernahme von Transport-, Umschlagund Lagerprozessen durch entsprechend spezialisierte Dienstleister die Verzahnung und Verschachtelung der Lieferkette voran.2 Die angesprochene Entwicklung lässt sich am Beispiel der Automobilindustrie verdeutlichen: Im Rahmen einer Studie des Lehrstuhls für ABWL und Logistik der Universität Marburg zur Analyse der HerstellerZulieferer-Beziehung im Automobilsektor wurden die Einkaufs- und Logistikleiter von 28 der 38 weltweit existierenden Produktionsstätten für Oberklassefahrzeuge der Kon- 1 2 Vgl. Gausmann, O. (2008), S. 1. Vgl. Siebrandt, M. (2010), S. 6. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 2 zerne BMW (inklusive der Marken BMW und Mini), Daimler-Chrysler (inklusive Mercedes-Benz und Smart), sowie Volkswagen (inklusive VW, Skoda, Bentley, Audi, Seat und Lamborghini) hinsichtlich der eigenen Fertigungstiefe im Zeitablauf befragt.3 In den Jahren 1998 bis 2003 reduzierte sich die Fertigungstiefe bei den aufgeführten Herstellern von 30,95 % auf 30,69 %. 2008 konnte eine weitere Abnahme auf 29,66 % festgestellt werden. Laut Expertenmeinung wird sich die Fertigungstiefe in diesem Segment auf mittlere Sicht im Bereich zwischen 25 % und 30 % bewegen. Insgesamt 76,92 % und damit eine deutliche Mehrheit der untersuchten Werke wies 2003 (verglichen mit 1998) eine niedrigere oder konstante Fertigungstiefe auf.4 Auch die Zahlen des Verbands der Automobilindustrie verdeutlichen den Trend, zumal das Verhältnis der eigenen Produktionsleistung an der insgesamt erforderlichen Wertschöpfung der gesamten Branche Anfang der 1980er Jahre noch zwischen 35 % und 40 % lag, vor der Jahrtausendwende jedoch erstmals auf einen Wert unterhalb von 25 % sank.5 Die daraus resultierende Zunahme der Abhängigkeit von Vorlieferanten, aber auch die Verstärkung der Internationalisierung des Wertschöpfungsnetzwerks, der Abbau von Sicherheitsbeständen zur Reduktion des Working Capitals oder auch zunehmende Outsourcingaktivitäten der Unternehmen bedingen eine steigende Anfälligkeit gegenüber Risiken innerhalb des Wertschöpfungsnetzwerks. Während früher die Risikobetrachtung den Fokus auf unternehmensinterne Prozesse legte, wurde in den letzten Jahren die Erkenntnis gewonnen, dass sich Risiken entlang einer Supply Chain durch eine Kettenreaktion fortsetzen und Einfluss auf die Geschäftstätigkeit mehrerer Supply Chain Partner haben können. Als Antwort auf diesen Lernprozess entwickelte sich in den vergangenen Jahren das Supply Chain Risk Management als eigene Forschungsdisziplin und vereinigt Elemente des Supply Chain Management mit Elementen des Risikomanagement.6 Als Ursache für die jüngste Diskussion über SCRM und zur Verdeutlichung von dessen Relevanz können Ereignisse, wie die Erdbeben- und Tsunamikatastrophe in Japan Anfang 2011 angeführt werden. Speziell die Produktion von Elektronikteilen für die Automobilindustrie war in diesem Zusammenhang betroffen. So meldete Opel in Deutschland vorübergehend einen Produktionsstopp, da Hitachi Automotive Systems, ein Lieferant für Sensoren zur Luftstrommessung, aufgrund eines Bandstillstands nicht liefern konnte.7 3 4 5 6 7 uni-marburg.de (2012), 10. Jan. 2012. Vgl. Göpfert, I. (2009), S. 135. Vgl. Klug, F. (2010), S. 44. Vgl. Böger, M. (2010), S. 1. marktundmittelstand.de (2012), 10. Jan. 2012. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 3 In zahlreichen deutschen Unternehmen wird SCRM jedoch noch nicht praktiziert. So befragte die Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers im Rahmen der Studie Krise. Risiko. Management circa 500 Unternehmen aus verschiedenen Branchen, wie der Automobil- und Pharmaindustrie, hinsichtlich der Entwicklung des eigenen Risikomanagements ein Jahr nach Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise. Zwar gaben 60 % der Betriebe an eine Anpassung der Strategie zu planen oder diese bereits umgesetzt zu haben, allerdings konnte lediglich ein Drittel der Unternehmen außerhalb der Finanzbranche überhaupt eine dokumentierte Risikostrategie vorweisen. Weiterhin zeigte eine Umfrage der Fachzeitschrift Logistik Heute, dass von 200 Supply Chain Verantwortlichen nur 22,8 % nach eigener Aussage einen ausreichenden Informationsstand über die vorhandenen Supply Chain Risiken haben. Nur 7 % der Befragten gaben vor die Risiken exakt, mit einem Anteil zwischen 90 % und 100 %, zu kennen.8 Die vorliegende Arbeit thematisiert die Grundlagen des SCRM und stellt den klassischen Ablauf des Supply Chain Risk Management Prozesses dar. Die Analyse zeigt, wie Supply Chain Risiken identifiziert und kategorisiert werden, wie eine Risikobewertung aussieht und welche Möglichkeiten für eine effiziente Risikosteuerung existieren. Am Praxisbeispiel eines Unternehmens der Metall- und Elektroindustrie werden potentielle Supply Chain Risiken für beschichtete Aluminiumbänder identifiziert und analysiert. Dazu werden die im theoretischen Teil der Arbeit gewonnenen Erkenntnisse herangezogen und angewendet. 1.2 Zielsetzung und Aufbau Ziel der Arbeit ist, die theoretischen Grundlagen von SCRM darzustellen. Neben der definitorischen Abgrenzung des Supply Chain- und Risikobegriffs werden auch die unterschiedlichen Ausprägungen von SCRM genauer erläutert (Kapitel 2). Basisinformationen über SCRM, wie zum Beispiel potenzielle Verwundbarkeitstreiber von Supply Chains oder vorhandene Richtlinien und Regelwerke werden in Kapitel 3 thematisiert. In diesem Zusammenhang wird auch der idealtypische Supply Chain Risk Management Prozess dargestellt, wie er in der Literatur vorzufinden ist. Dieser Punkt bildet auch gleichzeitig die Grundlage für die folgenden Kapitel 4 bis 6. Hier erfolgt eine detaillierte Analyse der einzelnen Phasen des SCRM Prozesses, bestehend aus der Identifikation von Supply Chain Risiken (Kapitel 4), deren Bewertung (Kapitel 5) und deren Steuerung (Kapitel 6). Anhand der ausgearbeiteten Grundlagen erfolgt in Kapitel 7 ein Praxistransfer auf einen Betrieb der metallverarbeitenden Industrie. Konkret wer- 8 Vgl. Kiewitt, A. (2010), S. 50. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 4 den für die Materialart der beschichteten Aluminiumbänder typische Supply Chain Risiken ermittelt und im Hinblick auf Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkung auf das Unternehmen analysiert. Zu diesem Zweck werden ausgewählte Mitarbeiter aus entsprechenden Funktionsbereichen mittels standardisiertem Fragebogen befragt. Durch Erstellung einer Risikomatrix werden die gewonnenen Erkenntnisse zur Einschätzung der Supply Chain Risiken für das untersuchte Material visualisiert. Davon ausgehend werden Handlungsempfehlungen und Steuerungsmaßnahmen für relevante Risikopositionen abgeleitet beziehungsweise auf bereits existierende Maßnahmen zur Reduzierung von Supply Chain Risiken innerhalb des Unternehmens verwiesen. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 2 Definitorische Abgrenzung 2.1 Risikobegriff und Risikomanagement 5 Die Auseinandersetzung mit Risiken ist als zentrale Aufgabe im Rahmen der unternehmerischen Geschäftstätigkeit anzusehen. Häufig erfolgt im umgangssprachlichen Gebrauch eine Gleichsetzung mit dem Begriff Gefahr. Im weiteren Sinne kann ein Risiko, jedoch auch als Chance eingestuft werden.9 Festzuhalten ist, dass für den Risikobegriff zahlreiche verschiedene Definitionen existieren. Von einer Risikosituation kann dann gesprochen werden, wenn vor dem Treffen einer Entscheidung subjektive oder objektive Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten einer bestimmten Sachlage vorhanden sind. Im Gegensatz dazu ist von Unsicherheit die Rede, sofern keine Anhaltspunkte in Form von konkreten Erwartungen oder Wahrscheinlichkeiten vorliegen.10 Häufig wird zwischen zwei Interpretationen des Risikobegriffs unterschieden, wobei diese eng miteinander verbunden sind: Die ursachenbezogene Betrachtungsweise stellt den Grund des Risikos und damit die Unvollkommenheit von Informationen im Rahmen unternehmerischer Entscheidungen in den Vordergrund. Dagegen beschäftigt sich die wirkungsbezogene Sichtweise mit der potenziellen Konsequenz eines Risikos, die eine Abweichung vom ursprünglichen Ziel darstellt. Kombiniert man beide Interpretationen, so lassen sich Risiken als zukünftige Entwicklungen und Geschehnisse verstehen, die aufgrund von unvollständigen Informationen die Verfehlung von Zielen nach sich ziehen können.11 Da Risiken häufig neutral als Abweichungen von einem erwarteten Ergebnis definiert werden, sind nicht nur negative, sondern auch positive Veränderungen der Ausgangssituation von der Interpretation eingeschlossen, auch wenn Entscheidungsträger Risiken oftmals nur mit einer negativen Ausprägung in Verbindung bringen.12 Der enge Zusammenhang zwischen ursachen- und wirkungsbezogener Ebene kann auch anhand der mathematischen Interpretation des Risikobegriffs festgestellt werden, welche eine Intensitäts- und eine Quantitätsdimension umfasst. Dabei stellt die Intensitätsseite die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Verlustes dar (Ursachenbezogenheit), während die Quantitätsseite sich mit Art und Höhe des Verlustes auseinandersetzt (Wirkungsbezogenheit). Demnach basiert die Messung eines Risikos auf dessen Eintrittswahrscheinlichkeit und der Zielabweichung und wird durch Multiplikation der beiden Komponenten konkretisiert.13 9 10 11 12 13 Vgl. Rehner, J., Neumair, S.-M. (2009), S. 27. Vgl. Wels, A. (2008), S. 7. Vgl. Kajüter, P. (2007), S. 13. Vgl. Wels, A. (2008), S. 7. Vgl. Meierbeck, R. (2010), S. 18. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 6 Unter Risikomanagement versteht man die Identifikation, Bewertung, Steuerung und Kontrolle von Risiken, sowie die dazugehörige Kommunikation. Leitfaden für die genannten Aufgaben ist eine Risikostrategie, welche allgemeine Vorschriften zur Auseinandersetzung mit Risiken innerhalb des Unternehmens enthält. Damit Risikomanagement erfolgreich praktiziert werden kann, muss es dauerhaft in die existierenden Planungs- und Kontrollprozesse integriert sein.14 Die Risikostrategie, welche die Basis für alle Risikomanagementaktivitäten bildet, wird aus der Unternehmensstrategie und den allgemeinen Unternehmenszielen abgeleitet. Eine Unterscheidung kann zwischen Risikomanagement im engeren Sinn (spezielles Risikomanagement) und Risikomanagement im weiteren Sinn (generelles Risikomanagement) getroffen werden. Dabei wurde die erste Sichtweise insbesondere Mitte des 20. Jahrhunderts in den USA geprägt und beschäftigt sich mit dem Management von versicherbaren Risiken, wie zum Beispiel Diebstahl oder Bränden. Ziel des speziellen Risikomanagements ist die Optimierung der Versicherungsleistungen und der in diesem Zusammenhang anfallenden Prämien. Diese Aufgabe wurde in vielen Unternehmen von entsprechend ausgerichteten Abteilungen oder einzelnen Risk Managern übernommen. Im Gegensatz dazu versteht man unter Risikomanagement im weiteren Sinne die Einbeziehung von Risikoüberlegungen in die Unternehmensführung. Dabei werden nicht einzelne Risiken in den Vordergrund gestellt, sondern es werden verschiedene Risiken aus allen Funktionsbereichen des Unternehmens analysiert.15 Zu den zentralen Aufgaben des Risikomanagements zählen die Etablierung eines Risikobewusstseins bzw. einer Risikokultur innerhalb der Unternehmensorganisation, die Überwachung von Risiken und Prozessen, sowie der Risikomanagement Prozess, welcher sich mit Identifikation, Beurteilung und Steuerung der Risiken beschäftigt.16 Aufgrund des ständigen Wandels der Umweltbedingungen besteht die Notwendigkeit, dass auch das Risikomanagementsystem kontinuierlich weiterentwickelt wird. Die Beherrschbarkeit von gegenwärtigen, aber auch zukünftigen Risiken muss gewährleistet sein. Dies ist nur möglich, wenn im Unternehmen Maßnahmen und Richtlinien vorhanden sind, aus denen hervorgeht, wie identifizierte Risiken zu behandeln sind.17 2.2 Supply Chain und damit verbundene Risiken Die Schwierigkeit bei der Definition des Begriffs Supply Chain besteht darin, dass zahlreiche verschiedene Erklärungsansätze existieren, die sich zwar nicht gegenseitig aus- 14 15 16 17 Vgl. Kajüter, P. (2007), S. 15. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 13-14. Vgl. Gladen, W. (2011), S. 308. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 14. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 7 schließen, aber jeweils unterschiedliche Perspektiven einnehmen. Eine allgemeine Definition stammt von Martin Christopher, Professor für Marketing und Logistik an der Cranfield School of Management,18 und beschreibt Supply Chains als Netzwerk von Organisationen, die an den verschiedenen Wertschöpfungsprozessen zur Erstellung von Produkten und Dienstleistungen im Sinne des Endkunden beteiligt sind und stromauf- (über Beschaffungskanäle) beziehungsweise stromabwärts (über Absatzkanäle) miteinander interagieren. Aktuelle Studien empfehlen aufgrund der zunehmenden Bedeutung von Kommunikations- und Informationstechnologie neben Materialflüssen auch Informations- und Finanzflüsse mit in die Supply Chain Definition aufzunehmen.19 Das Supply Chain Council, eine international operierende Nonprofit-Organisation, die sich mit der Entwicklung von Industrienormen und Empfehlungen zur Verbesserung der Lieferketteneffizienz in der Praxis beschäftigt,20 definiert den Begriff Supply Chain in leicht unterschiedlicher Weise wie folgt: Die Supply Chain umfasst sämtliche Leistungen, die im Zusammenhang mit der Erstellung und Lieferung eines fertigen Produkts oder einer Dienstleistung anfallen, und zwar vom Vorlieferanten des Lieferanten bis zum Kunden des Kunden.21 Die mit den Waren-, Informations- und Geldflüssen verbundene prozessorientierte Planung und Steuerung entlang der Wertschöpfungskette wird als Supply Chain Management bezeichnet. Damit verbunden sind Ziele, wie die Reduzierung von Lagerbeständen auf allen Stufen der Wertschöpfungskette, die Fokussierung auf den Kunden, die Realisierung einer bedarfsgerechten und anpassungsfähigen Fertigung, sowie die Abstimmung von Bedarfs- und Versorgungssituation.22 SCM ist eine komplexe Disziplin, die von einer Vielzahl verschiedener Risiken begleitet wird. Diese reichen von marginalen Verzögerungen bis zur vollkommenen Zerstörung der Lieferkette. Selbst geringfügige Probleme eines einzelnen Mitglieds der Lieferkette können erhebliche Konsequenzen für alle anderen Beteiligten nach sich ziehen. Auch wenn ein Risiko von den verschiedenen Mitgliedern einer Supply Chain als irrelevant erachtet wird, kann sich der kumulative Effekt über die Vielzahl an Stationen der Lieferkette deutlich bemerkbar machen.23 Für den Begriff des Supply Chain Risikos existieren wenige konkrete Definitionen. Einem Erklärungsansatz der Autoren Jüttner, Peck und Christopher zufolge fallen unter den Terminus sämtliche Risiken mit Bezug auf den Materialfluss vom Originalteilezulieferer bis hin zur Auslieferung des Endprodukts an 18 19 20 21 22 23 martin-christopher.info (2012), 23. Apr. 2012. Vgl. Brindley, C., Ritchie, B. (2004), S. 5. Vgl. Hoffmann, A. (2006), S. 133. Vgl. Ziegenbein, A. (2007), S. 8. Vgl. Kuhn, A., Hellingrath, H. (2002), S. 10. Vgl. Waters, D. (2007), S. 49. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 8 den Endkunden. Supply Chain Risiken verkörpern laut dieser Sichtweise die Möglichkeit des Eintritts von Diskrepanzen zwischen Angebot und Nachfrage und deren Auswirkungen. Deren Quelle wird in umweltbedingten, organisatorischen und lieferkettenbezogenen Variablen gesehen, die nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden können und einen Einfluss auf die Ergebnisvariable der Supply Chain haben. Als mögliche Ergebnisvariablen und somit Risikokonsequenzen kommen zum Beispiel anfallende Kosten oder Beeinträchtigungen der Produktqualität in Frage.24 Norrman und Lindroth verbinden Supply Chain Risiken mit den Logistikaktivitäten, die im Zusammenhang mit dem Material- und Informationsfluss eines Unternehmens anfallen. Somit sind Supply Chain Risiken nur als Teilmenge der existierenden Unternehmensrisiken anzusehen. Die Autoren betonen in ihrem Erklärungsansatz, dass sich die Betrachtung von Supply Chain Risiken nicht auf das eigene Unternehmen erstreckt, sondern auch auf den Kunden, die Lieferanten und deren Vorlieferanten.25 Beide Definitionen haben gemein, dass sie die unternehmensübergreifende Perspektive von Supply Chain Risiken betonen und diese explizit auf den Wertschöpfungsprozess in Form von Material- und Informationsfluss beziehen. Eine klare Abgrenzung muss zum Begriff des Beschaffungsrisikos erfolgen, dass lediglich Risiken im Hinblick auf die Einkaufsaktivitäten eines Unternehmens betrachtet und nicht die Gesamtheit der Lieferkette thematisiert.26 Supply Chain Risiken lassen sich zum einen in ihre Ursache und zum anderen in ihre Auswirkung untergliedern: Abhängig davon, ob die Risikoursache innerhalb des Unternehmens selbst oder in dessen Umwelt identifiziert wird, unterscheidet man traditionell zwischen innerbetrieblichen oder systeminhärenten (endogenen) und außerbetrieblichen (exogenen) Risiken.27 Negative Folgen, die aus Störungen der Supply Chain resultieren, bezeichnet man als Risikowirkungen. Diese machen sich durch Abweichungen bei der Verfolgung von SCM Zielen wie Qualität, Lieferzuverlässigkeit, Flexibilität und Kosten bemerkbar. Eine zusammenfassende Definition für Supply Chain Risiken unter Berücksichtigung der aufgeführten Aspekte liefert Ziegenbein: „Supply Chain Risiken sind potenzielle Störungen in der unternehmensübergreifenden Logistik (hervorgerufen durch systeminhärente oder externe Ursachen), die eine negative Abweichung von den Zielen des Logistiknetzwerks zur Folge haben.“28 24 25 26 27 28 Vgl. Ziegenbein, A. (2007), S. 22. Vgl. Norrman, A., Lindroth, R. (2004), S. 20. Vgl. Ziegenbein, A. (2007), S. 22. Vgl. Götze, U., Mikus, B. (2007), S. 35. Ziegenbein, A. (2007), S. 22. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 2.3 9 Supply Chain Risk Management Supply Chain Risk Management erweist sich als ein eher junges Forschungsfeld. So wurden im Rahmen einer Studie insgesamt 80 wissenschaftliche Artikel aus Fachzeitschriften zum Thema SCRM ausgewertet, wobei festgestellt werden konnte, dass die ältesten beiden Artikel auf die Jahre 1983 und 1987 datiert waren. Alle anderen untersuchten Texte entstammten dem Zeitraum 1995 bis 2003, wobei eine signifikante Zunahme der Anzahl an Fachpublikationen pro Jahr erst ab 1999 festgestellt werden konnte. Weiterhin fällt auf, dass SCRM eine stark von britischen und amerikanischen Autoren geprägte Forschungsdisziplin ist. So lagen den 80 untersuchten Fachartikeln insgesamt 150 Beiträge aus verschiedenen Ländern zugrunde, wobei circa 63 % der Beiträge aus den USA oder Großbritannien stammten.29 Im Grundsatz versteht sich SCRM als proaktiver Ansatz für das Management von Risiken mit Bezug auf die Lieferkette, um das Potenzial von unerwünschten Konsequenzen vorausschauend zu minimieren.30 Es kann als Schnittstelle der beiden Disziplinen Risikomanagement und Supply Chain Management verstanden werden.31 Abbildung 1: SCRM als Schnittstelle von SCM und Risikomanagement Supply Chain RisikoSCRM Management management Quelle: In Anlehnung an: Paulsson, U. (2004), S. 80. Generell existieren nur wenige klare Definitionen des Begriffs Supply Chain Risk Management. Ein Ansatz von Martin Christopher sieht in SCRM das Management von 29 30 31 Vgl. Paulsson, U. (2004), S. 81 – 87. Vgl. Ritchie, B., Brindley, C. (2009), S. 16. Vgl. Paulsson, U. (2004), S. 80. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 10 externen und Supply Chain Risiken mittels eines koordinierten Ansatzes zwischen den Beteiligten der Supply Chain, um die Verletzlichkeit der Supply Chain als Ganzes zu reduzieren. Norrman und Lindroth verstehen unter SCRM die gemeinschaftliche Anwendung von Risikomanagementpraktiken von allen Mitgliedern der Supply Chain, um Risiken und Ungewissheiten zu begegnen, die durch Aktivitäten oder Ressourcen aus dem Logistikbereich verursacht werden oder einen Einfluss auf diese haben.32 Paulsson erweitert diesen Erklärungsansatz um den Aspekt, dass von SCRM auch dann gesprochen wird, sofern bereits ein einziges Unternehmen oder ein Mitglied der Supply Chain entsprechendes Risikomanagement mit Bezug auf die Lieferkette betreibt. SCRM kann also auch in Eigenregie betrieben werden und ist nicht abhängig von der Zusammenarbeit mehrerer Unternehmen.33 Abhängig von der Betrachtungsebene lassen sich verschiedene Typen des Risikomanagements in der Supply Chain unterscheiden. So können Supply Chain Risiken zum einen auf der Ebene eines einzelnen Unternehmens auftreten und zum anderen im unternehmensübergreifenden Kontext.34 Im ersten Fall spricht man von Risikomanagement mit Supply Chain Orientierung, im zweiten Fall lässt sich eine erneute Differenzierung in dyadisches35 und netzwerkweites SCRM vornehmen. Risikomanagement mit Supply Chain Orientierung ist Bestandteil der allgemeinen Risikomanagementaktivitäten eines Unternehmens. Im Fokus stehen zwar auch Supply Chain relevante Risiken, jedoch nur bezogen auf ein einzelnes Unternehmen, was dazu führt, dass die Kooperationsintensität mit anderen Partnern als gering anzusehen ist. Weder erfolgt ein Austausch über Risikoinformationen mit den Supply Chain Partnern, noch spielen gemeinsame Ziele und Planungsprozesse eine Rolle. Das dyadische SCRM ist dagegen ein kooperativer Ansatz bei denen eine Zusammenarbeit mit einzelnen vor- und nachgelagerten Mitgliedern der Supply Chain erfolgt. Dennoch stehen in erster Linie die Risikokonsequenzen für das eigene Unternehmen im Vordergrund. Es erfolgt ein Informationsaustausch zwischen den Partnern, was ein Indiz für eine von Vertrauen geprägte Beziehungsebene ist. Das dyadische SCRM hat geringe Praxisrelevanz, da Unternehmen in den meisten Fällen nur einseitige Vorschriften verwenden, um ihren Lieferanten aufzuzeigen welche Kriterien deren Risikomanagement erfüllen muss, damit eine Zusammenarbeit stattfinden kann. Netzwerkweites SCRM ist nicht auf einzelne Beziehungen zu Mitgliedern der Supply Chain beschränkt, sondern fokussiert die gesamte Lieferkette. Es erfolgt eine Kooperation sämtlicher Unterneh32 33 34 35 Vgl. Norrman, A., Lindroth, R. (2004), S. 14. Vgl. Paulsson, U. (2004), S. 80. Vgl. Steven, M., Pollmeier, I. (2007), S. 275. Dyadisch: Paarweise, sich auf ein Paar beziehend. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 11 men, die an der Wertschöpfungskette beteiligt sind. Da ein regelmäßiger Transfer von Informationen und die Verfolgung einer gemeinsamen Zielsetzung notwendig sind, um den Erfolg dieses Ansatzes zu gewährleisten, macht es Sinn ein unternehmensübergreifendes Gremium, bestehend aus Delegierten aller Supply Chain Unternehmen zu bilden, um die Koordination der Vorgehensweise zu vereinfachen. Die Entscheidung für einen der drei aufgeführten Ansätze richtet sich nach der Kooperationsintensität der Partner und dem Stellenwert des eigenen Unternehmens in der Supply Chain.36 36 Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 28 – 29. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 3 Grundlagen des Supply Chain Risk Managements 3.1 Verwundbarkeitstreiber in der Supply Chain 12 Die negativen Konsequenzen, mit denen ein Unternehmen im Zuge eines eintreffenden Supply Chain Risikos konfrontiert wird, hängen zum einen von den Merkmalen des Risikoereignisses und zum anderen vom Design der Supply Chain ab. Beide Parameter haben einen wesentlichen Einfluss auf die sogenannte Verwundbarkeit der Wertschöpfungskette.37 Dieses Phänomen wird von Christopher und Peck als „exposure to serious disturbance, arising from risks within the supply chain as well as risks external to the supply chain“38 beschrieben und setzt Verwundbarkeit mit der Gefährdung einer Supply Chain gegenüber ernsthaften Störungen gleich. Svensson unterscheidet dagegen zwischen atomistischer Verwundbarkeit (atomistic vulnerability), die sich auf einen Teil der Supply Chain beschränkt und ganzheitlicher Verwundbarkeit (holistic vulnerability), die für das Gesamtkonstrukt der Supply Chain gilt.39 Das folgende Beispiel verdeutlicht die Verwundbarkeit von Supply Chains in der Praxis: Bedingt durch ein Unwetter im März 2000 wurde ein Brand in der Fabrik des Chip Herstellers Philips am Standort Albuquerque (New Mexico) ausgelöst. Zwar wurde das Feuer innerhalb kurzer Zeit durch die automatische Sprinkleranlage gelöscht, dennoch wurden tausende Chips aus der laufenden Fertigung zerstört. Neben massiven Wasserschäden durch die Sprinkleranlage wurden außerdem Millionen von Chips aus dem Lagerbestand mit Rauchpartikeln verunreinigt. Die schwedische Firma Ericsson, die bereits seit Jahren an der Steigerung der Effizienz ihrer Supply Chain gearbeitet hatte, setzte zur damaligen Zeit massiv auf Single Sourcing, als Schlüsselelement der Beschaffungsstrategie. Daher war der Philips Standort in Albuquerque alleiniger Lieferant für verschiedene RFID Chips. Aufgrund von Andeutungen seitens Philips, dass die Produktionskapazität innerhalb weniger Wochen wieder auf das normale Level zurückgebracht werden könnte, wurden von Ericsson keine weiteren Maßnahmen eingeleitet. In der Folge stellte sich heraus, dass Philips die Produktion für drei Wochen komplett schließen musste und sechs Monate benötigte, um den Ausstoß auf die Hälfte des ursprünglichen Levels zurückzubringen. Mangels alternativer Beschaffungsquellen fehlten bei einer boomenden Verkaufsphase im Mobiltelefonsektor Millionen von Chips, was bei Ericsson zu Verlusten von mehr als 400 Millionen US $ führte. Nach Bekanntmachung dieser Zahl fiel der Aktienwert des Unternehmens innerhalb weniger Stunden 37 38 39 Vgl. Wagner, S., Bode, C. (2007), S. 66. Christopher, M. (2005), S. 234. Vgl. Wagner, S., Bode, C. (2009), S. 278. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 13 um 14 %. Das Konkurrenzunternehmen Nokia, welches ebenfalls Chips über Philips in New Mexico bezog, reagierte auf die Ereignisse wesentlich schneller. Aufgrund von negativen Erfahrungen mit Supply Chain Unterbrechungen in den 1990 er Jahren, wurde als Konsequenz ein Supply Chain Troubleshooter ernannt, der sich intensiv mit Supply Chain Risiken beschäftigte und sich speziell mit der Vermeidung von Single Sourcing Situationen auseinandersetzte. So wurde bereits wenige Stunden nach Bekanntwerden des Brandes ein Spezialistenteam gebildet, dass Druck auf Philips ausübte, mit dem Ziel die Produktion der eigens benötigten Chips an andere Standorte auszulagern. Auch wurde ein Redesign verschiedener Chips durchgeführt, so dass andere Hersteller in der Lage waren, die Komponenten für Nokia herzustellen. Dies resultierte darin, dass Nokia im Vergleich zu Ericsson kaum spürbar durch den Brand in Albuquerque betroffen war.40 Die Verwundbarkeit einer Supply Chain hängt von zahlreichen Faktoren ab. In der Vergangenheit waren Unternehmen verstärkt gezwungen ihre Geschäftsmodelle anzupassen, um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Supply Chain aufrecht zu erhalten. Um die Kundenbedürfnisse erfüllen zu können, musste eine immer breitere Produkt- und Variantenvielfalt angeboten werden, was die Komplexität in der Produktion und damit die Verletzlichkeit der Supply Chain erhöhte. Weiterhin können sich Unternehmen nicht mehr nur auf lokale Märkte beschränken, sondern müssen sowohl absatz- als auch beschaffungsseitig auf globaler Ebene operieren, wodurch die Wege innerhalb der Supply Chain länger und intransparenter werden.41 Einen größeren Koordinationsaufwand und Probleme aufgrund von kulturellen Differenzen bringt auch der Trend zur Verlagerung der Produktion in Niedriglohnländer mit sich, der hauptsächlich dem zunehmenden Kostendruck geschuldet ist. Auch betriebswirtschaftliche Ansätze, wie die Etablierung einer schlanken Produktion (Lean Management) oder von Just-in-time Konzepten, die das Ziel haben Verschwendungen innerhalb der Supply Chain zu vermeiden, gehen mit der Eliminierung von Zeit-, Kapazitäts- und Lagerpuffern einher, die vorher als Polster bei Lieferkettenunterbrechungen dienten. Weitere potenzielle Verwundbarkeitstreiber sind eine geringere Wertschöpfungstiefe als Folge zunehmender Outsourcingaktivitäten und der Konzentration auf die Kernkompetenzen, die Zentralisierung von Produktions- und Distributionsstandorten, die Verkürzung der Produktlebenszyklen, bedingt durch den technologischen Fortschritt, sowie die zunehmende IT Unterstützung von Material-, Finanz- und Informationsströmen.42 40 41 42 Vgl. Waters, D. (2007), S. 2 – 4. Vgl. Thun, J.-H., Hoenig, D. (2011), S. 244. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 24 – 25. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 14 Die Frage, ob kleine und mittlere Unternehmen stärker von der zunehmenden Komplexität und Effizienz von Supply Chain Strukturen betroffen sind als Großunternehmen, wurde im Rahmen einer Studie untersucht, die sich mit der Befragung von Automobilzulieferern und – herstellern zu diesem Thema beschäftigte. So wurden speziell Personen mit logistiknahen Tätigkeitsbereichen in den jeweiligen Unternehmen hinsichtlich ihrer generellen Einschätzung zur Ausprägung der Supply Chain Verletzlichkeit in ihrem Betrieb befragt und mussten diese auf einer Skala von 1 (= sehr niedrig) bis 5 (= sehr hoch) bewerten. Bei insgesamt 67 Rückmeldungen ergab sich für KMU ein Durchschnittswert von 3,47 und für Großunternehmen ein Durchschnittswert von 3,10. Bei KMU konnte somit eine leicht höhere Einschätzung der Supply Chain Verwundbarkeit festgestellt werden, die aber nicht als signifikant zu bezeichnen ist.43 3.2 Richtlinien für ein standardisiertes Risikomanagement Seit dem 1. Mai 1998 bildet das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) für Vorstände von Aktiengesellschaften die gesetzliche Basis hinsichtlich der Identifikation, Kommunikation und Überwachung von Risiken.44 Mit diesem Schritt verfolgte der Gesetzgeber das Ziel der Früherkennung von Unternehmensrisiken zu größerer Bedeutung zu verhelfen. Aus diesem Grund sind Unternehmen verpflichtet ein Früherkennungs- und Überwachungssystem für die Erfassung und das Reporting von Risiken zu installieren. Dadurch sollen Bedrohungen für den Unternehmensfortbestand abgewehrt und Anteilseignern eine bessere Informationsbasis über Risiken, die Auswirkungen auf den Unternehmenswert haben und somit potenzielle Vermögensschäden verursachen könnten, zur Verfügung gestellt werden. Genaue Angaben, wie das geforderte Früherkennungs- und Überwachungssystem zu gestalten ist, macht das KonTraG nicht.45 In diesem Zusammenhang kann auf verschiedene rechtlich unverbindliche Standards und Empfehlungen zum Thema Risikomanagement zurückgegriffen werden, die Hilfestellungen bei der Umsetzung der gesetzlichen Erfordernisse leisten. Als Beispiel für einen solchen Standard ist der COSO Internal Control – Integrated Framework anzuführen.46 Dieser ist als Basiskonzept für den Aufbau eines internen Kontrollsystems zu verstehen und wurde im September 1992 veröffentlicht. Hintergrund für die Erstellung des Standards waren die verschiedenen Interpretationen hinsichtlich des Begriffs der internen Kontrolle. So gab es bis zur Etablierung des auch als COSO Report bekannten Regelwerks keinen gemeinsamen Rahmen bei der Dis- 43 44 45 46 Vgl. Thun, J.-H., Drüke, M., Hoenig, D. (2011), S. 5514 – 5517. Vgl. Lasch, R., Janker, C. (2007), S. 113. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 16. Vgl. Kajüter, P. (2007), S. 20. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 15 kussion über diesen Aspekt des Risikomanagements zwischen dem Management und der internen, wie externen Revision.47 Global gesehen existieren mehr als 80 Standardwerke, die sich sowohl mit allgemeinen als auch mit speziellen (zum Beispiel produktspezifischen) Richtlinien zum Thema Risikomanagement befassen.48 Diesen ist gemein, dass sie keine Aussagen über das Risikomanagement von Supply Chains treffen. Die Regelwerke beziehen sich stets auf die Betrachtungsebene eines einzelnen Unternehmens. Dementsprechend besteht auch keine gesetzliche Verpflichtung das Risikomanagement von der Unternehmensebene auf die Ebene der Supply Chain zu erweitern. Trotzdem lässt sich die Identifizierung und Steuerung von Netzwerkrisiken zu den Sorgfaltspflichten der Unternehmensführung zählen. Die Organisation eines unternehmensübergreifenden Risikomanagements kann erschwert werden, wenn sich die Supply Chain über mehrere Länder erstreckt, in denen jeweils unterschiedliche Normen hinsichtlich der Behandlung von Risikopositionen existieren.49 Um sich eine Orientierung bei der Gestaltung eines Supply Chain Risikomanagementsystems zu verschaffen bietet sich das SCRM Best Practices Document des Supply Chain Risk Leadership Council (SCRLC) an, das bewährte Methoden auf branchenübergreifender Ebene darstellt. Das SCRLC wurde 2006 gegründet und versteht sich als Zusammenschluss führender Industrieunternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen, die alle das Ziel haben gemeinsam Prozesse, Systeme und Werkzeuge zu entwickeln, mit denen der steigenden Bedrohung durch Supply Chain Risiken in einem zunehmend globalisierten Umfeld begegnet werden kann.50 Zu den aktuellen Mitgliedsunternehmen zählen unter anderem Boeing, Cisco, Coca Cola, General Electric, Merck sowie Procter & Gamble, die sich zu folgender Vision bekennen: „Create a cross-industry council comprised of world class manufacturing and services supply chain firms that will work together to develop and share supply chain risk management best practices.”51 3.3 Idealtypischer Supply Chain Risk Management Prozess Um Supply Chain Risiken managen zu können, wird ein konzeptioneller Ansatz benötigt, mit dem es gelingt die Risiken aufzuzählen, ihre Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkung zu beurteilen und Risikominderungspläne zu entwickeln und umzusetzen. 47 48 49 50 51 Vgl. Burke, F., Guy, D., Tatum, K. (2008), S. 11.02. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 18. Vgl. Kajüter, P. (2007), S. 21. scrlc.com (2012a), 07. Mai. 2012. scrlc.com (2012b), 07. Mai. 2012. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 16 Diesen Anforderungen wird der Supply Chain Risk Management Prozess gerecht.52 Er lässt sich als Weiterentwicklung des allgemeinen, internen Risikomanagement Prozesses verstehen, welcher drei Hauptphasen umfasst. Dazu zählen die Risikoidentifikation (Erfassung von Risiken), die Risikobewertung (qualitative oder quantitative Einschätzung der Risiken) und die Risikosteuerung (Maßnahmen zur Risikobewältigung). Den drei Hauptphasen geht die Festlegung einer Risikostrategie auf Basis der Unternehmensvision als vorbereitende Tätigkeit voraus. Nachdem alle Stufen durchlaufen sind, ist weiterhin eine fortlaufende Risikokontrolle notwendig. Die aufgeführten Schritte des allgemeinen Risikomanagement Prozesses können auch für die Supply Chain verwendet werden, wobei eine Anpassung an die netzwerkorientierte Sichtweise notwendig ist. So schlägt Pfohl vor, eine interne Risikoidentifikation in jedem Unternehmen der Supply Chain durchzuführen und die gewonnenen Erkenntnisse in einer von allen Supply Chain Mitgliedern einsehbaren Datenbank zu dokumentieren. Im Anschluss erfolgt neben einer Analyse und Strukturierung der Risiken auch eine gemeinsame Risikobewertung, sowie die Planung von Steuerungsmaßnahmen. Auf dieser Grundlage werden Verantwortlichkeiten verteilt und die Aktionspläne innerhalb der einzelnen Unternehmen individuell umgesetzt. Die Erfolgskontrolle wird erneut gemeinsam auf unternehmensübergreifender Ebene durchgeführt.53 Am Beispiel der Firma Interos lässt sich demonstrieren, dass der Supply Chain Risk Management Prozess auch in der Praxis Relevanz hat. Das Unternehmen tritt als Berater in SCRM Angelegenheiten für verschiedene Behörden der amerikanischen Regierung auf und unterstützt seine Kunden bei der Optimierung der internen und externen Supply Chain Prozesse.54 Um die gewünschten Prozessveränderungen zu erreichen wird von Interos ein Fünf Phasen Modell herangezogen, dass dem beschriebenen SCRM Prozess stark ähnelt. Zu den einzelnen Schritten zählen: Phase 1: Identify and Scope (vgl. Risikoidentifikation) Phase 2: Evaluate and Prioritize (vgl. Risikobewertung) Phase 3: Preempt and Mitigate (vgl. Risikosteuerung) Phase 4: Monitor and Measure (vgl. Risikokontrolle) Phase 5: Refine and Align Mit Ausnahme der Festlegung einer Risikostrategie als vorbereitende Tätigkeit, sind im Konzept von Interos demnach alle Phasen des idealtypischen SCRM Prozesses vor- 52 53 54 Vgl. Tummala, R., Schoenherr, T. (2011), S. 474 – 475. Vgl. Böger, M. (2010), S. 50 – 51. interos.net (2012a), 18. Mai. 2012. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 17 handen.55 Die folgende Abbildung verdeutlicht den Zusammenhang der einzelnen Teilschritte: Abbildung 2: SCRM Prozess von Interos I. Identifizieren und Umfang bestimmen II. Bewerten und Priorisieren SCRM III. Risiken zuvorkommen und mindern V. Weiterentwickeln und Ausrichten IV. Überwachen und Messen Quelle: in Anlehnung an interos.net (2012b), 18. Mai. 2012. Festzuhalten bleibt, dass der Supply Chain Risk Management Prozess als Werkzeug zu verstehen ist, der das Management mit nützlichen strategischen Informationen hinsichtlich des Supply Chain Risikoprofils versorgt. Dadurch werden strategische Entscheidungen zur Verbesserung der Supply Chain Performance ermöglicht.56 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden ausschließlich die drei Hauptphasen des SCRM Prozesses, nämlich die Risikoidentifikation (Kapitel 4), die Risikobewertung (Kapitel 5) und die Risikosteuerung (Kapitel 6) behandelt. 55 56 interos.net (2012b), 18. Mai. 2012. Vgl. Tummala, R., Schoenherr, T. (2011), S. 481. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 4 18 Identifizierung von Supply Chain Risiken Die Risikoidentifikation gilt als grundlegende Phase innerhalb des SCRM Prozesses. Das Unternehmen muss nicht nur die direkten Risiken für die eigenen Arbeitsprozesse ermitteln, sondern auch die potenziellen Gründe und Quellen für diese Risiken an jeder bedeutsamen Schnittstelle entlang der Supply Chain.57 Sofern Supply Chain Risikomanagement auf unternehmensübergreifender Ebene praktiziert werden soll, besteht eine Grundvoraussetzung für den Prozess der Risikoidentifikation darin, dass eine einheitliche Systematik mit Gültigkeit für alle Kooperationspartner existiert. Dadurch soll allen Beteiligten die Möglichkeit gegeben werden, Supply Chain Risiken in der Wertschöpfungskette zu ermitteln.58 Die Identifikationsphase wird durch den gemeinsamen Zugriff auf Informationen mit Relevanz für die Supply Chain wesentlich erleichtert. Wenn zukünftige Bedürfnisse und Ziele mit den Kooperationspartnern geteilt werden, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass auch das Risikomanagement davon profitiert.59 Das Ziel der Identifikationsphase besteht in der „rechtzeitigen, regelmäßigen, vollständigen und wirtschaftlichen Erfassung aller unternehmensinternen und –externen Risiken, die Einfluss auf wesentliche Unternehmensziele haben“.60 Das Ergebnis dieser Erfassungstätigkeit ist eine Liste mit den wichtigsten Supply Chain Risiken. Dieses Dokument wird häufig auch als Risikoregister oder Risikokatalog bezeichnet und enthält als Mindestangaben das Datum der Identifikation, den Risikoverantwortlichen (Risk Owner), eine Beschreibung des Risikos, die potenzielle Auswirkung des Risikos, sowie die Eintrittswahrscheinlichkeit.61 Aufgrund der häufig sehr komplexen Ereignisketten und Abhängigkeiten von anderen Unternehmen lassen sich nicht alle Risiken leicht identifizieren.62 Eine weitere Problematik besteht darin, dass die Supply Chain Risiken rechtzeitig erfasst werden müssen. Je später die Identifikation erfolgt, desto eingeschränkter sind die möglichen Handlungsalternativen. So müssen auch schwache Signale im Hinblick auf ökonomische, technologische und politische Diskontinuitäten erkannt werden, um entsprechende Vorkehrungen treffen zu können.63 Festzuhalten bleibt, dass die Risikoidentifikation nicht auf Basis von losen Absprachen erfolgen darf, sondern mit Hilfe der besten verfügbaren Methoden sauber organisiert werden muss. Wird dies nicht berücksichtigt, besteht die Gefahr, dass wesentliche Risiken übersehen werden oder triviale Risiken unberechtigt in den Fokus geraten. Die Frage wie viele Supply 57 58 59 60 61 62 63 Vgl. Norrman, A., Lindroth, R. (2004), S. 21. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 36. Vgl. Hallikas, J., Virolainen, V.-M. (2004), S. 58. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008b), S. 119. Vgl. Waters, D. (2007), S. 101. Vgl. Hallikas, J., Virolainen, V.-M. (2004), S. 57. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008b), S. 120. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 19 Chain Risiken betrachtet werden sollen, lässt sich nicht abschließend beantworten, da jede Supply Chain eigene Besonderheiten aufweist. Letztendlich ist der Detaillierungsgrad der Analyse eine Managemententscheidung.64 4.1 Ausgewählte Methoden zur Identifikation von Supply Chain Risiken Für die systematische Identifikation von Supply Chain Risiken existieren zahlreiche Methoden, wobei die Kombination mehrerer Techniken notwendig ist, um ein genaues und aussagekräftiges Ergebnis zu erzielen.65 Die Methoden lassen sich grundsätzlich in kreativ-intuitive und analytisch-strukturierte Techniken untergliedern. Der Unterschied besteht darin, dass die kreativ-intuitiven Verfahren keine bestimmte Ordnung der Gedankenführung verlangen, während bei der analytisch-strukturierten Vorgehensweise ein systematisches, rationales Denken vorausgesetzt wird.66 Beiden ist gemein, dass sich mit ihnen alle Risikoarten, also nicht nur Supply Chain Risiken, identifizieren lassen. Als Sonderform existieren daneben spezielle Techniken mit Supply Chain Charakter. Diese dienen ausschließlich der Ermittlung von Supply Chain Risiken.67 4.1.1 Kreativ-intuitive Techniken Eine praxisnahe Methode, die von den Autoren Elkins, Kulkarni und Tew beschrieben wird, setzt die Bildung eines organisations- und funktionsübergreifenden Expertenteams zu Beginn des Identifikationsprozesses voraus. Die Mitglieder des Ausschusses rekrutieren sich dabei aus Risiko- und Logistikmanagern, Analysten, Prozessingenieuren, Einkäufern, IT Experten und Mitarbeitern der Ablauf- und Planungsforschung. Zwar ist das Risikomanagement in vielen großen Unternehmen im Bereich des Versicherungs- und Finanzwesens angesiedelt, jedoch befinden sich die wahren Risikoverantwortlichen in betriebsnahen Funktionsbereichen, weshalb deren Expertise im Umgang mit Produktions- und Supply Chain Unterbrechungen besonders wertvoll während des Identifikationsprozesses ist. Das Team führt im Anschluss ein Brainstorming zur Sammlung potentieller Supply Chain Risiken durch.68 Dabei müssen laut Waters folgende Voraussetzungen erfüllt sein: An der Sitzung sollten nicht mehr als 10 Personen teilnehmen. Weiterhin sollte ein striktes Zeitlimit vorgegeben sein, dass sich typischerweise auf zwei bis drei Stunden erstreckt. Da eine Vielzahl an bereits bekannten und neuen Supply Chain Risiken ermittelt werden soll, muss gewährleistet sein, dass keine 64 65 66 67 68 Vgl. Waters, D. (2007), S. 102. Vgl. Etterer, W. (2008), S. 198. Vgl. Ziegenbein, A. (2007), S. 50. Vgl. Waters, D. (2007), S. 106. Vgl. Elkins, D., Kulkarni, D., Tew, J. (2008), S. 52. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 20 Idee bereits im Ansatz verurteilt wird. Weiterhin ist es zweckmäßig, dass die Ideen von einem Moderator festgehalten werden, so dass die brauchbarsten Ideen in einem Folgemeeting weiterentwickelt werden können.69 Eine weitere Technik, um schnell und ohne großen Aufwand an Informationen über potenzielle Supply Chain Risiken zu gelangen, stellen Experteninterviews dar. Durch die gezielte Auswahl sachkundiger Mitarbeiter kann sichergestellt werden, dass die im Rahmen der Befragung erhobenen Informationen von Personen stammen, die mit den spezifischen Risiken vertraut sind. Dennoch haben individuelle Sichtweisen den Nachteil, dass sie von Ignoranz, Vorurteilen, Widersprüchen oder der Inkompetenz des Befragten geprägt sein können, weshalb die richtige Auswahl des Interviewpartners von enormer Bedeutung ist.70 Eine Mischung aus Befragung und Brain Storming stellt die Delphi-Methode dar. Dabei handelt es sich um eine schriftliche Befragung von mehreren Sachverständigen, die der Supply Chain angehören. Der Moderator stellt jedem Mitglied der Expertenrunde einen Fragebogen zur Verfügung mit dem die individuellen Sichtweisen hinsichtlich vorhandener Supply Chain Risiken gesammelt werden. Anschließend erfolgt eine Zusammentragung und Analyse der Aussagen durch den Moderator. Begleitet von einer Kurzfassung der gesammelten Beiträge wird der Fragebogen erneut an die Teilnehmer verschickt, wobei die Möglichkeit eingeräumt wird, die bisherige Einschätzung anzupassen. Dieser Prozess wird im Rahmen der Delphi-Methode zwecks Konsensfindung mehrfach wiederholt.71 Da es sich bei dieser Identifikationstechnik um eine anonyme, getrennte und schriftliche Befragung handelt, können verzerrende Effekte, wie zum Beispiel Gruppendruck, ausgeschlossen werden. Von Vorteil ist auch, dass es im Vergleich zum Expertenteammeeting nicht notwendig ist, einen gemeinsamen Termin für alle Teilnehmer zu ermitteln. Aufgrund der Vielzahl an Befragungsrunden, ist der Aufwand bei dieser Methode als hoch einzuschätzen.72 Waters empfiehlt die Teilnehmerzahl auf circa 15 Personen zu beschränken und drei bis sechs Interviewrunden durchzuführen. Die Tatsache, dass durch den standardisierten Fragebogen ein Abschweifen vom Thema verhindert wird und sich die Meinung des Vorgesetzten nicht zwangsläufig durchsetzen muss, sieht er als Vorteil der Methode an.73 69 70 71 72 73 Vgl. Waters, D. (2007), S. 113. Vgl. Waters, D. (2007), S. 112. Vgl. Waters, D. (2007). 113. Vgl. Ziegenbein, A. (2007), S. 51. Vgl. Waters, D. (2007), S. 113 – 114. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 4.1.2 21 Analytisch-strukturierte Techniken Als einfach anzuwendende Technik zur Überprüfung einer Lieferkette auf bereits bekannte Supply Chain Risiken bietet sich die Nutzung von Risikochecklisten an. Im ersten Schritt wird eine bereits existierende und für den Anwendungsfall geeignete Liste mit potenziellen Risiken ausgewählt. Daraufhin wird die eigene Supply Chain auf die darin genannten Positionen untersucht und es erfolgt eine Dokumentation der gewonnenen Erkenntnisse.74 Mögliche Quellen für Risikochecklisten sind andere Unternehmen, spezielle Industrieforen im Internet, Forschungsinstitute, Beratungsgesellschaften oder bereits existierende Dokumentationen für andere Supply Chains im eigenen Unternehmen.75 Ein ausführliches Beispiel findet sich in einer Studie der University of Bath, die sich mit der Untersuchung typischer Risikofaktoren in Supply Chains beschäftigte. In diesem Zusammenhang wurde jeweils ein Panel mit chinesischen und britischen Managern gebeten ein Brainstorming zur Ermittlung von Supply Chain Risiken durchzuführen. Bei insgesamt 56 Rückmeldungen aus beiden Gruppen wurden mehr als 300 individuelle Risikofaktoren identifiziert. Nach Streichung von Dopplungen und Zusammenfassung ähnlicher Positionen blieben 109 übrig, die anschließend erneut durch die Studienteilnehmer validiert wurden.76 Die vollständige Studie inklusive der finalen Risikocheckliste ist auch als kostenloser Download77 im Internet verfügbar und lässt sich als leicht zugängliches Tool für den eigenen Risikoidentifizierungsprozess nutzen. Auch Key Performance Indicator lassen sich zur Identifikation von Supply Chain Risiken heranziehen. Dabei handelt es sich um Kennzahlen mit denen die Leistung von Supply Chain Partnern, wie Lieferanten und Logistikdienstleistern, gemessen werden kann. Typische KPI`s zur Ermittlung von ungewöhnlichen Situationen, die potenzielle Risiken beinhalten, sind der Produktionsausstoß, realisierte Lieferzeiten, die Kapazitätsauslastung und die Lagerverfügbarkeit. Die Werte der KPI`s werden über einen bestimmten Zeitraum beobachtet und mit vordefinierten Werten, die innerhalb einer Vereinbarung zwischen den Supply Chain Partnern festgelegt wurden, verglichen. Per Soll-Ist Abgleich lassen sich signifikante Abweichungen zwischen den gemessenen und vordefinierten Werten identifizieren. Sobald ein bestimmtes Level unterschritten ist, wird ein Alarm durch den überwachenden Mitarbeiter ausgelöst.78 Mit diesem Frühaufklärungssystem können latente Gefahren für das Unternehmen anhand von Frühwarn- 74 75 76 77 78 Vgl. Grundmann, T. (2008), S. 22. Vgl. Waters, D. (2007), S. 111. Vgl. Squire, B., Chu, Y. (2011), S. 1 ff. supplychainrisk.org (2012), 30. Mai. 2012. Vgl. Giannakis, M., Louis, M. (2010), S. 26. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 22 indikatoren rechtzeitig erkannt werden. Es berücksichtigt nicht nur potenzielle Risiken, sondern auch Chancen.79 Daneben existieren auch Frühwarnsysteme, die aber nur auf die Identifizierung von Bedrohungen ausgerichtet sind und mögliche Chancen vernachlässigen.80 4.1.3 Spezielle Techniken mit Supply Chain Charakter Ein strukturierter Ansatz, um Risikoquellen abzubilden und dadurch ihre potenziellen Konsequenzen zu verstehen, ist die Supply Chain Risiko-Map.81 Zunächst muss eine Supply Chain ausgewählt werden, die in der Folge genauer untersucht werden soll. Dies kann anhand der Parameter strategische Bedeutung und Verwundbarkeit der einzelnen Lieferketten erfolgen. So sind Supply Chains mit einem hohen Ertrag (strategische Bedeutung) und mit zahlreichen Unterbrechungen in der Vergangenheit (Verwundbarkeit) bevorzugt zu analysieren. Die ausgewählte Supply Chain muss im Anschluss beschrieben und visualisiert werden, um die zugehörigen Organisationen und Prozesse transparent zu machen. Dabei sind sowohl Down- als auch Upstream Prozesse zu berücksichtigen. Für jedes Glied der Lieferkette werden außerdem die wichtigsten Informationen festgehalten. Dazu zählen bezogene Produkte und Materialien, Preise und Kosten, bezogene Mengen, Wiederbeschaffungszeiten und die Beschaffungsstrategie (zum Beispiel Single Sourcing) respektive die Positionierung des Kunden (Beispiel: Schlüsselkunde). Das Risiko-Mapping startet vorzugsweise in interdisziplinären Workshops, in denen dann Aufgaben zur weiteren Bearbeitung an einzelne Verantwortungsträger delegiert werden, da die benötigten Informationen teils schwer zugänglich sind und detaillierte Recherchearbeiten verlangen.82 Durch die grafische Darstellung der Supply Chain können kritische Lieferkettenpartner und Prozesse mit schwachen Sicherheitsvorkehrungen und hoher Zeitsensibilität leichter identifiziert werden. Sie dient weiterhin als Grundlage für Entscheidungen hinsichtlich alternativer Beschaffungsmöglichkeiten, Lagerhaltungsstrategien und Transportmöglichkeiten.83 Eine weitere Vorgehensweise zur Identifikation von Supply Chain Gefahren bietet eine Risikoinventur im Rahmen regelmäßig stattfindender Risiko-Audits. Diese können auch mit Unterstützung durch externe Berater durchgeführt werden.84 Für die Beschaffungsseite stellen Lieferantenaudits in Form von Betriebsbesichtigungen ein Mittel dar, um Risikopotenziale zu ermitteln. In diesem Zusammenhang kann geprüft werden, ob der 79 80 81 82 83 84 Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 40. Vgl. Henke, M. (2009), S. 106 – 107. Vgl. Norrman, A., Lindroth, R. (2004), S. 21. Vgl. Jüttner, U., Ziegenbein, A. (2008), S. 211 – 212. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 39. Vgl. Grotegut, M. (2006), S. 23. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 23 Lieferant Ersatzprozesse für Notfallsituationen eingeplant hat und bereit ist unvorhergesehene Risikosituationen zu managen.85 4.2 Risikoarten in der Supply Chain Bei der Beschäftigung mit Supply Chain Risiken in der Praxis ist festzustellen, dass selbst die gewissenhaftesten Logistikmanager nicht in der Lage sind alle Risikoarten für eine bestimmte Lieferkette zu identifizieren. Daher empfiehlt es sich, die wahrscheinlichsten und bedrohlichsten, oder generell die bedeutsamsten Risiken zu berücksichtigen und die Anstrengungen auf diese zu konzentrieren.86 Blome und Henke resümieren daher auch: „An all-embracing and selective list of all supply risks does not exist“.87 4.2.1 Systematisierung Aufgrund der Vielfalt möglicher Supply Chain Gefahren ist die Systematisierung von Risiken ein nützliches Werkzeug zur Identifikation und Analyse. Dies geschieht anhand der Klassifizierung von Risiken nach verschiedenen Kriterien. Auch hier gilt, dass die Klassifikationen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben und auch nicht erreichen können.88 Festzuhalten ist auch, dass die folgenden Risikokategorien nicht überschneidungsfrei sind und voneinander abhängen. So können Risikoereignisse auch gleichzeitig die Quelle oder der Treiber für andere Risikoereignisse sein.89 Zu den gängigen Methoden der Kategorisierung von Risiken zählt die Gliederung nach dem Entstehungsort der Risikoursache. Abhängig davon, ob die Risikoursache innerhalb oder außerhalb des Unternehmens lokalisiert werden kann, werden innerbetriebliche (endogene) von außerbetrieblichen (exogenen) Risiken unterschieden. Bezogen auf SCRM erfolgt eine Erweiterung der Sichtweise auf die Lieferkette. Demnach können sich Risikoursachen in der Umwelt der Supply Chain oder in der Supply Chain selbst befinden. Ist die Ursache auf die Lieferkette selbst zurückzuführen wird weiterhin in unternehmensübergreifende und unternehmensinterne Risiken differenziert. Somit ergeben sich die folgenden drei Risikoarten: Supply Chain exogene Risiken, Supply Chain endogene Risiken (unternehmensübergreifend) und Supply Chain endogene Risiken (unternehmensbezogen). Da von Entscheidungen im Rahmen von Logistik und SCRM in erster Linie Produkte, Prozesse und Ressourcen betroffen sind, besteht die 85 86 87 88 89 Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 38. Vgl. Waters, D. (2007), S. 101. Blome, C., Henke, M. (2008), S. 128. Vgl. Götze, U., Mikus, B. (2007), S. 34 – 40. Vgl. Norrman, A., Lindroth, R. (2004), S. 19. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 24 Möglichkeit einer Kategorisierung nach Entscheidungsobjekten in Produkt-, Prozess-, Ressourcen- und Kooperationsrisiken. Diese sind vornehmlich endogener Natur. Anhand der verschiedenen Bereiche einer SC lässt sich zum Beispiel in Absatz-, Produktions- und Beschaffungsrisiken untergliedern. Ähnlich angelegt ist die Strukturierung nach Prozessarten, wobei Kernprozesse der Lieferkette wie Beschaffen, Produzieren, Ausliefern und Entsorgen als Gliederungskriterium genutzt werden. Weiterhin sind auch logistische Tätigkeiten aufgrund ihrer Relevanz für die behandelte Thematik zur Risikodifferenzierung geeignet. Mögliche Ausprägungen sind Verpackungs-, Transportund Lagerrisiken. Da eine Supply Chain aus vielen Einzelnetzen besteht, die zum Beispiel als Infrastruktur für den Güter- und Datentransport dienen, ist auch eine Abgrenzung nach Partialnetzen sinnvoll. Risiken können sich somit auf Güter und Daten beziehen, aber auch sozialer und institutioneller Natur sein.90 Auch Gabath definiert verschiedene Kategorien und nennt dabei die Ergebnisabweichung als Gliederungskriterium, wonach reine von spekulativen Risiken unterschieden werden. Im Falle von reinen Risiken ist eine Abweichung vom Zielwert nur in eine Richtung möglich. Dagegen sind spekulative Risiken mit positiven und negativen Abweichungen verbunden. Als Beispiel für die spekulative Form kann die Einführung einer neuen Beschaffungsquelle genannt werden, die zwar mit günstigeren Einstandspreisen verbunden ist, jedoch eine Gefährdung der kontinuierlichen Versorgung mit sich bringt. Nimmt man den zeitlichen Kontext als Maßstab, ist zwischen permanenten und zeitlich begrenzten Risiken zu unterscheiden, je nachdem, ob ein Zeitpunkt- oder ein Zeitraumbezug vorliegt. Die Intensität der Auswirkung von Risikoereignissen führt zu einer Unterscheidung zwischen Bagatellrisiken, kleinen, mittleren, großen und existenzbedrohenden Risiken.91 Bezogen auf die Entscheidungsebene ist Lasch und Janker zufolge zwischen strategischen, taktischen und operativen Risiken zu trennen. Während strategische Risiken eine Gefahr für das gesamte Unternehmen und die Verwirklichung langfristiger Ziele darstellen, bezieht sich die taktische und operative Komponente auf einen mittel- beziehungsweise kurzfristigen Zeithorizont. Abhängig vom Umfang der Entscheidung lassen sich Einzel- und Gesamtrisiken ermitteln. Einzelrisiken sind dabei auch auf einzelne Entscheidungen zurückzuführen, wogegen Gesamtrisiken aus deren Gesamtheit entstehen.92 90 91 92 Vgl. Götze, U., Mikus, B. (2007), S. 35 – 37. Vgl. Gabath, C. (2010), S. 35. Vgl. Lasch, R., Janker, C. (2007), S. 114. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 25 Eine ausführliche Erläuterung der Risikoauswirkung als Kategorisierungsinstrument liefern die Autoren Pfohl, Gallus und Köhler. Je nach Charakteristik der Auswirkung wird zwischen kumulativen, additiven und singulären Risiken differenziert. Im Falle von kumulativen Risiken steigert sich der Schaden über die einzelnen Glieder der Supply Chain bis zu seiner vollen Entfaltung. Es entsteht ein Domino-Effekt, der sich über die Lieferkette hinwegzieht. Additive Risiken führen dagegen alleine nicht zu einem Schaden. Erst wenn weitere Risikoereignisse parallel eintreten, stellen sich negative Folgewirkungen ein. So wird eine defekte Maschine zur Prüfung der Produktqualität erst dann zu einem Problem, wenn tatsächlich Qualitätsabweichungen im Rahmen der Fertigung auftreten. Weiterhin sind singuläre Risiken zu nennen, die mit ihrer Wirkung lokal begrenzt und daher für die Supply Chain weniger relevant sind. Als weitere Beispiele für mögliche Kategorisierungen lassen sich die verwendeten Ressourcen, die Wirkungsorte der Risiken, deren Messbarkeit und Versicherbarkeit nennen.93 Für die weitere Betrachtung einzelner Risikoarten wird die eingangs erläuterte Gliederungsmethodik hinsichtlich des Entstehungsorts der Risikoursache gewählt, da sie im Rahmen der SCRM Literatur besonders häufig Erwähnung findet und die Besonderheiten der Supply Chain entsprechend würdigt. Die folgende Abbildung veranschaulicht die Systematik: 93 Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 22 – 23. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 26 Abbildung 3: Kategorisierung von Supply Chain Risiken nach Entstehungsorten Quelle: in Anlehnung an Götze, U., Mikus, B. (2007), S. 35. 4.2.2 Exogene Risiken Die Kategorie der exogenen, also außerbetrieblichen Risiken ist auf umweltbedingte Ursachen zurückzuführen, die kaum beeinflussbar sind und zu direkten oder indirekten Störungen in der Supply Chain führen. Sie entstehen unter anderem aufgrund von sozialpolitischen, ökonomischen, technologischen oder geografischen Gegebenheiten.94 Eine mögliche Ausprägung sind Katastrophenrisiken, die sich durch Naturkatastrophen, politische Instabilität, Terrorismus, Bürgerkrieg oder volkswirtschaftliche Schäden äußern können. So stellen in vielen Ländern Naturkatastrophen in Form von Tsunamis, Erdbeben, Hurricanes oder Überschwemmungen potenzielle Bedrohungen für die Bevölkerung und dort angesiedelte Industrieunternehmen dar.95 Die negativen Auswirkungen dieser Phänomene für die Supply Chain sind offensichtlich, da Produktionsstätten und der Transportsektor stark in Mitleidenschaft gezogen werden können. 94 95 Vgl. Thun, J.-H., Hoenig, D. (2011), S. 243. Vgl. Wagner, S., Bode, C. (2007), S. 66. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 27 Weiterhin haben lokale Katastrophen, bedingt durch die Globalisierung der Märkte und die weltumspannenden Supply Chain Operationen, in zunehmendem Maße auch globale Auswirkungen.96 Ein aktuelles Beispiel ist der isländische Vulkan Eyjafjallajökull, der 2010 die Luftfrachtverbindungen in weiten Teilen Europas lahm legte. Das Nachrichtenmagazin Bloomberg Businessweek ordnete den dadurch verursachten wirtschaftlichen Schaden im Milliarden Dollar Bereich ein und wies in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit einer erhöhten Supply Chain Flexibilität hin.97 Auch instabile politische Verhältnisse, speziell beim Warenbezug aus Drittländern, können negative Auswirkungen auf die Lieferkette haben. So kann es aufgrund eines politischen Wechsels oder eines Putschs im Bezugsland dazu kommen, dass die benötigten Güter nicht mehr geliefert werden können. Auch sind Beschlagnahmungen der bestellten Waren oder Enteignungen und Verstaatlichungen der Fertigungsstätten des Zulieferers denkbar. Die Verhängung eines Embargos kann dazu führen, dass Lieferungen in das Land des Bestellers untersagt werden.98 Terrorismus als weitere Form des Katastrophenrisikos ist insbesondere seit den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 in der Diskussion. Es handelt sich um eine allgegenwärtige Bedrohung, die sowohl direkte, als auch indirekte (zum Beispiel politische) Auswirkung auf die Lieferkette haben kann. So mussten die Automobilhersteller Ford und Toyota unmittelbar nach den Ereignissen des 11. September Störungen bei der Versorgung ihrer in Nordamerika angesiedelten Werke hinnehmen, da die Transportbestimmungen durch die amerikanische Regierung stark erschwert wurden.99 Bürokratische, rechtliche und regulatorische Risiken zählen ebenfalls zu den exogenen Supply Chain Gefahren und beziehen sich auf die Ausführung und Durchsetzung von Gesetzen und Richtlinien mit Relevanz für die Lieferkette. Beispielsweise können administrative Beschränkungen, wie Zollformalitäten oder Handelsbestimmungen das Design der Supply Chain und deren operative Performance beeinflussen. Problemtisch ist, das rechtliche Änderungen häufig plötzlich und unvorhergesehen zum Tragen kommen. Die Einführung von Mautgebühren für Lastkraftwagen in vielen europäischen Ländern zählt dazu, welche eine Erhöhung der Supply Chain Kosten zur Folge hat.100 Auch Importkontingente können negative Auswirkungen mit sich bringen, wenn diese aufgrund einer hohen innereuropäischen Nachfragesituation ausgeschöpft werden. Dann ist es bis zu Beginn des neuen Kalenderjahres nicht mehr möglich die benötigten 96 97 98 99 100 Vgl. Wagner, S., Bode, C. (2009), S. 277 – 278. Vgl. Olson, D. (2011), S. 4. Vgl. Grotegut, M. (2006), S. 55 – 56. Vgl. Wagner, S., Bode, C. (2007), S. 66. Vgl. Wagner, S., Bode, C. (2009), S. 277. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 28 Güter einzuführen, was zu Fehlmengen oder Deckungskäufen zu hohen Preisen bei Alternativlieferanten führen kann.101 Ein prominentes Beispiel für die politische Beeinflussung der Supply Chain ist die Firma Airbus. Die Tatsache, dass der Superjumbo A380 erst zwei Jahre später als geplant eingeführt werden konnte, war nicht nur auf technische Probleme zurückzuführen, sondern auch auf den notwendigen politischen Interessenausgleich zwischen vier Ländern mit Beteiligung am Airbus Konsortium, was zu einem Verlust von 4,8 Milliarden Euro führte.102 Als dritte Gruppe im Bereich der exogenen Supply Chain Risiken sind infrastrukturelle Gefahren zu nennen. Beispielhaft lassen sich hier Vandalismus, Feuerschäden, Sabotage, Streiks der Mitarbeiter oder Störungen der Elektrizitäts- und Wasserversorgung nennen.103 4.2.3 Endogene Risiken 4.2.3.1 Unternehmensübergreifende Risiken Im Bereich der endogenen Risiken auf unternehmensübergreifender Ebene ist eine weitere Unterscheidung in Versorgungs- und Nachfragerisiken möglich. Versorgungsrisiken beziehen sich auf die Upstream Prozesse der Supply Chain in Richtung des Zulieferunternehmens und spielen daher im Bereich Einkauf und Beschaffung eine zentrale Rolle. Nachfragerisiken dagegen nehmen die Downstream Prozesse in den Fokus, welche den Weg zum Endkunden bilden.104 Als Versorgungsrisiken kommen zum Beispiel Kapazitätsengpässe und - schwankungen auf dem Beschaffungsmarkt, Produktionsverzögerungen und -ausfälle beim Lieferanten oder Abhängigkeitsverhältnisse von einzelnen Lieferanten aufgrund von Single Sourcing Beziehungen in Frage. Diese drei Supply Chain Risiken wurden im Rahmen einer Befragung von 160 Logistik-, Industrie- und Handelsunternehmen, in Kooperation mit der TU Darmstadt, zu den größten Gefahren im Beschaffungsbereich gewählt. Maßgeblich bei der Bewertung waren die Parameter Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos.105 Weiterhin sind Qualitätsprobleme bei den gelieferten Produkten als Versorgungsrisiko zu nennen, welche eine Folge von Fertigungsproblemen des Lieferanten sein können. Auch finanzielle Schwierigkeiten des Zulieferers, die sich zu einer Insolvenz ausweiten können, führen im schlimmsten Fall zu einem kompletten Versorgungsstopp. Die mangelnde Fähigkeit des Lieferanten, 101 102 103 104 105 Vgl. Grotegut, M. (2006), S. 56. Vgl. Tang, C., Tomlin, B. (2009), S. 162. Vgl. Wagner, S., Bode, C. (2007), S. 65. Vgl. Wagner, S., Bode, C. (2007), S. 64. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008b), S. 95 – 100. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 29 Neuerungen in das Produktdesign zu implementieren, kann sich ebenfalls negativ auf die Supply Chain auswirken. Speziell bei Single Sourcing Beziehungen sind die Gefahren einer opportunistischen Vorgehensweise des Lieferanten besonders hoch.106 Grundsätzlich ist die Einkaufsabteilung auch mit einem Bestellmengenrisiko konfrontiert. So sind die Beschaffungsaktivitäten stark von den Informationen der Materialdisposition abhängig, die exakte Vorgaben hinsichtlich der benötigten Mengen machen muss. Werden bei der Mengenplanung Fehler gemacht, oder es ergibt sich nach erfolgter Bestellung, dass mehr oder weniger benötigt wird (zum Beispiel aufgrund falscher Einschätzungen), entstehen Fehl- oder Übermengenkosten. Diese können sich durch Vertragsstrafen auf der Vertriebsseite äußern, wenn dadurch Lieferverzögerungen verursacht werden. Des Weiteren existiert ein Bestellzeitpunktrisiko, da Bedarfsmeldungen nicht zwangsläufig zur richtigen Zeit durch die Materialdisposition gemeldet werden oder Bestellungen aufgrund einer schlechten Organisation in der Einkaufsabteilung zu spät ausgeführt werden. Dies kann zu Produktionsunterbrechungen oder höheren Kosten aufgrund der Notwendigkeit von Eilsendungen durch den Lieferanten führen. Ein Liefermengenrisiko ist dann gegeben, wenn die bestellte Menge (SollMenge) von der tatsächlich gelieferten Menge (Ist-Menge) abweicht. Während Minderlieferungen Fertigungsunterbrechungen zur Folge haben können, äußern sich Überlieferungen in zu hohen Lagerbeständen. Bestehende Verträge mit Lieferanten sind ebenfalls mit Risiken belastet. Vertragsbrüche, Fehlverhalten des Kontraktpartners und ungenau formulierte Verträge bergen eine potenzielle Gefahr für die Materialversorgung. Diese ist besonders hoch, wenn verspätete Lieferungen nicht mit einer Vertragsstrafe geahndet werden. Außerdem kann die vertikale Integration eines Zulieferers durch ein Konkurrenzunternehmen dazu führen, dass das eigene Unternehmen überhaupt nicht mehr oder nur noch zu verschlechterten Konditionen beliefert wird. Aus logistischer Sicht sind darüber hinaus die Beschädigung oder der Untergang der Ware auf dem Transportweg, sowie der Verderb während des Lagerprozesses als Risikofaktoren zu nennen.107 Unter Nachfragerisiken versteht man alle Risiken, die mit der physischen Versorgung des Kunden einhergehen. Betroffen sind daher in erster Linie Transport- und Lagerprozesse. Auch Unsicherheiten bei der Prognose der Kundennachfrage fallen in diese Kategorie, da diese in überflüssigen Lagerbeständen, teuren Versorgungsengpässen und einer suboptimalen Kapazitätsauslastung münden können. In diesem Zusammenhang ist auch der Bullwhip Effekt zu nennen, welcher auch als Peitschenschlag- oder 106 107 Vgl. Wagner, S., Bode, C. (2007), S. 64 – 65. Vgl. Grotegut, M. (2006), S. 48 – 59. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 30 Forrestereffekt bekannt ist. Darunter versteht man Nachfrageschwankungen, die sich entlang der Lieferkette aufschaukeln.108 So ist zu beobachten, dass die Bestell- und Lagermengen der vorgelagerten Stufen, selbst bei marginalen Änderungen der Endkundennachfrage, starken Schwankungen unterworfen sind. Ein Zusammenhang zwischen dem Bedarf des Endkunden und der Bestell- und Lagerplanung des Vorlieferanten ist bedingt durch den Effekt nicht mehr zwangsläufig zu erkennen.109 Ein wesentlicher Grund für das Phänomen sind voneinander abweichende Bedarfsprognosen, die nicht mit allen Supply Chain Partnern abgesprochen wurden, was zum Beispiel falsch kalkulierte Sicherheitsbestände zur Folge haben kann. Weiterhin werden Nachfrageprognosen hinsichtlich des Endkunden erschwert, wenn dieser zur Senkung seiner fixen Bestellkosten seine Bestellmengen bewusst bündelt. Dadurch entstehen zwar nur punktuell Bedarfe, die jedoch ein sehr großes Volumen auf sich vereinen. Dieser Effekt verstärkt sich, sobald günstige Einstandspreise durch den Endkunden genutzt werden, um Lagerbestände aufzubauen. Das Einkaufsverhalten der Vorlieferanten lässt sich dann nicht mehr aus den historischen Werten der Endkundennachfrage ableiten.110 Sofern das Unternehmen seine Produkte auf Lager und nicht auftragsbezogen produziert, besteht außerdem die Gefahr, dass sich diese bei Nachfrageeinbrüchen nicht mehr absetzen lassen. Ein weiteres Risiko für die Lieferkette bilden kurzfristige Änderungen der Auftragsmodalitäten durch den Kunden hinsichtlich Auftragsmenge, Bestellzeitpunkt oder Form der Auftragsübermittlung.111 4.2.3.2 Unternehmensbezogene Risiken Die Gruppe der endogenen Risiken aus unternehmensbezogener Perspektive lässt sich weiter in Prozess- und Steuerungsrisiken unterteilen. Diese beschäftigen sich mit Störungen der Wertschöpfungsprozesse, welche die Erreichung der vereinbarten Produktionsziele erschweren können.112 Prozessrisiken sind dabei auf die Erfüllung der betrieblichen Aufgaben zurückzuführen und betreffen daher Mitarbeiter, Produktionsanlagen, Logistiksysteme oder IT Strukturen.113 Steuerungsrisiken haben dagegen einen engen Bezug zu den Regeln, Verfahren und Abläufen, die durch das Management zur Lenkung des Unternehmens vorgegeben werden. Sie erwachsen aus der falschen Anwendung dieser Regeln durch die Mitarbeiter.114 108 109 110 111 112 113 114 Vgl. Werners, B., Klempt, P. (2007), S. 289. Vgl. Kiener, S. et al. (2009), S. 13. Vgl. Werners, B., Klempt, P. (2007), S. 289. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008b), S. 102 – 103. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008b), S. 101. Vgl. Kersten, W., Singer, C. (2010), S. 192. Vgl. Englisch, J. (2011), S. 11. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 31 Typische Prozessrisiken sind lang- und kurzfristige Produktionsausfälle, Qualitätsschwankungen der Produktion, der Ausfall von Lagereinrichtungen, eine zu niedrige Vorratshaltung oder IT Ausfälle. Im Rahmen der bereits erwähnten Befragung in Kapitel 4.2.3.1 wurden langfristige Produktionsausfälle mit dem höchsten Schadenausmaß aller untersuchten Risiken bewertet, wobei die Eintrittswahrscheinlichkeit als äußerst gering eingestuft wurde. Als größtes Prozessrisiko für Industriebetriebe wurde die Produktion an der Kapazitätsgrenze, und die damit verbundenen negativen Auswirkungen gewertet (zum Beispiel: Mangelnde Flexibilität bei kurzfristigen Kundenaufträgen)115, welche mit einer hohen Eintrittswahrscheinlichkeit und einem hohen potenziellen Schaden in Verbindung gebracht wurde.116 IT Risiken kommt ein besondere Bedeutung zu, da zahlreiche SCM Funktionen von Informationsfluss und Informationsteilung abhängig sind. Organisationen sind in der Vergangenheit in zunehmendem Maße abhängig von der eingesetzten Technologie geworden, so dass eine Anfälligkeit für IT Probleme und Zusammenbrüche besteht. Mögliche Ursachen dafür sind Virusangriffe, Cyberkriminalität, sowie Soft- und Hardwarefehler. Durch die Nutzung moderner ERP mit Zugriffsberechtigung für Kunden und Lieferanten, verstärkt sich dieses Risiko noch weiter.117 Als Steuerungsrisiken kommen eine mangelnde Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter des Unternehmens in Frage, die eine fehlerhafte Bearbeitung der übertragenen Aufgaben fördern.118 Weiterhin sind diesem Bereich redundante beziehungsweise überflüssige Prozesse als potenzielles Risiko zuzuordnen. Auch Verantwortungsleerräume an der Schnittstelle zwischen zwei Organisationseinheiten der Supply Chain bilden eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Lieferkette.119 115 116 117 118 119 Vgl. Jodbauer, H. (2008), S. 22. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008b), S. 101. Vgl. Wagner, S., Bode, C. (2009), S. 277. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008b), S. 101. Vgl. Klöti, L. (2008), S. 57. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 5 32 Bewertung von Supply Chain Risiken Für den Prozess der Risikobewertung existieren zahlreiche Methoden, wobei aufgrund der Vielzahl an vorhandenen Risiken häufig mehrere Instrumente miteinander kombiniert werden müssen, ähnlich wie im Rahmen der Risikoidentifikation.120 Die gewonnenen Ergebnisse aus der Identifikationsphase bilden die Ausgangsbasis für den Bewertungsprozess, weshalb die Datenqualität und –verfügbarkeit für dessen erfolgreiche Durchführung besonders wichtig sind. Ziel der Bewertungsphase ist eine kontinuierliche und detaillierte Quantifizierung der Risiken, so dass die potenziellen Auswirkungen der Supply Chain Risiken auf das Unternehmen eingeschätzt werden können. Vorzugsweise sind gleiche Risikoarten (siehe Abschnitt 4.2) unternehmensweit mit den gleichen Methoden zu analysieren, um eine Vergleichbarkeit der Resultate herzustellen. Im Bereich der Bewertungsmethoden werden grundsätzlich qualitative von quantitativen Ansätzen unterschieden. Qualitative Methoden beschäftigen sich dabei mit der Bewertung von Risiken ohne objektive Eintrittswahrscheinlichkeit, weshalb das Schadenspotenzial nicht genau ermittelt werden kann. Dagegen sind quantitative Methoden dazu geeignet das Schadenspotenzial genau zu messen. Die Supply Chain Risiken lassen sich dadurch mit Geldeinheiten bewerten.121 Als dritte Kategorie existieren weiterhin semi-quantitative Methoden, bei denen belastbare Zahlen mit allgemeinen Einschätzungen kombiniert werden.122 Im Rahmen der bereits angesprochenen Befragung von 160 Industrie-, Handels- und Logistikunternehmen zum Thema SCRM wurden die Studienteilnehmer auch hinsichtlich der eingesetzten Bewertungsmethoden interviewt. Dabei mussten die Häufigkeit des Einsatzes, sowie die Eignung der verwendeten Methode zur Bewertung von Supply Chain Risiken eingeschätzt werden. Die Eignung musste anhand einer Likert-Skala mit fünf Abstufungen eingeordnet werden. Bei den Industrie- und Handelsunternehmen stellte sich heraus, dass aufwendige Methoden, wie Scoring Modelle, Risikosimulationen oder Sensitivitätsanalysen, die aus dem quantitativen beziehungsweise semi-quantitativen Bereich stammen, zwar positiv hinsichtlich der Eignung beurteilt wurden, jedoch nur von circa 20 bis 30 % der Unternehmen auch tatsächlich eingesetzt werden. Weiterhin zeigte sich, dass Schätzverfahren (qualitatives Bewertungsinstrument) von 80 % der befragten Unternehmen verwendet werden und damit die am meisten genutzte Methode darstellten. Trotz der weiten Verbrei- 120 121 122 Vgl. Etterer, W. (2008), S. 199. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008b), S. 124. Vgl. Mullai, A. (2004), S. 148. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 33 tung schätzten lediglich 36 % der Teilnehmer das Verfahren als geeignet oder voll geeignet ein.123 5.1 5.1.1 Quantitative Methoden Value at Risk Die Value at Risk Methode hat ihre Wurzeln im Finanzbereich, wo sie für die Bewertung und Kontrolle von Markt- und Zinsrisiken eingesetzt wird. In diesem Zusammenhang wird ein beliebiges Portfolio betrachtet, dass über eine bestimmte Zeitspanne gehalten wird und aufgrund veränderter Marktgegebenheiten, Gewinne oder Verluste abwerfen kann.124 Der VaR als statistische Messgröße stellt dann den in Geldeinheiten bewerteten, maximal möglichen Verlust dar, der sich mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit (Konfidenzniveau) innerhalb einer bestimmten Haltedauer ergeben kann.125 So bedeutet ein VaR von 5 Millionen € und einem Konfidenzniveau von 99 %, sowie einer Haltedauer von einem Tag, dass der Verlust des betrachteten Portfolios mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 % innerhalb eines Tages 5 Millionen € nicht übersteigen wird.126 Durch eine Abwandlung der Methode im Hinblick auf die Bezugsgröße, welche im finanzwirtschaftlichen Bereich der Marktpreis (zum Beispiel der Aktie / des Portfolios) ist, besteht die Möglichkeit den Ansatz auch auf quantifizierbare Supply Chain Risiken des Unternehmens zu übertragen. Zu diesem Zweck müssen für das betrachtete Risiko jedoch objektive Werte für das Schadensausmaß und die Eintrittswahrscheinlichkeit existieren. Dadurch ist der Ansatz nur für eine Teilmenge der existierenden Supply Chain Gefahren einsetzbar.127 Dazu zählen in erster Linie Bestandsrisiken, wie Preis- und Nachfrageschwankungen von Lagerware oder Probleme mit dem Management einer komplexen Produktvielfalt im Lagersystem. Da die VaR Methode ausschließlich für quantifizierbare Risiken eingesetzt werden kann, wird empfohlen den Prozess der Risikobewertung nicht auf sie alleine zu stützen. Dies ist auch der Grund dafür, weshalb sich Forschungsarbeiten aus dem SCRM Bereich selten mit dem VaR Ansatz beschäftigen.128 5.1.2 Sensitivitätsanalyse Mit Hilfe der Sensitivitätsanalyse kann der Einfluss einzelner Risiken auf unternehmensbezogene wirtschaftliche Größen ermittelt werden. Ähnlich wie beim VaR Ansatz 123 124 125 126 127 128 Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008b), S. 124 – 125. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 64. Vgl. Rabak, R. (2010), S. 147. Vgl. Becker, H.-P. (2012), S. 23. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 64. Vgl. Li, J., Chen, J., Wang, S. (2011), S. 7. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 34 müssen auch bei der Sensitivitätsanalyse quantitativ verwertbare Daten hinsichtlich der betrachteten Risiken verfügbar sein. Ausgangspunkt ist eine Zielfunktion bei der eine oder mehrere Inputgrößen verändert werden, um herauszufinden, wie die Zielgröße reagiert. Im Umkehrschluss kann auch ermittelt werden, welche Werte die Inputgrößen annehmen dürfen, damit eine gegebene Zielgröße nicht überschritten wird.129 Als Zielgröße kommt zum Beispiel die Veränderung der Umsatzerlöse des Unternehmens unter dem Einfluss von Supply Chain Risikoereignissen in Frage.130 Die Anpassung der Inputgrößen kann auf zwei verschiedenen Wegen erfolgen. Entweder der Ausgangswert wird schrittweise verändert, oder man verwendet vorher festgelegte Alternativwerte (zum Beispiel Minimal- und Maximalwert). Als sinnvoll erweist sich die Sensitivitätsanalyse speziell bei finanziellen Risiken, da die Verbindung mit der Zielgröße funktional darstellbar ist. Bezogen auf betriebliche Risiken kann die Methode nur dann zum Einsatz kommen, wenn der Zusammenhang zwischen einer einzelnen Inputgröße und der Zielgröße nachweisbar ist. Aufgrund wechselseitiger Abhängigkeiten verschiedener Supply Chain Risiken ist dies jedoch nicht immer möglich. Problematisch an der Sensitivitätsanalyse ist weiterhin, dass die Einflussfaktoren eines Risikos relativ genau bekannt sein müssen, um sinnvolle Ergebnisse zu erzielen. Da sich die Zusammenhänge mit der Zielgröße bei den meisten betrieblichen Risiken nicht funktional darstellen lassen, empfehlen die Autoren Pfohl, Gallus und Köhler die Anwendung auf finanzielle Risiken zu beschränken.131 5.1.3 Risikosimulation Die Verwendung der Risikosimulation als Bewertungsverfahren wurde erstmals von Hertz zwecks Risikoanalyse von Investitionsvorhaben angeregt. Mittlerweile gilt sie als Standardwerkzeug für die kritische Auseinandersetzung mit Investitionen. Allgemein bezeichnen Simulationen die Abbildung eines realen Systems in einem Modell und die systematische Durchführung von Experimenten an diesem Modell. 132 Ziel der Risikosimulation ist die Prognose von Zuständen einzelner Systemkomponenten, oder des Gesamtsystems. Eine Variante des Verfahrens ist die historische Simulation, welche ausschließlich auf Grundlage von Vergangenheitsdaten über die Risikoposition eine Abschätzung über deren zukünftige Entwicklung abgibt. Weiterhin existiert die Monte Carlo Simulation als zweite Variante, die sich nicht auf Vergangenheitsdaten bezieht, sondern Zufallszahlen verwendet, um die zukünftige Entwicklung der Risikoposition abzuschätzen. Die Verteilung der Zufallszahlen basiert dabei auf Expertenmeinungen. 129 130 131 132 Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 62. Vgl. Lockamy, A., McCormack, K. (2009), S. 601. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 62 – 63. Vgl. Freidank, C.-C., Lachnit, L., Tesch, J. (2007), S. 1191. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 35 Die Risikosimulation ist sowohl für finanzielle, als auch für nicht-finanzielle Risiken und damit für Supply Chain Risiken geeignet.133 Eine Studie über die Durchführung von Risikosimulationen mit Lieferkettenbezug stammt von den Autoren Deleris und Erhun. Auf Basis von produktbezogenen Informationen hinsichtlich Lagerorten, Streckeninformationen und dem Beitrag zum Gesamtumsatz des Unternehmens, sowie netzwerkbezogenen Informationen bezüglich geografischer Lage, vorhandener Kapazitäten und Organisationsstruktur, wurde ein Flussmodell entworfen, dass später die Grundlage für eine Monte Carlo Simulation bilden sollte. Anhand der bereits angesprochenen netzwerkbezogenen Informationen, sowie Daten über mögliche Risiken, wie der Häufigkeit von Lieferkettenunterbrechungen, dem Schweregrad der Risiken und vorhandenen Abhängigkeitsverhältnissen der Risiken untereinander, wurden des Weiteren verschiedene Unterbrechungsszenarien ermittelt, auf die das erstellte Flussmodell getestet werden sollte. Ziel der Simulation war es den Volumenverlust für die Versorgung des Endkunden mit Produkten unter dem Einfluss verschiedener Supply Chain Unterbrechungsszenarien zu ermitteln und im Anschluss in Geldeinheiten beziehungsweise in den entstehenden Umsatzverlust zu übertragen. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass sich die Risikosimulation als nützliches Tool für Supply Chain Manager anbietet, um Schwachstellen in der Lieferkette zu identifizieren. Allerdings wurde auch auf die Grenzen des Flussmodells hingewiesen, da es sich lediglich um ein statisches Abbild des eigentlichen Netzwerks handelte und zum Beispiel keine Einschätzungen über Lieferzeiten getroffen werden konnten.134 5.2 5.2.1 Semi-Quantitative Methoden Fehler- und Ereignisbaumanalyse Die Fehlerbaumanalyse (FTA) und Ereignisbaumanalyse (ETA) sind Risikobewertungsmethoden, die sich sowohl für die quantitative als auch für die qualitative Evaluation eignen. Im Rahmen der FTA steht das unerwünschte Supply Chain Ereignis (zum Beispiel eine Unterbrechung oder ein Schaden) an oberster Stelle. Es erfolgt eine Zerlegung des Ereignisses in einzelne, nicht weiter unterteilbare Ursachen für den Schaden. Demnach stellen die Äste des Fehlerbaums grafisch gesehen die jeweiligen Ursachen dar und können logisch miteinander verbunden werden. Die einzelnen Gründe für das Schadensereignis werden so transparent gemacht und die gesamte Struktur des Fehlers kann analysiert werden. Auch die Eintrittswahrscheinlichkeit des übergeordneten Schadens kann ermittelt werden, sofern auch für die einzelnen Ursachen Eintritts- 133 134 Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 63. Vgl. Deleris, L., Erhun, F. (2005), S. 1643 – 1648. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 36 wahrscheinlichkeiten vorliegen. Als vorteilhaft erweist sich die grafische Darstellung der FTA, welche die Ursache-Wirkungszusammenhänge eines Supply Chain Risikos erkennen lässt. Weiterhin wird die Risikosteuerung erleichtert, da sich gezielt Maßnahmen für die Beherrschung der einzelnen Ursachen ermitteln lassen. Problematisch stellt sich der mit der FTA verbundene Aufwand dar, zumal sämtliche Ursachen im Detail durchleuchtet werden müssen, weshalb eine Anwendung nur bei Risiken mit hohem Bedrohungspotenzial und großem Schadensausmaß zu empfehlen ist.135 Bei der Ereignisbaumanalyse handelt es sich um eine induktive Methode, die mit einem auslösenden Ereignis startet und per Baumdiagramm eine systematische Erfassung von allen möglichen Endzuständen liefert, die dadurch verursacht werden können. Bei dem auslösenden Ereignis kann es sich zum Beispiel um eine Katastrophe wie eine Flut, einen Großbrand oder ein Erdbeben handeln.136 Beginnend mit dem Ausgangsereignis wird der Baum bei jeder Folgereaktion weiter aufgefächert, so dass sich verschiedene Szenarien hinsichtlich des Endzustands ergeben. Sind für das auslösende Ereignis und die Folgereaktionen Eintrittswahrscheinlichkeiten bekannt, lassen sich auch Wahrscheinlichkeiten für die verschiedenen Endzustände ermitteln. Im Rahmen der SCRM Forschung werden sowohl die ETA, als auch die FTA wenig ausführlich behandelt. Ein potenzieller Anwendungsfall der FTA ist die Ermittlung der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Lieferantenausfalls. Dabei wird das Lieferantenausfallrisiko als unerwünschtes Supply Chain Ereignis in die vier Fehlerquellen Mensch/Organisation, Prozess/Material, Infrastruktur und Umfeld unterteilt. Durch eine weitere Aufgliederung werden die Ursachen daraufhin detaillierter analysiert. Zum Beispiel wird die Fehlerquelle Mensch/Organisation in die Bereiche Mitarbeiterausfall und Unternehmensausfall aufgeteilt. Im letzten Schritt werden dann die genauen Quellen für den Ausfall hinterfragt. Im Falle des Mitarbeiters können dies krankheitsbedingte Fehlzeiten oder Streiks sein, während das Unternehmen selbst aufgrund einer Insolvenz handlungsunfähig werden kann.137 5.2.2 Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse Die Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA) ist ein System von Aktivitäten mit dem Ziel, die potentiellen Fehler eines Produkts oder Prozesses, sowie die Auswirkungen des Fehlers zu entdecken und abzuschätzen. Weiterhin sollen Maßnahmen ermittelt werden, mit denen die Chance des Eintritts eines potentiellen Fehlers reduziert 135 136 137 Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 58. Vgl. Verma, A.-K., Ajit, S., Karanki, D.-R. (2010), S. 330. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 58 – 59. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 37 oder eliminiert werden kann. Auch die Dokumentation des gesamten Bewertungsprozesses ist Teil der FMEA.138 Der Ablauf der FMEA sieht vor, dass im ersten Schritt die möglichen Fehler aufgelistet und beschrieben werden. Dies erfolgt, genauso wie alle weiteren Schritte, mit der Hilfe von standardisierten Formblättern. Die folgende Abbildung zeigt ein Beispiel für ein solches FMEA Formular: 138 Vgl. Dani, S. (2008), S. 61. 6 6 vorgesehene Prüfmaßnahmen keine keine Keine Entlüftung, da das Ventil nicht geöffnet ist Maximal 2 Mi- Keine Entlüfschungen fal- tung, da das sches Mischungs- Ventil ververhältnis stopft ist Potenzielle Fehlerursachen Auftreten Potenzielle Folgen des Fehlers RPZ Fehlerkosten Entdeckung Bedeutung 8 600 384 Empfohlene Abstellmaßnahmen 8 getroffene Maßnahmen 2 2 Auftreten 600 384 8 8 Bedeutung 8 4 350 64 1 180 16 Entdeckung 8 Präventionskosten Maximal 2 MiBefüllung schungen falunvollständig sches Mischungsverhältnis Fehlerart Datum: Verbesserter Zustand Erstellt durch: RPZ Prozessschritt Materialdosierung Bestandteile, Merkmale, Funktionen Derzeitiger Zustand Fehler-Möglichkeits- und -Einfluss-Analyse (FMEA) BEISPIEL EINES FMEA_FORMBLATTES MIT RISIKOERMITTLUNG UND BEWERTUNG DES MONETÄREN NUTZENS Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 38 Tabelle 1: Beispiel für ein FMEA Formular Abfrage der Ventilendlage in der SPS und wöchentliche vorbeugende Wartung Behälter wird an das Druckluftnetz angeschlossen. Visuelle Kontrollen in den Pausen Ventilöffnung sicher stellen Überdruck erzeugen Quelle: in Anlehnung an din-iso-zertifizierung-handbuch.de (2012), 27. Jun. 2012. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 39 Neben der Beschreibung der Fehler, werden auch deren potenzielle Folgen und Ursachen im Formular verbal umschrieben. Die Bewertung der Risiken erfolgt in einem zweiten Schritt, bei dem der aktuelle Zustand der Risiken evaluiert wird. Dazu werden die Wahrscheinlichkeit des Auftretens, die Bedeutung und die Entdeckungswahrscheinlichkeit jeweils mit 1 bis 10 Punkten bewertet. Die höchste Wahrscheinlichkeit entspricht dabei 10 Punkten. Anschließend erfolgt eine Multiplikation der drei Werte aus der sich die Risikoprioritätszahl (RPZ) ergibt. Anhand der ermittelten RPZ erfolgt eine Priorisierung der Risiken und es besteht die Möglichkeit wichtige Risiken von unwichtigen zu trennen. Weiterhin werden im Formblatt Abstellmaßnahmen für die einzelnen Risiken festgehalten und die tatsächlich getroffenen Maßnahmen aufgezeigt. Zum Abschluss erfolgt ein Soll-Ist Abgleich durch Neubewertung der einzelnen Risiken, um die Wirkung der eingeleiteten Maßnahmen zu überprüfen. Die Bewertungsmethode ist die gleiche, wie bei der Initiativbewertung. Auch wenn Fallstudien zeigen, dass die FMEA in der Praxis für die Bewertung von Supply Chain Risiken herangezogen wird, muss dennoch festgehalten werden, dass mit der subjektiven Bewertung der Risiken eine große Schwankungsbreite der RPZ einhergeht und eine Scheingenauigkeit suggeriert wird. Auch die Einbeziehung von nur drei Bewertungsmaßstäben (Auftreten, Bedeutung, Entdeckung) ist als wenig detailliert und ungenau zu bezeichnen. Interpendenzen zwischen einzelnen Risiken finden ebenso keine Berücksichtigung.139 5.2.3 Scoring-Modelle Scoring-Modelle werden in Unternehmen für verschiedene Zwecke eingesetzt. Auf der Managementebene wird durch ihre Anwendung die Entscheidung zwischen verschiedenen Handlungsalternativen erleichtert, wobei die Bewertung unter Berücksichtigung der Ziele und Präferenzen des Entscheidungsträgers erfolgt. Es existieren verschiedene Arten von Scoring-Modellen, welche jedoch auf einer einheitlichen Methodik basieren. Die Evaluation der einzelnen Sachverhalte erfolgt auf der Grundlage von Wertungspunkten. Somit können Supply Chain Risiken, die eigentlich heterogener Natur (zum Beispiel bezogen auf die Messbarkeit) sind, in einem gemeinsamen Entscheidungsmodell bewertet werden, unabhängig davon, ob es sich um quantitative oder qualitative Risiken handelt.140 Grundsätzlich erfolgt die Bewertung anhand diverser Kriterien, die ein Risiko charakterisieren. Dazu zählen beispielsweise die Eintrittswahrscheinlichkeit, die Schadensauswirkung und die Schadenshäufigkeit. Die Wertungspunkte für die einzelnen Kriterien orientieren sich anhand einer einheitlichen Skala, die Vergleiche der Supply Chain Risiken untereinander erlaubt. Eine verbreitete Möglich- 139 140 Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 56 – 57. Vgl. Burger, A., Buchhart, A. (2002), S. 156. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 40 keit, um die Gewichtung der einzelnen Risiken, bezogen auf das Gesamtrisiko, sowie die Kriterien für die Charakterisierung der Risiken festzulegen, bilden Experteninterviews. Auch bieten sich empirische Daten an, um einen Schlüssel für die Gewichtung der Risikopositionen zu ermitteln.141 Um eine schlüssige Risikobewertung im gesamten Unternehmen zu gewährleisten, ist die Einführung von abteilungsübergreifenden Bewertungsmustern notwendig. Grundsätzlich besteht bei Scoring-Modellen ein Konflikt zwischen Vollständigkeit und Genauigkeit der Risikobewertung. Wird eine möglichst umfassende Aufstellung aller Risiken angestrebt, so ist der Gewichtungsfaktor der einzelnen Supply Chain Risiken möglichst gering zu wählen, damit alle Positionen in die Gesamtbewertung einfließen können. Zum einen nimmt durch die niedrige Gewichtung die Genauigkeit der Bewertung ab, zum anderen kann die Vielzahl der Risiken mit niedrigem Gewichtungsfaktor in Summe die Gesamtbewertung ungewollt dominieren.142 5.3 5.3.1 Qualitative Methoden Risikoklassifizierung Bei der Risikoklassifizierung handelt es sich um ein schnelles und leicht verständliches Verfahren zur Risikobewertung, dass sich insbesondere dann anbietet, wenn sich die Eintrittswahrscheinlichkeit und das Schadensausmaß des betrachteten Supply Chain Risikos nicht exakt messen lassen, oder eine Quantifizierung nicht notwendig ist. Durch die Risikoklassifizierung können qualitative Risiken vergleichbar gemacht werden, was hilfreich im Hinblick auf die später einzuleitenden Steuerungsmaßnahmen ist. Bei Erstellung der Risikoklassen empfiehlt sich die Festlegung einer geringen Anzahl an Klassen, um den Überblick nicht zu verlieren und einer Scheingenauigkeit durch eine zu starke Differenzierung vorzubeugen.143 Die Autoren Tummala und Schoenherr machen einen konkreten Vorschlag, wie das Modell einer Risikoklassifizierung ausgestaltet werden kann: Die Grundlage für ein späteres Ranking der einzelnen Supply Chain Risiken bildet die Ermittlung eines sogenannten Risk Exposure Values für jedes identifizierte Supply Chain Risiko. Dabei handelt es sich um einen Wert, der das Gefährdungspotenzial des jeweiligen Risikos abbildet. Die Berechnung des Risk Exposure Values erfolgt durch Multiplikation des Risk Consequence Index, der das Schadensausmaß des Risikos beschreibt, mit dem Risk Probability Index, der die Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos anzeigt. Die folgende Tabelle zeigt die von Tummala und 141 142 143 Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 60. Vgl. Burger, A., Buchhart, A. (2002), S. 161. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 53. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 41 Schoenherr vorgeschlagenen Ausprägungen für den Risk Consequence Index und den Risk Probability Index: Tabelle 2: Risikoklassifizierung nach Tummala und Schoenherr Schadensausmaß Katastrophal Kritisch Qualitative Beschreibung Schließung der Fabrik für mehr als einen Monat aufgrund von Zulieferteilen ohne Sicherheitsbestand Verlangsamung der Produktionsprozesse oder Schließung der Fabrik für eine Woche aufgrund von Zulieferteilen ohne Sicherheitsbestand Risk Consequence Index 4 3 Gering Eingeschränktes Service Level durch erschöpfte Sicherheitsbestände 2 Vernachlässigbar Uneingeschränkter Service durch ausreichend hohe Sicherheitsbestände 1 Eintrittswahrscheinlichkeit Qualitative Beschreibung Risk Probability Index Häufig Einmal pro Woche 4 Unregelmäßig Einmal pro Monat 3 Selten Einmal im Jahr 2 Sehr selten Einmal im Jahrzehnt 1 Quelle: In Anlehnung an: Tummala, R., Schoenherr, T. (2011), S. 478. Der Risk Exposure Value für ein kritisches Risiko (3), welches häufig eintritt (4) wäre demzufolge mit 12 anzusetzen (3 x 4). Nachdem eine Bewertung für alle identifizierten Supply Chain Risiken durchgeführt wurde, erfolgt eine Gruppierung der Risiken. So lassen sich Risiken mit einem Risk Exposure Value von 11 bis 16 zu der kritischsten Klasse zusammenfassen. Dies können zum Beispiel der Diebstahl oder der Verlust von Gütern auf dem Transportweg, das Risiko einer Lieferanteninsolvenz oder der Brand des firmeneigenen Lagerhauses sein. Tummala und Schoenherr empfehlen Risiken mit einem Risk Exposure Value von 6 bis 10 zur zweit kritischsten Klasse hinzuzufügen. Dazu können die Beeinflussung der Supply Chain durch Streiks, die Transportverzögerung durch Zollformalitäten oder der Maschinenausfall beim Vorlieferanten zählen. Supply Chain Risiken mit einem Risk Exposure Value von 1 bis 5 gelten abschließend als vernachlässigbar. Zu dieser Klasse könnten unvollständige oder beschädigte Lieferungen zählen, die nicht zwangsläufig die internen Prozesse des Verarbeiters, aufgrund von ausreichenden Lagerbeständen, gefährden. Alternativ ist es auch möglich die Risk Exposure Values für eine Pareto Analyse heranzuziehen. So können die 20 % der Risiken ermittelt werden, die wahrscheinlich für 80 % der Supply Chain Unterbrechungen verantwortlich sind, um im Anschluss entsprechende Gegenmaßnahmen zu Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 42 definieren.144 Festzuhalten bleibt, dass es sich bei der Risikoklassifizierung um eine stark vereinfachte Bewertungsmethode handelt. Da die Risiken nur grob kategorisiert werden, kann es zu Abgrenzungsproblemen kommen. Als Selektionskriterium für die weiteren Schritte des SCRM Prozesses eignet sich das Verfahren aber dennoch.145 5.3.2 Szenarioanalyse Die Szenarioanalyse ist eine strikt qualitative Bewertungsmethode, die sich bei Erstellung der verschiedenen Szenarios an einer Mischung aus Expertenmeinungen, Brainstormings, Analysen und Vermutungen bedient. Tendenziell eignet sie sich für die Betrachtung von größeren Supply Chain Problematiken über einen längerfristigen Zeitraum.146 In der Regel werden verschiedene Zukunftsszenarien, deren tatsächliches Eintreten für realistisch gehalten wird, innerhalb einer Gruppendiskussion erstellt, wobei das gesamte Spektrum durch den Entwurf von Extremszenarien begrenzt wird. Die Qualität der Ergebnisse hängt maßgeblich vom Know How der Diskussionsteilnehmer, sowie einer sinnvollen Herangehensweise ab. Ziel ist es eine Planungsgrundlage für alle an der Supply Chain beteiligten Institutionen zu schaffen und zu überprüfen, welche Gegebenheiten dazu führen, dass ein bestimmtes Szenario eintritt oder nicht. 147 Zwar ist es unüblich, dass für die einzelnen Szenarios sinnvolle Eintrittswahrscheinlichkeiten ermittelt werden, jedoch lässt sich ein Verständnis für Entscheidungen gewinnen, die zukünftig getroffen werden müssen.148 5.3.3 Risikoportfolio Ein weit verbreitetes Mittel für die Bewertung von Supply Chain Risiken stellen Risikoportfolios dar. Sie ermöglichen eine grafische, modellartige Darstellung der identifizierten Einzelrisiken und liefern die Basis für eine Risikoaggregation. Der Aufbau des Risikoportfolios orientiert sich an der zweidimensionalen Darstellung von zwei Größen, wobei in den meisten Fällen Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit verwendet werden. Die Skalierung der Achsen des Risikoportfolios kann entweder qualitativ oder quantitativ erfolgen.149 Mögliche Einheiten für die Eintrittswahrscheinlichkeit sind je nach Anwendungsfall Prozentpunkte von 0 bis 100 %, Kategorien wie unwesentlich, klein, mittel, groß oder existenzbedrohend, beziehungsweise Häufigkeiten bezogen auf einen bestimmten Zeitraum (Beispiel: Einmal im Monat, einmal im Jahr). Als Einheiten für die Schadenshöhe kommen die bereits erwähnten Kategorien (unwesentlich, …) in 144 145 146 147 148 149 Vgl. Tummala, R., Schoenherr, T. (2011), S. 478 – 479. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 53. Vgl. Waters, D. (2007), S. 142. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 53. Vgl. Waters, D. (2007), S. 142. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 54. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 43 Frage oder ein ungefährer Wert für den Schaden in Geldeinheiten. Sind alle identifizierten Risiken nach den Kriterien Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe bewertet, kann eine Visualisierung im Risikoportfolio erfolgen. In der Regel werden auf der xAchse die Eintrittswahrscheinlichkeiten (probability / frequency) und auf der y-Achse die Schadenshöhe (impact / severity) abgetragen, jeweils vom Ursprung aus mit steigender Höhe. Die Größe der verwendeten Risikomatrix und damit die Anzahl der Abstufungen für die beiden Messgrößen (zum Beispiel 3 x 3, 4 x 4, 5 x 5) hängt dabei vom Ermessen des zuständigen Risikomanagers ab.150 Ein Beispiel für ein Risikoportfolio mit einer 6 x 6 Matrix zeigt die folgende Darstellung: 4 3 1 Low 2 Medium Gewichtung 5 High 6 Abbildung 4: Beispiel für ein Risikoportfolio mit einer 6 x 6 Matrix 1 2 Low 3 4 Medium 5 6 High Frequenz Quelle: in Anlehnung an: riskviews.wordpress.com (2012), 04. Jul. 2012. Die Einzelrisiken werden gemäß ihrer Werte für Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe in die jeweiligen Zellen des Risikoportfolios eingetragen. Durch eine farbliche Markierung der Zellen besteht die Möglichkeit wichtige Risiken von unwichtigen zu trennen. So ist unter anderem eine Einteilung in A, B und C Risiken denkbar.151 Auch kann für die farblich markierten Zellen ein Toleranzlevel definiert werden. So sind im oben aufgeführten Beispiel für Supply Chain Risiken im dunkelgrau Bereich sofortige Gegenmaßnahmen einzuleiten, für hellgraue Risiken Gegenmaßnahmen innerhalb einer Frist von einem Monat, hellgrüne Risiken sollten monatlich und dunkelgrüne Risiken jährlich überprüft werden. Auch ist die Ausgestaltung abhängig von den Bedürfnissen des betrachteten Unternehmens. Alternativ besteht auch die Option eine Akzep- 150 151 Vgl. Grotegut, M. (2006), S. 24 – 25. Vgl. Waters, D. (2007), S. 139. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 44 tanzlinie innerhalb des Risikoportfolios zu ziehen. Diese zeigt an, welche Risiken das Unternehmen akzeptiert, ohne konkrete Gegenmaßnahmen einzuleiten. Alle Risiken links von der Akzeptanzlinie werden hingenommen, für den Rest müssen entsprechende Steuerungsmaßnahmen gefunden werden.152 Ein wesentlicher Vorteil des Risikoportfolios liegt in der Tatsache, dass eine Visualisierung der Risiken stattfindet, welche die wichtigsten Handlungsfelder auf einen Blick aufzeigt. Weiterhin handelt es sich um eine sehr einfache Form der Darstellung, die durch Variation der Achsenkategorien eine Vielzahl an Informationen über die identifizierten Risiken liefern kann. Da es sich um eine zweidimensionale Darstellung handelt, können jedoch nicht alle relevanten Parameter für die Risikobeurteilung gleichzeitig betrachtet werden, was zu einem Unvollständigkeitsproblem führt. Da sich Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe im Zeitablauf ändern können, ist anzumerken, dass ein regelmäßiges Update des Risikoportfolios erfolgen muss um die Aktualität zu gewährleisten. Änderungen, auch solche, die durch eingeleitete Steuerungsmaßnahmen erzielt wurden, können durch eine Verschiebung der Risikomarkierungen innerhalb der Matrix gekennzeichnet werden.153 152 153 Vgl. Grotegut, M. (2006), S. 26. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 54. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 6 45 Steuerung von Supply Chain Risiken Nach Bewertung aller Supply Chain Risiken und Erstellung eines Risikoportfolios, sowie eines Rankings der Einzelrisiken (in Abhängigkeit des ermittelten Risk Exposure Value) wird mit der Analyse des Risikoprofils begonnen. Dabei kann sich zum Beispiel ergeben, dass die Mehrheit der Risiken in den unternehmensinternen oder in den unternehmensexternen Supply Chain Prozessen vorzufinden ist. Auch eine Dominanz der Versorgungsrisiken gegenüber den Nachfragerisiken oder umgekehrt, ist denkbar. Nach einer ersten Bestandsaufnahme sind potenzielle Steuerungsmaßnahmen im Rahmen eines Brainstormings zu ermitteln. Die ermittelten Optionen müssen daraufhin verglichen und bewertet werden. Hauptkriterium bei der Beurteilung ist die Frage, ob die Steuerungsmaßnahme geeignet ist die Eintrittswahrscheinlichkeit oder das Schadensausmaß des identifizierten Risikos zu reduzieren.154 Weiterhin muss die Maßnahme aus kaufmännischer Sicht gerechtfertigt werden und kosteneffizient sein. Dies geschieht durch einen Vergleich der Kosten der Steuerungsmaßnahme mit dem potenziellen Schaden, der beim Eintritt des Risikoereignisses entstehen würde. Das Ziel besteht nicht darin alle Risiken zu eliminieren, sondern sie auf ein tolerierbares Level zu senken. Die Risikosteuerung ist untrennbar mit der Strategie und den Zielen des Unternehmens verbunden. So äußert sie sich zum Beispiel in einer Entscheidung gegen die Einführung eines Produkts oder gegen die Bearbeitung bestimmter Märkte.155 Waters definiert vier Mindestanforderungen an eine Steuerungsmaßnahme: Sie muss dafür sorgen, dass die Supply Chain normal oder mit einer minimalen Unterbrechung weiterarbeiten kann Sie muss das Risiko effektiv bewältigen Sie muss einen angemessenen und effizienten Einsatz der vorhandenen Ressourcen erlauben Sie muss mit allen geltenden Gesetzen und Regelungen vereinbar sein156 Im Rahmen der Risikosteuerung wird zwischen ursachenbezogenen und wirkungsbezogenen Maßnahmen unterschieden. Ziel der ursachenbezogenen Maßnahmen ist die Verringerung der Eintrittswahrscheinlichkeit des Supply Chain Risikos. Dies kann zum Beispiel durch die Verbesserung von Planungssystemen beziehungsweise des Qualitätsmanagements oder den Aufbau von Alternativlieferanten erfolgen. Dagegen versuchen wirkungsbezogene Maßnahmen die Schadenshöhe bei Eintritt eines Supply Chain Risikos zu reduzieren. Es wird eine Begrenzung, Verminderung oder Kompensa- 154 155 156 Vgl. Jüttner, U., Ziegenbein, A. (2008), S. 213 – 214. Vgl. Kaye, D. (2008), S. 38 – 39. Vgl. Waters, D. (2007), S. 150. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 46 tion des Schadens angestrebt. Beispielhaft lassen sich der Aufbau von Pufferbeständen oder die Einführung von Notfallplänen anführen.157 Die ursachenbezogene Risikosteuerung lässt sich weiterhin in Maßnahmen zur Risikovermeidung und Maßnahmen zur Risikoverminderung gliedern. Auf der wirkungsbezogenen Ebene wird eine Unterteilung in Risikobegrenzung (Risikoübertragung), Risikoteilung und die Selbsttragung des Risikos vorgenommen.158 6.1 6.1.1 Ursachenbezogene Steuerungsmaßnahmen Risikovermeidung Risikovermeidungskonzepte gehen mit dem Verzicht auf riskante Geschäfte einher. Dadurch wird eine vollständige Eliminierung der Risikoursache angestrebt.159 Ziel ist die Senkung der Eintrittswahrscheinlichkeit auf Null, wodurch die Höhe des möglichen Schadens irrelevant wird, da er sowieso nicht mehr eintreten kann. Problematisch ist die Risikovermeidung vor allem bei Risiken, die ihre Quelle außerhalb der eigenen Organisation haben.160 Da unternehmerisches Handeln unweigerlich mit der Nutzung von Chancen und dem Eingehen von Risiken einhergeht, ist eine vollständige Vermeidung von Supply Chain Risiken weder möglich noch wünschenswert. Risikovermeidung und ungenutzte Chancen sind daher untrennbar verbunden. Als konkretes Beispiel für eine Strategie zur Eliminierung des Lagerrisikos kann die absatzsynchrone Beschaffung angeführt werden, mit der eine Vereinheitlichung von Beschaffungs-, Produktions- und Absatzmenge angestrebt wird. Im Rahmen einer strikt auftragsbezogenen Fertigung wird das benötigte Vormaterial erst nach Vorliegen des Kundenauftrags bestellt, ohne dass vor der Produktion eine Zwischenlagerung erfolgt. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die Supply Chain Partner eng kooperieren und sich die Kundennachfrage auf konstantem Niveau bewegt und genau prognostizierbar ist. Ohne Lagerbestand führen Lieferverzögerungen unmittelbar zu Produktionsunterbrechungen, wodurch das eliminierte Lagerrisiko in einem gestiegenen Transportrisiko münden kann. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass eine Vermeidungsstrategie bezogen auf die Lagerhaltung einer Wertschöpfungsstufe stets die Verschiebung der Materialbestände auf eine andere Stufe nach sich zieht.161 Ein Beispiel zur Vermeidung von Transportrisiken stellen Lieferantenparks dar, wie sie häufig in der Automobilindustrie vorzufinden sind. In diesem Zusammenhang erfolgt eine Ansiedlung strategisch relevanter Lieferanten in unmittel- 157 158 159 160 161 Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008b), S. 129. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 66 – 68. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 67. Vgl. Grotegut, M. (2006), S. 30 – 31. Vgl. Kummer, S., Sudy, I. (2007), S. 263 – 264. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 47 barer Werksnähe. Durch die kurze Distanz zum Kunden werden Reaktionszeiten minimiert und Transportkosten reduziert. Mit der Hilfe von Logistikdienstleistern kann der Lieferant dann komplexe Module und Systeme produzieren, um sie im Anschluss sequenzgenau und mit optimiertem Versorgungsrisiko zum Montageort innerhalb der Fertigungslinie zu transportieren.162 Eine simple Risikovermeidungsstrategie im Beschaffungsbereich ist weiterhin die Vermeidung von riskanten Prozessen, sowie der Verzicht auf riskante Beschaffungsmärkte.163 Wird beispielsweise auf eine Beschaffung in Drittländern verzichtet und stattdessen nur in der europäischen Währungsunion beschafft, so kann das Devisenrisiko ausgeschlossen werden. 6.1.2 Risikoverminderung Mit Risikoverminderungsmaßnahmen wird gezielt auf die Ursachen des Supply Chain Risikos eingewirkt, um die Eintrittswahrscheinlichkeit zu verringern. Auch wenn die Schadenshöhe weiterhin unverändert bleibt, kann dadurch eine Senkung des Gesamtrisikos erzielt werden.164 Die Eintrittswahrscheinlichkeit von Transportrisiken innerhalb der Supply Chain kann durch eine Verkürzung der Transportwege oder eine gezielte Beschaffung bei lokalen Lieferanten in räumlicher Nähe zur eigenen Fertigungsstätte gesenkt werden. Auch ist eine gezielte Auswahl von Transportwegen und Lagerorten nach Sicherheitsaspekten denkbar. Speziell bei der Nutzung von globalen Beschaffungsmärkten stehen in der Regel mehrere Alternativrouten zur Verfügung.165 So stellen Piraten in manchen Teilen der Erde ein ernst zu nehmendes Risiko für Seefrachtspediteure dar, welches durch die Meidung gefährlicher Routen minimiert werden kann.166 Im Falle internationaler Lieferketten kommen normalerweise mehrere Transportmittel zum Einsatz, was negative Auswirkungen auf die Eintrittswahrscheinlichkeit von Schäden während der notwendigen Umschlagsprozesse zur Folge hat. Eine wirkungsvolle Steuerungsmaßnahme stellt dabei die Nutzung des kombinierten Verkehrs dar, welcher die Vorteile der einzelnen Transportmedien vereinigt. Die Transportmittel werden aufeinander abgestimmt, um den Umschlagsaufwand von einem Transportmittel zum nächsten möglichst gering zu halten.167 Ein mögliches Beispiel bildet der Huckepackverkehr bei dem ganze Fahrzeuge (Beispiel: LKW) auf Fahrzeuge eines anderen Verkehrsträgers (Bei- 162 163 164 165 166 167 Vgl. Gabath, C. (2010), S. 69. Vgl. Gabath, C. (2010), S. 41. Vgl. Grotegut, M. (2006), S. 31. Vgl. Kummer, S., Sudy, I. (2007), S. 264 – 265. Vgl. Waters, D. (2007), S. 153. Vgl. Gabath, C. (2010), S. 69. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 48 spiel: Bahn) umgeladen werden.168 Die Eintrittswahrscheinlichkeit von Lagerschäden kann durch technische und bauliche Veränderungen gesenkt werden. Alarmanlagen, Videoüberwachungs- und Schließsysteme erschweren Diebstähle und verringern somit das Lagermengenrisiko. Auch Kontrollmaßnahmen, die nur autorisierten Mitarbeitern mit Berechtigungsausweis den Zutritt zu den Lagerräumlichkeiten erlauben, sind ein gängiges Mittel, um Lagerrisiken zu minimieren. Die gezielte Auswahl einer geeigneten Verpackung zum Schutz der benötigten Güter vor mechanischen und klimatischen Schäden dient ebenfalls zur Vorbeugung von Transport- und Lagerrisiken. Eine Kennzeichnung der Verpackung mit Bildern oder Zeichen, die auf fragile, giftige, explosive oder feuchtigkeitsempfindliche Güter hinweisen, dient dazu einen sachgerechten Transport und eine ordnungsgemäße Lagerung zu gewährleisten. Weiterhin kann eine Veränderung des Produktdesigns genutzt werden, um die Eintrittswahrscheinlichkeit von Supply Chain Risiken zu senken. Durch die Konstruktion von Endprodukten mit standardisierten Teilen kann die Liste der potenziellen Lieferanten erweitert werden. Außerdem ist eine Reduzierung der Lagerbestände durch die Verringerung des Teilespektrums und die Konzentration auf Standardkomponenten möglich.169 Eine weit verbreitete Strategie zur Flexibilisierung im Produktionsbereich stellt Postponement dar. Im Rahmen einer verzögerten Produktdifferenzierung verbleibt das Endprodukt solange wie möglich in seinem generischen Zustand, bevor es für die einzelnen Kunden individuell angepasst wird. Dadurch lassen sich spezifische Produkteigenschaften im letzten Moment anpassen, so dass Nachfrageschwankungen bei speziellen Produkten oder in speziellen Regionen keine Auswirkungen haben. Das Konzept kommt häufig in der High Tech Industrie bei der Herstellung von Computern und Druckern zum Einsatz.170 Als Beispiel lässt sich der Druckerhersteller Hewlett Packard anführen, der das Postponement Konzept erfolgreich praktiziert. So wurde die Fertigung der Standarddrucker an einem Standort in den Niederlanden zentralisiert. Von dort aus wird sowohl der europäische als auch der nordafrikanische Markt mit Produkten versorgt. Weiterhin wurden die notwendigen Transport- und Distributionsaktivitäten an die französische Firma Fraure Machette outgesourct. Diese übernimmt gleichzeitig die Anpassung der Basisdrucker, sobald ein Kundenauftrag eingegangen ist, indem das Produkt zusammen mit dem passenden Set an Zusatzkomponenten verpackt wird, die sich von Region zu Region unterscheiden. Dabei handelt es sich zum Beispiel um die Betriebsanleitung und das Stromkabel. HP hat durch diese Outsourcing Entscheidung die Anfäl- 168 169 170 Vgl. Arnold, D., Isermann, H., Kuhn, A., Tempelmeier, H. (2004), o.S. Vgl. Kummer, S., Sudy, I. (2007), S. 266 – 268. Vgl. Autry, C., Sanders, N. (2009), S. 318 – 319. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 49 ligkeit der eigenen Supply Chain gesenkt und Transportrisiken minimiert.171 Zunehmend wichtiger wird die Anwendung der RFID Technologie zur Reduzierung von Transport- und Lagerschäden. Dabei werden Objekte mit einem Transponder ausgestattet, mit dessen Hilfe verschiedene produktspezifische Daten per Funkübertragung abgerufen werden können. So besteht die Möglichkeit Güterbewegungen zu registrieren, den Aufenthaltsort von überfälligen Sendungen festzustellen oder die Ankunft einer Sendung anzukündigen. Mittels RFID können leere Lagerregale signalisieren, dass es Zeit für eine Auffüllung ist.172 Ein weiterer Anwendungsfall ist der Einsatz von RFID bei verderblicher Ware, damit kürzere Lagerzeiten durch Einhaltung des FIFOPrinzips realisiert werden können. Im Transportprozess ist eine lückenlose Sendungsverfolgung über alle Ebenen vom Produkt bis zum Verkehrsträger realisierbar.173 Ferner trägt die Steigerung der Transparenz (Visibility) in der Supply Chain zu einer Risikoverminderung bei, da Unterbrechungen besser antizipiert werden können. Dazu ist es notwendig, ein klares Bild über die Standorte und den Status der Lagerbestände innerhalb des Liefernetzwerks zu haben. Das Unternehmen wird dadurch in die Lage versetzt bei Unterbrechungen leichter entscheiden zu können, welche Materialflüsse umgeleitet und welche Produktionskapazitäten neu verplant werden müssen. Die notwendige Transparenz wird durch den Einsatz von Echtzeit Datenbanken erreicht, die stündlich oder täglich Informationen über Bedarfe, Bestände und Kapazitäten an Schlüsselpunkten der Supply Chain liefern. Die Firma Cisco nutzt zur Realisierung dieses Ziels das selbst entwickelte, onlinebasierte Datennetzwerk e Hub. Der Service vernetzt Lieferanten verschiedener Wertschöpfungsstufen und versorgt sie mit einem allumfassenden Bild der gesamten Supply Chain, inklusive potentieller Unterbrechungen, Kapazitätsprobleme, Engpässe und Verspätungen.174 Risikoverminderung lässt sich auch durch Qualitätsmanagementkonzepte wie Total Quality Management erreichen. Diese ganzheitliche Methode beschäftigt sich mit Kundenorientierung, kontinuierlicher Verbesserung, Mitarbeiterorientierung (durch Schulungsmaßnahmen) oder der Ursachenanalyse.175 TQM verfolgt das Ziel Qualität in den Prozess zu implementieren anstatt sich auf Qualitätsprüfungen nach Fertigstellung eines Produkts zu verlassen. Durch eine Inspektion des Endprodukts werden zwar Fehler erkannt, die Qualität wird jedoch nicht gesteigert. Deshalb werden im Rahmen von TQM Qualitätsprozesse auf allen Ebenen der Supply Chain, vom Lieferanten, über die Produktion bis hin zum Endkunden, etabliert. Durch eine kontinuierliche Beobachtung der Prozesse werden Fehler 171 172 173 174 175 Vgl. Yang, B., Yang, Y. (2010), S. 1905. Vgl. Autry, C., Sanders, N. (2009), S. 322. Vgl. Kummer, S., Sudy, I. (2007), S. 268. Vgl. Autry, C., Sanders, N. (2009), S. 316 – 317. Vgl. Kummer, S., Sudy, I. (2007), S. 268. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 50 schneller entdeckt und Korrekturmaßnahmen können rechtzeitig eingeleitet werden noch bevor das Produkt fertiggestellt ist.176 Generell ist eine risikoorientierte Auswahl der Kooperationspartner anzuraten. So sollten nur Lieferanten in Betracht gezogen werden, deren Zuverlässigkeit als hoch eingestuft wird und deren Liquiditätslage als unkritisch angesehen wird.177 6.2 6.2.1 Wirkungsbezogene Steuerungsmaßnahmen Risikobegrenzung / Risikoübertragung Durch Risikoübertragung werden Risiken von einer Organisation innerhalb der Supply Chain auf Dritte transferiert, die eher in der Lage sind oder sich bereit erklären die Konsequenzen zu tragen.178 Dies können Lieferanten, Kunden, Versicherungen oder Logistikdienstleister sein.179 Festzuhalten ist, dass die Risikoübertragung weder zu einer Eliminierung des Risikos, noch zu einer Senkung der Eintrittswahrscheinlichkeit führt. In der Praxis kann die Anwendung dieser Steuerungsmaßnahme sogar zu einer Steigerung des Risikos für die Supply Chain führen, wenn Risiken auf Organisationen übertragen werden, die nicht in der Lage sind mit ihnen umzugehen. So könnte ein dominanter Automobilhersteller dazu übergehen wichtige Risiken auf einen kleinen Zulieferbetrieb abzuwälzen, der nicht über das notwendige Know How verfügt.180 Eine Risikoübertragung im Transportbereich ist durch eine Verpflichtung des Lieferanten zum Gütertransport und die Wahl eines möglichst späten Gefahrenübergangs der Ware erreichbar. Um die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien eindeutig zu definieren, ist die Nutzung der International Commercial Terms als Vertragsbestandteil sinnvoll. Für das beschaffende Unternehmen bietet die DDP Klausel die meisten Vorteile, da der Lieferant verpflichtet wird alle Gefahren und Kosten bis zum Bestimmungsort inklusive der Verzollung zu tragen. Die Supply Chain Risiken werden dadurch auf den Lieferanten abgewälzt.181 Im Absatzbereich empfiehlt sich dagegen die Wahl eines möglichst frühen Gefahrenübergangs auf den Kunden182, was im Kontext der Incoterms durch die E-Klauseln (Abholklauseln)183 erreicht werden kann. Eine Übertragung von Lagerrisiken auf den Lieferanten ist zum Beispiel durch die Einrichtung eines Konsignationslagers realisierbar. Das Beschaffungskonzept sieht vor, dass 176 177 178 179 180 181 182 183 Vgl. Autry, C., Sanders, N. (2009), S. 315 – 316. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 67. Vgl. Waters, D. (2007), S. 154. Vgl. Grotegut, M. (2006), S. 32. Vgl. Waters, D. (2007), S. 154. Vgl. Gabath, C. (2010), S. 70. Vgl. Kummer, S., Sudy, I. (2007), S. 270. Vgl. Gabath, C. (2010), S. 70. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 51 die Lagerhaltung beim Kunden durch den Lieferanten ausgeübt wird. Die Verantwortung für die Bestände (und somit das Lagerrisiko) wird auf den Zulieferer transferiert. Der Abschluss von Transport-, Diebstahl- oder Feuerversicherungen stellt eine weitere gängige Steuerungsmaßnahme dar, bei der ein entstandener Schaden je nach Ausgestaltung der Versicherungspolice teilweise oder vollständig von der Versicherung kompensiert wird.184 Eine Transportversicherung bietet sich insbesondere dann an, wenn es dem Abnehmer nicht gelingt eine D-Klausel bei den Verhandlungen mit dem Lieferanten durchzusetzen. Grundsätzlich ist zwischen der vollen Deckung und der Strandungsfalldeckung zu unterscheiden. In der vollen Deckung sind alle zufälligen Verluste und Beschädigungen enthalten, wenn sie nicht vertraglich ausgeschlossen wurden (zum Beispiel Force Majeure). Bei der Strandungsfalldeckung werden nur Schäden aufgefangen, die auf Ursachen basieren, die explizit im Vertrag festgehalten wurden und in der Regel zum vollständigen Verlust der Ware führen. Mit einer TransportBetriebsunterbrechungsversicherung können auch Transportfolgeschäden wie Produktionsverzögerungen oder –unterbrechungen abgefedert werden. Diese kompensiert entgangene Gewinne, sowie fixe Produktionskosten. Durch die Vereinbarung von Vertragsstrafen (Pönalen) mit dem Lieferanten erhält der Abnehmer weit reichende Ansprüche, falls sich ein Lieferverzug ergibt. Zu beachten ist, dass Vertragsstrafen unwirksam sein können, sofern sie den Vertragspartner in einer unangemessenen Weise benachteiligen.185 Einen wesentlichen Einfluss bei der Verhandlung derartiger Vertragsbestandteile haben die Machtverhältnisse der Vertragsparteien. Es besteht die Gefahr, dass eine opportunistisch motivierte Risikoüberwälzung auf das schwächere Glied vorgenommen wird. Dies wiederspricht jedoch einer ganzheitlichen Optimierung der Lieferkette, welche eine Teilung von Erfolg und Risiken zwischen den Mitgliedern der Supply Chain vorsieht. Ein weiteres Instrument der Risikoüberwälzung besteht in der Gründung eines sogenannten Captive. Dabei handelt es sich um ein Versicherungsunternehmen, dass von einem Großunternehmen oder mehreren Unternehmen gemeinsam ins Leben gerufen wird. In erster Linie sollen mit Hilfe des Captive endogene Risiken der Gründungsunternehmen versichert werden. Der Vorteil besteht darin, dass auch ansonsten schwer versicherbare Risiken versichert werden können, da das Captive auch Zugriff auf den Rückversicherungsmarkt hat.186 184 185 186 Vgl. Kummer, S., Sudy, I. (2007), S. 270. Vgl. Gabath, C. (2010), S. 70. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 68 – 69. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 6.2.2 52 Risikoteilung Der Grundgedanke der Risikoteilung besteht darin, neben den primären Beziehungen zu Fertigungsstätten, Lagerorten und Lieferanten weitere lose Verbindungen mit anderen Standorten zu pflegen, um sich im Notfall bei sekundären Bezugsquellen bedienen zu können.187 Der Trend zum Lean Manufacturing seit den 1980er Jahren führte dazu, dass zahlreiche Unternehmen Single Sourcing Strategien für bestimmte Materialien etablierten, um eine enge Zusammenarbeit mit dem Lieferanten zwecks Steigerung der Qualität zu realisieren. Versorgungsengpässe als Folge umweltbedingter oder von Menschenhand geschaffener Katastrophen führten zu der Erkenntnis, dass Single Sourcing Strategien mit Risiken verbunden sind. Ein Ansatz zur Erhöhung der Supply Chain Sicherheit ist die Entwicklung mehrerer Alternativlieferanten für die gleiche Komponente. Der Druckerhersteller Hewlett Packard verfolgt die Strategie sowohl einen Lieferanten zwecks Kosteneffizienz als auch einen Lieferanten zwecks Flexibilität unter Vertrag zu nehmen. Der auf Kosteneffizienz ausgerichtete Zulieferer erhält eine klar festgelegte Mengenzusage mit Abnahmeverpflichtung seitens HP, was ihn in die Lage versetzt besonders günstige Preise anzubieten. Dagegen wird mit dem auf Flexibilität spezialisierten Lieferanten ein Vertrag über eine variable Menge mit festgelegter Ober- und Untergrenze ausgehandelt. Weiterhin bietet es sich an lokale Lieferanten in das Beschaffungskonzept zu integrieren, besonders dann wenn ansonsten hauptsächlich auf Global Sourcing gesetzt wird. Zwar kann ein lokaler Zulieferer bezogen auf die Einstandspreise teurer sein, jedoch bietet er den Vorteil schnellerer Reaktionszeiten, weshalb er als Backup Lösung in Erwägung gezogen werden sollte. Risikoteilung kann auch erzielt werden, wenn explizit auf Lieferanten gesetzt wird, die mehrere Produktionsstätten an verschiedenen Orten betreiben, die alle die benötigten Materialien herstellen. Supply Chain Unterbrechungen werden dadurch minimiert, zumal die Produktion der gewünschten Komponente zwischen den Standorten hin und her geschoben werden kann.188 Das Phänomen der Risikoteilung lässt sich auch am Beispiel des Einsatzes von Subkontraktoren im Speditionsbereich verdeutlichen. Wenn sich eine Spedition bereit erklärt den Transport für einen Kunden mit einem festen Ankunftstermin zu organisieren, kann sie einen Subunternehmer mit der Durchführung des Transports beauftragen, um das Risiko zu splitten. Die Verantwortlichkeiten der beiden Partner und die Verteilung der Risiken werden zu diesem Zweck vertraglich geregelt. Wenn sich der Subunternehmer bereit erklärt das Risiko eines Lieferverzugs zu tragen und für daraus resultierende Verspätungsschäden aufkommt, wird er dafür vom Auftragge- 187 188 Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 69. Vgl. Autry, C., Sanders, N. (2009), S. 317. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 53 ber eine höhere Prämie erwarten. Übernimmt die beauftragende Spedition das Risiko einer nicht fristgerechten Zustellung der Ware selbst, wird sie auch für die Verspätungsschäden zahlen. Der Subunternehmer erhält im Gegenzug aber auch eine geringere Prämie für seine Leistung. Das Beispiel zeigt, dass die Aufteilung von Risiken stark von Verhandlungen und getroffenen Vereinbarungen abhängt. Waters zeigt die wesentlichen Einflussfaktoren auf, die bei der Risikoteilung eine Rolle spielen. Dazu zählen die Verhandlungsmacht der Supply Chain Partner, die Grundeinstellung gegenüber Risiken, die Fähigkeit Risiken kontrollieren zu können, die Zahlungsbereitschaft zwecks Beherrschung der Risiken, die Erfahrung im Umgang mit Risiken, sowie die individuelle Beurteilung der Risikosituation durch jedes einzelne Unternehmen.189 In der Literatur wird auch die Bildung von Einkaufsgemeinschaften (zum Beispiel mit Unternehmen der gleichen Wertschöpfungsstufe) als Mittel genannt, um eine Aufteilung des Risikos auf mehrere Unternehmen umzusetzen.190 6.2.3 Selbsttragung des Risikos Im Rahmen der Selbsttragung von Risiken werden Auswirkungen, die auf den Eintritt von Risikoursachen zurückzuführen sind, bewusst akzeptiert. Je nach Risikobereitschaft werden betriebsgerichtete Maßnahmen ergriffen, die das Erreichen der übergeordneten Unternehmensziele dennoch sicherstellen sollen.191 Werden dagegen keinerlei Schutzmaßnahmen ergriffen, muss das Risiko in voller Höhe getragen werden. Dieser Extremfall ist relevant, wenn das Unternehmen keine andere Wahl hat, da sich keine Versicherung bereit erklärt das Supply Chain Risiko zu übernehmen. In diesem Fall ist die Generierung von Rücklagen und Rückstellungen gemäß der geltenden handelsund steuerrechtlichen Regularien in Erwägung zu ziehen.192 Eine vollständige Ignorierung des Risikos kommt weiterhin in Frage, wenn sowohl die potenzielle Eintrittswahrscheinlichkeit, als auch das potenzielle Schadensausmaß als besonders gering eingestuft werden. Der erwartete Schaden eines Risikos muss geringer sein als die Kosten für jegliche geeignete Steuerungsmaßnahme. Dies bedeutet, dass selbst die risikoaversesten Unternehmen bestimmte Risiken akzeptieren und ignorieren. Auch signifikante Risiken werden bewusst vernachlässigt, wenn die Kosten für eine sinnvolle Gegenmaßnahme hoch sind oder eine Risikosteuerung dazu führen würde, dass die Situation eher schlimmer wird. Natürlich kann es auch passieren, dass Risiken schlichtweg nicht erkannt werden oder ihre Konsequenzen falsch abgeschätzt werden, 189 190 191 192 Vgl. Waters, D. (2007), S. 155. Vgl. Grotegut, M. (2006), S. 32. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 70. Vgl. Grotegut, M. (2006), S. 33 – 34. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 54 was ebenfalls dazu führt, dass keine weiteren Schritte eingeleitet werden.193 Wie stark der Hang zur Selbsttragung von Risiken ausgeprägt ist, hängt wesentlich von der Risikobereitschaft des betrachteten Unternehmens ab. Eine Möglichkeit, um dennoch indirekt Vorsorge zu betreiben ist die Berücksichtigung von kalkulatorischen Wagnissen, um zum Beispiel drohende Transport- und Lagerschäden einzupreisen.194 Wie bereits erwähnt ist eine bewusste Selbsttragung von Risiken in Kombination mit Maßnahmen zur Dämpfung des auftretenden Effekts ebenfalls möglich. So können zur Reduzierung des ungebremst eintretenden Risikos Redundanzen in verschiedenen Unternehmensbereichen aufgebaut werden. Dies erfolgt durch Einplanung von Pufferzeiten und – beständen, den Einsatz universeller Maschinen, die Verwendung von austauschbaren Materialien oder eine flexible Prozessstruktur. Es muss darauf hingewiesen werden, dass die Gefahr besteht, dass Risiken als Begründung herangezogen werden, um Ineffizienzen in der Supply Chain zu rechtfertigen, weshalb eine klare Trennung von normalen Lagerbeständen und Sicherheitsbeständen vorgenommen werden muss.195 193 194 195 Vgl. Waters, D. (2007), S. 151 – 152. Vgl. Kummer, S., Sudy, I. (2007), S. 270. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 70. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 7 Supply Chain Risiken am Beispiel der Metall- und Elektroindustrie 7.1 Vorstellung des betrachteten Unternehmens 55 Der im Zusammenhang der Arbeit untersuchte Betrieb ist ein international tätiges Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie und unterhält Produktionsstandorte in Mittel- und Osteuropa, sowie China. Der Fokus des Unternehmens liegt auf der Herstellung von Investitionsgütern, die eine zentrale Rolle im Rahmen der weltweiten Energieversorgung darstellen. Seit circa 3 Jahren existieren Bestrebungen Produkte am Markt zu platzieren, die für die Umstellung der allgemeinen Energieversorgung auf erneuerbare Ressourcen benötigt werden. Die gesamte Unternehmensgruppe beschäftigt rund 3.500 Mitarbeiter weltweit und erreichte 2010 einen Umsatz in Höhe von 1,2 Milliarden Euro. Sie ist Teil einer Holding, die wiederum an der Börse gelistet ist. Im Besitz der angesprochenen Holding befinden sich Unternehmen aus verschiedenen Industriezweigen, unter anderem auch aus dem Bereich Maschinenbau, so dass von einem diversifizierten Produktportfolio gesprochen werden kann. Zu den bedeutsamsten Kunden zählen die großen Energieversorgungsunternehmen, wie zum Beispiel E.On, RWE und Vattenfall in Deutschland, sowie die entsprechenden Pendants im europäischen und nicht europäischen Ausland. Im Jahr 2010 gelang die endgültige Fertigstellung einer neuen Fabrik in Mitteleuropa, die speziell auf die Produktion von Investitionsgütern für den bereits angesprochenen Sektor der erneuerbaren Energien ausgelegt ist. Während die neue Produktionshalle eine Grundfläche von 50.000 Quadratmetern aufweist, beträgt die Gesamtfläche der neuen Fertigungsstätte 84.000 Quadratmeter.196 Die neue Fabrik ist mit innovativer Technologie ausgestattet und realisiert Konzepte, die für den Industriezweig nach heutigem Stand einmalig sind. So besteht die Möglichkeit Fertigwaren mit einem Gesamtgewicht von bis zu 2.000 Tonnen zu produzieren und durch die direkte Flussanbindung unmittelbar über den Wasserweg zum Endkunden zu transportieren. Ein automatisiertes Logistiksystem in der Produktionshalle sorgt dafür, dass Gabelstaplertransporte nur noch in Ausnahmefällen notwendig sind und trägt wesentlich zur Steigerung der Energieeffizienz bei.197 196 197 Internetseite des betrachteten Unternehmens (anonymisiert), 07. Aug. 2012. Vgl. Einkaufsleiter (2012), Interview. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 7.2 7.2.1 56 Aluminiumbänder und damit verbundene SC Risiken Betrachtungsgegenstand Ein europäischer Energieversorger gilt als wichtigster Abnehmer für eine spezielle Produktkategorie am Kölner Standort. Ein Rahmenvertrag auf Jahresbasis sorgt für Planungssicherheit hinsichtlich der Maschinenauslastung und soll die Versorgungssicherheit des Kunden gewährleisten. Der Vertrag beinhaltet zwei verschiedene Konstruktionen, die sich am Durchmesser des Endprodukts unterscheiden.198 Beide Typen werden mit Aluminiummänteln ausgestattet, die das Vordringen von Wasser in das Innere des Produkts verhindern sollen.199 Für die Fertigung des Mantels wird eine laminierte Aluminiumfolie benötigt. Nach der aktuell praktizierten Sourcing Strategie für dieses Produkt gilt ein deutscher Hersteller als ein wichtiger Lieferant. Bei dem Unternehmen handelt es sich um den weltweit größten Hersteller von Aluminium Walzprodukten. Der bereits angesprochene deutsche Standort besteht aus einem Folienwalzwerk und einem Umwandlungsbetrieb. Zum Produktspektrum zählen Folien für die Verpackungsindustrie, metallisiertes Papier, sowie unbehandelte und beschichtete Folien für verschiedene Anwendungszwecke.200 Auf der schnellsten Strecke liegen zwischen dem Werk des Zulieferers und dem Produktionsstandort des betrachteten Unternehmens insgesamt 104 Kilometer, für die eine Fahrtzeit von circa 1 Stunde und 16 Minuten anzusetzen ist.201 Die benötigten Aluminiumbänder haben eine Stärke von 0,2 mm und weisen zusätzlich eine Beschichtung mit einer Stärke von 0,05 mm auf. Da die Aluminiumbänder hohen Anforderungen hinsichtlich der Zugfestigkeit genügen müssen, wird für ihre Produktion eine spezielle Legierung eingesetzt, die auf dem Markt eher selten anzutreffen ist. Die Aluminiumbänder werden in Rollenform in zwei verschiedenen Breiten geliefert, abhängig davon, welche der beiden Konstruktionen produziert werden soll. Die Lieferung erfolgt auf Holzpaletten, wobei, abhängig von der Rollenlänge, entweder zwei oder fünf Bänder in einem Packstück zusammengefasst werden. Zusätzlich werden die Bänder in Folie verschweißt und mit Pappe gegen Transportschäden geschützt. Die benötigte Menge für die Wochenproduktion wird immer dienstags angeliefert. Da mit dem Lieferanten Selbstabholung vereinbart wurde, werden die Transporte vom Standort des betrachteten Unternehmens aus koordiniert.202 Aufgrund der zunehmenden Bedeutung des angesprochenen Endkunden für das Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie 198 199 200 201 202 Vgl. Einkaufsleiter (2012), Interview. Vgl. Küchler, A., S. 430 – 431. Internetseite des Zulieferers (anonymisiert), 22. Jul. 2012. viamichelin.de (2012), 22. Jul. 2012. Vgl. Einkaufsleiter (2012), Interview. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 57 und der stark gestiegenen Bedarfe an Aluminiumband am Produktionsstandort in den letzten Jahren, soll im Folgenden eine Analyse der Supply Chain Risiken erfolgen, welche im Zusammenhang mit diesem Rohstoff auftreten können. 7.2.2 Methodische Vorgehensweise Zur Identifizierung relevanter Supply Chain Gefahren wurde zunächst eine Brainstorming Session durchgeführt, an der je ein Teilnehmer aus den Funktionsbereichen Einkauf, Produktionsplanung und Logistik des betrachteten Unternehmens beteiligt war. Dabei konnten insgesamt 33 potenzielle Risiken ermittelt werden, wobei sechs als exogen, 16 als unternehmensübergreifend-endogen und elf als unternehmensbezogen-endogen kategorisiert wurden. Im Anschluss wurden die Risiken jeder Kategorie durchnummeriert. In diesem Zusammenhang wurde exogenen Risiken der Buchstabe A, unternehmensübergreifend-endogenen Risiken der Buchstabe B und unternehmensbezogen-endogenen Risiken der Buchstabe C, zwecks Kennzeichnung vorangestellt. Die einzelnen Positionen wurden in einem Fragebogen (siehe Anhang) aufgelistet. Mit diesem wurde für jedes Risiko eine Einschätzung im Hinblick auf die Eintrittswahrscheinlichkeit und die potenzielle Schadenshöhe von den Studienteilnehmern eingeholt. Beide Parameter sollten auf einer Skala von 1 bis 5 (1 = sehr gering, 2 = gering, 3 = mittel, 4 = hoch, 5 = sehr hoch) beurteilt werden. Insgesamt erfolgte eine Befragung von 8 Know-how Trägern des Unternehmens, davon 4 aus dem Einkauf, 3 aus der Produktionsplanung, sowie einem Mitarbeiter aus der Logistikabteilung. Die Wahl einer größeren Grundgesamtheit für die Umfrage wurde als nicht sinnvoll eingestuft, da das Wissen über den Rohstoff und die dazugehörige Lieferkette auf wenige Mitarbeiter im Unternehmen verteilt ist. Die Rücklaufquote betrug 100 %. Im Rahmen der Auswertung wurden für jedes Supply Chain Risiko Durchschnittswerte (gerundet auf zwei Nachkommastellen) für die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Schadenshöhe auf Basis der 8 Rückmeldungen gebildet. Durch Multiplikation der Durchschnittswerte für beide Parameter wurde anschließend der Risk Exposure Value (gerundet auf zwei Nachkommastellen) für jede Risikoposition ermittelt. Anhand des REP wurde ein Ranking sämtlicher Supply Chain Risiken erstellt. Zur Visualisierung der Kombination aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe für jede Risikoposition wurde außerdem eine Risikomatrix erstellt. 7.2.3 Ergebnisse aus der Know-how Träger Befragung Für alle drei Risikokategorien (exogen, unternehmensübergreifend-endogen und unternehmensbezogen-endogen) wurde eine separate Risikomatrix erstellt, die dem Anhang entnommen werden kann. Das vorrangige Ziel bestand darin, die Interpretation Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 58 der Befragungsergebnisse zu erleichtern und die Relevanz der einzelnen Risiken prägnant darzustellen. Im Bereich der exogenen Risiken zeigte sich, dass insbesondere Katastrophenrisiken, wie Produktionsausfälle aufgrund von Naturgewalten (A3) und terroristischer Anschläge (A4) mit einem potenziell hohen bis sehr hohen Schaden in Verbindung gebracht wurden. Dagegen wurde die Eintrittswahrscheinlichkeit der beiden Risiken fast durchweg als gering eingestuft, was an der vorteilhaften Lage des Zulieferers in Deutschland liegt. Das Supply Chain Risiko mit der am höchsten bewerteten Eintrittswahrscheinlichkeit (Durchschnittswert: 3,25) aus dem exogenen Bereich ist die Abhängigkeit vom Lieferanten aufgrund einer geringen Anbieterzahl. So ist zu beobachten, dass der Markt für beschichtete Aluminiumbänder zwar relativ groß ist, jedoch nur wenige Lieferanten existieren, welche in der Lage sind die benötigte Qualität zur Verfügung zu stellen, zumal hohe Anforderungen an die Schnittkantenqualität oder die Gleichmäßigkeit der Beschichtung gestellt werden. Aufgrund des Preisdrucks durch den globalen Wettbewerb und speziell chinesische Anbieter, die verstärkt den europäischen Markt bearbeiten, wird das Geschäft für europäische Zulieferer, die das nötige Maß an Flexibilität mit sich bringen, erschwert.203 Grundsätzlich ist anzumerken, dass im Bereich der exogenen Risiken (abgesehen von den bereits angesprochenen Katastrophenrisiken), keine Risikoposition von den Teilnehmern im kritischen Bereich einer hohen oder sehr hohen Eintrittswahrscheinlichkeit beziehungsweise Schadenshöhe gesehen wurde. Dies unterstreicht die als gering empfundene Relevanz der gesamten Risikogruppe. Bei der Auswertung der Risikomatrix, bezogen auf die endogen unternehmensübergreifenden Risiken fällt zunächst die Risikoposition B8 (Versorgungsstopp wegen Lieferanteninsolvenz) auf, da sie den zweithöchsten Wert hinsichtlich der Schadenshöhe von allen untersuchten Risiken aufweist (4,63). Da nach aktuellem Stand wenige Materialalternativen anderer Hersteller das werksinterne Freigabeprozedere durchlaufen haben, drohen bei Eintreten des Risikos Konsequenzen für den Produktionsablauf.204 Als besonders relevant lassen sich auch die Risiken B3 (Versorgungsengpass durch schlechtes Forecasting / volatile Produktionspläne) und B4 (Versorgungsengpass durch zu spät platzierte Bestellung / übermittelte Bedarfsmeldung) einstufen, da beide überdurchschnittliche Werte (> 3) hinsichtlich Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe aufweisen. Dies führt zu hohen REP Werten von 12,69 (B4) und 11,78 (B3) und damit zu einer Platzierung beider Risiken unter den TOP 5 aller untersuchten Positionen. Auffällig ist, dass beide Positionen prozessbedingte Ursachen im werksinternen 203 204 Vgl. Einkaufsleiter (2012), Interview. Vgl. Einkaufsleiter (2012), Interview. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 59 Bereich (späte Bedarfsmeldung, volatile Produktionspläne) in Kombination mit der dadurch erschwerten Planbarkeit für den Lieferanten haben. In der Risikomatrix sticht weiterhin ein Cluster aus vier Risiken hervor, die alle gemittelte Werte bezüglich Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe zwischen drei und vier verzeichnen. Dazu zählen Versorgungsengpässe hinsichtlich der benötigten Aluminiumlegierung (B1) beziehungsweise des benötigten Beschichtungscompounds (B2), ein Lieferstopp aufgrund nicht oder zu spät beglichener Lieferantenrechnungen (B9) und ein Lieferverzug des Vorlieferanten, der zu Produktionsverzögerungen beim Lieferanten führt (B11). Drei von vier dieser Risiken haben (B1 und B2) oder können (B11) ihre Ursache im Bereich der Material- und Ressourcenknappheit haben. Alle weisen einen hohen REP zwischen 8,31 und 9,38 auf. Neben den bereits genannten Risiken taucht außerdem Risikoposition B13 (Wunsch nach kurzfristiger Änderung der Auftragsparameter nicht erfüllbar) im TOP 15 Ranking aller untersuchten Risiken auf. Der Rest wird als weniger relevant eingestuft. Bei der Untersuchung der endogen-unternehmensbezogenen Risiken ergab sich, dass Risikoposition C2 (Qualitätsmängel werden beim Wareneingang nicht erkannt, sondern erst während der Verarbeitung) gruppenintern mit dem höchsten potentiellen Schadensausmaß (4,13) bewertet wurde. Dieses Ergebnis überrascht nicht, da fehlerhaftes Material, das im Rahmen des Produktionsprozesses eingesetzt wird, zu Produktionsabbrüchen, Unbrauchbarkeit des Fertigerzeugnisses, Reklamationen durch den Endkunden oder anderen schwerwiegenden Problemen für das Unternehmen führen kann.205 Wie in der Risikomatrix ersichtlich, stellen die Positionen C10 (Abhängigkeit aufgrund praktizierter Sourcing Strategie) und C11 (Mangel an Alternativmaterialien aufgrund fehlender Testkapazitäten / träger Freigabeprozeduren) die relevantesten Supply Chain Risiken der Gruppe dar. Gleichzeitig wurden sie von den Teilnehmern der Befragung, gemessen am REP (C10: 15,41 / C11: 14,88), als kritischste von allen 33 untersuchten Supply Chain Risiken eingestuft. Der hohe REP ist in erster Linie durch die als besonders hoch eingeschätzte Eintrittswahrscheinlichkeit von durchschnittlich 4,25 für beide Risiken begründet. Erneut betonen die Teilnehmer der Studie deutlich den Mangel an Alternativen hinsichtlich Lieferant und Material, sowie die potenziellen Gefahren der praktizierten Sourcing Strategie. Zwei Risiken, die in enger Verbindung mit dem neuen Produktionsstandort stehen, sind Bestandsabweichungen bedingt durch die praktizierte Buchungssystematik in SAP (C4), sowie die unvollständige Berichterstattung an den Einkauf im Hinblick auf Reklamationen (C8). Rohstoffmengen, die für die Produktion eines Kabels eingesetzt worden sind, werden nach Fer205 Vgl. Einkaufsleiter (2012), Interview. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 60 tigstellung des Auftrags per retrograder Entnahme aus dem Bestand in SAP gebucht. Basis für diese mengenmäßige Buchung sind die in SAP hinterlegten Stücklisten aus denen der planmäßige Materialeinsatz pro Fertigungseinheit hervorgeht. Wird wider Erwarten mehr Material verbraucht, als die theoretischen Verbrauchsmengen gemäß Stückliste vorgeben, kommt es zu Bestandsabweichungen. Unter anderem bedingt durch falsch gepflegte Verbrauchsmengen kam es seit Eröffnung des Standorts verstärkt zu Ungenauigkeiten bei der Bestandsführung, die zu signifikanten Inventurdifferenzen führten. Ein Grund für unvollständige Informationen bei der Meldung von Reklamationen an den Einkauf sind falsch verstandene Qualitätsmanagement Prozesse oder ein Schulungsmangel im Bereich QM. So wurden seit der Werkseröffnung zahlreiche neue Mitarbeiter eingestellt, die sich erst mit der Materie vertraut machen müssen.206 Die folgende Tabelle zeigt die TOP 15 Supply Chain Risiken der Mitarbeiterbefragung gemessen am ermittelten REP: Tabelle 3: TOP 15 Supply Chain Risiken für beschichtete Al-Bänder Rang Code 1 C10 2 C11 3 B4 4 B3 5 C8 6 C4 7 A6 8 C2 9 B1 10 C1 11 B11 12 B8 13 B13 14 B2 15 B9 Supply Chain Risiko REP Abhängigkeit aufgrund praktizierter Sourcing Strategie Mangel an Alternativmaterialien aufgrund fehlender Testkapazitäten / träger Freigabeprozeduren Versorgungsengpass aufgrund zu spät platzierter Bestellung / übermittelter Bedarfsmeldung Versorgungsengpass bedingt durch schlechtes Forecasting der Bedarfsmengen Unvollständige Berichterstattung an den Einkauf im Hinblick auf Reklamationen Bestandsabweichung bedingt durch Buchungssystematik in SAP (retrograde Entnahme) Abhängigkeit aufgrund geringer Anbieterzahl Qualitätsmängel werden beim Wareneingang nicht erkannt, sondern erst während der Verarbeitung Versorgungsengpass hinsichtlich der benötigten Aluminiumlegierung Qualitätsmängel werden beim Wareneingang nicht erkannt, sondern erst vor der Verarbeitung Lieferverzug Vorlieferant, dadurch Produktionsverzögerungen beim Lieferanten 15,41 Versorgungsstopp wegen Lieferanteninsolvenz Wunsch nach kurzfristiger Änderung der Auftragsparameter (Menge, Lieferzeit) nicht erfüllbar Versorgungsengpass hinsichtlich des benötigten Beschichtungscompounds Lieferstopp wegen nicht beglichener / zu spät beglichener Lieferantenrechnungen 8,67 Quelle: eigene Darstellung. 206 Vgl. Einkaufsleiter (2012), Interview. 14,88 12,69 11,78 11,38 10,88 10,56 9,8 9,38 9,34 9,19 8,63 8,44 8,31 Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 7.2.4 61 Gewonnene Erkenntnisse und mögliche Steuerungsmaßnahmen Betrachtet man die TOP 15 Supply Chain Risiken gemäß der ermittelten REP Werte, so fällt auf, dass ein Großteil der potenziellen Gefahren auf die Sourcing Beziehung zum Lieferanten zurückzuführen ist. Dazu zählen insbesondere die Risikopositionen A6, B1, B2, B8, B11 und C10. Dies hat den Vorteil, dass mit einer geringen Anzahl an Steuerungsmaßnahmen gleichzeitig mehrere Risiken eingedämmt werden können. Die naheliegende Vorkehrung besteht in der Umstellung der aktuell praktizierten Beschaffungsstrategie auf eine breitere Lieferantenbasis. Dabei wird das Beschaffungsobjekt von mehreren Zulieferern bezogen, die miteinander im Wettbewerb stehen. Häufig wird dem Lieferanten, der die vorteilhafteren Konditionen offeriert, eine größere Menge zugeteilt, als dem Konkurrenten. Es handelt sich um eine Sicherheitsstrategie, die insbesondere für strategische Rohstoffe geeignet ist und auf der einen Seite die Materialversorgung des Unternehmens sicherstellen beziehungsweise auf der anderen Seite den Wettbewerb zwischen den Lieferanten fördern soll.207 Häufig wird die Bedarfsmenge auf verschiedene Zulieferer aufgeteilt, was die Konkurrenzsituation fördert, zumal der dominierende Lieferant versuchen wird seinen Anteil zu verteidigen. Dagegen wird der unterlegene Lieferant versuchen den Rang mit dem Hauptlieferant langfristig zu tauschen und seine Liefermengen kontinuierlich zu steigern.208 Im konkreten Fall der beschichteten Aluminiumbänder bietet es sich an den Anteil des aktuellen Zulieferers zunächst auf einem hohen Niveau zu belassen, zumal das Material qualitativ zufriedenstellend ist und mit potenziellen, neuen Alternativmaterialien nur wenige Erfahrungen gesammelt werden konnten. Ein Großteil der Lieferanten am Markt bietet zwar nicht die spezifizierte Legierung an, jedoch existieren Produkte mit vergleichbaren Eigenschaften, die im Rahmen einer Versuchsreihe auf Einsetzbarkeit geprüft werden müssten.209 Parallel bietet sich eine kontinuierliche Analyse und Beobachtung des aktuellen Lieferanten im Hinblick auf potenzielle Supply Chain Risiken an. Dies erfolgt zum Beispiel durch standardisierte Fragebögen zur Selbsteinschätzung des Zulieferers oder durch Anwendung von eigenen Risk-Scoring Modellen, die Parameter wie Qualität, finanzielle Lage, Konkurrenzfähigkeit oder die Wahl der Transportrouten evaluieren. Wichtig ist, dass es sich um einen laufenden Prozess handelt, dessen Ergebnisse und Fortschritte in einer Lieferantendatenbank festgehalten werden.210 Ein Standardwerk, dass als Grundlage genutzt werden kann, um den Lieferanten zwecks Selbsteinschätzung seiner Supply Chain Risiken zu befragen, wurde von dem Beratungsunter- 207 208 209 210 Vgl. Wannenwetsch, H. (2010), S. 166. Vgl. Pepels, W. (2009), S. 110. Vgl. Einkaufsleiter (2012), Interview. Vgl. Elkins, D., Handfield, R., Blackhurst, J., Craighead, C. (2008), S. 60. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 62 nehmen LCP Consulting in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Logistik und Supply Chain Management der Cranfield School of Management entwickelt (Understanding Supply Chain Risk: A Self-Assessment Workbook). Das Dokument beinhaltet standardisierte Arbeitsblätter, mit denen der Lieferant seine eigenen Lieferketten analysieren und sich selbst hinsichtlich der folgenden fünf Risikodimensionen testen kann: Versorgungsrisiken, Nachfragerisiken, Prozessrisiken, Steuerungsrisiken und exogene Risiken.211 Ein weiterer Ansatz besteht darin einen Business Continuity Plan vom Lieferanten abzuverlangen. Darin muss er SCRM Maßnahmen identifizieren und definieren, die im Falle einer Lieferkettenunterbrechung durchgeführt werden können. Bei der Auswahl potenzieller Alternativlieferanten muss die Auswertung des BCP fester Bestandteil der Angebotsanalyse sein, um Risiken noch vor Aufnahme der Geschäftsbeziehung vorzubeugen. Dabei ist auch eine Zusammenarbeit mit dem Lieferanten zwecks Verbesserung der angedachten Steuerungsmaßnahmen im Krisenfall denkbar.212 Für einige der TOP 15 Risiken wurden in jüngster Vergangenheit Steuerungsmaßnahmen entworfen, deren Effektivität sich noch zeigen muss. Als Reaktion auf die Risikoposition C11 (Mangel an Alternativmaterialien aufgrund fehlender Testkapazitäten / träger Freigabeprozeduren) wurde ein Materialkostenteam ins Leben gerufen, dass aus Mitarbeitern des Einkaufs und der Produktionsplanung besteht. In einem Meeting, dass alle vier bis acht Wochen stattfindet, informiert der Einkauf über Alternativmaterialien und zeigt damit verbundene Einsparpotenziale auf. Diese sollen der Produktionsplanung als Incentive dienen, um Testkapazitäten für die notwendigen Versuchsaufträge einzuplanen. Um die Auswirkungen des Risikos C4 (Bestandsabweichung durch Buchungssystematik in SAP) zu minimieren, wurden die Verbrauchswerte pro Fertigungseinheit vor kurzer Zeit auf den Prüfstand gestellt. Für Materialien bei denen signifikante Bestandsabweichungen in der Vergangenheit beobachtet wurden, erfolgte eine Adjustierung der in der Stückliste hinterlegten Parameter. Als präventive Maßnahmen zur Eindämmung der Risiken B4 (Versorgungsengpass aufgrund zu spät platzierter Bestellung / übermittelter Bedarfsmeldung) und B3 (Versorgungsengpass bedingt durch schlechtes Forecasting der Bedarfsmengen / volatile Produktionspläne) werden bereits heute Änderungen der Wiederbeschaffungszeit für Aluminiumbänder umgehend nach Bekanntwerden an die Materialdisposition kommuniziert. Nach aktuellem Stand wird bereits 8 Wochen im Voraus die Gesamtmenge für den übernächsten Monat geordert, wobei die Einteilung der tatsächlichen Liefertermine innerhalb des jeweiligen Monats erst circa 2 Wochen im Voraus erfolgt. Jedoch zeigte sich, dass die ur- 211 212 Vgl. Christopher, M. (2003), S. 24 – 32. Vgl. Elkins, D., Handfield, R., Blackhurst, J., Craighead, C. (2008), S. 60. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 63 sprünglich bestellte Monatsmenge häufig im Nachhinein drastisch korrigiert werden musste (zum Beispiel aufgrund von Produktionsplanänderungen).213 Ergänzend zum bisher praktizierten System könnte es sich daher als sinnvoll erweisen dem Lieferanten eine Bandbreite an möglichen Forecast Mengen zu nennen, abhängig von verschiedenen Szenarien, die in den nächsten Wochen für denkbar gehalten werden. Dies schafft eine höhere Flexibilität als bei der Kommunikation einer einzelnen Zahl, sofern der Lieferant in der Lage ist die verschiedenen Szenarien auch bei kurzfristiger Änderung abzubilden.214 Zur Minimierung der Risiken C1, C2 und C8, die in erster Linie unentdeckte oder zu spät entdeckte Qualitätsmängel des Vormaterials beziehungsweise Schwächen bei der Reklamationsbearbeitung thematisieren, ist ein ausgiebiges Training der Mitarbeiter die effektivste Strategie. Auf allen Unternehmensebenen muss ein Bewusstsein für Produktionsunterbrechungen vorhanden sein. Dies lässt sich durch ein initiales QM Training für Mitarbeiter (zum Beispiel im Wareneingangsbereich) und anschließend periodisch stattfindende Refresher Kurse erreichen.215 213 214 215 Vgl. Einkaufsleiter (2012), Interview. Vgl. Autry, C., Sanders, N. (2009), S. 320. Vgl. Autry, C., Sanders, N. (2009), S. 326. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 8 64 Fazit Auch wenn die Begriffe Agilität und Flexibilität im Kontext des Supply Chain Managements derzeit inflationär benutzt werden, besteht aufgrund der starken Nachfrageschwankungen in den letzten Jahren dennoch die Notwendigkeit, dass sich insbesondere global handelnde Unternehmen mit der Versorgungssicherheit ihrer Produktion und der Reaktionsfähigkeit auf unvorhergesehene Umstände beschäftigen. Wie ernst dieses Thema tatsächlich genommen wird, zeigt die Firma Bosch, welche eine eigene Supply Chain Academy betreibt, um den Mitarbeitern, aber auch den Lieferanten eine ganzheitliche Supply Chain Perspektive zu vermitteln. Weiterhin verfolgt Bosch die Strategie verstärkt auf regionale Beschaffungsmärkte zurückzugreifen und die Eigenfertigung zu stärken, um die Agilität zu stärken und unabhängiger von Fremdeinflüssen zu werden. Dass sich dieses Verständnis für Supply Chain Risiken auszahlt, zeigte die Atomkatastrophe in Japan, die Bosch mit fehlenden Sendungen von circa 500 Lieferanten konfrontierte. Aufgrund der praktizierten SCRM Maßnahmen von Bosch war es dennoch möglich alle Kunden ohne Lieferkettenunterbrechung zu bedienen.216 Trotz der positiven Effekte ist die Implementierung von SCRM dennoch mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. So beschäftigen sich Manager vornehmlich mit Risiken, die ihre eigenen Kunden und Lieferanten betreffen, ohne ein ganzheitliches, funktionsbereichsübergreifendes Risikomanagement zu verfolgen. Daher muss in der Organisation häufig ein Umdenkprozess eingeleitet werden, bevor SCRM Methoden zielführend implementiert werden können. Weiterhin ist der Erfolg eng mit einer klaren Abgrenzung der Zuständigkeiten verbunden. Auch wenn es einer Person gelingt bestimmte Risiken innerhalb der Supply Chain zu identifizieren, bedeutet dies nicht, dass diese Person auch die Verantwortung dafür tragen kann beziehungsweise die Fähigkeiten besitzt mit dem Risiko umzugehen. SCRM lebt von einer engen Kooperation zwischen den Supply Chain Partnern, die nur durch gegenseitiges Vertrauen sinnvoll gestaltet werden kann. Doch viele Unternehmen zweifeln die Vertrauenswürdigkeit ihrer Geschäftspartner an, was häufig nicht grundlos geschieht. Natürlich hat die Wahrung des Betriebsgeheimnisses höchste Priorität, jedoch führt eine Blockadehaltung im Gegenzug zu einem erhöhten Risiko, zum Beispiel durch ungewisse Materialbedarfe. Da die Einführung von SCRM zeit- und ressourcenintensiv ist, fällt es zudem schwer die entstehenden Kosten zu rechtfertigen, wenn der Nutzen der Maßnahme nicht eindeutig quantifiziert werden kann. Managern fällt es schwer Geld in die Risikovermeidung zu investieren, da der Erfolg letztendlich darin besteht, dass nichts passiert. Mit dieser Problematik sind ins- 216 Vgl. Semmann, C. (2011), S. 5. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 65 besondere KMU konfrontiert, die nur über begrenzte Kapazitäten im personellen und finanziellen Bereich verfügen. Mangelnde Kommunikation zwischen den Supply Chain Partnern gefährdet ebenfalls den erfolgreichen Start für ein Risikomanagement mit Lieferkettenbezug. Die Verständigung zwischen den Parteien muss auf allen Ebenen funktionieren: Die Bereichsleiter müssen in der Lage sein verschiedene Ziele und Kulturen organisatorisch zu vereinen, während auf dem operativen Level ein enger Informationsaustausch erfolgen muss, um Supply Chain Risiken bei bestimmten Aktivitäten zu vermindern. Eine Herausforderung stellt auch die Verbindung der häufig sehr unterschiedlichen IT Strukturen dar.217 Kapitel 7 verdeutlicht, dass der SCRM Prozess auch mit einfachen Mitteln in der Praxis angewendet werden kann. Mit einer geringen Zahl an Instrumenten wie dem Brainstorming (Risikoidentifikation), dem Risk Ranking und der Risikomatrix (Risikobewertung) wurde sich ein umfassender Überblick über bestehende Supply Chain Risiken in Verbindung mit Aluminiumbändern verschafft. Dadurch konnten wichtige von unwichtigen Risikopositionen getrennt und Prioritäten für die weitere Risikosteuerung festgelegt werden. Auch wenn die vorgestellten Verfahren schnell und eingängig sind, muss darauf hingewiesen werden, dass die gewählte Bewertungsmethodik eine starke Vereinfachung darstellt und die Supply Chain Risiken nur sehr allgemein einordnet. Wie der Fall zeigt ist die Vorgehensweise aber dennoch geeignet, um Risiken zu selektieren. Die visuelle Darstellung der Risiken im Risikoportfolio erleichtert zudem die Interpretation der Befragungsergebnisse, auch wenn eine Beschränkung auf die Risikoparameter Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe erfolgt.218 Eine wesentliche Herausforderung mit der sich die Disziplin SCRM in Zukunft auseinandersetzen muss, besteht darin den Widerspruch von agilen Lieferketten und umweltschonenden Logistikkonzepten aufzulösen. So muss es gelingen Risikobewusstsein, Agilität und Nachhaltigkeit miteinander zu verbinden. Weiterhin darf der wieder aufblühende Trend zur Regionalisierung im Lieferantenbereich zwecks Minimierung der Supply Chain Risiken nicht dazu führen, dass das Ziel der Flexibilisierung globaler Strukturen aus den Augen verloren wird.219 217 218 219 Vgl. Waters, D. (2007), S. 187 – 188. Vgl. Pfohl, H.-C., Gallus, P., Köhler, H. (2008a), S. 53 – 54. Vgl. Henke, M. (2011), S. 5. Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 66 Anhang und Anlagen Anlage 1: Fragebogen: Beschichtete Aluminiumbänder und damit verbundene Supply Chain Risiken Fragebogen: Beschichtete Aluminiumbänder und damit verbundene Supply Chain Risiken Hintergrund Im Rahmen meiner Bachelor Thesis mit dem Titel "Der Supply Chain Risk Management Prozess und Supply Chain Risiken in der industriellen Praxis" ist eine Analyse von Supply Chain (Lieferketten) Risiken im Hinblick auf beschichtete Aluminiumbänder vorgesehen. Dieser Rohstoff wird am Produktionsstandort des betrachteten Unternehmens der Metall- und Elektroindustrie für die Fertigung von Investitionsgütern für einen europäischen Energieversorger eingesetzt. Bei der Materialqualität handelt es sich um eine spezielle Aluminiumlegierung. Grundsätzlich werden Bänder in zwei verschiedenen Breiten, jedoch unterschiedlichen Lauflängen eingesetzt. Für diesen Rohstoff wurden insgesamt 33 potentielle Supply Chain Risiken ermittelt, die von den Know-How Trägern des betrachteten Unternehmens hinsichtlich Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe eingeschätzt werden sollen. Bitte nehmen Sie sich 10 Minuten Zeit den vorliegenden Fragebogen auszufüllen. Sie tragen damit maßgeblich zum Erfolg meiner Abschlussarbeit bei. Die Befragung erfolgt selbstverständlich anonym und die Ergebnisse werden vertraulich behandelt. Im Folgenden einige Erläuterungen und Ausfüllhinweise: Erläuterungen Exogene Risiken : Außerbetriebliche Risiken. Sind auf umweltbedingte Ursachen zurückzuführen. Entstehen aufgrund sozialpolitischer, ökonomischer, technologischer oder geographischer Gegebenheiten Endogene Risiken (unternehmensübergreifend) : Innerbetriebliche Risiken. Sind auf die Lieferkettenbeziehung mit dem Lieferanten zurückzuführen. Endogene Risiken (unternehmensbezogen) : Innerbetriebliche Risiken. Sind auf die Tätigkeiten im eigenen Fertigungsbetrieb zurückzuführen. Ausfüllhinweise Je Supply Chain Risiko darf nur ein Kreuz im Bereich Eintrittswahrscheinlichkeit und ein Kreuz im Bereich Schadenshöhe vorgenommen werden. Bitte ausnahmslos alle Supply Chain Risiken bewerten. Eintrittswahrscheinlichkeit: 1 2 3 4 5 sehr gering gering mittel hoch sehr hoch Schadenshöhe: 1 2 3 4 5 sehr gering gering mittel hoch sehr hoch A) Exogene Risiken A1) Lieferverzug bedingt durch Verkehrsstau / Vollsperrung der Autobahn A2) Personalstreik beim Lieferanten oder Vorlieferanten A3) Produktionsausfall / Lieferstopp aufgrund von Naturkatastrophe (z.B. Erdbeben, Flut) A4) Produktionsausfall / Lieferstopp aufgrund terroristischer Anschläge / politischer Instabilität A5) Konsolidierung der Lieferantenstruktur führt zu Bestreitung der bisherigen Mengenzusagen A6) Abhängigkeit aufgrund geringer Anbieterzahl Endogene Risiken (unternehmensübergreifend) B1) Versorgungsengpass hinsichtlich der benötigten Aluminiumlegierung B2) Versorgungsengpass hinsichtlich des benötigten Beschichtungscompounds B3) Versorgungsengpass bedingt durch schlechtes Forecasting der Bedarfsmengen / volatile Produktionspläne B4) Versorgungsengpass aufgrund zu spät platzierter Bestellung / übermittelter Bedarfsmeldung B5) Versorgungsengpass bedingt durch unerwarteten Anstieg der Kundennachfrage (Spontanbestellung etc.) B6) Lieferung höherer Menge als erwartet (Überlieferung) B7) Lieferung geringerer Menge als erwartet (Unterlieferung) B8) Versorgungsstopp wegen Lieferanteninsolvenz B9) Lieferstopp wegen nicht beglichener / zu spät beglichener Lieferantenrechnungen B10) Lieferverzug bedingt durch zwischengeschaltete Logistikdienstleister (z.B. Abfertigung am Werkstor) B11) Lieferverzug Vorlieferant, dadurch Produktionsverzögerungen beim Lieferanten B12) Beschädigung / Untergang der Ware auf dem Transportweg B13) Wunsch nach kurzfristiger Änderung der Auftragsparameter (Menge, Lieferzeit) nicht erfüllbar B14) Mangelnde Qualität der gelieferten Ware (unsaubere Schnittkanten, ungleichmäßige Beschichtung etc.) B15) Lieferant senkt Qualitätslevel bedingt durch Kostendruck B16) Lieferant nimmt unauthorisierte Änderungen am Produkt vor (z.B. neuer Beschichtungscompound) C) Endogene Risiken (unternehmensbezogen) C1) Qualitätsmängel werden beim Wareneingang nicht erkannt, sondern erst vor der Verarbeitung C2) Qualitätsmängel werden beim Wareneingang nicht erkannt, sondern erst während der Verarbeitung C3) Gelieferte Mengen werden nicht eingebucht, dadurch Bestandsabweichung C4) Bestandsabweichung bedingt duch Buchungssystematik in SAP (retrograde Entnahme) C5) Kapazitätsengpässe bezogen auf vorhandene Lagerplätze C6) Probleme bei der administrativen Abwicklung (Dokumentenfluss etc.) bedingt durch Urlaubsvertretung C7) Übermittlung der Abholaufträge an Spediteur schlägt fehl / wird vergessen C8) Unvollständige Berichterstattung an den Einkauf im Hinblick auf Reklamationen C9) Personalmangel / Einsatz von Leihkräften führt zu unsachgemäßer Verarbeitung der gelieferten Bänder C10) Abhängigkeit aufgrund praktizierter Sourcing Strategie C11) Mangel an Alternativmaterialien aufgrund fehlender Testkapazitäten / träger Freigabeprozeduren Eintrittswahrscheinlichkeit 1 2 3 4 5 1 Schadenshöhe 2 3 4 5 Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie Anlage 2: Risikomatrix – exogene Risiken Anlage 3: Risikomatrix – endogen-unternehmensübergreifende Risiken 67 Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 68 Anlage 4: Risikomatrix – endogen-unternehmensbezogene Risiken Anlage 5: Protokoll zu Experteninterview mit Einkaufsleiter Experteninterview Thema: Aluminiumbänder und deren Supply Chain Risiken Datum des Interviews: 07.08.2012 Name des Interviewpartners: Einkaufsleiter des betrachteten Unternehmens Position: Einkaufsleiter Auskunftserteilung: persönlich Frage 1: Bereits seit rund 3 Jahren wird an Ihrem neuen Produktionsstandort produziert. Was zeichnet die neue Fabrik aus und wo liegen die Stärken gegenüber dem alten Standort? Antwort: Während am alten Standort ein Großteil der internen Logistik noch über Gabelstaplertransporte abgewickelt wurde, kommen nun automatisierte Transportmittel auf Luftkissenbasis innerhalb der Produktionshalle zum Einsatz. Dies trägt zu einer Verringerung des CO2 Ausstoßes und zur Steigerung der Energieeffizienz bei. Weiterhin verfügt die Fabrik über weltweit einzigartige Fertigungsanlagen. So besteht Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 69 die Möglichkeit Endprodukte mit bis zu 2.000 Tonnen Gesamtgewicht zu produzieren und über den Flussweg zum Endkunden zu bringen. Frage 2: Der Bedarf an beschichteten Aluminiumbändern ist in den letzten Jahren drastisch gestiegen. Das Material wird für die Fertigung von Endprodukten für einen europäischen Energieversorger eingesetzt. Welche Relevanz hat der Kunde und welche Beschaffungsstrategie kommt bei diesem Material zum Tragen? Antwort: Der angesprochene Energieversorger ist der wichtigste Abnehmer für dieses Produktsegment an unserem Standort. Die Abnahmemengen werden auf Jahresbasis fixiert und sorgen für eine kontinuierliche Auslastung unserer Fertigung. Der Vertrag umfasst zwei verschiedene Konstruktionen, die in etwa im gleichen Verhältnis durch den Kunden abgerufen werden. Aktuell nutzen wir wenige freigegebene Lieferanten für die Beschaffung der benötigten Aluminiumbänder. Frage 3: Was sind die (groben) Anforderungen an das benötigte Material und wie ist die Logistik strukturiert? Antwort Spezifiziert wird eine relativ seltene Aluminiumknetlegierung, die allerdings die notwendigen Voraussetzungen im Hinblick auf die Zugfestigkeit des Materials erfüllt. Die Lieferung erfolgt in Rollenform, wobei zwei verschiedene Breiten zum Einsatz kommen. Je nach Breite kommen unterschiedliche Lauflängen zum Tragen. Die Verladung erfolgt auf Holzpaletten, der Transportschutz wird mit Pappe und Folie ausgeführt. Je nach Rollenlänge werden pro Palette entweder zwei oder fünf Rollen verladen. Einmal pro Woche erfolgt eine durch uns organisierte Abholung beim Lieferanten für die jeweilige Wochenproduktion. Frage 4: Der Markt für beschichtete Aluminiumbänder ist relativ groß, jedoch gibt es wenige Lieferanten, die den Ansprüchen genügen. Welche weiteren Herausforderungen bringt der Rohstoff mit sich? Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 70 Antwort Zahlreiche Anbieter sind mittlerweile im ostasiatischen Bereich ansässig. Hier ist es nicht immer einfach die notwendige Flexibilität hinsichtlich der Versorgung zu gewährleisten. Europäische Anbieter leiden zudem unter dem Preisdruck verursacht durch die chinesischen Hersteller. Die aktuell praktizierte Sourcing Strategie führt zwar dazu, dass entsprechend vorteilhafte Einkaufskonditionen erzielt werden können, jedoch haben aktuell nur wenige Alternativmaterialien das interne Freigabeprozedere von uns durchlaufen, so dass wir mit dem potenziellen Risiko eines Versorgungsstopps konfrontiert sind. Auch wenn wir mit der aktuell bezogenen Legierung sehr zufrieden sind, bietet es sich mittelfristig an bestimmte Alternativlegierungen auszutesten, da die Verfügbarkeit am Markt hier wesentlich größer ist. Frage 5: Welche konkreten Maßnahmen wurden bereits ergriffen, um mit dem Rohstoff verbundene Supply Chain Risiken einzudämmen? Welche Maßnahmen wünschen Sie sich für die Zukunft? Antwort Alle 4 bis 8 Wochen tagt ein Materialkostenteam in dem ein Austausch zwischen Mitarbeitern der Arbeitsvorbereitung und des Einkaufs stattfindet. Hier wird über alternative Materialien und damit verbundene Kosteneinsparungen informiert. Mittlerweile wurden auch die Verbrauchswerte der Aluminiumbänder je Fertigungseinheit analysiert. Aufgrund falsch gepflegter Parameter in der Stückliste gab es hier in der Vergangenheit drastische Bestandsabweichungen, die auf die automatisierte Verbrauchsbuchung per retrograder Entnahme zurückzuführen waren und nun hoffentlich behoben sind. Grundsätzlich wird das Material zudem 8 Wochen im Voraus bestellt, um dem Lieferanten eine großzügige Planungszeit einzuräumen. Die endgültige Einteilung der Liefertermine erfolgt dann 2 Wochen vor Monatsbeginn, um noch kurzfristig auf Produktionsplanänderungen reagieren zu können. Allgemein wäre es sicherlich sinnvoll in Zukunft verstärkt Augenmerk auf die Schulung von Mitarbeitern im QM Bereich zu legen. Speziell der Informationsfluss bei Reklamationen ist nämlich suboptimal. Vielen Dank für das Interview! Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie 71 Literaturverzeichnis Arnold, D., Isermann, H., Kuhn, A., Tempelmeier, H. (2004): Handbuch Logistik, 2. Auflage, Heidelberg. Autry, C., Sanders, N. (2009): Supply Chain Security: A Dynamic Capabilities Approach. In: Zsidisin, G., Ritchie, B. (Hrsg.): Supply Chain Risk – A Handbook of Assessment, Management, and Performance, New York. Becker, H.-P. (2012): Investition und Finanzierung – Grundlagen der betrieblichen Finanzwirtschaft, 5. Auflage, Wiesbaden. Blome, C., Henke, M. (2008): Single Versus Multiple Sourcing: A Supply Risk Management Perspective. In: Zsidisin, G., Ritchie, B. (Hrsg.), Supply Chain Risk – A Handbook of Assessment, Management, and Performance, New York. Böger, M. (2002): Gestaltungsansätze und Determinanten des Supply Chain Risk Managements, Diss., Hamburg. Brindley, C., Ritchie, B. (2004): Supply Chain Risk, Burlington. Burger, A., Buchhart, A. 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Sowohl aus der Perspektive der Logistikdienstleister als auch der verladenden Wirtschaft aus Industrie und Handel werden innovative Konzepte und praxisbezogene Instrumente des Logistikmanagement vorgestellt. Damit kann ein öffentlicher Austausch von Erfahrungswerten und Benchmarks in der Logistik erfolgen, was insbesondere den KMU der Branche zu Gute kommt. The series research paper logistics within Institute for Logistics and Service Management of FOM University of Applied Sciences addresses management topics within the logistics industry. The research perspectives include logistics service providers as well as industry and commerce concerned with logistics research questions. The research documents support an open discussion about logistics concepts and benchmarks. Band 1 Klumpp, M., Bovie, F.: Personalmanagement in der Logistikwirtschaft Band 2 Jasper, A., Klumpp, M.: Handelslogistik und E-Commerce [vergriffen] Band 3 Klumpp, M.: Logistikanforderungen globaler Wertschöpfungsketten [vergriffen] Band 4 Matheus, D., Klumpp, M.: Radio Frequency Identification (RFID) in der Logistik Band 5 Bioly, S., Klumpp, M.: RFID und Dokumentenlogistik Band 6 Klumpp, M.: Logistiktrends und Logistikausbildung 2020 Band 7 Klumpp, M., Koppers, C.: Integrated Business Development Band 8 Gusik, V., Westphal, C.: GPS in Beschaffungs- und Handelslogistik Band 9 Koppers, L., Klumpp, M.: Kooperationskonzepte in der Logistik Band 10 Koppers, L.: Preisdifferenzierung im Supply Chain Management Band 11 Klumpp, M.: Logistiktrends 2010 Band 12 Keuschen, T., Klumpp, M.: Logistikstudienangebote und Logistiktrends Band 13 Bioly, S., Klumpp, M.: Modulare Qualifizierungskonzeption RFID in der Logistik Band 14 Klumpp, M.: Qualitätsmanagement der Hochschullehre Logistik Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie Band 15 78 Klumpp, M., Krol, B.: Das Untersuchungskonzept Berufswertigkeit in der Logistikbranche Band 16 Keuschen, T., Klumpp, M.: Green Logistics Qualifikation in der Logistikpraxis Band 17 Kandel, C., Klumpp, M.: E-Learning in der Logistik Band 18 Abidi, H., Zinnert, S., Klumpp, M.: Humanitäre Logistik – Status quo und wissenschaftliche Systematisierung Band 19 Backhaus, O., Döther, H., Heupel, T.: Elektroauto – Milliardengrab oder Erfolgsstory? Band 20 Hesen, M.-A., Klumpp, M.: Zukunftstrends in der Chemielogistik Band 21 Große-Brockhoff, M., Klumpp, M., Krome, D.: Logistics capacity management – A theoretical review and applications to outbound logistics Band 22 Helmold, M., Klumpp, M.: Schlanke Prinzipien im Lieferantenmanagement Band 23 Gusik, V., Klumpp, M., Westphal, C.: International Comparison of Dangerous Goods Transport and Training Schemes Band 24 Bioly, S., Kuchshaus, V., Klumpp, M.: Elektromobilität und Ladesäulenstandortbestimmung – Eine exemplarische Analyse mit dem Beispiel der Stadt Duisburg Band 25 Sain, S., Keuschen, T., Klumpp, M.: Demographic Change and ist Effect on Urban Transportation Systems: A View from India Band 26 Abidi, H., Klumpp, M.: Konzepte der Beschaffungslogistik in Katastrophenhilfe und humanitärer Logistik Band 27 Froelian, E., Sandhaus, G.: Conception of Implementing a Service Oriented Architecture (SOA) in a Legacy Environment Band 28 Albrecht, L., Klumpp, M., Keuschen, T.: DEA-Effizienzvergleich Deutscher Verkehrsflughäfen in den Bereichen Passage/Fracht Band 29 Meyer, A., Witte, C., Klumpp, M.: Arbeitgeberwahl und Mitarbeitermotivation in der Logistikbranche Band 30 Keuschen, T., Klumpp, M.: Einsatz von Wikis in der Logistikpraxis Band 31 Abidi, H., Klumpp, M.: Industrie-Qualifikationsrahmen in der Logistik Band 32 Kaiser, S., Abidi, H., Klumpp, M.: Gemeinnützige Kontraktlogistik in der humanitären Hilfe Band 33 Abidi, H., Klumpp, M., Bölsche, D.: Kompetenzen in der humanitären Logistik Band 34 Just, J., Klumpp, M., Bioly, S.: Mitarbeitermotivation bei Berufskraftfahrern – Eine empirische Erhebung auf der Basis der AHP-Methode Band 35 Bioly, S., Klumpp, M.: Demografischer Wandel in der Logistik Schriftenreihe Logistikforschung Band 41, Supply Chain Risk Management in der Industrie Band 36 Kutlu, C., Bioly, S., Klumpp, M.: Demografic change in the CEP sector Band 37 Witte, C., Klumpp, M.: Betriebliche Änderungsanforderungen für den Ein- 79 satz von Elektronutzfahrzeugen – eine AHP-Expertenbefragung Band 38 Keuschen, T., Klumpp, M.: Lebenslanges Lernen in der Logistikbranche – Einsatz von ergänzenden Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen Band 39 Keinhörster, M., Sandhaus, G.: Maschinelles Lernen zur Erkennung von SMS-Spam Band 40 Abidi, H., Klumpp, M.: Demografischer Wandel und IndustrieQualifikationsrahmen Logistik Band 41 Bayer, F., Bioly, S.: Der Supply Chain Risk Management Prozess und Supply Chain Risiken in der industriellen Praxis Arbeitspapiere der FOM Die 1993 von Verbänden der Wirtschaft gegründete staatlich anerkannte gemeinnützige FOM Hochschule verfügt über 31 Studienorte in Deutschland. Als praxisorientierte Hochschule fördert die FOM den Wissenstransfer zwischen Hochschule und Unternehmen. Dabei sind alle wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge der FOM auf die Bedürfnisse von Berufstätigen zugeschnitten. Die hohe Akzeptanz der FOM zeigt sich nicht nur in der engen Zusammenarbeit mit staatlichen Hochschulen, sondern auch in zahlreichen Kooperationen mit regionalen mittelständischen Betrieben sowie mit internationalen Großkonzernen. FOM-Absolventen verfügen über solide Fachkompetenzen wie auch über Klumpp, Matthias / Marner, Torsten / Sandhaus, Gregor (Hrsg.) ild Schriftenreihe Logistikforschung Band 41 herausragende soziale Kompetenzen und sind deshalb von der Wirtschaft sehr begehrt. Weitere Informationen finden Sie unter fom.de Supply Chain Risk Management in der Industrie – am Beispiel der Metall- und Elektroindustrie Bayer, Frank / Bioly, Sascha Das Ziel des ild Institut für Logistik- & Dienstleistungsmanagement ist der konstruktive Austausch zwischen anwendungsorientierter Forschung und Betriebspraxis. Die Wissenschaftler des Instituts untersuchen nachhaltige und innovative Logistik- und Dienstleistungskonzepte unterschiedlicher Bereiche, initiieren fachbezogene Managementdiskurse und sorgen zudem für einen anwendungs- und wirtschaftsorientierten Transfer ihrer Forschungsergebnisse in die Unternehmen. So werden die wesentlichen Erkenntnisse der verschiedenen Projekte und Forschungen unter anderem in dieser Schriftenreihe Logistikforschung herausgegeben. Darüber hinaus erfolgen weitergehende Veröffentlichungen bei nationalen und internationalen Fachkonferenzen sowie in Fachpublikationen. Weitere Informationen finden Sie unter fom-ild.de ISSN 1866-0304