- Wasser

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- Wasser
Nr. 10/2015
Ruthie Foster
• Gary Clark Jr. - Rusty Stone & Robert Richter – Mitch Kashmar
– Otis Redding
• Album des Monats: Sugar Brown – Poor Lazarus
• Mit Erzählungen von Brygida Helbig und Bret Harte
2
EDITORIAL
IMPRESSUM
Die Wasser-Prawda ist ein Projekt
des Computerservice Kaufeldt
Greifswald. Das pdf-Magazin
erscheint in der Regel monatlich.
Es wird kostenlos an die registrierten Leser des Online-Magazins
www.wasser-prawda.de verschickt.
Wasser-Prawda Nr. 10/2015
Redaktionsschluss: 20.10.2015
Titelseite: Ruthie Foster
links: Jo Kubek
REDAKTION:
C he f r e d a k t e u r : R a i mu nd
Nitzsche (V.i.S.d.P.)
Redaktion: Mario Bollinger,
Bernd Kreikmann, Matthias
Schneider, Dave Watkins, Darren
Weale
Mitarbeiter dieser Ausgabe:
Gary Burnett, Iain Patience,
Markus Reimer
Die nächste Ausgabe erscheint am
27. November 2015.
Adresse:
Redaktion Wasser-Prawda
c/o wirkstatt
Gützkower Str. 83
17489 Greifswald
Tel.: 03834/535664
[email protected]
Anzeigenabteilung:
[email protected]
Wasser-Prawda | Oktober 2015
I N H A LT
3
INHALT
OKTOBER 2015
3
4
5
9
10
13
14
17
20
22
25
29
30
Inhalt
Editorial
Auf Tour
Musik
13./14. November: Zwei Tage Blues in Volksdorf
Die Schnellen & die Toten
Gary Clark Jr.: Wenn diese Welt mich aufregt
Ruthie Foster: Mehr als Nur eine Blueslady
Bayern – Dein Blues Teil 1: Rusty Stone und
Robert Richter in der Schrottgalerie
Mitch Kashmar: Harmonica-Heaven on Earth
Blues At Sea
Otis Blue: Otis Redding und die Entstehung eines
Soulklassikers
Netzfundstücke: Kurzticker
Netzfundstücke: Hörbi Schmidt Band
31 Blueskalender
37
39
52
54
56
58
60
69
Rezensionen
Sugar Brown – Poor Lazarus
Rezensionen A bis Z
Wiederhören
Meilensteine: Willie Dixon – I Am The Blues
Feuilleton
Literatur-ABC: F Wie Fiktion
Sprachraum
Brigyda Helbig: Die Privatdozentin
Bret Harte: Der Mann am Semaphor
Die Vestalinnen
80 English Articles
Wasser-Prawda | Oktober 2015
4
EDITORIAL
EDITORIAL
VON RAIMUND NITZSCHE
Wie geht‘s jetzt weiter mit der Wasser-Prawda? Das
war so ziemlich jedes Mal die erste Frage, nachdem ich
Freunden mitgeteilt habe, dass ich ab sofort zumindest
für vier Wochen einen „echten“ Job habe. Acht Jahre und
mehr haben wir bislang unser Kulturmagazin in purer
Selbstausbeutung jeden Monat neu mit Rezensionen,
Biografien und Interviews, mit literarischen Texten und
Buchkritiken gefüllt. Möglich war das nur, weil trotz
aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten immer noch ein
paar journalistische Beiträge an andere Auftraggeber
verkauft werden konnten. Das hatte in letzter Zeit aber
immer mehr abgenommen. Auch ist es in den letzten
Jahren nicht gelungen, regelmäßige Einnahmen durch
den Verkauf von Anzeigen zu generieren. Und so ist
meine Karriere als freier Journalist zumindest momentan an sein Ende gekommen. Ab sofort bin ich nur noch
in meiner Freizeit journalistisch tätig. Und das wird sich
natürlich auch bei der Wasser-Prawda auswirken.
Die erste „Streichung“ im Magazin betrifft den
Terminkalender: Die Sammlung von Tourterminen und
Veranstaltungsplänen aus den Bereichen des Blues und
verwandter Musik wird es so nicht mehr geben. Wer seine
Termine weiterhin auf diesen Seiten und online sehen
möchte, kann gerne nach den Preisen für Werbeanzeigen
fragen. Und für Musikerinnen und Musiker werden wir
hier ebenso Spezialangebote unterbreiten wie für kleine
Clubs. Aber kostenlos gibt es diesen Service nicht mehr.
In diesem Monat ist das Heft noch prall gefüllt. Aber
auch das könnte sich in den nächsten Wochen ändern.
Wenn man täglich zwischen acht und vier im Büro sitzt
und außerdem noch drei Stunden Fahrzeit hat, kann
man nicht mehr täglich bis zu drei Rezensionen schreiben oder einen Berg englischer Texte übersetzen.
Das heißt jetzt aber nicht, dass wir die Wasser-Prawda
jetzt zum reinen Spaß- und Feierabendprojekt zurückfahren wollen. Wir sind im Gegenteil dabei, andere wirtschaftliche Möglichkeiten zu erschließen. Zukünftig
Wasser-Prawda | Oktober 2015
wird es etwa Bücher des freiraum-verlags über unseren
neuen Webshop zu kaufen geben. Und wer als Musiker
unsere Seite unterstützen möchte, kann uns gerne
seine Alben zum Verkauf in physischer Form oder als
Download zur Verfügung stellen. Fragt einfach per Mail
nach den Konditionen nach.
Euer Raimund Nitzsche
TERMINE
Festivals
7. Volksdorfer Blues Festival
13./14.11. Hamburg-Volksdorf
Luca Sestak Duo, Jazz-Combo des Walddörfer
Gymnasiums, Meena Cryle & The Chris Fillmore
Band, Abi Wallenstein, The Double Vision
Auf Tour
3 Dayz Whizkey
08.11. Freising, Schlüter Bar
Abi Wallenstein
21.11. Oederan, Volkskunstschule im „Spital“
(BluesCulture)
Bad Temper Joe
23.11. Bielefeld, Spökes (mit Greyhound George)
B.B. & The Blues Shacks
02.11. Köln Soundstation im Bahnhof Köln
06.11. Bachs Blues Night Bachs (CH)
07.11. Itzehoe Lions Blues Night
13.11. Czechowice-Dziedzice ROCK & BLUES
FESTIWAL (PL)
16.11. Kassel Theaterstübchen
17.11. Fürth Kofferfabrik
19.11. Wien BlueSimon (A)
20.11. Frauental Blue Garage (A)
Big Daddy Wilson
06.+07.11. Dresden / Jazztage Dresden
13.11. Kiel / Räucherei
14.11. Twist / Heimathaus
19.11. Menen / Culturcentrum (BE)
Blue Note Blues Band
27.11. München, Alfonso’s
28.11. Bad Aibling, Campus Bar
05.12. Kolbermoor, Nikolausi im Grammophon
11.12. Bad Soden, Franky’s
5
12.12. Würzburg, Omnibus
Cologne Blues Club
7.11. Rhede, Blues
12.11. Wien, Reigen Live (A)
13.11. Steyregg, Weissenwolf (A)
14.11. Frauental, Bluegarage (A)
Daniel Puente Encina
20.11. Eckernförde, Carls (Trio)
Dr. Will & The Wizards
7.11. Zürich, El Lokal (CH)
13.11. Runding, Robinson
14.11. München, Anton‘s
East Blues Experience
06.11. Markneukirchen, Framus & Warwick Music Hall
07.11. Hainichen, Ratskeller
13.11. Stralsund, Alte Brauerei
20.11. Sondershausen, Jazzclub
21.11. Mülsen, Rock- und Bluesnacht
27.11. Pirna, Q24
28.11. Langenlipsdorf, Kulturkantine
Engerling
07.11. Chemnitz, Kabarettkneipe
20.11. Rostock, Pumpe
21.11. Stralsund, Anker Werkstatt
27.11. Eisenach, Schlachthof
Flemming Borby
04.11. Cottbus, Grenzenlos
05.11. Dresden, Laika
06.11. München, Trachtenvogl
07.11. Emerkingen, Café Ohne
11.11. Landau, Akzent Kaffehaus
12.11. Basel, Caff è Bologna (CH)
13.11. Thun, Mundwerk (CH)
14.11. Aarau, Garage (CH)
15.11. Karlsruhe, Wohnzimmerkonzert
Wasser-Prawda | Oktober 2015
6
TERMINE
25.11. Halle, Café Ludwig
26.11. Grevenbroich, Café Kultus
27.11. Bochum, I am LOVE
28.11. Köln, Kulturcafé Lichtung
29.11. Stuttgart, Sideways
Georg Schroeter & Marc Breitfelder
08.11. Rohrbach, incontri
14.11. Garching, Bürgerhaus
Glen David Andrews & The Sazerac
Swingers
20.11. Gütersloh, Weberei
21.11. Heerlen (NL), Jazz Out Festival
22.11. Gronau, Benefiz Gospel Gala
25.11. Heiligenhaus, Jazz im Museum
26.11. Paderborn, Jazzclub
27.11. Mannheim, Jazz Night im Hauptbahnhof
28.11. Brackenheim, Kulturforum
29.11. Tübingen, Gospelkonzert, Jakobuskirche
Greyhound George
09.11. Bielefeld, Spökes - m. Thomas Feldmann
23.11. Bielefeld, Spökes - m. Bad Temper Joe
Hamburg Blues Band
13.11. Ascheberg „Landgasthof Langenrade“
14.11. Magdeburg, „Festung Mark“
20.11. Oldenburg, „Charlys“
21.11. Goslar, „Kubik“
04.12. Isernhagen, „Bluesgarage“
05.12. Hamm „Kulturwerkstatt“
19.12. Worpswede, „Music Hall“
23.12. Vechta, „Gulfhaus“
Hattler
16.11. Bonn, Harmonie
17.11. Aschaffenburg, Colossaal
18.11. Göttingen, Musa
27.11. Markneukirchen, Warwick Musichall
28.11. Altenburg, Jazzklub
Wasser-Prawda | Oktober 2015
Henning Pertiet
13.11. Isernhagen, Isernhagenhof (mit: Axel
Zwingenberger)
15.11. Bremen, Club Moments (mit: Axel Zwingenberger)
Jessy Martens & Band
07.11. Twistringen, Alte Zieglei
13.11. Berlin, Ratskeller Köpenick
14.11. Affalter, Gasthof Zur Linde
Jewish Monkeys
04.11. Berlin, Badehaus Szimpla
05.11. Augsburg, Kresslesmühle
07.11. Dresden, Scheune
Jimmy Reiter
04.12. Cuxhaven - Captain Ahab‘s
Klaus Major Heuser Band
06.11. Bonn - Pantheon Theater
14.11. Stemwede - Life House
15.11. Leer (Ostfriesland) - Zollhaus
20.11. Gelsenkirchen - Kaue
27.11. Eppelborn - Big Eppel
Marius Tilly Band
27.11. Bremen, VILLA SPONTE
28.11. Lauenau, KESSELHAUS
Meena Cryle
06.11. Visp, Blues Night (CH)
07.11. Baden Baden, Bluesclub
10.11. Offenbach, KJK
13.11. Melle, Kulturwerkstatt
14.11 HH-Volksdorf, Bluesfestival
17.11. Bremen, Meisenfrei
19.11. Eppstein, Wunderbar
Mike Zito
09.11. Bonn, Harmonie Bonn
TERMINE
10.11. Bensheim, The Rex
12.11. Enschede, Nixenmeer (NL)
13.11. Weert, De Bosuil (NL)
14.11. Hannover, Blues Garage
Richard Bargel & Dead Slow Stampede
18.11. PULHEIM | Kultur- und Medienzentrum
Samantha Fish/Laurence Jones
01.11. Grolloo, De Hofsteenge (NL)
03.11. Köln, GreensClub
04.11. Hamburg, Downtown Bluesclub
05.11. Kerteminde, Samlingsstuen (DK)
06.11. Berlin, Quasimodo
08.11. Rheinberg, Schwarzer Adler
Savoy Brown
18.11. Dortmund, Musiktheater Piano
19.11. Lindewerra, Gemeindesaal
20.11. Rubigen, Muhle Hunziken (CH)
21.11. Hannover, Blues Garage
22.11. München, Garage Deluxe
24.11. Wien, Reigen Live (A)
26.11. Weinheim, Cafe Central Weinheim
27.11. Hamburg, Downtown Bluesclub
28.11. Berlin, Quasimodo
Sena Ehrhardt
01.11. Kodersdorf, Weinscheune
The Dynamite Daze
02.11. Lahnstein, JUKZ
14.11. Nürtingen, Kuckucksei
28.11. Offenbach, Wiener Hof
THORBJØRN RISAGER
12.11. Dortmund, Musiktheater Piano
13.11. Übach, Rockfabrik
14.11. MontbEliard, Atelier des Moles (F)
15.11. Beverstedt, Kulturtransport
27.11. Hildesheim, Bischofsmühle
28.11. Rheinberg, Schwarzer Adler
7
Wille and the Bandits (UK)
19.11. Münster, Hot Jazz Club
20.11. Hamburg, Rock Café St. Pauli
21.11. Worpswede, Music Hall
23.11. Aschaffenburg, Colos-Saal
24.11. Köln, Yard Club
26.11. Berlin, Auster Club NEW
27.11. Isernhagen, Blues Garage
28.11. Lorsch, Kulturhaus Rex
Wolf Maahn
06.11. Torgau, Kulturbastion
07.11. Schrecksbach, Mylord
20.11. Worpswede, Live Music Hall
21.11. Bad Lippspringe, Kongresshaus
27.11. Berlin, Tempodrom
28.11. Göttingen, MUSA
Clubs
Blues & More
Eiscafe Temmler, Chemnitz
07.11. Eb Davis & Superband (Exil/Schauspielhaus)
20.11. The Desperate Blues Girls
28.12. Ballroomshakers feat Roberta Collins
Bluesgarage
Hannover Isernhagen
06.11. Nikki Hill
07.11. Mike Osborn Band
12.11. Stef Burns League
13.11. Hundred Seventy Split
14.11. Mike Zit & The Wheel
20.11. Brother Dege & The Brotherhood of Blues
ChaBah
Kandern
04.11. Larry Griffith
11.11. Joe Filisko & Eric Noden
18.11. The Blues Bones
Wasser-Prawda | Oktober 2015
8
TERMINE
25.11. Marily Oliver and Gas Blues
Band
Downtown Bluesclub
Hamburg
04.11. Samantha Fish/Laurence Jones
Kulturspeicher
(Bergstraße, Ueckermünde)
14.11. Eisbrenner
28.11. Hubertus Rösch
Laboratorium
Stuttgart
06.11. Erja Lyytinen
26.11. Danny Bryant
Music Hall Worpswede
06.11. NDR Bigband feat. Pee Wee Ellis
Quasimodo
Berlin
06.11. SAMANTHA FISH & LAURENCE
JONES
07.11. ERIC GALES
13.11. NIKKI HILL
20.11. JC DOOK‘S MOTOWN PROJECT
21.11. BABA SOUL & THE PROFESSORS OF
FUNK
27.11. LAYLA ZOE & BAND
28.11. SAVOY BROWN
Troisdorfer Bluesclub
Realschule Heimbachstrasse 10, Troisdorf
20.11. Meena Cryle & Chris Fillmore Band
Wasser-Prawda | Oktober 2015
MUSIK
9
1 3. / 1 4. NOVE M B E R : Z WE I
TAGE BLUES IN VOLKSDORF
Irgendwie scheint den Machern
des zumindest kleinsten deutschen
Bluesfes vals der Rahmen zu eng
geworden zu sein. Sta wie in den
letzten Jahren drei Acts aus der Region,
aus Deutschland und dem Rest der
Welt finden sich auf dem Programm der
siebeten Auflage gleich fünf Bands.
Das „normale“ Festivalprogramm bestreiten dann am
14. November Meena Cryle und die Chris Fillmore Band
aus Österreich, Abi Wallenstein und die Thüringer Band
The Double Vision. Die Bluesrocker sind mittlerweile
längst über ihren ehemaligen Stauts als Rory Gallegher
Tribut Band hinausgewachsen und haben in den letzten
Jahren Alben mit eigenen Stücken veröffentlicht und
bei den verschiedensten Festivals für Aufmerksamkeit
gesorgt. Über Abi Wallenstein muss man hier wohl
Am ersten Abend werden (vor lediglich 75 Zuschauern) ebensowenig große Worte verlieren wie über die fanim Club Riff (dem ehemaligen Flava Club) die Jazz- tastische Sängerin Meena (Foto)aus Österreich, die mit
Combo des Walddörfer Gymnasiums (Hamburg) und ihren Alben auf Ruf Records nicht nur in der Redaktion
das Duo des jungen Boogie Pianisten Luca Stestak auf- der Wasser-Prawda Freunde gefunden hat.
treten. Vor allem der 1995 geborene Niedersachse hat mit Hier kann man nur sagen: Ein spannendes Programm
zwei bereits zwei eigenen Alben und vielen Konzerten haben die engagierten Festivalmacher mal wieder
nicht nur im Norden Deutschlands schon einen äußerst zusammen gestellt. Man sollte sich möglichst schnell
guten Ruf erspielt. Trotz seiner Jugend spielt er mittler- um Karten bemühen. Denn bislang war das Volksdorfer
weile hauptsächlich eigene Kompositionen!
Bluesfestival noch jedes Mal komplett ausverkauft.
Wasser-Prawda | Oktober 2015
10
INTERVIEW
D IE SC HNE LLE N & D I E T OT E N
EIN NEUER BRIEF AUS DEM VEREINIGTEN KÖNIGREICH VON
DARREN WEALE
Link zur Musik dabei!
Es ist gut sich daran zu erinnern, dass, als schwarze
amerikanische Blueskünstler in ihrem Heimatland
Meine Entschuldigung an die Leser der Wasser-Prawda Rassismus und Ausgrenzung erlitten, war Europa für
dafür, dass in letzter Zeit die Briefe aus dem UK fehlten. sie eine bessere Erfahrung. Und einige von ihnen ließen
Briefe sind schwierig zu schreiben in sehr arbeitsreichen sich dann auch hier nieder.
Zeiten. Und hier war eine ganze Menge los. Deutschland
Was war eigentlich los im UK, hör ich Euch fragen.
ist hierzulande häufig in den Nachrichten mit dem, was
Oder ich stell mir zumindest vor, dass Ihr das macht.
man die Flüchtlingskrise nennt und dem Willkommen,
Ok, da das hier ein auf die Musik konzentrierter Brief ist:
das man vielen Migranten gibt. Und das ist mehr, als wir
Hier ist musikalisch eine Menge passiert. Das Lead Belly
selbst geschaff t haben. Wie auch immer: Es gibt einen
Welcome to the LeƩer from the United
Kingdom!
Wasser-Prawda | Oktober 2015
INTERVIEW
Fest früher in diesem Jahr war so gut, wie man sich ein
Tribut an irgendjemanden nur vorstellen kann. Es wurde
veranstaltet in der Royal Albert Hall. Der Abend endete,
indem Van Morrison gemeinsam mit Eric Burdon sang,
begleitet von Jools Holland am Piano, Chris Barber
(auf dem Foto links) an der Posaune und Paul Jones an
der Mundharmonika. Man muss kein Musiklexikon
sein, um zu verstehen, wie groß diese Namen sind. Die
Veranstaltung wird im Dezember nach New York gehen.
Und wenn man den Gerüchten glauben kann, ist auch
in Deutschland eine Aufführung erwartet werden kann.
Dieses Festival zu Ehren des verstorbenen amerikanischen Folk-Blues-Musikers und traurige Ereignisse wie
der Tod von BB King und Jack Bruce von Cream erklären den Titel dieses Briefs. Hier passiert eine Menge
bei den Schnellen (den Lebenden) und den Toten. The
Quick & The Dad ist auch der Name eines ziemlich
guten Albums von Geoff Everett.
Und dann waren da die Anfänge eine Ausstellung zur
Geschichte des britischen Blues, welche sowohl lebende
als auch verstorbene Künstler ehren will, und UK Blues,
ein neuer Verband für den Britischen Blues. Beide feiern
die Schnellen und die Toten.
Es ist ironisch, dass mit einer bevorstehenden
Volkabstimmung über die Mitgliedschaft in der in der
Europäischen Union bei uns im Vereinigten Königreich,
der Blues einen eigenen Verband gegründet hat, der voller
Freude Mitglied der European Blues Union ist. Enge
Verbindungen mit Europa und auch mit Deutschland
sind sehr erwünscht. Klar, es gibt hier die allgemeine
Erkenntnis, dass in Deutschland Musiker viel mehr respektiert und besser behandelt werden als im UK. So
erwartet mehr umherziehende britsche Musiker. Und
bitte bezieht sie auch in Euer Willkommen mit ein!
Be prosperous and enjoy your live
music and all that is German!
11
Eric Burdon, Van Morrison und Paul Jones beim Lead
Belly Fest in der Londoner Royal Albert Hall. Am 7. und
8. Dezember wird das Festival auch in der New Yorker
Carnegie Hall zu erleben sein. Dort war Leadbelly 1949
kurz vor seinem Tod zum letzten Male aufgetreten.
Links
Alistair Cooke - www.bbc.co.uk/programmes/
b00f6hbp
Lead Belly Fest: www.leadbellyfest.com (Auf dieser
Seite finden sich auch Videos verschiedener Künstler,
während des Festivals in der Royal Albert Hall.)
British Blues Exhibition: www.britishbluesexhibition.co.uk
Wasser-Prawda | Oktober 2015
12
MUSIK
Wasser-Prawda | Oktober 2015
MUSIK
13
G ARY C LA RK JR.: WE NN D I E S E
W ELT MIC H A UF R E GT
VON GARY BURNETT
Gary Clark Jr. aus Aus n, Texas ist
eines der hellsten Lichter im Blues
zur Zeit. Mit lediglich 31 Jahren
hat er drei außerordentliche Alben
veröffentlicht, 2012 das für den
Grammy nominierte Studioalbum
„Blak and Blu“, das großar ge „Gary
Clark Jr. Live“ im letzten Jahr und jetzt
„The Story of Sonny Boy Slim“.
Bezeichnend für die Aufmerksamkeit, die ihm in letzter
Zeit zuteil wurde, ist sein kürzlicher Auftrit in der
Jimmy Fallon Show, wo Fallon ihn bejubelte als einen
der bestern Performer, die es da draußen momentan gibt.
Und dort gab er eine hervorragende Version von „The
Healing“ vom neuen Album zum Besten:
„Church“, bei dem Clarks Schwestern Shawn und
Savannah die Harmonievocals singen. Die Gospelmusik,
die sie während ihrer Kindheit gemeinsam hörten, ist
ohne Zweifel ein grundlegender Einfluss in diesem Lied.
Der Song spricht von gemachten Fehlern, Bedauern
und der Sehnsucht nach den früheren Zeiten, die besser
waren.
“I was taught to be paƟent, I was taught to be kind,
But I unwind…” is followed by “I’m all alone, Miles
from home.”
Auch wenn Clark selbst niemals behauptet, gläubig zu
sein, kommt doch in dem klagenden Schrei des Subjekts
im Song ein hoffnungsvoller Ton zum Klingen:
“Aw my lord, I need your helping hand”
Clark sagt über das Lied: „Ich glaube, wenn Du Zeit
hast, um über die Herausforderungen in Deinem Leben
„Music Is Our healing
oder über den Weltschmerz nachzudenken, da haben
When this world upsets me, this music sets me mich meine Leute immer gelehrt, nach geistlicher Stärke
free.“
zu suchen. Ein Teil (dieses Songs) stammt aus einem
Der Sonny Boy Slim vom Albumtitel ist tatsächlich Kapitel meines Lebens, wo ich darüber nachdachte, wo
Clark selbst. Seine Mutter nannte ihn von Zeit zu Zeit ich herkomme und wo ich hingehen will“.
Sonny Boy. Und für Clark beschwört der Name Bilder
von einigen seiner Lieblingskünfster herauf, etwa von Auch wenn Clark nach der Musik sucht für seine
Sonny Boy Williamson. Außerdem fügt Clark hinzu: „Heilung“ („when this world upsets me, This music sets
„Greg Izor, ein großartiger Harmonikaspieler, pflegte me free“) hat er doch ganz sicher recht, dass es im Ende,
mich jedes mal Slim zu nennen, wenn er mich sah. wenn wir uns mit Herausforderungen, Enttäuschungen,
Danach annten mich auch paar andere so. Und so setzte Fehlern oder Sorgen auseinandersetzen müssen, dass es
dann nötig ist, nach geistlicher Stärke zu suchen. Die
ich die beiden Namen zusammen.“
Frage ist, wo wir sie finden können. Ist die Musik genug?
Wenn das Album ein Thema hat, dann ist es nach Clark Manchmal ist das Leid zu groß und die Belastungen
ganz einfach die Hoffnung „Bei all dem Bullshit gibt es zu schwer zu gragen, so dass wir etwas mehr brauchen.
immer Hoffnung“.
Schaut einfach mal ins Matthäusevangelium 11,28:
Einer meiner Lieblingssongs von dem Album ist das
. “Aw my lord, I need your helping hand.”
größtenteils akustische, warme und voller Soul stekcende
Wasser-Prawda | Oktober 2015
14
INTERVIEW
R UTH IE FOSTE R: M E HR A L S
N UR E INE BLUES L A DY
TEXT: IAIN PATIENCE, FOTOS: KARSTEN SPEHR
Ruthie Foster ist viel
mehr als nur eine weitere
Blueslady. Sie ist eine
wahre Gospel-Diva
mit einer erstaunlich
kra vollen S mme, die
klingt als habe sie im
buchstäblichen Sinne
mehr als ein paar Dächer
und Dachstühle im Laufe
der Jahre angehoben.
Ihre Bühnenpräsenz ist
immer dynamisch: Ihr
vertraute Gibson-Gitarre
umklammernd startet sie
jeden Titel unmi elbar
und mit klarer Absicht.
Das Publikum schaut
erführch g, wenn von
einem Song zum nächsten
stürmt.
Blueswelt kann sie auch Musik lesen.
Bevor sie bei Uncle Sam unterschrieb
und der Navy beitrat, um die Welt
als Ingenieurin zu sehen, graduierte sie im Fach Musik. Während
sie bei der Navy war, wandte sie ihr
Interesse der Gitarre zu und entwickelte ihren eigenen harten und
percussiven Stil, der sie seit ihrer
Demobilierung begleitet hat.
eine Familienangelegenheit.
Für MuƩer und GroßmuƩer
war das wichƟg. Und so war es
niemals eine Möglichkeit, nicht
in der Kirche zu singen“, sagt
sie mit einem reumüƟgen aber
eindeuƟg dankbaren Lächeln.
Als Inspiration nimmt sie einfach
Themen vom täglichen Leben
und Lieben. So entstehen Lieder,
die ihre eigenen Interessen und
Beobachtungen widerspiegeln, wenn
“Meine SƟmme ist mein erssie auf Tour geht, für lange Zeiten
tes Instrument“, sagt sie.
aus dem Koffer fern von zu Hause
Und die hat eine umwerfende lebt oder ihre junge Tochter vermisst.
Qualität, die sie schon als Kind
im ländlichen Texas trainierte, Es ist schwer, Vergleiche mit Mavis
wo ihre Großmutter die lokale Staples zu vermeiden. Beide sind
Baptistenkirche und wöchentli- preisgekrönte Sängerinnen mit
che Singeabende besuchte. Die großartigen Stimmen und einem
selbe Großmutter war es auch, die Verständnis der Gospelmusik wie
sie zuerst mit dem Klavier bekannt kaum jemand anderes. Foster ist
Die Songs hat sie im Kopf - einen machte und ihr die Liebe zur Musik schnell bereit, der langgedienten und
beeindruckenden Katalog voller im weitesten Sinne nahe brachte.
fast legendären Staples Respekt zu
heißblütiger seelenvoller Musik,
zollen als eindeutiges Gospelvorbild.
den sie mit Leichtigkeit und Foster dankt ihrer Mutter und ihrer
Ich liebe Mavis Staples. Sie
Selbstbewusstsein vorträgt. Und das Großmutter dafür, dass sie ihr die
hat noch immer eine solch
könnte vielleicht eine Überraschung Musik und das Singen vor anderen
faszinierende SƟmme und
sein: Die Gitarre ist nicht ihr erstes nahe gebracht haben, zunächst
Energie. Und trotz ihres AlInstrument. Ruthie ist eigent- nur in der Familie, später bei
ters gibt sie jedes Mal alles.
lich Pianistin, aber sie dazu merkt Veranstaltungen in der Kirche und
bei einem College-Kurs, in dem sie Im Studio versucht sie den Geist der
lachend an:
ihren Major machte.
Live-Auftritte so sehr wie möglich
Die Gitarre ist wesentlich
einzufangen. So vermeidet sie überIch fing mit dem Singen in
besser transporƟerbar.
flüssige Technologien und Overdubs.
unserer heimatlichen BapƟsAnders als die meisten Musiker der tenkirche an. Das was wirklich
Ich hab immer den akusƟschen
Wasser-Prawda | Oktober 2015
INTERVIEW
15
Wasser-Prawda | Oktober 2015
16
INTERVIEW
Sound und akusƟsche Instrumente bevorzugt, sƟmmt sie zu.
Klar muss ich meine Gitarre über
einen Pick-Up an den Verstärker
anschließen. Aber das ist wichƟg, weil ich ja gehört werden
muss, wenn ich auf der Bühne vor einer Menschenmenge
stehe. Dort ist die ganze Frage
des Sounds wirklich wichƟg.
Das ist eine Formel, die eindeutig
funktioniert. Foster hat jede Menge
Preise gewonnen: Beste zeitgenössische Bluessängerin, Gewinnerin des
Readers Poll des Magazins „Living
Blues“, Koko Taylor Award für die
beste traditionelle Bluessängerin
2012, 2013 und auch 2015 wieder.
Hinzu kommen noch GrammyNominierungen und Lobeshymnen
von überall her. Foster scheint
das alles ohne Selbstgefälligkeit
hinzunehmen:
SƟmmung vor der Bühne wahrnehmen und sich danach richten.
Das Publikum ist da drüben
wirklich cool. Sie kennen die
Musik. Sie lieben sie. Und
Für ihr jüngstes Album „Promise
sie geben mir immer das Geof A Brand New Day“ bekommt sie
fühl, willkommen zu sein.
Kritikerlob von überall her. Foster
freut sich darüber - und auch darauf,
in Europa zu spielen. In letzter Zeit
war sie etwa in Italien, Frankreich
und Spanien unterwegs.
„Yeah, mit den Preisen hab
ich wirklich Glück gehabt.
Es war einfach großarƟg“
Mit einem knappen Duzend Alben
hinter sich - die meisten davon seit
sie 1995/96 Profi wurde, liebt sie
noch immer, was sie tut, nur nicht
das Reisen und das damit verbundene Theater.
Ich liebe das Singen, das ist,
was ich am Besten kann. Und
ich hab die Freiheit, mein Programm immer dann zu ändern,
wenn ich Lust habe. Ich kann
den AuŌriƩ mal mit einem Lied
beginnen oder mit einem völlig
anderen wie etwa „Ring of Fire“.
Das hängt immer vom Gig und
dem Publikum ab. Man muss die
Wasser-Prawda | Oktober 2015
INTERVIEW
17
BAYERN – D E IN B L U E S T E I L 1:
R US TY STONE UND R OB E R T R I CHT E R
IN DER SC HROTT GA L E R I E
TEXT: MARIO BOLLINGER, FOTOS: CHRISTOPHE RASCLE
In einer kleinen
Serie möchte ich mal
den Blues von der
bayerischen Seite her
betrachten. Wer spielt
in Bayern Blues und
vor allem wo kann
man Blues in Bayern
spielen und hören.
Der erste Beitrag der Serie setzt
Rusty Stone und seinen Duopartner
Robert Richter ins Licht. Rusty
Stone ist gut bekannt als Reverent
Rusty und seinem Trio und Robert
Richter ist im Münchner Bereich
durch Auftritte mit Titus Waldenfels
gut bekannt. Aber warum jetzt
beide zusammen? Wir haben die
Gelegenheit, beide zu einem Auftritt
in der Schrottgalerie zu treffen, der
für Beide sogar leicht denkwürdig
wird. Davon aber später mehr.
Die Schrottgalerie von Sven Friedel ist
eine Begegnungsstätte oder „Forum
für den freien Geist“ in Glonn bei
München, wo sich Musiker und bildschaffende Künstler die Klinke in die
Hand geben. Musiker mit kleinen,
leisen akustischen Auftritten haben
hier genauso eine Stätte gefunden wie auch der Sammeltrieb von
Wasser-Prawda | Oktober 2015
18
INTERVIEW
Sven Friedel, der hier allerlei schrottig-künstlerische Gegenstände zur
Schau stellt wie auch Vernissagen
und Lesungen organisiert. Als
Ergänzung stellt hier Hanno Größl
seine Steinmetzarbeiten aus. Die
Musikerliste liest sich wie das Whois-Who der lokalen und weiterentfernten Liveszene: Schorsch Hampel,
Dr. Will, „Sir“ Oliver Mally, Black
Patty und viele mehr. Das Konzept
ist einfach: Sven Friedel öffnet
seinen Galerieraum, stellt Getränke
auf Vertrauensbezahlbasis zur
Verfügung und die Band spielt gegen
den Hut. Damit die Künstler nicht
ohne signifikante Gage nach Hause
gehen, läutet Sven seinen Hutgang
Rusty Stone, nächste Seite: Robert Richter
immer wie folgt ein: „Klimpern darf
vorrangig und wir sind wieder auf Themenspektrums von Blues, Folk
es nicht, aber rascheln soll es“
Tour z.B. im Chiemgau Blues Club. und Country allzu viele Etiketten zu
Heute Abend stehen zwei Musiker In der Musikschule haben wir uns vermeiden. Wenn Du zu zehn verunterschiedlicher Couleur auf dem dann wir uns ein paar Mal getrof- schiedenen Leute über Blues sprichst,
Programm: Rusty Stone, stadt- fen, gejammt und uns die Frage bekommst Du zehn verschiedene
bekannter Bluesmusiker und gestellt, ob wir nicht mal als Duo Vorstellungen von Blues. Vom
Robert Richter, „grenzenloser“ was machen können. Dann haben Robert Johnson bis Gary Moore ist
Songschreiber und zupfinstrumente- wir festgestellt, das, wo andere Bands halt alles Blues. Auch möchten wir
spielender Sänger. Im Rahmen eines jahrelang proben, es bei uns ohne unser eigenen Songs mit einbringen.
Interviews stellen sich die beiden proben trotzdem passt. Wir wollten WP: Ihr habt das Wort „CD“
dann eine eigene CD zum Verkaufen schon in den Mund genommen.
Musiker und Ihre Pläne vor.
und Bewerben aufnehmen.
Was ist da geplant?
WP: Wir kennen Rusty Stone aus
seinem Trio. Wir haben Deine WP: Was ist das Programm vom R+R: Du kennst ja meine CD
„Struggle“ und die ist ja sehr aufCD ja bereits rezensiert, aber wo Duo im Gegensatz zum Trio?
wendig gemacht worden. Jetzt
kommt Robert Richter her?
R+R: Das geht in die Richtung
Rusty+Robert: Der Robert hat bei Tom Waits und Bob Dylan, also wollen wir fast wie „home recording“
der „Blues District“ gespielt, das war Americana. Teilweise Folk und in der Musikschule FMZ als oneeine alte Blues Band. Wir wussten rockiger Blues. Der Blues ist nicht takes aufnehmen: Ein Mikrophon
von einander, aber wir haben nie 100% im Zentrum des Geschehens. in den Raum stellen, schauen, dass
zusammen gespielt. Letztes Jahr hat Wir spielen zwar „You gotta move“ es gut da steht und dann „You Hear
mich der Robert angerufen, ob ich und wir teilen die Vorliebe für die What You Get“.
Lust habe, Unterricht zu geben. Ich alten Bluesleute wie Fred McDowell WP: Und wann ist das geplant?
sagte „Ja, warum nicht, weil bei mir oder Blind Willie McTell, aber
hat sich alles etwas verschoben“. Das Robert mag Bob Dylan. Wir ver- R+R: Das ist jetzt die andere Frage.
Trio Reverent Rusty ist natürlich suchen halt , innerhalb des ganzen Wir sind beide ziemlich eingespannt.
Wasser-Prawda | Oktober 2015
INTERVIEW
Vorgenommen haben wir uns es
gestern, versuchen tun wir es heute
und schaffen tun wir es vielleicht
übermorgen.
WP: Wird das noch was für dieses
Jahr?
kein Netzwerk, um den Austausch
mal zu verstärken. Wenn die Kosten
reinkommen, dann würden wir es
mehr als Promotion sehen, um für
uns für später Werbung zu machen.
GEMA-Kosten tun das ihre, um
die Veranstaltungskosten ungünstig
R+R: Hoffentlich. Sagen wir mal so: erscheinen zu lassen. Früher haben
Vornehmen tun wir das. Aber das ist die Wirte nach einem guten Konzert
immer eine Timingsache.
zwei Fässer Bier bei der Brauerei
WP: Wohin geht dann die Reise? nachbestellt und heute halten sich
die Gäste an einem Glas Wasser fest.
R+R: Wir lassen das jetzt einfach mal
wuchern. Das ist unser 6. Konzert. WP: Wenn ich mich hier in
der Schrottgalerie so umschaue,
WP: Habt Ihr gesehen, dass die dann ist es mehrheitlich weibBlues Challenge in Eutin ohne liches Publikum. Seid Ihr die
nennenswerte Beteiligung aus dem „Frauenversteherband“?
süddeutschen Raum stattfand?
R+R: Das ist reiner Zufall, weil
R+R: War nicht mal Black Patty deren Männer heute bei der Hitze
dabei?
im Biergarten sitzen.
WP: Nein, nicht mal die. Woran
kann das liegen, dass die süddeutschen Bands nicht im Norden und
umgekehrt spielen?
R+R: Das Problem liegt an den
Gagen und der Fahrerei. Es gibt da
19
die kommenden Veranstaltungen
angesagt, das Email-Brett vorgestellt, um den Newsletter anzubieten und dann der Gast des Abends
angesagt. Rusty Stone und Robert
Richter treten 100% akustisch auf.
Im Verlauf des Abends präsentieren die Beiden Songs, die beider
Neigungen entsprechen. Rusty ist
der Bluesman und Robert macht
seinem Vornamensvetter Herrn
Zimmermann Ehre. Was man aber
hört, ist mehr das Nebeneinander
der beiden großen Stilrichtungen
Blues und Folk. Ich habe ein wenig
die Symbiose vermisst. Rusty steuert
eine akustische Version von „Low
Down Blues“ und „Born for the
Blues“ aus seiner CD “Struggle“
bei, Roberts Beitrag wird durch
Nummern wie der „Folsom Prison
Blues“ gekennzeichnet. Was mir
immer gefällt ist die Abwechslung,
die durch Stücke mit Slidegitarre,
Mandoline, Banjo und Blues Harp
gegeben war. Aber die Überraschung
des Abends zeigt den richtigen Weg
auf. Rusty und Robert verkünden
nämlich, dass das Duo ab sofort
unter dem Namen „One More Mile“
auftritt und das untermalt, dass die
beiden Herren das Projekt intensiv
vorwärts treiben wollen. Die WasserPrawda ist gespannt auf die CD,
die wir natürlich gerne in unserer
Rubrik „Werkstattberichte“ verfolgen wollen.
Nach diesem Interview ging es für
Rusty Stone und Robert Richter an
die Arbeit. Das Konzert wird wie
immer vom Veranstalter angesagt.
Da der Jens Friedel heute nicht da
war, hat das ein Kollege übernommen. Es werden normalerweise
Wasser-Prawda | Oktober 2015
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MUSIK
H AR M ONIC A-HE AV E N ON E A R T H
MITCH KASHMAR & THE BLUES- AND BOOGIEKINGS IM
MEISENFREI BREMEN, AM 13.10.2015 TEXT UND FOTOS: TORSTEN
ROLFS
Dank des unermüdlichen
Booking-Einsatzes von
Andreas Bock, Schlagzeuger
aus Hannover, konnte die
Bremer Bluesgemeinde
auch in diesem Jahr
den grandiosen HarpSpieler Mitch Kashmar
aus Portland, Oregon im
Meisenfrei begrüßen.
Das Renommee des
Künstlers und die Werbung
zeigten Erfolg – der Laden
war gut gefüllt.
Wie im letzten Jahr auch schon
trat er mit Andreas Bock am
Schlagzeug und Niels v.d. Leyen
am Piano auf. Neu in diesem Jahr
war Jan Hirte aus Berlin an der
Gitarre. Und ja dem Leser fällt
nun auf: Wo ist der Bass? Eine
Spezialität der Blues- and Boogiekings ist der Verzicht auf das
rhythmusunterstützende Instrument. So fragt man sich anfangs,
wird da etwas fehlen. Um es
schon einmal vorweg zu nehmen:
Nein!
Niels v.d. Leyen ist ein ausgezeichneter Boogie Woogie Spe-
Wasser-Prawda | Oktober 2015
zialist, mit einer unglaublich
stoischen linken Hand, der damit
rhythmisch die Band führt und
hält. Dabei unterstützt Andreas
Bock mit seinem uhrwerkartigen
Schlagzeugspiel dies im besonderen Maße und stellt das pfundige
Fundament der Band. Jan Hirte
komplettiert das Begleittrio in
besonderer Weise, sowohl rhythmisch unterstützend als auch
solistisch brillierend.
Vom ersten Ton an mit IGot No
Reason, bereits auf Kashmars
Delta Groove Records Veröffentlichung „Live at Labatt“ der Ope-
MUSIK
ner, wurde die Spielfreude der
Band sichtbar. Eine kurzweilige
Ansage von Niels v.d. Leyen stellte
seine Conferencier-Fähigkeiten
unter Beweis. Bei der Vorbereitung auf diesen Konzertabend
stellte ich fest, dass ich Mitch
Kashmar bereits vier oder fünf
Mal gesehen und gehört hatte.
Aber man mag es kaum glauben,
jedes Konzert hat seinen einzigartigen Charakter. Dies zeigte
sich jetzt im Verlauf des Abends
mit einer unglaublich spannenden Version von Route 66, einem
Klassiker, der hier einmal ganz
anders intoniert wurde. Und dann
dieser Harpton, sehr elegant und
unaufdringlich, kaum zu glauben,
was man aus dem kleinen diatonischen Instrument von Hohner
herausholen kann. Nur am Rande
sei erwähnt, dass ein brandneuer
Marble Harpwood von A.J. Folkerts aus Renkum in den Niederlanden in der Vorwoche fertig
gestellt, das Harpspiel von Mitch
Kashmar verstärkte. Und er ist
auch ein wunderbarer Sänger mit
einer sonoren, von einem warmen
Timbre geprägten Stimme.
So ging es mit einer weiteren markanten Spezialität des
Meisters weiter. In Whiskey
Drinkin´Woman, auch auf der
o.g. Scheibe, begann Kashmar
mit dem Spiel der höchsten Töne
auf der Harp. Dies ist auch eines
seiner Markenzeichen, mit dem
man ihn aus der überschaubaren
Menge der besten Harpspieler
heraushören kann. Dieses Stück
beflügelte die Musiker zu beson-
deren Einfällen: Jan Hirte wurde
in seinem Solo immer leiser, ein
aufmerksames Publikum folgte
gebannt, und dann zog er das Kabel aus der Gitarre und man hörte
den reinen Gitarrenton der roten
Gibson ES 335. Sehr eindrucksvoll und hörenswert.
Nach Sugar Sweet von Muddy
Waters folgte ein Jazz-Klassiker
auf der Chromatischen Mundharmonika. Song For My Father von
Horace Silver machte unmissverständlich klar, hier ist der Meister
aller Harmonikaarten auf der
Bühne und die Begleitmusiker
hatten sichtlich Spaß an dieser
Art Musik. Jumpin´Jive, komponiert von Niels v.d. Leyen, beendete in einer opulenten 11 Minuten-Version das erste Set. Alle
Musiker hatten Gelegenheit ihre
solistischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, v.a. auch Andreas
Bock mit einem impressionablen
Schlagzeugsolo. Nicht Schnelligkeit und fixe Wirbel über alle
Trommeln und Becken hinweg
zeigten sein Können, sondern die
überraschenden Effekte machten
dieses Solo so einzigartig. Welche
Töne macht ein Schlagzeugstock
senkrecht stehend auf der Snare?
Zuhörerinnen und Zuhörer waren ganz mitgerissen.
Die Pause nutzten viele Gäste
zum Kauf von CD´s, auf denen
man die Qualitäten der einzelnen Bandmitglieder gut mit nach
Hause nehmen kann.
Im 2. Set folgten dann Klassiker
aus dem Repertoire von MitchKashmar ebenso wie Klassiker des
21
Blues: Evil Man Blues, Mean Old
Frisco, You Can’t Judge a Book by
Its Cover usw. Auch hier setzte
sich wieder die Spielfreude fort,
dynamisch vorgetragen, Raum
gebend, v.a. auch leise Töne nutzend, eben ein absoluter Hör- und
Ohrenschmaus. Vom Shuffle über
Rhumba hin zu Boogie-Krachern,
hier war alles dabei.
Nach zwei sehr unterschiedlichen Stücken in der Zugabe,
einem Slow „Sad Night Hours“
und einem Rock´n´Roll- Stück
„Sweet Lovin´ Mama“ ging der
Abend nach 2 ½ Stunden bestens
vorgetragener Blues- und BoogieMusik zu Ende.
Mein Fazit dieses Abends: Auch
ein sechstes, siebtes, achtes und
und und Mal kann man sich
Mitch Kashmar anhören, nicht
nur als Harpjünger.
Wasser-Prawda | Oktober 2015
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MUSIK
Sofie Reed
B LUE S AT S EA
STOCKHOLM, 17./18. OKTOBER 2015. BY IAIN PATIENCE (TEXT)
& JANET PATIENCE (FOTOS)
Der Oktober kann ein
heikler Monat sein, um
Schwedens Hauptstadt
Stockholm zu besuchen.
Denn immer droht die
hohe Wahrscheinlichkeit
von kühlem und nassem
We er. Das Wochenende
vom 17./18. Oktober
aber widersetzte sich
dem Trend mit sonnigen
Tagen und jeder Menge
kochendem Blues an
Bord der MS Cinderella
von der Viking Line. Zwei
Tage fuhr sie mit einer
riesigen Menge Fans und
Musiker. Und alle ha en
Wasser-Prawda | Oktober 2015
sich vorgenommen, jede
Menge Spaß zu haben.
Gleich nachdem das Schiff die
Leinen los warf und den Kai verließ,
begann die Musik. Der in den USA
geborene Gitarrist und Harpspieler
Dr. Harmonica schmetterte feine
Traditionals und mixte sie mit seinen
eigenen Kompositionen in einer der
zahllosen Bars.
MUSIK
23
Shoutin Red
Später am Abend produzierte
Dänemarks Bluesstar Thorbjörn
R i sa ger m it sei nen Black
Tornados ein explosives Set auf
der Hauptbühne vor einer dicht
gepackten Zuschauerschar. Auf
der Bühne wurde Risager von
der aus Simbabwe stammenden
Blues- und Gospelsängerin Miriam
Mandipira begleitet, einer Lady mit
riesiger Stimme und ebensolcher
Bühnenpräsenz.
Aus Memphis stammt die Jeff Jensen
Band, die auch als Mini-PowerTrio einen großartigen Auftritt mit
heftig rockendem Blues hinlegten. Im Zentrum standen Stücke
des aktuellen fantastischen Albums
„Morose Elephant“. Diese Band und
ihr Album waren für mich eine der
echten Entdeckungen der Reise.
Und man muss sie zukünftig auf
jeden Fall im Blick behalten.
eine Harp bläst, einen Song herausschreit und das Publikum mühelos
bei der Stange hält. Eine weitere fantastische Blues-Entdeckung, der das
Nicht-Erscheinen von Lil‘ Ed mehr
als wett machte.
Eigentlich waren Lil‘ Ed & The Blues
Imperials aus Chicago als Headliner
angekündigt. In letzter Minute
aber musste man ihn durch Gene
„Birdlegg“ Pittman ersetzen, einen
würdigen Bluesman aus Texas, der
vielen der jüngeren Performer zeigte,
wie man den Laden mit einem ungebremsten Hochenergieschlag von
allerbestem Blues zerlegt. Dieser
„Birdlegg“ weiß ganz klar, wie man
Ein weiterer Höhepunkt war ein
Auftritt toller Blues Ladies aus
Schweden. Gemeinsam standen Ida
Bang, die Schweden 2016 bei der
European Blues Challenge vertreten wird und Lisa Lystem auf der
Bühne, die im letzten Jahr bei dem
Wettbewerb angetreten war. Dazu
kamen noch viele weitere und lieferten eine krafvolle Performance voller
Leidenschaft ab.
Wasser-Prawda | Oktober 2015
24
MUSIK
Ida Bang & Lisa Lystam. unten: Birdlegg Pittman
Aus Colorado kam die wie immer
wundervolle und immer für einen
Spaß zu habende Sofie Reed. Die
geborene Schwedin rockte das
Boot mit ihrer Blues-Dulcimer.
Für mich eindeutig auch eine
Künstlerin, auf die man achten
muss ist eine weitere ausgezeichnete junge Schwedin ist Shoutin‘
Red, die auf dem Schiff perfekt
vom altgedienten Harpspieler Bill
Ohrstrom begleitet wurde. Auf dem
Programm stand eine Reine toller
traditioneller Bluesnummern aus
den 20er und 30er Jahren mit nur
scheinbar einfachem Fingerpicking
- und einem Griff in den Katalog
von Mississippi John Hurt.
Insgesamt war das eine tolle
Veranstaltung mit vielen Musikern
und jeder Menge Abwechslung.
Ein echter Gewinner mit mehr
als genug Musik um jeden sowohl
zu packen als auch zufrieden zu
stellen.
Wasser-Prawda | Oktober 2015
MUSIK
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Otis Redding und die Stax-Musiker bei den Aufnahmen zu „Otis Blue“
O TIS BLUE : OTIS R E D D I NG U ND D I E
E N TSTEHUNG E I NE S S OU L K LA S S I K ER S
VON RAIMUND NITZSCHE
Im Anfang war Soulmusik
vor allem eine auf Singles
veröffentlichte Musik. Erst
später wurde auch hier das
Album als eine eigenständige
Form - und nicht nur als
Zweitverwertung der Hits angesehen. O s Blue ist zwar
Reddings dri es Album, aber
das erste, das von vornherein
als LP geplant war. Wobei
natürlich auch hier der Hit
zuerst kam. Mit „I‘ve Been
Loving You Too Long“ war
der erste Top Ten Erfolg von
Otis Redding. Dieser Song
scha e es immerhin bis auf
Platz 2 der Charts. Bis auf den
schon veröffentlichten Hit
wurden alle Titel innerhalb
von 24 Stunden amd 9. und
10 Juli 1965 in den Studios
von Stax aufgenommen.
Wasser-Prawda | Oktober 2015
26
MUSIK
Die Begleitband waren Booker T & MG‘s (verstärkt
durch Isaac Hayes am Piano, der gleichzeitig Produzent
war und natürlich die Memphis Horns.)
Musikalisch bietet die LP ein Panorama, das die stimmlichen Fähigkeiten von Redding von sanften Balladen
bis zum rockenden Soul komplett abdecken konnte. So
sind drei Stücke der Platte von Reddings großem Vorbild
Sam Cooke, der im Jahr zuvor verstorben war. Und Otis
zeigt bei „Shake“ oder „A Change Is Gonna Come“, dass
er längst vom Nachahmer zu einem großen Interpreten
geworden war. Auch „Satisfaction“ der Stones sang er
derartig furios, dass in manchen Kreisen der Verdacht
aufkam, die Stones hätten das Stück von ihm geklaut.
Anders herum passierte es mit einem der anderen Titel
der Platte: „Respect“ verbindet heute jeder sofort und
Wasser-Prawda | Oktober 2015
ohne Nachdenken mit Aretha Franklin, obwohl es von
Redding geschrieben und zuerst aufgenommen worden
war.
Wobei es weniger um die einzelen Songs geht: „Otis
Blue“ ist trotz der verschiedenen Songquellen eine komplette Einheit. Otis Redding präsentiert sich als ein
Geschichtenerzähler des Soul, nimmt den Hörer mit
auf seine Reise zwischen Liebe, Protest und Hoffnung.
Und er ist gleichermaßen überzeugend als zärtlicher
Balladensänger wie als Prediger, als Partysänger wie als
Kämpfer für Respekt. Eine so komplette und durchweg
großartige Sammlung von Soulnummern findet man
selten in der Musikgeschichte. Und so ist es kein Wunder,
dass bei jeder neuen Runde von Journalistenumfragen
Otis Blue wieder irgendwo in den Top 100 auftauchen
wird.
MUSIK
Otis Redding erhielt als Sohn eines schwarzen
Baptistenpredigers in Dawson, Georgia sehr früh ein
Gefühl für Soulmusik. Bereits als Jugendlicher sang er
in einem Kirchenchor. Im Alter von 15 Jahren besuchte
er die High School in Macon, Georgia, dem Geburtsort
von Little Richard, den er ebenso bewunderte wie Sam
Cooke, und aus deren beiden Stilen er seinen Gesang
formte.
27
(so auch bei ”Shout Bamalama“, ebenfalls aus dem Jahre
1960) ist noch stark die Anlehnung an Little Richard
zu erkennen.
Der Durchbruch in seiner Solokarriere kam erst im
Jahre 1962. Im Oktober 1962 nutzte Otis Redding seine
Chance, als er am Ende eines erfolglosen Aufnahmetages
von Johnny Jenkins and the Pinetoppers die Möglichkeit
bekam, in der verbleibenden Zeit eine eigene Platte aufzunehmen. Das selbst komponierte Lied ”These Arms
Nach Abbruch der Studien schloss er sich Little Richards of Mine“ wurde in Windeseile aufgenommen und entdamaliger Band an, den Upsetters. Ab 1960 arbeitete er wickelte sich nach der Veröffentlichung im November
mit Johnny Jenkins and the Pinetoppers zusammen und 1962 zu seinem ersten Hit (US-R&B 20, US-Pop 85).
nahm mit der Band im Juli des gleichen Jahres unter
Redding ging dann zu Stax Records in Memphis. Bis zu
dem Namen Otis and the Shooters seine erste Platte auf
seinem frühen Tod, war Otis der wichtigste Star der Firma
(”She’s all right“). Gerade bei diesen frühen Aufnahmen
Wasser-Prawda | Oktober 2015
28
MUSIK
und nach Meinung aller damals
musikalisches Herz und Inspiration
für alle anderen Beteiligten. Nach
weiteren Single-Veröffentlichungen
mit mittleren Platzierungen in den
Jahren 1963 und 1964 konnte er mit
”Mr. Pitiful“ Anfang 1965 seinen
ersten Top 10-Hit in den R&B-/
Soulcharts landen.
Redding schrieb viele seiner Lieder
selbst, manche in Zusammenarbeit
mit Steve Cropper (Booker T. & the
M.G.’s). Auf einer Europa-Tournee
des Stax-Labels erlebte er es 1967
das erste mal wie ihm weiße Fans
in Massen zujubelten. Im selben Jahr
trat er auf dem bekannten Monterey
Pop Festival auf, welches ihm einen
großen Popularitätsschub beim
weißen Publikum in den USA einbrachte. Das Festival war das erste
große der Flower Power Bewegung;
die Auftritte wurden zwar nicht
bezahlt, jedoch diente das gemeinsame Auftreten mit vielen Größen
der damaligen Musik eine ungeahnte Chance auf Publizität.
Andere, die hier ihre ersten großen
Konzertauftritte hatten, waren Jimi
Hendrix oder Janis Joplin.
auf dem Weg zu einem Konzert in
Cleveland, Ohio, in den vereisten
Winono-See bei Madison, Wisconsin
stürzte. Zu seiner Beerdigung kamen
4500 Menschen.
Seine erst am 22. November 1967
aufgenommene Single ”(Sittin On)
The Dock Of The Bay“ wurde
postum veröffentlicht und brachte
ihm Anfang 1968 den einzigen
Nr. 1-Hit in den R&B-Charts
und gleichzeitig auch in den PopHitparaden. Die Single war für
sein damaliges Werk extrem poppig
und hatte wenig Soul-Anklänge.
Er hatte den Song während seines
Sommerurlaubs in der San Francisco
Bay nach ausgiebigem Anhörn von
”Sgt. Pepper“ der Beatles geschrieben. Alle damals an den Aufnahmen
Beteiligten sagten, dass er gesanglich
in der Form seines Lebens war. Ein
Erfolg, für den er immer gearbeitet
hatte und den er jetzt nicht mehr
persölich erleben konnte.
Redding brachte das Publikum nach
damaligen Augenzeugenberichten
bis an den Rand der Ekstase.
Jetzt konnte er endlich auch auf
den Durchbruch in den weißen
Pophitparaden hoffen. Doch leider
wurden seine Hoffnungen durch
einen Unglücksfall zerstört. Otis
Redding starb am 10. Dezember
1967 zusammen mit vier Mitgliedern
seiner damaligen Begleitband, The
Bar Kays, als sein zweimotoriges Flugzeug vom Typ Beechcraft
Wasser-Prawda | Oktober 2015
O s Blue/O s Redding sings
Soul
Im Laufe der Jahre wurde dieser
Klassiker immer wieder neu veröffentlicht. Zum 50ährigen
Geburtstag gab es eine Fassung
auf zwei CDs mit einmal der
Monofassung und einmal der
Stereoversion. Beide Platten wurden
durch Live-Tracks des Albums und
alternative Mixe ergänzt.
Hier kann man gut nachvollziehen,
wie der Anspruch, eine moderne
Stereoplatte anzubieten mit den
technischen Möglichkeiten der
damaligen Zeit kollidierten: Ist
das Monoalbum geschlossen und
druckvoll, erscheinen die Musiker
im Stereosound künstlich auf die
Boxen verteilt und allein Otis als
Sänger hält den Laden wirklich
zusammen.
Und noch etwas kann man hier
beobachten: Mit seiner notmalen
Begleitband gerieten seine LiveShows rauh, erdig und fast überbordend vor Energie. Der Sound der
Band ist of weit von der Perfektion
entfernt. Aber die Show ist noch
immer ansteckend. Ebenso ansteckend wie im übrigen die auf CD
2 veröffentlichten Ausschnitte aus
„Live In Europe“. Doch bei der
Europatour wurde er von der StaxBand begleitet. Und die brachte auf
der Bühne fast die gleiche Präzision
und Schärfe wie die Musiker
von James Brown damals rüber.
Und so entsteht ein ganz anderes
Konzerterlebnis.
MUSIK
29
NETZFUNDSTÜCKE: KURZTICKER
VON MATTHIAS SCHNEIDER
und Mathias eines Besseren. (http:// berühmten Ragtime-Pianisten, wie
James Scott und Tummer Turpin
www.electrified-soul.de/home)
stark beeinflußt, andererseits kann
er seine Liebe zum schwarzen Blues„Poor Howard“ S th
Piano nicht verleugnen besonders
Seit mehr als 40 Jahren spielt Poor steht er in der Tradition von L. D.
Howard Stiff den Barrelhouse Blues Montgomery. Mit allen Oldtimeauf seiner 12-saitigen Gitarre. Als Jazzern gemeinsam hat Robert
Student bei Dave „Snaker“ Ray Kaiser seine Vorliebe für Stücke
in Minneapolis perfektionierte des legendären Jelly Roll Morton,
er seinen Gitarrenstil und zeigte, der Blues und Ragtime zum ersten
dass man den Deltablues an beiden Jazzklavierspiel zusammenfasste.
Enden des Mississippi finden kann. (http://fidelio-oggersheim.de/
Das führte dazu, dass ihm ein robert-kaiser/)
anderer Künstler aus Minneapolis
den Künstlernamen „Poor Howard“ O lia Donaire and The Back
nach einem Song von Leadbelly ver- Alley Boys
passste. Auch in Deutschland kann
man diesen Künstler regelmäßig Die Band hat ein riesiges Repertoire
ELECTRIFIED SOUL
live erleben. Hier spielt er beispiels- an tanzbarem klassischem Rock,
Blues, R & B und Soul. (http://
„Nüchtern betrachtet besteht der weise regelmäßig gemeinsam mit
www.otiliadonaire.com)
Blues aus drei Akkorden, die über 12 Greyhound George. (http://www.
Takte monoton wiederholt werden poorhowardstith.com/)
Paul Bo er
und Texte begleiten, die meist von Robert Kaiser - Blues Rags &
bösen, davon gelaufenen Frauen Vocal aus Ludwigshafen
Geboren wurde Paul Botter 1951
handeln. Die Einschränkung auf
auf Helgoland. Mit 16 kam er
Technik und Texte geht jedoch Es war ihm in die Wiege gelegt: nach Hamburg und gründete dort
genauso an der Essenz des Blues Sein Vater war engagierter seine erste Schülerband, die gleich
vorbei wie Elton Johns Behauptung, Kirchenmusiker, er selbest erfuhr Nachwuchspreise abräumte. Im
Keith Richards sei „ein Affe mit eine klassische Musikausbildung gleichen Jahr stand er schon auf
einer Gitarre“. (Quelle: laut.de) am Klavier. Dass dies keine schlechte der legendären Bühne im Star
ELECTR IFIED SOUL grün- Voraussetzung für den klassischen Club. Aus der ersten Band „Jumbo“
dete sich im Jahr 2009 um den Ragtime darstellt zeigt sich an einem wurde Elephant. Europaweite
Gitarristen Fabian Brugger mit dem seiner Vorbilder, dem großen Scott Tourneen gab es unter anderem mit
Ziel puren und echten hangemach- Joplin aus St. Louis, der bereits Mitch Ryder. Und 1986 stand er im
ten Blues zu spielen. Wer bislang mit sieben Jahren vone einem Vorprogramm der Beach Boys vor
noch geglaubt hat, dass Blues nur aus deutschen Lehrer eine klassische 14.000 Zuschauern in Bad Segeberg.
Wandergitarre und Baumwollfeldern Klavierausbildung erhielt.
Heute tritt Botter meist im Duo mit
besteht, den belehren Fabian, Lars Einerseits ist Robert Kaiser von Jan Mohr auf.
Beim Stöbern im
Internet stößt man auf
interessante Personen
und Bands in Sachen
Blues. Leider können
diese nicht immer gleich
eine CD vorweisen
oder eine vorhandene
CD ist schon etwas
älter. Ich möchte Euch
diese Sachen nicht
vorenthalten und stelle
Euch diese Künstler
in unregelmäßigen
Abständen hier vor.
Wasser-Prawda | Oktober 2015
30
MUSIK
NETZ FUND STÜC K E : HÖR B I
S CHMID T BA ND
VON MATTHIAS SCHNEIDER
Beim Stöbern im Netz bin ich
bei den „Lübecker Nachrichten“
auf den Artikel „Viel Blues wenig
Zuschauer“ gestoßen. Darin tauchte
die Hörbi Schmidt Band auf. Das
klang interessant und ich begann im
Netz nach Informationen zu suchen.
Zunächst fand ich bei Youtube ihren
Song „Wir kommen aus dem Hohen
Norden“. Und der klang so vielversprechend, dass ich über Facebook
mit dem Namensgeber der Band
Kontakt aufnahm. Von ihm erfuhr
ich, dass sich die Band schon die
ersten Sporen verdient hat. Gleich
acht Auszeichnungen räumte sie
2014 beim Deutschen Rock & Pop
Preis ab. Ihr Debüt „Wir kommen
aus dem Hohen Norden“ wurde
zum besten Album in der Rubrik
„Rhythm & Blues“ gewählt. Hörbi
selbst wurde als bester Sänger ausgezeichnet. Und als solcher kommentiert er musikalisch seinen Alltag und
das bewegte Rock & Roll Leben heiter-ironisch, voller Gefühl, klar und
direkt. Der langjährige Mitstreiter
Sven Selle (Hamburg) wurde 2014
als bester Keyboarder geehrt.
Den Preis kannte ich bislang noch
nicht. Poppreise sind ja auch nicht
unbedingt mein Interessengebiet.
Und bei der Bezeichnung Rhythm
& Blues werde ich vorsichtig,
denn da wird ja mittlerweille alles
reingepackt.
Hörbi hat mir aber freundlicherweise
die erste CD der Band zur Verfügung
gestellt. Die enthält eine Mischung
aus Eigenkompositionenen und
Standards. Mich hat am meisten
die Version von „Pride And Joy“
überzeugt. Aber auch „The Th rill
Is Gone“ und „Old Love“ sind sehr
gute Bluesnummern.
Wenn man sich die Besetzung der
Band ansieht, wundert man sich
nicht mehr, dass diese gute Musik
bei ihrem Zusammenspiel herauskommt. Es sind alles gestandene
Musiker.
Bandcamps.
Cathrine Jauer (voc)
Mit ihrer eigenen Band hat Cathrin
im Sommer 2015 beim NDRWettbewerb „Schleswig-HolsteinHammer“ einen hervorragenden 2. Platz belegt. Die Sängerin/
Songwriterin aus Nordfriesland
begeistert die Zuhörer in der Region
aber schon seit einigen Jahren mit
iherer ausdrucksstarken Stimme.
Lili Czuya (voc)
Schon als Teenager probierte Lili
Czuya verschiedene Instrumente aus
Hörbie Schmidt (g,voc)
und begann, eigene Songs zu schreiDer Songwriter mit der Löwenmähne ben. Zwischen 1999 und 2003 absolhat Blues, Rock, Funk und Balladen vierte sie als jüngste Teilnehmerin
in den Fingern, im Kopf und der den Studiengang für Popularmusik
an der Hochschule für Musik und
Seele.
Theater in Hamburg.
Sven Selle (keyb)
Wir werden den weiteren Weg der
In der selbsternannten Pophauptstadt Band auf jeden Fall mit Interesse
Hamburg gilt Sven Selle als Meister verfolgen.
seines Fachs. Zu Hause ist er in allen
Stilen zwischen Rock, Blues, Pop
und Jazz.
Christian Nowak (dr)
Christian spielte schon als Jungspund
mit internationalen Stars wie Chuck
Berry, Gary Brooker (Procol Harum)
und Bobby Kimball (Toto). Daneben
ist der studierte Orchestermusiker
auch Autor verschiedener DrumLehrbüchern und Coach in diversen
Wasser-Prawda | Oktober 2015
B L U E S K A L E N D E R 31
BLUESKALENDER
Zusammenstellung: Matthias Schneider (blueskalender.
blogspot.de)
1898
1917
1924
1956
1963
1986
01.11.
Sippie Wallace*
Johnny Woods*
Little Johnny Jones*
Tommy Johnson+
Johnny Watson (Daddy Stovepipe)+
Sippie Wallace+
02.11.
1943
1955
1966
2014
2014
David Vest*
Danny Caron*
Mississippi John Hurt+
Finis Tasby+
Michael Coleman+
Johnny Mastro *
1940
1959
1964
1982
Sonny Rhodes*
Mary Ann Redmond*
John Henry Barbee+
Henrik Freischlader*
1906
1911
1937
1940
1943
1998
Willie Love*
Memphis Willie B.*
James Peterson*
Delbert McClinton*
Boo Boo Davis*
Sonny Boy Nelson+
1931
1952
1967
1983
05.11.
Ike Turner*
Studebaker John*
Robert Nighthawk+
Lee Andrew Williams Jr.*
03.11.
04.11.
32
BLUESKALENDER
06.11.
1927
1941
1949
1966
1977
Joe Carter*
Roscoe Chenier*
Rory Block*
Washboard Sam+
Michael Kielak*
Gianni Massarutto*
07.11
1955
1969
1972
1992
Slavko Hilvert*
Mike Sponza*
Black Ace Turner+
Jack Kelly+
Steve Hoy*
1913
1949
1968
1974
1983
1998
Gatemouth Moore*
Bonnie Raitt*
Kokomo Arnold+
Ivory Joe Hunter+
James Booker+
Lonnie Pitchford+
Sue Palmer*
08.11.
09.11.
1945
1970
1972
Frank Hutchison+
Susan Tedeschi*
Carolyn Wonderland*
10.11.
1914
1929
1936
1938
1940
1963
1967
1970
Big Chief Ellis*
George Buford*
Hip Linkchain*
James „Thunderbird“ Davis*
Bobby Rush*
Flávio Guimarães*
Ida Cox+
Eric Sardinas*
Christoph „Jimmy“ Reiter*
11.11.
1920
1927
Annisteen Allen*
Mose Allison*
B L U E S K A L E N D E R 33
1929
1936
1942
1955
LaVern Baker*
Buddy Ace*
Jim Schwall*
Dave Alvin*
1909
1944
1959
1997
2011
2014
2014
Bukka White*
Booker T. Jones*
Lester Butler*
Rainer Ptacek+
Doyle Bramhall+
Johnny Dyer+
Little Joe Washington+
1913
1942
1944
1965
1968
Blue Lu Barker*
John P. Hammond*
Kenny Wayne*
Candye Kane*
Debbie Bond*
12.11.
13.11
1932
1937
1941
1954
1956
14.11.
John Henry Barbee*
Carey Bell*
Rockie Charles*
Johnny A.*
Anson Funderburgh*
Valerie Wellington*
Ernest Lawlars (Little Son Joe)+
Gwyn Ashton*
Aynsley Lister*
Mick Simpson*
15.11.
Clyde McPhatter*
Little Willie John*
Jim Dickinson*
Charley Jordan+
John H. Schiessler (Beige Fish)*
1873
1923
W. C. Handy*
Francis Clay*
1905
1936
1942
1952
1954
1959
1961
1961
1976
16.11.
34
BLUESKALENDER
1924
1931
1939
1945
1949
1980
1991
Brewer Phillips*
Hubert Sumlin*
W. C. Clark*
Paul Raymond*
Big George Jackson*
O. V. Wright+
Jeradine Blues Mumma Hume*
Santos Puertas *
1904
1943
1955
1963
1967
2006
2008
17.11.
Jack Owens*
Willie Murphy*
James P. Johnson+
Ingrid Simons - B.B. Queen*
Tab Benoit*
Ruth Brown+
Pat Ramsey+
1923
1928
1950
1952
1971
Sidney Maiden*
Dennis Binder*
Randy Chortkoff *
Ace Moreland*
Junior Parker+
18.11.
1)
1) Das genaue Datum ist nicht bekannt
19.11.
1933
1964
1965
1970
Big Leon Brooks*
Little Johnny Jones+
Mike Osborn*
Mike Zito*
1901
1920
1946
2010
Julius Daniels*
Pernell Charity*
Duane Allman*
Little Smokey Smothers+
1909
1913
1923
1940
Lloyd Glenn*
K. C. Douglas*
Big John Greer*
Dr. John*
20.11.
21.11.
B L U E S K A L E N D E R 35
2006
Robert Lockwood junior+
Randa Lee*
1945
1947
1951
1968
Angela Strehli*
Rod Price*
William Moore+
Johnny Temple+
Linda Hornbuckle*
1926
1963
2008
R. L. Burnside*
Chicago Slim*
Robert Lucas+
Gail Muldrow*
Scottie Blinn*
1896
1941
1950
1964
1969
1985
1991
1993
Rosa Henderson*
Donald Dunn*
Jeff Chaz*
Buster Pickens+
J. T. Brown+
Big Joe Turner+
Brad Stivers*
Albert Collins+
22.11.
23.11.
24.11.
1914
1928
1931
1943
1987
1997
2011
2011
1927
1938
1941
1945
25.11.
Eddie Boyd*
Jimmy Johnson (James Earl Thompson)*
Johnny Embry*
Jerry Portnoy*
Little Willie Foster+
Fenton Robinson+
Henry Lee „Shot“ Williams+
Coco Robicheaux+
Eric Demmer*
26.11.
Hosea Leavy*
Travis „Moonchild“ Haddix*
Amos Garrett*
John McVie*
36
BLUESKALENDER
1953
1958
1965
1999
2006
Big Clara McDaniel*
Tiny Bradshaw+
Bernard Allison*
Fred „Sweet Daddy Goodlow“ Ford+
H-Bomb Ferguson+
27.11.
1934
1942
1999
2011
2012
1928
1946
1949
1971
1978
1987
2002
1894
1933
1957
1909
1915
1943
1953
1953
1956
1959
1962
1999
Al Jackson, Jr.*
Jimi Hendrix*
Johnny „Big Moose“ Walker+
Keef Hartley+
Mickey „Guitar“ Baker+
Roach Thompson*
28.11.
Little Sammy Davis*
Blues Boy Willie*
Paul Shaffer*
Papa George Lightfoot+
Tim De Graeve aka Tiny Legs Tim*
Ori Naftaly*
Dave „Snaker“ Ray+
Neil Sadler*
Torsten „Red Fox“ Rolfs*
29.11.
Lucille Hegamin*
John Mayall*
Jennifer Batten*
30.11.
Robert Nighthawk*
Walter „Brownie“ McGhee*
Leo Lyons (born David William Lyons)*
Ernie Lancaster*
Shuggie Otis*
Smokin ‚Joe Kubek*
Mike Morgan*
Kelly Richey*
Don „Sugarcane“ Harris+
Hinweis: Für weitere Informationen siehe hier: http://blueskalender.
blogspot.de/
A L B U M D E S M O N A T S 37
SUGAR BROWN –
PO OR L AZ A R U S
ALBUM DES MONATS OKTOBER 2015
über den Polizistenmord an einem Unschuldigen wurde
zwar schon von Dylan und vielen anderen interpretiert.
Doch bei Brown erhält die Nummer mit einem hypnotischen Gitarrenriff, treibenden Rhythmen und dem
wütenden Gesang fast das Feelings eines frühen Songs
der Doors. Wobei es eben niemals nach Hippieseeligkeit
sondern ganz nach ehrlicher und angebrachter Wut
klingt. Unwahrscheinlich packend und großartig!
Live im Studio und nur mit wenigen Overdubs, so muss Sugar Brown interpretiert hier aber nicht nur fremdes
seiner Meinung nach der Blues aufgenommen werden. Material, er ist mittlerweile auch ein äußerst begnaWenn Sugar Brown mit der von Franie Lee Sims stam- deter Songwriter, dessen Stücke problemlos neben
menden Nummer „Walkin‘ With Frankie“ loslegt, Klassikern wie dem aus den Sammlungen der Familie
versteht man sofort, was er damit meint: Blues muss Lomax stammenden Titelsong bestehen können. „Train
Ecken und Kanten haben, man muss die Energie der Sixty-Four“ etwa könnte auch als Stück des ganz jungen
Musiker spüren, ihre spontanen Einfälle wahrnehmen Muddy Waters durchgehen. Und erst beim Hörern auf
können. So entstehen Songs, bei denen selbst zufällige die Nonsense-Lyrics wird klar, dass The Mad Gardeners
Hörer sofort die Ohren spitzen. Denn hier ereignet Song Part 1 eben keine Johnny Otis-Version einer Bo
sich Musik, die heutzutage selten geworden ist. Beim Diddley-Nummer ist, sondern Browns eigener Versuch,
Opener hört man Brown mit seiner Gitarre, zweulen ein Gedicht von Lewis Carroll in Blues zu verwandeln.
eine Rhythmusgitarre und vor allem das Saxophon von
Joolyah Narveson und das reduzierte Drumkit von Mart
Maky. Manche Leute wollten auch nach dem dritten
Hören nicht glauben, dass diese Aufnahme nicht aus
den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts stammt.
Wo der Opener als wilder Rhythm & Blues daherkommt, sind andere Stücke wüster Rockabilly (Tom
Waits‘ „Get Behind The Mule“) oder Blues im Stile
des nördlichen Mississippi oder haben gar einen Schuss
Country & Western drin. Mit „Tokyo Nagaremono“
findet sich noch ein komplett bluesfreier Titel, der
Titelsong des japanischen Films „Tokyo Drifter“.
Angesichts der gerade in letzter Zeit bekannt gewordenen Fälle von Polizeigewalt gegen farbige Menschen in
den USA ist es ein passender Zufall, dass Brown gerade
dann auf „Poor Lazarus“ gestoßen ist. Diese Nummer
Eigentlich heißt Sugar Brown Ken
Kawashima und ist Professor für
asia sche Geschichte. „Poor Lazarus“
ist das zweite Album des kanadischen
Gitarristen und Songwriters. Und es
gehört mit Leich gkeit zu den besten
Bluesalben des Jahres 2015.
Wasser-Prawda | September 2015
38
A L B U M D E S M O N AT S
Sugar Brown (Foto: Rick Zolkower)
Beim Teil 2 des Gedichts bekommt die Bluesrock-Basis
es spätestens auf den Wunschze el
dann noch ein wenig asiatisches Flair dazu. Bei „Not
für Weihnachten. Und dann findet
Your Backdoor Man“ schreibt er den Gegensatz zum
sich hoffentlich auch ein Label,
Klassiker von Willie Dixon.
dass es in Europa vertreibt. Denn
Und dann ist da noch „Blue Light Hooker“, ein einfach
bislang kann man das Album hier
nur fantastisch zu nennendes Instrumental: Ein langsalediglich als Download kaufen.
mer Chicagoblues mit ganz einfacher Gitarrenlinie, ein
wenig Vibraphon und Schlagzeug und dazu die mächtig
sich emporschwingende chromatische Harp von Bharath
Rajakumar - das ist schlichtweg atemberaubend!
„Poor Lazarus“ ist ein seiner Direktheit
und musikalischen Lebendigkeit eines
der besten Alben der letzten Monate.
Für jeden wirklichen Bluesfan gehört
Wasser-Prawda | September 2015
Raimund Nitzsche
P L AT T E N
39
REZENSIONEN A BIS Z
A
Andre Bisson – Left With The Blues
40
Andy Poxon – Must Be Crazy 40
Artur & Band – Zeile für Zeile 40
B
Babajack – Live Summer 2015 41
Ole Frimer Band – Live at Blues
Baltica 46
50
Omar & The Howlers – The Kitchen
Sink 47
R
Ragpicker String Band – The
Ragpicker String Band 47
Bad Company – Rock n roll Fantasy.
The Very Best of Bad Company 52
Reverend Shawn Amos – The
Reverend Shawn Amos Loves You
48
Brad Wilson – Blue Thunder 41
S
C
Shemekia Copeland – Outskirts of
Love 48
Crazy Hambones – 45 Live 42
D
Deb Callahan – Sweet Soul 42
Deep Down South – An Acoustic
Journey To The Blues 43
D.L. Duncan – D.L. Duncan 43
Dr. John – The Atco/Atlantic Singles
52
E
Ebony Jo-Ann – Please Save Your
Love For Me 44
Engerling – 40 Jahre unterwegs 44
J
Jochen Volpert – Session 52.2 45
M
Micke Björklof & Blue Strip – Ain‘t
Bad Yet 46
O
Southside Johnny & The Ashbury
Jukes – Soultime 49
Stefan Saffer – Singers & Players
49
Steve „Big Man“ Clayton – Best of
1999-2007 53
T
The Reverend Shawn Amos – The
Reverend Shawn Amos Loves You
48
V
Various – Feeling Nice 3: A
Collection of Superrare and
Superheavy Funk 45s from the lat
1960s & Early 1970s 53
W
Wily Bo Walker – Moon Over Indigo
50
Z
Zac Harmon – Right Man Right Now
Wasser-Prawda | Oktober 2015
40
P L AT T E N
„Tomorrow“ hatte Poxon derartig überzeugend gespielt, dass man
kaum glauben konnte, dass da ein
achtzehnjähriger Jungspund spielte.
Inzwischen ist Poxon zwei Jahre
älter geworden und hat seine Zeit
hörbar genutzt: Stücke der „Cold
Weather Blues“ sind Paradebeispiele
dafür, wie man meisterliche Solos
spielt und beim Hörer für eine gehörige Gänsehaut sorgt. Da ist keine
Note zuviel!
Auch wenn es rockiger oder swingender wird: Die von Poxon
teilweise in Kooperation mit
McKendree (und einmal auch mit
dessen Sohn Yates) geschriebenen
Stücke sind genau auf seine Stimme
und Gitarre zugeschnitten. Hier
wird der Blues regelrecht zelebriert.
Und die Saxophone (von Jim Hoke
gespielt) oder die McCrary Sisters
im Backgroundchor setzen die nöAndy Poxon – Must Be Crazy
tigen Akzente zu der klassischen
Für sein zweites Album beim Label
Bandbesetzung. Sehr überzeugend
Ellersoul zog der aus der Gegend von
und damit eine echte Empfehlung
Washington stammende Gitarrist
wert! (Ellersoul)
Andy Poxon nach Nashville. Dort
Raimund Nitzsche
entstand mit seiner Band und dem
Produzenten Kevin McKendree in
dessen Studio eine Scheibe, die Fans
das klassischen Gitarrenblues in der
Nachfolge von T-Bone Walker und
B.B. King begeistern dürfte.
Die Kunst, mit der Gitarre eigene
Geschichten zu erzählen ist grundsätzlich unterdschieden von der
Fähigkeit, Skalen und Tonleitern
in irrwitzigen Tempi abzuspulen.
Letzteres kann man im Unterricht
lernen und durch beständiges Artur & Band – Zeile für Zeile
Üben perfektionieren. Ersteres er- Mal melancholisch, mal rockig
fordert Erfahrung und ein Stück groovend und immer mit sehr perWeisheit. Schon auf dem von Duke sönlichen Texten auf gut Deutsch:
Robillard produzierten Vorgänger Mit „Zeile für Zeile“ hat die noch
Die neun selbst geschriebenen
Songs machen eine Menge Spaß.
Und auch das einzige Cover, eine
Version des von Albert King bekannt gemachten Cross Cut Saw
zeigt; Hier hat einer jede Menge
Spaß am Muszieren. Und dieser
Spaß wirkt von Anfang bis Ende
äußerst ansteckend. (cdbaby)
Nathan Nörgel
Andre Bisson – Le With The
Blues
Auf seinem sechsten Studioalbum
schöpft der kanadische Gitarrist/
Songwreiter Andre Bisson so richtig aus dem Vollen: Soulige Bläser,
Streicher, Anklänge an Motown,
Stax und Jump Blues mit Bigband.
und Backup-Chorsängerinnen.
„Left With The Blues“ ist ein Album
für alle Fans des zu Herzen gehenden Soulblues.
Schon seit zehn Jahren pflegt der aus
Hamilton in Ontario stammende
Bisson seine Mixtur aus Soul, klassischem Rhythm & Blues und
Blues. Auf seinem neuen Album
kommen dazu noch Einflüsse aus
dem Gospel ebenso hinzu wie
Referenzen eines jungen Tom
Waits oder Gitarrenlinien aus dem
Texasblues. Mit seinen orchestralen Arrangements könnte man meinen, hier wolle jemand unbedingt
in den Kreis der angesagten RetroSoul-Gemeinde aufgenommen werden. Doch dann gibt es auch wieder Momente, wo Bisson mit seiner
zeitweise rauchigen Stimme ganz allein zum Piano oder eine röhrenden
Harp den Bluesprediger gibt.
Wasser-Prawda | Oktober 2015
P L AT T E N
junge Band um Sänger/Pianist/
Songwriter Artur Apinyan ein hörenswertes Debüt veröffentlicht.
Manchmal ärgere ich mich wirklich,
dass bei den Hunderten Alben, die
hier jährtlich in der Redaktion ankommen und gehört werden, fast
nie was hier aus der Region dabei ist.
Als ich daher vor einiger Zeit erstmals Artur und Band im Konzert
hörte, freute ich mich schon auf
das damals angekündigte Album.
Und auch wenn ich normalerweise nicht der Typ bin, der häufig
deutschsprachigen Pop hört: „Zeile
für Zeile“ macht wirklich Spaß. Es
sind Lieder, die mich mal an Wolf
Maahn, seltener an Grönemeyer
und Konsorten erinnern. Und
genau hier liegen natürlich auch die
Grenzen des Albums: Das hier sind
Lieder, die weit entfernt sind von
lyrischen Großtaten von Element
of Crime oder Keimzeit. Aber die
wollen Stücke „Wie sie mal war“,
„Halt mich nicht auf“ oder „Wie ich
ticke“ auch niemals sein. Das sind
sehr persönliche und direkte Texte,
keine ausgefeilten literarischen
Kunstwerke. Und vielleicht macht
das dieses Album so sympathisch.
Artur ist ein toller Pianist und ein
Sänger, der sowohl bei Balladen als
auch bei rockigen Nummern überzeugen kann. Zusammen mit seinen Mitstreitern (Ole Weichbrodt
- g, Michael Meier - bg, Peter
Hartmann - dr und Saxophonist
Johann Putensen) hat er ein Album
eingespielt, dass Fans der erwähnten
Künstler ebenso überzeugen wird
wie auch andere Freunde deutscher
Popmusik.
Raimund Nitzsche
41
tischer Rock.
Becky Tate ist eine Sängerin, die
notfalls auch ganz alleine auftreten könnte. Die Harp von Steiger
bringt die bluesige Stimmung in
den musikalischen Mix. Und die
Ryhthmusgruppe und die als Gast
immer häufiger mit auftretende
Cellistin Julia Palmer Price sorgt
für eine Note, wie sie in der heutigen Bluesszene einfach nirgendwo
anders zu hören ist. Ein unbedingt
Babajack – Live Summer 2015 hörenswertes Livealbum. Und bei
Eigentlich wollten Babajack ein der nächsten Deutschlandtour muss
Livealbum aus der Royal Albert Hall ich unbedingt dabei sein!
veröffentlichen, wo ein Konzert für
die BBC-Sendung von Paul Jones
mitgeschnitten worden war. Doch
aus Lizenzgründen wurde nichts.
So schnitt die Band um Sängerin/
Percussionistin Becky Tate und
Gitarrist/Harpspieler Trevor Steiger
im Sommer ein anderes Konzert
mit, dass Mitte Oktober als Album
auf den Markt kommen soll.
Noch immer hab ich es nicht geschafft, Babajack live zu erleben.
Nathan NörgelBrad Wilson –
Mittlerweile war die Gruppe ja
Blues Thunder
schon mehrere Male hierzlande unBluesrock
aus
Kalifornien:
Das neue
terwegs. Und eigentlich hätte ich da
die Gelegenheit ergreifen müssen. Album des Gitarristen ist etwas für
Das jedenfalls wird mir sofort deut- die, die lieber hochpolierte als rauhe
lich, wenn das erste Live-Album mit und ungeschliffene Alben hören.
„Money‘s All Gone“ losgeht: Sofort B l i t z u n d D o n n e r s i n d
ist hier eine Spannung spürbar, wie Naturgewalten. Wer versucht, sie zu
sie nur bei ganz besonders guten zähmen, wird scheitern. Oder bösarMusikern zu finden ist. Hier wird tiger gesagt: Der erntet Langeweile.
nicht auf solistische Exzesse gesetzt Brad Wilson hat in seinem Leben
sondern darauf, tolle Songs span- schon mit verschiedenen bekannnend und mitreißend zum Klingen ten Bands und Musikern zusamzu bringen. Man wird von den men gespielt. Doch scheint er sich
Musikern regelrecht in den Bann zur Zeit zu sehr drauf zu kongezogen. Und da ist es egal, ob der zentrieren, mit seiner Musik bei
Song grad mehr Blues ist oder akus- den Radioprogrammdirektoren
anzukommen.
Wasser-Prawda | Oktober 2015
42
P L AT T E N
„It‘s Any Wonder“, mit dem „Blues
Thunder“ beginnt, schreit regelrecht: Classic Rock Radio! Die
Gitarre fein melodisch und zaghaft, die Stimme wie für den nächsten Kuschelrocksampler - das ist
die richtige Midtemponummer
fürs Nachmittagsprogramm. Auch
Balladen wie „Blue Shadows“ bedienen eher den Gary-Moore- als den
Bluesfan.
Rauher geht‘s bei Nummern wie
„Change It Up“ zur Sache. Aber
erst bei „Step By Step“ oder „Let‘s
Go Barfootin“ kommen die Blueser
wirklich ins zufrieden rhythmische
Kopfnicken. Hieran ist nicht nur
der an Bo Diddley gemahnende
Beat sondern vor allem die kratzige
Bluesharp von Tumbleweed Money
Schuld. Auch der fein dahintreibende Boogie von „Black Cofee At
Sunrise“ ist Klasse. Das ist feiner
Blues, hier ist noch genügend Dreck
in den Zwischenräumen. Und genau
das ist es, was einem großen Teil von
„Blues Thunder“ leider fehlt.
Nathan Nörgel
Crazy Hambones – 45 Live
zu den Bluesbands, die wirklich
einen eigenständigen Sound gefunden haben. Ihr aktuelles Album
45 Live entstand (für die Band unangekündigt) bei Auftritten in der
Berliner Kulturbrauerei.
Verrücktheit im besten Wortsinn
gehört wahrscheinlich dazu, wenn
man sich als Musiker heute dem
Blues verschreibt. Nur so schafft
man es bei allen Schwierigkeiten
Musik zu erschaffen, die mitreißend, ehrlich und einzigartig ist.
Schon immer haben die Crazy
Hambones sich auf die Suche
nach ihrer Art, den Blues zu spielen, gemacht. Und was sie gefunden haben, ist eine bunte Mischung
akustischer Sounds, und verzerrter
Gitarren, von Boogie Rhythmen
und Gospelsounds, von überraschend arrangierten Klassikern und
eigenen Songs jenseits der Klischees.
Auf 45 Live findet man all diese einzelnen Zutaten in der Form, die der
Band am ehesten angemessen ist:
live, unpoliert und vor einem begeisterten Publikum. Schwer fällt
es bei dem Programm, besondere
Highlights herauszuheben. Meine
persönlichen Favoriten dieses tollen
Konzertmitschnitts sind das eigene
„Hard Being A Man“ und die wunderbare Version des Gospelklassikers
„12 Gates To The City“.
Mein Fazit: Unbedingt in ein
Konzert gehen. Und das Album
an gute Freunde zu Weihnachten
verschenken! (Stormy Monday
Records)
Raimund Nitzsche
Micha Maas, Henry Heggen und
Gitarrist Brian Barnett aka Crazy
Hambones zählen in Deutschland
Wasser-Prawda | Oktober 2015
Deb Callahan – Sweet Soul
Wie kann man Blues singen, wenn
man glücklich ist? Wer der Meinung
ist: Gar nicht!, der hat den Blues
noch nicht verstanden. Wer ein akustisches Beispiel für äußerst glückliche Bluesmusik hören will, sollte zu
„Sweet Soul“ greifen, dem fünften
Album der aus Philadelphia stammenden Sängerin und Songwriterin
Deb Callahan.
Wenn man Kinder bekommt,
dann verändert das bei den meisten Menschen komplett den Blick
auf die Welt und die Perspektiven
des Lebens, wie man sie bis dahin
hatte. Davon kann Deb Callahan
mehr als ein Lied singen: Kurz
nach Veröffentlichung ihres vierten
Albums kam ihr Sohn Elijah zur
Welt. Und erst jetzt nach rund fünf
Jahren ist wieder Zeit für die Musik.
In den Liedern (ob selbst geschrieben oder von anderen „ausgeborgt) auf „Sweet Soul“ geht
es entsprechend um Liebe, um
Karriereentscheidungen - und natürlich um all das was sich geändert
hat.
In „Seven States Away“ etwa beschreibt sie die Sehnsucht, nach dem
P L AT T E N
Konzert sofort wieder die Heimreise
anzutreten - auch wenn die Strecke
durch sieben Bundestaaten geht. Im
wundervoll funkigen „I Keep Things
Running“ macht sie klar, dass sie
stark genug ist, um die Dinge am
Laufen zu halten. Und dann gibt
es noch solch großartige Cover
wie ihre Fassung von Tom Waits‘
„Way Down In The Hole“ oder Dr.
Johns „I Been Hoodooed“, musikalisch mit dreckiger Gitarre über
Callahans Powerstimme. Daumen
hoch für ein tolles Album zwischen
Blues & Soul! (Blue Pearl Records)
Raimund Nitzsche
Whiskey, also dem illegal gebrannten
Alkohol. Da die Songs so reduziert
mit Gesang und Gitarre aufgenommen sind, steht Gregs Copelands
tolle Stimme im Vordergrund: Der
Sänger wird zum Erzähler und wir
werden in seinen Bann gezogen.
reg Copeland muss man einfach
zuhören.
Dazu kommt ein sehr authentisches Gitarrenspiel vom Martin
Messing, der für mich bislang ein
völlig Unbekannter war. Wie Greg
mir selbst sagte, war es für ihn ein
Glücksfall, Martin Messing für das
Projekt zu gewinnen. Wenn er mit
ihm auf der Bühne steht, ist es, als
wenn Leadbelly, Robert Johnson
oder Muddy Waters sie anlächeln.
Auch ist die CD nach seinen
Worten eine Danksagung an seine
Vorfahren, die als Sklaven nach
Amerika gebracht worden sind. Eine
verdammt lange Reise!
Mein Favoriten auf der CD sind
die Coverversion von „Willie &
the Handjive“, weil sie trotz der
puristischen Besetzung den Drive
von Jimmy Otis in sich birgt und
die Copeland/Messing Songs „I’m
Deep Down South – An
Acous c Journey To The Blues gonna hurt you“ und „Moonshine
Deep Down South ist ein Projekt Whiskey Blues“ – Schicksal und
der beiden Musiker Greg Copeland Lebensfreude in zwei Songs stehen
aus Virginia und des aus Bocholt stellvertretend für das ganze Album.
Mario Bollinger
stammenden Martin Messing. Die
CD ist ein Acoustic Blues Album
mit 4 Coverversionen und 11 eigenen Songs.
Der Schwerpunkt der CD liegt
im Erzählen der typischen
Bluesgeschichten. Es geht um
Frauen und unglücklicher Liebe,
Lebensfreude mit BBQ und dem
berühmt-berüchtigten Moonshine
43
D.L. Duncan – D.L. Duncan
Für sein aktuelles selbstbetiteltes
Album hat sich Songwriter/Gitarrist
Dave Duncan eine Menge Gäste
eingeladen. Bei den Aufnahmen in
Lafayette (Louisiana) und Nashville
waren unter anderem Sonny
Landreth (g), Delbert McClinton
(mharm) und Pianist Kevin
McKendree mit dabei, um die acht
eigenen und zwei Coversongs einzuspielen. Geboten wird hier die komplette Bandbreite von Americana:
Blues, Gospel, Country und mehr.
„I Ain‘t the Sharpest Marble“
meint Duncan im ersten Lied seines Albums. Ich bin hier wirklich nicht das hellste Licht am
Weihnachtsbaum würde ich den
Titel frei übersetzen. Ein wundervoll humorvoller Blues über einen
Mann, dem die Dinge nicht so einfach zufliegen. An sich schon ein
Kandidat für den besten Bluessong
des Jahres.
Auch die anderen Nummern - ob
sie nun relaxt daherkommen wie
„Dickerson Road“, als Blues mit
klassischen Riffzitaten wie „You Just
Don‘t Never Know“ oder auch mal
poppig wie „Sweet Magnolia Love“
sind eine echte Empfehlung wert.
Genregrenzen sind längst nicht so
Wasser-Prawda | Oktober 2015
44
P L AT T E N
wichtig wie gutes Songwriting. Und
Leidenschaft und Musikalität sind
wichtiger als kalte Intelligenz und
Stromlininienförmigkeit. „D.L.
Duncan“ - beide Daumen hoch für
dieses Album!
Raimund Niztsche
sondern absolut überzeugend und
persönlich. Manche Kritiker fühlen
sich an Bluessängerinnen wie Etta
James oder die Jazzdiva Etta Jones
erinnert. Womit allerdings eher
die musikalische Spannbreite des
Albums zwischen Blues, Soulpop,
Jazz und Gospel umschrieben
wird als die wirkliche Stimme dieser Sängerin. Und vor allem wird
eine Tatsache davon fast verdeckt,
die diese Scheibe zu einer echten
Entdeckung macht: Ebony Jo-Ann
ist eine Sängerin, die eben nicht nur
über Liebe und Liebesleid singt,
sondern die den Blues immer auch
in seiner gesellschaftlichen Relevanz
begreift. Lieder wie „Is It Because I‘m
Black“ oder „Just Rain“ setzen sich
mit den gerade 2015 immer stärEbony Jo-Ann – Please Save
ker ins Bewusstsein der Gesellschaft
Your Love For Me
Bekannt wurde Ebony Jo-Ann als getretenen rassischen und sozialen
Musicalsängerin und Schauspielerin. Probleme nicht nur der USA ausSo spielte sie etwa am Broadway in einander. Unbedingt hörenswert!
Nathan Nörgel
„Ma Rainey‘s Black Bottom“ und in
Adam Sandlers von der Kritik verrissenen, aber weltweit in den Kinos
erfolgreichen Komödie Grown Ups
und dessen Fortsetzung. Jetzt hat sie
mit „Please Save Your Love For Me“
ihr erstes Bluesalbum veröffentlicht.
Wie kann man als vielfach ausgezeichnete Künstlerin heutzutage
auf die Idee kommen, gerade ein
Bluesalbum zu veröffentlichen? Für
Ebony Jo-Ann scheint das keine geschäftliche Entscheidung, sondern
eher eine Herzensangelegenheit ge- Engerling – 40 Jahre
wesen zu sein. Ob sie speziell für sie unterwegs
verfasste Liebeslieder wie „Yo Love“ 40 Jahre ist das jetzt her? Immerhin
oder „Glad I Waited For Love“ singt war Engerling eine der ersten
oder Bluesklassiker wie „Sittin‘ On Bands, deren Konzerte ich damals
Top Of The World“ singt: Hier wirkt im Umland von Berlin besucht
nichts theatralisch oder gekünstelt habe, hauptsächlich wegen ihrer
Wasser-Prawda | Oktober 2015
Interpretation von „Riders on the
Storm“ (leider nicht Bestandteil des
Jubiläumskonzertes). Engerling hält
mir den Spiegel vor´s Gesicht, auch
ich bin wohl 40 Jahre älter geworden, das kann ich leider nicht in
Abrede stellen.
Neue Songs hat Engerling gefühlte
20 Jahre nicht mehr produziert,
weswegen die Erwartungen bei
mir an diese Platte eher gedämpft
waren. Ich hatte so den Eindruck,
Engerling spielt von Jubiläum
zu Jubiläum, um jedes mal einen
Konzertmitschnitt auf CD oder
DVD pressen zu können.
Dieses Jubiläumskonzert hat aber
positiv überrascht. Eine illustere Auswahl an hochkarätigen
Gästen, neu arrangierte EngerlingTitel und eine Auswahl an Bluesund Rockklassikern macht dieses Konzert zu einem Erlebnis.
Auch die Tonqualität bei dieser
Buschfunkproduktion ist sehr gut,
was bei Buschfunkproduktionen in
der Vergangenheit nicht immer der
Fall war.
Ich werde jetzt nicht jeden Titel
durchgehen, aber die auffälligsten
erwähnen. „Da hilft kein Jammern“
frisch aufgemotzt, mit der
Unterstützung von Beata Kossowska
an der Harp. Boddi zeigt sein ganzes
Können am Piano und auch, dass er
der „Boss“ dieser Veranstaltung ist.
Mit dem Dylanklassiker „For
ever young“, gesungen von Steffi
Breiting (Masterpiece), wird wohl
der Wunsch aller alten Männer auf
die Bühne projiziert. „MasterPeace“
heißt die neue Band, in der Musiker
aus verschiedenen Ländern zusammen spielen und Bob Dylan Tribut
P L AT T E N
zollen. Dazu gehören der Gitarrist
Bernd Römer (Karat) und auch
Wolfram Bodag an Orgel, Piano
und Harp.
Von den Engerlingtiteln gefiel mir
besonders Nr. 48 (aus dem Jahr
1988), wohl auch weil ich ihn bisher
nicht kannte. „Schwester Bessie‘s
Boogie“ wurde neu arrangiert und
klingt jetzt wie Cajun-Musik. „Der
Zug / Die Weiße Ziege“, einer meiner Lieblingstitel, hört sich wie
neu an, auch weil Jürgen Ehle hier
mitwirkt.
Natürlich standen auch Titel
aus dem Stonesprogramm der
Engerlinge auf dem Programm.
Stellvertretend er wähne ich
hier einen der Höhepunkte des
Konzertes, bei dem fast alle Musiker
auf der Bühne standen: „Honky
Tonk Woman“
Über „Mama Wilson“, dem Tribut
an Al Wilson, muss man nicht
viel sagen. Es ist eben ein wunderbarer Song, auch weil hier die
Bläsergruppe und die Harp von
Beata Kossowska unterstützend
mitwirken.
Unbedingt erwähnen muss auch
man noch den Auftritt von
Uschi Brüning mit dem mittlerweile 81(!)-jährigen Ernst-Ludwig
„Luten“ Petrowsky. Beim zweiten Titel dieses Auftrittes gesellte
sich noch Gala Gahler hinzu,
was leider auf der CD unerwähnt
blieb. Diese Version vom „Stormy
Monday Blues“ ist einfach großartig interpretiert.
Rundherum war das ein großartiges Jubiläumskonzert, was ich gerne
jedem empfehle. (Buschfunk)
Matthias Schneider
Jochen Volpert – Session 52.2
Wir hatten ja schon in der
Reihe „Netzfundstücke“ in der
Septemberausgabe über Jochen
Volpert berichtet und nun ist sie
schon da, die neu CD „Session
52.2.“.
Irgendwie macht Jochen Volpert
schon andere Musik als der Rest der
Blues- und Bluesrockszene. Woran
liegt die Faszination dieser Musik?
Ich muss zugeben, dieser Gedanke
beschäftigt mich noch immer und
ich kann mich gar nicht satt hören
an dem Album, auch um diese
Faszination zu erfassen.
Es liegt zum einen sicher daran, dass
Jochen Volpert Elemente des Blues,
Bluesrock und des Jazz miteinander
kombiniert. Und er hat Musiker zusammengeholt, die durchweg ihr
Handwerk beherrschen. Und natürlich: Hier wurde ein Album als
Session aufgenommen. künstler,
die sonst eher selten miteinander
spielen, trafen sich zum zwanglosen spiel und bekamen Raum zum
Improvisieren.
Das zwanglose Zusammenspiel der
Musiker, ihre Freude dabei, trifft sicherlich den Kern des Albums. Und
durch das Kombinieren der ver-
45
schiedensten Genre ist ein abwechslungsreiches Album entstanden, bei
dem Eigenkompositionen neben außergewöhnlichen Arrangements von
Rock- und Bluesklassikern stehen.
„Bei der Auswahl der Stücke stand
im Focus, dass sie genügend Raum
für Improvisationen bieten und
trotzdem über eine nachvollziehbare
Songstruktur verfügen, um nicht
in die Beliebigkeit mancher JamSession abzudriften.“ Das schreibt
Volpert auf seiner Homepage dazu.
So ein „Gimme shelter“ habe ich
noch nie gehört, kann mich aber
daran gewöhnen, dass dieser Titel
sehr jazzig rüber gebracht wird.
Für „All along the watchtower“ kann
man diese Beschreibung auch benutzen, wobei bei dem Gitarrenspiel
von Jochen Volpert durchaus
Erinnerungen an Jimi Hendrix geweckt werden.
„Something“ passt meiner Meinung
nach in diese Zusammenstellung
nicht rein, klingt wie ein
Fremdkörper, das ist aber mein einziger Kritikpunkt.
Bei „ Walk in my shadow“ (acoustic Version) hüpft mein Blueserherz
dann wieder vor Freude. Aber auch
die elektrische Version des Titels mit
dem Gesang von Carola Thieme
sollte man nicht auslassen. Alles
in Allem ein aussergewöhnliches
Album, was man nicht versäumen
sollte.
Matthias Schneider
Wasser-Prawda | Oktober 2015
46
P L AT T E N
eben nicht auf rockende Stupidität
sonden auf lebendige Grooves gesetzt. Und man darf schon mal die
Frage aufwerfen, ob man Songs wie
diesen überhaupt als Bluesrock bezeichnen sollte. Denn eigentlich ist
das Blues in Hochgeschwindigkeit.
Aauch Stücke wie „Rain In
Jerusalem“, „Rat Chase“ oder der
tolle Slowblues „Ain‘t Bad Yet“
sind musikalisch und textlich absolut einzigartig und hörensMicke Björklof & Blue Strip
wert- Besonders die differenzier– Ain‘t Bad Yet
Schon seit mehr als 15 Jahren spie- ten Grooves der Rhythmusgruppe
len die Finnen von Micke Björklof sind es, die Blue Strip aus dem
& Blue Strip zusammen. Nachdem Einerlei der Bluesrockszene heraussie in Skandinavien schon seit stechen lassen. Daneben sind auch
Jahren sehr erfolgreich unterwegs Björkloff an der Harp und der fansind, starten sie im Rest der Welt tastische Lefty Leppänen an der
seit ihrem Vorgängeralbum „After Gitarre ebenso für die musikalische
The Flood“ und der Teilnahme an Qualität mit verantwortlich. Für die
der European Blues Challenge voll nöitige Abwechslung sorgen auch
durch. Im Frühjahr 2015 veröffent- ein paar Gastmusiker, die die Finnen
lichten sie mit „Ain‘t Bad Yet“ ihr ins Studio nach Wales eingeladen
sechstes Album, das zweite, das auch hatten. Vor allem Keyboarder Tim
Lewin ist eine tolle Bereicherung.
international vertrieben wird.
Bluesrock hat oftmals die Tendenz, „Ain‘t Bad Yet“ ist ein perfekt prodie Musik - besonders den Bluesanteil duziertes Album mit echtem Blues
– zu verflachen und zum Klischee zu und paar rockigen Einlagen von
verknappen. Hier einen eigenständi- einer der besten Bluesband des eugen Sound zu finden, ist keine ganz ropäischen Kontinents.
Nathan Nörgel
leichte Aufgabe. Vor allem braucht
es neben einem eigenständigen
Sound gute Songs, die eben nicht
in den üblichen Revieren wildern.
Beides haben Björklof (harp,voc)
und seine Mitstreiter in den Jahren
ihres Bestehens gefunden. Auch
wenn der Opener „Last Train To
Memphis“ vom Titel her so klischeehaft wie nur möglich ist: Wie
der jagende Rhythmus und das prägnante Harpspiel zusammen klingen, reist jeden sofort mit. Hier wird
Wasser-Prawda | Oktober 2015
Ole Frimer Band – Live at
Blues Bal ca
Mit seiner jungen Band war der dänische Gitarrist Ole Frimer 2014 zu
Gast beim Festival Blues Baltica in
Eutin. Jetzt ist der Mitschnitt des
Konzertes auf CD veröffentlicht
worden.
Bei Ole Frimer kommt nicht nur der
Fan traditioneller Bluesklänge auf
seine Kosten. Immer wieder hatte er
sich bei dem Auftritt in Eutin auch
in Richtung Fusionjazz und Rock
begeben. Songs wie „If You Only
Could Forgive Me“ oder „The Way
You Move“ lebten geradezu durch
diese musikalischen Exkursionen,
zu denen Frimer immer wieder
auch durch die Orgeleinlagen des
wunderbaren Palle Hjorth angeheizt wurde. Hjorths Spiel alleine
zwischen klassischen Bluessounds,
Eskapaden a la Jon Lord oder fast
freiem Jazz ist den Kauf dieses
Albums wert.
Wobei natürlich nicht gesagt werden soll, dass der Rest der Musik
banal wäre. Ganz im Gegenteil:
Frimers Songs entwickeln hier eine
Spannung und Leidenschaft, die fast
körperlich spürbar ist. Hier spielen
Musiker auf höchstem Niveau und
mit voller Spielfreude. Und genau
P L AT T E N
das ist es, was ich von einem LiveAlbum erwarte. Insofern ist „Live
At Blues Baltica“ eine Empfehlung
wert für alle Blues und Jazzfans. Für
mich ist dieses Album um Längen
besser und spannender als sein 2014
veröffentlichtes letztes Studioalbum!
Raimund Nitzsche
Omar & The Howlers – The
Kitchen Sink
Mit seinem neuen Album setzt Omar
mit seinen Howlers vier Freunden
und Kollegen ein Denkmal, die
2014 gestorben sind. Und so finden sich auf dem Album nicht nur
sieben neue Stück des Texaners sondern auch fünf Nummern, die er für
zu gut und wichtig hält, um sie im
Archiv verstauben zu lassen.
Bei „Omar“ Kent Dykes weiß man
immer nicht, ob er sich mehr als
Bluesman sieht oder als CountryTroubadour. Auf der ersten Hälfte
von Kitchen Sink ist er darum
beides: Der von der Leine gelassene Bluesrocker in „That Ain‘t
It“, der klagende Slowblueser in
„Fire And Gasoline“ und eben der
Countrysänger zwischen CountryGospel („The Battle Rages On“)
und Western Swing („I‘ll Keep On
Dreaming“) oder Truckerromantik
(„Dixie‘s All Night“). Dykes ist ein
toller Songwriter, der hier seine alltäglichen Geschichten erzählt. Und
da muss eben immer die gerade passende Musik dazu gefunden werden.
Die Tribute an Efrain Ramos
(Präsident seines Fanclubs). DJ Larry
Monroe, den Howlers Schlagzeuger
Gene Brandon und Jack Primich,
den Vater des schon 2007 verstorbenen Harpspielers Gary
Primich) startet musikalisch als
Kreuzung zwischen Little Richard
und den Fabulous Thunderbirds:
„Cutie Named Judy“ ist wilder
rauher Rock & Roll mit rotzigem Baritonsaxophon. Und Dykes
schreit wie Captain Beefheart. Auch
„Who Do You Love“ oder das selbst
geschriebene „Hello Operator“ sind
wilde und ausgelassen rockende
Nummern, mit denen man die
Meute auf die Tanzfläche jagt. Und
vielleicht ist das die passende Art
und Weise, wie man sich würdig von
alten Freunden verabschiedet. Und
danach kommt mit „Climb Aboard“
noch die passende Gospelnummer
zum Abschied. Dykes verneigt sich
hier mehr als ein wenig vor dem großen Johnny Cash.
Insgesamt ein buntes vielseitiges
und hörenswertes Album für Blues
& Country-Fans gleichermaßen.
Nathan Nörgel
47
The Ragpicker String Band –
The Ragpicker String Band
Man nehme drei preisgekrönte
Musiker und ein Programm aus den
Klassikern des Vorkriegsblues und
ein paar neue Nummern, lasse die
drei nicht nur instrumental glänzen
sondern auch noch mit umwerfendem Harmoniegesang. Fertig ist die
Ragpicker String Band und ihr tolles selbstbetiteltes Debüt.
Rich DelGrosso zählt mit seiner Mandoline ebenso wie
Gitarristin Mary Flower und
Multiinstrumentalist Martin
Grosswendt zu den bekannten Namen in der akustischen
Bluesszene. Zusammen haben die
drei schon neun Nominierungen
für die Blues Music Awards erhalten. Als Trio in der klassischen Stringbandbesetzung mit
Mandoline, Gitarre und Fiddle
können sie eine Stimmung verbreiten, die einen sofort und ohne
Umwege in die zwanziger Jahre zurückversetzt. Dort fühlt man sich
so lange wohlig und sicher, bis
man dann plötzlich realisiert, wie
die alten Songs plötzlich nach der
Gegenwart klingen: Man kann klassischen Blues der Vergangenheit
Wasser-Prawda | Oktober 2015
48
P L AT T E N
auch mit modernen Themen anfüttern. Umwerfend gut etwa ist der
„Google Blues“. Aber auch Lieder
über Handrücher in Motels und
ähnliche Themen passen gut zwischen Songs der Mississippi Sheiks
oder Blind Boy Fuller.
Ein tolles Album für aller Fans des
akustischen Blues!
Raimund Nitzsche
The Reverend Shawn Amos
– The Reverend Shawn Amos
Loves You
Seine Musik nennt er säkularen
Gospel. Auf seinem neuen Album
macht der Songwriter, Sänger und
Harpspieler namens The Reverend
Shawn Amos klar, was das bedeutet:
Soulblues voller Leidenschaft und
Energie, der nicht nur ein wenig an
die großen Zeiten der Soulmusik in
den 60ern erinnert, teilweise klassischer Chicagoblues und mehr
aber immer vorgetragen von einem
Sänger, der in jeder Sekunde echt
und glaubwürdig ist.
Geboren wurde er als Sohn eines
Schoko-Cookie Magnaten und einer
Nachtclubsängerin in New York.
Aufgewachsen ist er am Sunset Strip
in Hollywood. Und noch bevor er
zum Bluesprediger wurde, arbeitete
Amos schon in der Musikindustrie
und produzierte die verschiedensten Projekte selbst für Quincy Jones.
Selbst Musik zu machen wurde für
ihn allerdings erst wichtig, nachdem seine viele Jahre lang psychisch
kranke Mutter 2003 Selbstmord
begangen hatte. Seit 2005 hat er
insgesamt fünf Alben veröffentlicht. Spätestens seit der EP „The
Reverend Shawn Amos Tells It“ konzentriert er sich ganz auf den Blues,
den er schon als Student entdeckt
hat. Allerdings sind es heute nicht
nur die Klassiker des Chicagoblues
wie Howlin Wolf, Junior Wells oder
Muddy Waters, die er heute predigt.
Auf „Loves You“ schreit zwar auch
eine Bluesharp ganz traditionell
(wie etwa in „You Gonna Miss Me
(When I Get Home)“. Häufig hört
man auch den Sound von MemphisSoul zu Stax-Zeiten, selbst Anklänge
an Worksongs und andere Zutaten
der weiten Bluesgeschichte sind zu
erkennen, wenn der Reverend seine
Botschaft von der Liebe verkündet.
Das ist keine christliche Liebe, die
er predigt, manchmal könnte man
meinen, er wäre gar ein Jünger des
Satans. Doch da spricht eher der
enttäuschte Liebhaber, der vor Wut
auf Rache sinnt, anstatt brav zu
vergeben. Das sind Bluessongs, die
man so gut nicht jeden Tag zu hören
bekommt. Und Amos ist ein Sänger,
dem man die ganze Bandbreite der
hier gepredigten Emotionen auch
sofort abnimmt. Dieses Album
sollte man sich als Bluesfan unbedingt aufmerksam hören. Sehr empfehlenswert! (Put Together/Kobalt).
Nathan Nörgel
Wasser-Prawda | Oktober 2015
Shemekia Copeland –
Outskirts of Love
Blues mit sozialem Gewissen –
schon seit Jahren ist Shemekia
Copeland eine Sängerin und
Songwriterin, die nicht nur den
Blues immer mehr in Richtung
Americana öffnet, sondern vor allem
auch Songs wählt, die Kommentare
zum Status der Gesellschaft abgeben. Nach „Never Going Back“ und
„33 1/3“ ist „Outskirts of Love“
das dritte Album dieser künstlerischen Neubesinnung. Begleitet
wird sie dabei unter anderem von
Billy Gibbons (ZZ Top), Alvin
Youngblood Hart, Will Kimbrough
und Robert Randolph.
Los geht‘s gleich mit gehöriger
Rockpower: Der Titelsong über
Lieblosigkeit und Kälte, geschrieben von ihrem Proudzenten John
Hahn mit Gitarrist Oliver Woods,
mit dem sie schon seit Jahren immer
wieder zusammenarbeitet und
der genau die richtigen Töne für
ihre kraftvolle Stimme findet. Im
Duett „Cardboard Box“ singt sie
mit Alvin Youngblood Hart über
Obdachlosigkeit, Bei „Crossbone
Beach“ (mit einem tollen Solo von
Robert Randolph auf seiner Pedal
Steele) singt sie von den Folgen se-
P L AT T E N
xuellen Missbrauchs. Und auch
die Coverversionen zählen zu den
Songs, die ein Licht auf diese Welt
werfen, ob es sich um das von ihrem
Vater geschriebene „Devil‘s Hand“,
ZZ Tops „Jesus Just Left Chicago“
oder „The Battle Is Over (But The
War Goes On)“ von Sonny Terry &
Brownie McGhee handelt.
Musikalisch wird hier die ganze
Bandbreite vom Texas Blues mit
Afrobeat-Anleihen bis zum Gospel
und Country Soul abgedeckt. Und
das macht „Outskirts of Love“ zu
einem absolut spannenden und hörenswerten Album einer großartigen Sängerin. (Alligator/in-akustik)
Raimund Nitzsche
Southside Johnny & The
Ashbury Jukes – Soul me!
Wo Bruce Springsteen in aller Welt
zum „Boss“ wurde, blieb Southside
Johnny mit seinen Ashbury Jukes
immer ein geliebter Geheimtipp.
Niemals hat er sich in den fund 40
Jahren zu Kompromissen bereit gefunden. Und so wird auch das tolle
aktuelle Album „Soultime!“ ihn jetzt
nicht zum Superstar machen, auch
wenn er das eigentlich längst verdient hätte.
Mittlerweile ist Southside Johnny
nicht mehr von Plattenlabels abhängig. Und so sagt er auch schon
mal auf die Frage: Wann kommt das
neue Album? Dann, wenn es fertig
ist. Bei Soultime dauerte das ein
paar Jahre, was doch der Vorgänger
schon 2010 veröffentlicht worden.
Aber für eine solch fette Soulrevue
muss man sich gehörig Zeit nehmen, um die passenden Songs zu
finden.
Los geht es mit „Spinning“ und gehörigem Stax-Feeling und fetten
Bläsern. Ein ähnlicher Kracher ist
„Looking For A Good Time“, nur
dass hier ein wenig mehr Anklänge
an Blaxploitationsoundtracks aufkommen können. Bei „Walking
On a Thin Line“ kommen düstere
Latinbeats hinzu, bei „I‘m Not That
Lonely“ werden die Fans frühen
der Motown-Bands bedientt und
„Reality“ ist dann eher psychedelischer Soul/Funk der späteren 60er
Jahre. Insgesamt haben Southside
Johnny und seine Ashbury Jukes
damit ein Soulalbum für Fans der
Klassiker und der Gegenwart ebenso
aufgenommen. Ein prima Album
für die nächsten Soulparties!
Nathan Nörgel
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Stefan Saffer – Singers &
Players
Mit „This Is Not A Dark Ride“
hatte der Leipziger Songwriter
Stefan Saffer ein düsteres und
kraftvolles Rockalbum vorgelegt.
Wer dazu jetzt eine Fortsetzung
erwarten sollte, dürfte sich ganz
schön die Ohren reiben: „Singers
& Players“ ist ein Songzyklus, der
vom Bluegrass zum Country, vom
Rock & Roll bis zu typisch amerikanischem Rocksongs das ganze Feld
des Americana abdeckt.
Eigentlich habe er nach der letzten
Scheibe gar nicht so schnell wieder
ein neues Album veröffentlichen
wollen, schreibt Saffer auf Facebook.
Doch dann kam er in eine Phase
musikalischer und sonstiger Zweifel.
Und das war dann der Punkt, an
dem der Songwriter Ideen zu neuen
Songs bekam. Letztlich haber er den
größten Teil der Stücke in rund
sechs Wochen zu Papier gebracht.
Eingespielt wurde das neue Album
gemeinsam mit Alex Wurlitzer
(Produzent und an diversen
Gitarren) nicht nur in Sachsen
sondern auch den USA. Denn als
Gäste hat er unter anderem Lisa
Lowell (Backgroundsängerin beispielsweise bei Springsteen), den
Wasser-Prawda | Oktober 2015
50
P L AT T E N
Bluegrass-Fiddler und Banjospieler
Aaron Jonah Lewis und andere gewinnen können.
Und so nimmt einen „Singers &
Players“ mit auf eine musikalische
Reise vom Bluegrass über Rockabilly
(„Better Than A Broken Heart“),
Soul („Angel from the Jersey Shore“)
bis hin zu Songs, die ein wenig an
den ganz frühen Springsteen erinnern. Aber keine Angst: Das
hier sind Saffer-Songs mit ihrer
Melancholie, Düsternis - aber auch
mit ihrer Kraft und Hoffnung in
der Dunkelheit. Und damit ist klar:
Dieses Album sollte man sich unbedingt anhören! (Timezone)
Nathan Nörgel
Devil“, „Walk In Chinese Footsteps“
oder „Jenny (Traces In My Arms)“
klingen mal nach dem Voodoorock
des ganz jungen Dr. John, mal nach
einer Soulparty der „Rocky Horror
Picture Show“. Das meint: zur
bluesrockenden Gitarre kommen
fette Bläser, Backgroundchöre und
diverse altertümliche Synthesizer
aus den Anfangstagen von Disco.
Gedämpfte Trompeten weigern sich,
nach Fahrstuhljazz zu klingen sondern schreien die Klage des Sängers
blechern heraus. Funkrhythmen
laden wahlweise zum Tanz auf dem
Vulkan oder zur Parade in Richtung
Friedhof ein. Selbst ein fröhlicher
Rhythmus wird spätestens dann
bedrohlich, wenn der Gesang einsetzt. Sängerin Karena K spendet
den nötigen Trost. Und alle paar
Takte fragt man sich: Wer ist dieser Sänger eigentlich? Ist er ein zurück gekehrter Captain Beefheart,
der es doch mal mit hitparadenverdächtigen Nummern versuchen
will? Ist er ein Wahnsinniger, vergeblich versucht, der Zwangsjacke
zu entfliehen? Oder ist es einfach
so, dass Wily Bo Walker einer der
verrücktesten und talentiertesten
Songwriter ist, den die gesamte briWily Bo Walker – Moon Over
tische Musikszene zur Zeit zu bieIndigo
Blues, Funk, Rock & Soul von der ten hat? Ich tendiere hier zu letzdunklen Seite: Wily Bo Walkers terem und empfehle „Moon Over
drittes Album im Jahre 2015 ist Indigo“ als die passende Partymusik
eine Tour durch Nächte, Friedhöfe, für die nächste Helloweenparty.
Trauer und Party am Ende der Welt. Und ebenso für den Morgen (und
Wo der Vorgänger „Stone Cold den Kater) danach. Einfach herrBeautiful“ noch eine Angelegenheit lich durchgeknallt und fabelhaft!
für Sologitarre war, ist Wily Bo Und für einen Song wie „When The
Walker jetzt in einem ganz ande- Angels Call Your Time“ muss man
ren musikalischen Kosmos gelan- diesen Mann einfach mit Preisen
det. Songs wie „Walking With The überschütten! Hape Kerkeling: Hast
Wasser-Prawda | Oktober 2015
Du noch paar Bambis übrig?
Raimund Nitzsche
Zac Harmon – Right Man Right
Now
Blues mit der Aktualität von
Schlagzeilen im einen Moment und
kraftvoller Partyblues im nächsten bei Zac Harmon kann man beides
erwarten, nicht erst seit er 2004 den
Titel als „Best Unsigned Band“ bei
der International Blues Challenge
gewann.
Er stammt aus Jackson, Mississippi,
wo ein Nachbar Musiker wie Duke
Ellington, Harry Belafonte oder
Cab Calloway zu seinen Gästen
zählte und ein anderer nicht nur mit
Alan Lomax gearbeitet hatte und
Gründer des Center for the Study of
Southern Culture an der University
of Mississippi war. Nein, er nahm in
seinem Haus auch Bluesmusiker wie
Skip James auf Band auf.
Dass Harmon da schon als Teenager
Blues spielte, nimmt nicht Wunder.
Schon bald spielte er für zahlreiche namhafte Musiker auf der
Durchreise die Gitarre. Dann allerding zog er mit 21 Jahren nach
Los Angeles, um „wirklich“ im
Musikgeschäft zu arbeiten. Das
war in den frühen 80er Jahren.
P L AT T E N
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Nach Jobs als Studiomusiker begann er eine Karriere als Produzent
und Songschreiber. Irgendwann
heuerte ihn sogar Michael Jackson
als Songschreiber für seinen
Musikverlag an. Als Produzent erhielt er für seine Mitarbeit am
Album „Mystical Truth“ der
Reggae Band Black Uhuru gar eine
Grammy-Nominierung. Zum Blues
kehrte er allerdings erst 2003 zurück
mit seinem Album „Live at Babe
& Ricky‘s Inn“. Dann folgte der
Trip zur IBC nach Memphis und
die Karriere als Bluesmusiker begann richtig. Man feierte ihn in der
Presse als „future of the Blues“, als
„latter-day Eric Clapton or Robert
Cray with Shades of Luther Allison
and BB King.“ Und natürlich spielte
er seither überall zwischen Memphis
und Bombay.
Für „Right Man Right Now“ hat er
sich unter anderem Lucky Peterson,
Anson Funderburgh, Bobby Rush
und Mike Finnegan als Gäste geladen. Herausgekommen ist ein
vielleicht etwas zu routiniertes Bluesalbum: Man spürt in
jedem Moment, dass hier großartige Musiker am Werke sind. Aber
dann fragt man sich doch wieder:
Warum spielen die mit angezogener Handbremse? Es sind tolle
Songs - aber warum werden sie nur
so professionell und nicht leidenschaftlich präsentiert? Da ist die
Kollegenvergleich zu Robert Cray
nicht so fehl am Platz. Auch bei ihm
stört mich meist nur eines: diese absolute Professionalität, die keinen
Raum läst für wirklich mitreißende
Emotionen. Das ist schade!
Nathan Nörgel
Wasser-Prawda | Oktober 2015
52
P L AT T E N
WIEDERHÖREN
KLASSIKER, RARITÄTEN, WIEDERVERÖFFENTLICHUNGEN
immer sofort zu erkennen. Und
daran hat sich in der 60 jährigen
Karriere von Mac Rebenack niemals
wirklich etwas geändert. Damals in
den späten 60er Jahren waren es zuerst Kollegen wie die Stones, Van
Morrison oder Frank Zappa, die auf
ihn aufmerksam wurden.
Und daran waren Songs wie das
gespenstische „I Walk On Gilded
Splinters“, „Loop Garoo“ oder
„Mama Roux“ verantwortlich.
Oder natürlich der große Hit
„Right Place Wrong Time“. Die
hat aber wohl jeder Fan schon in
seiner Plattensammlung. Was diese
Zusammenstellung einzigartig
und empfehlenswert macht, sind
die unbekannteren Nummern und
B-Seiten. Hier spielt Dr. John etwa
ein Medley von Huey Smith-Songs
Dr. John – The Atco/Atlan c
oder macht mit seinem „Wang Dang
Singles
Doodle“ Howlin Wolf Konkurrenz:
Zwischen 1968 und 1974 wurde Wild, heftig und großartig wie auch
die Welt erstmals wirklich aufmerk- das ganze Album!
sam auf Dr. John, diesen einzigarNathan nörgel
tigen Musiker aus New Orleans.
Die in dieser Zeit in den USA und
dem Vereinigten Königreich erschienenen Singles hat Omnivore
Records jetzt auf einem Album
zusammengefasst.
Ob Rock & Roll, klassischer
Rhythm & Blues oder psychedelischer Voodoo-Funk: Songs von
Dr. John sind bei aller Vielseitigkeit
Company dürfte die Anschaffung
des Albums nicht wirklich lohnend
sein. Außer, sie wollen unbedingt
die bislang unbekannten Versionen
von „Easy On My Soul“ und „See
The Sunlight“ auch noch in der
Sammlung haben.
Raimund Nitzsche
Bad Company – Rock n roll
Fantasy. The Very Best of Bad
Company
Als im Frühjahr die ersten beiden
Alben von Bad Company wiederveröffentlicht wurde, lag es nahe,
dem Projekt noch ein Greatest Hits
Album nachzuschicken. „Rock N
roll Fantasy“ vereint 19 Klassiker
aus den ersten zehn Jahren der Band
um Sänger Paul Rodgers. Mit dabei
sind auch zwei bislang unveröffentlichte Versionen.
„Can‘t Get Enogh“, „Bad
Company“, … die Klassiker sind
hier alle zu finden. Diese Stücke
sind zeitlos und altern scheinbar
nicht. Und wo immer mehr jüngere
Bands ihre Anregungen eben aus
dem Classic Rock der 70er Jahre beziehen, ist das hier ein Album, mit
dem man der Jugend eine der prägendsten Rockbands der 70er nahe
bringen kann. Für Fans der Bad
Wasser-Prawda | Oktober 2015
P L AT T E N
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von Tramp Records eigentlich
Pflichtkäufe sein. Und wer als DJ
die Leute wirklich mit den echten Grooves versorgen will, der hat
auch Feeling Nice hoffentlich schon
auf der Wunschliste. Unbedingt anhören und abtanzen! Das befielt der
Nörgler von der Wasser-Prawda.
Nathan Nörgel
Steve „Big Man“ Clayton –
Best of 1999-2007
Various – Feeling Nice 3: A
Collec on of Superrare and
In Großbritannien zählt er seit Superheavy Funk 45s from
Jahren zu den beliebtesten Boogie- the lat 1960s & Early 1970s
und Bluespianisten und hat schon
mehrfach den British Blues Award
gewonnen. Seit 1998 lebt er in
Deutschland. Und hier veröffentlicht Steve Big Man Clayton die
meisten seiner Alben beim Label
Stormy Monday Records. Aus den
dort erschienenen Scheiben hat
Clayton selbst die Auswahl für seine
aktuelle „Best of“ getroffen.
Wenn Steve „Big Man“ Clayton
an den Tasten sitzt, dann sind da
nicht nur klassische Boogiesounds
zu hören sondern auch Pianoblues
mit einem Geschichtenerzähler an
den Tasten oder swingenden und
groovenden Rhythm & Blues. Man
kann an den 16 Stücken des Albums
die Vielseitigkeit Claytons und
seine musikalische Entwicklung
seit seiner Übersiedlung nach
Deutschland nachvollziehen. Und
das ist gleichzeitig auch eine gute
Gelegenheit, diesen tollen Pianisten
erstmals oder wieder zu entdecken.
(Stormy Monday Records)
Raimund Nitzsche
Letztens erwähnte ich im Gespräch
mit einem Musiker die Alben von
Tramp Records: Ja, er kenne diese
Sampler meinte der Italiener, der
mittlerweile in Berlin lebt. Doch
er war völlig verblüfft, dass es sich
um ein deutsches Label handelt. So
cool wie diese Zusammenstellungen
seien, hätte er vermutet, dass die
Plattenfirma irgendwo in New York
oder anderswo in den USA sitzen
müsse.
Auch der dritte Teil der Reihe
„Feeling Nice“ passt wieder genau
ins Raster: Funk von irgendwelchen Kleinslabels irgendwo in den
Vereinigten Staaten (und diesmal
sogar ein Titel von Jamaica), hart,
dreckig und auf den Punkt gespielt.
Oft ist das die reine Funklehre in
der Nachfolge von James Brown.
Aber man hört bei einigen Titeln
auch schon das Aufkommen von
Disco, manchmal rollt der Boogie,
ab und zu sind jazzige Ausflüge zu
erkennen.
Wer auf Soul und Funk steht, für
den sollten die Veröffentlichungen
Wasser-Prawda | Oktober 2015
54
P L AT T E N
MEILE NS T E IN E : W I L L I E
D IXO N – I A M TH E B L U E S
BEST BLUES ALBUMS EVER. VON MATTHIAS SCHNEIDER
Bob Hite ha e bis
zu seinem Tod jedes
Konzert mit den Worten
„And don’t forget to
boogie!“ beendet.
Daran anlehnend
sage ich: And don’t
forget Willie Dixon!
Deswegen appeliere
ich an alle, beschä igt
euch einmal mit diesem
Bluesgiganten. Eine
CD von Willie Dixon
lohnt sich immer. n
Bluegrössen. Eine
CD von Willie Dixon
lohnt sich immer.
1970 erschien „I Am The Blues“
von Willie Dixon auf Columbia
Records. Bei jedem anderen könnte
solch ein Albumtitel unbescheiden klingen. Doch für Dixon ist er
nicht übertrieben. Schließlich gehört er zu den Musikern, die den
Chicagoblues formten. Besonders in
seinen Jahren bei Chess Records war
er der wichtigste Songschreiber und
Produzent in der Stadt. Einige der
klassischen Titel des Chicagoblues
stammen aus seiner Feder – auch
wenn andere Künstler sie weltweit bekannt machten mit ihren
Aufnahmen. Auf diesem Album
nahm sich Dixon neun seiner Songs
aus den 50er und 60er Jahren und
spielte sie mit einer Studioband
aus den bedeutendsten Musikern
Chicagos neu auf. So hören wir hier
Harpspieler Big Walter Horton,
Wasser-Prawda | Oktober 2015
die Pianisten Sunnyland Slim und
Lafayette Leake (die beide auch zur
Band von Muddy Waters gehörten).
Johnny Shines spielte die Gitarre
und am Schlagzeug saß Clifton
James, während Dixon neben dem
Gesang auch noch seinen prägnanten Kontrabass spielte.
P L AT T E N
55
Nach Beginn des digitalen Zeitalters
wurde „I Am The Blues“ in verschiedenen Ausgaben neu auf den
Markt gebracht. 2008 erschien die
digital bearbeitete Version innerhalb der Roots n Blues Serie bei
Legacy Records, die wohl bislang
lohnendste CD-Version dieses späten Klassikers des Chicagoblues.
Titelliste
1. „Back Door Man“ – 6:08
2. „I Can‘t Quit You, Baby“ – 6:40
3. „The Seventh Son“ – 4:15
4. „Spoonful“ – 4:56
5. „I Ain‘t Superstitious“ – 4:03
6. „You Shook Me“ (Dixon, J. B.
Lenoir) – 4:15
7. „(I‘m Your) Hoochie Coochie
Man“ – 4:48
8. „The Little Red Rooster“ – 3:36
9. „The Same Thing“ – 4:40
Drei Lieder von Willie Dixion
Line up:
•
Willie Dixon – vocals, bass
•
Walter Horton – harmonica
•
Lafayette Leake - piano
•
Sunnyland Slim – piano
•
Johnny Shines – guitar
•
Clifton James – drums
•
Abner Spector – producer
In den 60ern wurden viele seiner besten Songs von britischen und amerikanischen Bands interpretiert. Cream („Spoonful“), Led Zeppelin („I
Can’t Quit You Baby“ und “You Shook Me”) und die Doors (“Back Door
Man”) waren nur einige Rockgruppen, die Willie Dixons Kompositionen
aufnahmen. Aber ennt ihr auch die Originale?
Spoonful wurde zuerst 1960 von Howlin Wolf aufgenomen. Durch zahllose andere Coverversionen anderer Bluesmusiker wurde die Nummer
zu einem Standard.
Auch Dixons Back Door Man wurde zuerst 1960 von Howlin Wolf aufgenommen. Er erschien zunächst als B-Seite seiner Single „Wang Dang
Doodle“ bei Chess Records. Dort hatte Dixon zeitweise fast den Status
als wichtigster Songschreiber des Labels. Zu finden sind die Lieder auch
auf dem Album „Howlin Wolf“, welches eigentlich eine Sammlung von
sechs Chess-Singles von Howlin Wolf aus den Jahren 1960-1962 ist.
I Can‘t Quit You Baby ist ein Dixon-Stück, das zuerst 1956 von Otis
Rush aufgenommen wurde. Später haben sich auch Led Zeppelin auf
ihrem Debüt dieses Songs angenommen.
Wasser-Prawda | Oktober 2015
56
F E U I L LTO N
LITER AT UR -A B C: F
WIE FIKT I ON
VON KRISTIN GORA
Ab und an kommen Bücher auf den
Markt, die einem ganz besondere
Fragen stellen. Bei Moritz von Uslars
Deutschboden stellten sich viele
die Frage, ob das jetzt Literatur sei
oder nur eine Reportage zwischen
Buchdeckeln. Schildert er uns hier die
Realität der Kleinstadt Zedenick oder
eine reine Fik on? Ist das jetzt etwas
Faktuales oder Fik onales? Diese vielen
F-Wörter wollen wir heute mal etwas
genauer unter die Lupe nehmen.
Ein anderes Beispiel:
Das Wetter vor 15 Jahren von Wolf Haas ist ein Buch,
indem wir einem Gespräch zwischen einem Autor und
einer Literaturredakteurin über den letzten Roman des
Autors folgen, welchen sie dann auch zitieren und ausführlich besprechen. Die Lektüre dieses Werkes von
Wolf Haas soll angeblich zahlreiche LeserInnen dazu
bewogen haben, beim Verlag anzurufen und zu fragen,
wann denn nun dieses Buch erscheinen würde, über
das sie dort stundenlang diskutieren. Wolf Haas hat
nämlich, um die Verwirrung und Vermischung von
Fiktion und Wahrheit perfekt zu machen, den diskutierenden Autoren auch noch nach sich selbst benannt.
Dieser Roman, über den sie dort sprechen, ist jedoch rein
Wasser-Prawda | September 2015
fiktiv! Er existiert ausschließlich in der Welt des Buches
Das Wetter vor 15 Jahren. Um zu unsren F-Wörtern
zurückzukommen: Er hat keine eigene Realität in der
Buchhandlung unseren Vertrauens und kann damit
auch nicht fiktional sein. Fiktionalitität und Faktualität
können ausschließlich Eigenschaften eines erzählenden
Textes sein. Eines Romanes oder Dramas. Fiktion und
Realität dienen der Beschreibung der erzählten Welt.
Die Fiktion ist also – knapp zusammengefasst – die
Darstellung einer ausschließlich im literarischen Text
existenten Wirklichkeit. Ein Text wiederum ist dann
fiktional, wenn die in ihm beschriebene Welt fiktiv ist.
Ist diese erzählte Welt nicht fiktiv sondern der Realität
entnommen – wie z. B. in den Reportagen eines Moritz
von Uslars – handelt es sich um einen faktualen Text.
Wenn also nun jemand sagen sollte, dass er ein Buch
geschrieben hat, das rein fiktiv ist, sollten wir hellhörig werden. Dann existiert es wohl nur in seinem Kopf!
Fiktive Bücher wären z. B. die Schulbücher Harry
Potters oder eben der Roman Das Wetter vor 15 Jahren
im Buch von Wolf Haas. Das Buch unseres Gegenübers
ist wahrscheinlich doch eher fiktional.
Der freiraum-verlag sucht einen Einband!
Im Frühjahr 2016 veröffentlichen wir einen Roman, welcher
die gegenseitige Entfremdung eines Mannes und seiner Frau,
ihre unerfüllten Erwartungen aneinander und an das Leben
präzise seziert. Die Tragödie eines politisch motivierten
Mordes zwingt sie dazu, sich ihren Lebenslügen zu stellen
und sich letztlich für ihre neue Heimat in Ostdeutschland
zu entscheiden.
Wir suchen für diese Veröffentlichung bis zum 06.11.2015
Einband-Entwürfe von Grafikern, Designern, Künstlern
oder Fotografen. Wer Interesse hat, bekommt per Mail
([email protected]) ausführlichere Informationen
zum Buch, die genauen Teilnahmebedingungen und die
Konditionen mitgeteilt.
Kondi onen
•
•
•
•
Einband-Entwurf: Vorder- und Rückseite mit je
14,8 x 21,0 cm (+ 3 mm Beschnitt)
Einsendeschluss: 06.11.2015
Im Falle einer Nutzung des Entwurfs: 5 % (nach Abzug der Kosten) je verkauften Exemplars; stückzahlunbegrenzt; ausreichende Nennung im Impressum
der Veröffentlichung, auf der Homepage usw.
Möglichkeit der Nutzung des Entwurfs für jede
Auflage und für Werbezwecke
58
SPRACHRAUM
DIE P R IVAT D O Z E N TI N
VON BRYGIDA HELBIG. VORABDRUCK AUS: OSSIS UND ANDERE
LEUTE. AUS DEM POLNISCHEN VON PAULINA SCHULZ UNTER
MITARBEIT VON BRYGIDA HELBIG, FREIRAUM-VERLAG GREIFSWALD,
2015.
Ob die anderen auch ständig hetzen und hetzen, ihrem
eigenen Schwanz nachjagen, sich selbst Stück für Stück
auffressen? Wie viele Ratgeber habe ich schon verschlungen, wie viel Weisheit aufgesogen – darüber, wie
eine Frau die Königin ihres Lebens werden und tänzerisch der Stimme ihrer Berufung folgen könne, dass
man sich selbst lieben sollte, dann sei es egal, wen man
heirate, dass man sich nicht sorgen, sondern einfach
leben müsse. Wie viel habe ich darüber gelesen, wie
man nach den Lehren des Buddhismus den NikotinDämon mit einem Dolchstoß töten könne, dass die
warme chinesische Küche mit Ingwer und Kardamom
die bekömmlichste Nahrung sei, und darüber, wie glücklich doch eine polnische Schriftstellerin sei, die jeden Tag
die Fünf Tibeter praktiziere und eine Liebesbeziehung
mit dem Indischen Ozean unterhielte. Oder darüber,
wie erfüllt es einen mache, um fünf Uhr früh aufzustehen und den Tag mit einem Dankesgebet zu beginnen.
Beenden sollte man ihn wiederum mit dem Einreiben
mit Aprikosenkernöl und einer Affirmation an unser
Höheres Selbst.
Und wie sieht die Realität aus? Nicht nur, dass ich
es nicht schaffe, vor meinem Kind aufzustehen, um
Dankesgebete gen Himmel zu richten – nein, mein Kind
muss mich jeden Morgen aus dem Bett zerren und zu
unchristlicher Stunde mit bohrenden Fragen wachrütteln: „Mama, was ist eine Ellipse? Mama, was ist ein
Paradoxon? Ich muss es wissen, weil es heute abgefragt
wird! Gib mir doch ein Beispiel dafür, bitte nicht so
abstrakt, so bringt mir das nämlich nichts!“ Als ob ich
auf Arbeit nicht genug von solchen Fragen hätte. Wie,
auf Arbeit?
Ich bin doch arbeitslos. Was machst du eigentlich den
ganzen Tag? Die Welt da draußen hat sich fest vorgenommen, mich tagtäglich mit dieser Frage in den Wahnsinn
Wasser-Prawda | Oktober 2015
zu treiben. Meine lieben Tanten, Onkel, Omas, Opas,
Schwägerinnen und Schwager mit Kind und Kegel:
Ich verkünde hiermit öffentlich, dass ich mitnichten
arbeitslos sei – Arbeit habe ich genug, nur dass ich für
diese nicht entlohnt werde. Das ist ein gravierender
Unterschied! Ich bin nicht arbeitslos, sondern brotlos.
Das nennt sich in der Bundesrepublik Deutschland dann
Privatdozent. Eine Erfindung deutscher Universitäten.
Ich muss mich erklären. Tag für Tag. Ich muss berichtigen, dass ich nicht wirklich ein Faulpelz sei, und erkläre,
was ich den ganzen Tag so mache. Das ist auch harte
Arbeit. Was ich außerdem noch tue? Ich schreibe und
lektoriere, ich übersetze und korrigiere, lese und examiniere – und all das für nichts und wieder nichts.
Außerdem denke ich darüber nach, ob ich meine
Tochter gegen Gebärmutterhalskrebs impfen lassen soll,
weil die Meinungen geteilt und die Konsequenzen vielleicht schwerwiegend, jedoch unbekannt sind. Ich fahre
meine Mutter zum Arzt und schaue mit meiner Tochter
Desperate Housewives an, ich telefoniere Handwerkern
hinterher, weil die Heizung im Wohnzimmer nur dann
heizt, wenn man gleichzeitig auch die Heizung im
Zimmer meiner Tochter anwirft. Die Herren kommen:
Guten Tag, Frau Stopa-Müller, wo drückt denn der
Schuh? Sie fahren zufrieden wieder weg, ich mache
die Heizung an, und tatsächlich, die Abhängigkeit der
Heizkörper untereinander ist nicht mehr gegeben –
stattdessen powert die Heizung dermaßen, dass mir der
Schweiß ausbricht. Weil es so heiß ist und ich weiß, was
es mich kosten wird. Szlag trafi!
Die Deutschsprachigen amüsieren sich immer über alle
Maßen, wenn ich das so sage. Der Schlag soll euch treffen
auf Polnisch. Und ich sage es sehr oft: Wenn ich mit
der Faust auf den Laptop haue, der mir nicht gehorchen will, wenn ich mit meinem Daewoo aus Versehen
SPRACHRAUM
59
einen Mercedes sanft streife und gelbe Spuren auf seinem
Lack hinterlasse, um anschließend von dem einen oder
anderen privaten Ordnungshüter in die Ecke gedrängt
zu werden, die hierzulande besonders gut gedeihen. An
Gelegenheiten mangelt es nicht.
Danach klopfe ich auf Holz. Nein, der Schlag soll nicht
die Handwerker treffen! Mich soll er treffen. Bevor ich
die nächste Zahlungsaufforderung im Briefkasten finde,
die nächste Mahnung, die nächste Job-Absage wegen
überdurchschnittlicher Qualifizierung oder von besorgten Bekannten erneut gefragt werde, was ich denn den
ganzen Tag so treibe.
Was treibe ich, was treibe ich? Ich schreibe!
Berlin 2005
Über die Autorin
Die deutsch-polnische Schriftstellerin und
Literaturwissenschaftlerin Brygida Helbig wurde in
Stettin geboren, siedelte 1983 nach Deutschland über
und lebt zurzeit in Berlin. Nach einem Studium der
Slawistik und Germanistik an der Ruhr-Universität in
Bochum arbeitete sie einige Jahre an der HumboldtUniversität zu Berlin, bevor sie Professorin am
Deutsch-Polnischen Forschungsinstitut im Collegium
Polonicum in Słubice wurde.
Von ihr sind zahlreiche Romane, Erzähl- und
Lyrikbände sowie dramatische Werke erschienen. Ihr
satirischer Prosaband „Enerdowce i inne ludzie“ („Ossis
und andere Leute“, 2011) wurde für den wichtigsten polnischen Literaturpreis NIKE und für GRYFIA
nominiert, ihr Roman „Niebko“ („Himmelchen“,
2013) kam ins Finale des NIKE-Preises.
Brygida Helbig: Ossis und andere Leute
[Neue Polnische Literatur, Band 1]
Aus dem Polnischen von Paulina Schulz unter
Mitarbeit von Brygida Helbig
Voraussichtliches Erscheinungsdatum: 12.11.2015
126 Seiten; Softcover; 12,5 x 19,0 cm
ISBN: 978-3-943672-71-8
14,95 EUR (D)
Wasser-Prawda | Oktober 2015
60
SPRACHRAUM
DER M A NN A M S E M A P H O R
EINE ERZÄHLUNG VON BRET HARTE
Auf der äußersten Spitze der sandigen Halbinsel,
welche an der Stelle liegt, wo die Bai von San Francisco
mit dem Stillen Ozean zusammenfl ießt, stand zur Zeit
der ersten Einwanderung nach Kalifornien ein optischer
Küstentelegraph. Er hob seine schwarzen Arme gen Himmel,
kehrte den Rücken dem Goldenen Thor und der ganzen
ungeheuern Wasserfläche zu, deren nächstes Ufer Japan ist,
und verkündete einem zweiten Semaphor, das weiter landeinwärts stand, durch gewisse kunstlose Zeichen, was für
Fahrzeuge ankamen. Von dort ging die Nachricht nach
dem Telegraphenhügel in San Francisco, wo die nämlichen
Signale auf einem dritten Semaphor sichtbar wurden, so
Wasser-Prawda | Oktober 2015
daß jeder Eingeweihte ›Schoner‹, ›Brigg‹, ›Segelschiff‹ oder
›Dampfboot‹ lesen konnte. Mit letzterem Zeichen waren
besonders alle Heimwehkranken in San Francisco wohl vertraut, und an gewissen Tagen im Monat wandten sich viele
Blicke sehnsüchtig nach den großen Armen hin. Wenn sie
weit ausgebreitet im rechten Winkel standen, so bedeutete
das: ›Raddampfer‹ und ›Briefe aus der Heimat‹; kein anderes
Dampfschiff beförderte die Post. Lauter Jubel begrüßte jedesmal die Freudenbotschaft, aber nur wenige gedachten dabei
des einsamen Wächters auf der Sanddüne, der sie abschickte;
man wußte ja kaum etwas von dem Vorhandensein jener
abgelegenen Telegraphenstation.
SPRACHRAUM
Sie lag in der trostlosesten Einöde, die man sich vorstellen kann. Kein Bewohner von San Francisco wanderte
je weiter hinaus, als bis zum Presidio, das sich mit seinen
stummen Kanonen und den leeren Schießscharten in einer
Bodensenkung verbarg, oder bis nach der Mission Dolores,
deren verfallene Mauern samt dem Glockenturm in eben
solcher Vertiefung lagen. Den berühmten Vergnügungsort
Cliff House gab es damals noch ebensowenig wie Fort
Point, und von Black Point aus sah man auf dem Ufer der
Ziegeninsel, ›Yerba Buena‹, oder in der Umgegend von San
Francisco selbst, nichts als glitzernde Sanddünen, über die der
Wind fegte, und hier und da einen Wassergraben, aus dem
nur die Kronen der schwarzen Zwergeichen hervorragten.
Sechs Monate lang sandte die Sommersonne hier ihre glühenden Strahlen aus dem wolkenlosen Himmel herab; sechs
Monate lang stürmten dann die Passatwinde vom Westen
wild einher; unablässig kamen die breiten Wogen des Stillen
Ozeans herangerollt, um sich mit einförmigem Geräusch am
Ufer zu brechen. Bei Tage war es fast unmöglich durch den
Treibsand zu waten und dem rasenden Winde zu trotzen; bei
Nacht hüllte der dichte Nebel, der sich um Sonnenuntergang
leise durch das Goldene Thor stahl, alles in undurchdringliche Schleier. Bis zum Morgen waren dann Meer und Land
eine pfadlose Wüste und nur die unsichtbare Brandung erhob
ihre Warnungsstimme mit Donnergetöse.
Die Telegraphenstation selbst, eine roh gezimmerte
Hütte mit zwei Fenstern – in dem einen war das Teleskop
angebracht – sah aus wie ein gestrandetes Wrack, das die
Flut ans Ufer gespült hat, oder wie ein Haufen Treibholz.
Meilenweit ragte kein Gegenstand über die wellenförmigen Dünen hinaus, außer dem Semaphor, das je nach dem
Wetter oder der Tageszeit eine mehr oder minder düstere
Form annahm. Bald glich es einem entblätterten Baum, bald
den Masten und Spieren eines auf den Strand gezogenen
Schiffs, bald einem verwitterten Galgen. Streckte es aber
die Arme im rechten Winkel aus und hob sich dabei von
einem goldigen Hintergrund ab, wenn die Sonne in der Bai
unterging, so hätte eine lebhafte Einbildungskraft es leicht
für das Erlöserkreuz halten können, welches der begeisterte
Missionar Portala vor hundert Jahren an jener heidnischen
Küste aufgerichtet hat.
In so hoffnungsvoller Gestalt war es aber dem einsamen
Stationswächter Richard Jarman schwerlich je erschienen.
Aus einer britischen Verbrecherkolonie entflohen, hatte
sich der Sträfling im Packraum eines australischen Schiffes
als blinder Passagier eingeschmuggelt und war ohne einen
Heller in der Tasche in San Francisco gelandet. Natürlich
vermied er jede Berührung mit seinen rechtschaffeneren
Landsleuten, die sich schon länger dort aufhielten, weil er
sich keinen Augenblick sicher wußte. Es war sein Glück,
61
daß die englischen Einwanderer ohne Ausnahme zu den
Goldsuchern gehörten, die nach Sacramento und den südlichen Minenbezirken zogen. Jarman war klug genug der
Versuchung zu widerstehen, ihnen dahin zu folgen; statt
dessen nahm er die Stelle eines Semaphor-Wächters an, die
erste, welche sich ihm bot. Kein Bewerber machte sie ihm
streitig, denn selbst der armseligste Einwanderer, den goldene
Träume umgaukelten, würde sie verschmäht haben, während
Jarman sich nichts Besseres hätte wünschen können.
Seine Vorgesetzten thaten weder verfängliche Fragen,
noch verlangten sie irgend welche Empfehlungen. Einen
Vertrauensposten konnte man es ja auch kaum nennen, es
war nichts da, was man hätte entwenden können, außer
dem Teleskop; Versuchungen oder schlechte Gesellschaft
gab es für den Mann dort in der Einsamkeit nicht, seine
Obliegenheiten waren rein mechanischer Natur und jede
Versäumnis, die er sich zu Schulden kommen ließ, müßte
sofort in San Francisco bemerkt werden. Außer Kost und
Wohnung versprach man ihm monatlich fünfundsiebzig
Dollars, eine lächerlich kleine Summe in jenen flotten Tagen,
die aber dem geängsteten und halbverhungerten Flüchtling
wie ein fürstlicher Gehalt vorkam.
Ueberdies winkte ihm endlich Ruhe und Sicherheit. Von
der quälenden Sorge und Furcht vor Entdeckung, die ihn
seit drei Monaten Tag und Nacht verfolgte, war er erlöst. Er
brauchte nicht mehr unausgesetzt zu wachen und auf der
Lauer zu sein; die Wächterhütte bot ihm eine Zuflucht, in der
er sich verkroch wie ein gehetztes Wild in seiner Höhle. Daß
ihn hier irgend jemand aufspüren würde, schien undenkbar;
er entging seinen Feinden und war zugleich der Schmach
überhoben, einem ihm befreundeten Menschen zu begegnen, bis er von Freund und Feind vergessen war. Von seinem
Beobachtungsposten in jener Einöde konnte er auf zwei bis
drei Meilen jeden Fremden sehen, der sich der Hütte näherte.
Und im schlimmsten Fall, wenn er doch verfolgt werden
sollte, so lag ja die pfadlose Sandwüste vor ihm und das
weite Meer.
Ungesehen und unbehelligt beobachtete er zuweilen mit
einer gewissen Befriedigung das Verdeck der vorbeifahrenden Schiffe. Sein Fernglas brachte ihn doch wieder mit der
Welt in Beziehung, die ihn ausgestoßen hatte. Ob unter den
Passagieren wohl jemand den einsamen Wächter kannte oder
von seinen Missethaten gehört hatte? so fragte er sich oft in
düsterm Sinnen. Es würde seine Stimmung nicht heiterer
gemacht haben, hätte er gewußt, daß die meisten Menschen,
deren Blicke mit so heißem Verlangen nach dem goldenen
Hafen ausschauten, nur an sich selber dachten. Nicht ohne
Neid betrachtete er die Gesichter auf den wenigen heimwärts
segelnden Schiffen, um darin zu lesen, ob sie ihr Glück gefunden hätten. Auch er dachte bisweilen – wenn auch nur selten
Wasser-Prawda | Oktober 2015
62
SPRACHRAUM
– an seine Heimat und sein früheres Leben. Es war keine glorreiche Vergangenheit. Seine verschwenderische, genußsüchtige Jugend hatte ihn zu Betrug und Fälschung geführt, und
so war er für immer aus seiner alten, ehrbaren Heimatstadt
verbannt. Daß die Seinigen glaubten und wünschten, daß
er tot wäre – das wußte er. Aber, obschon er ohne Freude an
seine Vergangenheit dachte, so quälte ihn doch auch die Reue
wenig. Wie die meisten Menschen seines Schlages schob er
die Schuld auf andere Leute, auf sein Mißgeschick, auf den
Zufall – sich selbst machte er niemals dafür verantwortlich.
Sein Unrecht war ihm nicht leid, er wollte nur ein andermal
klüger sein. Und lebendig sollten sie ihn nicht wieder fangen!
In völlig einförmiger Weise vergingen ihm zwei oder drei
Monate, in denen er wieder einigermaßen zu Kräften kam
und neuen Mut faßte. Sein Auge verlor den versteckten,
ruhelos lauernden Ausdruck; die kräftige Seeluft und die
glühende Sonne bräunten sein Gesicht und gaben ihm die
gesunde Farbe und das freimütige Aussehen eines Matrosen.
Die Gewohnheit den Horizont zu durchforschen hatte auch
sein Auge geschärft; mit Leichtigkeit unterschied er jetzt den
langsam an der Küste kreuzenden Schoner von dem weit ausgreifenden Kauffahrteischiff, das vom Kap Horn kam; auch
die schwache Dunstlinie, welche den Dampfer ankündigte,
entdeckte er bevor noch Masten und Schornsteine sichtbar
wurden.
Außer dem Schiffer, der ihm allwöchentlich seinen Vorrat
an Lebensmitteln im Kahn herüberbrachte und in der kleinen
nahgelegenen Bucht landete, sah er keine Menschenseele.
Sein abweisendes, verschlossenes Wesen hielt der Schiffer für
englischen Hochmut und kümmerte sich wenig um einen
Mann, der nicht einmal fragte, ob es etwas Neues gäbe und
an den er niemals Briefe abzugeben hatte. Zuerst brachten
die langen Nächte, wenn die Hütte im Nebel verschwand,
dem Flüchtling ein erhöhtes Gefühl der Sicherheit, allmählich lastete jedoch ihre furchtbare Einförmigkeit schwer auf
ihm und versetzte ihn in eine sonderbare Ruhelosigkeit,
die er durch Branntweingenuß zu bekämpfen suchte. Dies
Getränk, das ihm geliefert wurde, dämpfte seine erregten
Sinne, doch sorgte er dafür, daß es ihn niemals an der mechanischen Ausübung seiner Pflichten hinderte.
Fünf Monate war er nun schon auf dem Posten, und die
Hügel am jenseitigen Ufer bis nach Tamalpais hin, begannen
sich gelb und rot zu färben; da beobachtete er an einem klaren
Morgen die kleine Flotte der italienischen Fischerboote,
welche in der Bai kreuzten. Dies war stets ein höchst malerisches Schauspiel, das einzige vielleicht, welches etwas
Abwechslung in die sonst eintönige Aussicht brachte. Die
absonderlichen, mattroten oder gelben lateinischen Segel, die
sich grell von dem funkelnden Wasserspiegel abhoben, dazu
die Fischer mit ihren roten Kappen und Schärpen, fesselten
Wasser-Prawda | Oktober 2015
die Aufmerksamkeit unwillkürlich. Plötzlich änderte eine der
größeren Barken ihren Kurs und kam gerade auf die kleine
Bucht losgesteuert, wo Jarmans wöchentlicher Proviantkahn
zu landen pflegte. Sofort wurde Jarmans Argwohn rege, er
musterte das Fahrzeug aufs genauste durch sein Fernglas,
erkannte jedoch, daß sich außer den Bootsleuten nur noch ein
paar Frauen auf Deck befanden, die vermutlich zur Familie
des Fischers gehörten. Bald sah er die ganze Gesellschaft am
Ufer aussteigen und als er bemerkte, daß sie nur einen harmlosen und friedlichen Streifzug vorhatten, schlug er sich alle
Bedenken aus dem Sinn.
Die Fremden wanderten unter lebhaften Gebärden lachend
und scherzend durch den Ufersand; sie hatten Kochgeschirr
mitgebracht, zündeten ein Feuer an und bereiteten ihr einfaches Mahl. Offenbar war ihnen das Semaphor etwas Neues,
denn Jarman sah, daß es immer wieder ihre Aufmerksamkeit
erregte. Da er gerade die Ankunft eines Fahrzeugs signalisieren mußte, wagten sich die Kinder sogar mit halb ängstlicher Neugierde näher heran, um zu sehen, wie sich die
großen Arme bewegten, während die Erwachsenen von
ferne standen, als fürchteten sie, unbefugterweise den Grund
und Boden der Regierung zu betreten, über den die Polizei
sicherlich im geheimen wachte. Nach einigen Tagen entdeckte der Wächter mit Ueberraschung an der nämlichen
Uferstelle einen Haufen Bauholz, der wohl im Morgennebel
gelandet worden war. Tags darauf erhob sich dort ein altes
Zelt und die Fischer begannen daneben eine rohe Hütte zu
zimmern. Soviel Jarman wußte war jener Landstreifen öffentliches Eigentum und man würde die armen Ansiedler dort
aller Wahrscheinlichkeit nach eine Zeitlang ruhig gewähren
lassen. Der Gedanke beschäftigte ihn sehr. Die Leute waren
zwar Ausländer und über eine halbe Meile von ihm entfernt,
aber bei dem gesetzlosen Zustand der hier herrschte, konnte
ihr Beispiel leicht andere ermutigen sich gleichfalls in dieser
Gegend niederzulassen. Dem mußte Einhalt gethan werden.
Diesmal stand Richard Jarman ganz auf seiten von Gesetz
und Ordnung.
Als jedoch die armselige Hütte fertig war, überzeugte er
sich, daß sie dem Fischer und seiner Familie nur vorübergehend als Obdach dienen sollte; vermutlich fanden sie es
bequemer, dort ihre Vorräte unterzubringen und das Boot
segelfertig zu machen als auf der Werft von San Francisco.
Es war ein ganz malerischer Anblick, wenn sie ihre Netze
und Segel am Ufer ausbesserten, denn trotz der scharfen
Nordwestwinde verlockten die wolkenlosen, sonnigen Tage
die Italiener ihr heimatliches Leben im Freien hier wieder zu
beginnen. Sie schwelgten nicht nur im Sonnenschein sondern
verrichteten auch viele ihrer wirtschaftlichen Obliegenheiten
außerhalb des Hauses, sogar ihre Toilette wurde al fresco
vorgenommen. In die öde Gegend, die in ihrem Rücken
SPRACHRAUM
lag, weiter vorzudringen hatte offenbar keinen Reiz für
sie; aus halb amphibienartiger Gewohnheit blieben sie am
Uferrande. Jarman hatte in den ersten Tagen auf seinen
kurzen Spaziergängen eine andere Richtung eingeschlagen,
aber bald hielt er es für unnötig den Ort zu vermeiden, ja
er vergaß zuweilen völlig, daß die Leute in der Nähe waren.
Als er eines Morgens sein Frühstück eingenommen
hatte, begann sich der Nebel gerade zu teilen und er konnte
vom Fenster aus das ferne Meer glitzern sehen. Er wollte
Wasser aus dem Faß draußen holen, das einmal wöchentlich von Sancelito aus gefüllt werden mußte, da es in seiner
Nachbarschaft keine Quelle gab. Doch blieb er vor Schrecken
wie angewurzelt stehen, denn beim Oeffnen der Thür sah er
sich einem jungen Mädchen gegenüber, das mit halb ängstlichem Lachen vor ihm zurückprallte. Als sie jedoch seine
sichtliche Verwirrung bemerkte, faßte sie wieder Mut.
»Ich wollt‘ mir nur eben mal das Ding ansehen,« sagte sie
schüchtern und deutete nach dem Semaphor.
Sein Staunen wuchs, denn als er ihre Olivenfarbe und die
dunkeln Augen sah, hatte er geglaubt, sie würde italienisch
reden oder seine Sprache radebrechen; auch ihre Schönheit
machte ihm großen Eindruck, vielleicht weil er so lange mit
keinem weiblichen Wesen verkehrt hatte. Nach einer Weile
stammelte er zögernd:
»Wollt Ihr nicht eintreten?«
Sie wich noch einen Schritt zurück und machte eine
abwehrende Gebärde, nicht nur mit der Hand sondern auch
mit dem Kopf und der ganzen biegsamen Gestalt. Dann
erwiderte sie in echt amerikanischer Betonung:
»Nein, Herr!«
»Warum nicht?« fragte Jarman unwillkürlich.
Das Mädchen schob sich seitwärts gegen die Hütte und
in ihren Augen, die sie fest auf ihn heftete, lag ein gewisser
Ausdruck jugendlicher Schlauheit, als sie erwiderte:
»Das wißt Ihr doch!«
»Nein, wirklich nicht. Sagt mir den Grund.«
Da legte sie die Hände auf den Rücken und richtete sich
nicht ohne kindlichen Stolz empor:
»Solche Sorte Mädchen bin ich nicht,« sagte sie einfach.
Jarman stieg alles Blut ins Gesicht. Er hatte ein wüstes,
ausschweifendes Leben geführt und die Weiber wenig geachtet, aber – dies verletzte sein Ehrgefühl und empörte ihn
auch, weil er wußte, daß er mit ganz andern Dingen beschäftigt war und an nichts Arges gedacht hatte.
»Nun so laßt‘s bleiben,« entgegnete er kurz und trat wieder
in die Hütte. Aber schon im nächsten Augenblick besann er
sich, daß er ein Thor gewesen war seinen Aerger zu zeigen, der
falsch ausgelegt werden konnte. Er kam wieder heraus, warf
aber kaum einen Blick auf das Mädchen, das sich langsam
entfernen wollte.
63
»Soll ich Euch erklären wie man das Ding handhaben
muß?« fragte er in gleichgültigem Ton. »Zeigen kann ich‘s
Euch nur, wenn gerade ein Schiff vorbeifährt.«
In den Augen des Mädchens, die sie ihm jetzt wieder
zuwandte, schimmerte ein sanfter Glanz. »Bitte,« erwiderte
sie mit freundlichem Lächeln, wobei ihre weißen Zähne blitzten, »wenn Ihr so gut sein wollt.«
Sie war doch sehr hübsch und voll kindlicher Einfalt,
obgleich sie ihm jene Antwort gegeben hatte. Während ihr
Jarman kurz und bündig auseinandersetzte, was die verschiedenen Bewegungen der Arme des Semaphors bedeuteten,
hielt sie den Kopf, auf dem das bunte Käppchen saß, gleich
einem aufmerksamen Vögelchen ein wenig zur Seite geneigt
und machte unwillkürlich mit ihren Armen alle Zeichen
nach. Ihr Gebärdenspiel war entschieden italienisch, wenn
sie auch ganz wie eine Amerikanerin sprach.
»Und wenn die Schiffer das Zeichen sehen,« rief sie triumphierend als er schwieg, »dann wissen sie, daß sie in den
Hafen kommen!«
Jarman lächelte – das hatte er so lange er dort war noch
nie gethan. Er berichtigte den Irrtum, in den sie im Eifer ihr
Verständnis zu zeigen verfallen war und ließ sie durch das
Teleskop nach dem zweiten Semaphor schauen, das landeinwärts wie eine dünne schwarze Linie auf dem fernen Hügel
stand. Dann erklärte er ihr auch, daß dies Instrument seine
Zeichen nach San Francisco weiter schicke.
»Wirklich! Und ich dachte immer es wäre ein Kreuz, das
man auf dem einsamen Bergkirchhof aufgerichtet hat.«
»Ihr seid katholisch?«
»Jawohl.«
»Und eine Italienerin?«
»Vater stammt aus Italien; doch ich bin Amerikanerin, wie
meine verstorbene Mutter.«
»Der Fischer dort drüben ist wohl Euer Vater?«
»Ja – aber sein Boot ist größer als alle anderen,« entgegnete sie nicht ohne Stolz.
»Und nur Ihr seid hier am Ufer und Eure Angehörigen?«
»Manchmal kommt Mark auch,« sagte sie mit halb verlegenem Lachen.
»Mark? Wer ist denn das?« stieß er rasch hervor.
Er dachte nur an die Möglichkeit einer Entdeckung durch
die Fremden und des Mädchens verschämtes, etwas geziertes Gebahren entging ihm gänzlich.
»Eigentlich heißt er Marco Franti – aber ich nenne ihn
›Mark‹; es ist derselbe Name, wißt Ihr, und es ärgert ihn.«
»Also auch ein Italiener,« sagte Jarman sichtlich erleichtert, ohne auf ihre kokette Schalkhaftigkeit zu achten. »Und
Euer eigener Name – den weiß ich noch nicht.«
»Cara,« antwortete sie und wandte sich etwas verlegen
beiseite.
Wasser-Prawda | Oktober 2015
64
SPRACHRAUM
»Cara – nicht wahr, das heißt ›lieb‹ auf Italienisch.«
Seine früheren Opernbesuche fielen ihm ein.
»Ja, aber es ist nur eine Abkürzung von Carlotta, oder
Charlotte. Manche Mädchen nennen mich auch ›Charley‹,«
fügte sie rasch in wegwerfendem Ton hinzu.
»Also Cara oder Carlotta Franti.«
Zu seiner Verwunderung brach sie in ein lustiges Gelächter
aus.
»Oho, soweit ist‘s noch nicht. Franti ist Marks Name.
Ich heiße Murano – Carlotta Murano. Lebt wohl.« Sie eilte
fort, stand dann plötzlich still und rief: »Ich komme noch
mal wieder, wenn das Ding in Bewegung ist.« Nach einem
flüchtigen Kopfnicken sprang sie davon und Jarman schaute
ihr nach. In der feuchten Seeluft schmiegte sich das dünne
Kattunkleid dicht an ihre schlanke Gestalt, auch kamen
dann und wann die nackten Knöchel zum Vorschein, da
ihre Füße ohne Strümpfe in Schuhen aus Segeltuch steckten.
Als er wieder in die Hütte trat, nahm ein näherkommendes Fahrzeug seine Aufmerksamkeit sofort in Anspruch.
Während er das Signal gab, erwartete er jeden Augenblick,
daß das Mädchen zurückkehren und ihm zusehen werde.
Allein vergebens – sie war schon hinter den Sanddünen verschwunden. Doch glaubte er noch immer den Wiederhall von
seiner und ihrer Stimme in der Hütte zu hören, wo so lange
dumpfes Schweigen geherrscht hatte; bei jedem Laut, den er
vernahm, fuhr er erschreckt zusammen. Zum erstenmal fiel
ihm jetzt auch die entsetzliche Unordnung und Unsauberkeit
in dem Raum auf, wo er allein schaltete. Es kam ihm unbegreiflich vor, daß er bisher in einem Winkel gewohnt hatte,
wo Bett und Ofen standen und alle Küchengeräte umherlagen. Sofort begann er die scheunenartige Stube aufzuräumen
und alles in eine bestimmte Form und Ordnung zu bringen,
wie er es als Sträfling gewohnt gewesen. Aus der Bettdecke
machte er eine harte Rolle am Kopfende des Lagers; die
Pfannen und Tiegel kratzte er aus und scheuerte sogar den
Fußboden, worauf er die noch halb nassen Dielen mit reinem
trockenen Sand bestreute, der von der Mittagssonne durchwärmt war. Bei diesen häuslichen Verrichtungen mußte er
auch den kleinen Spiegel umhängen; da warf er zum erstenmal seit langer Zeit einen Blick hinein und sein wirrer, zottiger Bart mißfiel ihm. Während der Fahrt von Australien
hatte er ihn wachsen lassen und ihn seitdem nicht abgenommen, um sich unkenntlich zu machen. Doch jetzt rasierte er
sich mit Sorgfalt und ließ nur den Schnurrbart stehen. Aus
dem Gesicht, das darunter zum Vorschein kam, war bei dem
monatelangen gesunden Leben im Freien jede Spur seiner
früheren Ausschweifungen und Laster verschwunden.
Den ganzen folgenden Tag dachte Jarman an seine schöne
Besucherin und wiederholte sich im stillen oft mit bedeutungsvollem Lächeln ihre sonderbare Aeußerung, daß sie
Wasser-Prawda | Oktober 2015
nicht ›solche Sorte Mädchen‹ sei. Sie mochte wohl gelernt
haben, für sich selbst zu sorgen, denn bei ihrer wunderhübschen Erscheinung war sie ohne Zweifel häufig lästigen Aufmerksamkeiten seitens der Fischer oder der rohen
Menge auf der Werft von San Francisco ausgesetzt. Vielleicht
hatte ihr Vater sie aus diesem Grunde hergebracht. Als der
Tag verfloß ohne daß sie wiederkam, ging es ihm im Kopf
herum, ob er ihr am Ende unhöflich begegnet wäre. Er hatte
ihre unschuldige Aeußerung doch wohl zu ernsthaft genommen, statt wie sie erwartete, darüber zu lachen; sie mußte
ihn für dumm und schwerfällig halten, daß er die günstige Gelegenheit so verscherzte. – Aber nein, nein – das alte
Leben und Treiben wollte er um keinen Preis wieder anfangen. Die Schrecken seiner Gefangenschaft und seiner Flucht
waren ihm allzufrisch in der Erinnerung; er fühlte sich noch
durchaus nicht sicher. Möglich, daß er in seiner Einsamkeit
und Verlassenheit ein einfältiger Hasenfuß geworden war! –
Tags darauf spähte er durch das Fernglas nach ihr aus und
sah sie mit den Kindern am Strande spielen; sie kam ihm
wie eine Nymphe, wie das Bild kindlicher Unschuld vor.
Vielleicht hatte sie gerade deshalb besondern Reiz für ihn,
weil sie nicht ›solche Sorte Mädchen‹ war. Er lachte bitter. Es
war ja auch komisch, daß er, ein entflohener Sträfling, sich zu
der ehrlichen Einfalt und Unschuld hingezogen fühlte. Doch
wußte er ganz bestimmt, daß er nichts Böses im Sinn gehabt
hatte, als er sie anredete. Das sagte er sich immer wieder; es
erfüllte ihn mit seltsamem Stolz und er machte sich ein ganz
lächerliches Verdienst daraus. Woran hatte sie denn aber
Anstoß genommen? – Etwa an seiner Person? – Zum Henker!
Stand ihm denn seine Vergangenheit im Gesicht geschrieben?
Würde man sie immer aus seinem Benehmen, seinen Worten
herauslesen können? – Der Gedanke verdroß ihn sehr und
er nahm sich vor, den ganzen folgenden Tag keinen einzigen
Blick nach dem Ufer zu werfen. Es war merkwürdig, wie ihn
diese Selbstüberwindung zugleich aufregte und befriedigte;
die Stunden, die ihm so leer erschienen waren, erhielten auf
einmal eine besondere Bedeutung, ohne daß er wußte wieso
oder wodurch. Er fühlte sich gekränkt, doch empfand er das
nicht unangenehm.
In der Nacht kam er plötzlich auf den Einfall, sie könne
nach San Francisco zurückgekehrt sein, und er lag schlaflos da und sehnte sich nach dem Frühlicht, um Gewißheit
zu erlangen. Doch als sich dann der Nebel verzog und er
von einem näheren Punkt hinter der Düne aus mit Hilfe
des Fernglases sah, daß sie auf dem warmen Sande saß
und wie eine Seejungfrau ihr langes Haar kämmte, ging
er gleich wieder in seine Hütte zurück und schaute den
ganzen Morgen nicht mehr nach jener Richtung hin. Am
Nachmittag waren keine Segel in Sicht; er wandte daher der
Bai den Rücken und machte einen Gang nach Westen, dem
SPRACHRAUM
Meere zu, bis wo sich die weiße Schaumlinie meilenweit
hinzieht und die Brandung der Sturzwellen verkündet. Zu
seiner Ueberraschung sah er vor sich ein kleines halbnacktes Kind, das barfuß hinter den Silberwellchen herlief oder
die Schaumflocken zu fangen suchte, die bald hier bald da
über den nassen Sand huschten. Nicht weit davon erblickte er
Cara selbst. Mit den Ellenbogen auf den Knieen, das runde
Kinn in die Hand geschmiegt, saß sie da und schaute hinaus
auf die weite Wasserfläche. Auf einmal befiel ihn eine unerklärliche Schüchternheit; er zauderte noch eine Weile und
trat dann in eine Vertiefung zwischen den Sanddünen, die
ihn halb verbargen.
Bis jetzt war er noch unbemerkt geblieben. Das junge
Mädchen rief das Kind zu sich, stand plötzlich auf, warf ihre
rote Kappe und den Shawl fort und fing langsam an sich zu
entkleiden. Jarman begriff sofort, daß sie mit der Kleinen
baden wollte. In dieser Einsamkeit glaubte sie natürlich das
ganz ungestört thun zu können, denn weder von dem Ufer
der Bai her, noch auf dem verödeten Pfad, welcher landeinwärts führte, konnte irgend jemand in ihre Nähe gelangen,
ohne daß sie es gewahrte. An seine Nachbarschaft hatte sie
offenbar nicht gedacht, da sie ihn in seiner Hütte bei dem
Telegraphen sicher untergebracht wußte. Jetzt hob sie die
Hände empor, schüttelte ihr Haar, daß es ihr wie ein Mantel
über den Rücken fiel und ließ zugleich die lose Bluse von
den Schultern gleiten. Da wandte sich Jarman rasch ab und
eilte geräuschlos davon, bis ein kleiner Hügel den Strand vor
seinen Blicken verbarg.
Wie er ganz zufällig dorthin geraten war, so bewerkstelligte er auch seinen schnellen Rückzug ohne Vorbedacht
und Ueberlegung. Er erkannte sich selbst kaum wieder, und
doch war sein Thun so natürlich und instinktmäßig gewesen,
als sei die Badende seine Schwester. In der Südsee hatte er
oft eingeborene Mädchen neben den Schiffen untertauchen
sehen, um Münzen heraufzuholen, doch hatten sie nie das
Gefühl in ihm erweckt, das ihn jetzt beherrschte. Er musterte sogar den Horizont nach beiden Seiten hin mit grimmigen Blicken; dann bestieg er eine entfernte Anhöhe, von wo
aus das Ufer ebenso wenig sichtbar war, um dort Wache zu
halten. Von Zeit zu Zeit trug der starke Seewind allerlei Laute
zu ihm herüber, des Kindes Geschrei oder des Mädchens
helles Lachen; aber er wandte den Kopf nicht und spähte nur
um so schärfer und argwöhnischer, ob nicht irgend ein unbefugter Wanderer des Weges käme. Wohl eine halbe Stunde
lag er dort oben, und erst als der Lärm verstummte stand er
auf und schritt langsam seiner Hütte zu. Er war noch nicht
weit gegangen, da hörte er hinter sich Stimmengemurmel
und unterdrücktes Lachen. Als er sich umkehrte, sah er Cara
mit einem etwa sechsjährigen Kinde daherkommen. Caras
Gesicht war rosig angehaucht, vielleicht von dem Bade oder
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auch von mädchenhafter Scham. Er stand still und als sie
in seiner Nähe waren wünschte er ihnen ›Guten Morgen.‹
Cara hielt nur mühsam ihr Lachen zurück. »Ihr seid es!
Ach wir wußten ja gar nicht, daß Ihr hier herumspaziert;
wir dachten, Ihr hättet immer bei dem Telegraphen zu thun,
nicht wahr, Lucy?« Die Kleine kicherte vor Vergnügen und
Blödigkeit. »Wir haben nämlich im Meer gebadet,« fuhr
Cara fort und nahm ihr langes Haar zusammen, das offen
über ihre Schultern hing, damit die Sonne es trocknen
sollte. Sie machte sogar einen schwachen Versuch die nassen
Handtücher zu verbergen, welche sie trugen.
Jarman lachte nicht. »Wenn Ihr es mir gesagt hättet, würde
ich unterdessen mit meinem Glas aufgepaßt haben,« sagte er
ernsthaft. »Ich könnte weiter sehen als ihr.«
»Konntet Ihr uns sehen?« fragte das Kind mit lebhafter
Neugierde.
»Nein,« war Jarmans entschiedene Antwort. »Die kleinen
Sandhügel lagen dazwischen.«
»Dann hätten uns doch auch die andern Leute nicht
gesehen,« beharrte die Kleine.
Jarman merkte dem älteren Mädchen die Verlegenheit
an und gab ihrem Gespräch eine andere Wendung. »Ich
gehe manchmal etwas spazieren,« sagte er, »wenn keine
Schiffe in Sicht sind und nehme das Fernglas mit. Um
die Signale zu machen kann ich immer noch rechtzeitig
zurück sein. Vielleicht,« fügte er hinzu als er sah wie Caras
Gesicht sich erhellte, »komme ich am Ufer entlang sogar
einmal bis zu Euerm Hause.« Sie erwiderte nichts darauf und
ihre Befangenheit wuchs, wie er zu seiner Ueberraschung
bemerkte. Gleich darauf fragte sie plötzlich:
»Habt Ihr schon einmal die Seelöwen gesehen?«
»Nein,« entgegnete Jarman zu Caras höchlicher
Verwunderung.
»Ich meine die großen auf dem Seehundsfelsen jenseits
der Klippen.«
»Nein, nach der Richtung gehe ich nie.«
Ihm fiel jetzt ein, daß das eine Sehenswürdigkeit war, die
von allen Fremden regelmäßig besichtigt wurde, und daß er
deshalb den Ort vermieden habe.
»Ich bin schon einmal in Vaters Barke um den ganzen
Felsen herumgesegelt,« fuhr Cara mit wichtiger Miene
fort. »Vom Meer aus sieht man es am allerbesten, deshalb
machen die Leute von Frisco auch oft eine Bootfahrt dahin;
zu Wagen oder zu Fuß kommt man nicht durch den tiefen
Sand. Aber von hier aus sind es nur ein paar Schritte. Wißt
Ihr was,« rief sie und sah ihm mit ihren schönen Augen offen
ins Gesicht, »morgen will ich es Lucy zeigen, wollt Ihr mitkommen?« Jarman fühlte, daß er vor Vergnügen rot wurde
und das setzte ihn in Verlegenheit. »Wir halten uns nicht
lange auf,« sagte Cara, die sein Zögern mißdeutete. »Ihr
Wasser-Prawda | Oktober 2015
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SPRACHRAUM
könnt den Telegraphen unterdessen ruhig allein lassen. Es
wird kein Mensch da sein und so sieht und erfährt niemand
etwas davon.«
Er wäre unter allen Umständen mitgegangen, das wußte er
wohl; doch war es ihm bei seiner lächerlichen Befangenheit
lieb, daß sie ihm durch ihre letzten Worte die Sache erleichtert hatte. So willigte er denn mit Freuden ein. Nun nahm
sie ebenso plötzlich Abschied wie das erstemal. Sie winkte
ihm rasch ein Lebewohl zu, ihre weißen Zähne blitzten, und
Lucy bei der Hand fassend lief sie mit ihr heimwärts voll ausgelassener Lustigkeit. Jarman folgte ihr nachdenklich. Ihm
lag gar nicht besonders viel daran das Haus ihres Vaters aufzusuchen, aber was konnte sie wohl dagegen einzuwenden
haben? Es freute ihn, daß sie gleicher Meinung waren, aber
trotzdem regte sich ein leiser Argwohn in ihm.
Jedes Mißtrauen wich jedoch aus seiner Seele, als er sie
mit Lucy am anderen Morgen strahlend wie die Sonne vor
seiner Thür fand. Ihre frühere Befangenheit war plötzlich
auf geheimnisvolle Weise verschwunden und unter fröhlichem Plaudern schlugen sie den Weg nach den Klippen ein.
Cara fragte ihn ganz offenherzig allerlei, warum er hergekommen wäre und ob er sich nicht sehr einsam fühle; sie
antwortete ihm auch freimütig – wahrscheinlich weit freimütiger als er ihr – auf die vielen Fragen über sie selbst und
ihre Familie, die er an sie stellte. Bei den Klippen angelangt,
stiegen sie zum Strand hinunter, den sie ganz einsam fanden.
Vor ihnen, anscheinend kaum in Schußweite vom Ufer, erhob
sich ein hoher, breiter Felsen, an dem die Wellen des stillen
Ozeans brandeten. Unförmliche Tiere tummelten sich dort
in großer Zahl oder lagen bequem in der Sonne. Es war der
Seehundsfelsen, das Ziel ihrer Wanderung.
Nach wenigen Minuten warfen sie jedoch keinen Blick
mehr dorthin, sondern setzten sich auf den Sand, während
Lucy am Ufer Muscheln sammelte, und fuhren in ihrem
Gespräch fort. Die Mitteilungen nahmen einen immer vertraulicheren Charakter an – von Zeit zu Zeit entstanden auch
lange und gefährliche Pausen, die beide durch allerlei Zurufe
an die kleine Lucy auszufüllen trachteten. Nachdem sie
wieder einmal eine Weile geschwiegen hatten, sagte Jarman:
»Gestern schien es mir, als wünschtet Ihr nicht, daß ich
nach Eures Vaters Hause käme. Weshalb denn nicht?«
»Weil Marco da war,« versetzte das Mädchen offenherzig.
»Was geht denn ihn das an?«
»Er will mich heiraten.«
»Und wollt Ihr ihn zum Mann nehmen?«
»Nein,« entgegnete sie leidenschaftlich.
»Warum schickt Ihr ihn dann nicht seiner Wege?«
»Das darf ich nicht – er muß sich verbergen – Vater ist
sein Freund.«
»Warum verbirgt er sich? Was hat er gethan?«
Wasser-Prawda | Oktober 2015
»Er hat den Bergleuten Goldstaub gestohlen. Ich habe
mir sowieso nie etwas aus ihm gemacht. Und ein Dieb ist
mir verhaßt!«
Sie blickte rasch in die Höhe. Jarman war plötzlich aufgesprungen – er schaute ins Meer hinaus.
»Seht Ihr dort etwas?« fragte sie verwundert.
»Ein Schiff,« erwiderte er mit seltsam heiserer Stimme.
»Ich muß rasch zurück und das Zeichen geben. Wenn ich
mit Euch ginge, würde es zu spät werden, fürchte ich. Lebt
wohl, ich werde laufen müssen.«
Er kehrte sich ab ohne ihr die Hand zu reichen und lief
spornstreichs in der Richtung des Semaphors davon.
Bestürzt wandte Cara ihre dunkeln Augen dem Meere zu;
aber sie sah weder Masten noch Segel auf der weiten Fläche,
auch der Horizont schien leer. Nur aus dem Goldenen Thor
kam langsam ein kleiner Schoner gefahren. Was half‘s! Es
war ohne Zweifel irgendwo, jenes Schiff – wenn sie es auch
nicht sehen konnte. Wie klar und scharf seine hübschen ehrlichen Augen doch waren! Sie seufzte ein wenig, rief die kleine
Lucy und machte sich auf den Heimweg. Dabei schaute sie
aber immer wieder nach dem Semaphor hin, das war doch
wenigstens etwas, das zu dem Manne gehörte, für den sich
in ihrem Herzen die Liebe zu regen begann. Sie wartete, daß
die schwarzen Arme das Schiff signalisieren sollten, welches
er gesehen hatte, aber merkwürdigerweise bewegten sie sich
nicht. Er mußte sich wohl geirrt haben.
Doch das alles war bald vergessen, als sie zu Hause angekommen, ihre Familie in der größten Aufregung traf. Sie
hatten inzwischen Nachricht erhalten, daß Häscher in einem
Polizeiboot von San Francisco nach der Bucht abgeschickt
worden seien. Zum Glück war es noch gelungen, den flüchtigen Franti an Bord eines Küstenfahrers zu schaffen, so
daß er sich jetzt außer Gefahr befand. Cara fiel der Schoner
wieder ein, den sie hatte aus der Bai fahren sehen; sie atmete
erleichtert auf und als sie merkte, welche Herzensfreude sie
empfand, stieg ihr alles Blut in die Wangen. Nicht an den
geretteten Marco dachte sie, sondern an Jarman. Später, als
das Polizeiboot ankam, begnügten sich die Häscher, die vielleicht schon von Marcos Flucht unterrichtet waren, mit einer
oberflächlichen Durchsuchung der kleinen Fischerhütte,
worauf sie wieder abfuhren. Doch blieb ihr Boot in der Nähe
des Ufers liegen.
In jener Nacht wälzte sich Cara schlaflos auf dem Lager
umher. Es reute sie, daß sie mit Jarman überhaupt von Marco
gesprochen hatte. Das wäre nun gar nicht nötig gewesen,
und er mißtraute ihr vielleicht und glaubte, daß sie Marco
dennoch liebe. Am Ende war er aus diesem Grunde am
Nachmittag so urplötzlich von ihr gegangen! Wenn nur erst
der Morgen käme – jetzt konnte sie ihm ja alles sagen.
Zuletzt fiel sie in einen unruhigen Schlummer, aus dem
SPRACHRAUM
sie der Laut mehrerer Stimmen weckte, die sich auf der
Düne, draußen vor der Hütte vernehmen ließen. Durch
die Ritzen und Spalten der dünnen Bretterwände, welche
die Sonnenglut tagüber ausdörrte, konnte sie nicht nur die
Stimmen der Polizisten erkennen, sondern auch jedes ihrer
Worte deutlich verstehen. Plötzlich traf Jarmans Name ihr
Ohr. Sie richtete sich im Bett in die Höhe und lauschte
atemlos.
»Sind Sie sicher, daß es derselbe Mensch ist?« fragte einer
der Sprecher.
»Versteht sich,« lautete die Antwort. »Bis Frisco hat man
seine Spur verfolgt und sie erst bei der Landung verloren.
Doch wissen wir durch unsere Agenten, daß er die Bai nicht
verlassen haben kann. Sobald wir nun erfuhren, daß ein
Mann auf den die Beschreibung paßt, als Wächter bei dem
optischen Telegraphen hier draußen angestellt ist, unterlag
es keinem Zweifel mehr, daß wir unsern Flüchtling entdeckt
hatten und die zweihundert fünfzig Pfund Belohnung uns
gehörten, die auf seinen Kopf gesetzt sind.«
»Aber das ist ja schon fünf Monate her. Weshalb habt ihr
euch seiner nicht gleich bemächtigt?«
»Wir konnten nicht. Erst mußten wir die zu seiner
Auslieferung erforderlichen Papiere aus Australien haben.
Geschrieben ist längst danach, und heute früh sollen sie mit
dem Postdampfer eintreffen.«
»Er hätte doch aber jeden Augenblick auf und davon gehen
können.«
»Nicht ohne unser Wissen. So oft sein Signal erschien
galt das uns in San Francisco als Beweis, daß wir ihn sicher
auf seinem Posten hatten. Dort draußen zwischen den
Sandhügeln war er so gut aufgehoben, als hätten wir ihn in
Frisco in festem Gewahrsam gehalten. Er war sein eigener
Gefangenenwärter und meldete sich täglich selbst.«
»Da ihr nun einmal hier seid und die Papiere diesen Morgen
erwartet, so könntet ihr ihn doch gleich jetzt mitnehmen.«
»Das geht nicht. Kein Richter in San Francisco würde
ihn in Haft behalten, wenn man ihm nicht zugleich die
Auslieferungspapiere vorlegt. Er würde entlassen werden und
entkommen.«
»Wie wollt ihr‘s denn aber anfangen?«
»Sobald der Postdampfer in Frisco signalisiert ist, gehen
wir hier in der Bai an Bord, holen uns die Papiere und fallen
dann über ihn her.«
»Ja so – und da er das Signal aufhißt – so giebt der einfältige Narr –«
»Selber das Zeichen! Hahaha!«
Dem Mädchen schauderte, als sie das grausame Gelächter
hörte. Aber schon im nächsten Augenblick sprang sie vom
Lager und stand hochaufgerichtet, bleich und entschlossen da.
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Die Stimmen schienen sich allmählich zu entfernen. Sie
kleidete sich hastig an, glitt geräuschlos durch das Zimmer
ihres noch schlafenden Vaters und trat ins Freie. Langsam hob
sich der graue Nebel von den Sanddünen und dem Meere –
das Polizeiboot war fort. Nun zögerte sie nicht mehr, sondern
eilte flüchtigen Fußes auf Jarmans Hütte zu. Während sie
lief, entschwanden ihr alle täuschenden Phantasiegebilde; was
geschehen war stand klar und deutlich vor ihrer Seele. Sie
begriff das Rätsel, weshalb Jarman sich hier aufhielt – das
Geheimnis seines Lebens – und wie furchtbar verletzend die
Worte gewesen waren, welche sie dem Manne gesagt hatte,
von dem sie jetzt wußte, daß sie ihn liebte.
Die Sonne vergoldete schon die schwarzen Arme des
Semaphors, als Cara sich mühsam durch die letzte Strecke
des tiefen Sandes hindurchgearbeitet hatte und laut an die
Thür klopfte. Es kam keine Antwort. Sie klopfte wieder, aber
in der Hütte blieb alles still. Sollte er schon geflohen sein –
ohne sie noch einmal wiederzusehen und alles zu erfahren?
Rasch drückte sie auf die Klinke, die Thür ging auf; sie trat
kühn ins Zimmer, seinen Namen rufend. Jarman lag völlig
angekleidet auf dem Bett; hastig lief sie zu ihm hin und blieb
plötzlich stehen. Ein einziger Blick in sein aufgedunsenes
Gesicht hatte genügt sie zu überzeugen, daß der Mann, der
dort mit offenem Munde schwer atmend dalag, ohne alle
Frage sinnlos betrunken war.
Doch selbst in diesem Augenblick dachte sie einzig und
allein an die Gefahr und seine Hilflosigkeit; es kam ihr auch
nicht in den Sinn, daß es ihre grausame Aeußerung war, die
ihn getrieben hatte, Gram und Reue auf so thörichte Art zu
betäuben. Vergebens versuchte sie ihn zu wecken; er murmelte
nur einige unzusammenhängende Wörter und sank wieder
auf das Lager zurück. Verzweiflungsvoll sah sie sich in dem
Raume um; etwas mußte geschehen – der Dampfer konnte
jeden Augenblick in Sicht kommen. Ach – da war ja das
Fernrohr! Sie griff danach und durchforschte den Horizont.
Ein schwacher Dunststreifen erschien dem Goldenen Thor
gegenüber auf der Linie, wo Meer und Himmel in einander fließen. Jarman hatte ihr damals gesagt, was das bedeutete. Es war das Dampfschiff. – Da fuhr ihr plötzlich ein
Gedanke durch den klaren, lebhaft erregten Sinn: Wenn man
vom Polizeiboot aus zufällig auch den Dunst sah und das
Semaphor kein Zeichen gab, würde man Argwohn schöpfen.
Ein Signal mußte gemacht werden, aber nicht das richtige.
Rasch rief sie sich ins Gedächtnis zurück, wie Jarman ihr den
Unterschied der Zeichen erklärt hatte. Um den Postdampfer
zu signalisieren mußten sich beide Arme des Semaphors im
rechten Winkel ausstrecken, für den Küstendampfer dagegen
der linke Arm sich etwas abwärts neigen. Sie lief zur Winde
hinaus und griff nach der Kurbel. Zuerst hatte sie nicht Kraft
genug, dieselbe zu drehen, doch als sie ihre Anstrengung
Wasser-Prawda | Oktober 2015
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SPRACHRAUM
verdoppelte, begann ein Kreischen und Stöhnen, die großen
Arme fuhren langsam in die Höhe und das Signal war fertig.
Durch das ihm wohlbekannte Geräusch der in Bewegung
gesetzten Maschine wurde Jarman aus seiner dumpfen
Bewußtlosigkeit aufgeschreckt; kein anderer Laut, weder
im Himmel noch auf Erden hätte das gekonnt. Doch die
Macht der Gewohnheit ist allgewaltig, sie weckte ihn zur
Erfüllung der Pflicht. Cara hörte wie er sich mit einem Fluch
vom Bett herabrollte und zur Thür hin schwankte; sie sah
ihn mit entsetztem Gesicht herausstürzen und den Kopf
in einen Eimer voll kalten Wassers tauchen. Triefend zog
er ihn wieder heraus, aber in sein bleiches Antlitz war das
Bewußtsein zurückgekehrt und klare Besonnenheit sprach
aus seinen Blicken. Er fuhr zusammen als er ihrer ansichtig wurde, doch da sie zu fliehen versuchte, hielt er sie am
Handgelenk fest.
Hastig und mit bebender Stimme sagte sie ihm nun alles
und jedes. Er hörte ihr schweigend zu; nur als sie geendet,
drückte er seine Lippen feierlich auf ihre Hand.
»Und nun müßt Ihr fliehen,« rief sie voll Angst und Zittern,
»auf der Stelle, so rasch Ihr könnt, sonst ist es zu spät!«
Allein Richard Jarman schritt langsam auf die Thür seiner
Hütte zu; er hatte ihre Hand nicht losgelassen und sagte jetzt
auf seinen einzigen Stuhl deutend:
»Setzt Euch – wir müssen erst mit einander reden.«
Was zwischen ihnen gesprochen wurde, hat niemand je
erfahren; als sie jedoch nach einigen Minuten die Hütte
verließen, trug Jarman all sein Hab und Gut in einem
kleinen Bündel und Cara stützte sich auf seinen Arm. Eine
Stunde später erging an den Priester in der Dolores-Mission
die Aufforderung, er solle einen Seemann mit ehrlichem,
offenem Gesicht und ein Mädchen, das wie eine italienische Zigeunerin aussah, ehelich verbinden. In jenen Tagen
wurde manches übereilte Bündnis auch ohne den Segen der
Kirche geschlossen und diese war deshalb gern bereit einer
Ehe die gesetzliche Weihe zu geben. Dem guten Pater that
jedoch der treuherzige Seemann ein wenig leid und so versäumte er nicht dem Mädchen eine ernstliche Ermahnung
mit auf den Weg zu geben.
Am nächsten Morgen warfen die Zeitungen von San
Francisco ein etwas zweifelhaftes Licht auf die Angelegenheit.
Denn da stand zu lesen:
Abermals ein Fiasko der Polizei.
»Wie wir hören, hatte ›die unermüdliche Polizei‹ von
San Francisco in Erfahrung gebracht, daß sich der berüchtigte Golddieb Marco Franti nicht weit vom Presidio am
Strande verborgen hielt. Als sie sich mit großer Feierlichkeit
dorthin begab, kam sie wie gewöhnlich erst an, nachdem der
Verbrecher schon seit einigen Stunden in Sicherheit war. Aber
ihre ganze Unfähigkeit offenbarten die Herren Polizisten erst
Wasser-Prawda | Oktober 2015
als, wie berichtet wird, die Geliebte des flüchtigen Franti,
eine hiesige Fischerstochter, später unter den Augen der
Polizei entfloh und jedenfalls vereint mit ihrem Liebhaber
das Weite suchte. Um ihren Mißgriff zu erklären, entschuldigten sich die klugen Sicherheitswächter im Hauptquartier
damit, daß sie gleichzeitig auf der Fährte eines aus Sydney
entsprungenen Sträflings gewesen wären. Doch ernteten sie
nur den verdienten Spott und Hohn, als sich herausstellte,
daß die helläugigen Biedermänner das Postschiff, welches die
Auslieferungspapiere, die sie bedurften, an Bord hatte, vorbeifahren ließen, weil sie es für einen Küstendampfer gehalten hatten.«
Erst vier Jahre später hatte der Fischer Murano die
Freude, den Gatten seiner lange verloren geglaubten Tochter,
einen reichen Herdenbesitzer in Süd-Kalifornien, Namens
Jarman, kennen zu lernen. Er erfuhr jedoch nie, daß sein
Schwiegersohn ein entflohener Sträfling aus Sydney war, der
erst kürzlich auf Verwendung mehrerer hochangesehener
Leute in Australien, die volle Begnadigung erhalten hatte.
SPRACHRAUM
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DIE
VESTALINNEN
Eine Reise um die Erde. Abenteuer zu Wasser und zu Lande. Erzählt
nach eigenen Erlebnissen. Band 1. Von Robert KraŌ
31. EIN MISSGLÜCKTER PLAN
Georg, die Briefordonnanz des Kapitäns Hoffmann,
fuhr mit der ihm vom Steuermann gegebenen Depesche
ans Land und schlug den Weg nach dem nächsten
Postgebäude ein. Zuerst mußte er an Kapitän Green und
dessen Matrosen vorbei, welche auf dem Hafendamm bei
ihren Kleidersäcken standen und die Erlaubnis abwarteten, an Bord der ›Vesta‹ sich einschiffen zu dürfen.
Georg war auf der See groß geworden; er hatte schon
unter allen Flaggen der Welt gefahren und sich also
auch mit verschiedenen Nationen an Bord eines Schiffes
zusammenbefunden, aber er mißtraute von vornherein einer Schiffsbesatzung, welche sich aus Matrosen
verschiedener Länder zusammensetzte. Denn entweder
bekam der Kapitän keine tüchtigen Seeleute, das heißt,
Deutsche, Engländer, Holländer oder Skandinavier, weil
er als grausamer Tyrann bekannt war, der die Besatzung
schikanierte, und er mußte sich mit solchen südländischen Matrosen behelfen, welche Georg mit dem
Ausdruck ›Gesindel‹ bezeichnete; oder der Kapitän war
selbst ein dunkler Ehrenmann, der sich unter anständigen Menschen nicht wohl fühlte und sich daher extra
Italiener, Griechen, Spanier, Amerikaner und Engländer
mit wüsten Physiognomien aussuchte.
Und aus solchen Gestalten setzte sich auch die
Mannschaft des Kapitäns Green zusammen. Die Hände
in den Hosentaschen, die abgebrochene Thonpfeife
zwischen den Zähnen, wanderten die südländisch
aussehenden Matrosen umher und unterhielten sich in
einem Kauderwelsch, welches ebensowohl als Englisch,
wie als Spanisch hätte gelten können, andere wieder mit
schwarzen Bärten, um den Leib eine bunte Schärpe,
hockten phlegmatisch auf ihren Kleidersäcken und
paff ten eine Cigarette nach der anderen in die Luft,
wahrscheinlich Spanier, und wieder andere mit schwarzen Vollbärten, in enganschließende, schwarze Anzüge
gekleidet, schwatzten zusammen mit einer Lebhaftigkeit
und mit Armbewegungen, daß man immer glaubte, sie
wollten sich gegenseitig ermorden, während sie nur ein
harmloses Gespräch führten. Das waren Griechen, als
Seeleute von Georg gründlich verachtet. Der einzige, der
ein einigermaßen vertrauenerweckendes Gesicht aufweisen konnte, war der Kapitän.
Georg selbst befand sich zwar auf einem Schiff, dessen
Mannschaft sich nicht nur aus allen Nationen Europas,
sondern aus allen denen der Welt zusammensetzte; aber
bei dem ›Blitz‹ war dies etwas anderes. Georg wußte,
welche Mühe Kapitän Hoffmann gehabt hatte, diese
Leute um sich zu sammeln. Stieß er auf seinen früheren Reisen auf Seeleute, die ihm imponierten, so scheute
er keine Kosten, sie von ihrem jeweiligen Schiff abmustern zu lasten, es galt ihm gleich, ob ihre Farbe weiß,
gelb oder schwarz war. Dann schickte er den betreffenden Mann nach einer deutschen Hafenstadt, ließ ihn
dort verpflegen und so lange warten, bis eines Tages
Wasser-Prawda | Oktober 2015
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SPRACHRAUM
der neugebaute ›Blitz‹ gesegelt kam, die erste Besatzung
entließ und die nach und nach gesammelte an Bord
nahm.
Mit diesen Gedanken beschäftigte sich Georg, als
er mit beschleunigten Schritten die Richtung nach der
Post einschlug, er bemerkte nicht, daß zwei Männer sich
immer in einiger Entfernung hinter ihm hielten und ihn
scharf beobachteten.
Jetzt führte der Weg durch den Tempelgarten, welcher
in seiner Mitte von Fußpfaden für die Spaziergänger
durchkreuzt wird, während rings um ihn herum ein
Fuhrweg läuft, auf dem abends Equipagen und Reiter
sich bewegen. Am Tage aber, wenn die Sonne mit ihren
glühenden Strahlen den Aufenthalt im Freien unangenehm macht, ist dieser Garten völlig verödet.
Georg eilte quer durch die Anlagen nach dem gegenüberliegenden Fahrweg, auf dem eben ein geschlossener
Wagen gefahren kam.
»Guter Freund,« sagte da auf englisch eine Stimme
hinter Georg, »wo ist der Weg nach dem Hafen?«
Georg wandte sich um und sah zwei elegant gekleidete Herren vor sich stehen, deren Annäherung er gar
nicht bemerkt hatte.
»Da sind Sie gerade in der falschen Richtung,« antwortete er höflich, »Gehen Sie diesen Weg zurück und
fragen Sie am Ausgang des Gartens nach –«
Er kam nicht weiter.
Der Begleiter des Fragers war wie zufällig etwas hinter
Georg getreten, hatte eine Kappe aus der Tasche gezogen
und sie dem Ahnungslosen über den Kopf geworfen.
Georg kam gar nicht dazu, an Gegenwehr zu denken,
sein erster und letzter Gedanke war nur, daß ihm ein
furchtbar betäubender Geruch in die Nase stieg, dann
hatte ihn schon das Bewußtsein verlassen.
Ohne aufgefordert zu werden, lenkte der Kutscher
die Pferde etwas nach der Seite, die Herren trugen den
Besinnungslosen nach dem Wagen, öffneten die Thür
und stiegen mit ihm ein. Sofort ließ der Rosselenker
seine Tiere anziehen, und der Wagen rollte davon.
»Erst die Depesche,« sagte einer der Herren und untersuchte die Brusttasche Georgs.
»Es ist so, wie wir dachten,« lachte er, als er das
Papier gefunden und gelesen hatte, »dieser Tölpel fragt
Kapitän Hoffmann, ob die ›Vesta‹ unter Kapitän Green
Wasser-Prawda | Oktober 2015
nach Madras segeln soll. Es ist gut, daß wir schon alle
Vorbereitungen dazu getroffen haben.«
»Habt Ihr schon eine Antwort ausgefertigt?« fragte
der andere.
»Ja, sie ist bereits unterwegs und wird zur rechten Zeit
in den Sack des Postbeamten gespielt werden. Darüber
seid unbesorgt, es wird nichts fehlschlagen, den einzigen Kummer macht mir nur, wohin wir jetzt diesen
Burschen bringen sollen.«
»Wir müssen ihn verschwinden lassen.«
»Natürlich, aber wie, daß es nicht auffällt?«
Beide schwiegen längere Zeit.
Dann zog der erste Sprecher dem Bewußtlosen die
Kappe vom Gesicht und sagte:
»Das Einfachste ist, wir geben ihm noch eine kleine
Dosis Chloroform einzuatmen und fahren ihn irgendwo
in eine menschenleere Gegend, wo wir ihn aus dem
Wagen werfen und liegen lassen. Kommt er dann zu sich
und schlägt Lärm, so ist unterdes die ›Vesta‹ schon längst
SPRACHRAUM
verschwunden und hat ein neues Kleid angelegt. Und
dann sollen sie hier in Bombay einmal suchen. Hoho!«
»Der Bursche hatte kaum Zeit genug, uns zu sehen,
da war ihm schon die Kappe über die Augen gezogen.
Deshalb also brauchten wir nicht ängstlich zu sein,
selbst wenn wir keine Schlupfwinkel hätten,« meinte
der andere.
Er öffnete das Fensterchen an der Vorderseite, welches
zu dem Kutscher führte, und rief diesem den Namen
eines kleinen Vorortes von Bombay zu, nach welchem
der Weg durch ein Gehölz führte.
Dann zog er aus der Tasche ein Fläschchen, entkorkte es und wollte den im Innern der Kappe befindlichen Schwamm anfeuchten, als er plötzlich in seinen
Bewegungen innehielt und das Fläschchen schnell
wieder verbarg.
Die beiden Männer sahen sich mit ängstlicher Miene
an.
Der Wagen hatte gehalten, und sie hörten, wie der
Kutscher mit einem Manne auf englisch sprach.
»So geben Sie den Weg frei!« rief der Kutscher ärgerlich, »oder ich überfahre Sie, wenn Sie auch meinetwegen ein Maharadjah wären. Ich sage Ihnen, der Wagen
ist besetzt!«
»Werden wir visitiert,« flüsterte der eine der Insassen
dem anderen zu, »so sagen wir, den Mann hätten wir
bewußtlos, wahrscheinlich infolge Sonnenstichs, im
Tempelgarten gefunden. Wir brächten ihn nach unserem
Hotel. Verstanden?«
Sein Gegenüber nickte und schob dem Bewußtlosen
das entwendete Papier wieder in die Brusttasche.
»Fahren Sie ruhig weiter,« hörten sie die Stimme des
Fremden wieder, »ich fahre mit den Herren.«
»Das erlaube ich nicht, wenn meine Fahrgäste damit
nicht einverstanden sind,« schrie der Kutscher wütend.
Da aber wurde schon die Thür aufgerissen, und ein
vornehmer Indier stieg ohne weiteres in den Wagen.
»Mein Herr,« sagte der eine der Insassen in möglichst
ruhigem Tone, »Sie sehen doch, daß der Wagen besetzt
ist. Was verschaff t uns die Ehre, Sie mit uns fahren zu
sehen?«
»Still,« sagte der Indier und winkte mit der Hand, »ich
bin einer der Ihrigen. Wohin fahren Sie?«
Die beiden waren über diese Anrede gar nicht so
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erstaunt, denn es war ihnen schon oft passiert, daß sich
ihnen ein Fremder als ihr stiller Helfer vorgestellt hatte.
Aber noch fehlte das Zeichen.
»Wir verstehen Sie nicht,« sagte der Herr, der überhaupt die Hauptrolle zu spielen schien, »wir haben einen
Bewußtlosen –«
»Schon gut,« unterbrach ihn der Indier und streckte
ihm die Hand entgegen, »seien Sie versichert, daß ich
Ihr Freund bin.«
Der Herr ergriff die dargebotene Hand und fühlte,
wie sich die Finger des Indiers in eigentümlicher Weise
um die seinen schlossen.
Jetzt war er beruhigt, er hatte das Zeichen erhalten – dieser Mann gehörte in der That zu derselben
Vereinigung, wie er, sein Kollege und auch der Kutscher.
Als letzterer bemerkte, daß seine Fahrgäste gegen
die Mitnahme des fremden Indiers keinen Einspruch
erhoben, ließ er die Pferde wieder ausgreifen und schlug
den Weg ein, der nach dem angegebenen Gehölz führte.
»Wohin fahren Sie?« war des Indiers erste Frage,
nachdem er Platz genommen hatte.
Er erfuhr, nach welchem Ziel der Wagen sie führte.
»Gut! Mein Wagen folgt mir, Sie können mir den
Burschen überlassen, der für Sie doch keinen Zweck
weiter hat.«
»Was wollen Sie mit ihm beginnen?«
»Ich gehe schon lange mit der Absicht um, einen der
Matrosen vom ›Blitz‹ wegzufangen,« erklärte der Indier,
»weil ich etwas über dessen Kapitän erfahren muß. Als
diese Ordonnanz vorhin das Schiff verließ, paßte ich auf
und folgte ihr, um mich ihrer zu bemächtigen, weil sie
gerade das wissen wird, was ich erfahren will. Sie werden
in Verlegenheit sein, wie Sie ihn beseitigen sollen, also
ist Ihnen mein Anerbieten, mich seiner anzunehmen,
jedenfalls angenehm.«
Die beiden wußten, daß auch dieser Indier einen
Auftrag auszuführen hatte, aber ebensowenig wie sie
über ihr Vorhaben, sprach auch er über das seinige.
Daher fragten sie ihn nicht weiter aus, denn die Wahrheit
erfuhren sie doch nicht.
Der Wagen verließ die Häuserreihen und bog in einen
mit Bäumen bepflanzten Weg ein.
Da klopfte der Kutscher an das Fenster und sagte:
»Es folgt uns ein anderer Wagen.«
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SPRACHRAUM
»Es ist richtig! Halte jetzt!«
Die Herren stiegen aus und sahen sich um. Niemand
war zu sehen.
Unterdes war der zweite Wagen herangekommen. Er
mußte dicht an den ersten heranfahren, und der noch
immer bewußtlose Georg wurde, nachdem ihm die
Depesche wieder aus der Tasche genommen worden
war, hinübergeschafft, ohne daß ein etwaiger Beobachter
den Wechsel wahrgenommen hätte.
»Ich fahre jetzt zurück,« sagte der Indier, »und Sie?«
»Auch wir begeben uns nach Bombay zurück, aber
auf Umwegen.«
»Gut! Wie lange wird die Betäubung noch vorhalten?«
»Sie war für eine halbe Stunde berechnet, in zehn
Minuten wird er wieder erwachen.«
»Haben Sie noch Chloroform bei sich, um ihn für
länger besinnungslos zu machen? Sonst müssen wir ihn
erst binden und knebeln.«
Georg erhielt abermals den mit Chloroform getränkten Schwamm vor die Nase gedrückt, und die Kappe
wurde ihm über den Kopf gestülpt.
»Können wir uns darauf verlassen, daß er Ihnen nicht
entschlüpfen und plaudern wird?«
»So sicher, als wenn er jetzt schon tot wäre,« entgegnete der Indier, sprang in den Wagen und nahm neben
dem bewußtlosen Körper Platz.
»Gute Geschäfte, meine Herren! Fort, Kutscher!«
Der Indier schlug die Richtung nach Bombay ein,
während die Herren vorläufig den eingeschlagenen Weg
weiterfuhren. – – –
Als Georg aus seiner Betäubung erwachte, fand er sich
auf einem Diwan liegend.
Es dauerte nicht lange, so entsann er sich, warum er
sich nicht im Zwischendeck seines Schiffes befand.
»Mein Gott,« rief er und griff in die Brusttasche.
Die Depesche war fort – jetzt war ihm alles klar. Er
entsann sich, wie ihn zwei Herren im Tempelgarten nach
dem Weg gefragt hatten, wie ihm etwas über die Augen
gelegt und ihm plötzlich die Besinnung geschwunden
war.
Was weiter mit ihm vorgegangen, wußte er nicht.
Alles war ein wohl überlegter Plan gewesen; der
angebliche Kapitän Green hatte also von Miß Petersen
gar nicht den Auftrag erhalten, die ›Vesta‹ nach Madras
Wasser-Prawda | Oktober 2015
zu bringen, sondern wollte sich der befreiten Mädchen
oder vielleicht auch nur des Schiffes bemächtigen und
nahm die Mädchen als Zugabe mit.
Adam Nagel war schändlich getäuscht worden, seine
Anfrage an Kapitän Hoffmann war in die Hände dieser
Piraten gefallen und würde ihn nie erreichen.
Wie die Spitzbuben den Steuermann, der nun nach
der Meinung Georgs keine Antwort vom Kapitän erhielt,
weiter täuschen würden, um sich in Besitz der ›Vesta‹
zu bringen, wußte er nicht; aber wenn diese Schurken
solche Mittel anwendeten, um bloß die Depesche abzufangen, so konnten sie jedenfalls auch Wege finden, dem
Steuermann eine erlogene Antwort zu geben.
Georg hatte ganz richtig gerechnet. Als ein treuer
Mensch hatte er zuerst an den Schaden gedacht, den
sein Herr durch seine Gefangennahme erlitt.
Aber er selbst?
Daß sie ihn aus der Welt verschwinden lassen würden,
glaubte er nicht. War die ›Vesta‹ erst fort, so wurde er
sicher frei gelassen, aber so, daß er nicht merkte, wo er
sich befunden hatte, und er konnte sein Schiff wieder
aufsuchen.
Georg kratzte sich hinter den Ohren, wenn er sich
ausmalte, was geschehen würde, wenn er, der sonst so
schlaue und zuverlässige Bote, wieder an Bord des ›Blitz‹
erschien. Aber er fühlte sich unschuldig, er hatte nichts
getrunken und sich nirgends aufgehalten, und so konnte
er dem Steuermann, wie dem Kapitän ruhig in‘s Auge
blicken.
Die Thüren des Gefängnisses waren natürlich verschlossen, das Fenster lag im zweiten Stock und war
vergittert. Es führte nach einem parkähnlichen Garten
hinaus, der aber vollständig verwildert war, Georg
konnte keinen Menschen darin erblicken.
An Flucht war demnach nicht zu denken. Er legte sich
also ruhig auf den Divan und wartete der kommenden
Dinge. Entweder mußte er einmal freigelassen werden,
oder auch, daran zweifelte er nicht, Kapitän Hoffmann
würde bald Himmel und Hölle in Bewegung setzen,
seine Ordonnanz tot oder lebendig wiederzubekommen.
Unter Georgs Kameraden gab es auch welche, die mehr
als Brot essen konnten.
Georg hatte durch Einatmen des Chloroforms
Kopfschmerzen bekommen, er fühlte sich noch sehr
SPRACHRAUM
schläfrig und war bald wieder sorglos entschlummert.
Da wurde er am Arm gefaßt und geschüttelt.
Als er emporfuhr und sich die Augen rieb, bemerkte
er, daß es bereits Nacht geworden war. Auf einem
Tischchen brannte eine Lampe, und vor ihm stand ein
reich gekleideter Indier.
»Steh‘ auf,« sagte derselbe in kurzem, aber nicht
unfreundlichen Tone eines Menschen, der das Befehlen
gewohnt ist.
Georg stand auf.
»Fühlt Ihr Euch wohl?«
Georg bejahte; er wußte zwar nicht, was man mit ihm
vorhatte, jedenfalls aber sollte er jetzt entlassen werden.
»Hört, was ich Euch jetzt sagen werde!« begann der
Indier. »Beantwortet Ihr die Fragen, die ich an Euch
stellen werde, so gut Ihr könnt, so soll Euch kein Leids
geschehen. Ihr werdet noch heute nacht dieses Haus
verlassen und zwar reich beschenkt – Ihr braucht nicht
mehr zu arbeiten – weigert Ihr Euch aber, so werde ich
die Antworten mit Gewalt von Euch erpressen, und
Ihr verlaßt dieses Haus nicht lebendig. Habt Ihr mich
verstanden?«
Georg war verblüff t. Was konnte dieser Indier von
ihm erfahren wollen? Er hatte keine Ahnung, was der
Mann im Sinne hatte.
»Dann ziehe ich das Erstere vor. Fragt los!« sagte er.
»Es freut mich, daß Ihr vernünftig seid,« entgegnete
der Indier, »so werden wir als gute Freunde von einander
scheiden. Also erstens: Wo ist der ›Blitz‹ gebaut worden?«
Georg riß vor Staunen Mund und Nase auf. Wie kam
dieser Indier zu einer solchen Frage?
»Oho,« dachte er, »da kennst du Georg schlecht, wenn
du von ihm etwas über den ›Blitz‹ erfahren willst.«
Er schwieg.
»Bist du nicht die Ordonnanz vom ›Blitz‹?« fragte
der Indier.
»Ich bin‘s.«
»Nun also nochmals: Wo ist der ›Blitz‹ erbaut worden?«
Georg blieb wieder die Antwort schuldig.
»Vielleicht auf einer Insel an der Ostküste Schottlands?«
Keine Antwort.
»Willst du mir nicht antworten, Bursche?« fuhr der
Indier jetzt heftig auf.
»Mein Herr,« sagte Georg ruhig, »fragen Sie mich,
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über was Sie wollen, und ich werde Ihnen antworten,
nur nicht über den ›Blitz‹ und alles, was diesen betriff t.
Da werden Sie nie eine Antwort von mir erhalten.«
Fest sah er den vor ihm Stehenden an.
Der Indier machte eine drohende Bewegung, aber
er bezwang sich sofort, als er in den blauen Augen des
Mannes ein seltsames Aufleuchten bemerkte.
Er hatte keinen eingeborenen Diener vor sich, den er
nach Belieben schlagen durfte. Dieser Mann war jetzt
noch frei und würde ihm jeden Schlag mit seinen kräftigen Fäusten zurückgegeben haben. Er ging zur Thür
hinaus und schloß hinter sich ab.
»Also das ist es,« seufzte Georg und ließ sich auf
das Polster fallen, »dann steht es allerdings schlimm
mit mir. Und ich weiß gar nicht viel vom ›Blitz‹, was
ich verraten könnte. Aber nein!« Er sprang heftig auf.
»Ich habe versprochen, das Geheimnis des Schiffes zu
wahren, und auch das Wenige, was mir bewußt ist, soll
mir keine Macht der Erde entreißen können. Mag man
mich quälen, foltern oder verhungern lassen, mein Mund
wird schweigen.«
Ein Diener brachte einige Teller mit kalten Speisen
herein und setzte sie auf den Tisch.
Gleichzeitig betrat wieder der Indier das Zimmer.
»Na,« dachte Georg, »mit dem Verhungern sieht es ja
noch nicht so schlimm aus.«
»Ihr seht,« begann der Indier, »ich will Euch mehr als
Gast, denn als Gefangenen behandeln. Beantwortet mir
die wenigen Fragen, und Ihr könnt sofort in meinem
Wagen dieses Haus verlassen! Ich weiß wohl, daß Ihr
selbst nicht viel vom ›Blitz‹ erzählen könnt, und deshalb
will ich Euch möglichst freundlich behandeln. Antwortet
mir, dann könnt Ihr ruhig essen, wenn Ihr wollt, und
werdet entweder fortgebracht, oder Ihr verbringt diese
Nacht in einem Kellerraum. Vielleicht seid Ihr morgen
gefügiger, sonst giebt es noch andere Mittelchen, Euch
mitteilsam zu machen.«
Georg blieb stumm.
»Ihr wollt nicht antworten?«
»Zum Teufel, nein!« schrie Georg. »Merkst du dies
nun endlich?«
»Oho,« sagte der Indier und rief einige Namen.
Sofort kamen vier Hindus in das Zimmer und wollten
Georg fassen, um ihn hinauszubringen. Sie hatten sich
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SPRACHRAUM
aber verrechnet.
Als sie ihn ergreifen wollten, fuhr dem einen die Faust
des jungen Deutschen in die Augen, dem anderen an den
Magen, und die übrigen bekamen ein paar Fußtritte,
daß sie ächzend an die Wand flogen.
»Nur immer her!« schrie Georg. »Solche Ware habe
ich noch mehr auf Lager.«
Auf das Geschrei der Diener stürzten noch mehr
Hindus in‘s Zimmer, und schließlich gelang es ihnen,
den wütend um sich Schlagenden zu bändigen.
»Ihr seid selbst schuld daran,« sagte der Indier, noch
immer ruhig, »daß mit Euch so verfahren wird. Gebt
mir Antwort, und sofort seid Ihr frei!«
Er stand dicht vor Georg.
»Selber schuld daran?« lachte dieser bitter, »Hund verdammter, da, nimm das als Gutenachtgruß.«
Dabei stieß er dem Indier den Fuß in den Leib,
daß dieser mit einem Schmerzensschrei zu Boden fiel.
Schäumend vor Zorn sprang er auf den Gefangenen
zu, erhielt aber sofort abermals einen Fußtritt, daß er
wieder niederstürzte.
»In den Stock mit ihm, in den Stock,« brüllte er. »Dort
wird er das Treten vergessen lernen.«
Er wagte es nicht, sich zum dritten Male dem schlagfertigen Deutschen zu nähern.
Georg wurde aus dem Zimmer in einen Kellerraum
geschleppt, in dem sich ein sogenannter Stock befand,
in welchen widerspenstige und ungehorsame Diener für
einige Stunden eingesperrt wurden. Der junge Mann
wurde gezwungen, sich niederzulassen, und die Hindus
spannten seine Beine und Hände in einen Block, so
daß Georg in gekrümmter Lage saß, ohne sich rühren
zu können.
Es machte den Hindus ein ungeheures Vergnügen,
Georg zu quälen, war es doch das erste Mal, daß anstatt
eines Eingeborenen ein Faringi diesen Platz einnahm.
Glücklicherweise verstand der junge Deutsche kein
Indisch, sodaß ihn die höhnischen Bemerkungen nicht
ärgerten.
Er befand sich in einer verzweifelten Lage. Den
Rücken krumm gebogen, die Beine so emporgezogen,
daß die Kniee die ausgestreckten Arme berührten, und
Hände und Füße in die Löcher des Balkens gespannt, so
saß er da und grübelte über sein ferneres Schicksal nach.
Wasser-Prawda | Oktober 2015
Das war eine trostlose Aussicht, denn der gereizte
Indier würde jetzt nicht zögern, seine Drohungen zu
erfüllen, das heißt, den Gefangenen solange zu foltern,
bis derselbe das, was er über den ›Blitz‹ und dessen
Kapitän wußte, gesagt hätte.
Georg hatte einst in seiner Jugend auf einem
Jahrmarkt eine Folterkammer mit allen jenen schrecklichen Instrumenten gesehen, wie sie im Mittelalter bei
Hexenprozessen gebraucht wurden, und große Bilder
zeigten überdies recht anschaulich, wie jene angewendet wurden. Frauen mußten auf glühenden Kohlen
stehen, ihre Körper wurden auf Bänken gereckt, bis die
Knochen auseinanderrissen, sie wurden an den Händen
aufgehängt, an den Füßen Centnerlasten befestigt, mit
glühenden Eisen gezwickt und gestochen, aufs Rad
geflochten und anderes mehr.
Georg schauderte es, wenn er daran dachte, daß ihm
Aehnliches bevorstand. Aber dennoch, sie mochten ihn
schinden, plagen und quälen, er nahm sich fest vor, sich
lieber die Zunge abzubeißen, ehe er ein ihm anvertrautes
SPRACHRAUM
Geheimnis verriet.
Er hätte sich deshalb ja vor sich selbst schämen
müssen, daran gar nicht zu denken, daß er sich auf dem
›Blitz‹ jemals wieder hätte sehen lassen dürfen.
Unterdes vergingen noch einige Stunden, ehe der
Tag anbrach, und Georg hoff te, daß bis dahin seine
Kameraden alles aufbieten würden, seinen Aufenthalt
zu erfahren.
Der Morgen kam, und Georg saß noch immer im
Stock. Er wußte nicht mehr, ob er noch Arme und
Beine habe. Jede Empfindung war aus denselben
verschwunden.
Gegen Mittag öffnete sich die Thür, und der Indier trat
ein. Mit finsteren Blicken blieb er vor dem Gefangenen
stehen.
»Hat sich nun Euer hitziges Blut beruhigt?« fragte er,
ohne zu verraten, daß er noch an die gestern empfangenen Fußtritte dachte.
Georg wunderte sich darüber. Er hatte geglaubt, der
Indier würde seine Wut an ihm auslassen, aber wunderbarerweise war derselbe vollkommen ruhig. Er
schloß daraus, daß es dem Indier lieber war, wenn er
erst die Fragen beantwortet bekäme, als wenn er den
Gefangenen wieder reizen müßte. Aber daß er später
noch seine Rache befriedigen würde, davon war Georg
vollkommen überzeugt.
»Seid Ihr nun geneigt, mir zu antworten? Es ist noch
dasselbe: entweder Ihr antwortet und seid frei, oder Ihr
werdet gefoltert, und wenn Ihr dabei sterben müßt.«
Der Gefangene lachte höhnisch auf.
»Macht das einem anderen weiß, daß Ihr mich laufen
lassen werdet,« entgegnete er.
»Euer Wort gilt mir ebensoviel, wie das Bellen eines
Hundes. Nein, nein und abermals nein. Ihr sollt nichts
erfahren.«
»Verfluchter Faringi,« schrie der Indier, der seine Wut
nicht mehr bezähmen konnte, »Dein Trotz soll bald
gebrochen werden. In einer Viertelstunde wirst Du Dein
Wehgeschrei vergebens zu Deinem Gott aussenden.«
Er trat Georg mit den Füßen.
In diesem Augenblicke ging die Thür auf, und im
Rahmen derselben erschien ein eingeborener Diener,
der seinem Herrn auf Indisch etwas sagte. Dieser stellte
mehrere Fragen und ging dann hinaus, sich vorher noch
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einmal umwendend.
»Mache Dich bereit,« sagte er, »noch heute wird Dir
Deine Zunge geschmeidig gemacht werden.«
Hinter ihm fiel die Thür in‘s Schloß, und Georg hörte,
wie der Schlüssel umgedreht wurde.
Er war wieder allein und beschäftigte sich mit traurigen Gedanken. Jedenfalls hatte der Indier von dem
Diener eine Mitteilung erhalten, welche ihn abrief, also
war die Folter nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben.
Manchmal eilte jemand an der Gefängnisthür vorüber,
und jedesmal glaubte Georg, der Unbekannte würde
seinen Lauf hemmen, den Schlüssel in‘s Schloß stecken,
und zu ihm kommen, um ihn nach der Folterkammer
zu führen, aber immer ging der Betreffende vorbei. Es
waren Stunden der entsetzlichsten Qualen.
Der Tag verging; die Sonne warf bereits ihre letzten
Strahlen durch das kleine, starkvergitterte Fenster in
den Kellerraum, und Georg hockte noch immer mit
gekrümmtem Rücken da. Er begann jetzt zu hoffen,
daß irgendetwas seine Folterung unmöglich gemacht
habe, dann aber ward er wieder ängstlich.
Bereits vierundzwanzig Stunden saß er hier, ohne
Essen, ohne Wasser; Hunger und Durst begannen sich
fühlbar zu machen. Wie aber, wenn er vergessen würde?
Wenn der Indier abgerufen ward und nicht mehr an
sein Opfer dachte?
Entsetzlich! Schon jetzt versuchte Georg, ob er mit
den Zähnen den Arm erreichen könnte, um sein eigenes
Blut zu trinken, er machte den Versuch erst nur aus
Scherz, aber das Blut gerann ihm in den Adern; die
Haare sträubten sich, wenn er sich die Qualen der nächsten Tage ausmalte.
Die Nacht brach an, und Georg saß im Block und
wartete. Es waren Menschen im Haus, er hörte Schritte
über dem Kellergewölbe, aber zu ihm kam niemand.
Der Gefangene schien vergessen.
Mehr noch als der Hunger, fing der Durst an, ihn zu
quälen. Es war den ganzen Tag schwül gewesen, es war
heiß in dem Keller. Die Kehle war ihm vertrocknet, der
junge Mann war dem Verzweifeln nahe.
Er schrie, so laut er konnte: Wasser! Es war das
Einzige, was er jetzt herbeisehnte; mochten sie ihn dann
foltern, aber nur erst eine Linderung!
Seine Kehle wurde durch das Schreien nur noch
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SPRACHRAUM
trockener, er gab es als nutzlos auf, denn die Menschen,
die bereit waren, jemanden bis aufs Blut zu quälen,
hätten ihn auch verdursten sehen können.
Stunde auf Stunde verrann, vollständige Dunkelheit
umgab Georg, sein Mut war gebrochen. Stumpfsinnig
saß er da und stierte vor sich hin. Wasser, das war sein
einziger Gedanke. Er bekam schon Halluzinationen;
er glaubte sich an einer Quelle, er hörte sie rauschen;
er trank und trank, und sein Durst wurde doch nicht
gelöscht.
Ein lauter Schritt weckte ihn einmal aus seinem
Brüten.
»Wasser!« murmelte der Unglückliche mit brennenden
Lippen. »O Gott, erbarme Dich meiner, sende Deinen
Engel!«
Da legte sich eine Hand auf seine Schulter. Er konnte
zwar niemanden sehen, aber er erschrak nicht. Er hörte
nur das eine Wort:
»Trinke!«
In langen Zügen sog der Unglückliche aus der vorgehaltenen Flasche das erquickende Naß, bis sie keinen
Tropfen mehr enthielt.
»In dem Wasser war ein Viertelliter Wisky,« flüsterte
eine Stimme vor ihm, »das Geld dafür giebst Du mir
ein ander Mal wieder, vergiß es aber nicht! Jetzt mach‘,
daß du aus dem Block kommst!«
»Sharp,« rief Georg; er hatte ihn weder gesehen, noch
an seiner Stimme erkannt, aber die Sprechweise verriet
ihm den Namen des Helfers.
»Schrei nicht so! Wie lange bist Du schon hier?«
»Ich weiß nicht; ich glaube zwei Tage,« flüsterte Georg
zurück.
»Ein bißchen lange.«
Georg hörte, wie der Detektiv – denn der war es wirklich – am Schloß des Stockes hantierte. Dann wurde der
doppelte Balken anseinander genommen, und Georg
war frei.
Wie ein Stück Holz rollte er zur Seite.
»Jetzt mach‘, daß deine Knochen beweglich werden,
während ich das Fenstergitter durchsäge.«
Kaum vernahm Georg das Geräusch, welche die
haarscharfe Säge verursachte, so geschickt wußte der
Detektiv damit umzugehen.
»Wie kommen Sie hier herein?« fragte er leise, während
Wasser-Prawda | Oktober 2015
er, noch immer am Boden liegend, Arme und Beine
bewegte.
»Immer durch die Thür.«
»Ich habe Sie aber nicht gehört.«
»Entschuldige nur, daß ich nicht vorher angeklopft
habe. Bist du bald im stande, gehen zu können? Ich habe
nur noch zwei Stäbe zu durchfeilen.«
»Gleich.«
Georg war überglücklich. Er war, den Kapitän und
die beiden Steuerleute ausgenommen, der Einzige von
der Besatzung des ›Blitz‹, der Sharps eigentlichen Beruf
kannte; die anderen hielten denselben für einen Freund
des Kapitäns, der die Reisen mitmachte, oft tagelang
sich in seiner Kabine einschloß und dann wieder für
Wochen wegblieb. Aber mit Georg hatte er Freundschaft
geschlossen und verkehrte viel mit ihm, weil er manchmal dessen Aussehen annahm.
Dieser fühlte sich in der Nähe des Detektiven so
sicher, als wäre er in seiner Koje an Bord des ›Blitz‹.
Von diesem Manne, der über alles in scherzhaftem und
wegwerfenden Tone sprach, ging eine Sicherheit und
Ruhe aus, die selbst gebildeten Personen imponierte,
geschweige denn Georg, dem einfachen Matrosen, der
den Detektiven wie einen Gott verehrte.
»Fertig?« fragte derselbe.
»Es geht.«
»So ziehe schnell deine Sachen aus, ich habe das schon
gethan.«
»Wozu denn?« fragte Georg verwundert.
»Frage nicht lange, sondern beeile Dich! Ich werde
dir schon alles erzählen.«
Georg gehorchte, und der Detektiv, der im Dunklen
ebensogut wie am Tage zu sehen schien, tauschte seine
Kleider mit ihm.
»So,« sagte Sharp, nachdem er selbst die Sachen
Georgs angezogen hatte, »weißt du, wohin du gehen
mußt?«
»Nein.«
Der Detektiv beschrieb ganz genau den Weg, den
Georg einzuschlagen hatte, um nach dem Hafen zu
kommen. »Der ›Blitz‹ ist nicht mehr da, weiß nicht,
wo er sich herumtreibt, aber dafür liegt der ›Amor‹ auf
der Rhede, und auf den gehst du vorläufig. Die Herren
werden dein Verschwinden schon erfahren haben, denn
SPRACHRAUM
Hoff mann hat einen Brief für sie hinterlassen, und
jedenfalls werden sie nach dir suchen, natürlich vergeblich, kalkuliere ich.«
»Und Sie?« fragte Georg.
»Ich setze mich als Georg in den Stock.«
»Sie werden gefoltert werden.«
»Werde wohl nicht stille halten.«
»Aber wozu wollen Sie denn nur hier bleiben?« fragte
Georg wieder, der das Benehmen des Detektiven oft
nicht begreifen konnte, und jetzt am allerwenigsten.
»Will mich einmal etwas mit dem Indier unterhalten,
der sich so für dich interessiert,« entgegnete Sharp. »Was
habt ihr bis jetzt miteinander verhandelt?«
Georg teilte ihm so kurz wie möglich das Geschehene
mit.
»So, jetzt kriech‘ leise durch das Fenster und komme
gut an Bord,« sagte Sharp.
»Soll ich Ihnen nicht erst helfen, in den Stock zu kriechen?« fragte Georg.
»Glaube gar! Das mache ich allein.«
»Aber Sie können dann nicht zuschließen.«
»Ich schließe eben erst zu und stecke dann die Hände
und Füße durch,« lachte der Detektiv, »die gehen durch
alles, was Hand- oder Fußgelenk auch noch so knapp
umspannt.«
»Dann viel Vergnügen, und geben Sie es dem Schurken
ordentlich, er hat es verdient!«
»Well, Georg, wird besorgt! Gute Nacht, mein Junge!«
Georg kroch durch das Fenster und war bald in der
Finsternis verschwunden.
Als sein leiser Schritt selbst dem scharfen Ohr des
Detektiven nicht mehr vernehmbar war, setzte derselbe
vorsichtig seine Pfeife in Brand und rauchte Stunde um
Stunde, bis der Morgen zu dämmern begann.
Da setzte er die zersägten Stäbe wieder derart ein, daß
von dem Zerstörungswerk nichts mehr zu sehen war,
und schloß mit einem Draht den Stock. Dann entledigte
er sich seiner Schuhe, schob die Füße ohne Anstrengung
durch die engen Löcher und zog die Schuhe wieder an.
Bevor er die Hände in die Öffnung schob, biß er sich ein
Stück Kautabak ab, um bei diesem langweiligen Warten
wenigstens eine angenehme Unterhaltung zu haben.
Wer von dem vollzogenen Tausch nichts wußte, hätte
schwören können, immer noch Georg vor sich zu haben,
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denn der Detektiv hatte ganz das Aussehen desselben
angenommen.
Sharp mußte lange warten, ehe das Leben in dem
Hause erwachte, dann aber kam es auch mit einem
Male. Schritte eilten hin und her, überall erscholl Pochen
und Lärmen. Stimmen schrieen so laut, daß man sie
selbst im Keller hören konnte.
»Was mag das sein?« dachte Sharp. »Das klingt ja sonderbar, gerade wie ein Überfall.«
Er sollte nicht lange im Zweifel sein.
Jetzt näherten sich seiner Zelle hastige Schritte – der
Detektiv zog ein klägliches Gesicht – die Thür wurde
aufgeschlossen, aufgerissen, und herein traten – Lord
Harrlington, Williams und noch mehrere Herren vom
›Amor‹.
»Sind Sie die Ordonnanz vom ›Blitz‹?« rief Harrlington.
»Freuen Sie sich, Mann, Sie sind frei!«
Der Detektiv war anfangs starr, aber im nächsten
Augenblick war die Reihe des Erstaunens an den Herren.
Plötzlich zog der Gefangene die Hände und Füße
aus dem Stock, sprang auf und schrie mit donnernder
Stimme:
»Nun schlage aber doch Gott den Teufel tot! Jetzt
sitze ich hier die ganze Nacht im Stock, damit Sie mich
befreien können! Stecken Sie doch Ihre Nase in Ihre stinkigen Theerfässer und nicht in meine Angelegenheiten.
Adjös, meine Herren, mich sehen Sie nicht wieder.«
Schmetternd fiel die Thür hinter ihm ins Schloß.
Die Herren fanden lange keine Worte, sprachlos
schauten sie sich an. Dann griff sich Williams langsam
an die Stirn und sagte:
»Ich glaube, ich bin ein großer Esel gewesen, kann
aber nichts dafür. Kommen Sie mit, vielleicht finden wir
den Beweis dieser Behauptung schon auf dem ›Amor‹,
und Sie stimmen mir dann bei.«
Sie gingen an den Hafen zurück.
Kapitän Hoffmann hatte allerdings für die Engländer
einen Brief hinterlassen, worin er ihnen mitteilte, daß
er sofort in See gehen müsse und daß seine Ordonnanz,
Georg, verschwunden sei. Vielleicht würden die Herren
bis zu seiner Rückkehr nach Bombay sich bemühen,
nach dem Verschwundenen zu forschen.
Hoffmann selbst hatte keine Ahnung, daß Nick Sharp
auch nach Bombay gefahren war, er glaubte, derselbe
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SPRACHRAUM
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SPRACHRAUM
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wollte sich an der Seite von Ellen halten. Der Detektiv hören wollen.
aber kam auf den Einfall, sich nach Bombay zu begeben,
Von dem Detektiven vernahm man seitdem nichts
weil natürlich, wie er gleich schloß, die Entführung der wieder.
›Vesta‹ und der Mädchen wieder vom ›Meister‹ ausging,
dem er nachspürte. Ehe er Ellen verließ, mußte er jedoch
für sich einen Ersatz haben, und da er in jeder Stadt
seine Helfer hatte, so ließ er in Madras einen solchen als
Matrosen auf die ›Medusa‹ anmustern. Als er sah, daß
der betreffende Mann wirklich an Bord kam, verließ er
das Schiff wieder, eben in der letzten Minute, und reiste
mit dem nächsten Zuge nach Bombay.
Es war ihm bald gelungen, sich über alles Vorgefallene
zu orientieren, er erfuhr die seltsamen Umstände, unter
welchen die Gefangennahme Georgs vor sich gegangen,
befreite diesen und nahm dessen Stelle ein, um, wie er
sagte, mit dem Indier näher bekannt zu werden.
Aber auch Lord Harrlington war es geglückt, den
Aufenthaltsort Georgs zu erfahren. Ein Diener des Indiers
hatte gehört, daß der Lord eine hohe Summe demjenigen zusagte, der ihm etwas über den Verschwundenen
mitteilte, daher war der Eingeborene einfach seinem
Herrn weggelaufen und hatte alles verraten.
Ohne zu ahnen, weshalb Georg eigentlich gefangen gehalten wurde, eilten Harrlington und etwa zehn
Herren sofort nach dem bezeichneten Haus, nahmen
unterwegs noch Polizei mit, fanden aber den Indier
selbst nicht mehr vor – er hatte von dem Verrat erfahren
und war, ebenso wie seine Diener, welche sich schuldig
fühlten, bei Zeiten geflohen. Einige der Eingeborenen
sagten aus, sie hätten wohl gemerkt, daß ihr Herr jemanden im Keller festhielt, aber sie wüßten nicht wen und
dürften sich überhaupt nicht um das Thun und Treiben
ihres Herrn kümmern.
In dem bezeichneten Kellerraum fand man denn
auch Georg, der sich so heftig über seine Befreiung
beschwerte.
Als die Engländer auf dem ›Amor‹ anlangten, fanden
sie zu ihrem nicht geringen Erstaunen Georg schon vor,
diesmal den echten, der zwar die Sache aufklären wollte,
so weit er durfte, aber vor Lachen nicht sprechen konnte.
Endlich erfuhren Harrlington und Williams, beide
mit Sharps Wesen vertraut, den ganzen Sachverhalt, und
Georg sagte betreffs seiner Gefangennahme nur noch,
daß der Indier etwas Wissenswertes über den ›Blitz‹ habe
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ENGLISH
T HE QU I C K & TH E D E A D
A NEW LETTER FROM THE UK BY DARREN WEALE
performers experienced racism and segregation in their
homeland, Europe was a better experience for them, and
several of them settled here.
Vereinigten Königreich
Apologies to the readers of Wasser-Prawda for the What has been going on in the UK, I hear you ask?
absence of a Letter from the UK recently. Letters are Or I imagine that you do. Well, this being a musichard to write at very busy times, and much has been based letter, a lot of music has been going on. The Lead
going on. Indeed, Germany is much in the news here Belly Fest earlier this year was about as good a tribute to
with what is called the migrant crisis and the welcome anything as you will hear, and took place at the Royal
given to many migrants. More than we have managed Albert Hall. The evening closed with Van Morrison
ourselves, of course. However, there is a musical link. singing beside Eric Burdon, with Jools Holland on
It is good to reflect that when black American Blues piano, Chris Barber (left, in picture) on trombone,
and Paul Jones on harmonica. You don‘t need a music
Willkommen zum Brief aus dem
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ENGLISH
encyclopaedia to realise how great those names are. The
event goes to New York in December and, rumour has
it, Germany can expect an appearance.
That festival in honour of the late American Folk-Blues
musician Lead Belly and sad events like the passing
away of BB King and Cream‘s Jack Bruce and the ill
health of other figures in Blues music explain the title
of this Letter. There is a lot going on about the Quick
(the living) and The Dead (who are, well, deceased).
Links
Alistair Cooke - www.bbc.co.uk/programmes/
b00f6hbp
Lead Belly Fest: www.leadbellyfest.com
British Blues Exhibition: www.britishbluesexhibition.co.uk
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The phrase is also the name of a rather good album by
Geoff Everett.
Then there is the beginning of a British Blues music
history Exhibition which seeks to venerate performers both alive and passed away, and UK Blues, a new
Federation for British Blues. Both celebrate the quick
and the dead.
It is ironic that with a public vote on the membership
of the European Union ahead of us in the UK, that in
music the Blues has created a Federation of its own that
is happily associated with the European Blues Union.
Close ties with Europe and indeed Germany are to be
desired. Certainly, there is a general recognition here that
in Germany musicians are much better respected and
treated than they are in the UK. So expect more (temporarily) migrant British musicians, and please extend
them your welcome too.
Seid glücklich und erfreut Euch an Eurer
Live-Musik und allem was Deutsch ist!
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ENGLISH
R UT HI E F OS TE R : M O R E
T HAN JUS T A N O TH E R
BLUES L A DY
BY IAIN PATIENCE. FOTOS BY KARSTEN SPEHR
Ruthie Foster is way more than just another blueslady. She‘s a true gospel diva with an astonishingly
powerful voice that sounds like it must have literally
raised more than a few rooves and rafters over the
years. Her stage-presence is always dynamic; clutching her trusty Gibson guitar, she launches herself
into each number with immediacy and clear intent.
Audiences look on in awe as she storms from one
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song to the next, pulling tracks from her beeded,
braided head and an impressive award-winning
back catalogue of sultry, soulful music with confident ease and purpose.
And surprisingly, perhaps, guitar is not her first instrument. Ruthie‘s a piano-player but, as she quips:
‚The guitar‘s a lot more portable.‘ And unlike most
musicians of the blues world and stage, she can read
ENGLISH
music, having graduated in that subject before signing up with Uncle Sam and joining the Navy to see
the world as an engineer. It was while with the navy
she turned her attention to fretwork developing a
hard-hitting percussive style that has certainly served her well over the years since her demob.
‚My voice is my first instrument, though,‘ she says.
A positively barn-storming quality developed and
honed as a kid growing up in rural Central Texas
where her grandmother ensured she attended the
local Baptist church and weekly song sessions. The
same grandmother who introduced Foster to piano
and a love of music in a more general way as she
grew-up.
Foster is quick to thank both her mother and grandmother for introducing her to music and performance, initially as a purely family thing, followed
by church outings and a college course where she
majored, as might be expected given her tremendous voice, in vocal-work, and that eventually led her
to the world stage.
‚I started out singing in our local Baptist church. It
was really a sort of family situation. It was important to my mother and grandmother. Not singing at
church was never an option,‘ she says with a rueful
but clearly grateful smile.
As for inspiration, she simply plucks themes from
everyday life and love. Songs that mirror her own
interests and observations as she hits the road on
tour, spending substantial chunks of time away from
home, missing her young daughter.
It‘s difficult to avoid comparisons with Mavis Staples. Both are award-winning singers with huge
voices and a grasp of gospel music few, if any, can
equal. Foster is quick to pay her respect to the veteran singer, citing the near-legendary Staples as an
obvious gospel-influence and a true survivor. „I love
Mavis Staples. She still has such an amazing voice
and energy. Despite her age, she gives it her all every
time.‘
In the studio she tries to capture the spirit of live
performance as much as possible, eschewing overmuch technology and overdubs. ‚I‘ve always pre-
83
ferred acoustic sound and instruments wherever
possible,‘ she confirms. ‚I have to plug my guitar in,
of course, with a pick-up, but that‘s because I need
to be heard when I play in front of a crowd, on a
stage where that whole sound projection thing is
real important.‘
It‘s a formula that clearly works. Foster has pickedup awards galore. Best Female Vocalist; Best Contemporary Blues Female Vocalist; Living Blues
Writers‘ Poll Winner; Koko Taylor Award for Best
Traditional Blues Female Vocalist - 2012, 2013, and
again this year, 2015. In addition, Grammy nominations and plaudits rain down on her from all quarters. Foster seems to take it all in her stride without
appearing complacent or smug in any way: ‚Yea, I‘ve
sure been real lucky with the awards,‘ she smiles. ‚It‘s
all been great.‘
With almost a dozen albums now behind her mostly since she turned professional in ‚…..around
1995-96‘ - she nods, as she thinks back over the years - she still loves doing what she does, despite the
travelling and the hassle that invariably goes with it.
‚I love singing, it‘s what I do best. And I have freedom to change my set whenever I want. I might
start-off a set with one number then just turn it
around with another, with something different, like
‚Ring Of Fire‘, for example. It all depends on the gig
and the audience. Picking up the mood out front
and going for it.‘
With her latest release, ‚Promise Of A Brand New
Day‘, already gathering critical acclaim, Foster says
she enjoys and looks forward to gigging in Europe
where she has played Italy, France and Spain in the
recent past. ‚Audiences are real cool over here. They
know the music. They love it. They always make me
feel welcome.‘
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ENGLISH
Reviews
wit and wisdom, sure-fired soul and
super sounds. Religion also comes
into the firing line with a marvellous
number, „Westboro Baptist Blues,“
that should carry a health warning
along the lines of ‚Do Not Listen
While Eating or Drinking‘ - for fear
of spraying your near neighbors with
half-chomped, slurped debris.
A wonderful fun album with a
backing band that includes the likes
BAD NEWS BARNES & THE
of the late, Lew Soloff on trumpet
BRETHERN OF BLUES BAND and around half of the surviving
90 Proof Truth
members of Blood, Sweat & Tears,
A dozen tracks of complete hokum, among others. And as a bonus - if
as it clearly says on the album cover, such was needed - this is a double
from one of the USA‘s finest hoaxers CD/DVD release, so you can also
and hoary frontmen. Th is guy is watch the mayhem as it unfolds.
not just a comic with a challen- (Flaming Saddles Records)
ging sense of humor, he‘s also one
Iain Patience
helluva singer/songwriter with an at
times decidedly jaundiced eye on the
skewed social and political world of
modern America. I have to declare
an interest from the very off with
this offering: I absolutely love it. It
makes me laugh out loud and the
sheer inescapable mastery of the fulltilt, Stax-like horny (pun intended,
as Barnes would expect) musical
backing makes for totally irresistible stuff.
Fiona Boyes – Box and Dice
Barnes crosses genres as easily as
Fiona Boyes is that rare thing, a
he reaches out to cross-dressers,
female blues guitarist/singer/songstraights and gays with a full-hand
writer and an Australian. ‚Box and
of delicious songs. From the opening
Dice‘ is her first release under the US
track, „America Needs A Queen“,
Bay-area Reference Recordings label
with its sublimely comic lyrics
where she‘s in good company alongdemanding a gay leader on top, you
side the likes of Doug MacLeod,
know where this collection is likely
Lloyd Jones and others. And, like
to take you - a rolling ride of excelmost Reference recordings, the
lent music packed to bursting with
Wasser-Prawda | Oktober 2015
studio quality is high with a splendid warm, empathic sound and glow.
Almost all of the eleven tracks featured here are written by Boyes who
clearly knows her stuff and pitches
well in the traditional blues field.
There‘s no doubt, and no missing,
the inspired cigar-box and resonator input in this mix and Boyes‘s
picking is strong and full of purpose
and power while her growling vocals
deliver a steady punch and display a
real depth, strength and direction.
No purist, Boyes mixes and matches
blues styles, moving smoothly from
slide to swampy down South sounds,
Piedmont to Texas shuffle, and rockinfluenced riffs to Chicago licks with
complete ease.
Pace is varied and Boyes has a confident, calm control over the material that shows a remarkable maturity and highlights her guitar-work
to full effect. So much so, that she
has in the past been referred to as
‚Bonnie Raitt‘s Evil Twin‘, a strikingly original accolade that she appears
to relish. Anyone unsure about her
blues credentials should take note
that Boyes was the first non-American lady to pick up an award at
the annual International Blues
Challenge in Memphis. A truly
excellent release from a guitar master
of pure class. (Reference Recordings/
Fresh: FR-717)
Iain Patience
ENGLISH
taking to the European road some
time soon. This is a guy well worth
catching and this release is a rewarding bit of traditional acoustic blues
picking of absolutely the highest
order. Highly recommended, for
sure. (Snappy Turtle Records)
Iain Patience
Frank Fotusky – Meet Me In
The Bo om
‚Meet Me In The Bottom‘ is the first
release for some years from New
Jersey acoustic picker Fotusky. With
echoes of his first album, ‚Teasin‘ The
Frets‘, Fotusky positively rips along
here with simply stunning guitar
mastery and an eclectic mix of material opening with Bo Carter‘s ‚Who‘s
Been Here‘, moving through Jelly
Roll‘s classic ‚Windin‘ Boy Blues‘,
some Robert Johnson, Leroy Carr,
Willie McTell, Gary Davis, among
others, and the album title track
from Bumble Bee Slim. Fotusky
also includes a handful of self-written originals to good effect.
This is without doubt a top-dollar album, bursting at the 13-track
seams with superb old-style acoustic ragtime-blues fretwork on both
six and twelve-string guitars, and
fine vocal accompaniment. Make
no mistake, this guy is one Helluva
guitar picker and this is an album
that works really well in every way
and at every level.
Fotusky, sadly, seldom if ever
appears to range outside of the
USA. Hopefully, this offering will
bring him and his music to a wider
audience and maybe push him into
Half Deaf Clatch – The Life &
Death of AJ Rail
First thing to say about this release
is it‘s a truly remarkable overall
package, full to bursting with spare,
slippery acoustic fretwork on both
guitar and banjo. The dozen tracks
are all self-written with an evident
understanding of the old-time, blues
tradition and a touch of modernity
that never swamps the originality.
Back in the day, of course, banjo was
often the only instrument of choice
available to share-cropping, blistered and bruised old bluesmen in the
Deep South. Nowadays it tends to
be overplayed, full of sparkling notes
without a heartbeat or, seemingly on
occasion, any real subtlety, feeling or
passion. Clatch to his credit avoids
this perilous pitfall with a notably
spare, deceptively basic picking style
reminiscent of the old claw-hammer
pioneers from the turn of the twentieth century. The result is an album
85
that has an unusually effective added
ingredient mostly lacking in blues
releases these days.
The songs themselves chart the story
of a life lived with more than a touch
of sin and scandal, debauchery, and
defiance of the only certainty in life
- old man Death itself. If anything,
this really is the Devil‘s Music, writ
large. The Grim Reaper seems to be
more than welcome here.
In addition, Clatch is always surefooted with his fretwork and slide
mastery. Pace and tempo both vary
alongside lyrics that grab the attention to produce a near-effortless
triumph. In many ways, ‚The Life
& Death of AJ Rail‘ could well prove
to be the most original blues release
of the year.
Iain Patience
The Reverend Shawn Amos –
The Reverend Shawn Amos
Loves You
This is a guy who sure knows how to
rock; a blues-sailor riding the storm,
switching from gospel through R&B
rocky-torrents to pretty straight,
full-on modern blues, with both eyes
wide open and anchored in tradition.
His gospel creds are clear given
his moniker, and the opener in
this twelve-track release, „Days of
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86
ENGLISH
Depression“, features pure-gold
support from one of the best - the
Blind Boys of Alabama, a flavour
that hints at what‘s packaged and
lying in store. Amos positively rips
along at times with some barrelling
boogie-woogie, here coupled with
the scorching, soul voice of Missy
Andersen on one track and doubleGrammy nominee saxman Mindi
Abair on yet another, Jimmy Reed‘s
„Bright Lights, Big City“, a number
that rocks and rushes along with
confident ease.
Amos either wrote or co-wrote
almost everything in this fine mix
and his harp playing is subtle and
poised, a welcome feature successfully avoiding the often prevalent,
commanding, demanding wail of
many bluesmen. Modern Americana
- R&B - cum - country is also represented with a fine, drum-driven
take on Minnie Lawler‘s Illinois
prison bangle „Joliet Bound“, here
slipped in to soulful effect with delicious fretwork from guitarist Chris
‚Doctor‘ Roberts around the halfway mark.
Th is is simply a strikingly strong
blues album full of quality flourishes
and touches. It should easily please
most modern-blues lovers, keeping
their interest and attention alive and
warm, with variety of material, style
- electric, soul, R&B, and acoustic and pace all guaranteed.
Iain Patience
Wily Bo Walker – Moon Over
Indigo
This ten-track wonder marks the
finale of a trio of top-quality, rockyblues releases from London-based
Scot, Wily Bo Walker. And it‘s an
absolute beauty, full of pace, variety,
gritty blues and bountiful, explosive
material. Walker is a guy who not
only can produce the goods, but who
consistently does produce the goods
and more.
‚Moon Over Indigo‘ positively roars
along from start to finish, featuring
Walker‘s mostly self-penned songs,
rasping vocal delivery and strong
fretwork. In truth, Walker‘s voice
is an essential ingredient in the mix,
a roaring, rattling load of grit and
guts that propel the entire package
along. Walker is well-known for his
gripping stage presence and live performance. With this latest album,
he clearly demonstrates his ability
to take listeners on a roiling blues
ride that simply never slows, slips or
falters.
Walker includes a great take on
Willie Dixon‘s old number ‚Same
Th ing‘ here, and a cover of ‚Who
Do You Love‘ from Elias McDaniel.
Apart from these intruders, all of the
Wasser-Prawda | Oktober 2015
tracks featured were written by the
guy himself.
Walker is to be congratulated for
this work. He‘s a guy that deserves
a greater following and general recognition internationally in the blues
world. ‚Moon Over Indigo‘ is an
album that really is worth catching
and showcases his evident talent to
great effect. Wily Bo is that rare thing
- a true original. Get your hands on
a copy of this if you can. (Mescal
Canyon Records: MCREX021)
Iain Patience