Drägerheft 396: Immundiagnostik

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Drägerheft 396: Immundiagnostik
Molekulare
In Minutenschnelle zeigt der Dräger DrugTest 5000,
wer unter dem Einfluss von Drogen steht. Seine Präzision
basiert auf SPEZIFISCHEN ANTIKÖRPERN – die passen
zu den Rauschmitteln wie ein Schlüssel ins Schloss.
Text: Dr. Hildegard Kaulen
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DRÄGERHEFT 396 | 1 / 2015
DROGENNACHWEIS
FOTO : HANS-JÜRGEN KOCH
D
Drogenkonsum ist eine gesellschaftliche Realität. Viele können
und wollen nicht mehr auf den bewusstseinsverändernden Kick verzichten, obwohl er sie früher oder später ihre Gesundheit kosten
kann. Laut einem aktuellen Bericht der Bundesregierung hat jeder
vierte Deutsche im Alter von 18 bis 64 Jahren schon einmal Cannabis konsumiert, 319.000 Bundesbürger sind abhängig von illegalen
Drogen. Die Unfallstatistik des Statistischen Bundesamts spricht
ebenfalls eine deutliche Sprache: 2013 registrierte man 3.896 Verkehrsunfälle unter Drogeneinfluss – dabei wurden 1.913 Personen
verletzt, 457 von ihnen schwer. Mehrere Dutzend Menschen starben,
weil sie selbst oder andere kurz zuvor Drogen konsumiert hatten.
Wenn Ordnungshüter die Fahrtüchtigkeit eines Verkehrsteilnehmers überprüfen wollen, darf das nicht zu lange dauern – und der Test
sollte Auskunft darüber geben, wie es um die aktuelle Situation bestellt
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IMMUNDIAGNOSTIK
Cannabis sativa
ist der lateinische Name
für Hanf. Zu sehen ist eine
lichtmikroskopische Aufnahme
der Sprossachse in
Dunkelfeld-Beleuchtung
ist. „Die Polizei muss also den gegenwärtigen Drogenkonsum messen,
nicht den zurückliegenden“, sagt Rainer Polzius, der bei Dräger für die
Entwicklung des DrugTest 5000 zuständig ist. „Es geht nicht darum,
zu zeigen, ob ein Fahrer gestern oder letzte Woche fahruntüchtig war,
sondern, ob er es jetzt ist!“ Das Gerät ist ein Speicheltest, kein Blutoder Urintest. Drogen haben im Speichel keine lange Verweildauer,
im Urin lassen sie sich wesentlich länger nachweisen. Tetrahydrocannabinol (THC), Hauptbestandteil des Cannabis, kann sogar noch Wochen später aufgespürt werden. Speichel hingegen ist bei einer Verkehrskontrolle einfach zu gewinnen – zudem lässt die Probe sich nicht
manipulieren, jeder Täuschungsversuch würde sofort bemerkt werden.
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IMMUNDIAGNOSTIK
DROGENNACHWEIS
Antikörper
sind die
molekularen
Helden
beim
Drogennachweis
Dräger DrugTest 5000 – mit spezifischen
Antikörpern lassen sich derzeit acht illegale
Rauschmittel nachweisen; darunter auch
Cannabis und Amphetamine, laut
Weltdrogenbericht 2014 die am häufigsten
konsumierten Rauschmittelarten
Der Speicheltest basiert auf einer Antigen-Antikörper-Reaktion, ähnlich wie ein Schwangerschaftstest. Antikörper sind wegen ihrer hohen
Spezifität fester Bestandteil der Immundiagnostik. Man könnte sie
auch als molekulare Helden bezeichnen. Das Immunsystem wehrt
sich mit Antikörpern gegen alles Fremde – dabei geht es sehr genau vor und bildet nur solche Antikörper, die exakt zu den fremden
Mustern passen. Treffen Antikörper auf ein spezifisches Antigen, entsteht ein Immunkomplex. Die spezifische Erkennung begründet auch
den Heldenstatus der Antikörper, weil sie die Basis für den breiten
Nutzen dieser Molekülklasse ist. In der Labordiagnostik werden Antikörper zum Nachweis von Proteinen, Hormonen, Giften oder Infektionserregern herangezogen. In der Medizin behandelt man chronischentzündliche Erkrankungen und Krebs mit Antikörpern, weil sie ihr
Therapieziel passgenau finden. Auch Impfstoffe basieren auf der Wirkungskraft von Antikörpern: Bei der aktiven Immunisierung wird ein
immunologisches Gedächtnis aus Antikörpern aufgebaut, bei der passiven helfen Ärzte in einer Akutsituation mit passenden Antikörpern
aus. Die Heldentat ist stets die spezifische Erkennung des Antigens.
Der DrugTest 5000 verwendet drogenspezifische Antikörper
für den Nachweis von mehr als einem halben Dutzend Drogen:
Amphetaminen, Opiaten, Kokain, Benzodiazepinen, Cannabis, dem
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Heroinersatz Methadon und dem synthetischen Narkosemittel Ketamin. Problematisch ist lediglich, im Speichel Reste eines Mohnbrötchens von Heroin zu unterscheiden, was chemisch aber auch
extrem schwer ist. Drogenspezifische Antikörper reagieren auf eine
Gruppe von Wirkstoffen – so werden gleich mehrere Vertreter einer
Drogenklasse erkannt. Der Speicheltest besteht aus einem Sammler
(der eigentlichen Testkassette mit den Teststreifen), einer Lösungsmittelpatrone sowie dem Analysegerät. Die Testkassette enthält
fünf Streifen mit je zwei Positionen für den Nachweis. „Es könnten
auch zehn Rauschmittel nachgewiesen werden“, sagt Rainer Polzius.
„Derzeit sind acht Plätze belegt, doch wir prüfen kontinuierlich die
Relevanz und technischen Möglichkeiten neuer Drogennachweise.“
Konkurrenz als Testprinzip
Die Teststreifen bestehen aus einer porösen Membran, der Test
selbst funktioniert automatisch. Nachdem Speichelprobe, Testkassette und Lösungsmittelpatrone in das Analysegerät eingeklinkt
wurden, wird dort die Temperatur auf einen optimalen Wert gebracht und der Speichel mit etwas Lösungsmittel vermischt. Danach werden die Teststreifen in dieses Gemisch eingetaucht, und
die Flüssigkeit wandert per Kapillarkraft in einer Richtung über den
Streifen. Dann beginnt das, was in der Fachsprache auch „Lateral
Flow Test“ genannt wird: Kurz hinter dem Startpunkt befinden sich
die drogenspezifischen Antikörper auf der Membran, in der Mitte
jedes Teststreifens lagert eine geringe Menge der nachzuweisenden Droge. Wenn das Gemisch aus Speichel und Lösungsmittel
über den Teststreifen wandert, werden die drogenspezifischen Antikörper aus der Membran herausgelöst und mitgenommen. Enthält
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Methylamphetamin
bildet Kristalle,
die an Eis erinnern.
Das Bild zeigt
diese unter dem
Polarisationsmikroskop
Kleines Lexikon
der Moleküle
Mit dem Immunsystem schützen sich
Lebewesen vor fremden Substanzen oder
Erregern. Seine wichtigsten Protagonisten
helfen auch der Immundiagnostik.
Antigen = Substanz, die vom Immunsystem als fremd
erkannt wird und zur Bildung von Antikörpern führt.
Antikörper = Proteine, die von den B-Zellen
des Immunsystems gebildet werden. Sie erkennen
Antigene und helfen, diese im Rahmen einer
Immunantwort abzuwehren.
B-Zelle = Immunzellen, die zu den weißen
Blutkörperchen gehören und Antikörper bilden.
B-Zell-Klon = Ein B-Zell-Klon ist eine Gruppe
identischer B-Zellen, die aus einer einzigen B-Zelle
durch Teilung hervorgegangen sind.
FOTOS: DRÄGERWERK AG & CO. KGAA, DENNIS KUNKEL MICROSCOPY, INC./VISUALS UNLIMITED/CORBIS
Epitop = der Teil des Antigens, der vom
Antikörper erkannt und spezifisch gebunden wird.
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Immundiagnostik = Gebiet der Diagnostik,
das Substanzen oder Moleküle über die hohe
Spezifität einer Antigen-Antikörper-Reaktion
erkennt. Der Nachweis erfolgt über Markierungen
an den Antikörpern. Es werden in der Regel
monoklonale Antikörper verwendet.
Monoklonale Antikörper werden von einem
einzigen B-Zell-Klon gebildet und erkennen
nur ein einziges Epitop des Antigens. Monoklonale
Antikörper sind untereinander identisch.
Polyklonale Antikörper werden von verschiedenen
B-Zell-Klonen gebildet und erkennen verschiedene
Epitope des Antigens. Polyklonale Antikörper sind
ein Gemisch verschiedener Antikörper.
Schlüssel-Schloss-Prinzip = Grundsatz, nach dem
zwei oder mehrere komplementäre Strukturen nur
dann ihre biologische Funktion erfüllen, wenn sie exakt
zusammenpassen. Die Erkennung eines Antigens
durch einen Antikörper folgt diesem Grundsatz.
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IMMUNDIAGNOSTIK
DROGENNACHWEIS
Schnelltest
in weniger
als zehn
Minuten
der Speichel Drogen, verbinden sich die Moleküle sofort mit dem
jeweiligen Antikörper. Dieser kann sich dann nicht mehr an die in
der Mitte liegende Vergleichssubstanz binden, weil er schon mit
den Drogenmolekülen aus der Speichelprobe besetzt ist. Sind
keine Drogen im Spiel, passiert Folgendes: Die Antikörper heften sich an die Vergleichssubstanzen in der Mitte, weil sie nicht
mit den Drogenmolekülen aus dem Speichel reagiert haben. Das
Testprinzip ist also eine Konkurrenzreaktion. Der sichtbare Nachweis erfolgt über eine Markierung an den drogenspezifischen Antikörpern. Dabei handelt es sich um Goldpartikel, die Licht einer
bestimmten Wellenlänge abstrahlen, sobald sie selbst angestrahlt
werden. Registriert das Analysegerät ein Lichtsignal, hat sich der
Antikörper an die Droge in der Mitte des Teststreifens gebunden.
Das bedeutet, dass keine Drogenmoleküle im Speichel vorhanden
sind. Wird kein Lichtsignal registriert, ist dies ein nahezu sicherer Drogennachweis. Es gibt also eine umgekehrte Beziehung zwischen der Drogenkonzentration im Speichel und der Signalstärke
über den in der Mitte des Teststreifens gebundenen Antikörper.
Nach fünf Minuten liegt das Ergebnis für sieben Drogen vor – bis
auf Cannabis. Der Nachweis von Tetrahydrocannabinol braucht rund
drei Minuten länger. Der DrugTest 5000 ist ein Vortestgerät, das
den aktuellen Drogenkonsum mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersagt. In welchen Mengen und von welcher Güte, muss im Labor überprüft werden, denn auch Mohnbrötchen oder Hustensaft
können Spuren von Opiaten enthalten.
wie der Kernenergie sowie (Petro-)Chemie. „Drogentests sind hierzulande freiwillig oder eindeutig durch eine Betriebsvereinbarung geregelt“, erklärt Rainer Polzius. „Nach einem Urteil des Hamburger Arbeitsgerichts dürfen allerdings verdachtsfreie Kontrollen durchgeführt
werden, wenn die Tätigkeit mit einer erheblichen Gefahr verbunden
ist und sich die aktuelle Arbeitsfähigkeit nicht auf andere Weise feststellen lässt.“ In den Vereinigten Staaten, Australien und anderen europäischen Ländern ist das anders. In diesen Ländern stellt man die
Sicherheit über das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer. Schließlich sieht man den meisten Menschen ihren Konsum nicht an, weil
sie nicht das gängige Klischee eines Junkies erfüllen.
Risiko: Neue Drogen
Mit dem Speicheltest kann nicht nur die Fahrtüchtigkeit überprüft
werden, sondern auch der Drogenkonsum am Arbeitsplatz oder im
Strafvollzug. In Deutschland sind Drogentests am Arbeitsplatz eine
Seltenheit, weil sie gegen das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer
verstoßen. Dabei gibt es viele Berufe mit hohem Unfallrisiko, bei denen Drogenkonsum verheerende Folgen haben kann: etwa bei Berufskraftfahrern, Piloten, Stapel- und Kranfahrern – oder in Branchen
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FOTO : STAR-MEDIA
Drogentests am Arbeitsplatz
Der Drogenmarkt wird von immer neuen psychoaktiven Substanzen überschwemmt: „New
Psychoactive Substances“ (NPS) sind Abkömmlinge
zugelassener Medikamente, Naturstoffe oder Verbindungen, die die pharmazeutische Industrie irgendwann
einmal synthetisiert und wieder aufgegeben hat.
Keines der Produkte wurde je rigoros getestet. Die
Nebenwirkungen, Giftigkeit und Verteilung im Körper
werden erst allmählich aus den Akten der Notaufnahmen oder den Obduktionsberichten der Rechtsmedizin
herausgelesen. Abgabe und Besitz der neuen Drogen
sind strafbar, wenn sie dem Betäubungsmittelgesetz
(BtMG) unterliegen. Für einige ist das der Fall, für
viele nicht. Entweder weil man sie noch gar nicht
kennt oder weil der Prozess Zeit kostet. Sobald die
Substanzen im BtMG gelistet
werden, modifizieren Drogenköche
das chemische Grundgerüst und
umgehen so das Gesetz. Das Ganze
wirkt wie ein Hase-und-Igel-Rennen,
bei dem (meist) die Drogenköche
die Nase vorn haben. Jede
Woche werden ein bis zwei neue
Designerdrogen angeboten.
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Nachweiszeiten für Drogen
Rauschmittel lassen sich unterschiedlich lange in Blut, Speichel und Urin nachweisen.
Die Balken zeigen die Dauer in Stunden. THC-COOH lässt sich bei regelmäßigem Konsum noch
Wochen später durch eine Urinprobe nachweisen.
Amphetamine
Blut
46
20–50
Speichel
24–72
Urin
Methylamphetamine
48
24
87 (+51)
ANSICHT AUF DIE
TESTKASSETTE
Tetrahydrocannabinol
5
4–16
10
Tetrahydrocannabinol-COOH (Carbonsäure)
36
34–87
Kokain
12
5–12
Benzodiazepine
48
12–24
48–72
Morphine
20
12–24
72 Stunden
Negativer
Nachweis
„Negativ“
2
Ohne Drogen im
Speichel bindet sich der
markierte Antikörper
an die Referenzsubstanz
in der Mitte. Das Signal
steht für einen negativen
Drogentest.
Positiver
Nachweis
1
Probenfluss
LED
2
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Detektor
Signal
„Positiv“
Drogen im Speichel binden
sich an den markierten Antikörper und verhindern, dass
er in der Mitte andockt. Das
fehlende Signal steht für
einen positiven Drogentest.
Kokain – Opiate
Signal
Benzodiazepine
Detektor
Tetrahydrocannabinol
Probenfluss
LED
96 Stunden
Methylamphetamine
1
48 Stunden
Amphetamine
24 Stunden
11–54
Sie enthält fünf nebeneinanderliegende Drogenstreifen. Mit den freien
Enden wird das Gemisch
aus Speichel und Lösungsmittel angesaugt. Die
Laufrichtung ist in diesem
Bild von oben nach unten.
Die dunkelblauen Felder
stehen für die drogenspezifischen Antikörper. Die
hellblauen Linien zeigen
Referenzsubstanzen, die
mit den Drogen im Speichel
um die markierten Antikörper konkurrieren.
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