" C.D. Friedrich "Die Lebensstufen" – gemalte

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" C.D. Friedrich "Die Lebensstufen" – gemalte
Unterrichtsentwurf Kunst: „C.D. Friedrich "Die Lebensstufen" – gemalte Schwellen- oder Grenzerfahrung?"
Schule: Gymnasium
Datum: 4. Mai 2006
Stunde: 5.
Fach: Kunst
Klasse/Kurs: 11
Aktuelles Kursthema:
Bildbeschreibung und -analyse
Thema der Unterrichtsreihe:
Die Romantik als Epoche und Phänomen – Kennzeichen, Motive und Motivationen
Thema der Unterrichtsstunde:
C.D. Friedrich "Die Lebensstufen" – gemalte Schwellen- oder Grenzerfahrung?
Kernanliegen der Unterrichtsstunde: Schülerinnen und Schüler untersuchen "Die Lebensstufen" nach ausgewählten Schwerpunkten und
reflektieren die im Bild gestalteten Schwellen-, Grenzsituationen und Übergänge auf ihren Symbolgehalt.
Feinziele:
Eigenes Wissen wird reflektiert und typische Merkmale Friedrichs implizit und explizit bearbeitet,
autobiografische Bezüge werden am Bild kontrovers besprochen, die Formensprache wird in Bezug auf das
Phänomen der Grenze gedeutet, Menschendarstellungen werden gedeutet
Lernvoraussetzungen
Zuvor wurde mit C.D. Friedrich: „Wanderer über dem Nebelmeer“ ein Bild besprochen und zum Teil auf die Motive und Symbolik hin untersucht.
Die Stunde steht an zweiter Stelle in folgender Sequenz (Sequenzen entsprechen nicht unbedingt Einzelstunden):
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1. "Wanderer über dem Nebelmeer" – Natur- oder Selbsterfahrung?" Hier wurden im ersten Teil anhand von Zitaten die kulturelle Bedeutung
von Wandern, Bergsteigen erarbeitet. Im zweiten Teil wurde das Bild auf dieses Phänomen bezogen, zum Teil auch schon Phänomene wie
die Symmetrie besprochen.
2. "Die Lebensstufen" – Schwellen- oder Grenzerfahrungen im Bild
3. Bildvergleich der Schiff-Symbolik bei Friedrich und Turner anhand "Die Lebensstufen" (Wiederholung) und "Fighting Temenaire" von J.
W. Turner – weiterführend Kennzeichen der Romantik in Großbritannien; Ähnlichkeiten/Unterschiede zu Romantik Friederichs
4. Die "Dunkle Romantik: Woher Hollywood die Schauermotive hat" (Blake und sein Einfluss auf Fantasy-Kultur und populärer Kunst wie
dem "Tatoo")
Die Stunde steht im Nachlauf der ersten Stunde und soll die inhaltlichen und formalen Schwellensituationen in Friedrichs Werk auf verschiedenen
Ebenen verdeutlichen. Sie greift damit in allerdings theoretisch fortgeschrittener Form die schon im "Wanderer" aufgezeigte Schwellensituation auf,
die damals eher spontan und aus der Lebenswelt (z.B. als "Kick" der Extremerfahrung von Bergsteigern) heraus analysiert wurde. Sie dient in
gewisser Weise also der vertieften Untersuchung eines Phänomens, das am Rande bereits auftauchte.
In den nachfolgenden Stunden wird noch ein Bildvergleich mit einem zum heutigen Gegenstand ähnlichen Motiv ("Schiff") und ähnlichen
Phänomen ("Schwellensituation/Grenze/Übergang"1) wahrscheinlich anhand der "Fighting Temenaire" von Turner anstehen. Im letzten Teil würde
ich gerne noch Blake und seine phantastische Romantik anschließen, weil sich hier (meines Erachtens) die besten Anschlüsse an die heutige
Lebensweltkultur finden lassen.
Didaktisch-methodische Überlegungen
Nach dem hausinternen Curriculum steht die "werkimmanente Bildbeschreibung und -analyse" im Vordergrund. Diese Stunde greift zwei
Werkzeuge (Formanalyse, Personenkonstellation) auf, ergänzt aber einmal die Symbolsprache und die Biografie-Hintergrund zwei
werkübergreifende Verfahren. Dies liegt auch darin begründet, dass die Symbolik eine zu große Rolle spielt (vgl. Titel) um das Bild nur nach
formalen Kriterien durchzusprechen. Eine
Die Stunde könnte an den Lehrplan v.a. in den Lernaspekt IIa "Konzepte bildnerischer Gestaltung" angebunden werden, weil sie die Hintergründe
der Gestaltungen reflektiert. Gleichzeitig kann durch den symbolhaften Gehalt (vielleicht im Sinne einer Utopie) eine Anknüpfung an Lernaspekt
IVa) "Bildnerische Gestaltungen als Ausdruck gesellschaftlicher Normen und Vorstelllungen, als Kritik und Gegenentwurf" festgestellt werden.
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Mir schwebt vor, insbesondere anhand des Temenaire-Mythos (das Schiff symbolisiert die Ära der Segelkriegsschiffe und wird von einem Dampfschlepper zum Abwracken
geschleppt) den Hintergrund der industriellen Revolution bzw. den darauf anspielenden Symbolismus Turners als Übergangssituation in den Mittelpunkt zu setzen. Diese
Schwellensituation wird aber vor der Besprechung der formalen Unterschiede (Bildaufbau, Maltechnik, Lichtführung) bei Turner zurücktreten.
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Durch die Hausaufgabe sollen die Schülerinnen und Schüler an den Gegenstand herangeführt werden. Im Zusammenhang mit der Aufgabe
("Versetzen Sie sich in die Rolle eines Schülers des Malers C.D. Friedrich, der ein unvollendetes Werk von Friedrich vollenden soll. Sie haben
einen Bildentwurf des „Meisters“ bekommen und müssen den nun so fertig stellen, wie es Friedrich wohl gemacht hätte.") erfüllt dieser Schritt
mehrere Funktionen. Er dient einerseits als nochmalige Anwendung schon am "Wanderer über dem Nebelmeer" entwickelter und besprochener
Inhalte (die explizit als Tafelbild festgestellt wurden), lässt sich auch als eine Art (stark) individualisierter und verzögerter Rezeption denken,
zumindest für den gegebenen Vordergrund. Die Schülerinnen und Schüler sollen durch das (künstliche) Hineinversetzen in die Rolle des Malers
nicht völlig unabhängig/subjektiv arbeiten, sondern auf Basis ihres expliziten Wissens (z.B. "C.D. Friedrich arbeitet symmetrisch") und/oder ihres
intuitiven Wissens arbeiten. Um im letzteren Fall ein Abgleiten in nicht mehr mit Friedrich in Verbindung zu bringende Bildinhalte zu verhindern,
ist hier also nicht das Künstler-Ich des Schülers gefragt, sondern das eines Adepten. Zudem sollte die schriftliche Reflexion – so mager sie auch sein
mag – die Kriterien deutlich machen. Grade dieser kleinere Teil der Aufgabenstellung ermöglicht beim Sortieren der Bilder durch fremde Schüler
vielleicht auch ein besseres Zuordnen.
Im Fall, dass eine Zuordnung aufgrund der Entwürfe schwierig wird und damit den Zeithorizont zu sprengen droht, kann ich hier als Option die
Sortierkriterien nicht nach dem "Was ist zu sehen" des Bildes, sondern nach dem "Was wurde gewollt" des erstellenden Schülers einengen.
Ich habe längere Zeit überlegt, ob ich die Aufteilung der Vorlage anders gestalten möchte (z.B. schlicht vertikal geteilt). Doch diese Teilung hätte
möglicherweise schon den speziellen Ort des Bildes klar gemacht, die Küste. Ich erwarte, dass die Schülerinnen und Schüler in der Tat einen
ähnlichen Bildaufbau wie Friedrich wählen: die Landschaft im Hintergrund ist wahrscheinlich menschenleer und sicherlich werden auch Elemente
wie "Nebel" oder ähnliches auftauchen. Es ist möglich, dass Schülerinnen und Schüler statt einer Seenlandschaft ein Gebirge zeichnen, das zeigt
auch die (relative) Austauschbarkeit, das Zweigeteilte bzw. die Ablösbarkeit von Vorder- und Hintergrund, das später auch in Bezug auf Gruppe B
(Frage 3, "Langweiligkeit") interessant sein kann.
Nachdem die Schülerinnen und Schüler die Bilder geordnet haben und den Entwurf herausgesucht haben, der nach ihrer Meinung am ehesten zu
Friedrich passt, werden (auf einem extra Blatt/ggf. am Laptop) die aus den Gruppen eher typischen Eigenschaften sehr kurz in Stichworten
gesammelt. Möglicherweise ist hier ein Rückgriff auf das schon besprochene "Wanderer über dem Nebelmeer" sinnvoll.
Dann wird das Original-Bild vorgestellt (,der Titel genannt,) und die Frage gestellt, ob das Bild insofern den Erwartungen entsprach, als dass es
Ähnlichkeiten zu den Hausaufgaben gibt. Diese Diskussion kann im Fall, dass die Schülerinnen und Schüler Ähnlichkeiten finden, schon einen
weiterführenden Einstieg bieten. So wird allein durch die Nennung des Titels die Symbolik deutlich.
Nach dem Impuls/Vortrag des Zitats von Wieland Schmied: "…immer wieder hat C. D. Friedrich diesen Augenblick gemalt: ein einsamer
Wanderer oder ein Freundespaar oder Mann und Frau oder eine kleine Gruppe städtisch gekleideter Menschen sind auf ihrem Weg durch die
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Natur unvermittelt an eine Grenze geraten. […] Die Wanderer bleiben stehen, sie halten inne, sie schauen die Natur an. Es ist, als stünden sie an
der Schwelle zu einer anderen Welt."2 sollen die Schülerinnen und Schüler in Gruppen dieses Grenz-Phänomen erkunden.
Möglich wäre noch vorher oder danach ein kurzes Brainstorming zum Wortfeld "Grenze","Grenzerfahrung" und Erklärung meinerseits sollten die
Gruppen vier Untersuchungsschwerpunkte (Biografische Deutungslinie, Form/Aufbau, Personenkonstellation, Symbolraum) bearbeiten.
Die Wahl folgt nach dem Interesse der Schülerinnen und Schüler.
Die Fragen sind zum Teil aufsteigend schwierig gestellt, nach Möglichkeit ist zunächst eine praktische Bearbeitung, z.B. eine Zeichnung, oder eine
konkrete Fragestellung vorangestellt (z.B. die Zuordnung von "Dialogen" zu den Figuren).
Ich habe meist die "Grenze" als leitendes Phänomen integriert, das könnte für die Schülerinnen und Schüler eine Herausforderung werden. Bei der
Gruppe D ("Symbolik") ist nicht unbedingt zu erwarten, dass das Phänomen der Grenze direkt auftaucht. Auch aufgrund knapper Zeit werden
möglicherweise nicht alle Aufgaben abgearbeitet werden können.
Die Sammlung der Gruppenergebnisse werde ich wohl am Laptop machen, was u.a. damit zusammenhängt, dass die Tafel für die Ergebnisse nicht
ausreicht und das ganze ökonomischer ist. Die Ergebnisse werden danach auf meinem Lernserver online gestellt, die Schülerinnen und Schüler sind
aber generell aufgefordert, mitzuschreiben und eigene Ideen zu ergänzen.
Die Gruppen sollen ihre (kontroversen) Ergebnisse vortragen, der Rest der Gruppe kann Rückfragen stellen.
Als Hausaufgabe sollen die Schülerinnen und Schüler einen Essay über die beiden Bilder (ggf. noch weitere, im Internet recherchierte) Bilder
schreiben, der das Phänomen der "Grenzerfahrung" in Friedrichs Werken thematisiert: "Caspar David Friedrich: Gemalte Grenzerfahrungen?".
Dabei können Sie sich enger oder weiter an die Ergebnisse der Stunde anlehnen.
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Nach: P. Fischer in: Meisterwerke der Kunst 48/2000; S. 4
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Die Aufgaben für die frei wählbare Phase sind:
A -Biografisches Denkrichtung – steht das Bild biografisch für die "Nähe zum Tod"?
1. Lest die Kurzbiografie. C. D. Friedrich malte dieses Werk sozusagen als "sein letztes Bild", der Titel scheint auf eine metaphorische/allegorische
Bedeutung hinzuweisen.
2. Sammelt Pro- und Contra-Argumente zu der These: "Dem "Lebensstufen"-Bild ist anzusehen, dass es mit Friedrichs nahendem Sterben/Tod in
Verbindung zu bringen".
B -Aufbau/Form-Analyse:
1. Untersucht das Bild mit Hilfe der "Form-Analyse", benutzt dazu die vergrößerten Kopien (ihr solltet diese nachher dem Plenum vorstellen).
→Gibt es "Grenzen" auch in dem Bildaufbau? →Schaut euch auch noch einmal die Hausaufgaben der Kursteilnehmer an.
2. Gibt es hier in der Machart Ähnlichkeiten oder Unterschiede zum "Wanderer über dem Nebelmeer"?
3. (Zusatzaufgabe, sofern noch Zeit bleibt): Nehmt Stellung zu folgender, in Bezug auf das Spätwerk von Friedrich geäußerten Kritik an seiner
Bildkomposition: Die Bilder seien "schwer zu verstehen", sie wäre "monoton" und "öde".
C Personengruppe – gibt es dort (un-) sichtbare "Grenzen"?:
1. Macht eine Analyseskizze der Blickrichtungen der Personen und diskutiert die Ergebnisse, benutzt dazu die vergrößerten Kopien (ihr solltet diese
nachher dem Plenum vorstellen)
2. In welcher Beziehung stehen die Personen? (Vielleicht hilft es euch, den Vordergrund als eine Art Bühne zu sehen und den fünf Schauspielern
"Dialoge/Monologe" in den Mund zu legen).
3. Gibt es "Grenzen" innerhalb der Figurengruppe und wenn ja, wie kann man die Art der "Grenzen" beschreiben?
D Bild als Symbol-Raum:
1. Klärt in einer Assoziationskette, welche kulturelle Symbolik die einzelnen Gegenstände/Personen auf dem Bild haben mögen. Am besten ihr teilt
euch auf – einer übernimmt z.B. das Schiff … (Das Verfahren haben wir schon mal mit "Der Wanderer über dem Nebelmeer" durchgeführt).
Nutzt das Papier und schreibt die Bedeutungen hinzu.
2. Zeichnet im Bild Verbindungslinien zwischen den Bildteilen ein, die ähnliche Symboliken haben. Sollte es Gruppen von Symbolen geben, die
sich widersprechen, zeichnet das ggf. mit Rot ein.
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Verlaufsplan der Unterrichtsstunde Kunst 04. Mai 2006
Zeit
Phase
Unterrichtsschritte
Methode/Medien
Anmerkungen
11.40-11.50
ca. 10 Min
Einstiegsphase, HA
Vorstellung des Stundenablaufs; Präsentation
der HA, "Ordnen" der Bilder nach
formalen/motivlichen Kriterien und der Frage,
welches Bild aus der Gruppe nun typisch
Friedrich ist….
Auslegen der Bilder;
Sortieren, Präsentation
& Sammlung, Beamer
11.10-11.55
5 Min
Sammlung: "Typisch
Friedrich ist…"
Was ist offensichtlich "typisch Friedrich"
Diskussion/Sammlung
11.55- 12.00
5 Min.
Vergleich mit
Original
Diskussion/ Laptop und
Beamer
12.00 Uhr
Zitat
12.05-15
Gruppenarbeitsphase
Den Schülern wird das Original präsentiert und
gefragt, ob es Abweichungen oder Parallelen
zur HA gibt.
Das Zitat von Wieland Schmied wird
vorgetragen.
Entlang der Arbeitsaufgaben
Diese HA soll an den Gegenstand heranführen,
die Schüler können durch das Ordnen sich der
"Richtlinien" des eigenen (mehr oder weniger
intuitiven) Gestaltungsprozesses versichern,
die später am Original überprüft werden
können.
Erwartbar ist der Bezug zwischen
Landschaft/Beobachterfigur, die Weite der
Landschaft. Die Ergebnisse werden sich z.T.
mit den Ergebnisse der vorangegangenen
Stunde überschneiden.
Auch durch den Titel wird die
Symbolhaftigkeit deutlicher.
12.15-25
Sammlung/Sicherung
Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse
12.25
HA stellen
"Schreibt einen Essay über die Grenze als
Phänomen bei Friedrich"
Das Zitat leitet das Phänomen der
"Grenzerfahrung" ein
GA, ggf. Hilfestellung
vom Lehrer
Es sollte darauf geachtet werden, dass die
Ergebnisse am Bild auch möglichst konkret
festgemacht werden, damit eine Diskussion
entstehen kann.
6
Wieland Schmied schreibt in einem Buch mit dem bezeichnenden Titel „Caspar David Friedrich - Zyklus, Zeit und Ewigkeit": „Dieser Künstler
wird nicht müde, immer wieder das Gleiche zu sagen. Er sagt es eindringlich, nie eintönig: unser Dasein ist ein Leben zum Tode..."
Diese Feststellung mag überraschen - vor allem für unser Bild. Sie ist aber eine zusammenfassende Deutung vieler Bilder von C. D. Friedrich,
wobei W. Schmied „Die Lebensstufen" den sogenannten Heimkehrbildern zuordnet. In der Symbolsprache von C. D. Friedrich heißt das ungefähr:
der alte Mann will das Dieseits (=Land) anscheinend verlassen, er ist am Ende seines Lebensweges, er sieht noch einmal die Stufen seines Lebens in
den jüngeren Menschen und den Kindern, blickt auf den Übergang (=Meer) vom düsteren Leben ins hellere jenseits (=Himmel). Vielleicht kommen
die Schiffe - oder sein Schiff - um ihn abzuholen?
C. D. Friedrich hat das Bild 5 Jahre vor seinem Tod nach schwerer Krankheit noch vollenden können - man kann sich also vorstellen, daß ihm das
Ende seiner Zeit bewußt war.
So kann es sich - schon von der Situation her - nur um ein aus mehreren Visionen zusammengesetztes Gedankenbild handeln.
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