beständigkeit - Deutsche Bank Wealth Management
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beständigkeit - Deutsche Bank Wealth Management
Mitarbeiter dieser Ausgabe Gerald Bucher, Sarah Elsing, Andreas Feßer, Paul Flückiger, Mar tin Haake, Dan Hannen, Ingeborg Harms, Volker Hinz, Hans-Michael Koetzle, Erna Lackner, Andreas Lindlahr, Alexander Marguier, Axel Mar tens, Sven Michaelsen, Konrad R. Müller, Christiane Opper mann, Har tmut Palmer, Manuel Pandalis, Jan Rieckhoff, Lisa Rokahr, Daniela Schröder, Wieslaw Smetek, Michael Specht, Jörn Voss, Harf Zimmermann Anzeigenvermarktung Life! Mediahouse GmbH, Gasstraße 18, 22761 Hamburg, www.lifemediahouse.de Repro Einsatz Creative Production, Pinnasberg 47, 20359 Hamburg, www.einsatz.de Druck Beisner Druck GmbH & Co. KG, Müllerstraße 6, 21244 Buchholz, www.beisner-druck.de Nachdruck, auch in Auszügen, nur mit Genehmigung von Wealth Management und dem Verlag. Keine Gewähr für unverlangt eingesandte Manuskripte oder Fotos. Keiner der Beiträge und keine Aussage darin stellt eine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Produkten und Dienstleistungen des Herausgebers oder anderer Unternehmen der Deutsche Bank Gruppe dar. Beiträge, Inter views und Zitate geben ausschließlich die Meinung der Autoren bzw. der zitier ten Personen wieder. Eine Plattform zum Austausch von Ideen zu schaffen und einen intensiven Dialog zu fördern, beispielsweise zum wichtigen Thema der nachhaltigen Investments, ist dem Wealth Management der Deutschen Bank ein großes Anliegen. Die Bandbreite reicht dabei von Vermögensverwaltungen, die nach rein ethischen Kriterien arbeiten, bis hin zu Investments, die eine Brücke zwischen philantropischem Ansatz und nutzenorientiertem Anlegen schlagen. Ein Beispiel ist der „Africa Agriculture and Trade Investment Fund“ (AATIF), der in kleine und mittlere afrikanische Unternehmen investiert und so die Lebensbedingungen der Menschen in der Region verbessert. Menschen in Entwicklungsländern zu helfen und soziale Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, das ist auch seit Jahren das Anliegen des Friedensnobelpreisträgers Prof. Muhammad Yunus, der seinen Social-Business-Ansatz exklusiv vor Gästen des Wealth Management erklärt hat: „Ein Charity-Dollar wird nur einmal eingesetzt“, sagte der Wirtschaftswissenschaftler. „Ein Social-Business-Dollar wird immer wieder investiert und trägt zur Lösung eines konkreten sozialen oder ökonomischen Missstands bei.“ Als ein Beispiel nannte er die Nachtblindheit von Kindern in Bangladesch. Da sie auf Vitaminmangel zurückzuführen ist, verkaufte Yunus für einen geringen Betrag Saatgut an arme Familien. Durch den Verzehr selbstangebauten Gemüses konnte die Nachtblindheit eingedämmt werden. Wir im Wealth Management sind immer wieder bestrebt, gesellschaftlich relevante Diskussionen aufzugreifen und Zugänge zu schaffen. Fotos: D e u t s c h e B a n k n o. 7 – 2 0 12 Weal t h Management Herausgeber Deutsche Bank AG Wealth Management, Taunusanlage 12, 60325 Frankfur t, www.pwm.db.com V.i.S.d.P. Michaela Luhmann-Utsch, Kerstin Rapp Verlag BEHNKEN & PRINZ GMBH & CO. KG , Hohe Bleichen 24, 20354 Hamburg, www.behnkenprinz.com Chefredaktion Wolfgang Behnken, Leonard Prinz Art Direktion Alexandra Engelhard Layout Anna Moritzen Fotoredaktion Gesche Wendt, Nadine Yun Die Deutsche Bank hat bei den „Digital Communication Awards 2012“ in der Kategorie „YouTube Channel“ Platz 1 belegt. Die internationale Auszeichnung wird von der Quadriga Hochschule Berlin an Unternehmen, private Institute und Nichtregierungsorganisationen aus ganz Europa vergeben. Die Preisträger werden dabei von einer hochrangig besetzten Jury aus Wissenschaft und Wirtschaft ausgewählt, im Mittelpunkt stehen besonders innovative Lösungen in der Online-Kommunikation. Die Deutsche Bank wurde für ihre innovativen digitalen Animationsfilme und Infografiken gelobt, da sie einen wichtigen Beitrag zu aktuellen Wirtschaftsthemen und -diskussionen leisten. Die Filme kann man online bei YouTube sehen, die Infografiken sind bei Visual. ly zu sehen. Durch das Internet erreichen die Studienergebnisse der Deutschen Bank mehrere Hunderttausend Menschen auf einmal. Die Fachjury war davon angetan, wie es der Deutschen Bank gelingt, hochkomplexe Studienergebnisse und Analysen, zum Beispiel von den Experten von DB Research, leichtverständlich und unterhaltsam darzustellen. „Die digitale Kommunikation ist ein sehr wichtiger Bestandteil der Kommunikationsstrategie der Deutschen Bank“, sagt Thorsten Strauß, Global Head of Communications, CSR & Public Affairs der Deutschen Bank. „Zukünftig werden wir die Kommunikation der Bank im Internet – vor allem im Web 2.0 – noch weiter ausbauen.“ Das Magazin für Geist, Geld & Gesellschaft i mpressu m AUSZEICHNUNG FÜR DIE DEUTSCHE B ANK no. 7 – 2 012 DIALOG MIT PROFESSOR YUNUS INFORMATION Das preisgekrönte Video „The Digital Society“ und andere Filme der Deutschen Bank können Sie bei YouTube anschauen. BESTÄNDIGKEIT 75 jahre volkswagen: ein starkes stück deutschland report: immobilien, infrastruktur, energie – eine führung durch die welt der sachwerte werte-gespräche: hans-dietrich genscher, wolfgang joop und klaus von dohnanyi mythos leica: die kamera, die den blick auf die welt veränderte werte regional: 14 seiten aus der freien und gründerstadt hamburg K A P I TA L M A R K TA U S B L I C K WERTE DEUTSCHLAND FÄHRT WEITER VORAUS KAPITALMARKTAUSBLICK 2013: KONJUNKTURELLE AUSSICHTEN UND ANLAGECHANCEN. Text: MARCEL HOFFMANN • Illustration: WIESLAW SMETEK E ine Reihe politischer Unsicherheiten führte 2012 zu einer deutlichen Verlangsamung der globalen Konjunktur. In den USA waren im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen die Fronten zwischen Demokraten und Republikanern so verhärtet, dass keine Einigung in Budgetfragen möglich war und das Risiko für automatische Haushaltskürzungen (häufig als Fiskalklippe bezeichnet) zunahm. Wegen der Unsicherheiten in Bezug auf Abschreibungsmöglichkeiten und Steuerpolitik hielten sich die Unternehmen 28 mit Investitionen zurück. In China hatte sich das Wachstum ebenfalls abgeschwächt, und die Führungsriege nahm vor dem Machtwechsel auf dem 18. Parteitag der Kommunistischen Partei keine stärkeren fiskalpolitischen Stützungsmaßnahmen vor. In Europa belasteten die starken Einschnitte zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte vor allem in den südlichen Peripherieländern sowie die anhaltenden Unsicherheiten in Bezug auf die Reformmaßnahmen und EU-Rettungsinstrumente. Die aus diesen Unsicherheitsfaktoren resultierenden Belastungen haben mittlerweile abgenommen. In Europa hat vor allem die Einführung des Ankaufprogramms der EZB für Staatsanleihen (Outright Monetary Transactions, OMT) zu einem deutlichen Stimmungsumschwung geführt. In den USA hat nach der Wahl die Hoffnung zugenommen, dass eine Einigung in der Haushaltsplanung gefunden werden kann, und in China wird erwartet, dass die neue Führung weitere Reformen voranbringt. Der Stimmungsumschwung macht sich bislang vor allem in den Geschäftsklima-Indizes bemerkbar. Doch lässt dies darauf schließen, dass im Verlauf des Jahres 2013 auch die fundamentalwirtschaftlichen Daten folgen werden. Unsere volkswirtschaftliche Abteilung geht davon aus, dass das globale Wirtschaftswachstum sich im Jahr 2013 auf 3,1 Prozent beschleunigen wird. Die stärksten Zuwachsraten werden in den aufstrebenden Ländern Asiens erwartet, die USA sollten mit 1,9 Prozent wachsen, und die Eurozone hinkt vor allem aufgrund der in Rezession verharrenden südlichen Peripherieländer mit einem erneuten Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent hinterher. Deutschland behauptet sich innerhalb der Eurozone vergleichsweise gut. Wie die Bruttoinlandsproduktzahlen des dritten Quartals gezeigt haben, liefern die Konsumausgaben und Bauinvestitionen einen soliden Wachstumsbeitrag. Eine entscheidende Rolle spielen aber weiter die Exporte. Hier bewähren sich die Flexibilität und der gesunde Produktmix der deutschen Unternehmen. Die regionale Verschiebung der globalen Wachstumszentren spiegelt sich in der Struktur der deutschen Güterexporte wider. Wie Daten des Statistischen Bundesamts zeigen, hat sich der Anteil der Ausfuhren in die von der Schuldenkrise gebeutelten Länder der Eurozone 2012 deutlich auf zuletzt nur mehr knapp 40 Prozent verringert. Exporte in die USA (Januar bis August 2012 plus 21 Prozent gegenüber dem Vorjahr) und China (plus acht Prozent) konnten demgegenüber deutlich wachsen. Auffallend ist dabei, dass die Exporte dabei stark auf einzelne Branchen konzentriert sind. Vor allem die Automobilindustrie, der Maschinenbau und die Pharmabranche konnten in diesem Jahr ihre Exporte in die USA steigern. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Exporten nach China. Auch hier konnten vor allem der Automobilsektor und Maschinenbau zulegen, deutliche Steigerungsraten gab es aber auch bei Elektronikexporten. Aus der Perspektive internationaler Investoren gehört Deutschland zu den attraktivsten Anlageländern auf dem Globus. Innerhalb Europas ist es das Land mit der besten Wachstums-Schulden-Relation. Weltweit betrachtet, beheimatet es eine ganze Reihe globaler Marktführer und Exportchampions. Die Konditionen für den Einstieg in deutsche Aktien sind infolge der Schuldenkrise attraktiv. So weisen deutsche Aktien im internationalen Vergleich mit die niedrigsten Bewertungen auf. Die Zinsen sind günstig, was aus Unternehmenssicht vorteilhaft für die Konsolidierung der Bilanzen und neue Investitionen ist. Aus Anlegersicht sind die extrem niedrigen Zinsen hingegen ein Ärgernis. Die Renditen deutscher StaatsFoto: Deutsche Bank anleihen sind selbst im längeren Laufzeitbereich so niedrig, dass sie auf absehbare Zeit keinen Ausgleich der Inflation ermöglichen. Währungsaspekte spielen für inländische Anleger bei der Anlage in deutschen Staatsanleihen keine Rolle. Internationale Investoren können im Fall eines Scheiterns des Euros mit der Aufwertung einer neuen Währung rechnen. Inländische Anleger hätten in diesem Fall oder im Fall einer neuerlichen Eskalation der Schuldenkrise lediglich temporäre Kursgewinne als Resultat eines Wiederauflebens des „sicheren Hafen“-Aspekts. Für den Erhalt des Vermögens ist dies nicht ausreichend. Auch die Renditen im hochgeschätzten deutschen Pfandbriefmarkt ermöglichen kaum eine Vermögensmehrung. Die „doppelte Sicherheit“ durch Emittentenbonität und Sondervermögen gehen zu Lasten der Rendite. Auswege eröffnet das Segment der Unternehmensanleihen. Gesunde Unternehmensbilanzen, globale Marktführerschaft und hohe Wettbewerbsfähigkeit haben die Schuldverschreibungen deutscher Unternehmen zu soliden Anlagealternativen am Rentenmarkt gemacht. So solide, dass die Kurse infolge der starken Nachfrage kräftig gestiegen und die Renditen im Gegenzug deutlich zurückgekommen sind. Gerade in der „ersten Reihe“ der deutschen Unternehmen bieten „Corporates“ aber oft kaum noch einen adäquaten Renditeaufschlag gegenüber Staatsanleihen vergleichbarer Laufzeit. Dem Halter einer Schuldverschreibung drohen zwar Rückschläge, falls sich Konjunktur- oder Unternehmenslage eintrüben, er hat aber kaum noch Möglichkeiten, an einer positiven Entwicklung zu partizipieren. Wer in die Zukunftsfähigkeit der deutschen Exportchampions investieren möchte und gleichzeitig auf eine attraktive Ausschüttung schielt, sollte den Kauf von Aktien dieser Unternehmen ins Auge fassen. Die angeführten Argumente wirken sich positiv auf die Kursaussichten von deutschen Aktien aus. Die durchschnittliche Dividendenrendite der DAX-Unternehmen liegt nicht nur weit über den Renditen am Rentenmarkt, solide Bilanzen und hohe Wettbewerbsfähigkeit lassen auch Raum für weitere Dividendenanhebungen und Aktienrückkaufprogramme. Beides bietet gewisse Risikopuffer für den Fall temporärer Kursrückschläge. Diese sind aufgrund geopolitischer Risiken, konjunktureller Rückschläge und einem Wiederaufflammen der Schuldenkrise nicht auszuschließen. In der Summe sprechen aber niedrige Bewertungen, solide Bilanzen, attraktive Dividendenrenditen und die starke Position deutscher Unternehmen im globalen Wettbewerb für weiteres deutliches Kurspotenzial. Nicht zu vernachlässigen ist darüber hinaus der ausgeprägte Sachwertaspekt im Fall steigender Inflations- und Krisenängste. MARCEL HOFFMANN Leiter Por tfoliomanagement Key Clients, Deutsche Bank AG, Wealth Management Tel: +49 (0)69 91031772 E-Mail: [email protected] 29 RUBRIK „WACKELN UND FACKELN IRRITIERT DIE WÄHLER“ HANS-DIETRICH GENSCHER, DER GROSSE ALTE MANN DER FDP, ÜBER EUROPA, SEINE PARTEI, FREUNDSCHAFTEN UND VERLÄSSLICHKEIT IN DER POLITIK. GESPRÄCH Gespräch: HARTMUT PALMER • Foto: JONAS UNGER Dieses Magazin trägt den schönen Titel WERTE. Deshalb erlauben Sie uns zu Beginn unseres Gesprächs eine durchaus grundsätzliche, aber trotzdem sehr persönliche Frage: Welche Rolle haben Verlässlichkeit, Beständigkeit und Vertrauen im langen Leben des Politikers und Privatmenschen Hans-Dietrich Genscher gespielt? Verlässlichkeit, Beständigkeit und Vertrauen sind, wenn man den Begriff der Berechenbarkeit hinzufügt, ein wichtiges Kapital eines Politikers. Ich habe mich stets bemüht, diesem hohen Maßstab gerecht zu werden und habe andere danach eingeschätzt, inwieweit ihnen das gelungen ist. Gab oder gibt es Politiker, mit denen Sie mehr verband als nur die politische Überzeugung? Ich habe in der Politik wirkliche Freunde gefunden. Die eben genannten Eigenschaften waren mir stets wichtiger als übereinstimmende politische Überzeugungen. Um in der unmittelbaren Nachbarschaft zu bleiben: mich verbindet eine feste Freundschaft mit dem dänischen Liberalen Uffe EllemannJensen, aber genauso mit dem französischen Sozialisten Roland Dumas. Das Gleiche galt für meine leider früh verstorbenen Freunde, den tschechischen Sozialliberalen Jirí Dienstbier und den polnischen Christdemokraten Skubiszewski. Aber wie gesagt, das sind beispielhaft Namen aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Wie erklären Sie sich, dass die meisten der heute aktiven Politiker von den Bürgern eher geringgeachtet werden, während umgekehrt diejenigen, die nicht mehr aktiv sind, wie Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, aber eben auch Sie, um Rat gebeten werden? Das ist keine neue Erscheinung. Als ich wesentlich jünger war als heute, verwies man gern auf große Liberale der Vergangenheit wie Theodor Heuss, Thomas Dehler oder Reinhold Maier, aber auch auf Konrad Adenauer, Ludwig Erhard oder Kurt Schumacher. Viele Bürger suchen nach großen Linien, man könnte auch sagen: nach den Visionen in der Politik. Woran liegt das? Visionen zu haben bedeutet, in Perspektiven zu denken und zu handeln. In einer Zeit, in der der Grundsatz der Nachhaltigkeit eine immer größere Rolle spielt, wirkt ein Handeln ohne solche Perspektiven ziel- und planlos. Freiheit und Verantwortung bedeutet nicht nur Verantwortung für das Heute, sondern auch für die Folgen des Handelns von heute. Hans-Dietrich Genscher im Garten seines Hauses in Bad Godesberg. Sie selbst sind zwar seit über zehn Jahren als Politiker im Ruhestand, aber in letzter Zeit sind Sie wieder sehr aktiv als unermüdlicher Mahner für das europäische Projekt unterwegs. Was treibt Sie an und um? Es ist über 20 Jahre her, dass ich aus dem Ministeramt ausgeschieden bin. Die daraus gebotene Zurückhaltung in der Öffentlichkeit darf mich nicht daran hindern, für das Zukunftsprojekt Europa einzutreten, wenn es in gefährliches Fahrwasser gerät. Das ist es, was mich umtreibt. Ist es auch die Sorge, dass Ihr politisches Lebenswerk, nämlich die dauerhafte Vertiefung der europäischen Einigung, leichtfertig verspielt werden könnte? Wenn ich sehe, wie leichtfertig manche mit dem Zukunftsprojekt Europa umgehen, fällt mir das Bibelwort ein: „Sie wissen nicht, was sie tun.“ Sie standen immer für Kontinuität in der deutschen Außenund Europapolitik. Kann es sein, dass Sie diese Beständigkeit bei einigen maßgeblichen Akteuren auf der politischen Bühne heute vermissen? Deutschland trägt als größtes Land in der EU, als Land mit den meisten Nachbarn eine besondere Verantwortung für die Zukunft Europas. Zu den Irrwegen der europäischen Geschichte gehörte der Anspruch, dass Größe auch mehr Rechte gebe. Größe bedeutet in Wahrheit größere Verantwortung. Ihr Parteifreund, der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler, sagte kürzlich, ein Austritt Griechenlands aus dem Euro habe für ihn seinen Schrecken verloren. Sie haben daraufhin kritisiert, in Sachen Europa werde zu viel „neonationalistisches Blech“ geredet. Wen haben Sie damit gemeint? Als ich diesen Satz niederschrieb, hatte ich in den Tageszeitungen eine besonders törichte Erklärung aus München gelesen. Dorthin habe ich mich gewandt und nicht an Philipp Rösler. Können Sie sich ein Europa ohne Griechenland vorstellen? Nein. Jürgen Habermas hat erklärt, für ihn wäre „der Verzicht auf die europäische Einigung“ gleichbedeutend mit Europas „Abschied von der Weltgeschichte“. Diesen Befund teile ich in vollem Umfang. Mehr Europa heißt aber auch Souveränitätseinbußen der nationalen Parlamente. Wie soll die fortschreitende europäische Einigung ohne eine gleichermaßen fortschreitende parlamentarische Kontrolle auf europäischer Ebene funktionieren? 31 G R O S S E G E I S T E R U N D D A S G E L D – F O L G E 1 : M A RT I N L U T H E R WERTE Für ein demokratisch verfasstes Europa ist die parlamentarische Kontrolle systemimmanent. Das heißt aber nicht, dass nur nationale Parlamente, nicht aber das Europäische Parlament diese Kontrolle ausüben könnten. Obwohl das Bundesverfassungsgericht den dauerhaften europäischen Rettungsschirm ESM für verfassungskonform hält, hat der CDU-Politiker Karl Lamers das Gericht wegen seines „nationalen Untertons“ gerügt. Erleichtert der Spruch der Karlsruher Richter die europäische Einigung, oder wird diese dadurch erschwert? Ich habe Verständnis für die Sorge von Karl Lamers. Meine Sorge müsste noch größer sein, wenn es tatsächlich die Auffassung von Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts wäre: „Das Grundgesetz ist europaoffen.“ Das hieße ja, deutsche Politik kann europäisch sein, muss es aber nicht. In Wahrheit ist die aktive Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland am Prozess der europäischen Einigung ein Verfassungsauftrag, der nicht nur für die deutsche Politik verpflichtend, sondern auch für das Bundesverfassungsgericht maßgebend ist. fragen so vor sich hin. Mal liegt sie über, mal unter der FünfProzent-Grenze. Woran liegt das? Das Thema Europa wird für die nächste Bundestagswahl maßgeblich sein. Wir haben das beispielhaft gerade in den Niederlanden erlebt, wo die Europagegner eine vernichtende Niederlage erlitten haben. Europa ist in der Krise. Da werden diejenigen gewählt, die mit klarem Kurs und fester Hand das Schiff durch den Sturm steuern. Das Ansehen der Bundeskanzlerin und des Bundesfinanzministers bestätigen die Richtigkeit dieser Analyse. Je schneller die FDP die von einigen aus ihren Reihen genährten Zweifel am liberalen Europakurs überwindet, umso schneller wird die FDP sich erholen. Als die Berliner FDP bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus einen antieuropäischen Kurs steuerte, landete sie bei weniger als zwei Prozent. Was eine klare Haltung in einer schwierigen Situation bewirken kann, haben Christian Lindner in Nordrhein-Westfalen und Wolfgang Kubicki in Schleswig-Holstein gezeigt. Wer wackelt und fackelt, irritiert die Wähler. Ist Europa eine Wertegemeinschaft? Natürlich ist Europa eine Wertegemeinschaft. Freiheit, Menschenwürde, das Demokratiegebot und das Gebot sozialer Gerechtigkeit sind Grundwerte unserer Verfassung, die mit denen Europas identisch sind. War es nicht so, dass früher die FDP vor allem deshalb eine Rolle spielte, weil sie für ein großes politisches Projekt stand? Wir erinnern uns an die Zeit, als die FDP an der Seite Konrad Adenauers für die Westbindung der Bundesrepublik kämpfte oder an der Seite Willy Brandts für die Ostverträge. Was ist heute das große Projekt der FDP? Das liberale Europa. Die Europäische Union, so der Vorwurf von EU-Skeptikern, verstehe sich heute mehr denn je als eine Gemeinschaft, die zum Zweck der Selbsterhaltung laufend darauf verzichte, sich an die eigenen Rechtsvorschriften zu halten. Sind diese Einwände berechtigt? Auch wenn es so wäre, so spräche das nicht gegen Europa, sondern gegen die Akteure. Indessen erscheint eine Verallgemeinerung unberechtigt. Aber Anlass zur Sorge besteht schon. Nach dem gegenwärtigen Stand der Umfragen werden CDU/CSU und FDP bei der nächsten Bundestagswahl keine Mehrheit mehr bekommen. Sollte sich die FDP darum bemühen, zusammen mit der SPD und vielleicht den Grünen eine neue Koalition zu bilden? Ein klarer Europakurs der FDP kann die Mehrheit für die Fortsetzung der erfolgreichen CDU/CSU/FDP-Koalition sichern. Aber wer sich von der gemeinsamen Saat abwenden würde, könnte auch nicht ernten. Beispiel: Die EZB darf keine Staatsanleihen von EU-Mitgliedsstaaten kaufen, tut es aber trotzdem. Kein Land darf für die Schulden eines anderen haften – das Gegenteil ist der Fall. Was sagen Sie EU-Skeptikern und -Kritikern, wenn sie Ihnen diese Beispiele vorhalten? Direkt erworben hat sie noch keine. Und was zur Erfüllung ihrer Stabilitätsverantwortung notwendig ist, kann sie im Rahmen ihrer Verantwortung entscheiden. Mir erscheinen die in der Frage liegenden summarischen Unterstellungen unberechtigt. Könnte es sein, dass das Thema Europa und die Bewältigung der Schuldenkrise alles andere in den Hintergrund drängt und die Bundestagswahl auch ein Plebiszit über das künftige Europa sein wird? Ihre Partei, die FDP, dümpelt in den Um32 Der Reformator Martin Luther im Kreise seiner Familie, 1866 vo von Gustav Adolph Spange Spangenberg in Öl gemalt. BETTELMÖNCH UND MILLIONÄR WAR MARTIN LUTHER GEIZIG ODER GROSSZÜGIG, SPARSAM ODER SPENDABEL? AN DIESER STELLE WOLLEN WIR ZUKÜNFTIG VON KLUGEN KÖPFEN UND IHREM UMGANG MIT DEM GELD ERZÄHLEN. Text: ALEXANDER MARGUIER HANS-DIETRICH GENSCHER Der Jurist wurde 1927 in Halle geboren. Von 1969 bis 1974 war er Bundesinnenminister und von 1974 bis 1992 fast ununterbrochen Bundesaußenminister sowie Vizekanzler. Seit 1992 ist er FDP-Ehrenvorsitzender. Genscher ist in zweiter Ehe verheiratet und Vater einer Tochter. Foto: Genscher mit Ehefrau Barbara. Foto: ddp images/dapd/Timm Schamberger Martin Luther hat sich zeit seines Lebens viele Gedanken über Geld und Vermögen gemacht, nur um die eigenen Einkommensverhältnisse kümmerte er sich verhältnismäßig wenig. Tatsächlich war Luther in jungen Jahren Bettelmönch gewesen und dadurch an den Verzicht auf weltliche Güter durchaus gewohnt. Außerdem Foto: AKG Images war er als späterer Reformator, Prediger, Denker und Universitätslehrer viel zu beschäftigt, um auch noch den privaten Haushalt genau im Blick zu behalten. Für diese Aufgabe hatte er seine Käthe: Katharina von Bora, die „entlaufene Nonne“, welcher Luther am 27. Juni 1525 das Jawort gegeben hatte, war so etwas wie die Finanzministerin der rapide anwachsenden Familie. Bereits am Tag der Hochzeit hatte ein überraschender Geldsegen das frischvermählte Paar – fast möchte man sagen: heimgesucht –, denn das Geschenk von 50 Gulden stammte ausgerechnet aus der Schatulle des Erzbischofs Albrecht von Mainz. Natürlich wollte Luther als konsequenter Kapitalismuskritiker diese Zuwendung umgehend retour gehen lassen, stamme sie doch von dem „Nimrod und Giganten von Babylonien“, wie er sich echauffierte. Doch Ehefrau Käthe, längst ahnend, dass das Leben an der Seite des Reformators auch ein finanzielles Vabanque-Spiel werden dürfte, legte schnell ihr Veto ein und überzeugte ihren Mann, das Geld zu behalten. Überhaupt sorgte Katharina von Bora durch ihre umtriebige und geschäftige Art nicht nur für allgemeigesch nes Aufsehen, sondern auch für eine A Verstetigung der Einkünfte. Was Ver freilich nichts daran änderte, dass fr auch au im Hause Luther der Wohlstand sta Höhen und Tiefen kannte. Zum Zu Zeitpunkt der Hochzeit bezog Martin Marti Luther zwar ein Jahresgehalt von 100 1 Gulden, welches ihm die sächsischen sische Kurfürsten gewährten und das später sogar verdoppelt wurde. Doch neben sechs eigenen Kindern mussten eben auch noch weitere elf Sprösslinge von zwei früh verstorbenen Schwesz tern Martin Luthers mitversorgt werM den. Noch dazu verzichtete der studierN te Theologe auf Honorare aus seinen Th Schriften ebenso wie auf eine Entlohnung durch seine Studenten. So musste man sich in schwierigen Zeiten immer mal wieder von Grundstücken und Häusern trennen, in die Martin Luther auf Anraten seiner Gattin investiert hatte. Sogar das eine oder andere Stück aus seiner geliebten Sammlung silberner Becher stand bei finanziellen Engpässen zur Pfändung bereit. Wenn Luther also wortgewaltig gegen Wucherer wetterte, die an den Galgen gehörten, weil sie wollten, „dass alle Welt in Hunger, Durst, Not und Jammer verderben muss“, dann tat er das nicht zuletzt aus eigener Erfahrung. Nach seinem Tod im Jahr 1546 hinterließ Luther immerhin ein beträchtliches Vermögen, bestehend aus Immobilien, Schmuck, Kunstwerken und Büchern. 9000 Gulden, nach heutiger Rechnung ungefähr eine Million Euro, soll das Erbe wert gewesen sein. Doch das Testament, in dem er Katharina von Bora als Alleinerbin eingesetzt hatte, konnte wegen juristischer Mängel nicht vollstreckt werden. Nur eine kurfürstliche Pension verhinderte, dass Martin Luthers geschäftstüchtige Witwe nicht in Armut versank. 33 W E RT E S A C H W E RT E FLUCHTPUNKT SACHWERTE In unsicheren Zeiten sehnen sich die Menschen zunehmend nach sicheren Geldanlagen. Der SachWERTE-Report zeigt Chancen und Risiken auf – von Immobilien über Infrastruktur und Energie bis zum Wald. Text: CHRISTIANE OPPERMANN 30 % DER WELT SIND WALD Jahr für Jahr werden rund 3,5 Milliarden Kubikmeter Holz weltweit verbraucht. Bis 2015 wird der Bedarf auf 5 Milliarden Kubikmeter steigen. Die Preise für Wald steigen entsprechend. 36 37 WERTE D roht eine Inflation? Was wird aus dem Euro? Wo und wie ist das Vermögen sicher? Fragen wie diese stellen sich viele Anleger angesichts astronomischer öffentlicher Schulden, immer größerer Rettungspakete, weltweiter Krisen und der Sorge um eine globale Rezession. Die Aktienmärkte sind volatil, Staatsanleihen bringen je nach Emittent entweder magere Renditen oder bergen unkalkulierbare Risiken. 10,9 MILLIARDEN MENSCHEN Die Vereinten Nationen erwar ten bis 2100 einen Anstieg der Weltbevölkerung von 7 auf 10,9 Milliarden Menschen. Der Bedarf an Rohstoffen wird riesig sein. Foto: Ölförderung im Kaspischen Meer. RUBRIK 1 Mrd. Dieser Sorge um das Vermögen steht der wachsende Wunsch der Anleger nach sicheren Häfen gegenüber. Vor allem Sachwerte werden in dem Zusammenhang immer wieder genannt. Was alles zu Sachwerten zählt, hat Antje Stobbe, Analystin bei Deutsche Bank Research, definiert: „Von Geldwertschwankungen unabhängige Güter, die bei hohen Inflationsraten das Vermögen vor Kaufkraftverlusten schützen.“ Eine Umfrage unter institutionellen Investoren hat ergeben, dass Immobilien, Land und Forst, Edelmetalle sowie fossile und Agrarrohstoffe als Sachwerte einzuordnen sind. In der Praxis eröffne sich dadurch ein breites Spektrum potenzieller Anlageobjekte – vom Windkraftpark über Telekommunikations-, Strom- und Straßennetze, von Schiffen über Diamanten bis hin zum weiten Feld der Luxusgüter. Sachwerte erfordern jedoch ein höheres Maß an Wissen und, wenn es sich um Luxusgüter handelt, auch an Leidenschaft. NEUE WOHNUNGEN Demographie, Globalisierung und der Klimawandel sorgen dafür, dass bis 2030 weltweit eine Milliarde neue Wohnungen gebaut werden müssen. Foto: die Erschließung eines neuen Wohnvier tels in den USA. Die Anlagemaxime des Amerikaners Warren Buffett gilt hier mitunter mehr als an den Aktienmärkten: „Investiere nie in Märkte, von denen du nichts verstehst.“ Ohne Sachkenntnis, ohne professionelle Beratung ist das Risiko groß, dass Vermögen vernichtet werden. Und noch eine Regel sollte beherzigt werden: „Diversifikation gilt als the only free lunch in investment“, sagt Professor Manfred Weber, Experte in Behavioral Finance an der Universität Mannheim: „Di- Fotos: Jochen Knobloch (3); Vincent Prado/Laif; Alex MacLean/landslides.com 8,9 Mio. versifikation hat eine noch größere Bedeutung bei dem Erwerb von realen Werten.“ Die Gründe für Investitionen in Sachwerte sind vielfältig: Mal geht es in erster Linie um eine breitere Streuung des Anlagekapitals, mal steht der Inflationsschutz im Vordergrund, aber auch Risikoreduzierung ist eine wichtige Motivation oder eben Ertragssteigerung und Absicherung gegen unerwünschte Marktentwicklung, heißt es bei Deutsche Bank Research. TONNEN GETREIDE-IMPORT Der Bedarf an Weizen, Roggen und Gerste wächst, doch die deutschen Bauern können ihn nicht mehr bedienen. 2011 mussten 8,9 Mio. Tonnen impor tier t werden. Kosten: 2,4 Milliarden Euro. Foto: ein Acker bei Stralsund. Die Motive der Investoren entscheiden nicht nur über einzelne Anlagekategorien, sondern auch über die Form – ob Direktinvestment, geschlossene oder offene Fonds, oder ob Aktien an Unternehmen der jeweiligen Branche im Einzelfall vielleicht passender sind. Investitionen in Sachwerte sind keine Selbstläufer, sondern immer eine Herausforderung für Berater und informierte Anleger. Aber es gibt auch Sachwerte, die „neben langfristiger Wertsteigerung auch 94 % eine emotionale Rendite, einen Spaßfaktor“ bieten können, wie das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) in seinem jüngst veröffentlichten SachwerteReport feststellt. Das trifft auf die Investmentobjekte der Kategorie Luxusgüter und Kunstobjekte zu, mit denen sich neben dem Vermögen Lebensstil und Lebensqualität mehren lassen. Neben ökonomischem Sachverstand sprechen sie auch Leidenschaft, Emotionen und Risikobereitschaft HÖHERE INVESTITIONEN Laut Uno-Umweltprogramm UNEP stiegen die Investitionen in erneuerbare Energien von 2007 auf 2011 um 97 Prozent auf 257 Milliarden Dollar weltweit – Tendenz weiter steigend. Foto: Windräder im Saarland. an. Ob antike Uhren, Oldtimer, Schmuck, Weine, Gemälde oder Pferde – immer ist neben Kapitaleinsatz und fundiertem Wissen auch eine glückliche Hand, ein Gespür für Wertentwicklung und Qualität gefragt. Unabhängig davon, für welche Sachwerte sich Anleger entscheiden, erfolgreiche Investments brauchen Geduld, um den besten Zeitpunkt für den Verkauf und ein gutes Ergebnis finden zu können, zieht der HWWIReport Bilanz. Lesen Sie bitte auf den folgenden Seiten, was für oder gegen einzelne Sachwerte-Klassen spricht. WERTE IMMOBILIEN EIN FUNDAMENT AUS BETONGOLD Gebäude – Wohnhäuser oder Gewerbeimmobilien – sind die populärste Form einer Sachwerte-Investition. Gerade bei Krisenstimmung steigt das Interesse am Betongold. Bisher bevorzugten Privatanleger in Deutschland bei Wohnimmobilien direkte inländische Investments: Von den 39,6 Millionen Wohnungen werden 40 Prozent vom Eigentümer bewohnt, 37 Prozent gehören Kleinanlegern, die ihre Objekte oft auch selbst vermieten und verwalten, ermittelte der Immobiliendienstleister Jones Lang LaSalle. Prognosen zur demographischen Entwicklung weisen zwar auf eine schrumpfende Bevölkerung hin, gleichzeitig wird der Bedarf an Wohnraum für Ein-bis-zwei-Personen-Haushalte aber zunehmen. Leben heute noch im Schnitt 2,2 Personen in einer Wohnung, werden es 2030 nur noch 1,8 Personen sein. Dies gilt vor allem für Städte, denn alle Prognosen gehen von einer Reurbanisierung, einer Landflucht der Menschen in die Städte aus. Direkte Investitionen setzen jedoch genaue Kenntnisse des lokalen Immobilienmarkts voraus, raten Experten. Bei Einzelobjekten – Eigentumswohnungen etwa – ist die Wertsteigerung abhängig von der Stadtentwicklung und den Beschlüssen der Eigentümergemeinschaft. Der Erwerb eines gesamten Mehrfamilienobjekts reduziert zwar die Risiken unerwünschter Mitsprache anderer Eigentümer, führt aber zu höheren Standortrisiken. 42 Zur Diversifizierung des Kapitaleinsatzes und der Risiken boten sich in der Vergangenheit vor allem offene Immobilienfonds an. Der Anleger erwarb einen Anteilsschein, und das Fondsmanagement übernahm Kauf und Verwaltung der Objekte. Bis 2009 belief sich das Anlagekapital offener Immobilienfonds in Deutschland auf rund 100 Milliarden Euro. Ob offene Fonds weiter ihren Platz im Portfolio behaupten können, hängt von Entscheidungen der EU-Kommission ab. In Brüssel wird ein Gesetz vorbereitet, demzufolge es künftig nur noch geschlossene Fonds geben soll. Diese Anlageform spielt bei Großprojekten und in der gewerblichen Immobilienwirtschaft schon lange eine gewichtige Rolle. Der Immobilienfonds DWS ACCESS Deutsche Bank Türme etwa, der 2011 die Konzernzentrale der Deutschen Bank in Frankfurt erworben hat, ist ein gutes Beispiel: Nach der Sanierung auf höchsten ökologischen Standard wurden die Türme mit rund 76 000 Quadratmeter vermietbarer Fläche für rund 583,6 Millionen Euro vom Fonds gekauft. Als Alleinmieter zahlt die Bank rund 32 Millionen Euro im Jahr, der Mietvertrag läuft 15 Jahre mit Option auf Verlängerung. „Für den Fonds sprechen der finanzkräftige Mieter, der lang laufende Mietvertrag und natürlich die Immobilie selbst“, sagt Katrin Esser von Feri EuroRating. Geschlossene Fonds sind unternehmerische Beteiligungen mit allen Rechten und Risiken. Das eingesetzte Kapital ist oft auf mehr als ein Jahrzehnt gebunden. Für vorzeitige Veräußerung von Anteilen gibt es zwar einen Zweitmarkt, dort werden aber oft erhebliche Abschläge verlangt. Die Summe der gehandelten Fondsbeteiligungen stieg laut HWWI von 56 Millionen Euro im Jahr 2002 auf 213 Millionen Euro 2011. Neben den Immobilienfonds-Beteiligungen gibt es noch die Möglichkeit, Aktien von Immobilien-Gesellschaften oder Real Estate Investment Trusts zu erwerben. Beide Anlageformen unterliegen allerdings Schwankungen am S AC H W E RT E Aktienmarkt und scheiden für Anleger, die Schwankungsrisiken minimieren wollen, aus. ERNEUERBARE ENERGIEN EINE SAUBERE SACHE MIT RISIKEN Eine Sonderrolle spielen erneuerbare Energien vor allem in Deutschland durch die zurzeit noch hohen gewährten Subventionen. Hier haben Anleger durchaus Gelegenheiten für direkte Investments, wenn sie beispielsweise ihre eigenen Immobilien mit PhotovoltaikAnlagen ausrüsten, Dächer, Fenster und Fassaden unter Effizienzgesichtspunkten erneuern und dadurch ihre Betriebskosten senken. Auch das sind Investments in Sachwerte, die sich über Jahrzehnte auszahlen. Beteiligungen an Herstellern von Photovoltaikanlagen und Solarzellen unterliegen hingegen steigenden Risiken. Die staatliche Förderung wie das „100 000-Dächer-Programm“ oder die „EEG-Einspeiseverordnung“ hat Investments in Unternehmen bisher abgesichert. Doch künftig werden diese Einspeisevergütungen für Neuanlagen geringer ausfallen und Solartechnikanbieter aus Fernost mit Billigware die bislang führenden deutschen Hersteller unter Druck setzen. Windkraftanlagen werden schon lange mit Hilfe offener oder geschlossener Fonds errichtet. Doch auch hier sind die Gelegenheiten für neue Windparks begrenzt. „In Norddeutschland sind die Flächen mit guter Windernte bereits besetzt“, sagt Ronny Meyer, Geschäftsführer der Deutschen Windenergie Agentur (WAB) in Bremerhaven. Sie setzt daher auf die Errichtung von Windkraftanlagen in der Nordsee. Pilotprojekte laufen bereits, doch noch fehlen verlässliche Daten zur Risikoabschätzung. Wasserkraftwerke waren bisher selten für Privatanleger verfügbar, weil wenig Kapitalbedarf bestand und die Eigentümer nicht bereit waren, Rendite zu teilen. Doch Megaprojekte wie etwa die Speicherung von Strom aus norddeutschen Windkraftanlagen in norwegischen Hydrokraftwerken werden einen hohen Finanzbedarf generieren, bei dem dann vermutlich auch privates Anlagekapital willkommen sein wird. INFRASTRUKTUR IN DIE ZUKUNFT INVESTIEREN Die Weltbevölkerung wächst, ihr Lebensstil und ihre Erwartungen an eine saubere und funktionierende Umwelt steigen. Doch die Vorausset- zungen dafür – belastbare Strom- und Telekommunikationsnetze, funktionierende Wasser- und Abwasserleitungen, ausgebaute Straßen- und Schienentrassen – halten mit der Entwicklung nicht Schritt. Während es in Entwicklungs- und Schwellenländern vor allem um den Neubau dieser existenziellen Infrastruktur geht, fehlen in den Industriestaaten die Mittel für dringend nötige Erweiterungen und Reparaturen bestehender Strukturen. Die OECD schätzt den weltweiten Kapitalbedarf auf drei Billionen US-Dollar – pro Jahr. Ein weites, unübersichtliches Feld für Privatinvestoren, ohne deren Beteiligung die Missstände jedoch nicht zu beheben sind. „Eine bessere Infrastruktur fördert den Produktionsfortschritt, unterstützt das Wachstum und erhöht insgesamt den Wohlstand der Bevölkerung eines Landes“, erklärt Kathryn Koch, Senior Portfolio Strategist bei Goldman Sachs. Auch sie sieht „erhebliche Chancen für Anleger“. Investoren haben dabei die Wahl zwischen Aktien von Unternehmen, die am Bau von Infrastrukturmaßnahmen beteiligt sind, oder Fonds, die das Kapital für Ausbau oder Reparatur bereitstellen und später die Straßen oder Netze an staatliche oder private Betreiber vermieten. Die Renditen hängen von den Einnahmen ab. So bildet etwa bei einer mit privaten Mitteln gebauten Straße die Maut die Basis für Ausschüttungen der Fondsgesellschaft. Abgezogen werden Zinsen und Tilgung für Fremdkapital, Management- und Verwaltungsgebühren. Das Risiko dieser Investitionen liegt einerseits in falschen Prognosen über die Nutzungs- und Einnahmenentwicklung, aber auch in Kurswechseln in der Politik. Bisher sind Infrastrukturfonds vor allem eine Domäne der institutionellen Anleger. Ihre Beteiligungen sind seit 2010 um mehr als 1000 Prozent gestiegen, ermittelte der Verband geschlossener Fondsanbieter. Insgesamt haben die Fondsvolumen von 51,7 auf 440 Millionen – also um 751 Prozent – zugelegt. ROHSTOFFE FÜR DEN MOTOR DES FORTSCHRITTS Öl, seltene Erden, wertvolle und edle Metalle sind der Schmierstoff der Weltwirtschaft. Wer hiervon profitieren will, ist auf Aktien von Rohstoffkonzernen, Ölfirmen oder Fördergesellschaften oder aber auf Zertifikate angewiesen. „Als Rohstoff-Investor braucht man neben dem nötigen Anlagekapital vor allem zwei Dinge: einen langen Atem und gute Nerven“, stellen die Experten des HWWI in ihrem Anlagereport fest: „Ein Charakteristikum von RohstoffZyklen liegt in deren extremer Länge von bis zu 40 Jahren. Ein anderes in den enormen Preisausschlägen, die sich intrazyklisch durchaus mehrfach einstellen können.“ Die Rohstoffzyklen folgen den langen Konjunkturwellen, die durch bedeutende Innovationen ausgelöst werden. Der gegenwärtige Zyklus wird von der Informations-, Internet- und Kommunikationstechnologie sowie durch Nachholbedarf in den Schwellenländern bestimmt. In China und Indien gibt es noch erhebliches Wachstumspotenzial, das auch die Nachfrage nach Rohstoffen weiter steigen lässt. Zunehmende Industrieproduktion und wachsende Motorisierung der Bevölkerung werden den Bedarf an Öl erhöhen und für steigende Preise sorgen. Einen Engpass durch abnehmende Ölvorkommen befürchten die Wissenschaftler des HWWI nicht: „Der technische Fortschritt und die steigenden 43 WERTE Einnahmen werden in den nächsten Jahrzehnten für ausreichende Ölvorkommen sorgen.“ Größere Gefahren gehen von spekulativen Käufen aus, die immer wieder große Schwankungen provozieren. Der Zeitpunkt des Investments ist daher das entscheidende Kriterium. Dies gilt erst recht für das, was verunsicherten Anlegern schon immer als sicherer Hafen galt – Gold. Das Edelmetall hat in jeder Krise Konjunktur. Durch die Schuldenkrise, den schwächelnden Euro und niedrige Zinsen wurde der Goldpreis in bisher nicht erreichte Höhen katapultiert. Während sich der Goldpreis aus der Sicht der europäischen Anleger bis 2006 parallel zu den Verbraucherpreisen entwickelt hatte, hat er die Inflationsrate in den vergangenen sechs Jahren um 78 Prozent übertroffen. NUTZFLÄCHEN STEIGENDE NACHFRAGE Der amerikanische Börsenprofi Jim Rogers favorisiert Investments in Rohstoffmärkten. Rogers, einst Partner von George Soros, setzt bei langfristigen Investments auf Öl und Gold. Und er geht 44 noch einen Schritt weiter: „Ich rate jungen Leuten, Landwirt zu werden.“ Ackerland und Wälder sind gesuchte Investments. Die wachsende Weltbevölkerung braucht Nahrungsmittel und ändert ihre Essgewohnheiten: Weltweit kommt mehr Fleisch statt Getreide und Gemüse auf die Teller. Getreideund Weideflächen auf der Erde werden knapp – zumal auch ein Teil der Ackerflächen für den Anbau von Biomasse und Biospritpflanzen verwendet wird. In Indonesien und Brasilien werden Regenwälder gerodet, um Flächen für Weiden oder den Anbau von Soja und Kokospalmen zur Produktion von Palmöl für die Kosmetik- und Lebensmittelindustrie zu gewinnen. Ein Run auf landwirtschaftlich nutzbare Gebiete hat begonnen: Chinesische Unternehmen kaufen in Afrika riesige Ländereien auf. Etwa 16,8 Millionen Hektar Fläche für Ackerbau und 11 Millionen Hektar Wald gibt es in Deutschland. Das ist mehr, als die Nachfrage der Investoren abdecken kann. „Waldinvestments sind eine gute Diversifikationsmöglichkeit, aber wir würden niemals empfehlen, einen Großteil des Vermögens darin anzulegen“, sagt Harry Assenmacher, der die auf ökologische Wachstumsanlagen spezialisierte ForestFinance Gruppe gegründet hat. Das Kapital werde meist über lange Zeiträume gebunden. Etwa 20 Jahre dauert es, bis Tropenholz vom Setzling zum „erntereifen“ Baum herangewachsen ist. Bei europäischen Mischwäldern können auch 100 Jahre vergehen, bis die Bäume eine vermarktungsfähige Größe erreicht haben. Die Preise für Wald sind bereits erheblich gestiegen. Pro Quadratmeter werden zwischen 3 und 7,50 Euro verlangt. Als wirtschaftlich gelten Waldflächen ab 100 Hektar – bei einem mittleren Preis von fünf Euro pro Quadratmeter wären das fünf Millionen Euro. Dazu kommen noch die Kosten für Bewirtschaftung, Fällen und Aufzucht neuer Bäume. Die Renditen aus der heimischen Forstwirtschaft werden auf zwei bis vier Prozent beziffert, und S AC H W E RT E die Anleger müssen es mit völlig neuen Gegnern aufnehmen: Nicht Spekulanten können ihnen den Ertrag verderben, sondern Borkenkäfer und Stürme. Deshalb ziehen es viele Investoren vor, in geschlossene Fonds zu investieren, die Wälder von Rumänien bis Brasilien verwalten. LUXUSGÜTER SACHWERTE IN IHRER SCHÖNSTEN FORM SCHIFFSBETEILIGUNGEN UNTERWEGS IN STÜRMISCHER SEE „Wichtigste Parameter für die Rendite sind Einkaufspreis, Qualität des Schiffs, Höhe und Laufzeit der Charterraten, Entwicklung der Schiffsbetriebskosten, Zinsen und Tilgung der Kredite bzw. Darlehen, Verwaltungskosten der Fondsgesellschaft sowie der Marktwert des Schiffs am Ende der Laufzeit“, heißt es bei Deutsche Bank Research. Im Idealfall steigen die Renditen mit zunehmender Laufzeit des Vertrags an, weil zu Beginn Zins und Tilgung für Fremdkapital höher ausfallen. In guten Jahren – von 2003 bis 2008 – profitierten Anleger von zweistelligen Wachstumsraten der Charterpreise. Wenn Charterverträge hingegen zu schlechteren Konditionen verlängert werden, teure Reparaturen anfallen oder Zinsen für Fremdkapital steigen, geht der Investor leer aus oder muss sogar Kapital nachzahlen. Innerhalb nur eines Jahres schrumpften die Kapitalzuflüsse in Schiffsbeteiligungen von 1,67 Milliarden Euro im Jahr 2010 um 42 Prozent auf 0,9 Milliarden Euro Ende des Jahres 2011. Antiquitäten, Schmuck, Oldtimer, klassische Uhren, Kunst und alter Wein sind Liebhaberstücke und Sammelobjekte, die mitunter auch erworben werden, um Anlagerisiken zu streuen. Astronomische Preissteigerungen in Einzelfällen verstellen jedoch oft den Blick für das spekulative Risiko oder Nachteile bei Vermarktung, Erwerb oder Aufbewahrung dieser Schätze. Der Erwerb von Diamanten ist nur bedingt tauglich für eine auf Werterhalt ausgerichtete Vermögensanlage von Privatinvestoren, obwohl sie sehr seltene Güter sind, ihre Produktion nicht gesteigert werden kann und die Nachfrage größer als das Angebot ist. Den Abbau von Diamanten teilen sich weltweit fünf Konzerne – DeBeers in Afrika, Alrosa in Russland, Rio Tinto in Australien, BHP Billiton und Harry Winston in Kanada. Der wertmäßig größte Teil der jährlichen Diamantenproduktion stammt aus Angola, Botswana, Zimbabwe, Namibia, Südafrika Australien, Kanada und Russland. Die Wertschöpfungskette, die Diamond Pipeline, läuft vom Abbau im Bergwerk über den Rohdiamantenhandel, an Schleifereien und dann weiter an Juweliere zum Endkunden. Dabei stieg der Wert der Jahresproduktion im Jahr 2010 von 12,2 Milliarden US-Dollar auf 60,2 Mrd. US-Dollar in 2011. Trotz der hohen Wertkonzentration auf kleinstem Volumen sind Diamanten für Privatanleger aber kein empfehlenswertes Investment, sagen Experten. Die offiziellen Vertriebswege laufen über zertifizierte Händler oder Juweliere, die mit einem Aufschlag von 40 bis 60 Prozent verkaufen und bei der Rücknahme Abschläge von 10 bis 40 Prozent verlangen. Hohe Abschläge werden vor allem fällig, wenn der Kunde nicht bekannt ist. Immer wieder wird versucht, illegal abgebaute Steine in die Absatzmärkte zu schmuggeln. Dazu gehören auch die sogenannten Blutdiamanten, mit denen die Bürgerkriege in Afrika finanziert werden. Für Käufer gilt als oberstes Gebot: „Keine Steine ohne Zertifikat der Minengesellschaft kaufen!“ Auch Diamantenfonds haben sich nicht bewährt. Wer an der zu erwartenden Preissteigerung bei Diamanten, die auf steigender Nachfrage bei gleichbleibendem Angebot beruht, teilhaben will, muss direkt oder über Fonds in Aktien der Konzerne investieren. Mehr spekulativ als kalkulierbar sind Anlagen im Kunstmarkt, in alten Weinen und Oldtimern. In vielen Fällen handelt es sich um Unikate, besondere Jahrgänge oder spezielle Modelle, deren Schönheit – und Wert – im Auge des Betrachters liegt. Obwohl durch den Aufbau von Preislisten und Börsen versucht wird, objektive Kriterien zu schaffen, bleibt es dem Käufer überlassen, durch eigenes Fachwissen und vertrauenswürdige Beratung die Spreu vom Weizen zu trennen. Die Freude am Besitz des Objekts sollte größer sein als die Rendite beim Wiederverkauf. CHRISTIANE OPPERMANN Die Journalistin war Leiterin des Wirtschaftsressorts der „Woche“ und schrieb für „FAZ“, „Manager Magazin“ und „Spiegel“. Lesen Sie bitte auf der nächsten Seite, was unser Experte Dr. Hermann Wüstefeld über die einzelnen Sachwerteklassen sagt. Illustration: JAN RIECKHOFF für WERTE ; Fotos: ddp images/AP/Sang Tan; Bulls Press/Mirror Pix; ddp images/United Achieves; ddp images/AP/Lefteris Pitarakis; ddp images/dapd/David Hecker ; Syltpictures/Volker Frenzel; Ullstein Bild/AP LIEB + TEUER EIN KLEINER AUSFLUG IN DIE BUNTE WELT DER SACHWERTE UND WAS MENSCHEN BEREIT SIND, FÜR IHRE LIEBHABEREI ZU ZAHLEN. 560 Mio. USD Teuerstes Bürogebäude der Welt: „The Shard“ in London. 35 Mio. USD Ferrari 250 GTO, 2012 versteigert. Preis 2002: 8,5 Mio. Dollar. 27,4 Mio. € Schrank „Badminton Cabinet“ von Fürst Hans-Adam II. von Liechtenstein. 11 Mio. USD Teuerstes Buch: „The Birds of America“ (von Audubon). 10 Mio. € Teuerstes Dressurpferd: Hengst Totilas. 6 Mio. € Teuerste Privatimmobilie pro Quadratmeter: Waterküken auf Sylt. 2 Mio. € Teuerste Briefmarke der Welt: Der „Gelbe Tre-Skilling“, ein 157 Jahre alter Fehldruck. 45 S AC H W E RT E „SACHWERTE HABEN REALEN NUTZEN“ DR. HERMANN WÜSTEFELD ÜBER CHANCEN UND RISIKEN BEI SACHWERTEN Sachwerte stehen hoch im Kurs. Was raten Sie Investoren? Sachwerte haben einen eigenen Nutzwert. Sie beruhen auf realen Erträgen und zeichnen sich durch begrenzte Verfügbarkeit bei strukturell steigender Nachfrage aus. Sie sollten Bestandteil der strategischen Vermögensverteilung sein. In der aktuellen Situation ist es wichtig, sich bei Anlageentscheidungen an Zukunftsthemen zu orientieren, da sie von den Turbulenzen an Aktien- und Rentenmärkten relativ unabhängig sind. Zukunftsthemen sind der demographische Wandel, Wachstum der Schwellenländer, Nachhaltigkeit bei der Rohstoffversorgung und die weiterhin latent hohe Inationsgefahr. Gerade hier bieten sich Sachwertanlagen als integrierter Bestandteil des Portfolios an. Wichtig ist, das Portfolio über einzelne Sachwertsegmente hinweg zu diversizieren. Deutsche Anleger hatten immer schon großes Interesse an Sachwerten. Von den zwölf Billionen Euro Vermögen sind etwa zwei Drittel in dieser Kategorie, vorwiegend in Immobilien, investiert.Welche Entwicklung erwarten Sie für den Immobilienmarkt? Er bewegt sich im Spannungsfeld zwischen niedrigen Zinsen, Inationsangst und makroökonomischer Unsicherheit. Es gibt gute Gründe, in Immobilien zu investieren, aber auch Einwände, die zur Vorsicht raten. In einigen Segmenten scheinen Immobilien mittlerweile recht teuer zu sein. Da stellt sich die Frage, ob es eine gute Idee ist, noch in so einen Markt einzusteigen. Ist Deutschland noch ein guter Standort? Es spricht viel für Deutschland, insbesondere die stabile Entwicklung und die zentrale Rolle in Europa. Der deutsche Wohnimmobilienmarkt sollte in den nächsten Jahren aufgrund weiterhin niedriger Fertigstellungszahlen und zunehmender Haushalte attraktiv bleiben. Man sollte aber selektiv investieren und auf eine Streuung über Objekte und Standorte achten. Bei Gewerbeimmobilien ist das Bild differenzierter. Im Bürobereich hat sich der Beschäftigungsanstieg bundesweit noch nicht in Mietzuwächsen niedergeschlagen, im Einzelhandel ndet ein starker Verdrängungswettbewerb statt. Wo erwarten Sie im Ausland Wachstum? Die USA scheinen wieder zunehmend attraktiv zu werden. Hier sind vor allem die positiven Bevölkerungsprognosen zu betonen, die im Immobilienmarkt langfristig zu Nachfrage führen sollten. Auch das Einstiegsniveau empnde ich aktuell als attraktiv. Zudem gibt es für Euro-Anleger die Möglichkeit der Währungsdiversizierung über den Dollar. Von den Emerging Mar kets ist die Türkei interessant. Da haben wir mit dem Shoppingcenter Marmarapark, das gerade termingerecht eröffnete, sehr gute Erfahrungen gemacht. Institutionelle Investoren sorgen für erheblichen Mittelzuuss bei Infrastrukturfonds. Bietet sich da eine Chance für private Investoren? Das Interesse an Infrastrukturinvestments ist sehr hoch. Da es eine noch neue Anlagekategorie ist, fangen viele institutionelle Investoren erst an, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Viele 46 G E L DA N L AG E VOM EINFLUSS DER WERTE AUF DIE GELDANLAGE private Investoren haben bereits in Infrastruktur investiert, zum Beispiel in Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie. Auch Investitionen in Pegeimmobilien können als Infrastruktur deniert werden. Infrastrukturinvestments sind sinnvoll, weil auch hier eine reale Nachfrage bedient wird. Eines der Hauptrisiken ist politisch bedingt. Das darf man bei Anlageentscheidungen im Infrastrukturbereich nie vergessen. Wie solide sind Investments in Ackerland und Wald? Beide bieten solide Investments. Sie beruhen auf realer Nachfrage und erfüllen gut die Kernanforderungen an Sachwerte wie reale Erträge, begrenzte Verfügbarkeit und strukturell steigende Nachfrage. Durch den Verkauf von Agrarrohstoffen oder Holz werden reale Erträge erzielt. Geeignete Flächen sind nur begrenzt verfügbar, eine wachsende Weltbevölkerung und zunehmender Wohlstand beeinussen die Nachfrage. Welche Risiken sind damit verbunden? Die Risiken unterscheiden sich bei Ackerland und Wald und nach der Art des Investments. Bei Wald hat man den Vorteil, dass Bäume unabhängig von der Marktentwicklung langfristig wachsen und das Investment allein dadurch an Volumen und Wert gewinnen kann. Realisiert wird diese Wertsteigerung dann durch das Fällen von einzelnen Bäumen und den anschließenden Verkauf des Holzes – wenn der Holzpreis gerade attraktiv ist. Bei Agrarinvestments hat man diese zeitliche Flexibilität nicht. Absichern kann man sich hier nur bedingt durch Terminbörsen. Risiko hat man nur dann weitgehend reduziert, wenn lediglich das Land erworben und das dann an einen Dritten verpachtet wird. Dann sind allerdings die Cash-Renditen recht niedrig, und man ist auf die Wertsteigerung von Grund und Boden angewiesen, um angemessene Rendite erzielen zu können. Was sagen Sie Kunden, die Rohstoffanlagen ethisch bedenklich nden? Man muss zwischen der Anlage in rohstoffproduzierende Investments und reiner Spekulation unterscheiden. Kapital für die Produktion von Gütern zur Verfügung zu stellen, für die es eine reale Nachfrage gibt, sollte ethisch unbedenklich sein. Wenn dadurch ein Agrarrohstoff wie Getreide produziert wird, so kann das meiner Meinung nach kein unethisches Unterfangen sein. Natürlich spielt bei allem die Art, wie investiert wird, eine große Rolle, und eine derartige Strategie sollte von einer ESG-Richtlinie (Environmental-, Social- and Governance) geleitet sein. DR. HERMANN WÜSTEFELD Leiter Geschlossene Fonds DWS Finanz-Service GmbH Tel: +49 (0)69 719 09 49 68 Mail: [email protected] KONTAKT Wenn Sie zu diesem Thema weitere Fragen haben, kontaktieren Sie mich gerne direkt. MARKUS MÜLLER SCHREIBT ÜBER ADAM SMITH, ANLEIHEN UND AKTIEN. O b Einkauf im Supermarkt, Arbeit in der Montagehalle oder die Entscheidung eines Investors, Anleihen oder Aktien zu kaufen, jedes Handeln hinterlässt eine Spur in den Märkten. Wir sind Teil eines Systems, das für Erzeugung und Verteilung sorgt. Wir nehmen daran teil und beeinflussen es als Konsumenten, Arbeitnehmer, Unternehmer, Manager oder Investoren. Unser Handeln wird bestimmt von einem Nutzenkalkül. Ob wir einer altruistischen oder eigennützigen Motivation folgen, ist im Grunde gleichgültig, solange unsere Handlung einem allgemein gültigen Wertekodex folgt, dessen wichtigster Grundsatz darin liegt, dass wir unseren Nächsten nicht übervorteilen oder dessen Lebensgrundlage gefährden. So hat es der Vater der klassischen Nationalökonomie, Adam Smith, vor fast 250 Jahren postuliert. Wachsender Wohlstand einer Gesellschaft lässt sich nur erzielen, wenn auch das Individuum sein Vermögen durch Arbeit und Teilhabe mehren kann. Smith war Theologe und Moralphilosoph, er glaubte daran, dass der Mensch empathisch handelt und auf seine Mitmenschen Rücksicht nimmt. Auf dieser Überzeugung hat er auch seine Wirtschaftstheorie aufgebaut. Adam Smiths Lehren werden heute gern zitiert. Doch welcher Wert wird ihnen noch beigemessen? Bedenken wir wirklich immer das große Ganze, wenn wir Entscheidungen treffen? Nach Ansicht von Prof. Matthew Braham, der an der Universität Bayreuth politische Philosophie und Ethik lehrt, zeigen Menschen selten ein in sich schlüssiges Verhalten: „Wir sorgen uns alle, dass Erderwärmung und Klimawandel unsere Lebensgrundlagen und vor allem die unserer Kinder schädigen, aber in unserem Alltag werden diese Sorgen ausgeblendet. Obwohl es bekannt ist, dass der Individualverkehr mehr klimaschädliche Stoffe pro Kopf ausstößt als der öffentliche Nahverkehr, nehmen wir selbst für kürzeste Strecken das Auto.“ Wer Brahams Überlegungen folgt, stößt überall auf solche Unstimmigkeiten. Im Grunde hätte die Euro- und Schuldenkrise vermieden werden können, wenn alle Investoren in Anleihen der Krisenstaaten in der Peripherie investiert hätten und wenn nicht der schnelle Profit beherrschendes Motiv gewesen wäre, sondern die langfristige Sicherung einer angemessenen Rendite. Die Turbulenzen in der Eurozone und auf den internationalen Kapitalmärkten – Inflation, Rezession und Kursverfall –, die durch „unvernünftiges“ Verhalten entstanden sind, treffen jeden Investor stärker und schaden ihm mehr, als es der Kauf einiger griechischer, spanischer oder italienischer Staatsanleihen zur rechten Zeit getan hätte. Fotos: Deutsche Bank (2) Die Einschätzung von Risiken und Chancen ist ein sehr komplexes Thema nicht nur in Krisenzeiten. Neben den wirtschaftlichen Bedingungen spielen auch persönliche Überzeugungen und Bedürfnisse eine Rolle. Traditionelle Grundsätze beeinflussen den Umgang mit Geld. So lässt sich noch heute beobachten, dass in katholisch geprägten Kulturen Anleihen den Aktien vorgezogen werden. Dahinter steht das im 12. Jahrhundert erlassene Zinsverbot der katholischen Kirche, das offiziell 1830 aufgehoben wurde, dessen Folgen aber bis heute in der Form von Zero-Bonds weiter bestehen. In der angelsächsischen, vorwiegend protestantischen Welt werden Aktien favorisiert. Die Aktienaffinität der Nordamerikaner trägt den Optimismus der Siedler und Pioniere in unsere Zeit. Die Migranten waren überzeugt, dass sie sich in der Neuen Welt bessere Lebensbedingungen erschaffen können als in Europa. Aufbruchstimmung und Abenteuerlust von einst finden ihre Fortsetzung an den Aktienbörsen heute. Familien, die unter der Hyperinflation der 1930er Jahre hohe Verluste erlitten haben, reagieren noch heute sensibel auf Inflationsgefahren. Die Kenntnis solcher Befindlichkeiten und Zusammenhänge ist wichtig, weil sie unterschwellig Anlageentscheidungen beeinflussen und darüber entscheiden, ob eine Vermögensberatung zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit führt. Dabei versteht es sich von selbst, dass wirtschaftliche und politische Daten und Prognosen aktualisiert vorhanden sein müssen. Die Überzeugungen und tradierten Werte geben eher die Richtung vor. Zu einer vertrauensvollen Anlageberatung gehört allerdings auch, dass Berater und Kunde die objektiven Rahmenbedingungen von Anlagen kennen und im gesamtwirtschaftlichen Umfeld einordnen können. Langfristig werden sich die Zielsetzungen der Teilnehmer am wirtschaftlichen Handeln, ob in der Rolle des Verbrauchers, Anlegers oder Unternehmers, nur vereinbaren lassen, wenn die wirtschaftlichen Zusammenhänge von beiden Seiten erkannt und akzeptiert werden. Gleichgültig aus welcher Perspektive wir unsere Märkte betrachten: „Wirtschaft“ ist ein fester Bestandteil unseres Lebens – wie das Einmaleins, das Alphabet und das Internet, da wäre es sinnvoll, sie so früh wie möglich in die Lehrpläne der Schulen zu integrieren. MARKUS MÜLLER Leiter Anlagestrategie Deutsche Bank AG, Wealth Management Tel: +49 (0)69 91049093 E-Mail: [email protected] 47 F OTO G R A F I E ANDREAS FEININGER porträtierte den Fotojournalisten Dennis Stock 1951 für das Magazin „Life“ mit dessen Leica. ANDREAS KAUFMANN, Investor und Aufsichtsratsvorsitzender der Leica Camera AG, mit einer aktuellen Leica. MYTHOS LEICA DIE TRADITIONSMARKE UND IHR RETTER Text: HANS-MICHAEL KOETZLE LEICA HAT DIE FOTOGRAFIE REVOLUTIONIERT UND DEN MODERNEN FOTOJOURNALISMUS ERST MÖGLICH GEMACHT. WERTE ERZÄHLT VOM MYTHOS LEICA UND WIE DER UNTERNEHMER ANDREAS KAUFMANN DIE MARKE ZU NEUEN ERFOLGEN FÜHRT. 65 64 WERTE RUBRIK ROBERT LEBECK fotograerte Joseph Beuys 1972 auf einem Hügel oberhalb von Edinburgh. 66 66 67 67 WERTE F OTO G R A F I E ELLIOTT ERWITT Der Magnum-Fotograf ist berühmt für seine humorvollen Momentaufnahmen. Beide Fotos entstanden 1989 in Paris. DENNIS STOCK Das Foto von James Dean am Times Square wurde zur Ikone einer ganzen Generation, New York 1955. 68 Fotos: Andreas Feininger/Time & Life Pictures/Getty Image; PR ; Rober t Lebeck; Dennis Stock/Magnum Photos/Agentur Focus; Elliott Erwitt/Magnum Photos/Agentur Focus (2) 69 WERTE F OTO G R A F I E 1913 A So ng alles an: Oskar Barnacks erster funktionsfähiger Prototyp für 35-mm-Kinolm. ndreas Kaufmann strahlt. Mehr als eintausend Gäste sind seiner Einladung gefolgt – zu einer Art Preview zur photokina 2012. Es ist der 17. September. Und gleich wird Kaufmann, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Leica Camera AG, die neuen Produkte vorstellen. Dann wird Seal zusammen mit Till Brönner und ist die Leica auch. Aber als einzige Kamera hat sie es gedie Halle 1 zum Beben bringen. Es wird geklatscht, gefeiert schafft, zum Kultobjekt zu avancieren. Umgeben von einer und getrunken. So ausgelassen hat sich die Marke schon lange Art Heiligenschein werden Leicas zu exorbitanten Preisen gekauft, gesammelt, ersteigert. Erst im Mai 2012 nicht mehr präsentiert, so stolz und zukunftskam ein Exemplar der sogenannten Null-Sesicher. Es herrscht Aufbruchstimmung. Was rie bei einer Auktion in Wien auf sagenhafte schon erstaunlich ist, wenn man sich vor Au2,16 Millionen Euro – Weltrekord für einen gen führt, dass noch vor wenigen Jahren der schlichten Fotoapparat. Es gibt MarkengalePleitegeier über dem Solmser Unternehmen rien, -clubs und -shops. Ein „Leica Collectors kreiste. Jetzt glänzt es mit einem Messedesign, Guide“ listet auf 624 Seiten Hunderte von das die Mitbewerber buchstäblich alt aussehen MIT DER LEIC A Kameras nebst Zubehör und Objektiven auf. lässt – ein Phoenix aus der Asche. WURDE Amerika und Japan sind wohl die RegioLeica – ein klingender Name. Ein techniDIE IDEE DER nen, in denen der Mythos am innigsten kulsches Wunder. Eine große Marke. Und mit tiviert wird. Demnächst werden SüdameriBlick auf die Fotografiegeschichte: ein MeiMOBILEN, ka und die Golfstaaten hinzukommen. Und lenstein. Als Kamera hat sie Standards gesetzt, BEWEGLICHEN natürlich China. „China“, sagt Dr. Andreas die noch heute, im digitalen Zeitalter, Geltung FOTOGRAFIE Kaufmann, „ist unser Wachstumsmarkt der haben. Mit ihr wurde die Idee des Kleinbilds, POPULÄR UND Zukunft.” Allein die fotobegeisterten Enthuder mobilen, beweglichen Fotografie populär siasten aus der Mittelschicht machten schon und zur Norm des 20. Jahrhunderts. Es war ZUR NORM 400 000 bis 500 000 potenzielle Kunden aus. die erste wirklich durchdachte, ausgereifte KaDES 20. JAHR„Das sind kleine Zahlen für China, für uns mera ihrer Art. Die erste kleine, die tatsächlich HUNDERTS. aber eine ganze Menge.“ Das klingt nach eifunktionierte, praktisch alle Motivbereiche nem Jahrzehnt der Krise optimistisch. Und abdeckte und geeignet war, unser Sehen zu tatsächlich scheint die Leica Camera AG mit revolutionieren. Das nach wie vor gültige Nefrischen Ideen, neuen Produkten und einer gativformat von 24 x 36 mm, das dem Goldekulturellen Offensive den Turnaround genen Schnitt folgende Seitenverhältnis von 2 : 3 schafft zu haben. und die Filmpatrone für 36 Aufnahmen gehen Noch Mitte des Jahrzehnts hatte es so ausauf die ersten Leicas zurück. All die raffiniergesehen, als sei das hessische Traditionsunterten, erfolgreichen, die internationalen Märkte nehmen ein Fall für den Insolvenzverwalter. dominierenden Canons und Nikons und MiZu lange hatte man auf analoge Technik genoltas der 1960er bis 1980er Jahre – ohne das setzt, gehofft, sich mit Replikas, modischen Vorbild Leica wären sie nicht denkbar. Kameravarianten oder Sammlerstücken geDie Welt der Fotografie hat viele Marken gen eine Konkurrenz zu behaupten, die längst kommen und gehen sehen – Contax, Plaubel, auf der digitalen Schiene davoneilte. Leica Rollei. Sie alle waren perfekte Werkzeuge in suchte die Nische. Aber Nischen können auch den Händen bedeutender Fotografen. Das war 70 zu klein sein fürs Überleben. Der Absatz brach ein. Man schrieb Verluste in Millionenhöhe, ohne mit einem Konzept für die Zukunft aufwarten zu können. Heute wäre die Marke wohl Geschichte, hätte sich mit dem Österreicher Andreas Kaufmann nicht ein Retter in der Not gefunden. Kaufmann, 58, ist das, was man als Aficionado zu bezeichnen pflegt. Er liebt die Leica, liebt die Marke. Andreas Kaufmann stieg in das Unternehmen ein, sicherte sich die Aktienmehrheit und bestimmte einen neuen Kurs. Eine Zeitlang sorgte Leica noch mit verfehlten Personalentscheidungen für Schlagzeilen. Doch spätestens seit der M9 als erster digitaler Messsucher-Systemkamera mit Vollformatsensor spricht man wieder über die Kameras der deutschen Marke. Inzwischen ist man sogar so weit, sich eigene Sensordesigns leisten zu können, „die spezifisch auf ein Produkt und unsere exzellenten Objektive abgestimmt werden“, so der Vorstandsvorsitzende Alfred Schopf. Um stolze 57 Prozent auf 248 Millionen Euro stieg der Umsatz im Geschäftsjahr 2010/11; 296 Millionen waren es im vergangenen Jahr. „Unser Ziel am Ende des Tages“, meint Andreas Kaufmann, „ist ein Marktanteil von einem Prozent.“ Mit aktuell 0,2 Prozent ist Leica ein ökonomischer Zwerg, aber einer mit unerhörter Strahlkraft. Was die Markenbekanntheit betrifft, liegt Leica weit vorn. Fast jeder kennt den roten Punkt, der als merkfähiges Symbol längst seinen Platz unter den großen Warenzeichen hat. Aber woher kommt diese Faszination? Auch andere Kameras funktionieren, tun klaglos ihren Dienst. Was macht die Leica so anders, zum Gegenstand globaler Begierde? Sicher ist: Sie ist schön. Sie ist der Porsche unter den Kameras. Genaugenommen ist sie das logische Ergebnis einer handwerklich fundierten, funktionalen Gestaltungspraxis. „Form follows function“ war ein Schlagwort der konstruktivistischen 1920er Jahre. Zwar hatte Oskar Barnack, Ingenieur bei Leitz und Schöpfer der Leica, mit dem Bauhaus nichts zu tun. Aber auch sein Wirken folgte der Idee, eine Form mit sparsamen Mitteln logisch aus der Funktion heraus zu entwickeln. Letzlich war es ein Streifen Blech, den er um ein Miteinander von Schlitzverschluss, Aufzug, Räderwerk und Federn legte: Fertig war die Leica. Ihre Form war so schlüssig, nüchtern, zeitlos, dass sie bis heute funktioniert. Noch den jüngsten Mitgliedern der MFamilie sieht man ihre Gene an. Die Leica M gibt sich betont schlicht, schnörkellos und aufgeräumt in den wenigen Bedienelementen – eine Kamera mit Charakter. Rund 400 Gramm wog das erste Modell. Zum Vergleich: Allein zwölf Negativ-Platten für eine 13 x 18 Zentimeter große Kamera bringen drei Kilo auf die Waage. Mit der Leica ließen sich in schneller Folge 36 Aufnahmen machen. Zudem war sie mit ihrem versenkbaren Objektiv flach und passte in jede Manteltasche, was sich von den „GELD IST FÜR MICH GESTALTUNGSMITTEL“ WIE DER EHEMALIGE LEHRER ANDREAS KAUFMANN LEICA VOR DEM UNTERGANG BEWAHRTE Nomen est omen, möchte man meinen. Aber so einfach ist es nicht. Zwar stammen seine Vorfahren aus Frankfurt und betätigten sich dort tatsächlich als Kaueute. Aber es hat gedauert, bis aus dem Weltverbesserer und promovierten Philologen Andreas Kaufmann ein engagierter Unternehmer wurde, dessen Tag nicht mit Hesse, sondern mit dem Wirtschaftsteil beginnt. Aber vielleicht kann man die Welt auch verbessern, indem man eine traditionsreiche Firma vor dem Konkurs bewahrt, Arbeitsplätze sichert und einer Region den Glauben an die Zukunft. Kurz gesagt: eine Utopie Wirklichkeit werden lässt. In genau diese Richtung scheinen die Interessen von Andreas Kaufmann zu gehen. Statt sein unerwartetes Erbe als Lebemann unter die Leute zu bringen, setzt er es kreativ ein. „Geld“, sagt er, „war für mich immer ein Gestaltungsmittel.“ Kaufmann, 58, ist von Hause aus Germanist. Lange Jahre war er Lehrer an einer Waldorfschule in Göppingen, und vermutlich würde er noch heute vor der Tafel stehen, hätte ihm nicht das Schicksal ein Millionenerbe zugespielt. Kaufmann und seine beiden Brüder gelangten, nachdem Onkel und Tante ohne Nachkommen verstorben waren, in den Besitz des österreichischen Papierherstellers Frantschach. Seinen Beruf gab Kaufmann auf und widmete sich von nun an der Verwaltung des ererbten Vermögens bzw. beteiligte sich – nach dem Verkauf der Frantschach AG – an produzierenden Unternehmen. Nur die, so Kaufmann, böten ihm die Chance, sich gestaltend zu betätigen. 2004 sicherte sich Kaufmann die Mehrheit an der Leica Camera AG – als Marke ein Juwel, als Kameraschmiede ein Sanierungsfall. Vor allem den Trend zur Digitalfotograe hatte man verschlafen. Aus dem Trendsetter von einst war ein Museum geworden. Doch Kaufmann, selbst begeisterter Hobbyfotograf, glaubte an die Zukunft der Marke. Er motivierte die verbliebenen Mitarbeiter, nahm einige Millionen in die Hand und schaffte den Turnaround. Seit 2010 schreibt Leica wieder schwarze Zahlen. Mit innovativen Produkten und einem exklusiven Shopkonzept erobert man Marktanteile zurück – und verlorenes Vertrauen. In den kommenden fünf Jahren will Kaufmann den Umsatz verdoppeln. Für Leica sehe er nicht nur einen Silberstreif: „Es gibt einen ganzen silbernen Himmel.“ 71 WERTE seinerzeit üblichen Klapp- und Spreizenkameras nicht sagen ließ. Als der junge Robert Capa 1932 nach Kopenhagen reiste, um Leo Trotzki zu hören, musste er erleben, wie Pressefotografen reihenweise abgewiesen wurden: Fotografierverbot. Capa hatte eine Leica in der Tasche, fotografierte unbemerkt und schrieb Pressegeschichte. Aus heutiger Sicht scheint die Entwicklung einer kompakten Metallkamera für 35-mmFilm nichts weniger als zwingend. Um 1920 war Barnacks Idee vor allem kühn und ihr Markterfolg alles andere als garantiert. Bekanntlich hatte Barnack, selbst ein begeisterter Hobbyfotograf und -filmer, bereits vor dem Ersten Weltkrieg begonnen, eine handliche Metallkamera für perforierten 35-mm-Film zu konzipieren. Damit schuf er die Grundlage für eine praxistaugliche Kleinkamera, die schließlich 1925 in den Handel kam. Im Vorfeld hatten sich so ziemlich alle gegen Barnacks „Spielzeug“ ausgesprochen. Allen voran die Fachfotografen, die man befragt hatte. Aber auch die Entscheidungsträger im Hause Leitz konnten gute Argumente gegen die Kamera vorbringen. Der verfügbare Kinofilm sei zu grobkörnig. Das stimmte. Um von den kleinen Negativen zu brauchbaren Bildern zu gelangen, benötige man ein Vergrößerungsgerät. Das stimmte. Es fehle ein eingespieltes Händlernetz, das die neue Kamera offensiv unter die Leute bringen würde. Das war ebenfalls nicht von der Hand zu weisen. Letztlich war es die ökonomische Dauerkrise der 1920er Jahre, die die vor allem für ihre Mikroskope bekannten Leitz Werke in Wetzlar zwang, sich nach einem weiteren Standbein umzusehen. Mit Oskar Barnacks Kamera lag es buchstäblich auf dem Tisch. Nach einer erregt geführten Sitzung 1924 entschied Ernst Leitz II gewissermaßen im Alleingang: „Barnacks Kamera wird gebaut.“ Es gibt Tüftler. Es gibt Erfinder. Und es gibt Visionäre. Ernst Leitz II, 1871 geboren, seit 1906 Teilhaber im väterlichen Unternehmen und seit 1920 dessen Chef, muss ein solcher Visionär gewesen sein. Vergleichen könnte man ihn in neuerer Zeit mit Namen wie Bill Gates oder Steve Jobs, die ja ebenfalls nicht einfach ein neues, schickes Produkt auf den Markt gebracht, sondern mit einer Idee unsere 72 OSKAR BARNACK Der berühmte LeicaKonstrukteur (1879-1936) an seinem Arbeitsplatz. Hier erfand er die erste praxistaugliche Kleinbildkamera der Welt. WER EINE LEIC A KAUFT, ERWIRBT NICHT EINFACH EINE KAMERA – ER WIRD MITGLIED EINER FAMILIE. QUEEN ELIZABETH II Die Königin mit Leica – traditionsbewusst auch beim Fotograeren. F OTO G R A F I E Medienwelt verändert haben. Die Welt, die Leitz mit seiner auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1925 vorgestellten und von da an verkauften sogenannten Kleinbildkamera veränderte, war die Welt der Fotografie. Die Leica hat unser Sehen verändert, unsere Wahrnehmung entfesselt. Nicht nur in der Verwendung des konfektionierten, perforierten 35-mm-Films stand sie dem Kino nahe. Auch in der Dynamisierung des Blicks ist sie dem jungen Kino verwandt. Im Grunde war die Leica die stimmige Antwort auf eine temporeiche Zeit. Technikgeschichtlich repräsentiert sie ein Stück deutscher Ingenieurkunst. Geistesgeschichtlich fügt sie sich in eine Ära, die mit Surrealismus oder Futurismus nach neuen Antworten auf alte Fragen suchte. Nicht zufällig waren es zunächst Quereinsteiger, die sich für die Leica interessierten. Medientheoretiker wie Moholy-Nagy, Juristen wie Erich Salomon, Ethnologen wie Wolfgang Weber, Philologen wie Nachum Gidal oder Künstler wie der Russe Alexander Rodtschenko. „Wir haben eine Leica gekauft“, vertraute dessen Ehefrau Anfang der 1930er Jahre ihrem Tagebuch an. „Ich kann es kaum glauben. Wir sind ganz aufgeregt. Rodtschenko ist sehr glücklich. Es macht so viel Vergnügen, an die Leica zu denken. Ich setze mich einen Moment hin, nur um sie zu bewundern. Sie stand den ganzen Tag auf seinem Tisch. Erst als der Abend einbrach, lud er sie und machte eine Testaufnahme. Er entwickelt sie jetzt.“ Ganze 903 Exemplare der Leica I hatten 1925 das Werk in Wetzlar verlassen. Mehr als 16 000 wurden vier Jahre später gebaut. 1936 ging die 200 000. Kamera in den Handel. Die Million wurde 1961 überschritten. Das ist viel für ein Premiumprodukt. Allerdings: Von allein kam das nicht. Von Anfang an bediente sich Leitz ungewöhnlicher Marketingmethoden, ließ Profis wie den Leica-Pionier Anton F. Baumann Vorträge halten, organisierte Ausstellungen, die die Leistungsfähigkeit des Kamerasystems unter Beweis stellen sollten, oder überreichte – öffentlichkeitswirksam – Leicas mit markanten Seriennummern an Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur oder Politik – unter ihnen Sven Hedin, Paul Wolff, Henri Cartier-Bresson, Pandit Nehru oder Konrad Adenauer. Eine Tradition, die das mittlerweile in Solms bei Wetzlar tätige Unternehmen unlängst mit Barbara Klemm und Nick Út fortgeschrieben hat. „Fotografen“, meint Andreas Kaufmann, „sind für uns Freunde. Eine Kamera selbst ist ja gar nichts. Sie ist ein Werkzeug. Hoffentlich ein gutes Werkzeug. Das Entscheidende ist, was man mit ihr macht.“ Die Leica ist nicht billig, sie war es noch nie. Rund 6000 Euro kostet die digitale M9, ohne Objektiv wohlgemerkt. Und die digitale Spiegelreflexkamera der S-Klasse kommt auf fast 20 000 Euro. Doch wer eine Leica kauft, erwirbt nicht einfach eine Kamera. Er wird Mitglied einer Familie, wie es Magnum-Fotograf Guy Le Querrec ausdrückt. Erstaunlich viele bedeutende Fotografen des 20. Jahrhunderts haben sich für sie entschieden: Henri Cartier-Bresson, William Klein, Nan Goldin oder William Eggleston. In jüngerer Zeit fungieren auch Popstars wie Seal oder Bryan Adams, Köche wie Paul Bocuse oder Fernsehmoderatoren wie Markus Lanz als Markenbotschafter. Ist es der Mythos, der die Wahl bestimmt? Oder der weich und feminin klingende, von Leitz Camera abgeleitete Name? Ist es das Design? Die Tatsache, dass die Leica sehr viel weniger aggressiv auftritt als die modernen Geschütze mit ihren optischen Kanonen? Oder ist es das Gefühl, etwas wirklich Wertiges zu besitzen? In jedem Fall schwingt eine emotionale Komponente mit. „Man muss ja keine Religion daraus machen“, meint Le Querrec, „aber die Leica hat etwas Magisches“, und er fügt hinzu: „Nicht selten sieht man einen Fotografen seine Leica streicheln.“ Die Leica, so viel ist sicher, ist keine einfache Kamera. Le Querrec vergleicht sie mit einem Fahrzeug ohne Servolenkung. Mit der Leica M wird das Fotografieren zu einem bewussten Akt der Bildgestaltung. Kein Autofocus. Keine Belichtungsautomatik. Dafür der Blick durch einen großen, hellen Sucher, in dessen Rechteck sich vorzüglich komponieren lässt. Ist das der Grund, warum Leica-Bilder anders sind? Entschiedener in der Geometrie, mutiger im Verletzen von Regeln? Dass der Sucher nicht genau das zeigt, was der Film bzw. Sensor sieht, bringt den Zufall ins Spiel. Und doch: Wer mit der Leica fotografiert, weiß genau, was er tut. „Wir stehen nicht für das gute Bild“, sagt Andreas Kaufmann, „sondern für das bessere Bild.“ Die Geschichte der Leica lässt sich als Technikgeschichte erzählen. Aber auch als Kunst- oder Mediengeschichte – schließlich hat diese Kamera die klassische Reportage beflügelt. Oder man erzählt sie als Familienroman, der Mitte des 19. Jahrhunderts begann, mit dem Verkauf des Unternehmens in den 1970er Jahren unterbrochen wurde und nun fortgesetzt wird: mit Andreas Kaufmann als Mehrheitsaktionär und entschlossenem Unternehmer. Mit attraktiven, zukunftsweisenden Produkten. Einem of- FOTOS, DIE GESCHICHTE SCHRIEBEN BEWEGENDE MOMENTE – FÜR DIE EWIGKEIT FESTGEHALTEN MIT EINER LEICA. 1937 Der Absturz der „Hindenburg“ in Lakehurst am 6. Mai 1937, von SAM SHERE für die Geschichtsbücher festgehalten. 1945 Menschen feiern am Times Square das Ende des Zweiten Weltkriegs. Ein Leica-Foto von ALFRED EISENSTAEDT. 1960 ALBERTO KORDA gelang das berühmteste Porträt von Che Guevara. 1960 Der Kongo wird unabhängig – ein Symbolbild von ROBERT LEBECK. 1967 „Flower against guns“, von MARC RIBOUD. Die 17-jährige Jan-Rose demonstriert vor dem Pentagon gegen den Vietnam-Krieg. 1972 „Kim Phúc – Napalm gegen vietnamesische Zivilisten“; ein Foto von NICK ÚT. Fotos: Leica PR (2); Mar tin Leissl/Laif; Tim Graham/Getty Images; Sam Shere/Getty Images; Alfred Eisenstaedt/Time & Life Pictures/ Getty Images; Ullstein Bild; Rober t Lebeck/Stern/Picture Press; Marc Riboud/Magnum Photos/Agentur Focus; Ullstein Bild AP 73 WERTE fenbar gut funktionierenden Ladenkonzept, das zweifellos vom zeitweisen Aktionär Hermès und dessen exklusiven Stores gelernt hat. Und nicht zuletzt mit der anstehenden Rückkehr von Solms an den traditionellen Leica-Standort im zehn Kilometer entfernten Wetzlar. Mehr als 55 Millionen Euro werden in den „LeitzPark“ investiert, in dem ab Herbst 2013 neben zwei bereits ansässigen Feinmechanik- und Optikherstellern auch die 600 Angestellten aus Leica-Verwaltung, -Entwicklung, -Forschung und -Fertigung arbeiten sollen. Mehr noch als die Bündelung der Aktivitäten an nur einem Ort, ist der Umzug vor allem ein Bekenntnis zu den eigenen Werten und Wurzeln. Leica kehrt zu seinen Ursprüngen in Wetzlar zurück und will hier, wie Andreas Kaufmann es nennt, „am optischen und feinmechanischen Know-how der gesamten Region teilhaben“. Über moderne Fertigungsanlagen hinaus sieht das Konzept einen gläsernen Produktionsbereich, Gastronomie und ein Museum für internationale Fotokunst vor. Die Geschichte der Optischen Werke Ernst Leitz und mit ihr die der Leica formt schon eine erstaunliche Saga, und man wundert sich, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, den Stoff zu verfilmen. Schließlich ist alles geboten, was ein gutes Drehbuch braucht: ein überschaubarer Ort, ein selbstbewusster Clan, Persönlichkeiten mit Charisma, schicksalhafte Augenblicke. Hinzu kommen Pioniergeist, Innovationsbereitschaft, selbstbewusstes Unternehmertum. Abstürze gab es natürlich auch. Vor allem aber erfreuliche Momente, so dass am Ende von einer stolzen, rund hundertfünfzigjährigen Unternehmensgeschichte gesprochen werden kann. Etwas zu kurz in unserem Storyboard kommt die Intrige. Im Gegensatz zur geläufigen Soap punktet unsere Erzählung mit positiven Werten. Mit Zivilcourage, Charakterstärke, Unternehmerstolz, sozialer Verantwortung – auch und gerade, was die zeitweise 5000 Mitarbeiter betrifft. Dass Ernst Leitz II in schwerer Zeit jüdischen Angestellten zur Flucht in die USA verholfen hat, ist erst in jüngerer Zeit bekanntgeworden. So ist es vor allem die neuere Politik, die mit zwei Weltkriegen, Inflation und Nazispuk immer wieder Schatten auf eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen wirft. In deren Mittelpunkt – ein Produkt. Eigentlich eine ganz normale Kamera. In Wirklichkeit ein Mythos von globaler Ausstrahlung und einer nicht enden wollenden Verfallszeit. Ihr Name: Leica. HANS-MICHAEL KOETZLE lebt als Schriftsteller, Fotohistoriker und Kurator in München. Zuletzt betreute er für die Deichtorhallen Hamburg/Haus der Photographie die Ausstellung „Eyes on Paris – Paris im Fotobuch 1890 bis heute“. 74 WERT DES ESSENS „EIN FENSTER ZUR WELT“ FRIEDHELM HÜTTE ÜBER KULTURELLES KAPITAL UND DIE ENTWICKLUNG DES FOTOMARKTS. Was macht für Sie den Wert der Fotograe aus? Fotograe eröffnet ein neues Panorama, weil sie weit über die Wahrnehmungsmöglichkeiten des Auges hinausgeht. Sie kann einen Augenblick xieren, Geschichten erzählen, Stimmungen festhalten. Fotograe kann eine besondere Symbolkraft entfalten. Oft reicht schon ein ikonenhaftes Bild, um ein Ereignis in Erinnerung zu rufen. Außerdem ist sie eine zeitgenössische Technik, die jedem vertraut ist. Daher bietet Fotograe eine gute Möglichkeit, Menschen an Kunst heranzuführen. Welchen Stellenwert hat sie in der Sammlung der Deutschen Bank? Fotograe war von Beginn an ein wichtiger Bestandteil der Sammlung. Seit 30 Jahren sammeln wir Werke auf Papier und zählen dazu neben der Zeichnung, dem Aquarell oder der Druckgrak auch die Fotograe. Das war Ende der Siebziger gar nicht selbstverständlich. Aber die Fotograe hat inzwischen einen wahren Siegeszug angetreten. Heute benden sich mehr als 4100 fotograsche Arbeiten in unserer Sammlung. Warum kaufen Sie vor allem Arbeiten junger Künstler? Die junge Generation ist zumeist am nächsten an der Gegenwart dran. Kunst und Fotograe sind ein Fenster zur Welt. Sie zeigen gesellschaftliche Veränderungen, Techniken und Trends, die im Mainstream oft erst sehr viel später sichtbar werden. Warum sammelt die Deutsche Bank überhaupt Kunst? Unser Konzept orientiert sich an den Ideen des Bauhauses, das die Lebenswirklichkeit durch Kunst und Gestaltung verbessern wollte. Wir verstehen Kunst als kulturelles Kapital. Sie hat nicht nur ästhetisches Potenzial, sie ist auch Katalysator für Kommunikation – einerseits zwischen Bild und Betrachter, andererseits zwischen den Menschen, die über Kunst ins Gespräch kommen. Wie wird sich der Markt für Fotokunst entwickeln? Ich bin überzeugt, dass Fotograe weiterhin vielversprechend bleibt. Allerdings rate ich dazu, bei Auagen und Formaten genau hinzuschauen. Ein wichtiges Thema ist auch Haltbarkeit. Anders als bei Gemälden oder Zeichnungen ist ein Foto für immer zerstört, wenn fotochemische Prozesse einmal eingesetzt haben. FRIEDHELM HÜTTE Global Head of Art, Deutsche Bank AG Tel: +49 (0)69 91035725 E-Mail: [email protected] INFORMATION Ich freue mich, wenn ich Ihr Interesse am Kunstengagement und an der Kunstsammlung der Deutschen Bank geweckt habe. Mehr Hintergrundinformationen nden Sie hier. WIR SIND GASTGEBER THOMAS BÜHNER IST MIT DREI MICHELIN-STERNEN HOCH DEKORIERT. WICHTIGER IST IHM, MIT DEM „SALON DE LA VIE“ EINEN ORT FÜR BEGEGNUNGEN GESCHAFFEN ZU HABEN. Bestimmte Leitlinien zählen natürlich nicht auf meiner zu meinem Leben: Die geKarte. Er hat es bekommen meinsame Mahlzeit gehört und danach gesagt, so wundazu. Für mich ist Essen mit derbar habe sein Lieblingsgemenschlicher Beziehung gericht noch nie geschmeckt. Es koppelt – das bedeutet: ein kommt halt auf das Wie an. großer Tisch, an dem Leute Das Berufsbild des Kochs sitzen, die sich unterhalten, hat sich gewandelt. Anfangs lachen, diskutieren. Die soziawaren wir nach Küchendünsle Komponente ist mir wichten riechende Dienstboten, tig. Essen darf nicht allein dann tischten die prämierten stattfinden, nicht im Gehen, Köche in Gourmet-Tempeln nicht im Stehen. Wir, unser ihre Kreationen huldvoll auf. Team – vierzehn in der Küche, fünf im SerHeute spielen wir eine Rolle, die mir gefällt: Wir vice –, sitzen jeden Tag ab 18.30 Uhr beim Essind Gastgeber. So bringen wir hier zum Beispiel THOMAS BÜHNER sen zusammen und debattieren, was wir besser im ‚Salon de la vie‘ interessante Menschen aus und seine Frau Thayarni machen könnten. Kochen ist Mannschaftssport. Gesellschaft, Kultur, Politik und Wirtschaft zuKanagaratnam Wenn etwas schiefläuft, bespreche ich das in sammen. Und wie jeder gute Gastgeber bemühen übernahmen 2006 das Restaurant „la vie“ Ruhe mit dem jeweiligen Mitarbeiter. Passt einer wir uns, es ihnen so angenehm wie möglich zu in Osnabrück. (www. nicht ins Team, ist er nicht lernfähig, liegt das an machen. Ein Haus wie unseres, das mit drei Sterrestaurant-lavie.de). mir. Ich habe ihn schließlich eingestellt. nen die höchste Auszeichnung eines Restaurants Den dritten Michelin-Stern Ein anderer meiner Richtsätze heißt: Proerreicht hat, weckt hohe Erwartungen. Mein Ehrerrang das Haus 2011. dukte haben nicht den gleichen Preis, aber imgeiz ist es, sie immer wieder zu erfüllen. mer den gleichen Wert. Und so soll jede einzelne Die Örtlichkeit spielt natürlich eine Rolle. Es Zutat auch behandelt werden. Meine Aufgabe war ein Glücksfall, als mir der Unternehmer Jürlautet also: Was mache ich, damit die Kartoffel, gen Großmann das denkmalgeschützte klassizisdie Rotbarbe – oder was auch immer – bestmögtische Haus in der Altstadt anbot. Einen besseren lich schmeckt? Nicht selten muss nur die GarPlatz konnte ich nicht finden und keinen besseren temperatur geändert werden oder die SchnittPartner, der gleichzeitig großzügig und zielsicher form. Manchmal ist es schwieriger. So tüftelte sein Geld einsetzt. Er gab mir völlig freie Hand BLICK HINTER DIE ich lange an einer aromatischen Jus für ein Rehbeim Umbau. Die einzige Prämisse hieß: Keinen KULISSEN gericht ohne Zusätze von Röstaromen und GerbEuro mehr als das festgelegte Budget. Gerne begrüße ich Sie stoffen. Schließlich habe ich Rehfleisch grob persönlich im „La Vie“. Bitte Beruflich bin ich ein Spätentwickler. Ich hockkontaktieren Sie mich. durch den Fleischwolf gedreht, es anschließend te nicht wie viele meiner berühmten Kollegen in Vakuum verpackt im Wasserbad erwärmt. Daschon als Kind in der Küche und half Muttern. bei tritt der reine Saft des Fleisches aus, den ich dann reduziere Ich hatte keine Ahnung, was ich nach Schulabschluss werden – eine unvergleichliche Essenz. sollte. Beim Arbeitsamt musste ich einen Fragebogen ausfülKreativität gehört zum Kochen. Aber man sollte es auch len. Drei Berufe kamen schließlich in Frage: Landwirt, Bäcker nicht übertreiben. Ich halte nichts von diesen wechselnden oder Koch. Bauer ging nicht – wir hatten kein Land. Bäcker, Moden in ihrer Ausschließlichkeit: mal Mus, mal Molekular. um Gottes willen – ich hasse Frühaufstehen. Okay, sagte ich: Die meisten Esser sind konservativ. Nicht umsonst sind die Ich werde Koch – und ich verspreche, ich werde ein guter. Man Italiener die erfolgreichsten Gastronomen in Deutschland, muss immer das Beste draus machen. Meine Frau, sie stammt mit ihren ewigen Tomate/Mozzarella, Pasta und Pizza. Neu- aus Sri Lanka, wollte eigentlich Krankenschwester werden. lich hatte ich einen Gast, der etwas verschämt gestand, er wür- 2003 wurde sie zum „Oberkellner des Jahres“ ausgezeichnet de am liebsten Bratkartoffeln und Steak essen. So etwas steht und 2010 mit ihrem Team zum „Service des Jahres“. Fotos: D e u t s c h e B a n k ; R e s t a u r a n t l a v i e 75 WERTE POLEN – EUROPAS MUSTERKNABE LÄNDER-REPORT NIEDRIGE LÖHNE, WENIG SCHULDEN, FLEISSIGE MENSCHEN UND DER WILLE, IN EUROPA MEHR VERANTWORTUNG ZU ÜBERNEHMEN, MACHEN POLEN ATTRAKTIV. Text: PAUL FLÜCKIGER Illustration: WIESLAW SMETEK GEEINTES EUROPA – UND POLEN MITTENDRIN Zu Zeiten Józef Chełmońskis (1849 – 1914) war Polen arm und von Bauern geprägt, wie das Gemälde des berühmten polnischen Landschaftsmalers zeigt. Bei der Neuinterpretation des Klassikers liegt Polen in der Mitte Europas und hat sich zu einem modernen Wirtschaftsland gewandelt. Das Original mit dem Titel „Altweibersommer“ hängt im Warschauer Nationalmuseum. 52 Wer hätte den Polen das vor ein paar Jahren zugetraut? Als einziges EUMitglied hat ausgerechnet Polen in der Wirtschafts- und Finanzkrise keine Rezession verzeichnet. Stattdessen ist die Wirtschaft seit 2008 um über 15 Prozent gewachsen. Allein 2009 legte das Land um 4,3 Prozent zu – Europarekord! Im laufenden Jahr sollen es zwar nur noch 2,5 Prozent werden, doch auch dies kann sich im europäischen Vergleich sehen lassen. Dies lässt Polen für Investoren nicht nur als eine sichere Insel erscheinen, es hat an der Weichsel auch zu einem neuen Selbstvertrauen geführt. „Wir wollen ein führendes Land in der EU werden“, sagt Regierungschef Donald Tusk regelmäßig. Warschau will nicht nur seine Position als EUMusterknabe verteidigen, sondern auch politisch ganz vorn mitmischen. Bei der Eurorettung etwa will das verhältnismäßig wenig verschuldete Land mitzahlen, obwohl es die Gemeinschaftswährung noch gar nicht eingeführt hat. Warschau versteht sich zudem nicht nur als Führungsmacht der zwölf EU-Neumitglieder, sondern auch als Brücke nach Osten – über die Ukraine bis zur RussischWeißrussisch-Kasachischen Zollunion. Schließlich redet Warschau einer mutigen EU-Erweiterung von Kroatien bis nach Georgien das Wort. Polens Aufschwung begann mit dem EU-Beitritt im Mai 2004. Heute profitiert das Land nicht nur von den immensen EU-Strukturhilfezahlungen, die etwas über drei Prozent des BIP ausmachen, sondern auch von einer bildungshungrigen und im Grundgefühl optimistisch eingestellten Gesellschaft. Innerhalb von nur zehn Jahren hat sich die Zahl der Hochschulabsolventen fast verdoppelt. Das gute Bildungsniveau wird von Investoren immer häufiger als Hauptgrund für ihre Standortwahl angegeben. Talent-Pooling hat den Faktor Billiglohn längst abgelöst, zumal nun die geburtenstarken Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt drängen. Vor allem Investoren aus der IT-Branche sowie aus den Bereichen Forschung und Business Process Outsourcing haben Polen in den letzten Jahren als großen Wachstumsmarkt entdeckt. Doch in allen Branchen lautet die Frage längst nicht mehr, wer eigentlich in Polen vertreten ist, sondern wer es noch nicht ist. Über 6000 deutsche Firmen haben sich in Polen niedergelassen. Für viele von ihnen ist Polen mit seinen 38 Millionen Einwohnern nicht nur ein vielversprechender Absatzmarkt, sie nutzen die günstige Lage mitten in Zentraleuropa auch als Brücke nach Osten. Viele deutsche Qualitätsprodukte werden inzwischen in Polen gefertigt, von Nivea-Creme bis hin zu ganzen Fahrzeugreihen von Opel und Volkswagen. Marktführer wie Siemens, Bertelsmann und MAN lagern ganze Backoffice-Bereiche nach Polen aus. Emigrationsschübe nach Großbritannien haben die Löhne für Facharbeiter und Spezialisten in Polen derart in die Höhe getrieben, dass nun die Früchte eines breiteren Wohlstands geerntet werden. So hat die Inlandsnachfrage den Export als Wachstumsmotor abgelöst. Eine konsumfreudige Mittelschicht, oft Doppelverdienerhaushalte, wächst und gewinnt auch politisch an Einfluss. 38 MIO. BEVÖLKERUNG Mit 38 Millionen Einwohnern bietet Polen den weitaus größten Binnenmarkt innerhalb der zwölf EU-Neumitglieder. Jedoch schlägt sich das Land inzwischen mit den gleichen demographischen Problemen wie Deutschland herum. Die Geburtenzahlen sind rückläufig, die Lebenserwartung steigt. Der Anteil der unter 14-Jährigen an der Gesamtbevölkerung hat sich seit der Wende von 1989 halbiert. Die Fruchtbarkeitsrate liegt mit 1,3 Kindern pro Frau sogar unter jener Deutschlands. Vor Jahresfrist sah sich die Regierung deshalb gezwungen, das Rentenalter schrittweise bis 2031 auf 67 Jahre anzuheben. Etwa zwei Millionen Polen haben ihre Heimat seit dem EUBeitritt 2004 auf der Suche nach Arbeit verlassen. Laut EU-Statistik ist jeder vierte Pole armutsgefährdet. Gleichzeitig jedoch haben sich die Reallöhne in den vergangenen zehn Jahren von umgerechnet durchschnittlich 530 Euro auf 930 Euro fast verdoppelt. GESCHICHTE UND POLITIK Die Teilungen im 18. Jahrhundert sowie die über hundertjährige Fremdherrschaft haben die Polen bis heute geprägt. Freiheitsdrang und Unbeugsamkeit sind deshalb ausgeprägter als anderswo. So kommt es nicht von ungefähr, dass das Ende des Kommunismus in Polen begann – mit der Gründung von Solidarnosc, der ersten freien Gewerkschaft Osteuropas, im August 1980. Und trotz Adolf Hitlers Überfall auf Polen hat seit der Wende Pragmatismus im deutschpolnischen Verhältnis alle alten Reparationsforderungen abgelöst. Daran konnte auch die kurze Regierungszeit der Kaczynski-Zwillinge von 2005 bis 2007 nichts ändern. Zwei von drei Polen hätten laut Umfragen heute nichts gegen einen deutschen Schwager, drei Viertel sind froh, Deutschland als Nachbarn zu haben. Seit dem Wahlsieg des liberalkonservativen Donald Tusk herrscht ein besonders enges Verhältnis zwischen Warschau und Berlin. 53 POLEN WERTE GESELLSCHAFT Seit dem EU-Beitritt gleichen sich Lebenswelt und -standard der Polen immer mehr dem der reicheren nördlichen EU-Mitglieder an. Zwar bezeichnen sich auch heute noch 96 Prozent der Polen als gläubige Katholiken, dennoch hat die Kirche ihre bestimmende Stellung in der Gesellschaft verloren. Das Vertrauen in die Kirche hat seit der Wende abgenommen, die Sexualmoral junger Polen unterscheidet sich Umfragen zufolge kaum noch von Gleichaltrigen in anderen Ländern. Statt zur Messe gehen viele am Sonntag lieber ins Einkaufszentrum. Eine moralische Autorität bleibt auch über seinen Tod 2005 hinaus der polnische Papst Johannes Paul II. Junge Frauen sind in Polen heute ambitionierter als die Männer, sie liegen auch bei Hochschulabschlüssen vorn. EU-MITGLIEDSCHAFT Hat sich Polen während der EU-Beitrittsverhandlungen jahrelang als besonders egoistisch gezeigt, so genießt Warschau in Brüssel inzwischen den Ruf eines Vorzeige-Europäers. Polen will sich nicht nur aktiv bei der Eurorettung beteiligen, die Regierung hat während der polnischen EU-Ratspräsidentschaft 2011 eine ganze Reihe von Initiativen für eine vertiefende europäische Integration lanciert. Dies alles geschieht nicht ohne Eigeninteresse, profitiert Polen doch sehr von den Direktzahlungen in der Landwirtschaft sowie von EU-Strukturhilfegeldern. Letztere machen knapp über drei Prozent des BIP aus. Trotz der Euro-Krise hält die Regierung Tusk am Ziel der 54 Euro-Einführung fest. Allerdings wird auf eine Datumsangabe verzichtet, denn nur noch eine Minderheit der Bürger will den Zloty durch den Euro ersetzen. Knapp unter 80 Prozent der Polen befürworten jedoch die EU-Mitgliedschaft – auch dies ist ein Spitzenwert. WACHSTUMSZENTREN Polen ist ein zentralisiertes Land, daher fließt das meiste Geld nach Warschau. Als guter Investitionsstandort hat sich jedoch schon früh vor allem Schlesien etabliert. Das Lohnniveau ist hier niedriger als in der Hauptstadt, die Lebensqualität gilt gleichzeitig als hervorragend. Gleiches gilt für die einstige Grubenstadt Katowice. Das in der Nähe liegende Gliwice ist für sein Opel-Werk bekannt. Das niederschlesische Wroclaw hat sich mit gezielter Investorenanwerbung einen Namen als Outsourcing-Paradies gemacht. Neben Schlesien haben sich Krakau und das bis heute preußisch geprägte Posen als Polens Wachstumszentren etabliert. Aus seinem Dornröschenschlaf ist in den letzten Jahren selbst das arme Ostpolen erwacht, dort vor allem Rzeszów und Lublin. ENERGIE UND UMWELT Polen hat außer Braun- und Steinkohle sowie Erdgas keine eigenen Ressourcen und ist daher hochgradig von Russland abhängig. Einzig die Stromproduktion kann selbst geleistet werden, hier allerdings zu 90 Prozent mit wenig umweltfreundlicher einheimischer Kohle. Als große Hoffnung werden zurzeit vermutete Schiefergasvorkommen von rund 5,3 Billionen Kubikmetern – so viel wie nirgendwo in Europa – gehan- delt. Polen wäre demnach für die kommenden 380 Jahre mit Erdgas versorgt und könnte sich vom bisherigen Moskauer Preisdiktat und damit einhergehendem politischem Druck befreien. 2022 steht auch die Fertigstellung eines ersten Atomkraftwerks an. Bis 2030 soll zudem der heute verschwindend kleine Anteil erneuerbarer Energieträger erhöht werden. Obwohl die polnische Unweltgesetzgebung inzwischen EUStandard erreicht, ist das ökologische Bewusstsein noch unterentwickelt. € € € ZUKUNFT UND INVESTITIONEN Mit Hilfe von EU-Geldern baut Polen das in fast 50 Jahren realsozialistischer Herrschaft vernachlässigte Bahn- und Straßennetz aus. Aus 1200 Kilometer Autobahn sollen bald 2000 Kilometer werden; Schnellbahntrassen sollen sich wie ein Netz über das Land legen. Doch die Regierungspläne stoßen in der Umsetzung an Grenzen. Ausschreibungsverfahren, die den Preis vor Qualität setzten, haben 2012 zu großen Konkursen in der Baubranche geführt. Auch die aufgeblähte Bürokratie ist ein Erbe des Kommunismus, dem keine Regierung bisher beikommen konnte. Politisch ist das EU- und Nato-Mitglied Polen stabil und als Brücke zwischen Ost und West in einer guten wirtschaftsstrategischen Lage. Doch manches hängt von den Entwicklungen an der immer autoritärer regierten östlichen EU-Außengrenze ab. Entscheidend für Polen sind allerdings Reformwille und Krisenbewältigung der EU insgesamt. PAUL FLÜCKIGER Der Journalist lebt seit zwölf Jahren in Warschau und schreibt u. a. für „Focus“, „Zeit“ und „Neue Zürcher Zeitung“. VON TUGENDEN UND WÄHRUNGSANLAGEN NACH EINSCHÄTZUNG DER DEUTSCHEN BANK BLEIBT DAS WIRTSCHAFTLICHE UMFELD IN POLEN AUCH 2013 ATTRAKTIV. KAI-ARNO JENSEN ÜBER CHANCEN UND RISIKEN FÜR ANLEGER BEI WÄHRUNGSANLAGEN. D ie Aussage „Polen sind fleißiger als Deutsche“ von Bundespräsident Joachim Gauck Mitte November sorgte für große Schlagzeilen in der deutschen Presse. Unabhängig davon, nach welcher statistischen Metrik „Fleiß“ gemessen wird und in welchen Dimensionen diese Aussage zutrifft, sind Bemerkungen dieser Art ein guter Anlass, möglicherweise vorhandene Vorurteile zu überprüfen und die Zuordnung von Tugenden neu zu überdenken. Mit durchschnittlich 4,3 Prozent per anno wuchs die polnische Wirtschaft in den letzten 20 Jahren so stark wie kaum eine andere Volkswirtschaft in Europa. Zwar macht sich aktuell die Konjunkturschwäche der Eurozone bemerkbar, die polnische Regierung hat aber reagiert und Mitte Oktober ein mittelfristiges Investitionsprogramm in Höhe von etwa 700 Milliarden Zloty (PLN) angekündigt. Vor allem in Energie, Schiefergas, Straßenbau, Schienennetz, sowie Bildung und Wissenschaft soll investiert werden. Von Seiten der Geldpolitik hat die polnische Zentralbank Anfang November einen Zinssenkungszyklus eingeleitet. Nach einer Absenkung auf 4,5 Prozent sind drei weitere Zinsschritte um jeweils 25 Basispunkte für die nächsten zwölf Monate in den Markterwartungen eingepreist. Dies führte am Rentenmarkt zu einem Renditerückgang zehnjähriger Staatsanleihen von knapp sechs Prozent am Jahresanfang auf aktuell etwa 4,2 Prozent. Foto: Deutsche Bank KAI-ARNO JENSEN Deutsche Bank AG, Wealth Management Tel: +49 (0)69 910 40 243 E-Mail: [email protected] „NEBEN DEM ZLOTY SIND AKTUELL ANLAGEN IN BRASILIANISCHEN REAL, TÜRKISCHEN LIRA, SCHWEDISCHEN KRONEN UND MEXIKANISCHEN PESOS INTERESSANT.“ Das beschriebene Zins- und Wachstumsumfeld macht den polnischen Zloty zu einer Währung, die sich für die Strategie einer Anlage in einen diversifizierten Währungskorb von Ländern mit kräftigem Wirtschaftswachstum und einem attraktiven, deutlich höheren Zinsniveau als am Heimatmarkt qualifiziert. Neben dem Zloty sind unter diesen Gesichtspunkten aktuell Anlagen in Brasilianischen Real, Türkischen Lira, Schwedischen Kronen und Mexikanischen Pesos interessant. Die genannten Währungen bieten teils deutliche Zinsvorsprünge gegenüber dem Euro. Der Zinsvorsprung erfüllt dabei aus Anlegersicht zwei Funktionen: Werten die Fremdwährungen nicht wie erwartet auf, sondern entwickeln sich seitwärts, ergibt sich aus dem Zinsvorsprung eine laufende positive Ertragskomponente. Sollte die Währungsseite wider Erwarten temporär ins Minus rutschen, bietet der Zinsvorsprung einen Risikopuffer. Durch Währungsanlagen können Renditevorteile wahrgenommen werden. Neben dem Renditeaspekt bieten sie aber auch gute Diversifizierungseigenschaften. Dies gilt vor allem auch für die Währungsbewegungen in diesem Jahr, die weniger von relativen Konjunktur- und Zinsentwicklungen beeinflusst waren als vielmehr von Änderungen der Risikoneigung und des Sentiments an den internationalen Finanzmärkten. Im aktuellen Umfeld halten wir, je nach individuellem Anlageprofil, Fremdwährungsanteile von rund 20 bis 50 Prozent des Wertpapiervermögens für sinnvoll. 55 W E RT E R E G I O N A L GRÜNDER HACKFWD „WIR BRINGEN JUNGE UNTERNEHMER UND GRÜNDER ZUSAMMEN UND FÖRDERN DEN AUSTAUSCH VON IDEEN UND INNOVATIONEN.“ Frank Schriever AUERBACH SCHIFFFAHRT MIT FRACHTERN GEGEN DEN STROM FREIE UND GRÜNDERSTADT HAMBURG SIE HABEN INNOVATIVE IDEEN, SIND INTERNATIONAL VERNETZT UND WOLLEN DIE WELT EROBERN. SECHS GRÜNDER IM PORTRÄT. Text: DANIELA SCHRÖDER Hamburgs jüngste Reeder steuern zurück in die Zukunft. Abseits vom Geschäft der Containerriesen und Charter-Flotten bauen Alexander Tebbe, 30, und Lucius Bunk, 33 (im Foto rechts), seit zwei Jahren eine klassische Reederei auf – eine Reederei mit eigenen Schiffen. Auch beim Finanzieren geht das Start-up andere Wege: Bunk und Tebbe setzen nicht auf die üblichen Schiffsfonds – sie beteiligen ihre Investoren lieber als Gesellschafter am gesamten Unternehmen. Gut ein Dutzend sind bisher an Bord, der Großteil alteingesessene Hamburger Kaufmannsfamilien. Wachstum auf Substanz bauen, reale Unternehmenswerte schaffen, das galt lange Zeit als altmodisch. Doch die Werte von gestern sind auch die Werte von morgen, ist das GründerDuo überzeugt. Die vergangenen Boom- und anhaltenden Krisenjahre in der Branche seien der Beweis. „Möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen, dabei aber keine Verantwortung für Verluste übernehmen, das funktioniert auf Dauer nicht“, sagt Tebbe. „Ein Schifffahrtsunternehmen ist kein Spekulationsobjekt“, ergänzt der zweifache Familienvater Bunk. „Es muss wieder zu dem werden, was es über Jahrhunderte gewesen ist: ein Transportpartner für den weltweiten Handel mit Waren und Gütern.“ In Krisenzeiten etwas Neues auf die Beine zu stellen ist schwer. Die Schifffahrtskaueute, seit Jahren Kollegen und Freunde, wagten es trotzdem. „Manchmal muss man gegen den Strom schwimmen“, sagt Tebbe. „Wenn es dunkel ist, dann kommt auch wieder Licht.“ Eine Krise ist auch eine Chance, Bunk und Tebbe nutzten sie. Einen zweistelligen Euro-MillionenBetrag stellten ihre Investoren bislang bereit, drei Frachter sind mittlerweile für Auerbach Schifffahrt unterwegs, transportieren Stückgut über die Weltmeere. Als Reeder sehen sich die beiden allerdings nicht. „Wer ein Schiff kauft, der ist noch lange kein Reeder“, sagt Bunk. „Reeder ist ein Titel, den man sich über viele Jahre verdienen und erarbeiten muss.“ Hanseatisches Understatement – noch ein alter Wert mit Zukunft. www.auerbach-schifffahrt.de GRÜNDERN BEIM GRÜNDEN HELFEN Dieser Mann hat großen Spaß am Gründen. Er hat das Online-Netzwerk Xing gegründet und erfolgreich an die Börse gebracht. Nun hilft er anderen jungen Unternehmern mit Geld und Zuspruch auf die Sprünge. Lars Hinrichs will sie regelrecht zum Verwirklichen innovativer digitaler Geschäftsideen anstiften. Seine neue Firma heißt HackFwd (kurz für HackForward) und versteht sich als Mix aus Geldgeber und MentorenNetzwerk. Nicht der Geschäftsplan zählt für Hinrichs, sondern die Idee. Anschubnanzierung bekommt von ihm, wer eine Online-Idee entwickelt hat, die es auf dem Markt noch nicht gibt. Von Geldsorgen befreit, sollen sich die Programmierer dann auf die Entwicklung ihres Produkts konzentrieren können. Um Investorensuche, Marketing, Management sowie passende Mitarbeiter kümmert sich HackFwd – und erhält dafür knapp ein Drittel der Anteile der Neugründung. „In keiner Branche gibt es so viele Chancen für Gründer wie in der Internetwirtschaft“, erklärt der 35-Jährige. Das Internet sei ein extrem junger, dynamischer und riesiger Markt, dessen Potenzial auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht schrumpfe. Im Gegenteil, sagt Hinrichs: „Egal ob Krise oder Nicht-Krise – neue Technologien machen das Leben einfacher, also setzen wir sie auch immer stärker ein.“ Und: „Programmierer sind die Künstler des 21. Jahrhunderts. Nur sie können die digitale Industrie verändern.“ Darum greift ihnen HackFwd unter die Arme. Der aus einer Hamburger Bäckerei-Dynastie stammende Unternehmensgründer und -mentor hält seiner Heimatstadt die Treue. Denn um Chancen zu erkennen und sie in Erfolge umzusetzen, brauche es zwei Dinge – Bodenständigkeit und Offenheit. „Egal ob alteingesessene Unternehmer oder JungGründer“, sagt Lars Hinrichs, „Hamburger sind keine Glücksritter, aber stets offen für Neues.“ www. hackfwd.com Pro-Gründer und leidenschaftlicher Netzwerker : Lars Hinrichs an der Alster. 83 WERTE REGIONAL GRÜNDER MY TAXI Prototypen unter sich: Thomas König, Oliver Schmidt und Porsche 356 vor der Oberhafenkantine. PROTOTYP TRÜFFELSUCHER AM HAFENRAND Weiße Wände, weiße Böden, das Ambiente einer modernen Kunstgalerie. Allerdings zeigt die Ausstellung Prototyp in der HafenCity historische Exponate: alte deutsche Rennwagen – die meisten Unikate aus den frühen Nachkriegsjahren – plus eine Reihe Porsche-Raritäten. Weit mehr als eine Sammlung alter Schätzchen, nden die Ausstellungsmacher Oliver Schmidt, 39, und Thomas König, 42. Daher interpretierten sie das Konzept eines Automuseums neu. Digitale Medien und Original-Dokumente erzählen von den Konstrukteuren und Fahrern, Fotoausstellungen führen große Menschen und Momente des Rennsports vor Augen. „Der Faktor Kunst und Kultur macht einen entscheidenden Teil der Faszination von Autos aus“, erklärt König den ungewöhnlichen Anspruch. Begonnen hat alles mit einem alten VW, den die beiden Jugendfreunde vor zwei Jahrzehnten restaurierten. Nach und nach kamen weitere Oldtimer hinzu, irgendwann beschlossen der Architekt und der Kaufmann, ihre Passion zur Profession zu machen. Den passenden Rahmen für ihr Konzept fanden sie in einem alten Fabrikgebäude in der HafenCity. Heute ist es das größte innerstädtische Stadtentwicklungsprojekt in Europa; als König und Schmidt sich für den Standort entschieden haben, war es jedoch noch eine Brachäche. „Aber als Autosammler sind wir sowieso Trüffelschweine“, sagt König, „daher glaubten wir an die Zukunft des neuen Quartiers.“ Der Mut der Pioniere zahlte sich aus: Die Besucherzahlen wachsen beständig, im vergangenen Jahr kamen mehr als 50 000 Auto-Interessierte. Was neben den Inhalten der Ausstellung auch am Standort liegt, sagt König. „Wir protieren davon, dass Hamburg eine gute Marke ist.“ www.prototyp-hamburg.de 84 INDIVUMED MIT DEM TAXI NACH AUSTRALIEN INTERNATIONALE KREBSDATENBANK Seit Sven Külper und Niclaus Mewes auf die Straße gingen und die Revolution ausriefen, steht die Taxiwelt kopf. Vor drei Jahren brachten die Hamburger mit einer App ein System auf den Markt, mit dem sich ein Taxi per Smartphone an jeden Ort bestellen lässt – ohne den üblichen Umweg über eine Taxizentrale und sogar ohne die Angabe irgendeiner Adresse, da der Fahrer seinen Kunden einfach via Internet orten kann. „Wir hatten schon seit längerem die Idee, bestehende Mobilitätsangebote wie zum Beispiel Mitfahrzentralen über eine App zu optimieren. Als wir dann eines Nachts in München kein Taxi fanden, kam uns die Idee“, erzählen der 33-jährige Külper und sein ein Jahr älterer Cousin. Die jungen Gründer nannten ihre Firma myTaxi, Startkapital kam von der Telekom und von Daimler – sehr zum Ärger so mancher Taxizentrale, die um Marktanteile fürchtet. Zu Recht, denn die App wurde bis heute 1,7 Millionen Mal runtergeladen, 15 000 Taxis in 30 Städten in Deutschland machen mit, darüber hinaus funktioniert myTaxi in Barcelona, Graz, Wien und Zürich – und bald auch in Australien. Die Hamburger Idee kommt so gut an, dass die junge Gründung auf der CeBIT unter 50 internationalen Teilnehmern als innovativste Geschäftsidee mit dem CODE_n12 Award ausgezeichnet worden ist. Mittlerweile tummelt sich auch eine Reihe Nachahmer auf dem Markt. Um die Konkurrenz auf Abstand zu halten, erndet myTaxi immer wieder neue Extras, zuletzt zum Beispiel eine in die App integrierte Bezahlfunktion. Beim Sichern des Technikvorsprungs bauen die Firmenchefs übrigens auf eine Talentschmiede vor der Haustür: Neue Weiterdenker ndet myTaxi an der Fachhochschule Hamburg-Wedel, einem der führenden deutschen Informatik-Institute. Der Kampf gegen den Krebs gilt als eine der größten Herausforderungen der Medizin. Nicht nur wegen der verschiedenen Krebsarten. Auch identisch diagnostizierte Erkrankungen unterscheiden sich von Patient zu Patient, Ursachen und Verlauf sind individuell wie ein Fingerabdruck. Einheitstherapien gelten daher als falscher Ansatz. Für das Entwickeln maßgeschneiderter Konzepte brauchen Ärzte jedoch detaillierte Informationen über Tumor und Patient. Dies alles war für Krebsforscher Hartmut Juhl Grund genug, ein Unternehmen zu gründen, das genau an diesem Punkt ansetzt. Seit 2002 sammelt, analysiert und erfasst Indivumed Tumor- und Gewebeproben sowie Angaben zur Krankheitsgeschichte. Mehr als 300 Details erfassen seine Mitarbeiter pro Patient – und das bereits in den Krankenhäusern. „Das Gewinnen von Proben und Daten für die Forschung muss nach wissenschaftlichen Standards erfolgen“, erklärt Juhl. „Bei jedem Patienten gleich und egal in welchem Krankenhaus er liegt.“ Hamburg ist dafür ideal. „Die Zahl an leistungsstar ken, auf unterschiedliche Krebserkrankungen spezialisierten Krankenhäusern ist hier sehr hoch.“ Gut 16 500 Gewebe-Steckbriefe enthält die Datenbank bereits. Mit dem Verkauf von Wissen an Pharmahersteller nanziert Indivumed die eigene Forschung, Krankenhäuser greifen als Kooperationspartner auf die Daten zu oder geben Analysen in Auftrag. Eine Chance, die auch amerikanische Krebszentren nutzen: Indivumed unterhält bereits Niederlassungen in den USA. Trotz des Erfolgs tickt der 52-jährige Firmengründer weiterhin wie ein Forscher: „Wir sind nicht nur Dienstleister für das Entwickeln individueller Krebstherapien“, beschreibt er die Philosophie seines 100-Mitarbeiter-Unternehmens. „Wir entwickeln selbst diagnostische Tests für den personalisierten Einsatz neuer Krebsmedikamente.“ www.mytaxi.net myTaxi-Gründer Sven Külper und Niclaus Mewes vor ihrem Büro an der Großen Elbstraße. Janna Schmidt-Holtz und Judith Bentas (rechts) mit Kaiserwetter-Team. KAISERWETTER GESUNDES WACHSTUM MIT BIOKOST Regenloch der Nation? In Sachen Wetter ist Hamburgs Ruf ramponiert, dabei regnet es an der Elbe statistisch bewiesen viel weniger als etwa an der Isar. Mehr noch: Die Hamburger können jeden Tag Kaiserwetter genießen – wenn sie sich eine Pause in den gleichnamigen Cafés von Janna Schmidt-Holtz und Judith Bentas gönnen. Schwarzbrotstullen und Hühnersuppentopf, Quarkspeisen und Apfelkuchen – die beiden Gründerinnen setzen auf gute alte deutsche Hausmannskost. Sie wird jeden Morgen in der eigenen Großküche zubereitet, der Fokus liegt dabei auf Bio-Zutaten aus der Region. Eine ordentliche Portion Heimat steckt auch in der Einrichtung der Cafés: Massive Holztische, rot-weiß karierte Kissen, alte Emaille-Lampen an den Wänden. „Unsere Gäste sollen sich bei uns zu Hause fühlen“, sagt die 33-jährige Judith Bentas. „Wir bieten ihnen gesunde, bodenständige Gerichte in netter Atmosphäre.“ „Etwas Bodenständiges“, danach suchte die 28-jährige Janna Schmidt-Holtz, die zuvor Unternehmensberaterin in London und Mitbegründerin einer Internetrma in Berlin war. „Ich wollte nicht nur eigenverantwortlich als Unternehmerin arbeiten, sondern auch etwas Handfestes machen.“ Die passende Partnerin fand sie in Judith Bentas, einer Eventmanagerin und leidenschaftlichen Köchin. Im Herbst 2009 eröffneten sie ihre erste Kaiserwetter-Filiale in der Innenstadt, im vergangenen Frühjahr kam die zweite dazu. 45 Mitarbeiter gehören mittlerweile zum Team, der Jahresumsatz lag zuletzt bei gut 1,5 Millionen Euro. Und die beiden Gründerinnen wollen expandieren: Mindestens sieben weitere Läden sollen in den nächsten drei Jahren dazukommen. Das große Ziel ist ein deutschlandweites Filialnetz. Allerdings steht bei ihnen gesundes, langfristiges Wachstum an erster Stelle. „Wir wollen zwar zum Mond iegen“, sagt Janna Schmidt-Holtz, „doch auf dem Weg dorthin liegen schon Sterne – und auch mit denen kann man glücklich sein.“ www.kaiserwetter-food.com Fotos: AXEL MARTENS für WERTE (3); Gulliver Theis; Hack Fwd PR; Kaiserwetter PR www.indivumed.com Gründer Hartmut Juhl im Indivumed-Labor. 85 WERTE REGIONAL UNTERNEHMERGESPRÄCH ALTER HASE TRIFFT JUNGE DACHSE FRANK SCHRIEVER BAT ZWEI UNTERNEHMERGENERATIONEN ZUM GESPRÄCH ÜBER HANSEATISCHE KAUFMANNSTUGENDEN UND KRISENMANAGEMENT. UNTERNEHMERGESPRÄCH frank schriever: Hamburg verzeichnet 2011 einen Anstieg der Gewerbeanmeldungen um 5,7 Prozent. Was macht Hamburg so attraktiv? claus heinemann: Hamburg ist eine spannende Stadt, weltoffen, international, hat den Menschen viel zu bieten. lucius bunk: Wir waren immer fasziniert von den Hanseaten, die es geschafft haben, in Krisenzeiten zu gründen und über mehrere Zyklen kontinuierlich Geschäft aufzubauen. Das geht nicht ohne Werte. Für uns sind das: vor Entscheidungen länger nachdenken, kontinuierlich wachsen, nachhaltige Strukturen schaffen, mit denen sich Krisen überstehen lassen. alexander tebbe: Die Frage nach dem Standort haben wir uns auch gestellt. Lucius ist dann sogar aus Shanghai nach Hamburg umgezogen, um hier Auerbach Schifffahrt zu gründen … lucius bunk: Wir wollten ein Unternehmen auf den Tugenden des ehrbaren Kaufmanns und mit Hanseaten aufbauen, die diese verkörpern. Natürlich hätte man auch in Shanghai gründen können. Doch dort denkt man anders: kurzfristiger, mit schnellerem Turnaround und billigen Assets. Das wollten wir nicht. claus heinemann: Heutzutage schmückt sich doch jede Firma mit Werten … lucius bunk: Aber bei uns sind das keine Floskeln. Wir sind 2010 mit dem Ziel angetreten, mit Geduld und Vorsicht zu agieren. Wir wollen Auerbach auf lange Sicht etablieren und nicht das schnelle Geld um jeden Preis machen. frank schriever: Zu den Hamburger Kaufmannstugenden zählen unter anderem Wagemut, Sparsamkeit, Weitblick, Fleiß und Demut. Was hat Sie besonders inspiriert? 86 Auerbach-Gründer Lucius Bunk und Alexander Tebbe, Gastgeber Frank Schriever und Claus Heinemann (v. l.) im Atrium der Deutschen Bank. Zwei Welten an einem Tisch: Am 27. September trafen sich im Atrium der Deutschen Bank am Adolphsplatz zwei Generationen Hamburger Kaufleute zum Dialog. Auf der einen Seite Claus Heinemann, der das 1879 gegründete Familienunternehmen Gebr. Heinemann (5500 Mitarbeiter, zwei Milliarden Euro Umsatz) leitet. Auf der anderen Seite Lucius Bunk und Alexander Tebbe, die in der größten Krise ihrer Branche Auerbach Schifffahrt gegründet haben. Frank Schriever hat das von Respekt geprägte Gespräch moderiert. frank schriever: Herr Heinemann, Sie haben auch einen Wertekodex … claus heinemann: Wichtig ist, dass Werte keine Hülle sind. Wir stellen daher unsere persönliche Note und unsere Eigenarten in den Vordergrund. Das sind familiärer Umgang miteinander, eine nette Arbeitsatmosphäre und, ganz wichtig, Humor. frank schriever: Warum Humor? claus heinemann: Ich bin der Meinung, dass sich die Deutschen viel zu ernst nehmen, dabei lassen sich mit Humor viele Probleme leichter lösen. frank schriever: Wie behält man in Krisen Humor? claus heinemann: Wenn Sie gute Mitarbeiter haben, an die Zukunft glauben und Vertrauen in den Markt haben. frank schriever: Das mag für ein 133 Jahre altes Unternehmen wie Gebr. Heinemann gelten. Gilt das aber auch bei jungen Dachsen? claus heinemann: Diese jungen Leute hier haben Beistand von erfahrenen Reedern, die aus der gleichen Branche kommen wie sie. Das gibt ihnen und Außenstehenden Sicherheit. Da mache ich mir keine Sorgen. Was die viel mehr brauchen, sind finanzstarke und geduldige Gesellschafter. Da sehe ich die Hauptschwierigkeit. frank schriever: Sie sind ja auch noch recht jung in einem alten Gewerbe. alexander tebbe: Es gibt viele, die uns gesagt haben: Jetzt seid ihr gerade mal 30 Jahre alt. Seid ihr nicht noch ein bisschen zu jung für das große Geschäft? Es ist gerade eine schwierige Zeit für Reeder. Wartet doch erst mal ab, bis sich die Wogen geglättet haben. lucius bunk: Die Investoren, die wir haben, sehen das genau andersherum. Die freuen sich, dass wir erst 30 sind. Die sagen uns: Ihr habt euer Kaufmannsleben noch vor euch. Wir stehen euch dabei mit unserer Erfahrung zur Seite. frank schriever: Wo sehen Sie die Risiken? lucius bunk: Wir rechnen noch mit einer länger anhaltenden Krise. Es ist über Jahre hinweg viel gekauft und investiert worden, vielfach am Markt vorbei. Es wurden Schiffe mit drei Jahren Vorlaufzeit bestellt, die werden jetzt erst ausgeliefert. Wir machen unseren Investoren keine falschen Hoffnungen. frank schriever: Wie schützen Sie sich vor den Risiken? alexander tebbe: Auf Sicht fahren. Flexibel sein. Wir haben mit unseren Gesellschaftern zum Glück eine gesunde Grundstruktur. frank schriever: Wie kann Ihnen ein Beirat helfen? claus heinemann: Der Beirat kann bei Fragen der strategischen Ausrichtung, bei Generationenproblemen oder neutraler Betrachtung behilflich sein. alexander tebbe: Strategisch langfristige und kapitalintensive EntscheidunFotos: DAN HANNEN für WERTE (4) gen werden mit unserem Beirat besprochen. Da sitzen wir auf Augenhöhe … lucius bunk: … und das haben wir von Anfang so gewollt. Die Schifffahrt hat ja in vielen Bereichen noch archaische Strukturen. Da ist ein gewisser Nachholbedarf, was die Optimierung von Prozessen angeht, die Offenheit für ITLösungen, Vernetzung und Controlling etwa. Da haben wir Potenzial, gehen mit frischem Blick heran. Aber das kann nie die Erfahrungen von gestandenen Unternehmern ersetzen, die wissen, was es zum Beispiel bedeutet, wenn ein Markt überhitzt – und wie man dann reagiert. frank schriever: Wie häufig sollte man sein Geschäftsmodell hinterfragen? claus heinemann: Man muss sich permanent in Frage stellen, darf sich nie zurücklehnen, auch nicht, wenn man Erfolg in der Vergangenheit hatte. alexander tebbe: Unseren Investoren war wichtig, dass wir alle an einem Strang ziehen. Erst kürzlich saßen wir wieder bei Kaffee und Tee zusammen, zwei bis drei Stunden lang, und haben alle Themen intensiv und offen besprochen. Am Ende haben wir eine gemeinsame Entscheidung getroffen. frank schriever: Wie finden Sie gute Mitarbeiter? alexander tebbe: Wir haben bei Facebook eine Anzeige geschaltet. frank schriever: Würden Sie mit diesen jungen Unternehmern arbeiten? claus heinemann: Wenn das Geschäftsmodell stimmt und, genauso wichtig, wenn es sympathische und intelligente Menschen wie diese beiden sind, dann ein klares Ja. Sympathie und Vertrauen sind wichtig – Menschen bestimmen mehr denn je die Erfolgsaussichten! „DIE MISCHUNG AUS GUTEM INVES TITIONSKLIMA, KAUFMÄNNISCHEM WAGEMUT, WEITSICHT UND INTERNATIONALEM DENKEN MACHT HAMBURG SEIT JEHER ZUR STADT DER GRÜNDER.“ Frank Schriever frank schriever: Welche Vorteile haben junge Unternehmer? claus heinemann: Eine Firma neu aufzubauen bedeutet, dass man keine alteingesessenen Strukturen hat, die mitunter kostenintensiv sind. frank schriever: Gibt es etwas, was Sie von jungen Unternehmern lernen? claus heinemann: Offenheit gegenüber Veränderungen und die ganze Social-Media-Welt. Ich bewundere vor allem den Mut der jungen Leute, heute in der Schifffahrt zu investieren. frank schriever: Und welche Nachteile sehen Sie? claus heinemann: Der ältere Unternehmer hat Strukturen, auf die er aufbauen kann. Da ist zum Beispiel das gewachsene Vertrauen zu Mitarbeitern. 87