ink(ink - Zeitung der 50k) - Die Deutsche Journalistenschule

Transcription

ink(ink - Zeitung der 50k) - Die Deutsche Journalistenschule
Operations continue
An entrepreneur resigned – and became the saviour
„Print stands for authority“
An interview with Jakob Augstein
Memory loss
How harddisks threaten our legacy
Sensuous pages
Das Magazin der Drupa · Ein Projekt der Deutschen Journalistenschule
A book designer on the eroticism of paper
Es geht weiter.
Wie ein Unternehmer abtrat –
und damit zum Retter
wurde
Sinnliche Seiten
Ein Buchdesigner über
die Erotik von Papier
„Print ist Autorität“
Ein Gespräch mit Jakob Augstein
Gedächtnisverlust
Wie die Festplatte unser
Erbe bedroht
Seite 2 · INK
AUF
ICH
BIN
DAS
EINZIGE
WAS
SIE
JETZT
GERADE
ANSCHAUEN
I am the power of print.
Wenn Verbraucher eine Zeitung, eine Zeitschrift oder einen Katalog in die Hand
nehmen, investieren sie tatsächlich ihre Zeit und Aufmerksamkeit in die Suche
nach Informationen.
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INK · Seite 3
EDI
TOR
I A
impressum
INK. ist ein Projekt der Lehrredaktion 50K der
Deutschen Journalistenschule München im Rahmen der Kooperation mit dem Verband Deutscher
Papierfabriken e.V.
Mit freundlicher Unterstützung von UPM, des
Verbandes Druck + Medien Nordwest e.V. und der
Rheinisch-Bergischen-Druckerei GmbH & Co. KG
Gedruckt auf UPM Brite 55 g/m2
D
ie wichtigste Botschaft, die die Printbranche in letzter Zeit
bekommen hat, begann mit einem Erdbeben. Eine Handvoll Wissenschaftler löste es im vergangenen Herbst auf der
Frankfurter Buchmesse aus.
Hirnforscher der Uni Mainz stellten eine Studie vor, in der sie
nachwiesen, dass sich Text auf Papier, anders als lange vermutet,
keineswegs besser liest als auf dem Bildschirm. Probanden hatten
im Labor auf dem iPad gelesen, auf dem Kindle, und auf bedrucktem Papier. Das Ergebnis erschütterte die Buchmesse: Auf dem
Bildschirm lasen die Testpersonen nicht nur gleich schnell und
gleich gründlich wie auf Papier – sie behielten auch ebenso viel im
Gedächtnis. Das Lesen am Bildschirm, so die Forscher, habe gegenüber dem Lesen vom Papier keinen Nachteil. Damit fiel eine
der vermeintlich letzten Bastionen gegen den Vormarsch der digitalen Lesegeräte: Die Überzeugung, dass
man lange, anspruchsvolle Texte immer
und ausschließlich in gedruckter Form
lesen würde.
Chefredakteur
Jan Stremmel
Chef vom Dienst
Felix Brumm
Textchefin
Katrin Kuntz
In der Schreckensmeldung steckte aber
auch eine gute Nachricht. So gut wie
alle Probanden sagten nämlich, dass sie
am liebsten den gedruckten Text gelesen
hätten. Aus Sicht der Hirnforscher funktionieren E-Reader und Buch gleich gut
– doch subjektiv bevorzugen die Leser
den Komfort des Papiers.
Gestaltung
Tom Valk,
Akademie Druck + Medien Nord-West e.V.
Redaktion
Theresa Breuer, Florian Haamann,
Kaspar Heinrich, Michaela Kakuk,
Christiane Lutz, Katharina Mutz,
Gösta Neumann, Ann-Kathrin Nezik,
Eva Röder, Vera Vester, Johannes Wendt,
Veronika Widmann
V.i.S.d.P.
responsible according to the press law
Gregor Andreas Geiger
Bereichsleiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Director Press and Public Relations
Verband Deutscher Papierfabriken e.V.
German Pulp and Paper Association
Adenauerallee 55
D-53113 Bonn
www.vdp-online.de
Wer über die Zukunft von Print redet, hört Vokabeln, die eine Apokalypse beschreiben könnten. Untergang, Aussterben, Tod. Dabei
ist auch ohne Hirnforschung klar: Neue Trends rotten das Alte
in der Regel nicht aus, sondern ergänzen es. Die meisten von uns
editorial
Wer die neue Rolle von Print erkannt hat, muss den Trend zum
Digitalen nicht fürchten. Er kann von ihm profitieren – wie der
Verleger Jakob Augstein, der seit drei Jahren das Internet als Meinungsmaschine nutzt, um seine gedruckte Zeitung zu bereichern.
Er hat uns seine Vision erklärt. (Seite 9)
Wenn sich aber Papier immer mehr vom
Kommunikationsmittel zum Luxusgut
wandelt – wie lässt sich seine Anziehungskraft verstärken? Niemand kann
diese Frage besser beantworten als Lukas
Kircher. Der renommierte Zeitungsdesigner sagt: mit herausragender Optik. So
steigert er in ganz Deutschland trotz Anzeigenflaute die Auflagen. Wir haben ihn
besucht. (Seite 12)
bleibt unsere
wichtigste
Kulturtechnik “
Papier inspiriert und verführt. Und: Es bleibt. Seit Jahrtausenden
bewährt es sich als Träger von Informationen. Die Bücher und Zeitschriften in unseren Regalen werden noch existieren, wenn selbst
das iPad 9 längst Elektroschrott ist. Ein Text, den wir vor 15 Jahren
auf eine Diskette gespeichert haben, ist schon heute verloren. Floppy Disks hielten selten länger als fünf Jahre, und um sie zu lesen,
müssten wir heute ein Technikmuseum besuchen.
Was, wenn das Schicksal der Floppy Disk eines Tages die Server ereilt, auf denen unsere E-Mails, unsere Steuererklärungen, Kontoauszüge, Fotos und Liebesbriefe lagern? Zukunftsforscher warnen,
dass die Archäologen der Zukunft eines Tages ratlos vor verstaubten Metallkästen stehen könnten, die man einst als „Festplatten“
bezeichnete. Sie würden unser Zeitalter mangels Überlieferungen
als „Dark Age“ einstufen. Was wird der Nachwelt von uns bleiben?
Wir haben uns auf die Suche gemacht. (Seite 6)
Übersetzung
Uta Schieck
Neue Trends drängen das Alte ein Stück weit beiseite. Und öffnen
dadurch einen objektiven Blick auf das, was lange selbstverständlich war. Über Jahrhunderte war kaum jemandem bewusst, welchen Komfort es bedeutet, einen gedruckten Text zu lesen – es gab
ja keine Konkurrenz. Erst heute, da wir täglich von Bildschirmen
lesen, beginnen wir, Papier zu lieben. Die Mainzer Probanden haben das bewiesen.
„lesen
Ungelesene Bücher seien „zugleich mahnender Finger und süße Verlockung“, schrieb Josef Joffe, Mitherausgeber der „Zeit“, kürzlich – während hunderte von E-Books auf
der Festplatte seines Kindles praktisch nicht existierten.
Beratung
Christian Bleher
nutzen Fernseher, Stereoanlagen, Autos – und doch gehen wir ins
Theater, auf Konzerte, fahren Rad.
Im April 2011 verkaufte Amazon zum
ersten Mal mehr E-Books als gedruckte
Bücher. Das liegt zwar vor allem daran,
dass digitale Bücher in den USA deutlich billiger sind als solche
aus Papier – doch auch der deutsche Buchhandel muss sich die
Frage stellen: Wie bringt man heute noch Menschen dazu, für ein
Buch aus Papier Geld zu zahlen? Zum Beispiel, in dem man es als
erotisch-sinnliches Erlebnis gestaltet. Wir haben Deutschlands bekanntesten Buchdesigner in eine Buchhandlung geführt und das
Rendezvous dokumentiert. (Seite 20)
Eines verbindet die Menschen in diesem Heft: Sie haben erkannt,
dass sich das Koordinatensystem rund um das gedruckte Wort verschiebt – und sie richten sich danach aus. Der Strukturwandel fordert Opfer und die Bereitschaft zum Umdenken, wie das Beispiel
des Traditionsunternehmers Ulrich Scheufelen zeigt, der seine Firma in der Krise neu erfunden hat. (Seite 16)
Eines aber wird sich mit Sicherheit nicht ändern: Lesen bleibt unsere wichtigste Kulturtechnik. Und wie die Mainzer Studie nahe
legt, ist unsere spezielle Liebe gerade zum gedruckten Wort nicht
immer rational zu erklären. Diese Liebe weiter zu entfachen – das
ist heute die Aufgabe von Print.
Viel Vergnügen beim Lesen!
Jan Stremmel
As Josef Joffe, co-editor of ZEIT, put it recently: unread books are
that new trends normally complement an old system rather than
In April 2011, amazon for the first time sold more E-books than
„simultaneously a reminder and a sweet temptation „. By compa-
extinguishing it. Most of us use TV, stereo systems, cars – but
printed issues. This is primarily due to the fact that, in the USA,
rison, he feels the hundreds of E-books stored on his Kindle are
we also attend theatre performances and concerts and we ride a
the price of digital books is substantially cheaper than that of pa-
practically non-existent.
bike. New trends oust the old ones to some extent – thus opening
per books. However, German booksellers, too, have to ask them-
up an objective view of what long used to be considered a mat-
selves nowadays how to motivate people to buy paper books. The
Paper inspires and seduces. And it is permanent. Over millennia,
ter of course. Over many centuries, hardly anybody realized the
answer might be, for instance, by designing it as an erotic-sensual
paper has proven satisfactory as an information carrier. The books
comfort aspect of reading a printed text – because there was no
event. We took Germany‘s most popular book designer to a book-
Brain researchers at Mainz University presented a study which
and magazines now filling our shelves will still be there when iPad
alternative. It is only in our time when we are accustomed to dai-
shop and documented the rendezvous. (page 20)
proved that, contrary to previous assumptions, texts on paper are
9 has long turned into electronic waste. A text stored on a disk 15
ly reading from screens that we begin to love paper - a fact that
by no means easier to read than texts on the monitor. In the la-
years ago is no longer retrievable. Since the lifetime of floppy disks
has been confirmed by the volunteers in the Mainz experiment.
boratory volunteers had read texts on an iPad, on a Kindle and on
hardly ever exceeded five years, we would have to visit a museum
printed paper. The result rocked the book fair: both reading speed
of technology if we wanted to read them today.
The most important message that reached the print industry recently began with an earthquake. A handful of scientists triggered
it at the Frankfurt Book Fair last autumn.
and reading accuracy were identical for screen and paper – and
There is one thing that all people appearing in this magazine have
in common: they are aware of the shifting coordinate system sur-
Once we realize the new role of print media, the trend toward di-
rounding the printed word – and they are organizing themselves
gital technologies loses its menace. On the contrary – we may
accordingly. The structural change necessitates sacrifices and a
the texts were equally well remembered. According to the resear-
What would happen if our modern servers suffered the same fate
profit from it, such as the editor Jakob Augstein: he utilized the
willingness to change views, as is illustrated on the example of
chers, reading from a screen does not have any drawbacks compa-
as floppy disks? Servers which contain our emails, tax declara-
Internet as a digital opinion poll for the last three years, thus en-
Ulrich Scheufelen: the long-established entrepreneur reinvented
red to reading from paper media. This means one of the supposed
tions, account statements, photos and love letters? Futurologists
riching his printed newspaper. He outlined his vision in an inter-
his business during the crisis. (Page 16)
last bastions against the advance of digital readers has fallen: the
warn about a scenario where archaeologists stand looking at du-
view. (Page 9)
conviction that people always and exclusively prefer reading long
sty metal boxes labelled ‚harddisks‘. For lack of valid transfer me-
and sophisticated texts in print.
ans, they would classify our era as the ‚Dark Age‘. What of our life
If, however, paper continues to change from a means of commu-
nue to be our key cultural skill. And according to the Mainz study,
and traditions will actually be saved for posterity? We have gone
nication into a luxury – how could its attractiveness be enhanced?
our special devotion to the printed word cannot always be exp-
in search of it. (Page 6)
No one can answer this question better than Lukas Kircher. The
lained rationally. To keep this love alive - this is the role of print
renowned newspaper designer says, with outstanding optical ap-
media today.
Have fun when reading!
However, this shocking result involved good news, too: practically
all volunteers agreed that they would have preferred to read a
One thing will definitely remain unchanged: reading will conti-
print version of the text. From the brain researchers‘ point of view,
People discussing the future of print media use a vocabulary
pearance. In spite of a drop in advertising revenue, he was thus
E-readers and books work equally well – but subjectively, readers
that resembles the description of an apocalypse: downfall, ex-
able to increase circulation figures all over Germany. We paid him
prefer the comfortable print on paper.
tinction, death. However we don‘t need brain research to know
a visit. (Page 12)
Jan Stremmel
Seite 4 · INK
„Ich fresse Bücher“
Schriftsteller, Briefträger, Kioskfrau:
Manche Menschen können sich ein Leben ohne Papier nicht vorstellen.
Fünf Liebeserklärungen.
protokolle: Michaela Kakuk und Eva Röder
Feridun Zaimoglu, 47
Schriftsteller aus Kiel
foto: Bettina Fürst-Fastré
Writer from Kiel
photo: Bettina Fürst-Fastré
W
enn ich eine Idee habe, muss sie in meinem Kopf gären.
Ich mache mir dann Notizen, oft auf Briefbögen aus
Hotels, in denen ich während Lesereisen übernachte.
Darauf schreibe ich Dialogfetzen, eine Szene oder Eigenschaften,
die meine Figur ausmachen sollen. Manche Szenen skizziere ich
wie einen Comic. Wenn ich mit dem Schreiben beginne, habe ich
40 bis 50 Seiten Notizen.
Mit der Hand zu schreiben bedeutet, etwas festzuhalten. Das ist
für mich elementar. Ich habe eine „Füllerschwiele“ an Zeige- und
Mittelfinger. Vor dem Schreiben gehe ich den Blätterhaufen durch,
wieder und wieder, bis ein Destillat übrig bleibt. Ich tippe auf einer elektrischen Schreibmaschine, dann muss ich nicht auf einen
Monitor glotzen. Das ist keine blöde Nostalgie – ich muss mit den
Händen arbeiten, mir den Rohstoff erschaufeln, ergreifen, erschnappen.
Ilona Geppert, 49
Kioskfrau aus München
foto: privat Kioskwoman from Munich
photo: private
M
orgens, wenn ich die Magazine und Zeitungen zähle, einräume und ordne, sind meine Finger schwarz von Druckerschwärze. Bevor ich etwas anderes mache, muss ich
erst meine Hände waschen. Früher ging nicht so viel Schwärze ab.
Keine Ahnung, wieso sich das geändert hat.
Zeit zum Lesen habe ich kaum. Wenn viel los ist, komme ich nicht
mal dazu, die Überschriften zu überfliegen. Ich habe aber sehr nette Kunden, die vorbeikommen und mich fragen: „Haben Sie das
schon gelesen?“ Die erzählen mir dann, was in der Zeitung steht.
Ansonsten blättere ich schnell ein paar Bilder in den Illustrierten
durch. Wohnungseinrichtungen, Blumen, Gärten, so was interessiert mich.
Stefan Niggemeier, 42
Journalist aus Berlin
foto: Jan Zappner
Journalist from Berlin
photo: Jan Zappner
I
ch liebe das große, unhandliche Zeitungsformat. Die „Süddeutsche“, die „FAZ“ und den „Spiegel“ lese ich auf Papier. Bei der „SZ“
weiß ich: Ich fange mit der Medienseite an und schaue dafür im
zweiten Buch auf die vorletzte Seite. Der Sportteil wandert relativ
ungelesen in den Papierkorb.
Fach- oder Sachbücher kann ich gut auf dem Computer oder als EBook lesen, die „Scheibenwelt“-Romane von Terry Pratchett dagegen nur auf Papier. Das kann ich mir auch nicht anders vorstellen
bei Büchern, die ich zum Vergnügen lese. Ein Buch, das ich mit in
die Badewanne, an den Strand oder ins Bett nehmen kann, strahlt
weniger das Gefühl von Arbeit aus.
Manche Kunden wollen eine ganz perfekte Zeitschrift haben, kein
Knick, kein Eselsohr. Anderen ist es egal, wie sie aussieht, die sagen: „Ich häng’ sie mir ja nicht übers Bett.“ Manche möchten, dass
ich ihnen die Zeitung so falte, dass die Überschrift innen ist, andere wollen es genau andersherum. Vor allem die Kunden, die die
„Süddeutsche“ kaufen, haben spezielle Wünsche. Der eine will seine
Zeitung gerollt oder ohne Werbebeilagen, dem nächsten muss ich
sie ganz flach übergeben. Mir bricht da kein Zacken aus der Krone.
Ich mag den Duft von Zeitungen. Dass sie riechen, dass man sie
anfassen kann, dass sie Gebrauchsspuren haben, dass ein Buch
mal dreckig geworden ist – das macht Print-Produkte einzigartig.
Ich bin jemand, der gerne Notizen auf Papier kritzelt, vor allem,
wenn ich telefoniere. Das hat fast was Meditatives. Leider schreibe
ich manchmal Telefonnummern dazwischen. Das Problem daran
ist: Entweder finde ich sie später überhaupt nicht wieder, oder ich
vergesse, den Namen zur Nummer zu notieren. Es gibt trotzdem
nichts Praktischeres.
Ilona Geppert, 49, Kioskwoman from Munich
Stefan Niggemeier, 42, Journalist from Berlin
When I count the magazines and newspapers in the morning and
I love the large and somewhat unwieldy format of newspapers.
shelve and arrange them, my fingers are black from printing ink.
I read Süddeutsche Zeitung SZ, Frankfurter Allgemeine Zeitung
So first I have to wash my hands before I do anything else. The
FAZ and SPIEGEL as printed issues. With SZ I start with the me-
When I have an idea it must first take shape in my head. I take no-
print smudges easier than it used to. No idea why this has chan-
dia page and then I turn to the second last page of the second
tes, often on stationery from the hotel I stay in during my reading
ged.
section. The sports section lands relatively unread in the waste
Ich fresse Bücher, verschlinge Gedichtbände, Krimis oder Psychothriller. Einen Kindle oder ein iPad würde ich mir dafür nie kaufen.
Diesen kalten Bildschirm, dieses Tastengehacke brauche ich nicht.
Manchmal liege ich auf dem Rücken und lese. Dann so ein flaches
Gerät in der Hand halten? Das fände ich blöd.
i devour books
protocols: Michaela Kakuk and Eva Röder
Feridun Zaimoglu, 47, Writer from Kiel
basket.
tours. I put down frazzles of dialogues, a scene or attributes of the
envisaged character. Some scenes I sketch like a comic. When I
I have hardly any time for reading. On busy days I don‘t even find
actually start writing I have 40 to 50 pages of notes.
the time to skim through the headings. But I have very nice cus-
It is easy for me to read textbooks or non-fiction on the computer
tomers who come by and ask: „Did you read that?“ Then they tell
or as E-books, but I must have „Discworld“ by Terry Pratchett in
Writing something by hand means capturing it. This is elementa-
me what the newspaper wrote. Otherwise I quickly leaf through
front of me on paper. I can‘t imagine anything else for the books I
ry to me. I have a writing callus on my index and middle fingers.
a couple of pictures. Home decoration, flowers, gardens – that‘s
read for pleasure. A book which I can take with in the bathtub, on
Before beginning to write I go through the heap of pages again
what interests me.
the beach or into bed takes me a good deal away from a working
atmosphere.
and again until I‘m left with a distillate. I use an electric typewriter so that I don‘t have to stare at a monitor. This is far from stupid
Some customers want to buy magazines which are absolutely
nostalgia – I must work with my hands, dig up the material, grasp
perfect, no kink, no dog-ears – nothing wrong with them. Others
I like the scent of newspapers. Their smell, their touch, their tra-
and snap it.
don‘t care, they say: „I won‘t hang them above my bed.“ Some peo-
ces of use or the traces of dirt in a book – all this is what makes
ple want me to fold the newspaper with the heading inside but
print products unique. I personally like to doodle with my pen on
I devour books and feast on volumes of poetry, crime novels or
others like it the other way round. Especially customers buying
paper, especially when I am on the phone. It is almost meditative.
psycho-thrillers. I would never buy a Kindle or an iPad for this
the Süddeutsche Zeitung have special requests. Some expect to
Unfortunately I tend to write down telephone numbers between
purpose. I don‘t need the cold screen or the hacking away on the
have their paper rolled up, or without the advertising inserts, the
my scribblings. So the problem is either I don‘t ever find the num-
keyboard. Sometimes I lie down on my back to read. Then hol-
next customer wants me to hand it over flat. It‘s no problem for
ber again or I forget to add a name to the number. Nevertheless
ding this flat device in my hand? How silly.
me to comply.
– there is nothing more practical.
INK · Seite 5
Ines Pohl, 39
Briefträgerin aus München
foto: privat
Postwoman from Munich
photo: private
W
enn es keine Post auf Papier mehr gäbe, würde ich den
Kontakt mit den Kunden vermissen. Manchmal treffe
ich Leute vor ihrem Haus, dann gebe ich ihnen die Briefe direkt in die Hand. Manchmal überlege ich, welche Geschichte
in einem Umschlag steckt. Einmal habe ich einen Liebesbrief in die
JVA zugestellt, er war mit Herzchen bemalt. Wie die beiden sich
wohl kennen gelernt haben? Über eine Zeitungsannonce? Oder
kannten sie sich schon vorher? Aus manchen Briefen rieselt Sand,
da denke ich: Ist das ein Urlaubsmitbringsel?
Einer hat mal Palatschinken per Post verschickt. Das Papier triefte
vor Fett, wir mussten den Palatschinken erst einschweißen, bevor
wir ihn zustellen konnten. Wenn es in Strömen regnet, kann ich
die Post manchmal nicht schützen. Papier ist saugfähig und hält
Feuchtigkeit nicht lange aus.
Ich schreibe Postkarten, wenn ich im Urlaub bin. Als ich letztes Jahr
in Ungarn war, habe ich fünfzehn verschickt. Ein Brief ist persönlicher als eine E-Mail. Manche Menschen verzieren Briefe zu besonderen Anlässen mit Aufklebern, dann erkenne ich zum Beispiel: Da hat
jemand Geburtstag! Das geht mit einer E-Mail nicht. Es ist schön,
wenn man sieht, dass sich der Absender Gedanken gemacht hat.
Hans-Peter Terno, 62
Blinder Blogger aus Mainz
foto: privat
Blind blogger from Mainz
photo: private
M
eine eigene Zeitung machen – das war schon als Schüler
mein Traum. Mit Anfang 20 machten ein Freund und ich
eine Zeitschrift. Kurze Zeit später sah ich Konturen nur
noch verschwommen, konnte keine Layouts mehr kleben. Schließlich erkannte ich auch keine Buchstaben mehr. Mit 46 verlor ich
mein Augenlicht. Das Schreiben, musste ich aufgeben.
imprint
INK. is a cooperation between the German Pulp and Paper Asso-
Seit ich in Rente bin, habe ich einen Weg gefunden, meinen Traum
wieder zu leben. Ich habe eine Online-Zeitung gegründet, die
sich mit Landespolitik beschäftigt, „Landeszeitung-RLP.de“. Die
Sprachausgabe meines Computers hilft mir beim Schreiben. Ich
tippe meinen Text, dann lasse ich ihn mir von der Computerstimme vorlesen. Wenn ich könnte, würde ich meine Zeitung drucken.
Leser widmen sich gedruckten Texten intensiver als denen im Netz.
ciation (VDP) and the German School of Journalism (Deutsche
Journalistenschule).
Created with the support of UPM, the Verband Druck + Medien
Nordwest and the Rheinisch-Bergische-Druckerei GmbH & Co. KG.
Printed on UPM Brite 55 g/m2
Editor-in-chief
Jan Stremmel
Manchmal nehme ich ein Buch in die Hand, obwohl ich keine Blindenschrift beherrsche. Ich erkenne genau, ob es gut gebunden ist,
und lege viel Wert auf festes, griffiges Papier. Besonders schön finde
ich, wenn Lettern in das Papier eingelassen sind. Manchmal nehme
ich alte Klassiker aus meinem Bücherregal und fahre mit dem Finger die Buchstaben nach. Oder ich gehe auf kleine Buchmessen,
um ein paar Bücher anzufassen.
Managing editor
Felix Brumm
Executive text editor
Katrin Kuntz
Graphics
Tom Valk / Akademie Druck + Medien NRW e.V.
Editors
Theresa Breuer, Florian Haamann, Kaspar Heinrich,
Michaela Kakuk, Christiane Lutz,
Katharina Mutz, Gösta Neumann, Ann-Kathrin Nezik,
Ines Pohl, 39, Postwoman from Munich
Hans-Peter Terno, 62, Blind blogger from Mainz
If there were no post, I would miss the contact with my custo-
To publish a newspaper of my own – that‘s what I dreamt of as a
mers. Sometimes I meet people outside their house, then I hand
student at school. In my early twenties I made a newspaper to-
them their letters directly. I often wonder what story is hidden in
gether with a friend of mine. Shortly afterwards I saw contours
Consultant
the envelope. Once I delivered a love letter to a prison, it was deco-
somewhat blurred so that I was no longer able to paste layouts.
Christian Bleher
rated with little hearts. How did the two people get to know each
Next I could no longer make out letters and figures. At the age
other? Perhaps it was a personal ad in a paper? Or had they met
of 46, I finally lost my eyesight and I had to give up writing – my
Translation
before? There are letters where sand comes trickling out – which
passion.
Uta Schieck
Eva Röder, Vera Vester,
Johannes Wendt, Veronika Widmann
makes me think: Is this a holiday souvenir?
Since I retired I have again found a way to live my dream. I have
V.i.S.d.P.
Once a customer mailed pancakes from Austria. The paper was
established an online newspaper called landeszeitung-rlp.de
responsible according to the press law
dripping with fat and we had to enclose it in a sealed plastic bag
which exclusively covers regional policy. When writing I rely on
Gregor Andreas Geiger
before we could deliver it. When it‘s pouring with rain, I someti-
the voice output of my computer. I type the text with ten fingers
Bereichsleiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
mes can‘t protect the mail. Paper is absorbent and does not hand-
and then I have it read out to me by the computer voice. If there
Director Press and Public Relations
le moisture for very long.
were any possibility I would print my newspaper myself, too. Rea-
Verband Deutscher Papierfabriken e.V.
ders concentrate on printed texts more intensively than on those
German Pulp and Paper Association
on the Internet.
Adenauerallee 55
I‘m used to writing postcards when I‘m on holiday. When I was in
D-53113 Bonn
Hungary last year I mailed fifteen of them.
Sometimes I pick up a book although I have no command of BrailA letter is definitely more personal than an email. Some people
le. I feel precisely whether it has a good binding and I very much
decorate their letters with stickers on special occasions, then I can
appreciate firm paper with a good grip. I specially enjoy touching
recognise for example: it’s someone’s birthday. You can‘t do the
letters engraved in the pages. Sometimes I take old classics volu-
same with an email. It‘s so nice to see that the sender has given a
mes from the shelf and follow the text lines with my finger. Or I go
lot of thought to his letter.
to small book fairs just to feel a couple of books.
www.vdp-online.de
Seite 6 · INK
Was von uns bleibt
Über Jahrtausende sicherten wir unser Wissen auf Papier – heute legen
wir es auf Festplatten ab.
Was werden unsere Nachkommen von uns finden?
Eine Spurensuche.
text: Theresa Breuer und Ann-Kathrin Nezik
illustrationen: Leonard Erlbruch
I
n Berlin ist sich Matthias Wickenhöfer zweier Dinge sicher: Tod
und Datenverlust werden kommen. Er weiß nur nicht, wann. In
Koblenz beschäftigt der Schriftverkehr des Wirtschaftsministeriums mit der Schuhindustrie aus dem Jahr 1952 den Azubi Gürey
Terim schon den ganzen Vormittag. In einer Halle in Augsburg
fährt eine grüne Leiterplatte langsam in eine schrankgroße Maschine. Und irgendwo im Schwarzwald endet ein schmaler Waldweg vor einem mannshohen Tor.
w h at r e m a i n s o f u s
For millenia we have saved our knowledge on paper – today
we are storing it on harddisks.
What will our descendants discover about us?
An exploration.
text: Theresa Breuer and Ann-Kathrin Nezik
Illustrations: Leonard Erlbruch
In Berlin Matthias Wickenhöfer is absolutely confident of two
things: death and data loss will be inevitable. He just doesn‘t
know when it will happen. In Koblenz the apprentice Gürey Te-
Die Bibliothekarin bewahrt alte Bücher vor dem Verfall. Sie öffnet
die Tür zu dem Raum, in dem die Schätze der Humboldt-Universität liegen. Sofort schlägt ihr kühle Luft entgegen. 18 Grad, zwischen 50 und 60 Prozent Luftfeuchtigkeit. „So bleiben die Bücher
optimal erhalten“, sagt Peschke.
In den Regalen des fensterlosen Raums stehen juristische Nachschlagewerke, Geschichtsbücher, Deutsch-Lateinische Wörterbücher, Boccaccio-Erzählungen, Dantes „Göttliche Komödie“ – Werke aus dem Grimm’schen Privatbesitz.
Berlin-Mitte, Humboldt-Universität
Wie Bibliothekare jahrhundertealte Bücher erhalten
rim has been dealing with the correspondence between the Economics Ministry and the shoe industry dating back to 1952 all
morning. In a hall in Augsburg a green circuit board slowly moves
into a cabinet-sized machine. And somewhere in the Black Forest
a narrow forest trail ends up at a headhigh gate.
Berlin-Mitte, Humboldt University
How librarians books centuries of age
The atmosphere is filled with the acrid smell of old books. It penetrates the rooms on the sixth floor of Jacob-and-Wilhelm-Grimm
Centre, the library of Humboldt University in Berlin. Here stu-
Der herbe Geruch alter Bücher liegt in der Luft. Er dringt durch
die Räume im sechsten Stock des Jacob-und-Wilhelm-GrimmZentrums, der Bibliothek der Humboldt-Universität Berlin. Hier,
wo Studenten für Klausuren lernen, lagert ein wichtiger Teil deutscher Kulturgeschichte: die Privatbibliothek von Jacob und Wilhelm Grimm.
dents are studying for their written tests and this is where an
essential part of German cultural history is stored – the private
library of Jacob and Wilhelm Grimm.
The two brothers are renowned as distinguished scientists of the
19th century and as co-founders of the subject ‚German Language and Literature Studies‘. To the majority of people in Germa-
Die zwei Brüder gelten als bedeutende Wissenschaftler des 19.
Jahrhunderts und als Mitbegründer der Germanistik. Den meisten Deutschen sind sie besser bekannt als Märchenerzähler. Im
Dezember ist es 200 Jahre her, dass die erste Ausgabe ihrer „Kinder- und Hausmärchen“ erschien, sie gehören zu den bekanntesten Werken der deutschen Literatur. Dabei stammen die Märchen
nicht aus ihrer eigenen Feder. Die Brüder haben Geschichten, die
sich die Menschen seit Jahrhunderten erzählten, gesammelt und
aufgeschrieben. So haben sie sich bis heute erhalten.
ny they are better known as storytellers. In December this year
it will be 200 years ago that the first edition of their Children‘s
and Household Tales was published – stories which count among
the most widely known works of German literature. However, the
Grimm brothers did not compose them themselves. They collected and wrote down fairy tales which had been handed down
through centuries. This is how they have been preserved until
today.
Paper is the most reliable carrier of our intellectual heritage still
Bis heute ist Papier der zuverlässigste Träger unseres geistigen
Erbes. Durch die Epochen, über die Kontinente, und trotz aller
technologischen Entwicklungen: Papier hält fest, was wir unseren
Nachkommen hinterlassen wollen. Doch nun droht die fortschreitende Digitalisierung das Papierzeitalter zu beenden. Unser Wissen wandert immer mehr auf CDs, Server und Festplatten.
Können digitale Speichermedien so beständig sein wie Papier? Was
werden unsere Nachkommen von uns finden, wenn unser geistiges
Erbe nur noch digital existiert? Die Suche nach Antworten führt zu
Archivaren, die gegen Informationsverlust kämpfen, zu Informatikern, die Daten von defekten Festplatten retten, zu Computerherstellern, die langlebige Superspeicher bauen – und zu Elke-Barbara
Peschke.
today. Over centuries, across continents and despite all technological advances: paper provides a medium for recording the
Peschke nimmt eine schwere Bibel zur Hand. Über 500 Jahre ist
sie alt und noch immer sind die gedruckten Buchstaben in lateinischer Frakturschrift gut lesbar. Auch die handschriftlichen Notizen
der Grimms darin, die in vielen Werken zu sehen sind. „Die Bücher
sind aus Hadernpapier“, sagt Peschke, „darum sind sie so lange
haltbar.“ Hadernpapier besteht auf Stoff und enthält – im Gegensatz zu Papier aus Holz – keine Säure, die nach ein paar Jahrzehnten das Papier zersetzt.
information we wish to preserve for our descendants. But digitalization is on the advance and now threatens to terminate the paper age. Our knowledge is increasingly being transferred to CDs,
servers and harddisks.
The question is whether digital storage media can rival the durability of paper. What will our decendants be able to learn about
our lives if our intellectual heritage is only available in digital
form? This consideration leads us to archivists who contend
Trotz der optimalen Aufbewahrung müssen die Werke gelegentlich
restauriert werden. Das kostet zwischen 100 und 2000 Euro, je
nach Umfang des Buches, Grad der Schädigung und Enge der
against information losses, to computer scientists trying to save
data from defective harddisks, to computer manufacturers who
build durable super-storages – and to Elke-Barbara Peschke.
INK · Seite 7
Bindung. Mittlerweile lässt die Bibliothekarin Peschke die Bücher
nicht mehr nur restaurieren, sondern davor auch digitalisieren. So
können Studenten und Wissenschaftler sie online lesen.
This librarian saves old books from decay. As she opens the door
The task of archivists is to protect paper files from decay and to
to a room where the treasures of Humboldt University are kept
store ever-increasing digital data volumes in such a way as to en-
she immediately feels a stream of cool air of 18 degrees and with a
sure their legibility for future generations.
humidity between 50 and 60 percent. Peschke: „This is an optimal
atmosphere to preserve the books.“
Augsburg, Werk von Fujitsu
Wie ein Technologie-Konzern Superspeicher baut
Langsam fährt die grüne Platte in die schrankgroße Maschine.
Zwei Automatenköpfe schießen über sie. Auf der Oberfläche platzieren sie winzige Bauteile, manche kaum größer als ein Sandkorn.
Das Fließband schiebt die Platte weiter, hinein in die nächste Maschine, die die Bauteile bei 250 Grad festlötet. Nach einer Stunde
kommt die Leiterplatte am Ende des Fließbands an. Nun ist es fertig – das Mainboard, Herz jedes Computers.
10.000 Mainboards pro Tag produzieren die Maschinen in den
riesigen Hallen im Süden von Augsburg. Mitarbeiter in weißen
Kitteln schrauben Mainboards, Kabel und Gehäuse zu fertigen
Rechnern zusammen. Nicht nur Computer und Laptops baut der
Technologie-Konzern hier – auch hochleistungsfähige Speichersysteme, auf denen Lufthansa, Postbank oder die Stadt Köln wichtige
Daten ablegen.
Die Entwickler basteln an Superspeichern, die Daten so zuverlässig
festhalten, dass nur Brände oder ein Erdbeben sie zerstören könnten.
Gürey Terim puts a kinked letter into the machine next to
him and cuts off a dog-ear. The typewritten text has faded, the
Stacked on the shelves of the windowless room are legal reference
page is brittle. This is the type of paper which is most difficult
books, history books, German-Latin dictionaries, tales of Boccac-
to handle by archivists. Containing groundwood and artificial
cio, Dante‘s Divine Comedy – all of them works belonging to the
glues, it becomes acidic over time. Without the intervention of
private collection of the Grimm brothers.
archivists papers of this kind are bound to disintegrate sooner
or later. Accordingly, the assistants take highly important files
Peschke picks up a heavy bible. It is over 500 years old but the
to an institution where the pages are treated in an alkaline bath
printed letters in Latin gothic script are still easily legible. And
for restoration. This extracts the acid from the paper and the
so are the hand-written notes of the Grimms in many volumes.
decay is stopped.
„The books are made from rag paper,“ she explains, „and that‘s
why they are so durable.“ Rag paper – contrary to wood-based pa-
But it is not only the repositories of the German Federal Archive
per – doesn’t contain acid which tends to destroy the paper after
which are filled to capacity with documents. The Centre‘s inhouse
several decades.
computer centre currently already contains 10.5 million files.
Since the nineties, the Archive has switched over to new storage
In spite of optimal storage conditions, the books have to under-
media three times: from the original magnetic tape to CDs and
go restoration from time to time. The costs range from €100 to
then to harddisks. To keep pace with technological progress,
€2000 depending on the number of pages per book, the extent of
the complete data has to be transferred about every seven years.
damage and the narrowness of the binding. Meanwhile Peschke
Archivists are trying to store data in an open format to alleviate
has the books digitized before they go into restoration. This enab-
trouble-free transmittal to the next platform. „We can‘t guarantee
les students and scientists to read them online.
today that the data will outlive an unlimited number of technology changes“, says Andrea Hänger, data archiving expert at the
Federal Archive.
Augsburg, Factory of Fujitsu
Mehrere hunderttausend Euro kosten die besten Speichersysteme
von Fujitsu. Die Geräte haben mehrere Petabyte Speicherplatz - auf
einem Petabyte könnte man weit über 200 Millionen E-Books archivieren. Damit die Daten wirklich sicher sind, legen die Superspeicher sie doppelt ab: auf tausenden Festplatten und auf dahinter
geschalteten Magnetbändern. Außerdem stellen viele Fujitsu-Kunden zwei Systeme an verschiedenen Orten auf: Gibt es an einem
Standort einen Stromausfall oder eine Naturkatastrophe, bleiben
die Daten erhalten. „So können wir eine Datensicherheit von nahezu hundert Prozent garantieren“, sagt Frank Reichart, Spezialist
für Speichersysteme bei Fujitsu.
How a technology group builds super-storages
Moreover, many authorities lack a structured filing system for
electronic data: „Employees store emails in their own mailbox.
Slowly the green circuit board is moved into the cabinet-size ma-
When they move to another department, this data is automati-
chine. Two automatic heads shoot over the board and place minu-
cally deleted,“ explains Hänger. And this is why historically valu-
te components onto its surface – some of them hardly bigger than
able information gets lost. Experts estimate that the documenta-
a grain of sand. The conveyor belt moves the board onto the next
tion of the years 2010 to 2020 will be less complete compared to
machine where the components are soldered into place at a tem-
the previous decades.
perature of 250 degrees. One hour later the circuit board arrives
at the end of the conveyor. Now it is a finished mainboard - the
heart of every computer.
Berlin-Marienfelde, Office of Data Recovery
How computer scientists attempt to save our data
The machines in the vast halls south of Augsburg produce 10,000
So beständig wie Papier sind die Superspeicher trotzdem nicht;
ihre Lebenszeit ist begrenzt. Aber nicht, weil die Geräte nach ein
paar Jahren kaputt gehen, sondern weil die meisten Firmen sie
vorher gegen modernere austauschen. Das habe zwei Gründe, sagt
Rohnfelder: „Erstens wachsen die Daten, die Unternehmen aufbewahren wollen, exponentiell.“ Der Speicherplatz würde also
mainboards per day. Workers in white coats are busy bolting
In Berlin, Matthias Wickenhöfer is absolutely confident of two
mainboards, cables and housings together to complete the com-
things: death and data loss will be inevitable. He just doesn‘t
puters. The technology company Fujitsu builds not only compu-
know when it will happen.
ters and laptops, but also high-performance storage systems for
Lufthansa, Postbank or the City of Cologne which use them as a
For over 20 years Wickenhöfer has been general manager of Data
depository for key data.
Recovery. The enterprise has its seat on the third floor of a grey
building located in the commercial area of Marienfelde on the
Designers at the group are working on super-storages which re-
outskirts of Berlin. Its staff specializes in saving data from defecti-
tain data so reliably that they can only be destroyed by fire or an
ve harddisks, such as company files or private photos.
earthquake.
Wickenhöfer sits in his office at the end of the corridor and points
The premium storage systems of Fujitsu are available at a price
to an open harddisk which resembles a phonograph with pickup
of several hundred thousand euros. The systems provide several
arm and needle: „Three things may be defective in a harddisk:
petabytes of storage space - one petabyte offering an archive for
the write-read head, the magnetic disc and the electronics which
far over 200 million E-books. To warrant data security, super-
transfer data to the PC“. If one of these highly sensitive compo-
storages file data twice: on thousands of harddisks and on post-
nents is found defective, one of his technicians goes to the adjoi-
connected magnetic tapes. Moreover, many Fujitsu customers
ning room which houses thousands of harddisks – the spare parts
set up two systems at different locations. If a power failure or a
inventory of Data Recovery. There he looks for a suitable compo-
natural disaster occurs at one of them, the data will be left unaf-
nent which he installs in the defective harddisk. Then he starts
fected. Frank Reichart, storage systems specialist at Fujitsu: „This
data transfer to a new carrier.
enables us to guarantee a data security of virtually 100 %“.
Data Recovery handles some 6000 cases every year – because a
However, despite all these benefits, super-storages are inferior to
rising volume of data is shifted onto digital storage media which
paper in terms of durability; their lifetime is limited. This is not
is highly insecure. Wickenhöfer: „A harddisk lasts for an average
because the equipment fails after a few years. Instead, most com-
five years but no more than 10“.
panies replace it by more recent versions before the end of their
life cycle. As Rohnfelder puts it: „The reason is twofold: firstly, the
It is a profitable business. The average price of data saving ranges
data volume companies wish to store is growing exponentially.“
from 300 to 800 euros – costs which many customers are willing
So the available storage space would be fully occupied within less
to pay. After all, they want to retrieve data that is important to
than ten years. And secondly, technologists bring out an advanced
them. There are cases, however, where saving attempts fail, for
super-storage every 18 months. In other words, in 15 years‘ time
example if a harddisk was exposed to water for too long or if it
today‘s storages can no longer be repaired because the required
was burnt.
components are unavailable.
But material sensitivity is not the only problem. „Some of our customers arrive with data carriers for which no drives are available“,
Koblenz, German Federal Archive
says Wickenhöfer. Just think of floppy disks which can no longer
How the largest German archive is being armed for the digital
be used with modern computers.
future
Another factor is the indifference of people. „Digital photos or
The apprentice Gürey Terim is sitting at his desk and uses pliers
music get lost quickly unless they were transferred to the latest
to remove rusty staples from yellowed pages. From time to time
computer model in time“, explains Wickenhöfer. „Data that is
he takes a roll of adhesive tape to carefully fix some small cracks
stored only digitally may disappear quite easily“, Wickenhöfer
in the paper. Terim has worked all morning on the correspon-
points out. And he adds that he still keeps his LP record collection
dence between the German Economics Ministry and the Asso-
from the 70s.
ciation of the German Footwear Industry which dates back to
the year 1952.
Black forest, Barbara Gallery
The German Federal Archive in Koblenz accommodates the si-
Where our legacy is intended to survive for centuries
lent witnesses of the German past: historical documents of the
German Federal Government, files from Ministries and records
A narrow wood trail in the Black forest ends up outside a barred
of the German Federal Intelligence Service. In short - the to-
gate. Three blue-white signs indicate that something important
tal documentation produced by official authorities in Germany
is hidden behind the gate in the former silver gallery in Oberried
since 1945 and which archivists have deemed worthy of preser-
near Freiburg. These protective signs of UNESCO signal the pre-
vation. 75 kilometers of files are slumbering in the basement of
sence of cultural assets of the highest security level. Here, 400 me-
the huge concrete block behind brick walls 50 cm thick.
tres below ground, Germany‘s long-term memory is stored.
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kaum zehn Jahre lang reichen. Und zweitens entwickeln die Techniker alle anderthalb Jahre ihren Superspeicher weiter. Geräte, die
heute gebaut werden, kann in 15 Jahren niemand mehr reparieren,
weil es die Bauteile dann nicht mehr geben wird.
Koblenz, Bundesarchiv
Wie sich das größte deutsche Archiv für das digitale Zeitalter rüstet
Der Lehrling Gürey Terim sitzt an seinem Schreibtisch und zieht
mit einer Zange rostige Tackernadeln aus vergilbten Blättern. Zwischendurch greift er zu einer Rolle Klebeband und flickt vorsichtig
kleine Risse in dem Papier. Der Schriftverkehr des Wirtschaftsministeriums mit dem Verband der Deutschen Schuhindustrie von
1952 beschäftigt Terim schon den ganzen Vormittag.
Hier, im Bundesarchiv in Koblenz, lagern die stillen Zeugen der
deutschen Geschichte: Historische Unterlagen der Bundesregierung, Akten aus den Ministerien und Aufzeichnungen des Bundesnachrichtendienstes. All das Schriftgut, das die offiziellen Stellen der Bundesrepublik seit 1945 produziert haben – und das die
Archivare als erhaltenswert eingestuft haben. 75 Kilometer Akten
liegen im Keller des mächtigen Betonklotzes hinter 50 Zentimeter
dicken Ziegelmauern.
Wickenhöfer sitzt in einem Büro am Ende des Flurs und deutet
auf eine geöffnete Festplatte, die ein wenig an einen Schallplattenspieler mit Tonarm und Nadel erinnert. „Es gibt drei Dinge, die
bei einer Festplatte defekt sein können: Der Schreiblesekopf, die
Magnetscheibe und die Elektronik, die die Daten zum PC überträgt“, sagt er. Ist eines der hochsensiblen Teile kaputt, geht einer
seiner Techniker ins Nebenzimmer, wo tausende Festplatten lagern
– das Ersatzteillager von Data Recovery. Dort sucht er das passende
Teil heraus und setzt es in die defekte Festplatte ein. Anschließend
überspielt er die Daten auf einen neuen Träger.
To gain access you need a 13-digit code. It is reserved for security
Rund 6000 Fälle bearbeitet Data Recovery jedes Jahr – weil immer
mehr Daten auf digitale Speichermedien wandern und die sehr unsicher sind. „Eine Festplatte hält im Schnitt fünf, maximal 10 Jahre“, sagt Wickenhöfer.
It is up to archivists at the State Archives of the German länder to
personnel who watch over the site, and for the German Federal
Office for Civil Protection and Disaster Assistance that is in charge of the Barbara Gallery. Twice a year the gates are opened to
trucks carrying 30 high-grade steel drums to be unloaded. Meanwhile nearly 1500 of these drums have been stacked inside the
gallery. They contain photographs of documents, copies of key documentation – our cultural memory is here, captured on 30,000
km of microfilm, a distance which would almost reach around the
equator.
decide which material is worthy of storage in the Barbara Gallery.
They appraise the eligibility of books and documents for inclusion in the cultural heritage of Germany. Some typical documents
are, for instance, a papal deed from the Middle Ages or a letter by
Es ist ein lukratives Geschäft. Zwischen 300 und 800 Euro kostet
eine Datenrettung im Schnitt. Viele Kunden sind bereit, das Geld
zu zahlen. Schließlich geht es um Daten, die ihnen wichtig sind.
Nicht immer gelingt die Rettung. Etwa wenn eine Festplatte zu lange im Wasser lag oder verbrannt ist.
Martin Luther, but also court and administrative records.
Microfilms were chosen as storage media for the following reason: „They last for at least 500 years without deterioration“, says
Lothar Porwich of the Federal Office for Civil Protection and Disaster Assistance. And durability is just one benefit: „You don‘t
Doch die Empfindlichkeit ist nicht das einzige Problem. „Wir haben Kunden, die mit Datenträgern kommen, für die es keine Laufwerke mehr gibt“, sagt Wickenhöfer. Disketten zum Beispiel, für
die neue Computer nicht ausgerichtet sind.
need a special reading device to see a microfilm – the sun or a
magnifying glass is sufficient.“
The documents stored in this gallery are intended to survive
for centuries. No matter which epidemics, natural catastrophes
Hinzu kommt die Bequemlichkeit des Menschen. „Digitalfotos
oder Musik gehen schnell verloren – weil man schlichtweg irgendwann aufhört, sie auf den neuesten Computer zu übertragen“, sagt
Wickenhöfer. „Was nur digital abgespeichert wird, kann leicht verschwinden.“ Seine Schallplattensammlung aus den Siebzigern hingegen, die habe er immer noch.
Schwarzwald, Barbarastollen
Wo unser Nachlass die Jahrhunderte überdauern soll
Ein schmaler Waldweg im Schwarzwald endet vor einem vergitterten Tor. Drei blauweiße Schilder deuten darauf hin, dass sich
dahinter, in dem ehemaligen Silberstollen in Oberried nahe Freiburg, etwas Wichtiges befindet. Es sind Schutzzeichen der Unesco,
sie signalisieren, dass es sich um Kulturgut handelt, das unter die
höchste Sicherheitsstufe fällt. Hier, 400 Meter unter der Erde, lagert Deutschlands Langzeitgedächtnis.
Die Archivare müssen die Papierakten vor dem Zerfall bewahren
und die wachsenden digitalen Datenmengen so speichern, dass sie
für nachfolgende Generationen lesbar sind.
Gürey Terim legt einen zerknickten Brief in die Maschine neben
sich und schneidet ein Eselsohr ab. Die Schreibmaschinenschrift
ist verblasst, das Blatt brüchig. Diese Art von Papier bereitet
den Archivaren die größten Probleme. Es enthält Holzschliff und
künstliche Leime, die es sauer machen. Wenn die Archivare nichts
unternehmen, wird das Papier irgendwann zerfallen. Deshalb fahren die Mitarbeiter besonders wichtige Akten zu einem Unternehmen, das die Blätter in einer basischen Lösung badet. Dem Papier
wird so die Säure entzogen, der Zerfall gestoppt.
Wer Zutritt erhalten will, braucht den 13-stelligen Code. Den haben nur die Sicherheitsleute, die das Gelände bewachen, und das
Bundesamt für Bevölkerungsschutz in Bonn, das für den Barbarastollen zuständig ist. Zweimal im Jahr werden die Tore geöffnet,
dann laden Lastwagen 30 Fässer aus Edelstahl ab. Inzwischen stapeln sich im Stollen fast 1500 davon. Darin lagern abfotografierte
Schriftstücke, Kopien der wichtigsten Dokumente – unser kulturelles Gedächtnis beläuft sich hier auf 30.000 Kilometer Mikrofilm, fast einmal um den Äquator.
Doch nicht nur die Magazine des Bundesarchivs sind prall gefüllt
mit Schriftgut. Im eigenen Rechenzentrum sind schon jetzt 10,5
Millionen Dateien gespeichert. Seit den neunziger Jahren hat das
Bundesarchiv drei Mal auf neue Speichermedien umgestellt: Erst
haben die Mitarbeiter die Daten auf Magnetbänder archiviert,
dann auf CDs, jetzt auf Festplatten. Ungefähr alle sieben Jahre
müssen die Daten komplett überspielt werden, weil die Technik
sich weiterentwickelt hat. Die Archivare versuchen, die Daten in
einem offenen Format zu speichern, so dass sie problemlos auf die
nächste Plattform übertragen werden können. „Wir können jedoch
heute nicht garantieren, dass die Daten unbegrenzt viele Technologiewechsel überstehen“, sagt Andrea Hänger, Expertin für Datenarchivierung im Bundesarchiv.
In vielen Behörden gebe es zudem noch kein strukturiertes System
für die Ablage von elektronischen Daten: „Mitarbeiter legen EMails in ihrem eigenen Postfach ab. Wenn sie die Abteilung wechseln, werden die Daten auf ihrem Computer gelöscht,“ sagt Hänger. Historisch wertvolle Informationen gehen so verloren. Deshalb
schätzen die Experten, dass die Jahre 2010 bis 2020 nicht so gut
dokumentiert sein werden wie die Jahrzehnte zuvor.
Was im Barbarastollen eingelagert wird, entscheiden die Archivare
der Staatsarchive der Länder. Sie beurteilen, welche Bücher, welche Dokumente würdig sind, zum Deutschen Kulturerbe zu zählen. Etwa eine Papsturkunde aus dem Mittelalter oder ein Brief von
Martin Luther, aber auch Gerichts- und Verwaltungsakten.
Berlin-Marienfelde, Büro von Data Recovery
Wie Informatiker versuchen, unsere Daten zu retten
Dass Mikrofilme als Speicherform gewählt wurde, hat einen
Grund: „Sie halten mindestens 500 Jahre ohne Wertverlust“, erklärt Lothar Porwich vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
Katastrophenhilfe. Und die Haltbarkeit ist nicht der einzige Vorteil: „Um sich einen Mikrofilm anzusehen, braucht es kein spezielles Ablesegerät – die Sonne oder eine Lupe reicht.“
Matthias Wickenhöfer ist sich zweier Dinge sicher: „Der Tod und
der Datenverlust werden eintreffen - man weiß nur nicht, wann.“
Seit über 20 Jahren ist Wickenhöfer Geschäftsführer der Firma
Data Recovery. Das Unternehmen sitzt im dritten Stockwerk eines
grauen Gebäudes im Gewerbegebiet von Marienfelde am Rande
Berlins. Die Mitarbeiter sind darauf spezialisiert, Daten von defekten Festplatten zu retten. Firmenakten zum Beispiel, aber auch
private Fotos.
Die hier eingelagerten Dokumente sollen die Jahrhunderte überstehen. Seuchen, Naturkatastrophen, Kriege – der Barbarastollen
ist bombensicher. „Wer weiß, vielleicht wird irgendwann einmal
eine außerirdische Spezies darauf stoßen“, sagt Porwich. Ähnlich
wie im Jahr 1940, als französische Forscher in der Höhle von Lascaux auf Wandmalerein stießen, könnte dann in einem Stollen im
Schwarzwald ein längst vergessenes Erbe entdeckt werden.
or wars afflict humanity – the Barbara Gallery is a bomb-proof
location. „Who knows – perhaps an extraterrestrial species will
come across it some time“, adds Porwich. Similar to the discovery of cave paintings in Lascaux by French researchers in 1940, a
long-forgotten heritage might thus be detected in a gallery in the
Black Forest.
INK · Seite 9
„Von Print erwartet der Leser Autorität“
Der Verleger Jakob Augstein über die Relevanz von Papier und den Zusammenhang zwischen Leserbindung und Gartenpflege.
„ r e a d e r s e x p e c t au t h o r i t y
from print“
Jakob Augstein, publisher, on the relevance of paper and the
connection between readers‘ loyalty and garden maintenance.
interview: Katrin Kuntz and Katharina Mutz
interview: Katrin Kuntz und Katharina Mutz
fotos: Falko Siewert
H
photos: Falko Siewert
Mr. Augstein, some months ago you published a book on gardens.
err Augstein, Sie haben vor einigen Monaten ein Buch über
Gärten veröffentlicht. Wenn man sich die deutsche Zeitungslandschaft als Garten vorstellen würde, wie sähe der aus?
Er blüht, zumindest zum Teil. Von einer Zeitungskrise wie in Amerika sind wir weit entfernt. In Deutschland gibt es einen Strukturwandel, aber keine Strukturkrise. Wir haben viele große Verlage,
die sehr gut zurecht kommen und hohe Gewinne abwerfen.
Aber wenn, um mal im Bild zu bleiben, einige Teile dieses Gartens
einer Dürre zum Opfer fielen, wäre das kein Weltuntergang. Print
ist ja nicht gleich Print.
sich weniger auf Nachrichten und liefern dafür mehr Hintergrund.
Trotzdem frage ich mich manchmal: Wie schafft man es, das alles
jeden Tag zu lesen?
Nein?
Wenn das „Elbe Wochenblatt“ eingestellt wird oder andere Anzeigenblätter, die in den Vororten verteilt werden, dann geht ein Stück
Print verloren. Meine Betroffenheit darüber hält sich in Grenzen.
Wenn die „Süddeutsche Zeitung“ eingestellt werden müsste, wäre
das ein echter Kulturverlust.
Müssen die Verleger von Tageszeitungen mutiger werden, um ihre
Produkte attraktiver zu machen?
„Süddeutsche“ und „FAZ“ sind doch großartige Zeitungen. Ich finde ihre Qualität schwindelerregend hoch. Was sollen die noch besser machen?
If the „Elbe Wochenblatt“ or other advertising journals were dis-
2011 sind die Auflagen der deutschen Zeitungen im Vergleich zum
Vorjahr um durchschnittlich 3,7 Prozent gesunken.
Ja, das ist der Strukturwandel. Die Erlöse aus den Anzeigen brechen weg. Und man kann die Copypreise der Zeitungen nur begrenzt erhöhen.
Are we still in need of printed high-quality newspapers? We might
If we try to see the German newspaper landscape as a garden,
what would it look like?
It‘s blooming, at least in part. We are far away from a newspaper
crisis like that in the USA. In Germany, too, we witness a structu-
Wie sieht es mit Wochenzeitungen aus?
Bei Wochenzeitungen und Magazinen mache ich mir weniger Sorgen. Schauen Sie sich die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ an: Sie wurde im Internetzeitalter gegründet – und hat trotzdem Leser gefunden. Warum? Weil die Leute am Wochenende Lust
haben, eine gute Zeitung zu lesen.
ral change, but no structural crisis. We have a multitude of major
publishers which are coping very well and earn high profits.
But even if – to stay in the picture – parts of this garden would
suffer a drought, this wouldn‘t be the end of the world. Print is
not necessarily print.
It isn‘t?
Brauchen wir noch gedruckte Qualitätszeitungen? Wir können uns
dieselben Inhalte doch kostenlos im Netz anschauen.
Gedruckte Zeitungen wird es weiterhin geben – einfach, weil sie
praktisch sind: Sie verbrauchen keinen Strom, wir können sie
überallhin mitnehmen. Zeitungen sind übersichtlich, man kann sie
anfassen und durchblättern. Manche Inhalte lassen sich in einer
Zeitung besser oder schöner vermitteln als im Netz.
Ihre Wochenzeitung „Der Freitag“ steht exemplarisch für ein Produkt, das vom Netz lebt. Wieso lassen Sie überhaupt noch eine Printausgabe drucken?
Wir können nur mit der Papierausgabe Geld verdienen, das Netz
wirft zu niedrige Gewinne ab. Das grundsätzliche Problem ist: Die
kostenlosen Inhalte im Netz konkurrieren mit denen in der Tageszeitung.
„Eine Zeitung ist wie ein guter Freund.“
Wie haben die Tageszeitungen darauf reagiert?
Die Tageszeitungen sind zu täglich erscheinenden Wochenzeitungen geworden. Blätter wie die „Süddeutsche Zeitung“ haben
ihr Profil in den letzten Jahren sehr verändert: Sie konzentrieren
continued which are circulated in fringe areas, a piece of the print
media sector breaks away. But my empathy is somewhat limited
in this case. However, if Süddeutsche Zeitung had to be abandoned, this would be a real cultural loss.
read the identical contents on the Internet free of charge.
Printed newspapers will continue to exist – simply because they
are practical: they don‘t consume electricity, we can take them
everywhere. Newspapers have a clear layout, you can feel them
and leaf through them. Certain contents are presented in a better
Brauchen wir mehr guten Lokaljournalismus?
Ich glaube nicht, dass das eine Lösung ist. Es interessiert die Leute
heute weniger als früher, was bei ihnen um die Ecke passiert. Der
Referenzrahmen hat sich verschoben. Jeder, der möchte, ist mit einem Klick in Berlin, Brüssel oder Peking. Der Lokaljournalismus
ist vielerorts allerdings auch so schlecht, dass Sie ihn nicht lesen
wollen. Um ihn besser zu machen, fehlt wiederum das Geld.
and more appealing way in newspapers than on the Internet.
Your weekly „der Freitag“ (The Friday) is a typical example of
an Internet-based product. Why do you still have it published in
print, too?
Only the paper copy allows us to make money, the profits from
the Internet are too small. The basic problem is that the free contents available on the Internet compete with those which appear
Wie muss eine Zeitung sein, damit Sie auf sie aufmerksam werden?
Zugespitzt, meinungsstark, mit Profil. Eine Zeitung muss mir Orientierung bieten, sie muss mich begleiten, wie ein guter Freund.
Ich muss sie kennen und mögen. Warum sollte ich sie sonst lesen?
Was los ist auf der Welt, weiß ich sowieso. Aber wir sollten nicht
länger von Zeitungen reden, es muss um Marken gehen.
in daily newspapers.
How did the newspaper scene react?
The daily newspapers have actually transformed into daily appearing weekly papers. Over the past few years, newspapers like Süddeutsche Zeitung have substantially modified their profile. Their
focus has shifted from news to background information. Never-
Das heißt?
Um herauszustechen, muss sich eine Zeitung profilieren. Der
theless I wonder sometimes how customers can possibly find the
time to read all this information every day.
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„Guardian“, mit dem wir kooperieren, sagt von sich selbst: Wir wollen die liberale Stimme der Welt sein. Das kann nun nicht jeder
von sich behaupten. Aber man muss eine klare Vorstellung davon
haben, wer man ist: Welches Instrument spielen wir in diesem Medienkonzert? Für wen sind wir da? Wie eine Marke dann vermittelt
wird – ob über Print, Online oder das iPhone – ist eigentlich egal.
Was zählt, ist die Identität – und der Erlös.
Und zur Identität gehören auch „TAZ“-Fahrräder und die „SZ-Bibliothek“?
Wenn es markenkompatibel ist – warum nicht? Die „TAZ“ baut auf
dem Kreuzberger Lebensgefühl der 80er Jahre auf und verdient
damit Geld.
Wie gut verkaufen sich die „Freitag“-T-Shirts?
Gar nicht. Aber unsere Marke ist jung. Wenn wir wirklich in diesen
Markt der Nebenprodukte einsteigen wollten, müssten wir überlegen: Was passt zu uns? Gar nicht so einfach.
„Das Internet macht uns nachdenklicher
und demütiger.“
Sie fahren beim „Freitag“ eine innovative Internet-Strategie. Blogger aus ihrer Online-Community haben die Chance, mit ihren Beiträgen ins Blatt gehoben zu werden. Die Schranke zwischen Leser
und Redakteur ist durchlässig. Braucht man überhaupt noch Journalisten?
Klar, das Kerngeschäft des Journalisten ist doch gleich geblieben.
Leser ersetzen keine Journalisten. Aber die Kommunikation mit
den Lesern ist für uns essentiell: Es macht einen Riesenunterschied, ob Sie, wie früher, einen Artikel ins Nichts schicken und
vielleicht einen Leserbrief zurückbekommen oder, wie heute bei
uns, eine direkte Reaktion von Ihren Lesern erfahren. Das verändert unsere Arbeit: Wir werden nachdenklicher und demütiger.
Und manchmal auch genervter?
Naja. Sie finden im Netz unheimlich viele Worte mit relativ wenig Inhalt. Das ist das eine Problem. Das andere ist, dass die Stimmungsschwankungen sehr groß sind. Um zum Kern einer Debatte
vorzudringen, müssen Sie sehr viel lesen, manchmal auch sehr viel
Unsinn. Aber es lohnt sich. Die Arbeit mit den Lesern ist eine Mischung aus Therapie und gärtnerischer Arbeit. All das kostet sehr
viel Zeit.
...weil die User oft selbstgerecht sind?
Wie überall im Leben. Es gibt Leute, die wollen sich nur profilieren. Aber mein Eindruck ist, dass die meisten wegen des inhaltlichen Austauschs bei uns mitmachen und weil sie Teil unseres Projektes sein wollen. Das finde ich schön. Wir haben beim Freitag
übrigens die interessante Erfahrung gemacht, dass die User ihre
eigenen Blog-Beiträge gar nicht unbedingt noch einmal gedruckt
lesen wollen. Von Print erwartet der Leser immer noch eine gewisse Autorität.
Wenn Zeitungen ins Internet gehen, geraten Ressorts wie das Feuilleton ins Hintertreffen.
Das stimmt. Das Netz reißt das Solidarmodell Zeitung auseinander.
Sie meinen das Prinzip, dass Ressorts sich gegenseitig finanzieren.
Genau. „Ich zahle deinen Wirtschaftsteil – du zahlst mein Feuilleton“, das funktioniert im Internet nicht länger. Zwar wird ein
Medium, das relevant sein will, auch im Netz nie auf seinen Kulturteil verzichten. Dennoch werden Nischenressorts ständig mit
den Klickzahlen oder dem Rotstift zu kämpfen haben. Für eine
bestimmte Art von Qualitätsjournalismus ist das Internet ein gefährliches Medium.
How about weekly papers?
I‘m less worried about weekly papers and magazines. Just take
„Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“, for example. Although it was established in the Internet age, it has won a reader-
Die deutschen Zeitungsverlage haben ihre Inhalte von Anfang an
kostenlos ins Netz gestellt. Wie kann man diesen Fehler rückgängig
machen?
Ich weiß nicht, ob man das einen Fehler nennen kann, weil ich
nicht glaube, dass das zu verhindern gewesen wäre. Aber im offenen Netz ist das nicht mehr rückgängig zu machen. Wir müssen auf das geschlossene Netz setzen. Wer ein Smartphone in der
Hand hat, ist von Anfang an daran gewöhnt zu bezahlen. Eigentlich müssten „Spiegel“ oder „Bild“ ihre kostenpflichtigen Auftritte
von den kostenlosen differenzieren. Also eine Printausgabe, eine
Applikation und dann noch im Netz die Website. Alle drei Produkte müssten inhaltlich verschieden sein. Schwer vorstellbar.
ship. Why? Well, people are fond of reading a good newspaper at
the weekend.
A newspaper is like a good friend“
Will the publishers of daily newspapers have to be more daring to
increase the attractiveness of their products?
„Süddeutsche“ and „FAZ“ are splendid papers. To me they are
of staggering quality. How could they possibly improve on that
standard?
In 2011 the circulation of German newspapers decreased by an
average 3.7 % compared to the previous year.
In der Slowakei haben sich neun Medienunternehmen zusammengeschlossen und ihre Internetangebote über eine Bezahlplattform
kostenpflichtig gemacht. Wäre so etwas nicht auch in Deutschland
möglich?
Möglich wäre das schon. Aber warum sollten die Marktführer
„Springer“ und „Spiegel“ sich mit anderen Verlagen wie der „Süddeutschen Zeitung“, der „FAZ“ oder der „Zeit“ zusammenschließen? Damit die bessere Gewinnchancen im Netz haben?
Yes, that‘s the structural change. The revenue from advertising is
collapsing. And you can only raise the copy prices of newspapers
to a limited extent.
Do we need more excellent local journalism?
I don‘t think this would resolve the problem. In contrast to earlier
years, people today are less interested in what‘s happening in their
vicinity just round the corner. Their reference frame has shifted.
Nowadays it takes just a click for anybody to find himself in Ber-
Im Streit um die kostenlose „Tagesschau“-App haben sich die Verlage hingegen zusammengeschlossen – weil sie ihre Existenz bedroht
sehen.
Die Hysterie, mit der der Streit um diese kostenfreie App geführt
wird, erscheint mir absurd. Wenn die Verlage sagen, ihre Existenz
sei gefährdet, kann ich nur sagen: Unter Existenzbedrohung stelle
ich mir etwas anderes vor.
lin, Brussels or Beijing. To be honest, in many places local journalism is too poorly made to attract readers. On the other hand the
money required to improve this situation is lacking.
What must a newspaper have to catch your attention personally?
It must be provocative, opinionated, with a distinct profile. I expect a newspaper to provide orientation or guidance; it has to accompany me like a good friend. I have to be familiar with it and
Für die Verleger sind die Öffentlich-Rechtlichen also keine Konkurrenz?
Natürlich sind sie eine Konkurrenz. Na und? Wir brauchen ein duales System in Netz. Und darin soll jeder machen können, was er
will.
like it. Why else should I take to reading it? I‘m informed about
what‘s going on in the world anyway. But we should stop discussing newspapers, we should rather concentrate on brands.
Which means?
To catch the readers‘ eye, a paper has to make its mark. The „Guar-
Wirklich?
Es ist doch verrückt, dass die privaten Verleger das Netz für sich
reklamieren wollen. Im Grunde waren sie es, die begonnen haben,
ohne Lizenz zu senden. Die Öffentlich-Rechtlichen haben ja nicht
angefangen, plötzlich Zeitungen zu verteilen. Sie erfüllen nur ihren verfassungsmäßigen Auftrag. Die Grundversorgung, die früher
übers Fernsehen lief, läuft heute zunehmend über das Internet. Die
„Tagesschau“-App ist großartig gemacht. Neben „Spiegel Online“
ist sie die Applikation, die ich am meisten nutze.
dian“, our cooperation partner, puts it this way: We want to be the
liberal voice of the world. Of course, not everybody can say that. But
you must have a precise concept of who you are. Which instrument
are we playing in today‘s media concert? Who is our target group?
How a brand is communicated – by print, online or via iPhone – is
actually irrelevant. What counts is identity – and revenue.
And identity includes „taz“ bikes and the SZ library?
Why not – as long as it is compatible with the brand. The ‚taz‘
builds on the joie de vivre of the eighties in Kreuzberg – and ma-
Und im Print?
Ich lese jeden Tag die „FAZ“ und die „Bild“-Zeitung. Die „FAZ“ ist
die klügste und die „Bild“ die sinnlichste Zeitung. Die „Bild“ ist
die einzige deutsche Zeitung, die das Papier wirklich ernst nimmt.
Überlegen Sie mal: Jeden Tag können die ihre Zeitung komplett
neu erfinden! Dieses begeisterte Blattmachen, das Handwerk, was
man da sieht, das finden die Leser attraktiv – und ich auch.
Sie gestalten gerne – kommt da der Gärtner in Ihnen durch?
Der Garten ist für mich eine Metapher für viele Bereiche. Mein
Gartenbuch ist auch als Chiffre für das zu lesen, was wir beim „Freitag“ machen. Ein Garten ist ein Projekt, genau wie eine Zeitung und
eine Community im Internet Projekte sind. Beides funktioniert nur,
wenn man Pflege und Sorgfalt reinsteckt. Und sehr viel Geduld.
kes money with it.
How well are the „Friday“ T-shirts selling?
Not selling at all. But our brand is still young. If we really want
to enter the market of add-on products, we have to find out what
exactly is right for us. Not an easy task at all.
„The Internet makes us more
pensive and humbler“
With „Freitag“ you are adopting an innovative Internet strategy. Bloggers of your online community have a chance of seeing their contributions included in your online newspaper. The
barrier between readers and editors has become permeable.
INK · Seite 11
Does this make journalists superfluous?
charged and free publications. In other words, there should be a
Of course not, the core business of journalists has remained un-
printed version, an App and a website on the Internet. All three
changed. Journalists cannot be replaced by readers. But the com-
products would have to show different contents. Difficult to ima-
munication with our readers is essential to us: it makes a huge
gine though.
difference whether you publish an article into nowhere - as it used
to be – and at best receive a letter to the editor in return, or if – as
In Slovakia, nine media enterprises joined forces to offer their In-
it is today – you get an immediate response from your readers.
ternet content via a payment platform. Do you think this would be
This has changed our work and our attitude. We ourselves are be-
possible in Germany, too?
coming more pensive and humbler.
This would certainly be possible. But why should Springer and
Spiegel as market leaders associate with other publishers such as
And sometimes more stressed, too?
those of Süddeutsche Zeitung, FAZ or „Zeit“? To improve their
Well, the Internet contains an awful lot of words with relatively
chances of profit on the Internet?
little meaning. This is one of the problems, the other one is heavy
mood swings. If you want to come to the heart of a debate you
In the dispute over the free news App („Tagesschau“), publishers
are compelled to read a terrible amount of information and so-
have actually joined – because they see a threat to their survival.
metimes a lot of nonsense, too. But it‘s worth the while. Working
I feel the hysteria which shows in this dispute about a free-of-
with readers is a mix of therapy and gardening. All this costs you
charge App is absurd. If the publishers maintain that their exis-
a lot of time.
tence is threatened I can only say: I understand something completely different concerning an existential threat.
...because the users are often self-righteous?
Just like in everyday life. There are people who want to promote
So the publicly owned TV stations are not competitors to the pu-
themselves and nothing else. I‘m under the impression that most
blishing houses?
of our readers participate because they value the exchange of con-
Of course they are. So what? We need a dual system on the In-
tents and because they wish to be part of our project. I appreciate
ternet. And within this system every participant should be free
that very much. Incidentally, we have had an interesting experi-
to act as he wants.
ence with ‚Freitag‘, namely that our readers don‘t see it as absolutely necessary to read their blogs in print once more. Readers still
Really?
expect a certain authority from the print media.
It‘s absolutely crazy that the private publishers claim the Internet
for themselves. They were the first to broadcast without a licence.
If newspapers go on the Internet, certain sections such as feature
The public-law institutions never started a sudden campaign to
pages tend to fall behind.
distribute newspapers. They are just serving their constitutional
Yes you are right. The solidarity model ‚newspaper‘ is being torn
mandate. The basic services which used to be provided by TV are
Jakob Augstein, geboren 1967 in Hamburg, ist Verleger der
Wochenzeitung „der Freitag“. Im Jahr 2008 kaufte er die
ehemalige „Ost-West-Wochenzeitung“ und entwickelte eine
Strategie, die Online und Print eng miteinander verknüpft:
Beiträge von Bloggern aus der Internet-Community haben
die Chance, ins Blatt gehoben zu werden. Jakob Augstein ist
der gesetzlich anerkannte Sohn des verstorbenen „Spiegel“Herausgebers Rudolf Augstein und leiblicher Sohn des
Schriftstellers Martin Walser. Zusammen mit drei Geschwistern hält er 24 Prozent des „Spiegel“-Verlags.
apart by the Internet.
currently shifting increasingly to the Internet. The „Tagesschau“
Jakob Augstein, born 1967 in Hamburg, is publisher of the weekly „der Freitag“.
German newspaper publishers have posted their contents onto the
In 2008 he acquired the former „Ost-West-Wochenzeitung“ and developed a stra-
Internet free-of-charge from the beginning. How can they correct
tegy to intimately link online and print: contributions by bloggers from the Inter-
this mistake?
You like designing – does the gardener in you come to the fore?
net community have a chance of being included in the newspaper. Jakob Augstein
I‘m not sure if you could call it a mistake because I don‘t believe
Gardens to me are a metaphor for many spheres. My garden book
is the legally recognized son of Rudolf Augstein, the late „Spiegel“ editor, and he
there was an alternative. But in the open Internet of today this
is also a cipher denoting our approach to „Freitag“. A garden is a
is the biological son of the writer Martin Walser. Together with three siblings he
decision cannot be retracted. We have to rely on a closed Internet.
project, just as a newspaper and an Internet community are pro-
holds a 24 percent share in the „Spiegel“ publishing house.
A Smartphone owner is used to paying right from the start. Ac-
jects. Both will only work if they are given the necessary care and
tually, ‚Spiegel‘ or ‚Bild‘ ought to make a difference between their
diligence. And a lot of patience.
news App is magnificently made. Besides „Spiegel online“ it‘s the
You‘re talking about the principle of mutual financing of indivi-
application I use most often.
dual sectors.
Exactly. „I pay for your business section – you pay for my feature
And what are your preferences in print?
pages“, on the Internet this no longer works. Although every
I read FAZ and „Bild“ every day. To me FAZ is the most knowled-
medium aspiring to relevance will by no means waive its culture
geable and „Bild“ the most sensuous newspaper. By the way „Bild“
section on the Internet, niche sectors will continuously have to
is the only German newspaper which takes the paper seriously.
struggle with click numbers or budget cuts. The Internet is a risky
Just think about it: its editors are able to invent their newspa-
medium for a certain form of first-rate journalism.
per completely anew each day! This enthusiasm for editing, the
craftsmanship we see – that‘s what readers find attractive – and
I do too.
Seite 12 · INK
Feldherr mit Papierhut: Der Zeitungsdesigner Lukas Kircher liebt den Wettkampf.
General with a paper hat: The newspaper de-signer Lukas Kircher loves competition.
Der macht das schön
he embellishes
Was durch seine Finger geht, wird zu Gold: Lukas Kircher lässt
Zeitungen strahlen und Auflagen steigen. Ein Werkstattbesuch.
Whatever he touches turns into gold:
Lukas Kircher makes newspapers shine and
circulations rise. A workshop visit.
text: Johannes Wendt
text: Johannes Wendt
fotos: Steffi Loos
W
enn Redaktionen ihre Auflagen steigern wollen, müssen sie zuerst Stufen steigen. Mitten in Berlin, einen
Steinwurf von der Museumsinsel entfernt, stapfen 15
Redakteure vier Stockwerke nach oben. Dort empfängt Lukas Kircher in seiner Agentur Chefredakteurin Bascha Mika und ihre Kollegen, um mit ihnen die Entwürfe der neuen „taz“ zu besprechen.
Aus dem Augenwinkel sieht er ein Stockwerk tiefer andere Kundschaft: Auf der Dachterrasse blättern Bundeswehroffiziere in der
„Y“. Auch das Magazin der Bundeswehr betreut Kircher. Er ist bei
allen gleichermaßen begehrt, wie links oder staatstragend sie auch
seien. Denn er steht im Ruf, Publikationen ein unverwechselbares
Gesicht verleihen zu können - ein begehrenswertes. Wenn sich der
40-Jährige heute am Konferenztisch der Lobby an die Szene im
Sommer 2009 erinnert, grinst er verwegen: Es war nicht zu befürchten, dass „taz“-Redakteure und Offiziere übereinander herfallen würden, und doch lenkte er die beiden Gruppen den ganzen Tag
aneinander vorbei.
photos: Steffi Loos
Editorial staff who wish to increase circulation figures first have to
der „Berliner Zeitung“ an deren Relaunch. Über Wochen feilt er
zusammen mit John Lockwood, einem amerikanischen Künstler,
an Weißraum, Durchschuss und Typografie. Bei der Abschlussprä-
climb stairs. In the heart of Berlin, just a stone‘s throw away from
Museum Island, 15 editors are trudging up four floors. Up there
Lukas Kircher receives Bascha Mika, editor-in-chief, and her colleagues in his news agency in order to discuss the concepts of the
new „taz“ with them.
From the corner of his eye he spots other clients one floor below:
on the roof terrace, officers of the German Armed Forces browse
through „Y“. Kircher also attends to their magazine. He is equally
popular with all parties, no matter whether they’re from the Left
or state-supporting. This is at-tributable to his reputation for giving an unmistakeable profile to publications, thus making them
attractive and desirable. As the 40-year old Kircher today sits at
the conference table in the lobby, the remembrance of a scene in
summer 2009 brings a youthful grin to his face: there was no risk
of „taz“ editors and officers of the German Armed Forces attacking
each other at the time, but he nevertheless managed to steer the
two groups past each other all day.
Es herrscht konzentrierte Stille in den lichten Büros von KircherBurkhardt. In den Regalen liegen Zeitungen übereinander gestapelt, die Wände sind mit Magazinseiten tapeziert. Kirchers Mitarbeiter sitzen an aufgeräumten Tischen, ein kleiner schwarzer Hund
streift durch die leeren Gänge. In diesen Räumen tüftelt Lukas
Kircher mit knapp 200 Mitarbeitern am Design der Zukunft. Am
Design, das Zeitungen die Krise der Printbranche überleben lässt.
Lukas Kircher ist für viele Verlage die letzte Hoffnung.
Er macht sich sein Vorbild zum Rivalen.
Seine Agentur hat die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“,
die „Welt am Sonntag“ und den „Tagesspiegel“ neu aufgelegt. Alle
drei wurden als „World‘s Best Designed Newspaper“ ausgezeichnet,
den bedeutendsten Preis der Branche. Als Mann hinter dem Design ist Kircher eine Art dreifacher Oscarpreisträger.
Von Beginn an suchte er den Wettstreit. Als er 2000 die Agentur
gründete, zielte er auf den Messias der Branche: den amerikanischen Zeitungsdesigner Mario Garcia. Der revolutionierte in den
Neunzigern den Zeitungsmarkt mit spektakulären Infografiken
und innovativen Bildkonzepten. Kircher dachte sich: Das können
wir auch.Bevor er die Agentur gründet, arbeitet er als Art Director
There is a silent and concentrated atmosphere in the offices of
KircherBurkhardt which are flooded with light. In the shelves
newspapers are stacked up, magazine pages are used as wallpapers. Kircher‘s employees sit at tidy work desks, a little black dog
roams the empty corridors. It is in these rooms that Lukas Kircher, as-sisted by some 200 employees, puzzles over the design of
Die „Stuttgarter Zeitung“ machte Kircher 2009 zu „Europas
bester Regionalzeitung“
the future – the design being the survival of the newspaper in the
In 2009 Kircher made „Stuttgarter Zeitung“ to „Europe‘s best
regional paper“.
currently the last hope.
print sector crisis. For many publishing houses Lukas Kircher is
His agency has newly edited „Frankfurter Allgemeine Sonntags-
sentation erklärt Kircher seinen Entwurf. Die größten Hürden sind
genommen - bis der Geschäftsführer über einen stecknadelkopfgroßen Diamanten im Logo stutzt.
„Welchen Zweck hat der?“
„Das ist ein Diamant“, sagt Kircher.
„Warum steht er gerade dort?“
„Weil er eine gemeinsame Markenidentität schafft.“
„Das ist alles?“
Kircher kramt in der PR-Trickkiste: „Er steht da oben, weil Zeitungen bestimmte Eigenheiten brauchen, um Eigenleben und Charakter zu entwickeln. Das kann nicht funktional verortet werden.“
zeitung“, „Welt am Sonntag“ and „Tagesspiegel“. All three received
a prize as „World´s Best De-signed Newspaper“- the most significant award in this sector. As the man behind the design, Kircher
has been a kind of triple Oscar winner.
From the very beginning he was out for contest. When he founded the agency in 2000, he targeted the Messiah of the line of
business – Mario Garcia, the U.S. newspaper designer. In the early nineties, this designer revolutionized the news-paper market
with spectacular info graphics and innovative picture concepts.
Kircher thought to himself: we can do this, too.
INK · Seite 13
Der Diamant darf bleiben. Was Kircher als Perfektionismus empfindet, erweist sich als Glücksfall. Die „Berliner Zeitung“ gewinnt
den „European Newspaper Award“.
Before establishing the agency, Kircher served as art director of
„Berliner Zeitung“ where he was responsible for its re-launch.
For weeks he cooperated with the U.S. artist John Lockwood in
designing white areas, line spacing and ty-pography. At the final
Mit seinem nächsten Projekt schließt Kircher zu seinem amerikanischen Rivalen auf. Nachdem Garcia den „Tagesspiegel“ 1994
umgestaltet hat, will das Blatt zehn Jahre später erneut sein Design
ändern. Diesmal fällt die Wahl auf Kircher - der damit im Revier
Garcias wildert. Kircher entwirft neue Erzählformen, lockert das
Blatt auf und unterstreicht dessen Wert. Damit macht er alles richtig: Noch im selben Jahr wird der „Tagesspiegel“ mit dem „World´s
Best Designed Newspaper Award“ ausgezeichnet. Für Lukas Kircher bringt das Prestige und neue Aufträge. Dabei wollte er seit
seiner Kindheit ganz andere Preise einheimsen: Filmpreise.
presentation, Kircher explained his design. The highest hurdles
had been overcome – until the managing director stopped at the
sight of a pinhead sized diamond in the logo.
„What‘s this for?“
„This is a diamond“, replied Kircher.
„Why is it placed just here?“
„Because it creates a common brand identity.“
„And that‘s all?“
Digging into the bag of PR tricks Kircher explained: „It has been
placed up there because newspapers have to show specific features
in order to develop a life and character of their own. You can‘t just
Zuerst will er zum Film – doch der Prof macht
Softpornos.
position such a symbol under purely func-tional aspects.“
The diamond remained in place. What Kircher himself sees as
perfectionism actu-ally turned out to be a stroke of luck: the „Ber-
Nach der Schule steht er in jeder freien Minute hinter der Kamera;
er will Geschichten visuell erzählen. Er schwärmt für Jean-Luc Godard und dreht düstere Autorenfilme. Franz Antel, damals künstlerischer Leiter der Filmakademie Wien, macht Kirchers Pläne
unfreiwillig zunichte. Der Hochschullehrer produziert Softpornos.
Von ihm will Kircher das Filmen nicht lernen, also meldet er sich
an der Hochschule für Angewandte Kunst an. Die Schule ist eine
Spielwiese für Medienkunst. Kircher experimentiert, er verliert
die Furcht vor Fehlern. Später wird das zum Merkmal seiner Arbeit. Als das iPad erscheint, steht Kircher mit leeren Händen da.
Niemand weiß zu diesem Zeitpunkt, wie man eine Zeitungs-App
baut. Trotzdem nimmt er Aufträge an und probiert, bis er im Mai
2010 die App „Welt HD“ vorlegen kann. Kircher hat damit auch
den App-Markt erobert. Sein Aushängeschild aber bleibt das Zeitungsdesign.
Im vierten Stock brütet eine Frau über den Titellettern eines niedersächsischen Regionalblattes. Mit Kircher will die Zeitung den
Sprung ins nächste Jahrzehnt schaffen. In kleinen, schwarz-gelben
Buchstaben steht der Titel auf dem Original. Kircher nimmt das
Blatt in die Hände, sein Blick läuft über die Seite. „Schwarz-gelb
bedeutet Aggression“, sagt er. „Wissen wir aus der Farbforschung.“
Einen Augenblick später zieht seine Mitarbeiterin auf dem Bildschirm die Farbskala in Richtung Gold.
liner Zeitung“ won the „European Newspaper Award“.
From role model to rival.
With his next project Kircher caught up with his American rival.
Ten years after Garcia redesigned the „Tagesspiegel“ in 1994, its
publishers decided to change its design once again. This time Kircher was chosen – thus poaching in Garcia‘s terri-tory. Kircher
created new narrative forms, broke up the newspaper structure
Lukas Kircher, 40, ist der erfolgreichste Zeitungsdesigner
Deutschlands. Mit der „FAS“ hat er fünf Mal den „World´s
Best Newspaper Design Award“ gewonnen. Kircher studierte
in Wien Angewandte Kunst. Bevor er die Meisterklasse abschloss, machte ihn der Chefredakteur der „Presse“ zum Grafiker. Später folgte Kircher ihm zur „Berliner Zeitung“ und
zum „Stern“. Seit 2000 ist er selbständig.
and emphasized its value. In short, he did everything right. In
that same year, „Tagesspiegel“ gained the „World´s Best Designed
Newspaper Award“. Lukas Kircher profited in prestige and additional orders. However, his childhood dream had been to reap
prizes of a different nature - namely film prizes.
Initially he wanted film – but not
with a softcore films professor.
Lukas Kircher, 40, counts among the most successful newspaper designers in Germany. With FAS - Frankfurter Allgemeine Zeitung, he has gained the ‚World´s
Having finished school, he was behind the camera every free mi-
Best Newspaper Design Award‘ five times. In Vienna Kircher took up the study
nute. His inten-tion was to tell stories visually. He was enthusi-
of Applied Arts. Before he graduated from his master class, the editor-in-chief of
astic about the work of Jean-Luc Godard and made dark auteur
the Vienna „Presse“ recruited him as a graphic designer. Later on Kircher followed
movies. Franz Antel, the then art director of the Vi-enna Film
him to „Berliner Zeitung“ and to „Stern“ in Germany. Since 2000 he has been wor-
Academy, unintentionally wrecked Kircher‘s plans: the professor
king as a free-lance designer.
pro-duced softcore films at the time and Kircher refrained from
attending his film study course. Instead, he enrolled at the Vienna
University of Applied Arts. This institution was a playground of
media art. Kircher started experimenting in the media sector, he
lost his fear of making mistakes – an attitude that became typical
of his work. The arrival of the iPad left Kircher empty-handed.
Anleitung zur Realitätserweiterung:
Nehmen Sie ein Smartphone und laden Sie
das App von Junaio.
Wählen Sie den „vdmnrw“ Channel, jetzt
sehen Sie alle Kalenderblätter.
Wählen Sie nun den Jazz-Musiker aus.
Mit Hilfe der App scannen Sie die linke
Seite und sehen Sie selbst, was passiert.
Wenn Sie jetzt auch noch Musik hören
möchten – per „Screen Touch“ das Smartphone berühren, die Webseite öffnen und:
Hören Sie selbst.
Although at that moment nobody knew how to build a newspaper App, Kircher continued accept-ing orders. Adopting a trialand-error approach, he came up with the App „World HD“ in
May 2010 - thus conquering the App market, too. Nevertheless,
newspa-per design has remained his flagship domain.
On the fourth floor, a woman is brooding about the title letters
of a regional paper in Lower Saxony. Cooperating with Kircher,
the newspaper publisher intends to successfully enter the next
decade in a flying leap. The title is shown on the origi-nal page in
small black and yellow letters. Kircher takes the page in his hand,
his eyes scan the text. „Black-and-yellow conveys a feeling of aggression“, he points out. „We know this from colour research.“ A
moment later his employee shifts the colour scale on the monitor
towards gold.
mehr unter:
Erweiterte Realität – Augmented Reality – das
Schlagwort der Medienbranche
Unter erweiterter Realität versteht man die
computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung.
Diese
Information
kann alle menschlichen Sinnesmodalitäten
ansprechen. Häufig wird jedoch unter erweiterter Realität nur die visuelle Darstellung von Informationen verstanden, also die Ergänzung von
Bildern oder Videos mit computergenerierten
Zusatzinformationen oder virtuellen Objekten
mittels Einblendung. (Quelle: wikipedia).
Mit visuellen Darstellungen kennen Medienmacher sich gut aus. Warum ist das Thema
– Augmented Reality – dann so ein Trendthema?
Computergenerierte Zusatzinformationen (wie
3D via Web) sind durch das Smartphone eine
neue Dimension. Warum eigentlich? Es ist das
Zusammenspiel von Print, Web, 3D und Mobile, das ein solch immenses Interesse auslöst und
zu einem echten Trend avanciert.
Die Medienmacher, die sich damit auseinandersetzen, stellt es vor Herausforderungen. Denn
neben dem Design muss auch die Technik verstanden werden, damit sinnvolle Anwendungen
entwickelt werden können.
Probieren Sie es aus: Folgen Sie der Anleitung
und Sie haben die Möglichkeit, das
Kalenderblatt zum Leben zu erwecken. Wenn
Sie Spaß daran gefunden haben und Sie mehr
dazu wissen möchten, dann kommen Sie auf uns
zu. Gerne erweitern wir Ihre Geschäftswelt um
eine neue Dimension.
Die Akademie Druck + Medien wollte es selber
ausprobieren. Sie hat ein Akademie-Projekt von
jungen angehenden Mediengestaltern mit 3D
Animationen und Musik angereichert. 17 Kalenderblätter, die jeweils eine Musikrichtung
vertreten. Das Ergebnis: Sehen und Hören.
Akademie Druck+Medien Nord-West
Die Akademie für Medienmacher
www.vdmnrw.de
In diesem Sinne:
Erweitern Sie die Printrealität.
Seite 14 · INK
Helmut Sieber bei der Arbeit. In seinen Händen: ein unbedruckter Bogen Karton – eine Verpackung im Urzustand.
Helmut Sieber at work. In his hands an unprinted sheet of paperboard – a package in its raw condition.
Der Falter
the folder
Ordentlich kreativ: Helmut Sieber baut Schachteln für die ganze Welt –
und vereint dabei unterschiedliche Talente.
Orderly creativity: Helmut Sieber builds boxes for the whole
world – and combines highly different talents.
text: Kaspar Heinrich
photos: Fritz Beck
text: Kaspar Heinrich
fotos: Fritz Beck
When Helmut Sieber leaves his office in the evening, he goes hunting. He strolls to the nearest supermarket and scans the shelves.
W
enn Helmut Sieber am Abend sein Büro verlässt, beginnt für ihn die Jagd. Dann tigert er in den nächsten
Supermarkt und sucht die Regalreihen ab. Schokoladentafeln, Milchtüten, Antifaltencremes. Vor der potentiellen
Beute bleibt er stehen, greift sich eine Pappschachtel, mustert und
betastet sie von allen Seiten. Gut möglich, dass eine Packung Vogelfutter im Einkaufswagen landet – obwohl Sieber keinen Vogel
besitzt. Wo andere hinter der Kasse den Inhalt aus der Box ziehen
und die Verpackung in den Müll werfen, würde er lieber das Futter
entsorgen. Ihn interessiert allein die Hülle.
Helmut Sieber ist hungrig nach neuen Ideen. Er will wissen, wie
eine Verpackung aussehen kann, welche Verschlüsse und Schachtelformen es noch nicht gibt. Wie viel Papier leisten kann, sieht
Sieber, 51, jeden Tag. Als Chef der „Verpackungsentwicklung Premium“ bei der Carl Edelmann GmbH hat er sein Büro im dritten
Stock eines Gebäudes, das aussieht wie eine große Verpackungsschachtel. In Vitrinen auf den Gängen verschwinden Packungsbeilagen in papiernen Seitentaschen und Parfumproben in runden
Pappdosen. Pralinen stecken in angeschrägten Schachteln, Körperlotionen in Boxen mit sanft geschwungener Silhouette.
Am Anfang wurde Sieber von vielen Kollegen belächelt. „Sie haben
mir die Arbeit mit den kleinen Schächtelchen nicht zugetraut“, erinnert er sich. Er studierte Verpackungsmittelmechanik in München, als er 1986 eine Exkursion ins Heidenheimer Werk von Edelmann unternahm. Schon kurz darauf fing er dort als Assistent in
der Papierverarbeitungstechnik an. Heute ist er Chef der elfköpfigen Abteilung, die Pappschachteln für Kosmetikartikel, Haarkolorationen, Süßwaren und Zigaretten entwirft. Um die 300 Aufträge
bearbeiten sie jeden Monat, mehr als 2,5 Milliarden Packungen
verlassen jährlich das Werk.
Siebers Mission:
zeigen, wozu Papier fähig ist.
Eine Ikone des Verpackungsdesigns gehört nicht dazu: Die Toblerone-Schachtel. „Ein absoluter Klassiker“, schwärmt Sieber. „Extravagant, aber nicht zu schrill. Man kann sich nicht satt sehen an ihr.“
Sieber hätte die dreieckige Schachtel am liebsten selbst entwickelt,
das gibt er zu.
Sein eigener Stolz gilt einer Verpackung die er für die Firma Leica
entwarf. Die hochwertigen Fotoapparate lagen vorher in Kunststoffetuis. „Wir haben eine Schachtel gebaut, die der alten sehr ähnelte – aber komplett aus Pappe war.“ Das ist die Mission von Sieber und seinem Team: Der Welt zeigen, dass man allein aus Papier
stabile, sichere und originelle Verpackungen bauen kann.
Edelmann produziert global, wirkt aber beschaulich. Das Unternehmen sitzt seit fast hundert Jahren im Osten Baden-Württembergs, im Werk wird viel geschwäbelt. Sieber selbst mag es beständig und familiär, er stammt aus einem kleinen Ort im bayerischen
Schwabenland. Doch auch er muss auf den Weltmarkt reagieren:
„Er wird immer umkämpfter“, sagt Sieber. „Man muss mehr auffallen und vor allem schneller sein“. Leidet darunter die Kreativität?
„Das darf sie nicht“, sagt er. Sieber arbeitet an der Schnittstelle zwischen Auftraggebern, die sparen wollen, und Grafikern, die knallige Lösungen suchen. Er muss mit seinen Faltschachteln Ästhetik
und Pragmatismus kombinieren.
Chocolate bars, Tetra Pak milk cartons, anti-wrinkle cream tubes.
He stops before a potential prey, helps himself to a cardboard box
and inspects and feels it from all sides. It might be that a pack of
birdseed lands in his trolley – although Sieber doesn‘t have a bird
at home. Where others get rid of the package after the cashier‘s
desk, he would prefer to dump the birdseed instead. He is exclusively interested in the wrapping.
Helmut Sieber hungers for new ideas. He is eager to learn what
a packaging might possibly look like and which types of closures
and box shapes are not yet available. Sieber, 51, is in daily contact
with a multitude of potential paper applications. In his capacity
as leader of ‚Premium Package Development‘ at Carl Edelmann
GmbH, he has his office on the third floor of a building which
itself resembles a huge package box. Showcases in the corridors
display package inserts stuck away in paper envelopes and perfume samples in circular paperboard cans. Chocolate sweets appear
in angled boxes, body lotions in packages with a gently curved
Nach Tagen des Zeichnens und Bastelns steigt Sieber in die Bahn
oder das Flugzeug. Dann führt ihn sein Weg nach Hamburg, Genf
oder Beverly Hills. Es stehen die schönsten Momente seiner Arbeit bevor: Die, in denen er zeigen kann, welche Möglichkeiten
in einem einzelnen Bogen Karton stecken. Im besten Fall bringt
er damit seinen Auftraggeber zum Staunen. Wie im vergangenen
Herbst. Da flog er zu einem Kosmetikkonzern, stellte zweieinhalb
Stunden seine Ideen für eine Cremeverpackung vor. Abgerundete
Kanten, ein pultförmiger Deckel, ein Boden, der sich beim Öffnen
zu einer Schale entfaltet. Marketingchef und Einkaufsleiterin waren beeindruckt.
Unordnung ist nichts für Sieber.
Er mag Regeln.
Wann immer Helmut Sieber einen unbedruckten, vorgestanzten
Bogen in die Hände bekommt, eine Verpackung im Urzustand,
dann beginnt er zu knicken und zu falten und hört nicht auf, bevor
die fertige Schachtel vor ihm steht. Auf einem Gang durchs Werk
achtet er darauf, dass der Abfall in die richtigen Behälter kommt.
Unordnung ist nichts für ihn, Sieber mag es lieber, wenn die Dinge
um ihn herum Regeln gehorchen. Wenn er redet, dann formuliert
er bedächtig, dann sind ihm Korrektheit und Präzision wichtig.
silhouette.
In the beginning, Sieber was met with a pitying smile by many of
his colleagues. „They had never thought I would be able to work
on small boxes“, he remembers. During his studies of Package
Mechanics in Munich, he participated in an excursion to the Heidenheim location of Edelmann in 1986. Very soon afterwards he
joined the company as assistant to the Packaging Development
unit. Today he leads the team of eleven who design paperboard
boxes for cosmetics, hair colorants, confectionery and cigarettes.
Every month they handle some 300 orders and over 2.5 billion
packages leave the production every year.
Sieber‘s mission:
demonstrate the capabilities of paper.
One icon of packaging design is excluded, however: the Toblerone
box. „An absolute classic“, Sieber raves, „extravagant, but not too
flashy. You can‘t get enough of it.“ And he admits that he would
have loved to develop the triangular box himself.
His pride and joy is a package he designed for Leica. The premium cameras used to come in plastic cases. „We built a box
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which resembled the previous one very closely but which was
completely made from paperboard.“ And that‘s what Sieber and
his team see as their mission: to show to the world that paper is
sufficient to build stable, safe and inventive packaging.
Edelmann is a global manufacturer but one with a quiet appearance. Since nearly 100 years, the seat of the enterprise has been
located in the east of Baden-Württemberg, and many employees
speak with a Swabian accent. Sieber himself likes consistency and
familiarity, he comes from a small place in Bavarian Swabia. But
nevertheless he finds himself compelled to react to international
market conditions: „Today‘s market is characterised by rising
competition“, Sieber emphasizes. „Our design concepts have to be
more striking and we must be quicker than our rivals.“ Does this
approach jeopardize creativity? „This must by no means happen“,
he replies. Sieber works at the interface between ordering parties
wishing to save money, and graphic designers aspiring to gaudy
solutions. His folding boxes are required to combine an aesthetic
appearance with pragmatism.
After days of drawing and tinkering, Sieber boards a train or plane. His destinations are Hamburg, Geneva or Beverly Hills. And
then the most beautiful moments of his work are about to arrive:
he will be able to demonstrate the possibilities hidden in a single
sheet of paperboard. At best he amazes his customers – as he did
last autumn. He travelled by air to a cosmetics company where he
presented his ideas of a cream package design during two-and-ahalf hours. Rounded edges, a console-shaped cover, bottom unfolding into a bowl when opened. Both the director of marketing and
the female purchasing manager were impressed.
Sieber dislikes clutter. He likes structure.
Whenever Helmut Sieber gets his hands on an unprinted and precut sheet – a package in its raw state so to speak – he starts kinking and folding it until a box is finished. When walking through
the company, he takes care that the waste goes into the appropriate bins. He dislikes things being in a mess, he prefers them to
follow certain rules. Sieber speaks slowly and deliberately, he likes
to be correct and precise.
One of Sieber‘s favourite words is ‚value‘. It expresses the idea
behind the premium segment of Edelmann: noble perfume packages that bring out the full qualities of the flacons, chocolate
boxes with high-embossed imprint and gold foil. Sieber strives for
high-quality niche products instead of the mass products.
Edelmann obtains the paper for its products primarily from Scan-
Seine Schachteln funktionieren meist ohne Klebstoff. Das spart einen Arbeitsschritt und schont die Umwelt.
dinavia. If a particularly radiant white grade is needed, the com-
Mostly no adhesive is needed for his boxes. This saves one production step and protects the environment.
pany orders from a papermill in Lower Saxony. A recent example
was a package series for which Edelmann was awarded a prize for
product design. For a special face cream called „Yin Yang“, Sieber
and his staff created a box which reflects the oriental idea of this
contrastive relationship: screw cap and bottom are of identical
construction, they form a frame, thus symbolizing balance.
And this same principle applies to Helmut Sieber‘s daily work. He
has to reconcile his two sides – the playfully creative one and his
love of order.
mehr unter:
Siebers Firma bezieht ihr Papier aus Skandinavien.
Wenn es ein besonders strahlendes Weiß sein soll, kommt es
aus Niedersachsen.
Sieber‘s company orders its paper material from Scandinavia. Highwhite grades come from Lower Saxony.
Ein Lieblingswort von Helmut Sieber ist „Wertigkeit“. Es drückt
das aus, wofür das Premium-Segment bei Edelmann steht: edle
Parfumverpackungen, in denen die Flakons besonders gut zur Geltung kommen, Schokoladenschachteln mit hochgeprägtem Aufdruck und Goldfolie. Qualitative Nischenprodukte statt Massenware, das ist es, was Sieber will.
Das Papier dafür bezieht Edelmann vor allem aus Skandinavien.
Wenn es ein besonders strahlendes Weiß sein soll, kommt es aus
einer Fabrik in Niedersachsen. Wie bei einer Verpackungsserie,
für die Edelmann kürzlich einen Preis für Produktdesign bekam.
Für eine Gesichtscreme mit dem Namen „Yin Yang“ erdachten Sieber und seine Mitarbeiter eine Schachtel, die den Gedanken des
fernöstlichen Gegensatzpaares aufnimmt: Deckel und Boden sind
baugleich, sie bilden einen Rahmen, symbolisieren Gleichgewicht.
Das gibt es auch in Helmut Siebers täglicher Arbeit. Tag für Tag
muss er seine beiden Seiten miteinander in Einklang bringen: die
Spielerische, Kreative – und die Liebe zur Ordnung.
Helmut Sieber, 51, leitet die Verpackungsentwicklung Premium bei der Carl Edelmann GmbH in Heidenheim. Dort
entwirft er Faltschachteln für Kosmetikartikel, Haarkolorationen, Süßwaren und Zigaretten. Er studierte Verpackungsmittelmechanik in München, bevor er 1986 zu Edelmann
kam. Die Firma hat Vertretungen in Großbritannien, Frankreich, China, Mexiko, Polen und Ungarn.
Helmut Sieber, 51, leads the Premium Packaging Development at Carl Edelmann
GmbH in Heidenheim. He designs folding boxes for cosmetics, hair colorants,
confectionery and cigarettes. Sieber studied Package Mechanics in Munich before he joined Edelmann in 1986. The company is represented in Great Britain,
France, China, Mexico, Poland and Hungary.
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Seite 16 · INK
h e w e n t t o s tay
He had to sell the papermill founded by his great-grandfather.
Someone else does his work today. And yet Ulrich Scheufelen
is more than a retired boss.
text: Christiane Lutz and Veronika Widmann
photos: Fritz Beck
Ulrich Scheufelen has to take 148 steps to walk from his bedroom
to his office. Past a fountain, into the old administration building
of the Scheufelen mill, via dark wooden stairs, past calendars
made of fine paper and up to the second floor. That‘s where his
office is located. In the high-ceilinged room, heavy wooden cupboards are to be found with rows of files, some of them overturned. Busts of Konrad Adenauer and Theodor Heuss look over
Scheufelen‘s shoulder from behind when he sits at his desk. Here
the 68-year-old used to negotiate contracts and make key decisions in his capacity as executive director. Among the most consequential decisions was that of 17 July 2008 when Scheufelen
resolved to file for insolvency and to sell the family business to a
Finnish investor after a 153-year tradition.
In 1855, Carl Scheufelen, Ulrich’s great-grandfather, acquired
an old papermill in Unterlenningen at the foot of the Swabian
Mountains. He built up an enterprise which repeatedly searched
for market niches, such as producing papers for packages and
magazines before it finally switched to fine paper manufacturing. Today Daimler prints its high-gloss promotional material
on Scheufelen paper, fine art publishers use it for their books,
Bosch and BMW for their business reports. Rumour has it that
even Andy Warhol has occasionally drawn on Scheufelen papers.
Since its very beginnings, the Scheufelen business has successfully mastered all crises – except for the last one in July 2008.
Ulrich Scheufelen‘s office has since ceased to be an executive‘s
office; the company is now being led by Markku Hämäläinen, a
man from Finland.
It takes Markku Hämäläinen a ten minutes‘ drive in his black
Mercedes E-Class to reach his own office from his Kirchheim residence. The office is located on the other side of the street cutting
across the firm‘s premises, and directly above the mill. The new
boss has chosen functional furnishings for the room. There is a
wall calendar, but no family photographs. He sits at a circular negotiating table that seats four people. The office resembles more
that of a shift supervisor than that of a director. The door to the
corridor stands open most of the time – it takes a few seconds and
he is downstairs in the mill. Hämäläinen has rosy cheeks and a
shy look in his eyes, you would not believe his 50 years. He remembers how Ulrich Scheufelen had explained Germany to him:
the bureaucracy, the paper sector, the Swabian mentality. „Everybody knows Ulli Scheufelen“, he remarks in his broken German,
„but nobody knows me“. In this country, hardly anybody is able to
pronounce the name Hämäläinen. ‚Scheufelen‘ suggests Swabian responsibility. The man from Finland knows how important
it is that the sector associates a company with a specific person.
„Ulli embodies the business, his employees have never lost faith
Gegangen um zu bleiben
Die Papierfabrik, die sein Urgroßvater gründete, musste er verkaufen.
Seine Arbeit macht heute ein anderer.
Trotzdem ist Ulrich Scheufelen mehr als ein Chef außer Dienst.
in him“, he adds, „not even after his insolvency“. Hämäläinen‘s
unpretentious tone when speaking German makes his pathos authentic.
He strides through the papermill
like a captain would his ship.
From his office, Scheufelen continues to advise the executive director. Last week he represented the company in Brussels and
soon he is going to meet the senior partner of DuMont in Stuttgart to discuss the state of the branch of industry. Once a week he
text: Christiane Lutz und Veronika Widmann
fotos: Fritz Beck
H
undertachtundvierzig Schritte muss Ulrich Scheufelen gehen, um von seinem Schlafzimmer in sein Büro zu kommen. Vorbei an einem Springbrunnen, hinein in das alte
Verwaltungsgebäude der Papierfabrik Scheufelen, über dunkle
Holztreppen, vorbei an Kalendern aus feinem Papier, hinauf in den
zweiten Stock. Dort liegt sein Büro. In dem hohen Raum stehen
mächtige Holzschränke, in denen sich Aktenordner reihen, manche davon umgekippt. Büsten von Konrad Adenauer und Theodor
Heuss schauen Scheufelen über die Schulter, wenn er an seinem
Schreibtisch sitzt. Hier verhandelte der 68-Jährige als Geschäftsführer einst Verträge und traf wichtige Entscheidungen. Eine der
folgenreichsten am 17. Juli 2008, als Scheufelen beschloss, Insolvenz anzumelden und den Familienbetrieb nach 153 Jahren an einen finnischen Investor zu verkaufen.
1855 kaufte Ulrich Scheufelens Urgroßvater Carl eine alte Papiermühle in Unterlenningen am Fuße der Schwäbischen Alb. Er baute
ein Unternehmen auf, das sich immer wieder neue Nischen suchte,
Papier für Verpackungen und Magazine herstellte und sich schließlich auf feines Papier spezialisierte. Heute druckt Daimler seine
Hochglanzwerbung auf Scheufelen, Kunstverlage ihre Bücher,
Bosch und BMW ihre Geschäftsberichte. Sogar Andy Warhol soll
gelegentlich auf Scheufelen gezeichnet haben. Krisen überwand
travels on behalf of the company bearing his name. Two to three
times he walks the 148 steps to his office. His business is always on
his mind. In his childhood he used to play football on the compa-
Scheufelen immer, bis auf dieses eine Mal im Juli 2008. Heute ist
Ulrich Scheufelens Arbeitszimmer kein Chefbüro mehr, die Firma
führt jetzt ein Mann aus Finnland, er heißt Markku Hämäläinen.
ny premises. Sometimes Scheufelen strolls through the mill, just
like that, to make sure that everything is in order.
In machines as high as a house, steel cylinders rotate, water va-
Zehn Minuten muss Markku Hämäläinen mit seiner schwarzen
Mercedes E-Klasse fahren, um von seinem Wohnort Kirchheim in
sein Büro zu kommen. Das liegt auf der anderen Seite der Straße, die das Firmengelände teilt, direkt über der Fabrik. Den Raum
hat der neue Chef zweckmäßig eingerichtet. Ein Wandkalender,
keine Familienfotos. Er sitzt an einem runden Verhandlungstisch,
vier Personen haben daran Platz. Das Büro sieht nicht aus wie das
eines Chefs, eher wie das eines Schichtleiters. Meist steht die Tür
zum Gang offen, wenige Sekunden und er ist unten in der Fabrik.
Hämäläinen hat rosige Backen und einen scheuen Blick, seine 50
Jahre sieht man ihm nicht an. Ulrich Scheufelen, so sagt Hämäläinen, hat ihm Deutschland erklärt: die Bürokratie, die Branche,
die schwäbische Mentalität. „Jeder kennt Ulli Scheufelen“, sagt er
in gebrochenem Deutsch, „aber keiner kennt mich.“ Den Namen
Hämäläinen kann hierzulande kaum jemand aussprechen. Scheufelen klingt schwäbisch, solide. Es ist wichtig, dass die Branche den
Namen des Unternehmes noch mit einer Person verbindet, das
weiß der Finne. „Ulli verkörpert die Firma, seine Mitarbeiter haben
nie den Glauben an ihn verloren“, sagt er, auch nicht nach der
pour fills the air, the atmosphere is damp and noisy. Scheufelen,
a 1.92 metre man in a blue suit, with snow-white hair, moves
through the machine halls like a captain through a ship‘s hold
which he knows like the back of his hand. Unerringly he passes
paper rolls weighing tons and big enough to wrap whole houses.
Every now and again he stops to shake hands with a staff member,
pat another on the back – everybody greets him. Respectful glances, friendly glances, they like him. He asks for the development of
a new paper; the noise of the machines forcing him to shout. The
machine operator is not satisfied with the new material – not yet.
Scheufelen studied industrial engineering. He intimately knows
the machines that drone and sweat around him. He is also familiar with their risks and that‘s why he does not wear a wedding ring
that might get stuck in the windings of the equipment – although
he is married for the second time.
It was Scheufelen paper which brought him and his wife together.
At a calendar show in 1992 the two were standing on the sta-
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Im Labor testen Mitarbeiter neue Papiersorten. Die ersten Teststreifen sehen so aus.
Laboratory personnel test new grades and hues. The first testresults look like this.
ge side by side. As in previous years Scheufelen had submitted a
Insolvenz. Die kühle Art, mit der Hämäläinen die deutschen Sätze
ausspricht, macht sein Pathos glaubwürdig.
decorative calendar – a company flagship – for the competition.
In her capacity as head of the Regional Trade Office she awarded
him with the first prize. They married in 1994 and two years later
Von seinem Büro aus berät Scheufelen noch immer den Geschäftsführer. Vergangene Woche vertrat er die Firma in Brüssel, demnächst trifft er den Seniorchef von DuMont in Stuttgart, um über
den Zustand der Branche zu sprechen. Einmal die Woche ist er unterwegs für die Firma, die seinen Namen trägt. Zwei bis drei Mal
geht er die 148 Schritte in sein Büro. Mit seinem Kopf ist er immer da. Schon als Kind hat er auf dem Gelände Fußball gespielt.
Manchmal noch geht Scheufelen durch die Fabrik, einfach so, um
nach dem Rechten zu sehen.
their son was born.
The company logo now has
involuntarily relevance.
Ulrich Scheufelen‘s sons, 15 and 35, will only have the name in
common with the company that had been handed down across
four generations and which determines their father‘s life until today. „Of course this is sad „, Scheufelen comments, but he says it
matter-of-factly and without sentimentality.
Er durchschreitet die Fabrik
wie ein Kapitän sein Schiff.
Years before the insolvency, business in the paper sector became
difficult. The market was changing under the impact of the In-
In haushohen Maschinen rotieren Stahlzylinder, Wasserdampf
hängt in der Luft, es ist schwül und laut. Scheufelen, 1,92 Meter
lang, blauer Anzug, schneeweißes Haar, gleitet durch die Hallen
wie ein Kapitän durch den Schiffsbauch, den er in- und auswendig kennt. Zielsicher schiebt er sich an tonnenschweren Papierrollen vorbei, mit denen man ganze Häuser einwickeln könnte. Hin
und wieder bleibt er stehen, schüttelt einem Mitarbeiter die Hand,
klopft einem anderen auf die Schulter, jeder grüßt ihn. Achtungsvolle Blicke, freundliche Blicke, man mag ihn. Er fragt nach der
Entwicklung eines neuen Papiers, beim Lärm der Maschinen muss
Scheufelen fast schreien. Der Maschinenführer ist nicht zufrieden
mit dem neuen Stoff, noch nicht.
Scheufelen ist Wirtschaftsingenieur. Die Maschinen, die um ihn
herum dröhnen und schwitzen, kennt er genau. Er kennt auch ihre
Gefahren, deshalb trägt er keinen Ehering, der sich in den Windungen der Geräte verfangen könnte – obwohl er zum zweiten Mal
verheiratet ist.
Es war Scheufelen-Papier, das ihn und seine Ehefrau zusammenbrachte. 1992 standen sie auf einer Kalenderschau in Stuttgart
zusammen auf der Bühne. Wie jedes Jahr hatte Scheufelen einen
Schmuckkalender zum Wettbewerb eingereicht, ein Aushängeschild der Firma. Sie, Leiterin des Landesgewerbeamtes BadenWürttemberg, verlieh ihm den ersten Preis. 1994 heirateten sie,
zwei Jahre später kam ihr gemeinsamer Sohn auf die Welt.
Das Firmenlogo hat nun unfreiwillig Bedeutung.
Mit der Firma, die über vier Generationen vererbt wurde und die
das Leben ihres Vaters bis heute bestimmt, werden Ulrich Scheufelens Söhne, 15 und 35, nur noch den Namen teilen. „Natürlich
ist das traurig“, sagt Scheufelen, aber er sagt es sachlich und ohne
Sentimentalität.
ternet. Mainly in USA, newspapers underwent demise, business
with key accounts crumbled. And niche products such as those of
Scheufelen suffered, too: companies that used to order premium
papers for their annual reports increasingly switched to digital
publications. Ad-flyers drifted to the Internet. Prices of chemical
pulps rose. Scheufelen had to struggle – but the family enterprise
had no chance of winning the battle alone, which became obvious
in 2007.
Ulrich Scheufelen decided to let go at the right time – and saved
his company. Before filing for insolvency in summer 2008, he had
entered into negotiations with potential buyers and a few days after it became clear that Scheufelen would continue as paper manufacturer. In 2009, the Finnish concern Power Flute took over
the Lenningen location, which was sold a second time in 2011. Today Scheufelen belongs to Paper Excellence, a Canadian-French
Bis heute ist Familientradition wichtig: Das Büro
von Ulrich Scheufelens Vater ist seit 1984 unverändert. An der Wand hängt sein Porträt.
corporation seated in Vancouver, which in turn is part of the Asian
Family tradition has remained important until today:
the office of Ulrich Scheufelen‘s father has been left unchanged since 1984. His portrait is hanging on the wall.
this arrangement an „integration concept“.
Sinar-Mas group – as are a couple of chemical pulp mills supplying Scheufelen with its key raw material. - Ulrich Scheufelen calls
Peter Wardhana, second executive director of Scheufelen beside
Hämäläinen, has to travel 8,200 kilometres to reach the Swabian
Mountains from Vancouver. He only spends a few days per year in
Schon Jahre vor der Insolvenz wird das Geschäft mit dem Papier
schwierig. Das Internet verändert den Markt. Vor allem in den
USA sterben die Zeitungen, große Kunden fallen weg. Aber auch
Nischenprodukte wie die der Firma Scheufelen leiden: Unternehmen, die zuvor Premiumpapier für ihre Jahresberichte genutzt haben, geben diese immer öfter nur noch digital heraus. Werbeflyer
wandern ins Internet. Die Zellstoffpreise steigen. Scheufelen muss
kämpfen – aber alleine wird das Familienunternehmen den Kampf
nicht gewinnen, wie sich schon 2007 abzeichnet.
Lenningen, a place where a school centre bears the name of „Karl
Erhard Scheufelen“ and one of the main streets is named after
Adolf Scheufelen. The papermill is by far the biggest employer
of the municipality’s 8,000 inhabitants which snuggles up to the
wooded hillsides of the Swabian Mountains. Prior to the insolvency, Scheufelen employed a staff of 660, of which 520 have retained
their jobs. 157 years ago, Carl Scheufelen chose the phoenix as a
company logo. His great-grandson Ulrich has now involuntarily
given meaning to the symbol.
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However, standing up again in one‘s old form is not sufficient
enough to ensure survival in future years. Hämäläinen feels that
Ulrich Scheufelen deserves a lot of credit for saving the existence
of the company, but at the same time he is aware of its weaknesses: traditional hierarchic structures in production, staff members
who work industriously as is typical of Swabians, but sometimes
without the necessary efficiency. „In Finland we simply tell them:
‚go and solve the problem‘ and when they are finished they come
back“, explains Hämäläinen. „In Germany, all of them want to
have instructions for each and every task“. Conversely, superiors
call for this very control function because they lack confidence in
their employees. Hämäläinen appears to be a bit unhappy when
he tells us how slowly the old structures are changing.
The Finn is puzzled by the Swabian hierarchy.
Scheufelen has no problem with the new structures. He deals with
his successor amicably, he calls him by his first name Markku and
he comforts him: it will take some time until an old-school Swabian foreman is able to change. Hämäläinen‘s impression of his
predecessor: „Ulli‘s worst personal quality is that he is too friendly,
he can never say no“. Scheufelen himself is a non-smoker, but he
has a heavy glass ashtray in his office. He feels he should be tolerant of smokers.
When going to lunch in the canteen, Scheufelen lets the ladies
in the queue go first and he carries a large tray of drinks for all at
the table. The warming sun shines through the windows. “Well,
the motorcycle season’s starting soon?“ Scheufelen asks one of the
female employees. Over crispy roast and ‚spaetzle‘ noodles they
discuss the best motorcycle routes in the region and the forthcoming marriage of her colleague.
The first of the 148 steps to his home take Ulrich Scheufelen
through his office door. And every time the door gets stuck on the
colourful patterned runner that lies directly in front on the floor.
The former boss has to turn a bit in order to squeeze through the
opening. „Sometimes I put it away“, Scheufelen tells us, „but my
secretary is convinced that it looks better here“.
Der Alte und der Neue: Scheufelen und Hämäläinen haben unterschiedliche Vorstellungen vom Chef-Sein, nennen sich aber beim Vornamen.
The old and the new: Scheufelen and Hämäläinen have different perceptions of how
to act as a boss, but they call each other by their first names.
Ulrich Scheufelen schafft es, im richtigen Moment loszulassen –
und rettet damit das Unternehmen: Schon vor der Insolvenz im
Sommer 2008 führt er Gespräche mit möglichen Käufern, wenige
Tage danach steht fest, dass Scheufelen weiter Papier machen wird.
2009 übernimmt der finnische Konzern Power Flute die Firma in
Lenningen, 2011 wird zum zweiten Mal verkauft. Heute ist Scheufelen Teil von Paper Excellence, einem kanadisch-französischen
Unternehmen mit Sitz in Vancouver, das wiederum zur asiatischen
Sinar-Mas-Gruppe gehört – genau wie mehrere Zellstofffabriken,
die Scheufelen mit seinem wichtigsten Rohstoff beliefern. „Integrationskonzept“ nennt Ulrich Scheufelen das.
8.200 Kilometer muss Peter Wardhana, neben Hämäläinen zweiter Geschäftsführer von Scheufelen, zurücklegen, um von Vancouver auf die Schwäbische Alb zu kommen. Nur wenige Tage im Jahr
verbringt Wardhana in Lenningen, dem Ort, in dem ein Schulzentrum „Karl Erhard Scheufelen“ heißt und eine der Hauptstraßen
„Adolf Scheufelen“. Die Papierfabrik ist mit Abstand der größte Arbeitgeber der 8.000-Einwohner-Gemeinde, die sich an die bewaldeten Hänge der Alb schmiegt. Vor der Insolvenz arbeiteten 660
Menschen für Scheufelen, 520 davon konnten ihren Arbeitsplatz
behalten. Carl Scheufelen wählte vor 157 Jahren für die Firma das
Logo des Phönix. Sein Urenkel Ulrich Scheufelen hat ihm nun unfreiwillig Bedeutung gegeben.
Beim Mittagessen in der Kantine lässt Scheufelen die Frauen in der
Reihe vor und bringt ein großes Tablett mit Getränken für alle an
den Tisch. Die Sonne scheint warm durch die Fenster. „Na, bald
wieder Motorradsaison?“, fragt er eine Mitarbeiterin. Bei Krustenbraten und Spätzle diskutieren sie die besten Motorradstrecken der
Gegend und die anstehende Hochzeit der Kollegin.
Die ersten von 148 Schritten nach Hause führen Ulrich Scheufelen
durch die Tür seines Büros. Sie bleibt jedes Mal an dem bunt gemusterten Läufer hängen, der direkt davor auf dem Boden liegt. Der
ehemalige Chef muss sich ein wenig zur Seite drehen, um sich durch
den Spalt zu zwängen. „Ich lege ihn manchmal weg“, sagt Scheufelen. „Aber meine Sekretärin findet, er sieht hier besser aus.“
Der Finne ist verwirrt von der
schwäbischen Hierarchie.
In alter Gestalt wiederaufzuerstehen aber reicht nicht, um in Zukunft zu überleben. Hämäläinen bezeichnet es als großes Verdienst
Ulrich Scheufelens, dass es die Firma noch gibt, aber er sieht auch
ihre Schwächen: Traditionelle, hierarchische Strukturen in der
Produktion, Mitarbeiter, die zwar in schwäbischer Manier fleißig
sind, dabei aber nicht unbedingt effektiv. „In Finnland sagt man
einfach ‚Löse das Problem‘ und wenn derjenige fertig ist, kommt
er wieder“, sagt Hämäläinen. „Hier wollen alle Anordnungen für
jeden einzelnen Arbeitsschritt.“ Umgekehrt forderten Vorgesetzte
genau diese Kontrolle, weil sie nicht genügend Vertrauen hätten.
Hämäläinen wirkt ein wenig unglücklich, wenn er erzählt, wie
langsam sich diese Strukturen ändern.
Scheufelen hat kein Problem mit den neuen Strukturen, die er wie
ein Hanseat mit „s-t“ ausspricht. Den Mann, der nun seinen alten
Job macht, behandelt Scheufelen freundschaftlich, er nennt ihn
bei seinem Vornamen Markku und tröstet ihn: Es brauche eben
Zeit, bis ein schwäbischer Meister alten Schlages sich ändere. „Ullis
schlechteste Eigenschaft ist, dass er zu nett ist“, sagt Hämäläinen
über seinen Vorgänger, „er kann nie nein sagen.“ Scheufelen ist
Nichtraucher, trotzdem steht in seinem Büro ein wuchtiger, gläserner Aschenbecher. Er findet, man muss Rauchern gegenüber
tolerant sein.
Am Fuße der Schwäbischen Alb macht Scheufelen seit 157 Jahren feines Papier.
At the foot of the Swabian Mountains, Scheufelen has produced fine
papers for the past 157 years.
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m y pa p e r b e l o n g s t o m e !
Climate change, raw materials shortage and digitalization:
friends of print don‘t have it easy.
Here are five arguments to checkmate every paper opponent.
By Michaela Kakuk and Eva Röder
illustrations: Leonard Erlbruch
At a class reunion after decades, you meet a former friend. He
tells you: „I read my newspaper on an iPad, I‘ve got 40,000
books in my E-book library and I order my toilet paper online.
With your paperwork you are completely out of touch and you
will have to do without it very soon.“
Your reply: „Oh really. Paper and print will never disappear totally. Electronic media are at best complementary to printed paper. Nothing gives us as much satisfaction as a wrinkled newspaper. It shows what we have achieved and how we have struggled
through the texts. Greasy finger prints just come out better on paper than on an iPad. And if I spill my coffee I can use the paper to
wipe it up. The text hidden under the cof-fee I can look up online
– perhaps there is even a little film on the subject.“
Mein Papier gehört mir!
Klimawandel, Rohstoffmangel, Digitalisierung:
Man hat es nicht leicht als Freund von Print.
Mit diesen fünf Argumenten falten Sie jeden Papiergegner zusammen.
You are on the train reading a newspaper. Suddenly a young
lady jumps up and cries: „How can you possibly read on dead
trees? You will be responsible for rainforest dying!“
Your reply: „You must be joking! A steak of beef requires more
wood than five bibles. 80% of felled trees go into sectors other
than paper manufacturing. Rainforests are pri-marily cleared to
cultivate feed for animals that will later be eaten by us. Also, far
more wood is burnt in the furnaces of many private homes than
is processed into paper. If you are vegan and you use gas or oil
heating at home, you would no doubt still find a reason for grum-
text: Michaela Kakuk und Eva Röder
illustrationen: Leonard Erlbruch
B
eim Klassentreffen sehen Sie nach Jahrzehnten einen
früheren Freund wieder. Er erzählt: „Ich lese meine Zeitung auf dem iPad, ich habe 40.000 Bücher in meiner
E-Book-Library und mein Toilettenpapier lade ich mir auch
nur noch runter. Du bist ja voll von gestern mit deinem Papierkram, bald musst auch du ganz ohne auskommen. “
Sie sagen: „Ach was! Papier und Print werden nie ganz verschwinden. Die elektronischen Medien ergänzen höchstens das bedruckte Papier. Nichts vermittelt uns eine solche Befriedigung wie eine
zerknitterte Zeitung. Da sehen wir, was wir geleistet haben und wie
wir uns durch die Texte gekämpft haben. Auch Fettfinger machen
sich auf Papier einfach besser als auf dem iPad. Und wenn ich mal
einen Kaffee verschütte, dann kann ich den mit der Zeitung auch
gleich wegwischen. Was eigentlich drin stand, kann ich online
nachschauen – vielleicht gibt es sogar noch ein Filmchen dazu.“
bling: you will probably allege that the wicked industry follows
economic calculation only. Let me tell you this: the paper industry
is far from destroying the basis of its own existence. It rather en-
Sie sagen: „Selber Heuchler. Klar verbraucht die Herstellung von
Papier Energie, aber wenn wir das Papier abschaffen würden, dann
müssten wir eher noch ein paar Atomkraftwerke bauen, um den
Strom für die ganzen heißgelaufenen Computer zu bekommen. In
Deutschland verbrauchen wir pro Kopf ungefähr 200 Kilogramm
Papier im Jahr – zur Herstellung dieser Menge sind etwa 560 Kilowattstunden nötig. Wenn du ein halbes Jahr lang die StandbySchaltung bei deinem Fernseher anlässt, hast du schon mehr Energie verschenkt.“
sures that for every harvested tree at least three or four new ones
are planted. Otherwise paper companies could close their works
immediate-ly.“
You have invited your anti-nuclear group home. One of your
campaigners returns from the toilet and remarks: „You hypocrite, you want to close down nuclear power plants and you‘re
still using toilet paper. What a waste of energy.“
Your reply: „You‘re a hypocrite yourself. Of course, paper manufacture consumes ener-gy, but if we were to abolish paper, we
would have to build some more nuclear power plants in order to
provide electricity for all the overheated computers. In Germany,
the per capita consumption of paper is at approx. 200 kg annually,
a production which re-quires approx. 560 kWh. If you leave your
TV set in standby mode for a period of six months, you have used
more energy than that.“
Sie sitzen mit Ihrer Zeitung im Zug. Plötzlich springt eine junge Dame auf und schreit: „Auf toten Bäumen lesen – wie können Sie nur? Sie sind schuld, dass der Regenwald stirbt!“
Sie sagen: „Von wegen! Ein Rindersteak kostet mehr Wald als fünf
Bibeln. 80 Prozent der abgeholzten Bäume werden gar nicht zur
Herstellung von Papier verwendet. Der Regenwald wird vor allem
gerodet, um Futter für Tiere anzubauen, die dann von uns gefuttert
werden. Auch in den Öfen vieler Eigenheime verbrennt wesentlich
mehr Holz als für Papier verarbeitet wird. Wenn Sie Veganerin sind
und eine Gas- oder Ölheizung zuhause haben, dann hätten sie natürlich trotzdem Grund zu meckern. Sie unterstellen der ‚bösen’ Industrie wahrscheinlich ein wirtschaftliches Kalkül. Dazu sage ich
Ihnen: Die Papierindustrie macht sich bestimmt nicht ihre eigene
Lebensgrundlage kaputt. Sie sorgt dafür, dass für jeden gefällten
Baum mindestens drei oder vier nachwachsen. Sonst könnte sie
auch gleich dicht machen.“
Sie haben Ihre Aktionsgruppe gegen Atomkraft nach Hause
eingeladen. Einer Ihrer Mitstreiter kommt von der Toilette
und sagt: „Du Heuchler, du willst die Atomkraftwerke dicht
machen und benutzt noch Klopapier. Was für eine Energieverschwendung!“
Sie sitzen in der Sonne, trinken einen Cappuccino und blättern
in einem Frauenmagazin. Eine Freundin sagt: „Ist dir eigentlich klar, was für einen Klimakiller du da liest? Papier ist ein
CO2-Monster!“
You are sitting in the sun and drinking a cappuccino while
„Von wegen Klimakiller! Du schreibst doch jeden Tag Dutzende
Mails. Hast du schon mal drüber nachgedacht, wie viel CO² dadurch in die Welt geblasen wird? Sogar wegen E-Mails, die du nicht
mal liest: Der weltweite Spam verbraucht in einem Jahr 33 Milliarden Kilowattstunden Energie, soviel wie fast zweieinhalb Millionen amerikanische Haushalte. Dabei entstehen genauso viele
Treibhausgas-Emissionen wie beim Betrieb von 3,1 Millionen Autos. Die Papierindustrie hat ihren CO2-Ausstoß pro Tonne in den
letzten zwei Jahrzehnten um 34 Prozent reduziert.“
„Climate killer? No way! You write dozens of emails every day.
Sie bringen einen Stapel Altpapier in den Hof, um ihn in der
Tonne zu entsorgen. Ihr Nachbar meckert: „Dieses ewige Recycling nützt ja doch nichts, wenn immer wieder neues Papier
produziert wird.“
You are taking a stack of used papers to throw away in the bin
„Holzfasern im Papier kann man bis zu sechs Mal wiederverwerten. Die Techniken zur Reinigung und Aufbereitung sind weit fortgeschritten. Endlos recyceln kann man trotzdem nicht. Denn bei
jedem Recycling-Prozess brechen Fasern oder sie verlieren an Qualität. Deshalb müssen immer wieder frische Fasern in den Herstellungskreislauf aufgenommen werden. Übrigens: Deutschland ist
Weltmeister im Recycling! Das Toilettenpapier, das Sie jeden Tag
benutzen, die Küchentücher, mit denen Sie ihre verschüttete Milch
aufwischen, die Zeitung, die Sie auf dem Weg zur Arbeit lesen –
das meiste ist aus Altpapier hergestellt. Insgesamt werden davon
16 Millionen Tonnen wieder eingesammelt – das entspricht einer
Müllwagenschlange von Berlin nach Peking und zurück.“
„Wood fibres in paper can be re-used up to six times. Today, the
leafing through a women‘s magazine. Your friend: „Do you
realize that you are reading a climate killer? Paper is a CO2
monster!“
Have you ever thought about the amount of CO2 which this releases into the atmosphere? And this also applies to emails you
don‘t even read: worldwide SPAMS consume 33 billion kWh per
year, which corresponds to the power consumption of nearly twoand-a-half million US households. The resulting greenhouse gas
emissions are identical to those of 3.1 mil-lion cars. Over the past
two decades, the paper industry has reduced its CO2 emissions
per ton by as much as 34 %.“
in the yard. Your neighbour grumbles: „This never-ending
recycling is of no use at all if new paper keeps on being produced.“
cleaning and treatment technologies are well advanced. However,
recycling cannot be repeated unlimitedly, because during each recycle fibres tend to break or suffer quality losses. This is why fresh
fibre has to be introduced from time to time into the manufacturing cycle. Inci-dentally, Germany is the world champion in the
recycling arena. The toilet paper you use every day, the kitchen
towels with which you wipe up spilled milk, the newspaper you
read on your way to work – most of these products are based on
recovered paper. Altogether, 16 million tons of consumed paper is
currently reclaimed – which corre-sponds to a queue of garbage
trucks extending from Berlin to Beijing and back again.“
Seite 20 · INK
„ a werther could
s m e l l o f s w e at “
Novels have to smell, sizzle and be sexy - if they are to entrap
the reader. Rainer Groothuis is one of Germany‘s leading
book designers. We accompanied him into a bookshop.
By Katharina Mutz and Florian Haamann
photos: Falko Siewert
Wearing a striped jacket and stubble, Rainer Groothuis ambles
through a small bookshop in Hamburg-Altona. He moves from
one table to the next, looks at comics, coffee-table books and newly released novels. Now and then he runs his hand over a book spine. The he stops in front of a shelf and scans the coloured rows of
books. Stooping he takes an English novel published by Bloomsbury, opens it – and frowns.
What‘s wrong, Herr Groothuis?
I don‘t like the interior design: the typeface is extremely small,
the pages are cluttered and the paper hardly better than blotting
paper.
„Ein Werther könnte nach Schweiß riechen“
Romane müssen duften, knistern, sexy sein – wenn sie den Leser verführen sollen. Rainer Groothuis zählt zu den besten Buchgestaltern Deutschlands. Wir haben ihn in eine Buchhandlung begleitet.
text: Katharina Mutz und Florian Haamann
fotos: Falko Siewert
R
ainer Groothuis schlendert mit Kreidestreifen-Jackett und
Stoppelbart durch eine kleine Buchhandlung in HamburgAltona. Er geht von Tisch zu Tisch, betrachtet Comicbücher,
Bildbände und neu erschienene Romane. Ab und zu streicht er mit
der Hand über einen Buchrücken. Vor einem Regal bleibt er stehen
und sucht die bunten Reihen ab. Er bückt sich, zieht einen englischen Roman des Bloomsbury Verlags heraus, klappt ihn auf – und
runzelt die Stirn.
Was stört Sie, Herr Groothuis?
Die Innengestaltung gefällt mir nicht: Die Schrift ist extrem klein,
die Seite überladen und das Papier kaum besser als Löschpapier.
Naja, man kann es doch trotzdem lesen.
Klar, zur Not kann man das. Aber ein schönes Buch zu lesen, macht
mehr Spaß. Das ist wie mit einem guten Wein: Den trinken Sie ja
auch lieber aus einem Glas als aus einem Pappbecher.
Wie sähe denn eine gute Innengestaltung aus?
Die Qualität des Drucks muss stimmen, die Seite darf nicht zu lang
und zu voll sein, um den Text herum sollte genug Platz sein.
Und das reicht, damit ein schönes Buch daraus wird?
Auf jeden Fall ist so ein Buch gut lesbar. Die meisten deutschen
Verlage halten sich an diese handwerklichen Grundregeln, das ist
Standard. Für mich ist ein schönes Buch eines, das den Gedanken
des Autors bei ihrem Flug in den Kopf des Lesers hilft.
Groothuis lässt seinen Blick über die Regale und Tische mit den
Neuerscheinungen schweifen. Dann entdeckt er etwas: Er greift
nach einem Buch mit bedrucktem Leineneinband. Eine Jubiläumsausgabe vom Deutschen Taschenbuchverlag.
Und?
Das ist etwas Besonderes. Bedruckte Leineneinbände sind sehr
hochwertig und werden nur selten von Verlagen verwendet. Für
das Publikum, das Schutzumschläge gewohnt ist, ist es vielleicht
nicht so leicht, so eine Gestaltung zu akzeptieren.
Yes, but you can still read it.
Sure, you can read it at a pinch. But it‘s definitely more fun to
read a beautiful book. It’s like a good wine – you would also prefer
drinking it from a glass rather than a paper cup.
What should a well-designed book look like?
The print quality has to be correct, the pages must not be too long
or too crowded with text and there should be enough space surrounding the text block.
And that‘s enough to make a beautiful book?
At any rate such a book is easily readable. The majority of German publishers keep to these fundamental rules of workmanship
Was ist der Vorteil von Leinen?
Leinen ist langlebig – die moderne Alternative zu einem Ledereinband. Dieser weiche Einband hier macht das Buch extrem stabil
und gleichzeitig so flexibel, dass man es ohne Probleme ins Jackett
stecken kann.
which are in fact standard. To me a beautiful book helps to make
the author‘s ideas fly into the reader‘s head.
Groothuis pans the shelves and tables with new publications.
Then he spots something: he reaches for a book in printed cloth
binding - a jubilee edition of the German Pocketbook Publishing
Er biegt den Band mit den Händen zusammen, tut so, als wolle er
ihn sich in die Tasche seines Sakkos stecken. Dann fährt er mit dem
Daumen über die Seiten, riecht am Papier.
House (Deutscher Taschenbuchverlag - dtv).
And?
This is something very special. Printed cloth bindings are of pre-
Viele Menschen lieben den Duft eines frisch gedruckten Buches. Welche Rolle spielt der Geruch?
Ein Bestseller, von dem alle denken, sie müssten ihn haben, kann
riechen wie er will – er wird trotzdem gekauft. Andersherum gilt
auch: Kein Mensch kauft ein Buch wegen seines Geruchs.
mium quality and hardly ever used by publishers. Maybe the public that is used to book jackets will find it somewhat difficult to
accept this design concept.
What‘s the benefit of cloth?
Cloth is a long-lived material – a modern alternative to leather co-
Der Geruch spielt keine Rolle?
Doch. Er beeinflusst, wie wir das Gelesene wahrnehmen. Als Gestalter kann man den Geruch eines Buches steuern. Offsetfarbe
riecht auf Naturpapier anders als auf einem matt gestrichenen
Offset-Papier. Das ist so, wie wenn Sie ein und dieselbe Marmelade
einmal auf Knäckebrot und einmal auf Schwarzbrot schmieren –
der Geruch der Komposition ist jedes Mal verschieden.
vers. This soft cloth binding makes the book extremely stable and
at the same time flexible enough to be put in the jacket.
He folds over the volume with his hands and pretends to put it in
the pocket of his jacket. Then he runs his thumb over the pages
and smells the paper.
Many people love the scent of a freshly printed book. How impor-
Muss ein Grass herber riechen als ein Goethe?
Das kann man pauschal nicht sagen. Wichtig ist, dass der Geruch
eines Buches zum Inhalt passt. Bei einer 40-bändigen Gesamtausgabe von Goethe müsste der Geruch natürlich zurückhaltend sein.
Eine Einzelausgabe der „Leiden des jungen Werther“ für 16-Jährige könnte dagegen ruhig pubertär verschwitzt riechen.
tant is the smell?
A bestseller, which everybody thinks is a must-have, can have
any kind of smell – it will still be sold anyway. Conversely, nobody
would buy a book because of its smell.
So the smell is irrelevant?
No it isn‘t. It influences the way we perceive what we read. As a
Groothuis fährt sich mit Daumen und Zeigefinger um die Mundwinkel, schaut sich suchend um. Dann geht er in Richtung Klassikerabteilung. In einem Regal ist hier all das versammelt, was Händler
gern unter dem Begriff „besonderes Buch“ zusammenfassen. Die
Bücher des Insel Verlags mit ihren bunt gemusterten Einbänden
nehmen ein ganzes Fach für sich ein: Blümchen, Rauten, Wellen,
Paisley – jeder Titel ist anders gestaltet. Darüber die schlichten
book designer, I can control the smell of a book. The smell of offset ink is different on natural paper than on matt coated paper. It‘s
like spreading jam on crispbread or on brown bread – the scent of
the combination will be different.
Should a book from Günter Grass smell harsher than a Goethe?
This can‘t be generalized. What is important is that the smell
INK · Seite 21
of a book matches its contents. For a 40-volume complete edition
of Goethe‘s works, the scent would of course have to be somewhat
subdued. On the other hand, a separate edition of the „Sorrows
of Young Werther“ for 16-year olds might well have a pubertal
sweaty smell.
Groothuis moves his thumb and index finger around the corners
of his mouth and looks around, searching. Then he proceeds in
the direction of the classics section of the shop. A single shelf
holds everything booksellers like to consolidate under the term
„special book“. The books of “Insel” Publishing House (Insel Verlag) with their multi-coloured bindings fill a whole shelf: little
flowers, rhombuses, wavy patterns, paisley – each title is designed
differently. Above them, the simple white volumes of the Suhrkamp Library and the small-format books from Manesse. And
below the red-bound editions of Wagenbach Publishing House,
whose design was created by Groothuis himself.
Apart from the cover: what is special about these books?
Often not very much as far as the interior design is concerned.
The typographies, too, are unspectacular. Suhrkamp, for example,
uses Garamond principally.
What‘s so bad about that?
Nothing at all. A neutral room painted white fulfils its function –
people may live in it. But if you decide to paint your room in lively
colours because you like it that way, this gives the room a personal
touch. As a designer you will have to familiarize yourself with the
text and its atmosphere first before you can choose the right font
weißen Bände der Suhrkamp-Bibliothek und die kleinformatigen
von Manesse. Darunter die rot eingebundenen Bücher aus dem
Wagenbach Verlag, deren Design Groothuis selbst entwickelt hat.
Abgesehen vom Einband: Was ist an diesen Büchern besonders?
Was die Innengestaltung angeht – oft nicht viel. Auch die Typographien sind unspektakulär.
Suhrkamp zum Beispiel benutzt grundsätzlich Garamond.
Was ist daran schlecht?
Gar nichts. Ein weiß gestrichenes, neutrales Zimmer erfüllt seine
Funktion, man kann darin wohnen. Wenn Sie ihr Zimmer aber
bunt streichen, weil Sie es gern bunt haben, dann hat das mehr mit
Ihnen zu tun. Dafür müssen Sie sich als Gestalter natürlich dem
Text und seiner Atmosphäre angenähert haben.
Wirkt derselbe Text in verschiedenen Schriftarten unterschiedlich?
Natürlich. Schriften sind Charaktertiere. Denken Sie nur einmal
an die Frakturschriften. Diese armen Schweine werden in Deutschland immer mit der Nazizeit assoziiert. Nehmen wir einmal an,
Fischer brächte eine Sonderausgabe von Thomas Mann in Frakturschrift heraus – da stünde morgen im Spiegel, dass der Verlag
Mann rechtslastig interpretiert.
to ensure correct interpretation.
Does a text have different effects depending on its typeface?
Of course it does. Typefaces are character animals. Just think of
the German types – these poor creatures are still associated with
the Nazi period in Germany. Let‘s assume that Fischer brings out
a special edition of Thomas Mann in German type. You would
read in Spiegel the next day that the publisher has interpreted
Was passiert, wenn die gewählte Schriftart nicht zum Text passt?
Das gehört mit zum Schlimmsten, was der Gestalter einem Text antun kann. Auch wenn man es als Laie nicht so benennen kann, hat
man dann das Gefühl, dass da etwas nicht zusammenpasst. Man
fragt sich: Warum macht mich dieses Buch so müde?
Thomas Mann to be right wing.
What happens if the selected typeface doesn‘t match the text?
This is actually the worst thing a designer can do to a text. Even
if a layman doesn‘t realize the true reason, he will sense that something isn‘t right. Readers may ask: Why is this book so tiring
Groothuis wendet sich einem Tisch im Zentrum der Buchhandlung
zu, auf dem einige ausgewählte Bücher präsentiert werden, und
nimmt Haruki Murakamis „IQ84“ in die Hand. Auf dem Einband
sind in großen Lettern Autor und Titel eingeprägt.
to read?
Groothuis turns to a table set up in the centre of the bookshop where a few selected books are presented. Taking Haruki
Murakami‘s „IQ84“ in hand, he looks at the cover with engraved
Das ist Typographie pur. Der Einband wäre vor vier Jahren bei keinem Verlag so durchgegangen.
large letters showing author and title.
That‘s sheer typography. Four years ago this binding would not
Wieso nicht?
Da fehlt doch das Bild, hätte man sich beschwert. Es gab eine Zeit,
da hat man auf jedes Buch ein Bild und auf das Bild den Titel geklatscht – fertig. Die Schutzumschläge, sozusagen die Visitenkarten der Bücher, sind wieder vielfältiger geworden. Die Verlage besinnen sich auf das, was Gestaltung alles kann.
have passed in any publishing house.
Why not?
The objection would have been that a picture is missing. There
was a time when publishers chucked a picture with title on each
book – done! The book jackets – the so-called book’s business card
– have recently become more varied in design. Publishers are re-
Er zeigt auf verschiedene Umschläge: Illustrationen, Collagen, typographisch gestaltete Umschläge, Fotografien, rein farblich gestaltete Cover. Jetzt legt er zwei Titel verschiedener Verlage nebeneinander: Auf beiden ist in der oberen Hälfte ein Foto abgedruckt,
abgetrennt durch eine schwarze Linie stehen darunter Autor und
Titel.
membering the capabilities of design.
He points to various covers: illustrations, collages, typographically designed covers, photos, coloured covers without text. Now
he places two titles of different publishers next to each other. Both
show a printed photo in the upper half, a black line separating the
author and title beneath.
Diese beiden Cover ähneln sich jetzt allerdings sehr.
Das ist das Problem: Im Prinzip ist es nicht möglich, einen Verlag
vom anderen zu unterscheiden. Man kann keine Marken erkennen,
eine Haltung noch viel weniger.
These two covers are extremely similar.
That‘s the problem: basically you can‘t possibly differentiate between individual publishers. Neither a brand nor an attitude is
identifiable.
Wieso wäre das wichtig?
Verlage, die sich gegenüber dem E-Book behaupten wollen, müssen
Profil zeigen. Die Titel, bei denen Inhalt, Gestaltung und Ausstattung austauschbar sind, werden als erste vom Markt verschwinden.
Why do you consider this important?
Publishers wishing to assert themselves against the E-book have
to stand out. Titles with interchangeable contents, design and layout will be first to disappear from the market.
Rainer Groothuis, geboren 1959 in Emden, ist Buchgestalter
und Marketingspezialist für Bücher und Verlage. Nach einer
Buchhändlerlehre war er von 1981 bis 1996 Hersteller und
Geschäftsführer im Verlag Klaus Wagenbach; seit 1999 ist er
Geschäftsführer seiner Agentur Groothuis, Lohfert, Consorten/Gesellschaft für Formfindung und Sinneswandel mbH in
Hamburg. Für seine Buchgestaltungen hat er viele nationale
und internationale Preise erhalten, darunter den Premio Felice Feliciano.
Lukas Kircher, 40, counts among the most successful newspaper designers in
Wird es das gedruckte Buch schon bald nicht mehr geben?
Bücher wird es weiterhin geben – aber mit noch mehr Qualität und
Liebe gestaltet. Wenn ein Käufer sich für sechs Euro einen Text
aus dem Internet herunterladen kann, erwartet er von einem weit
teureren gedruckten Buch etwas Besonderes. Dass die Verlage sich
wieder mehr trauen und in besondere Ausgaben investieren, kann
man schon jetzt beobachten. Schauen Sie sich dieses Prachtexemplar an!
Groothuis geht zu einem Eckregal, greift nach einer großformatigen Ausgabe von Homers „Odyssee“, die ganz oben steht. Preis: 137
Euro. Er streicht über den Schuber und stellt das Buch vorsichtig
wieder an seinen Platz.
Applied Arts. Before he graduated from his master class, the editor-in-chief of the
Vienna „Presse“ recruited him as a graphic designer. Later on Kircher followed
him to „Berliner Zeitung“ and to „Stern“ in Germany. Since 2000 he has been
working as a free-lance designer.
Books will continue to be produced – but with a design reflecting more quality and dedication. If a buyer can download a text
from the Internet for six euros, he expects far more from a costly
printed book, something special. We can already see a tendency
of publishers becoming more daring to invest in special editions.
Just look at this fine specimen!
Groothuis moves to a corner shelf and reaches for a large-format
edition of Homer‘s Odyssey at the very top. Price: 137 euros. He
strokes the slipcase and carefully puts the book back again.
Can E-books possibly compete with books of such an elaborate
Germany. With FAS - Frankfurter Allgemeine Zeitung, he has gained the ‚World´s
Best Newspaper Design Award‘ five times. In Vienna Kircher took up the study of
Will printed books disappear from the market in the near future?
Kann ein E-Book mit so einem aufwendig gestalteten Buch konkurrieren?
Natürlich nicht. Zwar sind E-Books, vor allem in ihrer Tablet-Variante, sehr interessant. Trotzdem: Bücher wie dieses sind rundum
individuell, kleine Gesamtkunstwerke für alle Sinne – dem E-Book
wird diese individuelle sinnliche Kraft immer fehlen.
compilation?
Of course they can‘t. It is true, E-books especially as tablets are
highly interesting. Nevertheless: books like this one are individuals in every aspect, small complete works of art appealing to all
our senses. The E-book will forever lack this personal sensuous
power.
Seite 22 · INK
Eine Welt aus Papier
the perfect paper jet
text: Felix Brumm, Vera Vester
Die einflussreichste
Papierkugel der Welt
Der perfekte Papierflieger
„Das Papier stand doch im Abseits“ Spiegel
„Herzschlag-Thriller mit einem tragischen Helden“ Stern
„Papierkugel sei dank: Bremen sticht HSV aus“ Handelsblatt
„Diese Kugel gab dem HSV den Rest“ Bild
„Papierkugel hilft Bremen ins Finale“ Financial Times
„Eine Papierkugel - das Ende für den HSV“
Hamburger Abendblatt
Am 4. und 5. Mai segeln wieder unzählige Papierbögen durch den
Hangar 7 in Salzburg. Die inoffiziellen Papierflieger-Weltmeisterschaften gehen in die dritte Runde, Bastler aus der ganzen Welt
messen sich in drei Disziplinen: längste Flugzeit, längste Flugdistanz und Aerobatik.
www.redbullpaperwings.com
On 4 and 5 May, innumerable paper sheets will be flying through
Hangar 7 in Salzburg. The unofficial paper jet world championship will go into the 3rd round. Hobbyists from all over the world
will compete in three disciplines: longest flight time, longest flight
7.Mai 2009, UEFA-Cup-Halbfinale: Beim Stand von 1:2 will HSVVerteidiger Michael Gravgaard einen Ball in Ruhe klären, da verspringt dieser auf einer Papierkugel, die ein Fan aufs Spielfeld
geworfen hat. Das Papier lenkt den Ball ins Aus – Ecke. Werder
Bremen verwandelt zum entscheidenden 1:3. Heute liegt die Papierkugel im Vereinsmuseum von Werder.
distance and aerobatics.
www.redbullpaperwings.com
The paper jet expert Dieter Michael Krone reveals how to build
the perfect paper jet.
www.papierfliegerei.de
the most influential
paper ball in the world
Der Papierflieger-Experte Dieter Michael Krone verrät uns, wie
man den perfekten Flieger baut.
www.papierfliegerei.de
“The paper was clearly offside” Spiegel
“Heartbeat thriller with a tragic hero” Stern
“Thanks for the paper ball: Bremen outdoes HSV” Handelsblatt
“This ball finished HSV off ” Bild
“Paper ball helps Bremen to the final” Financial Times
“A paper ball – the end for HSV” Hamburger Abendblatt
7 May 2009, UEFA Cup semifinal: With the score at 1-2, HSV
defender Michael Gravgaard wants to clear a ball unhurriedly, but
the ball bounces off a paper ball a fan had thrown onto the field.
The paper deflects the ball out – corner. Werder Bremen makes it
a decisive 1-3. Today the paper ball is kept in the club’s museum.
Landschaften aus Büchern
Druck zum Anziehen
Doppelgänger aus Karton
Landscapes made from books
Print for clothing
Double made of paperboard
Der kanadische Künstler Guy Laramée schnitzt aus alten
Büchern beeindruckende Landschaften.
www.guylaramee.com
Der Brite Matthew Nicholson fertigt Uhren, Anzüge und
funktionsfähige Lochkameras – aus Papier.
www.mattmakesstuff.co.uk
Wie man sich seinen eigenen Klon aus Papier basteln kann, erklärt
Philipp Stollenmayer im Do-it-yourself-Portal Instructables.
www.instructables.com/id/Project-Paper-clone
The Canadian artist Guy Laramée carves impressive landscapes
from old books.
www.guylaramee.com
The Brit Matthew Nicholson makes watches, suits and functional pinhole cameras – from printed paper.
www.mattmakesstuff.co.uk
Philipp Stollenmayer tells us how to make one’s own clone from paper in his Do-it-yourself Portal Instructables.
www-instructables.com/id/project-paper-clone
Zurück zum Holz
Papier aufs Auge
Hüllen für Kreative
Back to wood
Paper on the eye
Cases for the creative crowd
Was aussieht wie Holz, ist tatsächlich gepresstes Zeitungspapier. Aus Mieke Meijers „Newspaper Wood“ hat das niederländische Designbüro VIJ5 eine ganze Möbelkollektion
entworfen. Hier ein Schrank von Breg Hanssen.
www.vij5.nl
Spinnen, Zebras oder Blumen – die Kunstwimpern des britischen Designer-Kollektivs Paperself sind perfekt für eine
Reise ins Königreich.
www.paperself.com
Reißfest, wasserfest, kompostierbar – Christoph Rochna vom
Wiener Start-Up Papernomad macht Laptop- und HandyHüllen, die man individuell gestalten kann.
www.papernomad.com
What looks like wood is actually compressed newspapers. Based on
Mieke Meijer’s “Newspaper Wood”, the Dutch design office VIJ5 created
a whole furniture collection. Shown: Cabinet by Breg Hanssen.
www.vij5.nl
Spiders, zebras or flowers – the artificial eye lashes of the British
designer collective Paperself are perfect companions for a trip to
the U.K.
www.paperself.com
Tear-resistant, waterproof, compostable - Christoph Rochna from the
Vienna Start-Up Papernomad produces laptop cases and mobile pouches which buyers can design individually.
www.papernomad.com
INK · Seite 23
Was Sie noch nie über
Papier wissen wollten –
und sich trotzdem merken werden
what you never wanted to
know about paper - but what
you will keep in mind
Verborgene Schönheit
A varied mix: Paper can also be made from stones or bullshit.
Bunt gemischt: Papier lässt sich auch aus Steinen oder Bullenkot
herstellen.
Fest geklebt: In seinem berühmten Sketch hatte Loriot keine Nudel,
sondern ein
Papierröllchen im Gesicht. Am Ende landete es im Kaffee – eine
Nudel wäre darin
untergegangen.
Palmenfasern, Seide, Eukalyptus – im Tageslicht sind handgemachte Papiere aus diesen Stoffen grün bis bräunlich. Erst ein spezielles
Mikroskop macht ihre Strukturen sichtbar. Diese spektakulären
Bilder haben Charles Kazilek und Gene Valentine von der Arizona
State University aufgenommen. Mit Laserlicht, Photonendetektor
und Computer-Software machen sie aus mikroskopischen Aufnahmen kleine Kunstwerke.
www.paperproject.org
Stuck fast: In his famous sketch, Loriot had a small paper roll
in his face rather than a noodle. Finally it lands in the coffee - a
noodle would have sunk immediately.
Started small: Nokia used to produce paper and rubber boots before manufacturing mobile phones.
Stacked high: A DINA4 sheet can only be folded six times. If there
were a sheet of paper that could be folded 42 times, it would reach
Klein angefangen: Bevor Nokia Handys produzierte, stellte die Firma Papier und
Gummistiefel her.
the moon.
Zurück auf Weiß
Better documented: One out of three users makes a printout of his
emails to read them.
Hoch gestapelt: Ein DINA4-Blatt lässt sich nur 6-mal falten. Gäbe
es ein Blatt, das man 42mal falten könnte, wäre es am Ende so hoch, dass es bis zum Mond
reicht.
Besser aufgehoben: Jeder Dritte druckt seine E-Mails aus, um sie
zu lesen.
Tief eingeatmet: Papiertaschentücher wurden im Ersten Weltkrieg
als Filter für Gasmasken entwickelt.
Fleißig gefaltet: Nach einer japanischen Legende bekommt derjenige, der 1.000 Origami-Kraniche faltet, von den Göttern einen
Wunsch erfüllt.
Fest zugebissen: Auch Wespen machen Papier – sie zerkauen morsche Holzfasern und bauen daraus ihre Wespennester.
Gut versteckt: Als unsichtbare Geheimtinte eignet sich nicht nur
Zitronensaft, sondern auch Milch, Essig und Zwiebelsaft.
Leise geblättert: Bibeldruckpapier zählt zu den dünnsten Papieren
der Welt. Es wurde
erfunden, damit es in der Kirche nicht so raschelt.
Kaffeeflecken auf der Steuererklärung?
Vergilbte Romane im Regal?
So holen Sie aus Papier das raus,
was wirklich drinsteckt.
Breathed in deeply: In the First World War paper tissues were first
designed as gasmask filters.
Folded diligently: A Japanese legend says that everybody who
manages to fold 1,000 origami cranes will have a wish fulfilled
Flecken und Kugelschreiberstriche
Lösen Sie Spiritus oder Spülmittel in Wasser, befeuchten Sie ein
Tuch damit und tupfen Sie die Flecken leicht ab. Kugelschreiberstriche hellen Sie mit einem harten Radierstift auf.
by the Gods.
Wasserschäden
Ziehen Sie die feuchten Seiten vorsichtig auseinander. Legen Sie
dann Küchenkrepp dazwischen und trocknen Sie das Ganze auf
der Heizung oder mit dem Fön. Dann Bügeln.
Oder packen Sie das Buch in Folie und legen es ins Gefrierfach.
Vorsicht: Die Seiten können Wellen schlagen.
Well hidden: Not only is lemon juice suited for use as an invisible
Gerüche
Wickeln Sie das Buch in Frischhaltefolie und vergraben Sie es für
einige Tage in Katzenstreu.
Sie können das Buch auch in Küchenkrepp wickeln und in einen
Behälter mit einem halben Pfund Kaffee geben. Halten Sie das ganze mindestens drei Tage verschlossen.
Bitten hard: Wasps, too, produce paper – they chew rotten wood
fibres for building their nests.
ink, but also milk, vinegar and onion juice.
Paged softly: Bible papers count among the thinnest papers in
the world. They were invented to prevent noisy rustling in the
Church.
hidden beauty
Palm fibres, silk, eucalyptus – in daylight hand-made papers consisting of these raw materials show a green to brownish colour.
A special microscope makes their structures visible. These spec-
mat!
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endruck, Beihefte
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e
B
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tk
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sp
ro
P
tacular pictures were taken by Charles Kazilek and Gene Valentine from Arizona State University. Applying laser light, photon
detector and computer software, they turn micrographs into little
works of art.
www.paperproject.org
back to white
Coffee stains on your tax return?
Yellowed novels on the shelf?
How to clean paper.
Stains and ball pen streaks
Put a splash of spirit or washing liquid in water, moisten a cloth
with it and slightly dab the stains. To brighten up ball pen streaks,
use a hard eraser.
Water damage
Carefully pull apart the moist pages. Insert kitchen towel between
them and let them dry on a radiator or use a hairdryer. Then iron
them. Alternatively wrap the book in foil and put it into the freezer. Careful: the pages might become wavy.
Mit unserer formatvariablen Drucksowie Heft- und Schneidtechnologie und unseren Netzwerkpartnern bieten wir Ihnen
ein Produktportfolio, das einzigartig in Zeitungsdruckhäusern ist. Sprechen Sie uns an!
Rheinisch-Bergische Druckerei GmbH & Co. KG · Zülpicher Str.  · D- Düsseldorf · Tel.  - · www.rheinisch-bergische-druckerei.de
Odours
Wrap the book in cling film and bury it for a few days in cat litter.
You could also wrap the book in kitchen towel and place it in a
container together with half a pound of coffee. Keep closed for at
least three days.
Seite 24 · INK
Die Seiten ändern sich
text: Felix Brumm, Michaela Kakuk und Eva Röder
Ton, Häute, Knochen – Papierlose Zeiten
Das Bedürfnis, sich auszudrücken, hatten Menschen schon immer.
Die ältesten bekannten Höhlenmalereien sind über 30 000 Jahre
alt. In den frühen Hochkulturen Chinas und Indiens ritzten Menschen ihre Zeichen auch in Knochen, Wachs und Palmenblätter –
manche sogar in Schildkrötenpanzer.
30.000 v. C.
30.000 b. C.
Clay, hides, bones – The paperless ages
3.000 v. C.
3.000 b. C.
Mankind always had the desire to express itself. The most ancient
known cave paintings date back some 30,000 years ago. People
Hanf, Lumpen, Fischernetze – Das erste Papier
Als Tsai Lun um 105 seinem Chef, dem Kaiser von China, seine Erfindung vorstellte, ahnte er wohl nicht, welche Bedeutung sie noch
bekommen würde. Er war einer der ersten chinesischen Papierhersteller, die Hanf, Lumpen, Fischnetz und Maulbeerbast mit Steinmörsern zerstampften. Dann mischten sie die Stoffe mit Wasser zu
einem flüssigen Brei. Diesen schöpften sie durch ein Sieb, trockneten ihn in der Sonne und glätteten ihn mit Steinen.
of the early high civilizations in China and India also carved their
characters into bones, wax and palm leaves – and sometimes even
Papyrus und Pergament – Fast schon Papier
Hemp, rags, fishnets – The first papers
into tortoise shells.
When Cai Lun in China presented his invention to his emperor
Im 3. Jahrtausend v. Chr. stellten die Ägypter erstmals Papyrus
aus dem gleichnamigen Schilfgras her. Sie legten Streifen aus dem
Mark der Pflanze wie ein Gitter übereinander und pressten es.
Übersetzt bedeutet Papyrus „Besitz des Pharaos“. Es galt als kostbar
und stand daher unter königlichem Monopol. Auch unser heutiges
Wort „Papier“ leitet sich daraus ab. Im Mittelmeerraum schrieben
die Menschen auch auf Pergament aus Rinder- oder Ziegenfellen.
Aus Holz macht man Papier erst seit dem 19. Jahrhundert.
around the year 105, he was certainly unaware of its future significance. He was one of the first Chinese papermakers who used
105 n. C.
105 a. D.
stone mortars to pound hemp, rags, fishnet and mulberry fibres to
mix them with water to form a liquid mash. The suspension was
700 n. C.
700 a. D.
Papyrus and vellum – Close to paper
Von Ost nach West – Papier erobert die Welt
In the 3rd millennium BC, the Egyptians were first to produce
Es waren Krieger, die das Papier in den Westen brachten. Araber
und Chinesen kämpften im 8. Jahrhundert gegeneinander. Beim
Angriff auf die Stadt Samarkand nahmen die Araber auch einige
chinesische Papiermacher gefangen. Ihr Wissen brachte das Papier
in die islamische Welt. Mit den Arabern, die ihr Reich bis nach Spanien ausdehnten, gelangte es dann nach Europa. Die erste deutsche
Papiermühle nahm im späten 14. Jahrhundert bei Nürnberg den
Betrieb auf.
papyrus from an identically named reed. They layered strips of
the plant in a lattice pattern and pressed them flat. The translation of papyrus is „pharaoh‘s possession“. The material was deemed
precious and was as such subject to a royal monopoly. Our modern word „paper“ is derived from „papyrus“. People in the Mediterranean additionally wrote on parchment or vellum made from
cowhide or goatskin. It was not until the 19th century that wood-
scooped through a water strainer before it was dried in the sun
and smoothened with stones.
748 n. C.
748 a. D.
based paper was made.
From East to West – Paper conquers the world
Handarbeit – Die Zeit der Papiermühlen
It was warriors who brought paper to the Western world. In the
8th century, Arabs and Chinese were at war. When attacking the
Papier herstellen – das hieß bis zur Industrialisierung: mit den
Händen arbeiten. In den weit verbreiteten Papiermühlen lieferten
Lumpensammler ihre Lumpen ab. Die Papiermacher zerschnitten
sie, brachten sie zum Faulen und zerstampften sie. Den Faserbrei,
der dabei entstand, verdünnten sie in einem großen Holzbottich
(„Bütte“) mit Wasser. Daher auch das „Büttenpapier“. Die erste Papiermühle in Amerika wurde übrigens 1690 erbaut – von einem
Deutschen.
Endlich druckreif – Papier für das Volk
city of Samarkan, the Arabs captured a number of Chinese papermakers who took their know-how into the Islamic world. With
the Muslim conquest of Spain, the art of papermaking reached
Europe. The first paper mill in Germany commenced operations
near Nuremberg toward the end of the 14th century.
Den Chinesen haben wir nicht nur die Erfindung des Drucks zu
verdanken, sondern auch das Klopapier, die Spielkarten und die
erste Zeitung. Sie erschien 748. Für eine Seite musste der Text
komplett aus einer Holztafel geschnitzt werden. Erst Mitte des 15.
Jahrhunderts erfand Johannes Gensfleisch alias Gutenberg die beweglichen Lettern. Von seinem berühmtesten Werk, der nach ihm
benannten Bibel, druckte er in einer ersten Auflage 180 Exemplare.
Finally ready for press – Paper for the people
Handicraft – The time of paper mills
We owe our thanks to the Chinese, not only for inventing print,
Before the onset of industrialization, papermaking was a handicraft. Ragmen delivered their rags to the widespread paper
mills. The papermakers chopped them, allowed them to rot and
1690 n. C.
1690 a. D.
but also for toilet paper, playing cards and the first newspaper
which appeared in the year 748. To obtain one page, the text had
beat them into mash. The pulp thus obtained was diluted with
to be cut out completely from a woodblock. It was not until the
water in a big wooden vat. Hence the name „vat paper“. Inciden-
middle of the 15th century that Johannes Gensfleisch alias Gutenberg invented movable type printing. For the first edition of
tally, the first paper mill in USA was established around 1690 – by
Flugblatt und Pamphlet – Papier macht Revolution
a German.
his most famous work – the Gutenberg Bible – he printed as many
as 180 copies.
1834 n. C.
1834 a. D.
Eine Revolution, die wir dem Papier verdanken, ist die Reformation. Ohne Papier hätte Luther seine Thesen niemals so schnell unter
das Volk bringen können. Durch das gedruckte Wort ließen sich
auch politische Botschaften schneller verbreiten: „Friede den Hütten – Krieg den Palästen“, schrieb Georg Büchner 1834 im „Hessischen Landboten“. Auch die Geschwister Scholl riefen in ihren
Flugblättern zum Widerstand gegen die Regierung auf –
und bezahlten dafür mit ihrem Leben.
Flyers and pamphlets – Paper assists a revolution
A revolution we owe to paper is the Reformation. Without paper
Luther would never have been able to make his theses public in
1900 n. C.
1900 a. D.
Dioden und Transponder – Papier kann auch anders
such a short time. The printed word also accelerated the dissemination of political messages: “Peace to huts – war to the palaces”,
Georg Büchner wrote in the Hessian Newspaper (“Hessischer
Landbote”) in 1834. Similarly, the Scholl siblings printed flyers
to call people to resistance against the Nazi government, which
ultimately cost them their lives.
Mit Papier übermittelten die Menschen jahrhundertelang vor allem Nachrichten. Mittlerweile ist Papier weit mehr als ein Informationsträger. Wir verwenden es zum Verpacken, Filtern und Bezahlen. Ob organische Leuchtdioden, QR-Codes und Transponder
– längst kann man auf Papier viel mehr drucken als nur Buchstaben.
Seide, Gold und Silber – Papier als Luxusgut
Silk, gold and silver – Paper as a luxury article
Diodes and transponders – Paper used differently
Im 19. und im frühen 20. Jahrhundert widmete sich ein eigener
Industriezweig ausschließlich den schönen, luxuriösen Seiten der
Papierherstellung. Die Damen und Herren des europäischen Bürgertums tauschten aufwändig verzierte Grußkarten aus, mit Glimmer und Seide veredeltes Papier, Briefbögen mit Gold- und Silberdruck, Poesiealben mit ausgestanzten Bildchen. Heute sind diese
Luxuspapiere begehrte Sammelobjekte.
In the 19th and the early 20th centuries, a separate industrial
For centuries, people primarily used paper to transmit news. Meanwhile, the role of pa-
branch devoted itself exclusively to the beautiful and luxurious
per has extended far beyond that of an information carrier. We employ it for packaging,
aspects of papermaking. The ladies and gentlemen of the Euro-
filtering and paying. Whether organic LEDs, QR codes or transponders - paper has long
pean bourgeoisie exchanged lavishly decorated greeting cards
since been used for more than just printing letters.
and used paper adorned with mica and silk, writing papers with
golden and silver imprints, autograph albums with die-cut little
pictures. Today all of these luxury papers are in high demand as
collector’s items.
2012 n. C.
2012 a. D.