Erfahrungsbericht Istanbul Bilgi Üniversitesi September 2010

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Erfahrungsbericht Istanbul Bilgi Üniversitesi September 2010
Erfahrungsbericht Istanbul Bilgi Üniversitesi September 2010 – Januar 2011
Der Bewerbungsprozess an meiner Heimathochschule, der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt
(Oder), verlief sehr reibungslos und einfach. Die erforderlichen Unterlagen reichte ich Januar 2010
beim Internationalen Büro der Uni ein und erhielt wenige Wochen später die Zusage für ein Semester
in Istanbul. Im Juni musste ich mich dann nochmals online bei der Gasthochschule bewerben, aber
auch dies lief relativ problemlos. Dabei musste ich auch bereits Kurse angeben, welche aber nicht
immer so angeboten werden im folgenden Semester, aber auch hier ist man flexibel gegenüber den
Gaststudenten eingestellt.
In den Semesterferien im März/April 2010 absolvierte ich dann einen ersten Einsteiger-Intensivkurs
in Türkisch an der Technischen Universität in Berlin bei der dort ansässigen Sprach- und Kulturbörse.
Dieser Kurse war mit 40 Unterrichtsstunden für 80€ inkl. Material nicht nur günstig, sondern auch
besonders lehrreich und daher empfehlenswert. Während des darauffolgenden Sommersemesters
besuchte ich dann noch einen Kurs an meiner Heimathochschule, der aber auf demselben Level
stattfand und wegen seiner geringeren Intensität (zweimal pro Woche 90 Minuten) leider nicht so
effektiv war bzw. sein kann wie ein entsprechender Intensivkurs.
Zurück zum eigentlichen Aufenthalt: Bereits am 23. August – rund einen Monat vor Semesterstart –
flog ich mit meinem halb-türkischstämmigen Kommilitonen Ilhan abends um 23 Uhr von BerlinSchönefeld nach Istanbul. Wir kamen dort gegen 2 Uhr nachts an, nahmen den stets zuverlässig
fahrenden Bus Havas zum zentralen Taksimplatz und von dort ein Taxi zu einem von uns im Vorfeld
gebuchten Hotel auf der historischen Halbinsel, das uns für zwei Nächte beherbergen sollte. Nach
diesen zwei Nächten zogen wir für eine weitere Woche zu einem von Ilhans Cousins nach
Mecidiyeköy, einem zentrumsnahmen durchschnittlichen Wohnviertel, in dem auch viele Studenten
günstige Wohnungen finden. Von dort starteten wir dann jeden Morgen unsere Wohnungssuche.
Über Craigslist und Clickflatshare lassen sich täglich englischsprachige Angebote finden, die allerdings
nicht ansatzweise so nutzerfreundlich aufbereitet sind wie bspw. bei wg-gesucht.de. Wir besichtigten
rund zehn Wohnungen, zum Teil mit einem und zum Teil mit zwei freien Zimmern. Letztlich
entschieden wir uns für die definitiv schönste, aber auch fast teuerste Wohnung im historischen,
zentralen und für Istanbuler Verhältnisse extrem verkehrsgünstig (die einzige U-Bahn der Stadt 5
Minuten entfernt, ebenso Busse, Tram und Fähren fußläufig erreichbar) gelegenen Viertel Galata. Die
Zimmer kosteten pro Person insgesamt fast 400€ pro Monat, dafür boten sie mit saniertem Altbau –
was in Istanbul eine wahre Rarität ist – und modernen westlichen Standards wie Geschirrspüler,
guter Backofen, Badewanne und großem zentralem Aufenthaltsraum auch diverse
Annehmlichkeiten. In unserer Wohnung wohnte neben uns unser Vermieter, zu dem wir guten, aber
doch auch etwas distanzierten Kontakt pflegten und im weiteren Haus vor allem andere Akademiker
und Künstler. Diese prägen in Galata das gesamte Viertel und in unserer Straße, der Serdar-i Ekrem
Sokak ganz besonders das Straßenbild mit ihren Cafes, Büros, Boutiquen und Galerien.
Grundsätzlich ist noch zu erwähnen, dass wir uns bereits nach unserer Ankunft türkische SIM-Karten
bei Turkcell besorgt hatten. Man kann dabei auch gleich ein günstiges Telefon kaufen oder sein
eigenes gegen eine geringe Gebühr anmelden und dann ebenfalls nutzen. Ich hatte auf meinem
Smartphone sogar ein kleines Datenpaket für 7€ im Monat, was gerade dank GPS oftmals sehr
hilfreich war. Für meine Finanzen hatte ich mir in Berlin vorher ein kostenloses Internetkonto bei der
DKB eingerichtet, mit dem man weltweit mit der VISA-Karte kostenlos abheben kann. Letztlich habe
ich fast alles – auch die monatliche Miete – abgehoben und bar bezahlt. Einen schriftlichen
Mietvertrag hatten wir nie, das ist auch unüblich, solche Geschäfte laufen in der Türkei auf
Vertrauensbasis. Überhaupt ist das WG-Leben dort (noch) nicht sonderlich verbreitet. Studenten
gehen selten arbeiten, haben daher wenig Geld und wohnen meist bei ihren Eltern oder anderen
Verwandten. Die Wohnungen, die wir gesehen haben und die Erfahrungen, von denen wir gehört
haben, waren daher sehr unterschiedlich und die Preise ebenfalls. Wir hatten aber keine größeren
Probleme, die uns an der Zuverlässigkeit unseres Vermieters oder der allgemeinen Wohnsituation in
unseren vier Wänden hätten zweifeln lassen.
Vor dem Uni-Start besuchten wir noch eine Woche von einem zweiwöchigen kostenlosen Erasmus
Intensive Language Course (EILC), für den man bei erfolgreichem Abschluss sogar Geld von der
Europäischen Union bekommen kann, für die Anstrengungen, eine selten gesprochene europäische
Sprache erlernt zu haben. Allerdings brachen wir den Kurs wie gesagt nach einer Woche ab, da er
einfach zweimal 90 Minuten Anfahrt bedeutete, mit rund 30 Leuten in einem Raum hoffnungslos
überfüllt war und die unterschiedlichen Niveaus der Studenten nicht miteinander vereinbar waren.
Besser sind hier die kostenpflichtigen Sprachkurse der zentralen Sprachschulen Dilmer und Tömer,
von denen ich nur Gutes gehört habe, allerdings nie selbst einen Kurs in Anspruch nahm.
Ende September begann dann das Semester an der Bilgi Üniversitesi. Es begann mit einer
freundlichen eintägigen Willkommensveranstaltung für alle Gaststudenten und einer vom
studentischen Erasmus-Club organisierten Sightseeing-Woche in Istanbul. Diese haben wir allerdings
kaum wahrgenommen, da wir uns schon gut auskannten und überhaupt eher den Eindruck hatten,
dass die vorwiegend männlichen Mitglieder dieses Clubs eher am Alkoholtrinken mit hübschen
vorwiegend blonden Austauschstudentinnen interessiert waren, anstatt eine wirkliche Anlaufstelle
für Fragen und Probleme zu sein.
Ich wählte dann mehr oder weniger neue Kurse, die auch an zwei verschiedenen von den drei
möglichen Campi der Bilgi stattfanden. Das Niveau ist sicherlich etwas niedriger als in Deutschland,
auch ist das System eher verschulter bzw. amerikanischer. Dafür ist der Beschäftigungsgrad höher als
an meiner Heimathochschule. Mit einem Mid-Term Exam schon im November, einer
Abschlussklausur im Januar und z.T. mehreren Papers und Essays ist man mehr oder weniger
durchgehend beschäftigt. Da meine Kurswahl nicht mehr der ersten entsprach, musste ich mich
erneut mit der Koordinatorin meines Studiengangs an der Viadrina auseinandersetzen. Sie war
zunächst nicht sonderlich begeistert über meine etwas fachfremde Wahl, als ich im Februar 2011
nach meiner Rückkehr allerdings vor Ort war, wurden alle Kurse, die ich einbringen wollte auch
entsprechend anerkannt. Ich denke, es gibt da keine feste Regel, ein guter Draht zur zuständigen
Stelle und im Zweifelsfall die richtige Begründung (Inhalt des Seminars, Studienschwerpunkt,
Arbeitsaufwand) sind entscheidend für eine erfolgreiche Anerkennung.
Im Gegensatz zu den türkischen Kommilitonen verbrachte ich nur meine Kurse an der Uni und
verbrachte den Rest des Tages woanders. Viele Istanbuler wohnen aber weit weg, kommen früh
morgens und bleiben den ganzen Tag an der Uni auf dem Campus. Für mich war vor allem die
Bibliothek der Bilgi kein wirklicher Arbeitsort, da diese eher einem Zimmer mit einigen Bücherregalen
entsprach denn einer wirklichen Universitätsbibliothek mit Ruhebereichen, großer Auswahl etc.
Dennoch konnte ich den Fällen, in denen ich Bücher brauchte, die Werke finden. Grundsätzlich gibt
es in den Kursen einen fertigen Reader mit Texten, der für wenig Geld beim campuseigenen
Copyshop gekauft werden kann und der auch für das gesamte Seminar ausreichend ist.
In meiner Freizeit nutzte ich regelmäßig das Schwimmbad und das kleine Fitnessstudio der Bilgi (rund
100€ für sechs Monate), ansonsten verbrachte ich viel Zeit mit meinem Kommilitonen Ilhan, seinen
Cousins und deren Freunden. Zu den Kommilitonen der Bilgi hatten wir eigentlich nur während der
Seminare Kontakt und der Kontakt zu anderen Austauschstudenten hielt sich sehr in Grenzen, war
aber auch nicht unser Ziel gewesen.
Wir haben während der Zeit mehrfach Besuch von unseren Freundinnen und anderen Freunden aus
Deutschland bekommen, die wir meistens problemlos in unserer Wohnung unterbringen konnten,
aber das ist nicht überall möglich oder gewünscht und in den Studentenwohnheimen wohl sogar
strikt verboten. Wir besichtigten die Stadt so gut es ging mit den schwach ausgebauten und oft
überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln, genossen das günstige, nahe gelegene und wirklich
vielfältige Nightlife (Bars, Clubs, Restaurants) in vollen Zügen.
So verging dann die Zeit bis Ende Januar für mich auch sehr zügig, am Ende wurde es mit mehreren
Hausarbeiten, Klausuren und dem Abreisestress nochmal etwas anstrengend, aber letztlich verlief
alles glatt. Ich habe sehr, sehr gute Freundschaften und Kontakte geschlossen, eine wunderbare,
aufregende und sich ständig verändere Metropole auf zwei Kontinenten und zwischen vier
Gewässern erlebt, nützliche Seminarscheine erworben und zumindest Grundkenntnisse in einer
neuen Fremdsprache erworben. Das einzige, was mir in Istanbul leider manchmal sehr gefehlt hat,
war etwas Ruhe. Diese gibt es auf den Straßen der Innenstadt einfach nie, ich hatte sie nur, wenn ich
alleine in der Wohnung war oder im Uni-Schwimmbad abgetaucht bin.
Mittlerweile sind auch schon einige Wochen vergangen und ich habe vor Kurzem meinen
Sommerurlaub 2011 gebucht. Und natürlich geht es in die Türkei: Erst einige Tage ans Meer in der
Nähe von Izmir und dann ein verlängertes Wochenende nach Istanbul – die schillernde Polis an der
mehr und mehr verschwimmenden Grenze von Orient und Okzident.
Stadtteil Ortaköy mit Bosporus-Brücke im Hintergrund
Blick auf Bosporus und goldenes Horn von der Spitze der Historischen Halbinsel
Ägyptischer
Gewürzbasar
Serdar-i Ekrem Sokak in Galata