Die Zeit - Dossier

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Die Zeit - Dossier
DOSSIER
8. M A I 2 0 1 3
D I E Z E I T No 2 0
Es-Pe-De!
Deutschlands älteste Partei
feiert Geburtstag. Wie im Mai
vor 150 Jahren in Leipzig alles
begann, erfahren Sie auf S. 19
Der jüngste Alte
Frisst die Fußball-Revolution
eines ihrer ersten Kinder?
Ein Besuch bei Lukas Podolski
in London S. 20
15
Titel: Die verführten Kinder
alle Fotos: Kathrin Spirk für DIE ZEIT/www.kathrinspirk.de
Ein Zehnjähriger kennt heute 300 bis 400 Marken. Die Werbung durchdringt den Alltag der Kinder. Selbst in vermeintlich
geschützten Räumen wie Schulen und Sportvereinen breitet sie sich aus. Die wohl aggressivste Form des
Marketings betreibt die Lebensmittelindustrie. Sie wirbt für ungesunde Produkte, weil die besonders hohe Profite versprechen
Reizüberflutung im
Supermarkt –
für Kinder
schwer zu
verarbeiten
Süße Geschäfte
A
Zuckrig, fettig, salzig – und unwiderstehlich. Kinder sind zu jung, um die Mechanismen der Werbung zu durchschauen.
Die Lebensmittelhersteller nutzen das auf immer raffiniertere Weise aus VON ELISABETH RAETHER UND TANJA STELZER
nna ist vier Jahre alt, auf dem
Kopf trägt sie eine Kamera, die
an eine Bergarbeiterlampe erinnert. So läuft sie durch die
Gänge eines Supermarkts. Die
Kamera filmt, wohin Annas
Blick geht und wann ihre Hän-
de zugreifen.
Nach 20 Sekunden stößt Anna auf die Figur
Shaun das Schaf, die auf einer Kekstüte prangt. Anna
untersucht die Packung. Kurz darauf entdeckt sie
Choco Krispies mit einem »magischen Trinkhalmlöffel«. Anna nimmt die Packung in die Hand. Dann
fällt ihr Blick auf bunt leuchtende Fruchtzwerge, an
deren Unterseite ein Geschenk klebt: Kühlschrankmagnete. Anna fängt an zu summen. Beim Anblick
des Joghurtdrinks Actimel ist sie kaum zu halten.
Anna ruft: »Das hier schmeckt lecker!«
Dirk Ziems steht vor 50 Zuhörern in einem
Berliner Konferenzraum. Der Film mit Anna in
der Hauptrolle ist zu Ende. Ziems lässt die Bilder
nachwirken, dann sagt er: »Kinder stehen unter
enormer Spannung, auf alles zu reagieren.« Vor
allem kleine Kinder im Alter von vier bis sechs
Jahren. Für sie, sagt Ziems, sei die Reizüberflutung
in Supermärkten »nicht zu managen«.
Mit anderen Worten: Kleine Kinder sind im
Supermarkt überfordert.
Man kann dies für eine beunruhigende Erkenntnis halten. Für Dirk Ziems ist es eine lohnende Erkenntnis. Er verdient Geld damit. Ziems
spricht auf einem Kongress für Kindermarketing.
Sein Vortrag heißt: »Wie kommt die Marke auf
den Einkaufszettel?«
Ziems ist Managing Partner der Marktforschungsagentur concept m, einer erfolgreichen
Agentur, die gerade ein Büro in London eröffnet
hat, zusätzlich zu den Standorten Köln und Berlin.
Zu ihren Auftraggebern gehören die Lebensmittelhersteller Kellogg’s, Dr. Oetker und Danone.
Diese Unternehmen bezahlen Ziems dafür,
dass er Kindern in den Kopf guckt. Denn dort, in
die Köpfe der Kinder, wollen sie hinein. Sie sind
schon ziemlich weit vorgedrungen.
Am Ende des Supermarktbesuchs ist der Einkaufswagen, den Annas Mutter zur Kasse schiebt,
randvoll.
Das Wunschbild der Kindheit, wie es auch die
Werbung immer wieder bedient, sieht so aus: Ein
Kind tobt im Garten, vielleicht baut es sich aus
Bettlaken eine Höhle oder aus einem Stöckchen
ein Schwert. Dirk Ziems’ Vortrag offenbart eine
Wirklichkeit, die mit dem Wunsch wenig zu tun
hat. Ein Kind läuft mit einer Kamera auf dem
Kopf durch den Supermarkt – dieses Bild steht für
Kindheit in Deutschland im Jahr 2013.
Kinder sind nicht mehr nur Kinder, sie sind
auch: Konsumenten. Die Industrie forscht sie aus
und schreibt ihre Gehirne mit Informationen voll,
als seien sie leere Festplatten. Es sind Informationen, die sie nicht brauchen.
Schon zweijährige Kinder können inzwischen
Mc Donald’s und Burger King auseinanderhalten.
Im Alter von zehn Jahren kennt ein Kind heute
300 bis 400 Markennamen.
Früher war ein Kind mit Werbung konfrontiert,
wenn es vor dem Fernseher saß oder an einem Plakat vorbeikam. Heute sind Kinder von Marken
umzingelt, überall dort, wo sie sich bewegen.
Ein Tag eines Grundschulkindes in Deutschland kann so aussehen: Zum Frühstück isst es Cini-Mini-Frühstücksflocken von Nestlé und einen
Micky-Maus-Joghurt von Danone. In der ersten
Schulstunde verteilt die Lehrerin ein Arbeitsblatt
zum Thema Zoo, entwickelt von Dr. Oetker. In
der zweiten Stunde sieht das Kind ein Video zum
Thema Verkehrssicherheit, zur Verfügung gestellt
von Capri-Sonne.
Vielleicht ist an der Schule aber auch Projekttag, und das Kind darf in der »Mobilen Schokowerkstatt« von Ritter Sport sein eigenes Schokoquadrat herstellen.
Nachmittags, im Fußballverein, trainiert das
Kind für das DFB-Abzeichen, gesponsert von Mc
Donald’s. Danach trägt es sich für die Verlosung
eines Platzes in der Fußball-Eskorte ein, ebenfalls
ein Einfall von McDonald’s: Falls es gewinnt, darf
es Hand in Hand mit einem Spieler der Nationalelf aufs Feld laufen.
Wieder daheim, guckt das Kind fern. Es hat
Super RTL eingeschaltet und bleibt, wenn es ein
Durchschnittskind ist, 91 Minuten lang vor dem
Fernseher sitzen. 18 Minuten davon sind Werbung. Auf Super RTL sieht es auch einen Hinweis
auf toggo.de, die größte deutsche Spieleseite, die
zu Super RTL gehört. Dort gibt es Cini-MiniFrühstücksflocken zu gewinnen – der nächste Tag
kann beginnen.
Die Unternehmen erreichen die Kinder mit dustrie gibt pro Jahr knapp drei Milliarden Euro
ihrer Werbung heute auch dort, wo man sie in ei- für Marketing aus. Ein Viertel des Geldes fließt in
nem geschützten Raum wähnt: in der Familie, in Werbung für Süßwaren und Schokolade. Der Süßder Schule, im Sportverein, in Sozialen Netz- warenhersteller Ferrero, der Kinder-Schokolade,
werken im Internet. Zwar haben sich die großen Nutella und Duplo produziert, war in den ersten
Lebensmittelhersteller verpflichtet, keine Wer- vier Monaten dieses Jahres branchenübergreifend
bung für »unausgewogene Produkte« an Kinder – vor Volkswagen, L’Oréal und Microsoft – der
unter zwölf Jahren zu richten. Aber diese Regel drittgrößte Werbetreibende.
Die sichtbarste Folge der Überfütterung: Es
missachten sie gerne und häufig.
Der Staat beschränkt sich darauf, im Jugend- gibt heute 50 Prozent mehr dicke Kinder als noch
medienschutz-Staatsvertrag direkte Kaufappelle an in den neunziger Jahren. Den neuesten ErhebunKinder zu verbieten, »die deren Unerfahrenheit gen zufolge sind 15 Prozent der 3- bis 17-jährigen
und Leichtgläubigkeit ausnutzen« – ein so vage in Deutschland übergewichtig, 6,3 Prozent leiden
formulierter Paragraf, dass es nicht schwerfällt, ihn sogar unter Fettleibigkeit.
Etwa ein Drittel der krankhaft dicken Kinder
zu umgehen.
Es ist erstaunlich: Der deutsche Staat schreibt hat eine wie bei einem Alkoholiker vergrößerte
den Kindern heute vor, dass sie Helme tragen, Leber, die mit dem Abbau des Fetts nicht mehr
nachkommt. Fettleibige Kinder
wenn sie sich auf ein Fahrrad setzen.
haben oft eine HerzkranzverenEr bestimmt über die Türbreite in
gung. Weil ihre Knochen noch
Kindergärten, damit auch alle Junwachsen, verformt sich ihr Skelett
gen und Mädchen hindurchpassen,
unter der Last des Körpergewichts.
wenn es brennt. Er kontrolliert, ob
Viele bekommen Diabetes Typ 2,
Eltern ihre Kinder regelmäßig vom
eine Krankheit, die früher auch
Arzt untersuchen lassen. Er beAltersdiabetes genannt wurde.
schützt die Kinder vor allen erdenkHeute passt der Begriff nicht mehr.
lichen Gefahren.
Der vielleicht noch größere
Wenn es aber um Werbung geht,
Schaden aber entsteht in den Köpist alles erlaubt.
fen der Kinder. Die Unternehmen
Die Kindheit ist, historisch gese- der Kinder in Deutschfordern sie nicht mehr nur auf,
hen, eine junge Errungenschaft. Es land sind übergewichtig.
Schokoriegel zu essen – sie reden
gibt sie erst seit etwa 250 Jahren. Das sind 50 Prozent
ihnen jetzt ein, sie seien Teil einer
Davor schufteten Kinder auf den mehr als in den neungroßen Schokoriegel-Erzählung.
Feldern und in den Bergwerken, ziger Jahren. 6,3 Prozent
Bei seinem Vortrag in Berlin erwenn sie arm waren, und mussten sind sogar fettleibig
klärt Dirk Ziems das Einmaleins
ein Korsett tragen und für Ölgemäldes Kindermarketings. Ein Erwachde posieren, wenn sie reich waren.
Die Kinder unterlagen denselben Zwängen wie die sener im Supermarkt, sagt Ziems, hat einen TunErwachsenen. Erst Aufklärer wie Rousseau und nelblick. Er sieht Milch, Käse, Wurst. Eben das,
Pestalozzi befreiten sie daraus. Auf einmal durften was in seinem Kühlschrank fehlt. Wer dem ErKinder spielen. Später kamen immer mehr Frei- wachsenen ein Produkt verkaufen will, das der gar
heiten und Rechte dazu. Heute haben wir es ge- nicht braucht, muss rein in den Tunnel. Deshalb
muss der Supermarktkunde mit seinem Wagen oft
schafft, dass Kinder Kinder sein dürfen.
Die Werbung nimmt ihnen diese Freiheit wie- Aufsteller umkurven, die ihm im Weg stehen.
Kinder schauen in keinen Tunnel, sie haben ihre
der. Sie unterwirft die Kinder aufs Neue der Logik
des Erwachsenenlebens. Sie sieht in ihnen keine Augen überall. Im Kindermarketing ist etwas anderes wichtig: Die Produkte müssen schnell erkennbar
Kinder, sondern Wirtschaftssubjekte.
Nirgendwo wird die Aggressivität des Marke- sein. Am sichtbarsten sind sie, sagt Ziems, wenn es
tings so deutlich wie bei der Vermarktung von den Firmen gelingt, sich in die Spiel-, Wunsch- und
Lebensmitteln. Die deutsche Nahrungsmittelin- Themenwelten der Kinder einzuklinken.
15
Prozent
Das Produkt braucht eine Geschichte, einen
Helden.
Die Lebensmittelbranche nutzt diese neue Erkenntnis. Deshalb begegnen einem im Supermarkt
jetzt überall Figuren, die eigentlich in ein Comicheft gehören oder in einen Film: Es gibt einen Erdbeerjoghurt mit Wickie darauf, es gibt »Feine
Lyonerpastete Lauras Stern«, es gibt »Sandmännchen Käsesterne«.
Noch besser für den Hersteller ist es, wenn er
sich nicht die Prominenz eines Kinderhelden leihen muss, sondern sein Produkt selbst zum Helden macht. Wie beim Kinderpudding Paula, für
den eine rappende Comic-Kuh wirbt. Wie bei den
Frühstücksflocken Cookie Crisps, deren Hersteller
sich Chip, den Wolf, ausgedacht hat. Wie bei
Pom-Bär, dem Bären der gleichnamigen Kinderchips-Marke.
Essen ist kein Essen mehr, sondern Markenbotschafter. Geschichten sind keine Geschichten
mehr, sondern Werbung. Die für Kinder wichtigsten Rituale – Essen und Geschichtenerzählen –
werden kommerzialisiert. Die Unternehmen dringen nicht nur in die Familie und den Sportverein
vor, sie versuchen auch, die Gedanken- und Gefühlswelt der Kinder zu besetzen.
Man mag nun einwenden, dass ein bisschen
Marketing doch keinen großen Schaden anrichten
kann. Haben wir uns nicht alle an die dauernde
Werbung gewöhnt? Dient sie nicht sogar einem
wichtigen Zweck?
Tatsächlich lernen Studenten im Grundkurs
Volkswirtschaftslehre seit Jahrzehnten: Die Werbung ist ein wichtiger Teil der Marktwirtschaft. Sie
dient der Information und soll nicht nur den Absatz fördern, sondern auch den Konsumenten
schützen. Wo es keine Werbung gibt, entstehen
leichter Monopole, und ein Monopolist kann beliebig hohe Preise festsetzen.
Nach dieser Theorie sind nicht nur die Unternehmen mächtig, sondern auch die Verbraucher.
Sie müssen die beworbenen Produkte ja nicht kaufen. Sie haben die Wahl.
Diese Vorstellung ist nicht falsch. Erwachsene
können das Kaufen zu ihrem Hobby machen oder
den Konsum verweigern. Sie können in Modemagazinen blättern oder die Konsumkritik Wie viel ist
Fortsetzung auf S. 16
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führt auf die Terrasse, von der aus man auf eine
planierte Fläche gucken kann, auf der demnächst
neu gebaut wird. Schering macht ein trauriges
Gesicht. Er sagt: »Alles, was nicht unter Denkmalschutz steht, wird hier weggeballert.«
Auch die Kindheit steht nicht unter Denkgenug? von Robert und Edward Skidelsky lesen.
Sie können sich einen Spaß daraus machen, für malschutz.
Einer der größten Erfolge von Cobra Youth
wenig Geld ein Billigshampoo zu kaufen und für
viel Geld ein Stück Rindfleisch. Oder um- ist die Entwicklung einer neuen Marketingstrategekehrt. Sie können auf ihre Gesundheit und gie für die Kinderchips-Marke Pom-Bär. Früher
ihren Geldbeutel achten. Oder sie können es näherte sich Pom-Bär den Kindern fast auslassen. Sie sind alt genug, um die Mechanismen schließlich über das Fernsehen. Vor drei Jahren
aber wechselte Pom-Bär ins Internet. Dort, sagt
der Werbung zu durchschauen.
Schering, erreiche man »eine viel höhere BinKinder sind dafür zu jung.
Kinder haben noch keine Haltung zum Kon- dungswirkung«.
sum. Sie lachen viel, aber sie nehmen alles total
In der Marketing-Fachsprache heißt das »Bonernst. Sie können nicht auf kritische Distanz ge- ding«. Es ist dasselbe Wort, mit dem Psychologen
hen. Das ist keine Frage der Intelligenz, sondern die Bindung zwischen Mutter und Kind beschreider Entwicklung. Erst in der Jugend ist das neu- ben, die direkt nach der Geburt entsteht.
ronale Netzwerk im Gehirn fertig ausgebildet.
Vor allem Hautkontakt ist für Bonding wichDann erst verfügt ein Mensch vollständig über tig. Das wissen auch die Werbeleute: Sie rücken
die kognitiven Fähigkeiten Ironie, Skepsis und den Kindern auf die Pelle.
Sinn für Nuancen.
Rund um die Figur Pom-Bär hat Cobra Youth
Bis es so weit ist, gilt: Jedes Kind liebt Über- im Internet eine eigene kleine Welt geschaffen.
treibungen, große Gefühle, Heldengeschichten
Der Pom-Bär ist ein dicklicher Kerl mit goldmit klaren Gewinnern und Verlierern, Lärm, gelbem Fell, er trägt ein Krönchen auf dem Kopf
Spiele, Versprechen.
und klimpert mit den Augen. Das Herz der PomEin Kind ist ein unbeschriebenes Blatt. Viel Bär-Werbung ist die Website pombaer.de. Dort
freie Fläche, um darauf Werbebotschaften zu können Kinder Mitglieder eines Sozialen Netzwerks
notieren.
werden. Die Kinder stellen sich als Avatare dar. Sie
Das war schon immer so, theoretisch. Trotz- schaffen sich eine Art Zweitexistenz in der Pom-Bärdem war Kindermarketing früher ein schlechtes Welt. Gegen Zahlung von Pom-Bär-Talern können
Geschäft. Die Kinder hatten kaum eigenes Ein- sie sich Accessoires für ihren Avatar kaufen: einen
kommen, das sie ausgeben konnten, sie waren als Rock, einen Liegestuhl oder gelb-rote Springschuhe,
Zielgruppe nicht relevant.
mit denen der Avatar hüpfen kann. Und sie können
Auch heute verdienen Kinder kein eigenes mit dem Pom-Bär chatten.
Geld, trotzdem können sie über sehr viel Geld
Bis zu diesem Punkt ist das alles bloß ein
entscheiden. Diese Erkenntnis ist es, die das Kin- Spiel. Die Taler aber verdienen sich die Kinder
dermarketing für die Wirtschaft zu so einem ein- unter anderem, indem sie Chips kaufen. Auf jeträglichen Geschäft macht.
der Pom-Bär-Packung ist ein Code aufgedruckt,
Den 6- bis 13-jährigen Kindern in Deutsch- den sie auf pombaer.de eingeben können. Dann
land standen im Jahr 2011 2,9 Milliarden Euro bekommen sie Pom-Bär-Taler gutgeschrieben.
an Taschengeld und Geldgeschenken zur VerfüAgenturchef Schering sagt: »Die Kids rennen
gung, so viel wie nie zuvor und zehn Prozent natürlich zu ihren Eltern und sagen: Mama, wir
mehr als noch ein Jahr davor. Von ihrem Geld brauchen ein paar Pom-Bär-Packungen, ich will
müssen die Kinder weder Miete noch Strom be- mir die neueste Sonnenbrille für meinen Avatar
zahlen, sie können es einfach verpulvern.
kaufen.« Schering nennt das einen »hohen AbverDazu kommen viele weitere Milliarden Euro kaufsdruck«. Die Hamburger Verbraucherzentrale
pro Jahr, über die Kinder bestimmen können, nennt es: »sehr hohes Kinderfängerpotenzial«.
obwohl sie ihnen nicht gehören. Kinder entChristopher Schering ist selbst zweifacher Vater.
scheiden heute meist selbst darüber, was Eltern Er kennt die Mechanismen des Kindermarketings
für sie kaufen: Spielzeug, Bekleidung, Lebens- von beiden Seiten. »Ich bin, obwohl ich Profi bin,
mittel. Sie dürfen oft mitentscheiden, was für die gleichzeitig auch Opfer«, sagt er. Seine eigenen
Familie angeschafft wird. Welches Auto die El- Kinder dürften Chips essen, aber sie bewegten sich
tern kaufen, wohin es in den Urlaub geht, wie eben auch viel. »Wenn man Kinder so schwach
der Vorhang im Wohnzimmer aussehen soll.
erzieht, dass es jeden Tag Chips gibt, und das Kind
Und dann gibt es noch den Einflussmarkt, bewegt sich nicht und wird fett – dann hat man ein
»Naggingmarkt« genannt, dessen Volumen der Erziehungsproblem.«
Schering schiebt die Verantwortung den ElHamburger Wirtschaftswissenschaftler und Kindermarketing-Experte Tobias Effertz auf 70 Milliarden tern zu, obwohl der Erfolg des Kindermarketings
Euro schätzt. So viel Geld geben Eltern in Deutsch- gerade darauf beruht, dass es gezielt die Eltern als
land jedes Jahr aus, weil sie von ihren Kindern voll- Erziehungsinstanz zermürbt.
Die Pom-Bär-Werbung soll
gequengelt werden.
»Pester Power« entwickeln: Das
An diesem Punkt kommt
ist eine weitere magische Vokaeine zweite Erkenntnis der Wirtbel des Marketings. Pester Power
schaft ins Spiel: Von den Eltern
bedeutet »Quengelkraft«.
ist keine große Gegenwehr zu
Vom Erfolg der Kampagne
erwarten.
war der Agenturchef Schering
Das, was Marktforscher die
selbst überrascht. Nach seinen
»Gatekeeperfunktion« der Eltern
Angaben bleiben die registriernennen, ist in den vergangenen
ten Pom-Bär-Freunde im DurchJahren mehr und mehr verloren
schnitt 17 Minuten lang auf der
gegangen. Die Eltern von heute,
Website. Grundschulkinder, die
wesentlich liberaler als die der Euro stehen heute den
hier ihre ersten Erfahrungen mit
Vorgängergenerationen, stellen sechs- bis 13-jährigen
Sozialen Netzwerken sammeln.
keine Schranken mehr auf, son- Kindern als Taschengeld
Das moderne Kindermarkedern sie verhandeln mit ihren zur Verfügung – so viel wie
ting, sagt Schering, visiere bioKindern darüber, was im Ein- nie zuvor
grafische Umbrüche an. Immer
kaufswagen landet. Immer häuwenn im Leben eines Kindes eine
figer sind die Kinder die durchneue Tür aufgeht, steht dahinter schon eine Figur,
setzungsstärkeren Verhandlungspartner.
Früher wurde gegessen, was auf den Tisch kam. die ein Marketingmensch geschickt hat. Beim
Heute gibt es Bücher zum Thema »Kochen mit Eintritt in den Kindergarten, bei der EinschuKindern«. Die Eltern wollen ihre Kinder ernst lung, beim Wechsel auf die weiterführende Schunehmen und nicht länger bevormunden. Diese le, beim Beginn der Pubertät. Bevor das Kind
Offenheit und Stärke moderner Familien nutzt die neue Freunde hat, hat es schon eine neue Marke.
Die Lebensmittelkonzerne sind längst zu MeIndustrie aus und verkehrt sie in eine Schwäche.
In dem Film, in dem Anna durch den Super- dienunternehmen geworden, die ständig neue
markt läuft, taucht die Mutter kaum auf, obwohl Geschichten erfinden. Der Getränkehersteller
sie immer dabei ist. Man sieht nur hin und wie- Coca-Cola hat gerade seine deutsche Website
der ihren Arm, wenn sie wieder einmal ein Pro- nach amerikanischem Vorbild in ein Lifestyledukt in den Einkaufswagen packt, das Anna ihr Onlinemagazin namens Journey verwandelt.
Das Handelsunternehmen Rewe bringt ein
rüberreicht. Der Arm von Annas Mutter ist der
Sticker-Sammelalbum nach dem anderen heraus,
verlängerte Arm der Industrie.
Für die Hersteller sind Kinder auch deshalb und bei jedem Einkauf über zehn Euro bekommt
so attraktiv, weil man heute weiß, dass sich die man Tütchen mit Aufklebern gratis dazu.
Der Konsumgüterkonzern Unilever hat die
Produkt- und Geschmacksvorlieben aus der
Kindheit über Jahrzehnte halten. Die Industrie TV-Serie Max Adventures produzieren lassen, die
muss die kurze Zeit nutzen: Wen sie als Kind sich um eine Löwenfigur dreht. Am Ende jeder
nicht gewinnt, wird sie auch später nicht errei- Folge isst der Löwe ein Eis. Die Serie wurde glochen. Wer als Kind kein Nutella gegessen hat, bal vermarktet, erst als sie schon in mehreren
Ländern lief, wurde der Löwe zum Produktbotfängt nicht als Zwanzigjähriger damit an.
Deshalb lautet die entscheidende Frage für schafter für die Unilever-Marke Langnese.
Selbst ein Erwachsener hat Schwierigkeiten,
die Unternehmen: Wie bekommen wir Anna
diese Werbung als solche zu erkennen.
dazu, genau unser Produkt auszusuchen?
Es ist eine neue Eskalationsstufe des MerDer Marketingkongress, bei dem Dirk Ziems
auftritt, wird von der Kinder- und Jugendwer- chandisings: Gerade hatten wir uns daran gebeagentur Cobra Youth veranstaltet. Diese Agen- wöhnt, dass jede Filmfigur auf Butterbrotdosen
tur ist stolz darauf, dass sie im Kindermarketing und Joghurtbechern wiederzufinden ist – jetzt
neue Wege gegangen ist, wo andere noch kon- gibt es die Filme nur noch, damit wir hinterher
ventionelle Kampagnen entwickelten. Cobra Butterbrotdosen und Joghurt kaufen.
In einer Zeit der gesättigten Märkte und ausYouth, angeblich besonders nah an der Zielgruppe dran, lässt Anzeigen, Spots und Onlinespiele gereiften Produkte müssen die Unternehmen nach
von »Kinderbeiräten« testen.
neuem Mehrwert suchen. Also versprechen sie ihren
»Wir nehmen Kinder als Verbraucher ernst«, Kunden jetzt nicht nur den Geschmack knuspriger
sagt Christopher Schering, der Chef und Grün- Chips, sondern auch Austausch, Freundschaft und
der der Agentur.
Geborgenheit: die Marke, dein Freund und SpielCobra Youth hat seine Räume in einer alten kamerad. So vergiftet das Kindermarketing das Spiel
Schreibfederfabrik am Berliner Ostkreuz. Ein der Kinder, dessen Zweck es ja gerade ist, etwas zu
Loft mit bunten Raumteilern, an den Schreib- tun, was keinen Zweck hat. Ein Spiel, das darauf
tischen sitzen junge Menschen mit Kopfhörern abzielt, dass sich das Kind am Ende eine Chipstüte
und basteln an Internetseiten, Onlinespielen und kauft, ist keines.
Facebook-Auftritten. Christopher Schering, im
Wenn Kinder sich so leicht gewinnen lassen,
schwarzen Anzug mit offenem Hemdkragen, kann man sich fragen: Warum verkauft man ihFortsetzung von S. 15
Süße Geschäfte
Der kleine Konsument: Die Werbung spricht
immer jüngere Verbraucher an. Überall, wo ein Kind
sich bewegt, ist es von Marken umzingelt.
Für unsere Fotostrecke hat der siebenjährige Tjark
aus Berlin einen typischen Tag nachgestellt –
vom Aufstehen bis zum Zubettgehen
Schon beim Frühstück fesselt der Comic auf der Kaba-Verpackung
die Aufmerksamkeit
2,9
Milliarden
In der großen Schulpause tauscht das Kind
Sammelbildchen einer Supermarktkette
Im Supermarkt entscheiden heute immer häufiger die Kinder,
welche Produkte in den Einkaufswagen wandern
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nen mit diesen Tricks nicht einfach etwas Gesundes? So gut wie keine an Kinder gerichtete
Werbung handelt von Vollkornbrot, Naturjoghurt, Äpfeln, also von dem, was Kinder eigentlich essen sollen. Warum handelt Intersnack, der Hersteller der Pom-Bär-Chips, nicht
einfach mit Obst? Die Antwort ist eine Faustregel des Lebensmittelgeschäfts: Ungesunde Produkte versprechen hohe Gewinne, weil sie aus
billigen Zutaten gemacht werden.
Laut einer Aufstellung der amerikanischen
Investmentbank J.P. Morgan beträgt die durchschnittliche globale Umsatzrendite für Frühstücksflocken, Snacks und Kekse 18,4 Prozent
und für Süßwaren 15 Prozent – während sie für
Obst und Gemüse bei 4,6 Prozent liegt.
Das Besondere an Speiseeis zum Beispiel war
ursprünglich die Sahne. Aber Sahne ist teuer.
Heute wird Eis am Stiel aus günstiger entrahmter
Milch hergestellt, und als Geschmacksträger
kommt billiges Pflanzenfett dazu. Außerdem viel
Zucker, der – wie bei schlechten Weinen – die
Qualitätsmängel der anderen Inhaltsstoffe ein
wenig überdeckt. Doch auch noch so viel Zucker
reicht nicht aus, um dem Eis jene magische Kraft
zu verleihen, die Kinder dazu bringt, sich schreiend vor ihren Eltern auf den Boden zu werfen.
Dazu braucht es einen Aromastoff.
Fast alle Aromen, die in Deutschland eingesetzt werden, kommen aus einem Ort: Holzminden in Niedersachsen. In der Kleinstadt
riecht es nach Zuckerwatte und Kräutersalz. Von
fast jedem Punkt aus sind zwei Schornsteine einer Fabrik zu sehen – das ist Symrise, ein börsennotiertes Unternehmen, das den Geschmack der
Erwachsenen bedient und den der Kinder prägt.
Drinnen, in den Küchen, stehen sogenannte Anwendungstechniker von morgens bis
abends am Herd und probieren aus, wie ihre
Pulver die Produkte ihrer Kunden verändern.
Aromen machen nur ein bis zwei Prozent eines
durchschnittlichen Supermarktprodukts aus.
Aber den Großteil des Geschmacks.
Die Aromen werden in einem komplizierten physikalischen Verfahren hergestellt. Viele
Zutaten werden dafür sprühgetrocknet. Sprühtrocknen kann man so ziemlich alles: Zwiebeln,
Pilze, Vanilleschoten, Erdbeeren, Brathühnchen. Ein Aroma, das so entsteht, nennt sich
»natürlich«, ist aber ein Kunstprodukt. Es sorgt
dafür, dass das Eis am Stiel immer gleich
schmeckt, im Sommer wie im Winter.
Das ist wichtig für das Marketing. Das Aroma muss dem Produkt einen wiedererkennbaren Geschmack verleihen, die taste signature,
wie es bei Symrise heißt, die man mit einer
Marke in Verbindung bringt. Das Aroma ist die
Grundlage dafür, dass man ein wertloses Nahrungsmittel als teures Markenprodukt verkaufen kann.
Meist haben die so entstandenen Produkte
ziemlich viele Kalorien.
Die Industrie verkauft sie nicht deshalb,
weil sie ihren Kunden schaden will, sondern
weil die Formel, mit der Lebensmittel sich billig herstellen ließen und zugleich gesund und
lecker wären, noch nicht gefunden ist. Tatsächlich versuchen die Unternehmen immer wieder
mal, den Zuckergehalt ihrer Produkte zu reduzieren. Nestlé zum Beispiel hat gerade bei all
seinen Frühstücksflocken die Rezeptur geändert – die Produkte bestehen allerdings immer
noch zu fast einem Drittel aus Zucker. Wollte
die Industrie aber Frühstücksflocken mit wirklich niedrigem Zuckeranteil herstellen, die
dann noch halbwegs schmecken, müsste sie
teure echte Zutaten verwenden.
Aus dieser einfachen Rechnung heraus verteidigt sie eine ungesunde Ernährung von Kindern um jeden Preis und gegen jede Vernunft.
Immer wieder gab es in den vergangenen
Jahren Kritik an der Lebensmittelindustrie, von
Verbrauchervereinen wie Foodwatch und von
manchen Politikern. Doch die wenigen Versuche, an Kinder gerichtete Werbung zu verbieten und Lebensmittel besser zu kennzeichnen,
sind allesamt an der Macht der Industrie-Lobbyisten gescheitert.
2004 verhinderte der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL), der
Spitzenverband der deutschen Ernährungswirtschaft, dass die Europäische Kommission ein
Gesetz zur Regulierung von Kinderwerbung
verabschiedet.
2009 setzte der BLL durch, dass Essen in
Kindergärten gegen die Empfehlung von Wissenschaftlern auch weiterhin Geschmacksverstärker und künstliche Aromen enthalten darf.
2010 sorgte der BLL dafür, dass die EU auf
die Einführung der sogenannten Lebensmittelampel verzichtete – eine farbliche Kennzeichnung des Salz-, Zucker- und Fettgehalts auf
den Verpackungen.
Für die Lobbyisten ist es bisher gut gelaufen. Da die Verbraucherschützer aber nicht aufgeben und die gesellschaftliche Debatte immer
wieder auf ungesunde Lebensmittel lenken,
werden die Lobbystrategien seit einiger Zeit
subtiler. Das Ziel ist es jetzt, zu kontrollieren,
worüber die Gesellschaft diskutiert: So soll es
erst gar keine neuen Gesetzesinitiativen geben.
Eines der Meisterwerke des neuen Lobbyismus, der in den vergangenen Jahren entstanden
ist, heißt Plattform Ernährung und Bewegung
(PEB), eine Allianz aus Politik und Industrie, die
zur Prävention von Übergewicht bei Kindern und
Jugendlichen Workshops und Kongresse organisiert. Zu ihren Mitgliedern gehören nicht nur
Vertreter verschiedener Landesregierungen und
Gesundheitsverbände, sondern auch Danone,
Mars, Coca-Cola, Ferrero, Capri-Sonne und
McDonald’s. Also jene Unternehmen, die mit
dem Appetit und Durst von Kindern und Jugendlichen ihr Geld verdienen.
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Dieses Bündnis wirkt auf den ersten Blick wie sagen, die Agentur hat die wunden Punkte der
ein ziemlich nutzloses Unterfangen: Gummi- Lebensmittelindustrie ziemlich gut erfasst. Ofwörter wie »Netzwerk«, »Initiative«, »Plattform«, fensichtlich muss man diese Geschäftspraxis aber
ein bisschen Gerede – wem soll das helfen, wem gar nicht unbedingt ändern: Alles ist eine Frage
der Kommunikation.
soll das schaden?
Zu den erfolgreichsten Werbekampagnen in
Für die Lebensmittelhersteller aber ist eine
Mitgliedschaft bei der PEB äußerst lohnend. Für der Geschichte von McDonald’s gehörten die
25 000 Euro Jahresbeitrag – einen Bruchteil des- Spots mit Heidi Klum, die bis 2010 Testimonial
sen, was ein TV-Spot kostet – verwandelt sich des Unternehmens war. Jene Frau, der die Medie Industrie vom Bittsteller zum Partner der dien regelmäßig vorwerfen, sie propagiere mit
Politik. Sie kann sich als gesellschaftlicher Akteur ihrer Sendung Germany’s next Topmodel ein überpräsentieren, der dem Gemeinwohl verpflichtet triebenes Schlankheitsideal, warb für einen Konist. So wird aus der Nugatcrememarke Nutella zern, der sein Geld mit fettreichen Hamburgern
verdient. Was auf den ersten Blick wie ein Widereine Art öffentliche Einrichtung.
Mehrere Gesundheitsverbände und Wissen- spruch wirkt, war genau geplant. Tobias Effertz,
schaftler diskutieren inzwischen darüber, die der Hamburger Kindermarketing-Experte, erPEB zu verlassen. Die Grüne Renate Künast, die kennt darin die »Assoziation Heidi Klum – Ma2004 als Verbraucherschutzministerin die PEB gersucht«, die »via emotionale Konditionierung
ins Leben rief, spricht von der Organisation in- und Imagebildung auf McDonald’s-Produkte«
zwischen als einem »schwarzen Loch, in dem alle übertragen werde.
Mit derartigen Methoden ist den Kommuniguten Absichten verschwinden«.
kationsstrategen in den vergangeTrotzdem hat ihre Nachfolgenen Jahren nichts Geringeres
rin, Ilse Aigner von der CSU,
gerade das Bündnis für Verbraugelungen, als von dem größten Procherbildung gegründet, das Konblem ihrer Kunden abzulenken:
zepte für Schulstunden entwickelt,
dem Vorwurf, ihre Produkte verin denen die Konsumkompetenz
ursachten Fettleibigkeit.
von Kindern gestärkt werden soll.
Anstatt das offensichtliche
Die Unterstützer sind McDoÜbergewicht vieler Kinder zu
nald’s, Edeka, Rewe.
leugnen, weist die LebensmittelWieder ist die naheliegende
industrie neuerdings selbst darauf
Lösung des Problems erst einmal
hin. Natürlich seien unsere Kinder
vergessen: das Verbot von Wer- beträgt die Umsatzzu dick, heißt es in zahlreichen
bung, die sich an Kinder unter rendite für Snacks und
Veröffentlichungen der Unternehzwölf Jahren richtet. Die Indus- Kekse. Für Obst und
men. Allerdings nicht, weil die
trie hat ihre Gegenspieler in eine Gemüse sind es 4,6
Kinder das Falsche essen, sondern
feste Umarmung genommen. Die Prozent
weil sie sich zu wenig bewegen.
Politik kann sich nicht mehr daDas passt gut: Sport hilft gegen
raus lösen.
Dickwerden – und beim Sport
Die Methode, zu kooperieren anstatt den of- bekommt man Durst und Hunger. Danach darf
fenen Konflikt zu suchen, gehört zu der neuen man sich dann eine Cola und einen SchokoKommunikationsstrategie, die die großen PR- riegel gönnen.
Agenturen für die Lebensmittelindustrie entInzwischen gibt es kaum noch einen Lebenswerfen.
mittelhersteller, der sich nicht für den Kindersport
McDonald’s zum Beispiel wird seit knapp einsetzt: Die Wurstmarke Ferdi Fuchs veranstaltet
sieben Jahren von Burson-Marsteller vertreten. einen Fußball-Cup, Kinder-Schokolade verlost mit
Auf der Kundenliste dieser Agentur standen dem Sportartikelhersteller Puma Sportausstattung,
schon schwierige Fälle wie die italienische Kreuz- die Chipsmarke funny-frisch fördert den Schulsport.
fahrtgesellschaft Costa, deren Schiff Costa ConWeil es der Industrie auf diese Weise incordia im vergangenen Jahr vor der Insel Giglio zwischen gelungen ist, von ihrem eigentlichen
auf Grund lief, und die Spielzeugfirma Mattel, Anliegen abzulenken – nämlich dem, möglichst
die 2007 erklären musste, wie bleiverseuchtes viele Produkte zu verkaufen –, öffnen sich nun
Spielzeug auf den Markt geraten war.
wie von selbst auch Türen, die lange verschlossen
Burson-Marsteller hat sich ein System ausge- waren.
dacht, nach dem sich der sogenannte Brand VulDie Schule war einmal ein Ort, an dem es um
nerability Index ausrechnen lässt: Wie angreifbar die geistige Entwicklung von Kindern ging. Wer
ist eine Marke? Risikofaktoren sind demnach andere Interessen hatte, musste draußen bleiben.
unter anderem die Verwendung von Palmöl und Heute darf eine Werbeagentur wie Blattwerk
Farbstoffen – und Kindermarketing. Man kann Media aus Recklinghausen von »Markenintegra-
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Auf der Packung der Pom-Bär-Chips findet das Kind einen Code,
mit dem es beim Online-Spiel sein Konto aufbessern kann
alle Fotos: Kathrin Spirk für DIE ZEIT/www.kathrinspirk.de
Prozent
Die Marken begleiten das Kind bis in die Nacht: Es schläft im Superman-T-Shirt
und in Bettwäsche des Trickfilms »Cars«
www.zeit-konferenzen.de
Hochschule & Bildung
17. Juni 2013 · Berlin
Freie Universität Berlin, Henry-Ford-Bau · Garystraße 35
Welche Qualifikationen müssen Hochschullehrer mitbringen? Wie schaffen Professoren den Spagat zwischen Forschung, Berufsausbildung und der
Vermittlung kritischer Themen? Und wie misst und kontrolliert man Spitzenforschung und praxisnahe Lehre? Diese ZEIT KONFERENZ widmet sich dem
aktuellen Zustand und der Verbesserung der Lehre an Hochschulen und
Universitäten. Es diskutieren Experten aus den Bereichen Hochschule, Wissenschaft und Wirtschaft.
Doris Ahnen
Ministerin für Bildung,
Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur,
Rheinland-Pfalz
In Zusammenarbeit mit:
Prof. Dr.
Peter-André Alt
Präsident, Freie Universität Berlin
Prof.
Oliver Günther, Ph. D.
Präsident, Universität
Potsdam
www.zeit-konferenzen.de/
hochschule-bildung
Teilnahme auf Einladung.
Die Teilnehmerzahl ist begrenzt.
© Thorsten Schmidtkord
© Soe
© Bernd Wannenmacher
© Heike Rost
Weitere Referenten sind u. a.:
Prof. Dr. Klaus Diepold, Vizepräsident, Technische Universität München
Prof. Dr. Bernhard Kempen, Präsident Deutscher Hochschulverband
Prof. Dr. Bärbel G. Renner, Professorin für Medien und Kommunikation
und Mitglied des Vorstands der Dualen Hochschule Baden-Württemberg
Kontakt:
Simone Lindner
[email protected]
Dr. h. c.
Manfred Lautenschläger
Gründer, MLP AG, Ehrensenator der Universität
Heidelberg
Cornelia QuennetThielen
Staatssekretärin,
Bundesministerium für
Bildung und Forschung
Prof. Dr. Micha Teuscher
Rektor der Hochschule Neubrandenburg,
Sprecher der Mitgliedergruppe der Fachhochschulen in der HRK,
HRK-Vizepräsident für
Zulassung
tion in den Lernalltag« sprechen. Im Auftrag großer
Unternehmen verschickt Blattwerk Media sogenannte Geschenkeboxen an Schulen, in denen
die Schüler Getränke, Nahrungsmittel, Schreibwaren, Hygieneartikel, Lernbücher und Spiele
finden – was auch immer der jeweilige BlattwerkKunde den Kindern nahebringen will.
Längst stellen zahllose Marken auf ihren Websites kostenlos Lernmaterial zur Verfügung: BMW
zum Thema Autos, Paula Pudding zum Thema
»Tiere im Winter«. Viele Lehrer laden sich Arbeitsblätter im Internet herunter, weil das die
Schule kein Geld kostet und sie ihren Unterricht
individuell gestalten wollen. Anders als bei Schulbüchern gibt es für diese Materialien keine Zulassungsverfahren. Es liegt allein in der Verantwortung der Lehrer, zu erkennen, wann die Grenze zur
Produktwerbung überschritten ist.
Wieder ist die Industrie in den Köpfen der Kinder drin – und immer noch nicht können Kinder
auch nur ahnen, dass sie eine milliardenschwere
Zielgruppe geworden sind.
Das Mädchen ist neun Jahre alt und versteht
die Frage nicht. Sie lautet: »Was machst du neben
der Schule am liebsten?«
»Neben?«, fragt das Mädchen, »warum daneben?«
»Ich meine, wenn du nicht in der Schule bist,
am Nachmittag, was machst du da am liebsten?«,
fragt die Psychologin. Sie hat ihre Schuhe ausgezogen und sitzt im Schneidersitz vor dem Mädchen.
Sie spricht etwas zu laut und zu langsam, die Augenbrauen gelupft, der Kopf nickt ermutigend.
»Handball, Tennis, schauspielern«, antwortet
das Kind.
Dirk Ziems’ Marktforschungsinstitut concept m
führt mit dem Mädchen und seiner zehnjährigen
Schwester eine tiefenpsychologische Studie durch.
Später wird Ziems seine Erkenntnisse an einen
Kunden verkaufen. Noch aber sitzen die beiden
Kinder in dem »Alltagsstudio« der Agentur. Eine
ganz normale Berliner Altbauwohnung, mit einer
Besonderheit: Gegenüber dem Sofa gibt es einen
Spionspiegel. Durch ihn werden sie beobachtet,
während sie fernsehen, spielen, die Wohnung erkunden und befragt werden.
Nach einer Aufwärmphase kommt die Psychologin jetzt auf das eigentliche Thema: Urlaubsreisen. Ihre letzten Ferien haben die Schwestern
am Gardasee »in Gardaland« verbracht. Sie erzählen, wie schön es war, barfuß zu laufen. Schade
nur, dass Mama nicht dabei war. Die war im Krankenhaus, sie hat Krebs.
Die Psychologin sagt: »Oh.« Sie fügt hinzu:
»Das ist aber ein trauriges Thema.« Die Mädchen
nicken stumm.
»Sprechen wir lieber über ein schönes Thema«,
ruft die Psychologin. »Mögt ihr lieber Ferienhäuser oder Ferienwohnungen?«