FRIEDENSDORF Report 79 - Friedensdorf International

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FRIEDENSDORF Report 79 - Friedensdorf International
40 JAHRE
®
FRIEDENSDORF Report 79
25. Jahrgang – April 2007
FRIEDENSDORF Report Nr. 79
•
25. Jahrgang
•
April 2007
Inhalt
Seite
Vorwort von Ronald Gegenfurtner
FRIEDENSDORF- Eckdaten der Entwicklung
Alexandra Balzer: Ein Lied für den Frieden
Astrid Knümann: Georische Klänge und Ringelsocken
Thorsten Scharnhorst: Ngyen, das Mädchen ohne Gesicht
Chizuru Azuma: Das FRIEDENSDORF hat mein Leben verändert
Matthias Maruhn: Dicke Verbände auf dünnen Armen
Marion Suhr-Mäurich: Solange ich atme, lebe ich
Peter Stöbe: 40 Jahre FRIEDENSDORF
Uli Preuss: Am Rande der Schöpfung
Volker Strommenger: Gefeirt wird,
wenn das FRIEDENSDORF überflüssig geworden ist
Impressum: Herausgeber:
Aktion Friedensdorf e. V.
Postfach 14 01 62 . 46131 Oberhausen
Lanterstraße 21 . 46539 Dinslaken
Tel.: (02064) 4974-0 . Fax: -999
Internet: http://www.friedensdorf.de
Spendenkonten:
Stadtsparkasse Oberhausen, 102 400 (BLZ 365 500 00)
Sparkasse Dinslaken, 111 153 (BLZ 352 510 00)
Postbank Essen, 1218-434 (BLZ 360 100 43)
Gestaltung: Judith Uhlemann, www.uhlemann-design.de
Druck: SET POINT MEDIEN Schiff & Kamp GmbH, Moerser Str. 70,
47475 Kamp-Lintfort, chlorfrei gebleichtes, umweltfreundliches Papier,
Nachdruck: nur mit Genehmigung gestattet
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Journalisten, Fotografen und Freunde des FRIEDENSDORFES, die unsere Arbeit schon seit vielen Jahren
beobachten und begleiten, haben uns für diesen Report
ihre Geschichten und Fotos zur Verfügung gestellt. Ihnen gilt
unser herzlichster Dank. Ein großes Dankeschön auch an
Judith Uhlemann für die tolle Gestaltung dieser Broschüre.
Ein Teil der Bilder stammt aus der Ausstellung „Am Rande
der Schöpfung“ von Uli Preuss, die seit 2004 durch
Deutschland tourt und ständig um aktuelle Fotos von
den Hilfseinsätzen des FRIEDENSDORFES ergänzt wird.
Die Bilder von Uli Preuss zeigen, wie wichtig und notwendig
die Arbeit des FRIEDENSDORFES in Afghanistan, Angola,
Kambodscha, Sri Lanka und anderen Ländern ist. Deshalb
stellt er die Fotos auch gerne für weitere Ausstellungen
zur Verfügung. Bei Interesse stellen wir gerne den Kontakt
zu Uli Preuss her.
läufig als „Drückeberger“ vor der „Schule der Nation“, der Bundeswehr.
Die APO kämpfte für Veränderungen und Reformen in vielen Bereichen
des gesellschaftlichen Lebens und der Begriff „Bürgerinitiative“ war
1967 im Bewusstsein Vieler noch nicht existent. Der 2. Weltkrieg mit seinen Schrecken und mit seiner Schuld lag zum Glück schon fast eine ganze Generation, immerhin 22 Jahre, zurück.
Ronald Gegenturthner,
Leiter des FRIEDENSDORFES.
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde des FRIEDENSDORFES!
Wenn es sich nicht ausgerechnet um das FRIEhandelte, dann gäbe es sicher einen
Grund zu feiern. Das FRIEDENSDORF hat am 6. Juli
2007 seinen 40. Geburtstag. Aber ganz bewusst
und überlegt haben wir uns dazu entschieden,
keine Feierlichkeiten durchzuführen. Wir meinen,
dass es keinen Grund geben kann und darf, eine
Organisation zu feiern und zu bejubeln, die letztendlich nur deswegen existiert, weil Kinder aus
Kriegs- und Krisengebieten keine ausreichende
Hilfe bekommen; weil Kinder als die unschuldigsten Opfer die Last von Kriegen, Naturkatastrophen und Seuchen zu tragen haben. 40 Jahre
FRIEDENDORF soll aber sehr wohl ein Grund sein,
nachdenklich zu werden.
DENSDORF
Mit dem Bau des FRIEDENSDORFES
wurde unverzüglich 1967 begonnen.
Vor 40 Jahren waren die Kriegsschäden in
Deutschland weitgehend beseitigt. Umfangreiche finanzielle Hilfen wie z. B. der „MarshallPlan“ hatten Deutschland nicht nur den Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg ermöglicht,
sondern sogar ein „Wirtschaftswunder“ das
neben der Vollbeschäftigung auch Arbeit für
Menschen aus anderen Ländern bot, die damals noch ‚Gastarbeiter’ genannt wurden. Die
Bundeswehr war gerade einmal 12 Jahre alt
und das Grundrecht, den Kriegsdienst mit der
Waffe zu verweigern geschah nicht einfach per
Postkarte, sondern musste von vielen noch
mühsam mit oftmals mehreren Verfahren erstritten werden. Die Zivis von damals waren
noch „Ersatzdienstleistende“ und galten land-
Die notwenigen Lernerfahrungen wurden jedoch leider aus diesem Krieg,
der die Welt erschütterte und Millionen Unschuldiger das Leben kostete,
nicht gezogen. Korea, VietNam, die Befreiungskriege in den Kolonien
und selbstverständlich, was uns Deutsche auch besonders bewegen sollte,
die Lage im Nahen Osten waren die Beweise dafür, dass die Menschheit
immer noch glaubte (und bis heute offenbar glaubt), Konflikte könnten
mit Gewalt und Gegengewalt gelöst werden. Der 6-Tage-Krieg zwischen
Israel und seinen arabischen Nachbarn war der Anlass zur Gründung
des FRIEDENSDORFES. War dieser Waffengang auch nach sechs Tagen beendet, so beschäftigte sich die Weltöffentlichkeit mit einem anderen Kriegsschauplatz: VietNam.
Die Medien begleiteten den Krieg im fernen Osten und lieferten ihn
Abend für Abend frei Haus in die Wohnzimmer, nicht nur in Deutschland.
Bilder gingen um die Welt, die eindrücklicher die Grausamkeit des Krieges
nicht darstellen konnten und vielfältige Proteste hervorriefen – und trotzdem
war man nicht bereit mit dem Morden und Töten unschuldiger Zivilisten aufzuhören. Mit dem Bau des FRIEDENSDORFES wurde unverzüglich 1967 begonnen.
Die ersten Gebäude waren zum Ende des Jahres fertig gestellt, als auch
die ersten Kinder aus VietNam einzogen. Es war eine Bewegung in Oberhausen, der sich viele anschlossen. Einige in Funktion, andere eher still
und wieder andere in unermüdlicher Arbeit. Die HOAG stellte das Gelände zur Verfügung, Babcock übernahm eine Zeit lang die Buchhaltung.
Baumaterial wurde gestiftet und verbaut. Jugendliche aus aller Welt arbeiteten Hand in Hand mit der britischen Rheinarmee, der Bundeswehr
und der Bereitschaftspolizei, um mit einfachsten Mitteln ein FRIEDENSDORF für Kinder entstehen zu lassen. Bis wirklich alles fertig war, dauerte es einige Jahre und das Dorf war voll. Parallel hierzu wurde in VietNam gearbeitet und auch gebaut. Das FRIEDENSDORF DaLat ging in Betrieb,
doch zum Ende des Krieges in VietNam, am 30. April 1975, stand VietNam vor der Chance des Friedens und neuer Einheit und das FRIEDENSDORF vor dem Aus. 120 Kinder befanden sich in der Einrichtung und einen schnellen Weg zurück gab es nicht. Die neuen Machthaber hatten
eine Vielzahl von Problemen zu bewältigen, von Drogenmissbrauch
über Korruption bis hin zu schwersten ökologischen und genetischen
Schäden, die auf den Krieg zurückzuführen waren. Das FRIEDENSDORF
versuchte die Gratwanderung, die Kinder in Deutschland zu integrieren,
ihnen aber die heimatliche Kultur zu erhalten. Heute müssen wir sehen,
dass wir in vielen Fällen die Kinder zerrissen haben. Aus VietNamesen
werden sicher im Laufe einiger Generationen Deutsche, aber nicht inner-
halb einiger Jahre. In VietNam nicht mehr zu
Hause mit einem verklärten Bild einer Heimat,
die es so nicht mehr gab, von Heimweh getrieben,
in einem kalten Deutschland, das haben wir
„unseren“ Kindern nicht gewünscht. Trotz aller
Zweifel sind einige ihren Weg gegangen und
haben heute Familie und Auskommen. Auch jetzt
noch stehen sie im Kontakt zum FRIEDENSDORF,
auch wenn sich das FRIEDENSDORF inzwischen
wesentlich verändert hat.
Die Kriegsgebiete haben nicht abgenommen.
Ganz im Gegenteil. Immer dann, wenn wir die
Hoffnung hegen, in einem der Heimatländer
unserer Kinder könne Ruhe, könne Frieden
einkehren, dann treten neue Kriegsschauplätze
auf die Bühne der Weltöffentlichkeit. Und am
schwersten zu ertragen für uns ist, dass wir von
einigen Regionen, in denen auch täglich gestorben und gelitten wird, so gut wie nichts erfahren.
Der Krieg in Sri Lanka tobt. In Georgien und
Armenien wird gehungert. In Afghanistan wird
verhungert und erfroren. Von all dem erfahren
wir so gut wie nichts. Irak ist von der Diktatur
Saddam Husseins befreit, doch muss die Frage
erlaubt sein, was das für eine Freiheit ist, wenn
sich wegen der Bombenanschläge, der Überfälle
und der Militäraktionen viele Menschen nicht
einmal mehr zum Einkaufen auf die Straße trauen. Auch darf nicht in Vergessenheit geraten,
dass dieser Waffengang mit einer Lüge begründet wurde. Mit dem Schicksal von Israel sind
auch die Nachbarländer Jordanien, Syrien und
Libanon verknüpft.
Angola leidet immer noch unter dem Kolonialund darauf folgenden Bürgerkrieg. Wie es heute
in Haiti und Sierra Leone aussieht, erfährt man
nur dann, wenn man sich der Arbeit mühsamer
Recherche unterzieht. Auch die anderen Länder
der früheren Sowjet-Union haben, wenn auch
in unterschiedlicher Form, enorme Bürden zu
tragen. Und dann ist da auch immer noch Kambodscha. Nach der Schreckensherrschaft der
Roten Khmer kommt erst jetzt langsam die
nationale Aufarbeitung in Gang. Verurteilt sind
die, die das Abschlachten von Zigtausenden zu
verantworten haben, noch nicht.
Das FRIEDENSDORF hat heute eine Geschichte. Es
gibt aber keinen Grund zu feiern, denn hinter
jedem Schicksal, hinter jedem Kind und hinter
jedem Projekt in allen Ländern, stehen Tränen,
Schmerz, Not, Verzweiflung und das auch noch
in der Regel völlig unschuldig. Jederzeit würden wir uns für eine große Feier stark machen,
wenn wir guten Gewissens – auch außerhalb
eines Gedenktages – sagen könnten: Diese Einrichtung können wir schließen. Es gibt keine
Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten mehr,
die auf unsere Hilfe angewiesen sind. Das, ja
das, nur das wäre ein Grund das FRIEDENSDORF
zu feiern.
Aber gerade deswegen hat das FRIEDENSDORF
nicht nur eine Geschichte sondern auch eine
Zukunft. Das FRIEDENSDORF muss eine Zukunft
haben für Abdullah, Zarmina, Rosa, Yousof,
Binh, Kim, Massele, und die tausend anderen
pro Jahr, die mit ihren Familien darauf vertrauen, dass wir es ehrlich mit ihnen meinen. Das
FRIEDENSDORF muss eine Zukunft haben für die
Menschen in Kampot, in Moxito, in Ghazni, in
Dalat, in den Bergen von Tadschikistan und in
den Wüsten von Uzbekistan, die ihre Zukunft
auch darauf bauen, dass Projekte erdacht und
umgesetzt werden, damit die Basisgesundheitsversorgung gesichert wird, damit Krankenhäuser ausgerüstet werden, damit Impfungen
durchgeführt, damit durch Begegnungen kulturelle Gegensätze überwunden werden können,
wie bei den Projekten in Sri Lanka. Das FRIEDENSDORF muss aber auch schon deswegen eine Zukunft haben, damit nicht vergessen wird, dass
Krieg der Anfang allen Übels ist und nicht der
Vater aller Dinge.
lichsten Bereichen. Fachwissen und Bereitschaft ist gefordert, die jeder einbringen kann,
mit etwas mehr oder etwas weniger freier Zeit.
Mit ein wenig Engagement kann jeder von uns in
der Schule, der Uni, der Ausbildungsstelle, der
Arbeit oder bei Freunden und in der Familie
seinen eigenen Beitrag zur Arbeit des FRIEDENSDORFES leisten. Die Friedensläufe in vielen
Ländern und im FRIEDENSDORF zum Weltfriedenstag am 1. September sind ein Beispiel.
Was die Spenden angeht, so ist Ihr FRIEDENSDORF
auch heute noch eine Bürgerinitiative, denn die
Finanzierung basiert in erster Linie auf freiwilligen finanziellen Leistungen von Bürgen, die
oft genug für ihre Zuwendung ein Opfer bringen.
Dafür sind wir nicht nur dankbar, sondern davor
haben wir auch den allerhöchsten Respekt und,
das ist jetzt so wichtig wie bei der Gründung:
Damit können wir unabhängig bleiben. Ich bitte
Sie herzlich um Ihre Gabe, damit die Zukunft in
Unabhängigkeit und Sicherheit für die Menschen, um die es geht, eine Perspektive bleibt.
In all den Jahren haben sich viele Menschen dem
FRIEDENSDORF zu und auch abgewandt. Jeder war
wichtig und jeder hat etwas hinterlassen, jeder
hat etwas gegeben und jeder von ihnen konnte
etwas mitnehmen. Von vielen weiß ich, dass ihnen
das FRIEDENSDORF für ihr ganzes Leben etwas gegeben hat.
Allen sei gedankt für jede Art von Hilfe und
konstruktiver Kritik, aber vor allen den Kindern in 40 Jahren FRIEDENSDORF. Sie haben die
meisten Sorgen, die größten Schmerzen und
den unbezwingbaren Kummer gehabt, den sie
nur selten mit Worten formulieren konnten:
Soldat was kostet Dein Gewehr, wie teuer ist
ein Brot?
Das FRIEDENSDORF wird leider eine Zukunft haben,
so lange, bis wir Menschen endlich gelernt haben,
dass Konflikte mit Gewalt auszutragen nur der
Weg zu neuen Konflikten und Auseinandersetzungen ist, im Kleinen, wie im Großen.
Ihnen und uns eine Zukunft ohne Leid!
Das FRIEDENDORF wird eine Zukunft haben, wenn
wir weiter unabhängig, überparteilich und überkonfessionell unsere Arbeit leisten können. Aber
hierzu benötigen wir auch Geld, freiwillige
Arbeit und Engagement in den unterschiedIhr Ronald Gegenfurtner
Bau des FRIEDENSDORFES 1967
FRIEDENSDORF – Eckdaten der Entwicklung
Juli 1967
Dezember 1967
Februar 1971
März 1974
Mai 1975
Mai 1980
Juni 1980
April 1985
Mai 1986
Juli 1988
Dezember 1988
April 1990
Juli 1990
Dezember 1991
März 1992
Juli 1992
August 1993
Januar 1994
Erster Hilfseinsatz
in Afghanistan
März 1994
November 1994
Oktober 1995
Dezember 1995
Das FRIEDENSDORFES heute
Eintragung des neuen Vereins in das Vereinsregister.
Aufbau der ersten Häuser auf dem Gelände in Oberhausen-Schmachtendorf.
Ankunft der ersten Kinder aus Vietnam
Der Bau des FRIEDENSDORFES ist bis auf das Reha-Zentrum abgeschlossen.
Beginn der Arbeiten an der Hilfsstation in Dalat (Vietnam)
Die ersten Vietnamesen kehren in ihre Heimat zurück
Nach Ende des Vietnam-Krieges scheitert der Versuch, die vietnamesischen
Kinder in ihre Heimat zurückzuführen. Rund 100 Kinder bleiben zur
Betreuung im FRIEDENSDORF.
In einem Acht-Stufen-Plan soll nach und nach eine Sanierung des FRIEDENSDORFES durchgeführt werden. Die Arbeiten ziehen sich bis 1991 hin.
Der Vietnam-Krieg ist im öffentlichen Bewusstsein in Vergessenheit geraten.
Die Spenden für das FRIEDENSDORF gehen um die Hälfte zurück. Der finanzielle
Ruin droht.
Neubeginn der Einzelfallhilfe für Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten
mit der Aufnahme eines Jungen aus Äthiopien.
Gründung des FRIEDENSDORF BILDUNGSWERKES, staatliche Anerkennung in 1987
1. Vietnam-Einsatz nach Kriegsende. 10 Kinder kommen zur Behandlung.
1. Afghanistan-Einsatz. 15 Kinder werden aufgenommen.
Baubeginn des FRIEDENSDORFES in Kabul.
Eröffnung des FRIEDENSDORFES Dalat I (Vietnam). Bis 1997 entstehen insgesamt
11 FRIEDENSDÖRFER und über 100 Basisgesundheitsstationen in Vietnam. Hinzu
kommen 3 Schulen und ein Fischerei-Schulschiff.
Stellvertretend für alle FRIEDENSDORF-Mitarbeiter nimmt Ronald Gegenfurtner
das Bundesverdienstkreuz am Bande entgegen.
Erste Einsätze in Jugoslawien, Kasachstan und der GUS.
Zweiter Litauen-Einsatz.
Die Absicht, 60 Kinder aus Bosnien-Herzegowina zu holen,
scheitert an den andauernden Kriegshandlungen.
Das FRIEDENSDORF hat seine Aktivitäten auf weitere Länder wie Sierra-Leone,
Albanien, Kroatien, Israel und Sri Lanka ausgeweitet.
Beginn der Angola-Einsätze. Es werden erstmals 29 Kinder aus Luanda geholt
und eine Hilfsgüterlieferung zusammengestellt.
Das FRIEDENSDORF in Sinnicolau Mare/Rumänien geht in Betrieb.
Ronald Gegenfurtner besucht die Kriegsregion Georgien und trifft dabei
Staatspräsident Eduard Schewardnadse. Beginn der Georgien-Einsätze.
Einzug in die neue Zentralstelle in Dinslaken an der Lanterstraße.
Insgesamt 60 Tonnen Hilfsgüter, darunter 3000 Bürgerpakete,
werden in die georgische Hauptstadt Tblissi gebracht.
Bürger-Paketaktion für Not leidende Menschen
im Kaukasus
Januar 1996
Februar 1998
August 1998
November 1998
Januar 2001
November 2001
Juli 2002
August 2002
September 2002
Juni 2003
Dezember 2004
Dezember 2004
November 2005
August 2006
Eröffnung des ersten FRIEDENSDORF INERLADENS auf der Lothringer Straße
in Oberhausen.
FRIEDENSDORF Kabul wird wieder in Betrieb genommen.
Poliklinik und orthopädische Kinderklinik des afghanischen Roten Halbmondes
ziehen in das Gebäude ein.
Erster Afghanistan-Kombinationseinsatz mit Landungen in Kabul/Afghanistan,
Tblissi/Georgien und Jerewan/Armenien.
Inbetriebnahme des FRIEDENSDORFES Duschanbe/Tadschikistan.
Die Deutschen Lions starten aus Anlass ihres 50jährigen Bestehens die nationale
Großaktivity zugunsten des FRIEDENSDORFES – dies stellt die Initialzündung zur
Revitalisierung des „Dorfes“ dar.
Gründung der FRIEDENSDORF GEMEINSCHAFTSSTIFTUNG. Die Stiftung soll die Arbeit
des FRIEDENSDORF langfristig finanziell absichern helfen.
Die erste Basisgesundheitsstation des FRIEDENSDORFES in Kambodscha nimmt
den Betrieb auf. Bis 2006 werden insgesamt acht dieser Stationen sowie eine
Tuberkulose-Klinik errichtet.
Erster Usbekistan-Einsatz, neun Kinder werden aufgenommen
Mit dem Spatenstich beim Dorffest wird die Revitalisierung des FRIEDENSDORFES
offiziell eingeleitet. Noch im gleichen Jahr wird mit den Bauarbeiten begonnen.
Beginn des Programms zur Behandlung von Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten in
Usbekistan.
Das Oberhausener FRIEDENSDORF hat eine neue Adresse. Die „Rua Hiroshima“
wird offiziell ihrer Bestimmung übergeben.
Start der Sri Lanka-Hilfe nach der Tsunami-Katastrophe. Über 200 Tonnen
Hilfsgüter, vor allem Medikamente, werden nach Sri Lanka gebracht. Danach
Beteiligung an der Wiederaufbauhilfe mit Schulprojekten und dem Ausbau des
FRIEDENSDORFES Nattandiya.
Der letzte Neubau im FRIEDENSDORF ist fertig gestellt und die Revitalisierung damit
abgeschlossen.
Im FRIEDENSDORF Sri Lanka findet das erste interkulturelle Treffen von tamilischen,
muslimischen und singhalesischen Kindern statt.
Verletztes Kind in Vietnam
Vietnamesische
Kinder im
FRIEDENSDORF.
Spatenstich
zur Revitalisierung
7
B
oris Böcker legt seine Gitarre zur Seite.
„Überwunden ist, wenn du dann keinen Hunger
mehr hast“, erklärt der ehrenamtliche Mitarbeiter im Oberhausener FRIEDENSDORF einer
Gruppe von Kindern. Zehn Mädchen und
ein Junge sitzen in einem Kreis. Sie nicken
verständnisvoll, als der 25-Jährige ihnen die
Bedeutung des Textes näher bringt. Dann
singen sie die Strophe noch einmal: „Nur mit
ganz viel Liebe (...) wird der Hunger überwunden, werden Kriege unterbunden.“ Aus
tiefster Kehle rufen sie laut „Frieden jetzt!“
Die Kinder aus Afghanistan, Tadschikistan, Usbekistan und Angola wissen genau, worum es in
dem Lied geht, das sie gerade lernen. In ihren noch kurzen Leben kennen viele die Bedeutung
von Frieden aber nur aus Erzählungen. Umso mehr wissen sie über den Krieg, dem sie und ihre
Familien in der Heimat Tag für Tag „ausgeliefert“ sind. Viele der kleinen FRIEDENSDORF-Patienten
wurden durch die Zustände in Kriegs- und Krisengebieten schwer krank oder verletzt, haben
beim Spielen auf vermintem Gelände Gliedmaßen verloren.
Unermüdlich leisten die Mitarbeiter der Organisation mit Partnern vor Ort Hilfe, organisieren
Transportflüge, sorgen für medizinische Versorgung. Sind die Schützlinge ausreichend genesen,
werden sie zu ihren Familien in die Heimat zurück gebracht. Und auch dort reißen die Hilfsmaßnahmen nicht ab. „Wir haben zum Beispiel in Sri Lanka drei Projekte laufen“, erzählt Heike
Bruckmann vom FRIEDENSDORF. In einem ausgebauten „Dorf“ an der Westküste können Kinder
aller Bevölkerungsgruppen zusammen lernen und spielen.
Sorgen bereiten den Helfern hingegen die beiden weiteren Projekte im Nordosten des südasiatischen Inselstaates. Zwar konnte im Rahmen der Wiederaufbauhilfe nach der Tsunami-Katastrophe
in Mullaitivu eine Schule gebaut, aber wegen der immer wiederkehrenden Unruhen bislang nicht
in Betrieb genommen werden (Anmerkung: Inzwischen konnte die Schule zwar in Betrieb genommen, nicht aber in das interkulturelle Netzwerk des FRIEDENSDORFES auf der Urlaub-KriegsInsel integriert werden). In Nilaveli kommen die Bauarbeiten für eine weitere Schule immer wieder ins Stocken. „Dort kommt es immer wieder zu Anschlägen“, beschreibt Bruckmann die
Situation vor Ort. „Arbeiter und Angehörige wurden schon verletzt, so dass die Bautrupps zu
Hause bleiben, wenn es zu gefährlich wird.“
Die Gewalt in Sri Lanka ist seit Beginn des Jahres 2006 eskaliert, Hunderte Menschen starben
bei Anschlägen und Kämpfen. Nach zwei Jahrzehnten Bürgerkrieg hatten die verfeindeten
Bevölkerungsgruppen - Singhalesen und Tamilen - 2002 einen Waffenstillstand beschlossen.
„Unsere Partner vor Ort sind davon überzeugt, dass es in Kürze zu einem offenen Bürgerkrieg
kommen wird“, sagt Bruckmann sichtlich betroffen. Verlierer einer blutigen Auseinandersetzung
sind immer die Schwächsten: „Wir helfen natürlich auch Kindern aus Sri Lanka.“
Ein Lied für den Frieden
Von Alexandra Balzer, dpa, Juli 2006
„Frieden jetzt!“ Immer lauter singen die Kinder nach der Melodie von „My Oh My“ von Slade
den Refrain. „Nur mit Liebe, ohne Kriege: Frieden jetzt!“, wiederholt auch die elf Jahre alte
Justina aus Angola. Und während Folorans aus Afghanistan die letzte Strophe des Liedes in einer
ihr vor vier Monaten noch völlig fremden Sprache wiederholen will, fordert der Rest der Gruppe
einstimmig: „Nochmal von Anfang an“, bevor es pünktlich um zwölf zum Mittagessen geht.
9
Kinder in Vietnam
Von Thorsten Scharnhorst (aus seinem Buch:
Mit Leib und Seele. Geschichten aus einem Reporterleben.
Klartext Medienwerkstatt GmbH, Essen 2005)
Georgische Klänge
und Ringelsocken
Nguyen, das Mädchen ohne Gesicht
Von Astrid Knümann, WAZ Oberhausen
Als die ersten Kinder aus Vietnam 1967 ins
nach Oberhausen kamen, lernte
ich gerade schreiben. Mit mehr als 40 weiteren
I-Dötzen. Für uns alle war das selbstverständlich - die Schule, Bücher, ein Dach über dem
Kopf, heißes Wasser aus dem Hahn, Öfen und
täglich Essen auf dem Tisch. Dinge, die für die
schwer verletzten oder kranken Kinder aus
Vietnam mit dem Ausbruch des Krieges in
ihrer Heimat in weite Ferne gerückt waren.
FRIEDENSDORF
Madonna aus Georgien
im FRIEDENSDORF
Dinge, die auch heute noch - 40 Jahre nach der
Gründung der Aktion FRIEDENSDORF - für die
Kinder im „Dorf” oft unerreichbar scheinen.
Von all dem wusste ich 1967 noch nichts. Ich
war zu jung, um die Nachrichten sehen zu
dürfen. Die Welt spielte sich größtenteils rund
um mein Zuhause herum ab.
Das war bei den jungen Vietnamesen in ihrer
Heimat sicher ganz genau so. Als sie in Frieden
leben konnten. Bevor die ersten Schüsse und
Bomben fielen. Mit einem Mal veränderte sich
ihre Welt: sie verloren ihre Heimat, viele auch
ihre Familien, ihre Freunde.
Dann kamen sie nach Oberhausen. Wurden
ungefragt in eine ihnen völlig fremde Kultur
katapultiert. Doch genau das rettete ihnen das
Leben.
Von all dem wusste ich damals noch nichts.
Es vergingen gute 20 Jahre, bevor ich das erste
FRIEDENSDORF-Kind kennenlernte, bevor ich die
Arbeit der Hilfseinrichtung für Kinder aus
Kriegs- und Krisengebieten kennenlernte, die
sich längst nicht mehr nur auf Vietnam beschränkte. Zuviele Kriegs- und Krisengebiete
gab es in der Welt.
Ich lernte Madonna kennen, das 12-jährige
Waisenkind aus Georgien, das mit verkümmerten
Händen und verkürzten Beinen auf die Welt
kam. In ihrer Heimat konnte ihr kein Arzt helfen.
Madonna lernte nach mehr als eineinhalb Jahren
und mehreren Operationen wieder laufen.
Doch mehr als das imponierte mir ihre Musikalität. Mit ihren verkümmerten Fingern entlockte
sie einem Klavier harmonische Töne – georgische
Klänge. Und damit nicht genug. Die Zwölfjährige
beherrschte auch das Spiel mit den Stricknadeln
perfekt. Bergeweise strickte sie Strümpfe für all
die kleinen Patienten, die sich über die bunten
Ringelsocken freuten. Madonna gelang der
Spagat zwischen ihrem langen Aufenthalt in
Oberhausen und der Erinnerung an ihre Heimat.
Ich lernte auch das Kleinkind aus Russland
kennen, das mit einer riesigen Geschwulst im
Bauch nach Oberhausen kam. Und das wenige
Monate später quietschvergnügt und gesund
über das Gelände an der Rua Hiroshima flitzte.
Die beiden und die anderen kleinen Patienten
haben mich gelehrt, worum es wirklich geht.
Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass ich
als I-Dötzchen schreiben lernen konnte, Bücher
hatte und Spielzeug, ein eigenes Zimmer und
genug zu essen. Und Frieden.
N
[…]
guyen T-Van hieß sie, und sie musste
sich ihr schmuddeliges Bett in dem erbärmlichen Hospital Cho Ray mit einem anderen
Mädchen teilen. Eigentlich fehlte dem Kind
das ganze Gesicht. Augenlider, Nase und Lippen waren einer wulstigen, bläulich-roten Narbenschicht gewichen. Hätten da nicht diese
warmen, traurigen Augen des 13-jährigen Mädchens aus dem verwüsteten Gesicht geblinzelt –
das Mitleid mit diesem grausam entstellten
Wesen wäre kaum zu ertragen gewesen. Als
ich Nguyen und die anderen unschuldigen, vom
Krieg geschundenen Kinder sah, da schnürten
mir Trauer und Verzweiflung die Kehle zu. Es
war im Juni 1969 als ich Nguyen kennen lernte.
Das Mädchen lebte – aber sein Leben war
längst nicht gerettet.
Doch es gab in dieser Stunde für Nguyen und
ihren ein Jahr älteren Bruder Van-Thenh so
etwas wie Hoffnung. Mit dem ersten Transport
kriegsverwundeter Kinder aus Vietnam sollte
das Mädchen nach Deutschland geflogen
werden. Diesen glücklichen Umstand hatte
sie einem vierschrötigen, eigensinnigen Pastor
aus Oberhausens Vorort Schmachtendorf zu
verdanken. Dieser friedensbesessene Fritz
Berghaus konnte das Unrecht, das Kindern
angetan wurde, nicht ertragen. Auf der grünen
Wiese vor den Türen der Industriestadt baute
er das „FRIEDENSDORF“, in dem Kinder nach
einer kostenlosen Behandlung ihrer furchtbaren Verwundungen in allen möglichen deutschen Krankenhäusern wieder in ein normales
Leben finden sollten.
Aktion „Schöne Wolke“ nannte dieser von mir
bewunderte Geistliche diese erste Etappe in
ein Hilfswerk, in dem heute in jedem Jahr etwa
1.000 Kinder aus 28 Ländern medizinische Betreuung finden. Wohlgemerkt: In mindestens
28 Ländern herrscht Krieg, oder hat der Krieg
Wunden hinterlassen. Die hinterlistigsten, gemeinsten und mörderischsten Nachlässe dieser
Kriege sind Landminen.
Die „Aktion Schöne Wolke“ brachte Nguyen
und mich näher zusammen. Das zierliche Mädchen mit den schönen, schwarz glänzenden
Haaren war meine Sitznachbarin in der Boeing
707, Air-France-Flug Nummer 189, auf dem
Weg von Saigon nach Düsseldorf via Paris. Als
die Maschine während einer Feuerpause in den
Himmel über Saigon stieß, weinte Nguyen. Vielleicht dachte das Kind an seine sechs Geschwister
und die Mutter, die alle in ihrer Hütte in der
Nähe der Hauptstadt, die bekanntlich von den
siegreichen Kommunisten zu Ehren des großen
Revolutionärs in Ho-Tschih-Minh-Stadt (4,6
Millionen Einwohner) umgetauft worden ist,
von US-Granaten getötet worden waren. Der
Vater blieb alleine in Vietnam zurück ohne
Wissen, was seinen beiden Kindern in dem fernen,
fremden Land widerfahren würde. Aber er
blieb zurück in dem Wissen, dass sie in seinem
Land hätten sterben müssen. Und so hat er sich
in Erinnerung an seine Kinder verankert, ein
kleiner, schmaler Mann, in dessen Augen ich
zugleich Zweifel, Zuversicht, Lebensangst, aber
vor allem Liebe entdeckt zu haben glaubte.
Der Flug dauerte 24 Stunden. Nguyen und die
anderen kleinen Patienten hielten tapfer durch.
Ich erinnere mich noch, wie das kleine Mädchen
das Plastikbesteck, das zu den Bordmenüs gereicht wurde, erstaunt in die Hände nahm, ohne
zu wissen, was es damit anfangen sollte. Dann
steckte es das weiße Zeugs heimlich in ihre
Kleidung, als gelte es einen Schatz zu bergen.
Unvergessen sind mir die schockierten Gesichter jener Passagiere aus der Ersten Klasse,
die unvorbereitet durch die Vorhänge traten,
die unsere Verwundeten-Station von ihrem
Champagner-Bereich trennten. Eine Stewardess erzählte mir, dass es Beschwerden gegeben habe, weil die First-Class-Paxe nicht
über die Mitflieger im hinteren Bereich der
Maschine informiert worden waren.
Irgendwann schlief Nguyen an meiner Schulter
ein, ihr Atem ging ruhig, und irgendwie hatten
die Hautfetzen der Lider ihre schönen Augen
mit der fast schwarzen Iris geschlossen. Als sie
erwachte, legte ich meine linke Hand auf ihren
Kopf und streichelte sie. Nguyen lächelte, und
da war wieder der ungewollte Schuss Feuchtigkeit in meinen Augen und das schnürende
Gefühl in der Kehle.
Im Gegensatz zu der Philosophie des
FRIEDENSDORFES, die kleinen Kriegsverletzten
nach der Heilung wieder heim zu ihren Eltern
zu bringen, blieben die Vietnamesen des ersten
Transports in Deutschland. Auch Nguyen,
und gute Ärzte gaben ihr mit vielen kunstvollen Operationen ein Gesicht zurück.
Als ich die dramatischen Fernseh-Sequenzen
von der demütigenden Flucht der letzten
Amerikaner aus Saigon sah, wie sie verzweifelt versuchten, mit Hubschraubern aus der
umkämpften, von „Charly“ eingenommenen
Stadt zu entkommen, da hatte ich im Kopf
und vor Augen das Bild Nguyen, wie sie mich
ansah in Verzweiflung in ihrem verdreckten
Bett im Hospital Cho Ray.
11
S
eit 1999 habe ich mehrmals mit einem Fernseh-Team das FRIEDENSDORF
besucht. Dadurch hat sich mein Leben sehr verändert. Durch die Begegnung mit vielen unschuldigen Opfern des Krieges, über die in den Nachrichten nicht berichtet wird, habe ich angefangen zu überlegen, was wir als
japanisches Volk tun können und sollen.
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Chizuru Azuma ist in Japan ein echter Star. Sie ist Schauspielerin in Fernseh- und Kinofilmen, spielt Theater, wirkt in TV-Serien
und Dokumentationen mit und moderiert Fernsehsendungen. Die vielseitige Künstlerin hat außerdem mehrere Bücher
herausgerbracht, u.a. ein Kinderbuch mit eigenen Illustrationen und zwei Bücher über ihre Erfahrungen im FRIEDENSDORF.
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Jedes Jahr veranstalte ich in vielen Städten
Charity-Ausstellungen für das FRIEDENSDORF.
Einmal, in Hiroshima, war Wolfgang vom FRIEDENSDORF dabei. Zu diesen Ausstellungen gehören
Fotos von FRIEDENSDORF-Kindern und OriginalGemälde aus meinem Bilderbuch, in dem ich
über das FRIEDENSDORF erzähle.
Die Ausstellung wird in Schulen, Museen,
Kaufhäusern, öffentlichen Gebäuden und
anderen Einrichtungen gezeigt.
Dabei verfolge ich zwei Ziele. Zum einen
sollen die Besucher der Veranstaltung auf die
wichtige Arbeit für den Frieden aufmerksam
gemacht werden. Gleichzeitig möchte ich
dabei auch Spenden für das FRIEDENSDORF
sammeln.
In Japan bildet sich dadurch ein immer größerer
Kreis von Menschen, die die Arbeit des FRIEDENSDORFES unterstützen, auch durch Spenden. Leider
hat sich die wirtschaftliche Lage in Japan immer
noch nicht verbessert….
Natürlich muss das große Ziel aber sein, dass
das FRIEDENSDORF irgendwann überflüssig wird.
Ich stelle mir das Lächeln von den Kindern
vor und wünsche mir ganz fest, dass dieser Tag
irgendwann kommt..
In diesem Jahr möchte ich sehr gerne wieder
das FRIEDENSDORF besuchen.
Auf unser Widersehen freue ich mich schon
sehr.
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Das FRIEDENSDORF
hat mein Leben verändert
Von Chizuru Azuma
Ihre/Eure Chizuru Azuma
›
à O®,
13
Haroon beim Roten Halbmond in Kabul (Foto: Friedhelm Zingler, NRZ)
Von Matthias Maruhn, NRZ
Kemal lacht etwas verlegen. Nickt dann. Und geht.
Ob er verstanden hat? Auch das würde ich nur zu
gerne wissen.
Dicke Verbände auf dünnen Armen
Ich muss noch einmal nach Kabul. Irgendwann.
Nein, besser bald. Ich muss einfach wissen, was
aus den Kindern geworden ist. Aus Bibi, die bei
einer Explosion ein Auge einbüßte, aus Achmed, dem sieben Finger fehlen, aus Omar, der
beide Hände verlor. Wie leben sie, wenn sie leben? Wie geht es ihnen in ihrem Land, in dem
noch immer gekämpft wird? Denken sie an
Deutschland? Was denken sie dann? Als ersten
würde ich Haroon suchen. Den kleinen Haroon
mit der großen Klappe. Das Schicksal des Jungen
habe ich für die NRZ über ein Jahr lang verfolgt. Ihn im Krankenhaus in Prüm besucht,
zuletzt im FRIEDENSDORF kurz vor seinem Rückflug nach Afghanistan. Haroon müsste jetzt
auch schon um die 14 sein. Da die Ärzte in der
Eifel sein von einem Bombensplitter lädiertes
Bein retten konnten, hat er sich inzwischen
vielleicht schon seinen großen Traum erfüllt.
Ein Moped. Oder hat er inzwischen ganz andere
Sorgen, ganz andere Träume?
Das würde ich nur zu gern wissen.
An den Tag, an dem ich Haroon zum ersten
Mal sah, kann ich mich sehr genau erinnern. Es
ist der 14. Dezember 2001. Drei Monate zuvor,
am 11. September, war die Welt in New York
bis ins Mark erschüttert worden. Alle waren
nervös in diesen Tagen, beunruhigt, wie es wohl
weitergehen mag. Ich war viel für die NRZ unterwegs in dieser Zeit. Zunächst im Oktober im
Sudan. In Khartum hatten alle Angst, dass die
Amerikaner den „Schurkenstaat“ wieder bombardieren würden, wie sei es drei Jahre zuvor
mit einer Fabrik in der Nähe der Hauptstadt
gemacht hatten. Auf den Brücken mussten wir
nachts die Scheinwerfer der Autos abdunkeln,
Über fünf Jahre sind vergangen. Ich war in anderen
Kriegen. In Bagdad, in Nord-Uganda und im SüdSudan. Aber die Erinnerung an diese Tage im Winter
2001 reist immer mit. Die Erinnerung an die Kinder
von Bentiu, New York und Kabul. Ich hab mich in
diesen Tagen verliebt, endgültig. In den Frieden.
Und in die Idee vom FRIEDENSDORF.
um nicht das mögliche Zielobjekt für den Feind auszuleuchten. Im Süden, in Bentiu, wo wir dann eine Woche verbringen, geht es auch um
Krieg, ein anderer zwar, aber auch einer, der schon seit Jahren tötet,
eben wie in Afghanistan. Hier kämpfen der Norden gegen den Süden,
Moslems gegen Christen, Viehzüchter gegen Farmer. Im meiner Lehmhütte liege ich die ganze Nacht wach, weil sich zwei Rebellen-Armeen
im Streit um eine Herde mit Granaten beharken. Meine Hütte wird
nicht getroffen, aber andere. Am nächsten Morgen sind 30 Menschen tot.
Die meisten sind Zivilisten, viele Kinder.
Anfang Dezember war ich dann in New York, habe mit den Arbeitern
im Trümmerfeld der Türme gesprochen, mit Polizisten, Feuerwehrmännern und Michele Buffalino, einer junge Frau voller Trauer, deren Mutter am 11. September im 90. Stock arbeitete. Ich habe an der TrauerWand gestanden, einem Ort voller Blumen, voller Kerzen, voller Briefe.
Briefe von Hinterbliebenen . „Daddy, ich vermisse dich so“, steht auf
einem. Und fast alle, die ihn lesen, schauen danach lange auf den Boden.
Das sind die Bilder, die ich im Kopf habe, als ich sieben Tage später im
Hof des Roten Halbmonds in Kabul neben der Trage stehe, auf der Haroon liegt und mit großen Augen angstvoll auf die Fremden blickt. Seine
Familie kniet neben ihm. Die Mutter und die Tante tragen Burka, aber
die Erleichterung ist dennoch an ihren Gesten erkennbar. Der Junge,
das wissen sie inzwischen, wird nach Europa gebracht. Die letzte Hoffnung, dass er nicht an seiner Knochenentzündung sterben muss. Zuvor
war in einem kleinen Raum die Entscheidung getroffen worden, welches Kind mitfliegt und welches nicht. Ein furchtbares Unterfangen, das auch Ronald Gegenfurtner noch zusetzt, wie er
später sagt, obwohl der Mann das ja schon seit Jahren macht. Für die drei Journalisten im Raum
aber, die wir keine Routine haben, ist die Begegnung mit dem Leid unerträglich. Nichts berührt
einen Menschen mehr als der Anblick zerstörter Kinderleiber. Erst recht, wenn Bomben oder
Minen dafür verantwortlich sind. Wenn Dr. Marouf die Verbände entfernt und so den Blick freigibt auf eiternde, offene Wunden, auf Stümpfe und Knochensplitter, wenn dazu die Kinder vor
Schmerzen wimmern, dann geht ein Stich durch das Innere des Betrachters, den er nicht mehr
vergessen, den er für immer spüren wird. Noch im selben Moment kommt die Wut. Das instinktive
Ballen der Faust. Die möchte man so gerne mit aller Kraft auf den Tisch donnern, nicht hier, sondern auf alle Schreibtische, an denen Marschbefehle und Bombardements unterschrieben werden,
auf alle Kasino-Tische, an denen sich Piloten und Minenleger abends ein Bier auf den erfolgreichen Einsatz schlucken. Für einen Moment bin ich ganz gerechter Zorn. Für einen Moment weiß
ich, wie man die Kriege der Welt beenden könnte. Setzt sie hier für eine
Stunde in den Raum, die Generäle und Gefreiten, die Attentäter in Zivil,
lasst sie zusehen, wenn dicke Verbände von dünnen Armen gewickelt
werden. Viele, sehr viele.
Schon am Tag zuvor hatte mich Ronald ins Grübeln gebracht. Und zwar
bei einem Gespräch mit den Mädchen und Jungen, die nach ihrer Behandlung in Deutschland jetzt zurückgekehrt waren und an die Familien
übergeben wurden. Kemal steht da vor ihm, so ein Schlacks von zwölf
Jahren, fünfmal ist sein Arm operiert worden. Die Eltern stehen hinter
ihm, sichtlich gerührt und glücklich, ihr Kind geheilt in die Arme schließen zu können. Gegenfurtner nimmt Kemals Hand in seine, schüttelt sie,
schaut Kemal in die Augen und sagt: „Und mit dieser Hand packst du
kein Gewehr an, verstanden. Geh lieber zur Schule, lern was, sei lieb.“
Haroon im FRIEDENDSDORF
15
>>
„Solange ich atme, hoffe ich.“
Von Marion Suhr-Mäurich, die seit 25 Jahren selbständig japanische Medien im deutschsprachigen Raum betreut.
A
ngola im August/September 1994: Keines
unseres TV-Teams war bislang in einem kriegzerrütteten, ausgebeuteten, ausgehungerten
Land dieses Ausmaßes gewesen. Über von
Schlaglöchern durchsiebte Strassen fuhren wir
an einer Kulisse von zerfallenden Hütten, von
Granaten markierten Wohngebäuden und
einem regen Treiben in den Straßen in Richtung
Krankenhaus, welches sich bei kurzer Betrachtung von den umherstehenden, g eschändeten
Gebäuden in keinster Weise unterschied.
Im Krankenhaus, wo wir uns nun fast 8 Tage
aufhalten sollten, verschlug es uns den Atem.
Die Kinder lagen zum Teil in den Fluren auf
dünnen Decken; die Betten waren überfüllt.
Verletzte Kinder lagen fast reglos auf durchgelegenen, schmutzigen Matratzen. Mütter kochten
ihren Fisch neben den Betten auf dem Boden.
Es lag Blut und Erbrochenes auf den Gängen
und Fliegen tummelten sich auf den Wunden
und im ganzen Raum. Ein Mix von Eiter, Fisch
und Urin lag überall in der Luft.
Es gab kaum saubere Verbände oder unbeschädigtes Inventar. Gab es einen Krankenwagen?
Ja, aber einen ohne Räder vor dem Haus, der
sich somit nicht wegbewegen konnte. Röntgengeräte ? Ja, aber keine Filme, die man damit
belichten konnte. In uns breitete sich eine
Hilflosigkeit aus, die uns fast ohnmächtig
werden ließ.
Als der Kameramann seiner Notdurft nachging,
sah ich wie er unverrichteter Dinge die Toilette
wieder verließ und hinter dem Haus verschwand.
Die hygienischen Verhältnisse - unvorstellbar.
Es waren Eindrücke, die sich einbrannten und
einen nicht mehr los ließen, auch nicht im Schlaf.
Der Kameramann, der durchgehend durchs
Okular sah, musste ständig würgen. Da half
abends nur noch der stärkste Whisky, um im
Tiefschlaf zu verbleiben. Wir bewunderten
Ronald, mit welcher Routine und Ruhe er sich
tagtäglich an die Arbeit machte, scheinbar unberührt von den Unzulänglichkeiten und dem
Chaos ringsherum. Darin sahen wir auch für
uns einen Weg – und hegten gleichzeitig die
Hoffnung, dies auch in unseren Filmbeitrag
rüberzuretten.
Es war Zeit Angola zu verlassen, die nachhaltigen Eindrücke zu verarbeiten und sich auf die
Dreharbeiten in Deutschland vorzubereiten.
Dies viel uns jedoch schwer, bei dem Gedanken
an die Kinder, die nicht mit uns fliegen konnten.
eines Waisenhauses für ca. 200 Mischlingskinder
waren. Kinder, die eigentlich keine Waisen waren,
sondern aus Beziehungen amerikanischer GIs zu
Prostitu ierten stammten. Die GIs verließen Japan
und die Kinder waren sich so selbst überlassen.
In Deutschland angekommen, wurden die Kinder, die einer sofortigen medizinischen Behandlung bedurften, mit Krankenwagen in die jeweiligen Krankenhäuser gefahren. Hier erfuhr
ich im Nachhinein, dass der Kameramann, der
einen kleinen Jungen nach Lahnstein im Krankenwagen begleitete, seine Not mit einem
sprachlichen Missverständnis hatte. In Lahnstein
angekommen, stieg der Kameramann voller
Entsetzen aus dem Krankenwagen und berichtete mir, dass der Fahrer doch tatsächlich eine
Mittagspause einlegen wollte, obwohl er ein
schwer verletztes Kind an Bord hatte. Der
Fahrer wollte wohl aus Höflichkeit eine Konversation mit dem Kameramann führen und
sagte: „We are on our way to Lahnstein“. Der
Kameramann verstand jedoch „Lunchtime“.
Bei der Recherche nach einer Hilfsorganisation
stieß ich auf FRIEDENSDORF INTERNATIONAL und
wurde neugierig. Der Name hatte etwas Verbindendes, was meine Aufmerksamkeit erregte, da
ich mit der Friedensbewegung sympathisierte.
Nach Durchsicht der Unterlagen über die Arbeit
des FRIEDENSDORFES wusste ich: Hier bist du richtig,
das ist es und nichts anderes. Der Vorschlag wurde
ohne Bedenken von NHK akzeptiert, und ich
machte mich mit meinen Recherchen an die
Arbeit. Die Arbeit ging nur schleppend voran,
da wir eine Menge Fragen hatten und vor allem
an einem Auslandseinsatz teilnehmen wollten –
wir wussten ja zu dem Zeitpunkt noch nicht,
mit wie wenig festem Personal im FRIEDENSDORF
gearbeitet wurde.
Wie kam Ich eigentlich dazu mich auf so ein
Abenteuer einzulassen, ja es war ein solches,
wenn auch mit ernstem Hintergrund.
Es war 10 Uhr morgens am 8.August 1994, als
das japanische TV-Team nun endlich das Gelände des FRIEDENSDORFES zum ersten Mal betrat.
Dorf ? Es standen einige Leichtbauhäuser und
Als wir am 1. September den Strand der Haupt- 1994 als der japanische, öffentlich-rechtliche
aus einem dieser Häuser kam ein Mitarbeiter
Sender NHK einen Beitrag über „Ehrenamtstadt Luanda mit unserer Kamera festhielten,
heraus, der unser Team begleiten sollte. Er
um auf die Plastikminen aufmerksam zu machen, ler“ produzieren wollte, kam die Anfrage auf
führte uns in das Haus, aus dem er gekommen
meinen Schreibtisch. Meine Richtung für die
die dort angeschwemmt wurden, nahm uns die
war. In dem engen Flur standen Pappkisten,
angolanische Miliz fest und brachte uns für ein Recherchen waren klar: Es musste etwas sein
Stühle, alle möglichen Dinge. Wir kämpften uns
mit Kindern. Zum einen, weil Japaner Kinder
paar Stunden hinter Gitter. Angeblich hätten
mit unserer Technik in den Armen durch. Hinwir einen Soldaten mit Gewehr aufgenommen, lieben und zum zweiten waren da meine Eltern, ter einem Berg voll Akten blickte ein bärtiger,
die früher in Japan lebten und Mitbegründer
was verboten war.
sehr freundlicher Dorfleiter uns an. Es war
Kinder im Krankenhaus in der angolanischen Hauptstadt Luanda
17
>>
Ronald Gegenfurtner und neben ihm, ebenfalls
von Akten verdeckt, saßen Wolfgang und Beate.
Wir wurden gleich sehr herzlich empfangen und
wunderten uns, wie überhaupt in dem kleinen
Raum noch Platz für uns war. Wir nahmen
unsere Arbeit auf. Lernten die Kinder kennen
und hatten sofort unser Herz an sie verloren.
Journalisten nerven bekanntlich, doch Wolfgang
half uns mit Charme und viel Geduld bei allen
unseren Fragen und Bitten. Alles lief auf einmal
reibungslos und wir hatten das gute Gefühl, der
Film würde gelingen.
Herr Phung, der sich mit Eifer um unsere Einreisegenehmigung nach Angola bemühte und
Ronald, der auf unsere Fragen immer eine passende, förderliche Antwort parat hatte, unterstützen unser Vorhaben tatkräftig.
Und nicht zuletzt waren da die Kinder. Der
Anblick der Wunden ließ uns das Blut in den
Adern gefrieren. Nie zuvor hatte irgendeiner
von uns so etwas gesehen. Wir begleiteten die
beiden angolanischen Mädchen Theresa und
Palmira zusammen mit der Ehrenamtlerin Angela in die Reha. Wir beobachteten genau wie
Dieu aus Vietnam unter Tränen an ihrem Fixateur die Schrauben anzog, wie Dr. Meier die
vereiterten Wunden behandelte. Wir besuchten
den kleinen Manuel im Krankenhaus, dem man
nicht mehr helfen konnte, weil die Leukämie
ihn bereits im Griff hatte. Es zerbrach uns allen
das Herz. Dieses alles war die Realität, die
schwer zu akzeptieren, zu begreifen war. Wer
konnte so etwas Kindern antun?
Und dennoch gab es in diesem Leiden auch
viel Hoffnung. „Dum spiro, spero. “Solange ich
atme, hoffe ich”.
Wir begriffen schnell, dass mit der unendlichen
Güte, Liebe und Einsatz der Ehrenamtler und
der aufopfernden Hilfsbereitschaft der festen
Mitarbeiter diesen Kindern geholfen werden
konnte und sollte.
Diese Erfahrungen, das Gesehene und der
herzliche, freundschaftliche Kontakt zu den
Mitarbeitern des FRIEDENSDORFES, den Kindern
und Ehrenamtlern, ließen mich nicht mehr los,
und es entwickelte sich eine tiefe Bindung, die
bis heute anhält.
und wir konnten unsere Arbeit aufnehmen.
Der Chef von „TV-Man-Union“ war plötzlich
begeistert. Die Einschaltquoten bestätigten das
Gefühl – es war ein Riesenerfolg. Seitdem
folgten weitere Sendungen und die Brücke
zwischen Japan und dem FRIEDENSDORF war geschlagen. Zahlreiche Anfragen, wie und womit
man helfen könne, trafen im Sender ein. Es
meldeten sich auch junge Japaner, die nach
Deutschland kommen wollten, um selbst tatkräftig die Arbeit des FRIEDENSDORFES zu unterstützen. Die nachfolgenden Dreharbeiten in
Angola und Afghanistan zeigten aber auch ein-
drücklich, das ein Frieden, ein normales Leben
für die Menschen dort noch in weiter Ferne zu
liegen schien. Ein Frieden ohne Entwaffnung
der verfeindeten Gruppen ist undenkbar und
ohne Frieden gibt es auch keinen Wiederaufbau in diesen Ländern.
Das FRIEDENSDORF hat sich in all den Jahren zusehends verändert. Es gibt jetzt ein „neues
Dorf“, mit mehr Raum für die Kinder und Mitarbeiter. Mit einer Infrastruktur, die es ermöglicht die anfallenden Aufgaben noch besser zu
bewältigen. Das ist umso wichtiger, solange es
Länder gibt, wo die Demokratie mit undemokratischen Mitteln und die Menschenrechte
mit Menschen verachtenden Mitteln verletzt
werden. 40 Jahre FRIEDENSDORF sind 40 verlorene
Jahre ohne Frieden.
Ich wünsche allen „Friedensdörflern“ von Herzen
die Ausdauer und Seelenstärke, alle Hindernisse
bewältigen zu können und Ihre Arbeit zum
Erfolg zu führen. Ohne Euren beispiellosen
Einsatz wäre diese Welt um Vieles ärmer!
Ich gratuliere zum 40. Geburtstag.
Vor ca. acht Jahren bot sich erneut die Gelegenheit, eine Sendung über das FRIEDENSDORF zu
machen. Wolfgang, zu dem ich zwischenzeitlich
eine herzliche Freundschaft entwickelt hatte,
teilte mir mit, dass ein blinder Origamikünstler
das Dorf besuchen wollte. Ich schlug das Thema
der japanischen Produktionsfirma „TV-ManUnion“ vor, mit denen ich schon längere Zeit
zusammenarbeitete. Die Idee fand keine große
Resonanz, da es nicht in das Sendungskonzept
hineinpasse - es wäre zu wenig „Entertainment“
im Spiel. Ich hielt aber beharrlich an der Idee
fest, in der Hoffnung, doch noch überzeugen zu
können. Nach zwei weiteren Jahren unermüdlichem Verhandelns konnte ich den ersten Erfolg verbuchen. Ich hatte einen Mitstreiter in
der Firma gefunden, den Regisseur Tsuyoshi
Kawahara. Nun waren die Weichen für eine
neue Sendung über das FRIEDENSDORF gestellt
Krankenhaus in Luanda
Marion Suhr-Mäurich mit japanischem TV-Team vor
der Dinslakener Zentrale des FRIEDENSDORFES
19
Die Zeit von 1967 - 1975
Von Peter Stöbe, Leiter des FRIEDENSDORFES von 1971-1975
40 Jahre Friedensdorf!
A
m Juni 1967 tobte im Nahen Osten der 6-TageKrieg. In dieser Zeit gründete sich in Oberhausen
eine Bürgerinitiative mit dem Ziel, kriegsverletzte,
erkrankte oder verwaiste Kinder aus Israel nach
Oberhausen zu holen, medizinisch zu versorgen
und zu betreuen. Diese Kinder sollten bis zu einem
Frieden im Nahen Osten in Oberhausen bleiben
und dafür sollte ein Kinderheim errichtet und
unterhalten werden. Die Finanzierung dieses Vorhaben sollte ausschließlich über Mitgliedsbeiträge
und Spenden erfolgen.
Peter Stöbe
Zu diesem Zweck wurde im Juli 1967 der Verein
„Kinder in Not Oberhausen“ gegründet, dem
die damalige Oberbürgermeisterin Luise Albertz
als Vorsitzende angehörte. Damals hatte der
Verein gerade mal 10 Mitglieder. Zeitgleich
wurde mit dem Bau des Kinderdorfes in Oberhausen begonnen.
Zunächst musste das Gelände am Brink, das von
den Hüttenwerken Oberhausen zur Verfügung
gestellt wurde, für den Bau des Kinderdorfes
urbar gemacht und erschlossen werden. Dann
wurden die Häuser in Fertigbauweise erstellt.
Nachdem feststand, dass Israel die geplante Hilfe
nicht benötigte, beschloss man, die angelaufene
Hilfsaktion nach Südvietnam zu verlagern.
Daraufhin wechselte in den ersten Dezembertagen 1967 der Vorstand. Die alten Vorstandsmitglieder schieden aus, und es wurde ein neuer
Vorstand gewählt. Den Vorsitz übernahm der
Gemeindepfarrer von Oberhausen-Schmachtendorf, Fritz Berghaus.
Noch im Dezember 1967 kamen die ersten, zum
Teil schwer verletzten, Kinder aus Südvietnam.
Im Dezember 1968 wurde die Satzung völlig neu
gefasst, der Verein in „Aktion Friedensdorf
Oberhausen“ umbenannt sowie ein 9köpfiger
Vorstand unter der Führung von Pfarrer Fritz
Berghaus gewählt. Außerdem wurde ein Beirat
ins Leben gerufen. Pfarrer Berghaus hoffte, damit
alle Richtungen der inzwischen auf einige Hundert Mitglieder angewachsenen Bürgerinitiative im Vorstand und Beirat vertreten zu haben.
Aber es gab unter den Mitgliedern zu viele
Meinungen darüber, wie man am besten den
Kriegsopfern helfen sollte. Auch die Führung
des Vereins und des Kinderdorfes wurden öfters
heftig kritisiert. Immer wieder schieden deshalb
Vorstandsmitglieder oder ehren- und hauptamtliche Mitarbeiter aus.
Die Mitglieder waren Menschen, die es für ihre
Christenpflicht hielten, etwas für diese Kinder
zu tun. Ferner engagierten sich politisch motivierte Personen und Persönlichkeiten, Jugendgruppen, Kirchengemeinden, Journalisten,
Schulklassen, Künstler, Krankenhäuser, Ärzte,
Architekten, Behörden, die Air France, Rettungsdienste, Banken, Geschäftsleute, Kindergärten, Soldaten, jugendliche Strafgefangene,
Kriegsdienstverweigerer, und viele, viele andere die mithalfen, die Idee des „FRIEDENSDORFES“
in die Tat umzusetzen:
Vor allem war wichtig, Gelder aufzutreiben.
Wir brauchten damals ehrenamtliche Ärzte,
die in Südvietnam die Kinder aussuchten, denen
in Deutschland geholfen werden konnte. Wir
mussten in Vietnam Kontakte zu den dortigen
Spatenstich für
ein FRIEDENSDORF
in Vietnam
Behörden, der Polizei und zum Militär aufbauen, damit wir zu den Kindern
auch hin konnten, die dringend unsere Hilfe benötigten. Es wurden in
Deutschland Freiplätze in Krankenhäusern gesucht und gefunden. Die
Air France transportierte die Kinder kostengünstig nach Deutschland.
Außerdem mussten wir so schnell wie möglich in Südvietnam Rehabilitationseinrichtungen schaffen, um vor Ort Hilfe leisten zu können, Vietnamesen in Deutschland in Heil- und Sozialberufen ausbilden und diese
in Oberhausen und Vietnam einsetzen. Auch galt es in Vietnam die Nachversorgung der zurückgebrachten Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten. Dafür errichteten wir in Saigon und Dalat Hilfsstationen. Es galt
Maschinen, die für die Herstellung von orthopädischen Hilfsmitteln benötigt wurden, Medikamente, Lebensmittel, Kleidung, Verbandsmaterial,
Fahrzeuge, Baumaterial usw. entweder vor Ort zu beschaffen oder auf
den Weg dort hin zu bringen.
Es gab in Deutschland keine Erfahrung für die Versorgung und Betreuung
südvietnamesischer Kriegsopfer im Kindesalter in Deutschland und in
Vietnam, deshalb tat sich das „Friedensdorf“ recht schwer bei der Verwirklichung seiner Ziele und es wurden viele Fehler gemacht.
Das Friedensdorf hat bis zum Kriegsende im April 1975 etwa 300 – 400
Kinder und Jugendliche aus Vietnam nach Deutschland geholt und ihnen zu einem menschenwürdigen Dasein verholfen, d.h. sie wurden medizinisch versorgt und rehabilitiert. Die meisten dieser jungen Menschen
hätten in Vietnam nicht überlebt.
In Vietnam selbst wurden in unseren Hilfsstationen und in Flüchtlingslagern und Krankenhäusern tausende von Kindern und Jugendlichen
und Erwachsenen ambulant betreut und versorgt.
Das zählt für mich und auch für die, die während des Vietnamkrieges in
Oberhausen oder Vietnam mit dabei waren, den geschundenen Menschen
in ihrer Not beizustehen und zu helfen.
1983 übernahm Ronald Gegenfurtner, der zu meiner Zeit als ehrenamtlicher Helfer und Zivilsdienstleistender im Friedensdorf gearbeitet hat,
die Geschäftsführung des FRIEDENSDORFES und führte den Verein aus der
Dauerkrise und neuen Aufgaben zu. Der inzwischen verstorbenen Fritz
Berghaus hatte den Traum, 100 Friedensdörfer überall dort zu errichten,
wo Kinder unter den Kriegsfolgen zu leiden haben.
Inzwischen gibt es über 100 verschiedene Hilfseinrichtungen
des FRIEDENSDORFES in aller Welt.
Hilfseinsatz in Vietnam
21
Besuch bei einer traurigen Berühmtheit
Das erste Kind des Bauarbeiters
Ferien in Vietnam funktionieren nicht, ohne die Geschichte
des Landes begreifen zu wollen
Die Neunte ist im Bau. Acht Gesundheitsstationen
des FRIEDENSDORFES helfen bereits in Kambodscha
(Ho Chi Minh City, Vietnam, Januar 2007)
(Siem Reap, Kambodscha, April 2006)
33 Grad, stickige Mittagshitze. Der Fahrer lässt uns raus am Eingang
von TuDu 1, 15.000 Dong wechseln den Besitzer. 15.000 Dong
(0,75 Cent) für eine zwanzig Minuten-Fahrt. Schranke hoch, wir
kämpfen uns durch die Massen der Patienten. Ein Riesenhospital,
Moloch der Kranken. 150 Meter rechts, gleich hinter der lauten
Kantine, in denen um diese Zeit die Vietnamesen Nudelsuppen
zu Hektolitern schlürfen, wird es ruhiger.
20 Kilometer können Wege zwischen Welten bedeuten in Kambodscha. Die Tempel von Angkor Wat sind Weltkulturerbe, und jeden
überkommt eine Gänsehaut, nähert man sich den 1100 Jahre alten,
verwunschenen Urwaldbauten. Die Provinzhauptstadt Siem Reap
boomt durch sie, ausländische Investoren lassen Hotels wie Paläste
entstehen, doch nehmen sie die Gewinne oft wieder mit. Das Land
bleibt arm und den Kambodschanern die Billigjobs. Kaum fünf Kilometer außerhalb der Touristenmeile ist auch das weg: Biermädchen,
Diskolichter, Swimmingpools, das Rauschen der Klimaanlage in den
Restaurants und Edelzimmer, in denen man in einer Woche die Baukosten einer Basisgesundheitsstation verwohnen kann - alles eingetauscht gegen Staub und Land, das „eben nur fast“ minenfrei ist.
Wer hier bauen will, zahlt für Trupps, die die gefährlichen, tief eingesackten Überbleibsel der 27 Jahre alten Frontlinie aus dem Boden
graben. Überbleibsel aus den Kriegen der „Khmer Rouge“, kaum
sauberes Wasser, kein Strom – so kennt der Tourist „sein Kambodscha“ wohl kaum.
Die Treppe hoch, bescheidene Behandlungszimmer, weiße Kacheln,
eine Schwester, die neue Wattestäbchen von Hand dreht, ein paar
Stufen noch, Ankunft. Hier, abseits der Hektik auf drei Stockwerken
in einem großen Anbau ist das FRIEDENSDORF, Lang Hoa Binh, Saigon!
Am Rande
der Schöpfung
Von Uli Preuss, Solinger Tageblatt
Es sind oft die kleinen Geschichten, die uns anrühren.
Überall auf der Welt. Seitenblicke auf sechs Einsätze
mit dem FRIEDENSDORF.
Besuch aus Deutschland, Lächeln, Freude, willkommen - die Kinder essen gerade. Kinder, denen man das Entlaubungsmittel, das
ihre Mütter wiederum als Kinder einatmen mussten , ansieht.
Kinder, die deformierte Körper haben, geschickt mit den Füßen
malen - mit halben Armen, halben Händen, halbem Gesicht –
spielen, schreiben, essen oder gefüttert werden müssen. Einer
kommt angelaufen, streckt ungelenk seine Hand aus: Hier, bitte,
eine halbe Mandarine für meine Frau. Auch im Lang Hoa Binh
wird gegessen und nach der Reissuppe gibt es ganze Früchte – der
Kleine teilt sie.
Zwei Räume weiter liegt eine kleine Berühmtheit. Ich weiß, kein
gutes Wort für ein Mädchen, das keine Augen, nicht einmal Augenhöhlen hat. Nur Haut ist da zu sehen, die Stirn geht bis an den
Nasenansatz. Ein Star ist sie seit Oktober trotzdem. Das US-Magazin „National Geographic“ zeigte ein seitengroßes Bild von ihr
in einem ausführlichen Beitrag über Umweltgifte. Ein guter, ein
wichtiger Beitrag, Rechtfertigung für die Fotografie einer Verzweifelten - vielleicht. Die Kleine leidet am Fraser Syndrome,
Auswirkungen von Dioxinen wie Agent Orange – 32 Jahre nach
Ende des Krieges. „Mein Gott“ wird am Abend ein Mitreisender
im Hotel fragen, „immer noch?“
bar (!) entbinden, gebären ihre Babys nicht mehr auf schmutzigem
Hüttenboden. Die kleine Satia Roth kam im Dezember in der neuen
Basisgesundheitsstation zur Welt. Ein süßes Baby, das durch seine
Geschichte so sehr verdeutlicht, wie wichtig die FRIEDENSDORF-Arbeit
hier in Kambodscha ist. Satia ist das erste Ergebnis einer jungen
Liebe zwischen einem Bauarbeiter und einer jungen Dorfbewohnerin. Chet On, Arbeiter, irgendwo aus dem weiten Kambodscha
kam nach Krabay Riel, fand Arbeit am FRIEDENSDORF-Neubau, lernte
Chou Leap, die junge Frau kennen aus dem Dorf kennen. Die
junge Familie ist schnell gegründet. Man lebt nahe der Gesundheitsstation im kleinen Pfahlbau. Dort gibt es Nachbarn, Wasser
und – neuerdings – medizinische Versorgung für Eltern und Kind.
In Krabay Riel steht die siebte von acht Gesundheitsstation, die die
Oberhausener ins arme Land gebaut haben. Drei Kilometer abseits
einer Straße mit wannentiefen Schlaglöchern, der Hauptverbindung
zur thailändischen Grenze. 12.000 Kambodschaner werden hier in
dem neuen, freundlich frischen Bau medizinisch versorgt. Davor gab
es dafür ein stickiges, altgraues kanadisches Armeezelt, davor wiederum gar nichts. Draußen neben der 10 mal 18 Meter großen Sanitätsstation steht ein neuer Brunnen. Tief gebohrt spendet er frisches
Grundwasser, jeden Tag, immer sauber. Leider keine Selbstverständlichkeit, zwanzig Kilometer außerhalb einer Stadt, die gut eine Millionen Touristen jährlich durch die Tempel schleust. Hier in Krabay
Riel ist man froh, seit im Sommer die Station eröffnet wurde. Bauern
lassen ihre Verletzungen versorgen, Medikamente gibt es in der
kleinen Apotheke, vorher war sie unerreichbar in der Provinzhauptstadt. Kinder werden geimpft, Eltern kommen zur Schwangerschaftsberatung. Mütter können jetzt hygienisch sicher und bezahl23
(Solingen, Colombo,
2005 nach der „Welle“)
Von Enkeln, die keine Opas mehr haben
Zwei Tage nach der „Welle“ startete das FRIEDENSDORF den ersten Hilfsflug nach Sri Lanka.
Der kleine Fotograf
(Kabul, Afghanistan, Dezember 2000)
Von wegen, der Krieg ist aus – es war seit 22 Jahren nie mehr friedlich in Afghanistan
Es war bitterkalt an diesem Morgen, wie immer um diese Jahreszeit in den afghanischen Bergen. Doch in der Mittagssonne knöpfen die Helfer die
Jacken auf, bärtige Männer legen ihre Umhänge ab. Heute war für die aufgeregten, kleinen Patienten der Tag der Abreise. Am Nachmittag würden sie in
diesem türkischen Airbus sitzen, der schwerfällig auf der Militärbase Bagram starten wird, weil Kabul International Airport immer noch zerschossen ist.
Zwei Busladungen Kinder auf dem Wege der Besserung. Nun, gut, es könnten mehr sein, aber die Radiostationen, lange verboten unter den Taliban,
funktionierten noch nicht so richtig und Eltern aus den weiter entfernten Landesteilen wussten nicht einmal, das das FRIEDENSDORF mit dem Kriegsende
eine Sondermaschine geschickt hatte.
Im Hof hockte ein kleiner Junge, in der Art, wie die Männer zu hocken pflegen. Ein wenig schwingend, den Körper wippend durch die angewinkelten
Knie gehalten, Ellbogen auf den Oberschenkeln abgestützt. Bequem, lässig. Seine beiden Hände waren frisch verbunden. Schon am Morgen hatte ich
ihn gesehen, als Marouf, der Doktor, und FRIEDENSDORF-Leiter Ronald Gegenfurtner den Kleinen untersucht hatten. Klaglos, absolut klaglos hatte
er zugelassen, dass ihm die Männer den alten Verband der rechten Hand abnahmen. Darunter frisches, rohes Fleisch und – ein letzter Finger.
Wie mahnend stand er aus der Handwurzel heraus, der Finger, mit dem Fotografen immer auslösen. Den Rest hatte die Mine mitgenommen.
Hier auf dem Hof hatte der Junge nur noch Augen für den Fotoapparat, den ich umgelegt hatte. Irgendwann hockte ich mich neben ihn, nahm die
Kamera ab und zeigte sie ihm. Vergessen waren für einen Moment die Verletzungen. Seine Augen wurden groß, so ein tolles Ding hatte er noch
nie gesehen, geschweige denn berührt. Dabei war sie eine abgespeckte Version, kein Motor, kein Sucher – unauffällig. Hier in Kabul schoss man
in diesen Tagen – mit der Kamera - besser aus der Hüfte, lästige Fragen vermeidend.
Ich stellte die Nikon ein, zeigte dem Jungen, wo er durchschauen sollte. Nahm behutsam seinen Arm, seinen Finger, den, mit dem Fotografen immer
auslösen und legte ihn sanft auf den Auslöser. „Kaalick“ machte es. Ein Lachen befreite den spannenden Augenblick, für einen Moment war die
Hand wieder brauchbar gewesen.
Ronja hat viele Buntstifte in der Schreibmappe,
rote, blaue, gelbe – 20 Stück sind es bestimmt.
Seit dieser Woche weiß die Klassensprecherin der
Grundschule Westersburg, dass die Kinder auf
Sri Lanka keine Buntstifte mehr haben. Die sind
einfach weggeschwommen, zusammen mit den
Häusern, mit Mamas und Papas und Opas auf
Sri Lanka. Ronja und die Kinder der Solinger
Schule haben die Reportage über den FRIEDENSDORF-Transport gelesen. „Die Kinder wollen jetzt
unbedingt etwas tun“, sagt Schulleiterin Birgit Weise.
Vier Tage zuvor haut der Flugkapitän seine riesige
Pranke auf die Weltkarte. „Das da“, und damit
meint er in 20.000 Fuß Höhe über dem Indischen
Ozean ganz Asien, ganz Afrika und ganz Europa,
„ist mein Arbeitsplatz. Der bärbeißige Russe fliegt
die schwere Antonov des FRIEDENSDORFES. Routine
für ihn, der auch Kinder hat, die er allerdings nur
drei, vier Mal im Jahr zu sehen bekommt.
Am Flughafen Colombo wird abgeladen. 60 Tonnen
medizinische Dinge, die bald Leben retten werden –
besonders in den vernachlässigten Bürgerkriegs-
gebieten. Schneller als alle anderen aus der Bundesrepublik ist
die FRIEDENSDORF-Hilfe vor Ort gewesen. Als alle noch diskutierten, halfen die Friedensengel aus dem Ruhrgebiet bereits. Ganz
besonders mit Hilfe dreier Kommunen. Bürger aus Städten wie
Solingen, Aschaffenburg und Oberhausen können sich freuen,
wirklich Menschenleben gerettet zu haben. Denn als die Hilfskonvois den Norden erreichen, wird dabei eine ganze Insel entdeckt,
deren schwerstverletzte Dorfbewohner schlichtweg vergessen worden
waren. Im Nordosten hindern Straßensperren die Lastwagen an
der Weiterfahrt. Bürgerkrieg ist Bürgerkrieg – leider auch nach
der Welle. Nur langsam geht’s vorbei an den Wassermassen, vorbei an Kirchen, Schulen, Zeltstädten, die allesamt den Flüchtlingen als Unterschlupf dienen. Hier sind die untergebracht, die immer noch nicht fassen können, was am 26. Dezember um 9.20 Uhr
über sie hereinbrach. Eltern, denen die Kinder fehlen, Opas, denen
die Enkel fehlen, Enkel, die gar nichts mehr haben.
Zurück im kleinen Hotel an der verschonten Nordwestküste genau
zum Jahreswechsel. Wer weiß, wie sie es geschafft haben, einige
deutsche Touristen haben doch tatsächlich Feuerswerkskörper
dabei. Und die gehen mit lautem Hallo los, gleich zwei Mal, denn
durch die Zeitverschiebung darf man doppelt gutgelaunt feiern.
Das Leben muss weitergehen, juchzen die einen. Die anderen sind
da stiller. „Nein“, sagt der Hotelmanager und lächelt. Für ihn gäbe es
in diesem Jahr kein „Burning up the money“. Aber wenn die Gäste es so wünschten, würde es ihn freuen, meint er höflich. Keiner
hier wird erfahren, das er gerade 12 (!) Angehörige verloren hat –
irgendwo an den Traumstränden der schönen Insel. Er lächelt weiter.
Sri Lanka braucht die Touristen, um bald wieder leben zu können.
Zurück in Deutschland. „Wir müssen was tun“, sagt der Verleger,
nachdem er die Geschichte des Reporters gelesen hat. 30 Minuten
später ist Sitzung in der Top-Etage! „Solingen hilft Sri Lanka“
wird geboren. 300.000 Euro werden zusammen kommen. Bald
darauf sammelt auch schon Ronja mit ihrer Spardose für neue
Buntstifte in Sri Lanka. Vielleicht, vermutet sie, tröste das die
Kinder, die ihre Opas und Omas nicht mehr haben.
25
(Luanda, Angola, November 2005)
Wasser ringsum, doch nie aus dem Hahn
(FRIEDENSDORF, Oberhausen, Januar 2005)
Wasser ist nicht überall trinkbar, dafür kann es einem manchmal gefährlich werden.
Zwei kleine Elefanten
Dr. Merholz gibt Mekak und Nurlan den Mund zurück
Nennen Sie es Blödsinn, aber wenn ich auf einem FRIEDENSDORF-Einsatz mitfliege, habe ich immer
eine kleine Flasche Wasser im Rucksack. Als Notration sozusagen - wenn keines da ist. Das beruhigt.
„Pah“ werden sie sagen, „Wasser gibt es nun wirklich überall.“ Recht haben Sie – nur: Was für Wasser?
Meinen Sie das Wasser, das im kleinen Hotel in Luanda aus dem Schlauch kommt? Nein, das können Sie als Europäer nicht trinken. Dann liegen Sie flach. Und schon gar nicht aus dem kleinen
Bach, der daneben durch die Slums fließt. Eine Kloake, wie sie schlimmer nicht sein könnte, und
dennoch spielen die Kinder darin. Hier in den Millionen-Slums wird das Trinkwasser in die Hütten
geschleppt, aus Brunnen, Teichen, Schläuchen und manchmal eben auch aus dem grauen, blubbernden Rinnsal.
Gerade erst im Januar 2007 kamen in Angola dann die verheerenden Regenfälle dazu und füllten
die Kloaken und die Lehmhütten plötzlich mit viel zu viel Wasser. Braunes, dreckiges Wasser, verseuchtes Wasser, ein Zeug, das stinkt, das krank macht, weil es Erreger mit sich bringt.
Nein, In Angola trinken alle (die es sich leisten können) abgefülltes Wasser aus Plastikflaschen.
Und achten dabei immer schön auf die alten Touristenweisheiten. Kein Eis in der Limo, kein abgewaschenes Gemüse essen. Ansonsten: Boil it or forget it! Damals in Sri Lanka. Übrigens auch so ein
Land, wo man Wasser dabei haben sollte. Oder eine frische Kokosnuss.
Also, damals in Sri Lanka. Da hatten sie plötzlich Wasser im Überfluss. Nennen Sie es zynisch. Aber
es war bald noch schlimmer als die Welle. Die kam zwar zuerst und jeder weiß, dass man Salzwasser nicht trinken kann. Aber die Brunnen an den Küsten waren plötzlich versalzen und deshalb gab
es kaum noch etwas zu trinken. Eine fast intakte Logistik wie an den zerstörten Touristenstränden
gab es dazu an den umkämpften Stränden von Batticaloa und Trincomalee kaum. Und dann kam
auch dort an der Ostküste der starke Regen, vier Tage nach dem Wasser vom Meer, das wiederum
aus dem Inland noch nicht abgeflossen war. Das Regenwasser und das Meereswasser – sie mischten
sich und überschwemmten neue, größere Flächen. Das Zeug war auch nicht trinkbar. Und das Wasser, das sich nach den überschwemmten Füssen in Teichen und großen Lachen ablagerte, barg eine
weitere Gefahr: Mückenlarven und mit ihnen Malaria. Und immer noch weit und breit kaum trinkbares Wasser. Mit ein Grund, warum auf der ersten FRIEDENSDORF-Maschine neben Medi-Kits Trinkwassertabletten waren. Mit ein Grund, warum man Wochen später die erste Trinkwasser-Aufbereitungsanlage im Nordosten in Dienst nahm.
In Kambodscha bohren die vom FRIEDENSDORF deshalb neben jeder Basisgesundheitsstation einen
Brunnen. Tief muss er sein, damit sauberes Grundwasser gepumpt werden kann. Rings herum gibt
es so etwas auf den Dörfern noch viel zu wenig. Dort sieht man sie noch, die Tümpel. Kinder spielen
darin, Rinder trinken darin, Enten grundeln darin und Mütter schöpfen Trinkwasser darin. Und in
den Hotels stehen für den Reisenden Wasserflaschen auf den Zimmern. Weil man auch in diesem
Land kein Wasser aus dem Hahn trinken kann. Niemals.
Übrigens – meine kleine Wasserflasche habe ich noch nie angerührt. Aber sie beruhigt.
(Solingen) Mekak und Nurlan kommen sechs Tage vor Weihnachten 2004 in die Lukas Klinik. Das
ist eine gute Zeit, Betten sind eher zu haben, weil
kaum ein Patient das heilige Fest im Krankenhaus
verbringen will.
Als einen Zustand „höchster Beglückung“ empfindet es Dr. Erich Theo Merholz, wenn er helfen
kann. Der Chefarzt der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie an der Solinger Klinik hat schon
mehr als 500 Kindern einen neuen Mund geschenkt.
Das ist sein Verständnis von „Christ sein“. Er
selbst operiert auch noch in Vietnam und Peru.
Ein kleines Hilfsprojekt, das er mit seiner Gemeinde selbst auf die Beine gestellt hat. Für das
FRIEDENSDORF ist er immer da, genau wie die katholische Klinikleitung, die sich trotz leerer Kassen
immer noch für den „Nächsten“ mitverantwortlich fühlt.
Mekak und Nurlan aus Georgien und Kasachstan
sind heute die „Nächsten“ Beide leiden an LippenKiefer-Gaumenspalten (LKGS). Dass so etwas
weit mehr mit sich bringt als ein zerstörtes Gesicht,
kann der Kieferchirurg eindrucksvoll beschreiben:
Speisen, die unweigerlich wieder aus der Nase herauslaufen, Menschen,
die ihrer intakten Sprache beraubt, auch des Hörens beraubt werden
und Kinder, die durch Infektionen im Mund- und Rachenraum permanent unter schmerzhaften Entzündungen leiden. „Der gemeinsame
Faktor heißt ARMUT“, ist sich Dr. Merholz sicher.
Die beiden Kinder seien nahe der Testgebiete der ehemaligen UdSSR
groß geworden und litten genau wie Kinder in Afghanistan, Kambodscha, Vietnam und Angola unter Mangel- und Unterernährung. Kein
Obst, belastetes Fleisch oder Gemüse, jeden Tag nur Hirse und Reis,
das bedeute nunmal schon während der Schwangerschaft der Mutter
einen eklatanten Mangel, beschreibt Dr. Merholz die Situation vom
Beginn der embryonalen Phase ab.
Oder Dioxin, das Teufelszeug, das die Amis als Agent Orange-Entlaubungsmittel auf Vietnam sprühten, belastet den fruchtbaren Boden
dort noch in den kommenden 100 Jahren. Aus Peru kennt Merholz
die Quecksilbervergiftungen bei Kindern in den Bergwerksregionen
der Anden. Alles zusammen erhöht das Risiko von Gesichtsentstellungen um ein Vielfaches.
Mekak und Nurlan haben sich jetzt von der Operation ein bisschen
erholt und dürfen durchs Haus laufen. Das sieht lustig aus! „Wir sind
zwei kleine Elefanten“, erzählen sie den verwunderten Gästen in der
Cafeteria, die die Weihnachtsbesuche gerade hinter sich haben. Den
beiden hängt der installierte Schlauch für die künstliche Ernährung
aus der Nase. Na, ja – bald können sie ja wieder richtig essen.
27
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Text von Volker Strommenger
Gefeiert wird, wenn das FRIEDENSDORF überflüssig geworden ist….
D
er 30. April 1975 war ein besonderer Tag. In
Vietnam schwiegen endlich die Waffen. Ende einer
30jährigen kriegerischen Auseinandersetzung, in
die Franzosen und seit Mitte der 60er Jahre auch
die Amerikaner verstrickt waren und die nach
vorsichtigen Schätzungen mindestens 1,5 Millionen
Vietnamesen das Leben gekostet hat. Frieden:
Die ganze Bedeutung des Wortes kann nur ermessen, wer den Krieg kennen gelernt hat, der
den Menschen Sicherheit, Würde und das Recht
auf Selbstbestimmung nimmt, der sie unfrei
macht und verletzlich.
Das FRIEDENSDORF in der Finanzkrise
Auch fürs Friedensdorf war der 30.
April 1975 ein ganz besonderer Tag:
Jahre lang war die Oberhausener Hilfsorganisation
im vietnamesischen Dalat tätig gewesen. Der Krieg
ist aus, was wird nun aus unserer Arbeit, habe sich –
verunsichert – ein Teil der Ehrenamtler gefragt.
Der Krieg ist aus, es wird nicht mehr geschossen.
Die Vietnamesen müssen nicht mehr leiden, freuten
sich die anderen. Er selbst, so Ronald Gegenfurtner
rückblickend, habe in dem Moment als die Nachricht kam nur Herrn Lang gesehen, einen alten
Lehrer aus dem südvietnamesischen Erziehungsministerium, der mit zwei weiteren Kollegen die
Kinder unterrichtete. „Er stand ganz still da, und
seine Augen glänzten.”
bringen, habe Stöbe jedoch nicht erreichen
können. Es gab keine diplomatischen Beziehungen und auch keine Flüge. Und es gab einen
FRIEDENSDORF-Vorstand, der von Pflegeeltern
dominiert war.
Stöbes Nachfolger Ambaum sah sich so zum einen
mit der langfristigen Betreuung der jungen
Vietnamesen und zum anderen mit einer riesigen
Nachforderung der Finanzbehörde konfrontiert. 1,2 Millionen Mark wollte der Fiskus vom
kleinen notorisch „klammen” FRIEDENSDORF, das
nun um sein Überleben kämpfte. Gemeinsam
mit Ambaum stritt Heinz Peters, im Hauptberuf Oberstudiendirektor und nebenamtlich
Gemeinsam mit Helfern von der ebenfalls noch Vorsitzender des Vorstands der Aktion FRIEjungen „terre des hommes” knüpften die Ober- DENSDORF. „Er hat eine klare Linie in die Hilfshausener Kontakt nach Vietnam. Es gelang ihnen, arbeit gebracht und die Weichen hin zu jenen
in Dalat eine medizinische Hilfsstation aufzuzukunftsweisenden Gleisen gestellt, auf denen
bauen. Unter Extrembedingungen wurden dort wir heute noch fahren.”
junge Kriegsopfer behandelt – bis die heranrückende Front diese Hilfe nicht mehr zuließ.
In jenen Tagen erhielt das Dorf Besuch aus
Der Rückzug nach Saigon war auch für das
Düsseldorf: Der Petitionsausschuss des Landtages wollte sehen, ob und in welchem Umfang
FRIEDENSDORF der letzte Schritt vor dem Rückdem FRIEDENSDORF bei der Begleichung der
zug aus dem vom Krieg verwüsteten Land.
Hubschrauber der Marines brachten vor dem
Steuerschuld geholfen werden könne. Letztlich
Fall der Stadt die Kinder und Dorfleiter Peter
wurde der Teil der Schuld erlassen, den das FRIEStöbe in Sicherheit.
DENSDORF ohnehin nicht hätte zahlen können –
verbunden mit der Verpflichtung, die in die Jah„In den ersten Jahren wurden alle Fehler gere gekommene Hilfseinrichtung zu sanieren.
macht, die eine junge Bürgerinitiative machen
konnte. Doch Stöbe hatte ein hohe Toleranz.
Geld gab‘s nicht, weshalb gerne das Angebot
Ihm gelang es, die Hilfsarbeit zu konsolidieren”, genutzt wurde, in der zum Abriss bereit stehenerinnert sich FRIEDENSDORF-Leiter Ronald Geden Meta-Stadt Wulfen, Türen, Fenster, Sanitäreinrichtungen und Heizkörper auszubauen,
genfurtner an die ersten Jahre, die er ab 1971
um sie alsbald in den Dorf-Pavillons wieder
als Zivildienstleistender miterlebt hat. Das
einzusetzen. Die Sanierung in Eigenregie hat
Ziel, die Kinder nach medizinischer Behandnahezu zwei Jahrzehnte lang gehalten.
lung und Rehabilitation zurück in die Heimat zu
Rückblick: Acht Jahre zuvor, im Jahre 1967,
hatten engagierte Oberhausener angesichts
eines wachsenden Blutvergießens im Nahen
Osten eine Bürgerinitiative der besonderen Art
gegründet: die Aktion FRIEDENSDORF Oberhausen.
Und sie machten sich auch sogleich daran, ein
Dorf für verletzte Kinder zu erbauen. Die jungen
Kriegsopfer sollten in hiesigen Krankenhäusern behandelt, dann im Dorf gesund gepflegt
und schließlich in die Heimat zurückgebracht
werden. Der Waffengang ging als Sechs-TageKrieg in die Geschichte ein. Das FRIEDENSDORF
wurde dennoch vollendet, oben, auf dem Brink.
Zeit brauchte es, bis die 100 im Dorf lebenden
jungen Vietnamesen „auf eigenen Beinen”
stehen konnten – Lehrstellen mussten besorgt
werden und Studienplätze, Wohnungen und
behindertengerechte Automobile. Und das,
obschon die soziale Integration nicht direkt
Satzungsauftrag der Aktion FRIEDENSDORF Oberhausen war. Doch eine Alternative gab es nicht:
Die Oberhausener Vietnamesen waren längst
entfremdet, als die Flüge nach Saigon und Hanoi
wieder aufgenommen wurden.
Jahre brauchte es, bis sich das FRIEDENSDORF –
seit 1983 unter der Leitung von Ronald Gegenfurtner – wieder seiner eigentlichen Aufgabe
„Hilfe für Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten” zuwenden konnte.
Zunächst gelang es Gegenfurtner in Verhandlungen mit dem nordvietnamesischen Gesundheitsministerium, die Friedensdorfhilfe in Vietnam und auch die Einzelfallhilfe wieder
aufleben zu lassen. Es wurde eine lange, sehr
erfolgreiche Kooperation, die mittlerweile auf
Kambodscha ausgedehnt worden ist.
Nach umfangreichen Vorverhandlungen in den
Flüchtlingslagern im pakistanischen Grenzgebiet
bei Peshawar startete Gegenfurtner 1988 zum
ersten Hilfseinsatz nach Afghanistan, ein Land,
das nicht wie Vietnam durch eine Grenze in
Nord und Süd geteilt, sondern unter „Warlords”
illegal aufgeteilt worden war.
Das unabhängig von politischen oder religiösen
Vorgaben gemachte Hilfsangebot wurde am
Hindukusch gerne angenommen – unabhängig
davon, wer in Kabul gerade an der Macht war.
Hilfseinsatz in Afghanistan (Fotos: NRZ Oberhausen)
29
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Viele Freiwillige packten mit an beim Bau des FRIEDENSDORFES
Doch es gibt Länder, die einst Hilfe des FRIEDENSDORFS in Anspruch nehmen mussten,
die sie heute ihren Kindern selbst geben können: die Baltischen Staaten, Vietnam und Rumänien.
Und es war bitter nötig, denn die großen Hilfsorganisationen hatten sich längst medienträchtigeren Krisenherden zugewandt. Parallel
zu den Hilfsflügen baute das FRIEDENSDORF über
die Jahre in Kabul eine Vor-Ort-Hilfe auf, das
Kinderkrankenhaus und „Marastoon”. Das
Farm- und Beschäftigungsprojekt, in dem vom
Krieg traumatisierte Menschen Aufnahme fanden,
sichert seither einen Teil des Lebensmittelbedarfs
der armen Bevölkerung. Um die teuren Hilfsflüge optimal zu nutzen, wurden die Kontakte
zu den südlichen Randstaaten der einstigen
Sowjetunion und den FRIEDENSDORF-Partnern
dort koordiniert. Auch aus Kasachstan, Usbekistan und Tadschikistan werden seither viele
Kinder zur medizinischen Versorgung nach
Europa geflogen. Und: Auch in diesen Ländern
initiierte das FRIEDENSDORF eine gut funktionierende Hilfe zur Selbsthilfe. Viele Hundert
Kinder mit entstellender Lippen-Kiefer-Gaumenspalte wurden seither operiert.
Heute sieht Gegenfurtner insbesondere in Tadschikistan einen stetig steigenden Hilfsbedarf:
Anders als das an Öl- und Gasvorkommen reiche
Kasachstan und Usbekistan steht das Land vor
extremen Problemen. Das zentralistische Industriesystem muss laufen, um die wenige noch vorhandene Arbeit zu erhalten, produziert aber unvorstellbare Umweltschäden. Geld für neue
Anlagen ist nicht da, denn Tadschikistan hat nichts
an Rohstoffen zu bieten. Wahrscheinlich ist deshalb, dass immer mehr missgebildete oder schwer
erkrankte Kinder behandelt werden müssen.
Aufrecht erhalten werden muss auch die Hilfe
für die Ärmsten in den Kaukasus-Ländern Ar-
menien, Georgien und Karabach. Insbesondere
die seit vielen Jahren laufende BürgerpaketSpendenaktion hilft in der Bergregion vielen
über den eisigen Winter.
Schwierig gestaltete sich seit jeher die Vor-OrtHilfe im vom Bürgerkrieg gezeichneten Angola. Aus dem Chaos wurden aber viele Hundert
Kinder zur dringend notwendigen medizinischen
Behandlung nach Deutschland ausgeflogen –
und angesichts der Lage wird das auch noch
lange so bleiben.
Roten Halbmond nach Kabul bringen, sehen
sich immer größeren Gefahren ausgesetzt.
Tagsüber gibt‘s Enduring Freedom und nachts
die Taliban. Da bleibt ihnen nur die Dämmerung.
Die Erfahrung zeigt einmal mehr: Mit Waffengewalt kann keinem Land eine soziale Demokratie „gebracht” werden. Ronald Gegenfurtner: „Die Lage am Hindukusch wäre besser,
wenn die Militärausgaben in soziale Vorhaben
und den Ausbau der Infrastruktur investiert
worden wären.”
Doch es gibt Länder, die einst Hilfe des FRIEin Anspruch nehmen mussten, die
sie heute ihren Kindern selbst geben können:
die Baltischen Staaten, Vietnam und sicher bald
Rumänien. Und es gibt Länder, die längst diese
Hilfe leisten könnten – Sri Lanka zum Beispiel
– doch die immer wieder aufflammenden
Konflikte zwischen Singhalesen und Tamilen
machen allen guten Ansätze zunichte.
Trotz wachsender Gewalt und einer möglichen
„Irakisierung” wird das FRIEDENSDORF seine Hilfe
am Hindukusch aufrecht erhalten. Die Helfer
waren zu Zeiten der russischen Besatzer und
seither unter allen anderen Machthabern vor
Ort. Allerdings könnten – wie früher– Sicherheitsaspekte bei Einsätze wieder stärker in den
Vordergrund rücken.
Ob vor diesem Hintergrund weitere Einsätze in
Syrien oder Jordanien möglich sein werden, ist
sicherlich eine Frage der Kapazitäten. Doch
wenn es aus dem Nahen Osten eine konkrete
Anfrage gebe und ein verlässlicher Hilfs-Partner vor Ort benannt werde, dann, so Gegenfurtner „werden wir nach unseren Vorgaben
und Möglichkeiten helfen”.
Derzeit wird von den Botschaften der beiden
Länder recherchiert, ob die Grundvoraussetzungen für diese Hilfseinsätze geschaffen werden können. Dazu zählen ein sicherer Startund Landeplatz für die von FRIEDENSDORF INTER-.
NATIONAL gecharterten Flugzeuge sowie eine
funktionierende Behörde, die Pässe für die
verletzten oder erkrankten Kinder ausstellt,
die zur Behandlung ausgeflogen werden.
DENSDORFS
Nicht minder deprimierend die Entwicklung
am Hindukusch. Der in Kabul praktizierte Brutal-Kapitalismus ist auch deshalb so gefährlich,
weil mit ihm eine Ausbeutung der Armen einhergeht. Private TV-Sender wecken heute Bedürfnisse, auch nach dem, was man gar nicht
braucht. Es gibt alles zu kaufen, doch die Armen
wissen morgens nicht, was ihre Kinder abends
essen sollen. Das schafft Unzufriedenheit und
treibt die Menschen den Extremisten zu. Doch
auch die Kriminalität und die Zahl der – früher
völlig unbekannten – Selbstmord-Attentate
werden weiter steigen.
Eltern, die heute ihre kriegsverletzten Kinder
aus der Provinz zur FRIEDENSDORF-Basis beim
Im westafrikanischen Sierra Leone ist diese Infrastruktur nicht vorhanden. Hoffnungen, Kindern aus
diesem vom Bürgerkrieg zerstörten Land zu helfen,
sind gering. Mit ihren Verletzungen würden sie einen Landtransport nach Guinea-Bissao nicht überstehen. Und auch Hilfe auf dem Wasserweg ist zu
risikoreich. Aus Ghana werden dagegen wieder vermehrt Kinder ins FRIEDENSDORF kommen. Darüber
hinaus gibt es Hilfsanfragen aus Nordafrika, Bitten
um spezielle Einzelfallhilfen aus Südamerika und
auch Anfragen aus Nepal.
Das mit Millionenaufwand sanierte FRIEDENSDORF ist
gut gerüstet, um 150 bis 200 Kinder in den nächsten
30 Jahren ständig zu betreuen. Etliche haupt- und
ehrenamtliche Mitarbeiter sind in diese Hilfsarbeit
eingebunden – ein „Riesenapparat”, dessen Arbeit
allein durch Spenden und Mitgliedsbeiträge finanziert wird. Zwar hat das FRIEDENSDORF zwischenzeitlich eine Stiftung ins Leben gerufen, um die Einnahmen
zu verstetigen. Doch das bisherige Kapital reicht
dafür bei weitem nicht. Wesentlich ist deshalb, auch
den Teil der Arbeit von FRIEDENSDORF INTERNATIONAL im
Bewusstsein der Bevölkerung zu halten, der von den
Medien nicht in spektakulären Bildern gezeigt wird.
Eine Jubiläumsfeier gibt es zum 40Jährigen nicht.
„Gefeiert wird, wenn das FRIEDENSDORF überflüssig
geworden ist”, sagt Ronald Gegenfurtner. Doch am
6. Juli, dem Tag der Vereinseintragung, wird ein
Freundschafts- und Sponsorenlauf gestartet, an
dem sich FRIEDENSDORF-Freunde, Mitarbeiter und
Nachbarn der Oberhausener Hilfseinrichtung beteiligen.
Weltweit werden Kinder am 31. August zu ihrem
Friedenslauf starten. Dieser Freitag liegt am nächsten
zum „Friedens- und Antikriegstag”, mit dem an den
1. September 1939 (Einmarsch der Hitler-Truppen
in Polen) erinnert wird.
Ronald Gegenfurtner mit Bauplänen (Fotos: NRZ Oberhausen)
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