Evonik Magazin 1/2008
Transcription
Evonik Magazin 1/2008
Evonik-Magazin Evonik-Magazin 1| 2008 1| 2008 Schätze aus der Tiefsee Mangan & Co. können die Rohstoffprobleme der Zukunft lösen 1_Evonik_01-08 1 14.02.2008 16:39:33 Uhr www.evonik.de Das Ruhrtal bei Schwerte. ZWEIG, S. KLEE, P. BUSCH, W. BACH, J. S. Das Ruhrgebiet steckt voller Kultur. Wir fördern die Kultur. Und das von Herzen gern. 215079_Bach_220x270_FD300.indd 1 „Bach Landschaft“ Evonik Magazin deutsch, OF, ET März 2008 14.02.2008 10:34:27 Uhr EVONIK-MAGAZIN 1/2008 EDITORIAL 3 Im Land der Unbegrenzten Möglichkeiten Evonik-Magazin berichtet über eine USA-Reise, die Jagd nach Rohstoffen am Meeresboden und selbstverständlich auch über RUHR.2010 Liebe Leserinnen, liebe Leser, FOTO: JOHANNES KROEMER Amerika kennt er aus vielen Reisen und Reportagen für Zeitschriften und Zeitungen und schwärmt von der Offenheit der Menschen im Land der Unbegrenzten Möglichkeiten. Kein Wunder also, dass ihm der Friseur Derrick Freeman aus der Kleinstadt Hopewell besonders faszinierte, Tom Schimmeck am Evonik-Standort Greensboro, North Carolina als er für das Evonik-Magazin durch Amerika reiste – entlang der Route der großen Standorte Hopewell, Greensboro und Mobile. Sein Fazit nach dem 2.000-Kilometer-Trip: „Amerika ist ein Land zum Immerwiederkommen“. Wirtschaftsthemen – gleich ob Konjunkturdaten, Warenlogistik oder Rohstoffsuche – sind ihr bestens vertraut; denn Constanze Sanders arbeitete 15 Jahre als Wirtschaftsjournalistin für den „Spiegel“. Als Hamburgerin mit einem freien Blick aus ihrem Büro über den Hafen liegen ihr maritime Themen besonders am Herzen. Da war es nur folgerichtig, dass sie sich des Themas Rohstoffe aus dem Meer angenommen hat und mehrere Wochen alle Informationen über die internationale Rohstoffsuche in der Tiefsee zusammengetragen und Constanze Sanders in vielen Experten-Gesprächen vertieft hat. Ideen sind das Handwerkszeug von Asli Sevindim, der Kulturdirektorin von RUHR.2010. Die Journalistin und TV-Moderatorin produziert sie fast sprichwörtlich am laufenden Band; denn die quirlige junge Frau ist immer in Bewegung. Da musste auch Autorin Catrin Krawinkel, Catrin Krawinkel selbst fitnessgestählt, darauf achten, nicht den Anschluss zu verlieren, als sie mit Asli Sevindim durchs Ruhrgebiet reiste und durch Essen marschierte. Krawinkel etwas kurzatmig: „Wenn man mit ihr unterwegs ist, merkt man ganz schnell, was der Begriff Powerfrau wirklich bedeutet.“ Viel Vergnügen bei der Lektüre! Ihr Redaktionsteam Evonik-Magazin 3_Evonik_01-08 Abs2:3 20.02.2008 14:40:11 Uhr 6 TIEFSEE 32 RUHRFESTSPIELE 38 AMERIKA 50 ASLI SEVINDIM 4_Evonik_01-08 4 20.02.2008 16:10:59 Uhr EVONIK-MAGAZIN 1/2008 EDITORIAL IMPRESSUM 3 Höhen und Tiefen Herausgeber: Evonik Industries AG Christian Kullmann Rellinghauser Str. 1–11 45128 Essen Chefredaktion: Inken Ostermann (V.i.S.d.P.) Objektmanagement Evonik: Ute Bauer Art Direction: Wolf Dammann Redaktion (Leitung): Kurt Breme Chefin vom Dienst: Frauke Meyer Fotoredaktion: Ulrich Thiessen Dokumentation: Kerstin Weber-Rajab, Tilman Baucken; Hamburg Gestaltung: Teresa Nunes (Ltg.), Anja Giese, Heike Hentschel, Nadine Weiler / Redaktion 4 Schlussredaktion: Wilm Steinhäuser Verlag und Anschrift der Redaktion: HOFFMANN UND CAMPE VERLAG GmbH, ein Unternehmen der GANSKE VERLAGSGRUPPE Harvestehuder Weg 42 20149 Hamburg Telefon 040/441 88-457 Telefax 040/441 88-236 E-Mail: [email protected] Geschäftsführung: Manfred Bissinger Dr. Kai Laakmann Dr. Andreas Siefke Objektleitung: Dr. Jessica Renndorfer Herstellung: Claude Hellweg (Ltg.), Oliver Lupp Litho: PX2, Hamburg Druck: Laupenmühlen Druck, Bochum Copyright: © 2008 by Evonik Industries AG, Essen. Nachdruck nur mit Genehmigung des Verlages. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder Kontakt: Fragen oder Anregungen zum Inhalt des Magazins: Telefon 0201/ 177-3831, Telefax -2908, E-Mail: [email protected] Fragen zum Versand oder Bestellungen: Telefon 040/68879-139 Telefax 040/68879-199 E-Mail: [email protected] ERFORSCHEN 6 Im Rausch der Tiefsee Auf dem Meeresboden in 5.000 Meter Tiefe liegen die Rohstoffe, die die Welt für ihr Wachstum so dringend braucht. Unternehmen und Forscher in aller Welt suchen nach Möglichkeiten, den Rohstoff-Schatz der Tiefsee zu heben INFORMIEREN 22 Energieverbrauch Wie viel Primärenergie welche Länder rund um den Erdball verbrauchen, zeigt die Weltkarte des Evonik-Magazins, und sie macht deutlich, wer bei der Senkung des Verbrauchs vorangehen müsste GESTALTEN 24 Die Erfinder Ein findiges Dreigespann: Dr. Andreas Gutsch und Dr. Gerhard Hörpel von Evonik Industries sowie Professor Paul Roth von der Uni Duisburg-Essen. Sie sind die Väter der modernen Lithium-Ionen-Batterie ENTWICKELN 30 Sparen und Klima schützen Mit Sonnenkollektoren, Geothermie und einem neuen umweltfreundlichen Dachziegel macht Evonik Industries das Wohnen nicht nur preiswerter, sondern schützt mit den neuen Technologien auch die Umwelt FOTOS: MARUM BREMEN (O. L.), LAURENT PHILIPPE (O. R.), JOHANNES KRÖMER (U. L.), NORBERT ENKER (U. R.); TITEL: WILDLIFE, BGR, OKAPIA (V. L. N. R.) INHALT 5 ERLEBEN 32 Kevin Spacey kommt wieder The Old Vic Theatre Company London ist auch in diesem Jahr wieder bei den Ruhrfestspielen dabei – zusammen mit vielen anderen internationalen und deutschen Bühnenstars INFORMIEREN 36 Evonik auf der Hannover Messe Auf der Hannover Messe zeigt Evonik Industries AG in diesem Jahr seine Innovationen – in Berlin und Brüssel stellt sich der neue Konzern aus Deutschland Parlamentariern, Ministern und Wirtschaftsvertretern vor REISEN 38 On the road again Tom Schimmeck reiste vom Norden der USA in den Süden und besuchte dabei geschichtsträchtigen Boden, aber auch moderne Produktionsanlagen der Evonik Industries AG BEWEGEN 50 Immer in Bewegung Die Autorin, Journalistin und TV-Moderatorin Asli Sevindim ist ein unruhiger Geist. Erst recht, seit sie Kulturdirektorin RUHR.2010 ist und daran arbeitet, die Metropole Ruhr ins rechte Licht der Weltöffentlichkeit zu rücken DISKUTIEREN 56 Sind Manager zu teuer? Hohe Managergehälter und schwache Lohnzuwächse für den sogenannten Otto Normalverbraucher haben die Diskussionen über die Höhe der Managergehälter entfacht – bis hin zur Idee, sie gesetzlich zu begrenzen LEBEN 58 Im Bann des Virtuellen Dank Augmented Reality soll das Virtuelle immer enger mit der realen Welt verzahnt werden. Hoffnung der einen, Schock für die anderen – wie werden wir damit leben? Titelbild: Zirkon, Manganknolle, Zinn 5_Evonik_01-08 5 Die Bezeichnungen AEROSIL®, FAVOR®, SEPARION®, STOKO® sind geschützte Marken der Evonik Industries AG oder ihrer Tochtergesellschaften. Alle Marken sind im Text versal geschrieben 20.02.2008 16:02:21 Uhr 6 ERFORSCHEN TIEFSEE EVONIK-MAGAZIN 1/2008 Energie aus dem Meer Die Ozeane sind Rohstoff- und Energielieferanten. Die Preisexplosion bei Edelmetallen macht den Abbau in fünf Kilometern Tiefe interessant – schon beginnt der Streit um die Schürfrechte in der Tiefsee Aktiver Schwarzer Raucher 6_Evonik_01-08 Abs2:6 11.02.2008 13:36:12 Uhr 7 TEXT CONSTANZE SANDERS VOM MEERESBODEN aus gesehen liegt Tiefe in m Massivsulfide 0 200 1000 2000 3000 5000 6000 Der sichtbare Mineraliendampf der Schwarzen Raucher (Black Smoker) kommt aus dem Erdmagma: Kaltes Seewasser dringt in die rissige Erdkruste und wird durch das aufstrebende Magma erhitzt. Wenn es bei etwa 400 Grad Celsius ähnlich Geysiren nach oben schießt, bringt es Metall mit. Polymetallische Schwefelverbindungen sinken auf den Meeresboden und werden zu festen Massivsulfiden. Aktive Schwarze Raucher finden sich in bis zu vier Kilometern Tiefe an den Rändern der Kontinentalplatten. Sie sprühen fortwährend wertvolle Substanzen in ihre Umgebung, die Blei, Kupfer, Zink, aber auch Gold und Silber enthalten. Die bisher bekannten Lager umfassen jeweils bis zu 100 Millionen Tonnen. 7_Evonik_01-08 Abs2:7 FOTO: MARUM-FORSCHUNGSZENTRUM OZEANRÄNDER, UNIVERSITÄT BREMEN 4000 Hawaii nicht weit von Hannover – nur ein bisschen nördlich in Richtung Westen. Denn in einer der reichsten Rohstoffregionen der Erde, die sich über 4.000 Kilometer quer durch den Pazifik erstreckt, hat die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), die ihren Sitz in der niedersächsischen Landeshauptstadt hat, Tiefseegründe gepachtet. Darauf sitzen locker verstreut Manganknollen, groß wie Kartoffeln, rund 2 Milliarden Tonnen wertvolle Erze. Sie könnten für die künftige Rohstoffversorgung Deutschlands überlebenswichtig werden. „Mit der Erkundung wollen wir einen wichtigen Beitrag zur künftigen Rohstoffsicherung leisten“, sagt der neue BGR-Präsident Hans-Joachim Kümpel. Deutschland bangt um den GrundstoffNachschub für seine Industrie. „Nicht nur Öl und Gas“, heißt es im Bericht zur Rohstoffsicherheit des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) vom Frühjahr 2007, „auch metallische Rohstoffe sind von strategischer Bedeutung.“ Rund acht Wochen braucht zum Beispiel ein Klumpen Eisenerz aus dem Tagebau in Algerien, um sich in die blitzende Motorhaube eines Mittelklassewagens zu verwandeln – sofern die Logistikkette reibungslos läuft und genügend Mineral vorhanden ist. Die Zulie- > 11.02.2008 13:36:23 Uhr 8 ERFORSCHEN TIEFSEE EVONIK-MAGAZIN 1/2008 Erz-Apfel in der Tiefsee: Die Manganknolle ist löcherig wie ein Blumenkohl Eine Knolle – viele Metalle FOTO OBEN: BGR, RECHTS: IFREMER INSTITUT/NODINAUT > ferzeiten sind ohnehin knapp kalkuliert, aber die große Unsicherheit bildet der Preis. Spekulanten oder Lieferverzögerungen können ihn plötzlich explodieren lassen. An den Börsen herrscht deswegen Goldgräberstimmung. Der Kupferpreis stieg seit dem Jahr 2000 um 250, der Kurs für Nickel um 300 Prozent (siehe auch Grafik Seite 18). Die Preiswelle bleibt nicht ohne Folgen. „Die Rohstoffe verteuerten die deutsche Industrieproduktion in den letzten fünf Jahren um 90 Milliarden Euro“, sagt Ulrich Grillo, Vorsitzender der BDI-Präsidialgruppe Internationale Rohstofffragen. Eine Initiative von Bundeskanzlerin Angela Merkel soll die Entwicklung aufhalten. „Wo immer wir auch hinkommen auf der Welt“, stellt sie fest, „oft waren die Politiker anderer Länder schon da, die sich Rohstoffe auf Jahre hinaus gesichert haben.“ Künftig sollen sich heimische Unternehmen an Forschung und Minengesellschaften beteiligen, neue Bezugsquellen gefunden und erschlossen werden. Die begehrten Rohstoffe sind auch in der Tiefsee zu finden. 15 Jahre haben die Hannoveraner Forscher im Pazifik Zeit, um zu testen, welche Metalle in welchen Mengen in den Manganknollen stecken. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) soll Techniken entwickeln, mit denen sie aus 5.000 Metern Tiefe profitabel und umweltfreundlich gefördert werden können. 8_Evonik_01-08 Abs2:8 „Das Interesse konzentriert sich nicht auf Mangan“, sagt BGR-Ozeanograph Carsten Rühlemann, „sondern auf darin enthaltene rund drei Prozent Kupfer, Nickel und Cobalt. Der Weltmarktpreis für die Schwermetalle ist 1000-fach höher als für Mangan.“ EIN MILLIARDENGESCHÄFT Bis zu 24 Millionen Tonnen der wertvollen Metalle werden auf der von Deutschland erworbenen Tiefsee-Ebene vermutet. Bei 28.000 Dollar (19.000 Euro) für eine Tonne Nickel (Januar 2008) winkt ein Milliardengeschäft. Auf Basis der hohen Preise „kann eine neue Kostenrechnung gemacht werden“, sagt BGR-Projektleiter Michael Wiedicke-Hombach. Bislang war der Abbau dieser Rohstoffe zu teuer. Noch reichhaltiger an wertvollen Metallen als die Manganknollen sind Erzkrusten. Sie bergen Gold, Silber, Platin und Seltenerdmetalle – die nicht etwa selten vorkommen, wie der Name weismacht, sondern deren Gewinnung aus den natürlich vorhandenen Verbindungen schwierig und aufwendig ist. Erzkrusten entstehen wie Manganknollen durch hydrothermale Zirkulation, allerdings in anderen Tiefseegebieten: Vor allem an den weltumspannenden Mittelozeanischen Rücken, wo die Erdplatten der Kontinente auseinanderdriften, und an ihren Rändern, wo sie sich untereinanderschieben, lagert > Manganknollenfeld mit Schlangenstern 14.02.2008 14:23:43 Uhr 9 Tiefe in m Manganknollen 0 200 1000 2000 3000 4000 5000 6000 Bis zu 10 Millionen Jahre alte, kartoffelgroße Erzklumpen, die sich um einen Kern herum angereichert haben. Der Metallgehalt variiert. Wirtschaftlich interessante Vorkommen enthalten in Prozent: Mangan 29; Eisen 6; Silicium 5; Aluminium 3; Nickel 1,4; Kupfer 1,3; Cobalt 0,25; Sauerstoff 1,5; Wasserstoff 1,5; Natrium 1,5; Calcium 1,5; Magnesium 0,5; Kalium 0,5; Titan 0,2; Barium 0,2. Die ersten dunkelbraunen Funde machten Naturwissenschaftler, Kartographen und Probensammler auf dem königlich britischen Segler „Challenger“ mit Labors an Bord während seiner Weltumsegelung von 1872 bis 1876. Heute können Manganknollenfelder leicht durch Unterwasserfotos dokumentiert werden. Biologen machten vom Tauchboot Nautile aus die Aufnahme von dem Knollenfeld mit Schlangenstern, um auf die Schutzwürdigkeit der Lebensräume hinzuweisen. 9_Evonik_01-08 Abs2:9 11.02.2008 13:36:43 Uhr FOTO: NAUTILUS MINERALS Geologen begutachten die mit moderner Technologie vor PapuaNeuguinea aus einer Tiefe von 1.500 Meter geförderten Massivsulfide Tauchgänge zu den begehrten Rohstoffen Das kanadische Unternehmen Nautilus Minerals, das sich auf die Erforschung und den Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee spezialisiert hatte, erkundete in Zusammenarbeit mit der Firma Placer Dome den Meeresboden auf dem Suzette-Feld vor Papua-Neuguinea. Mit einem ferngesteuerten Tauchroboter wurde der Meeresboden kartographiert und später mit einer Greifzange des Roboters Proben entnommen und analysiert 10_Evonik_01-08 Abs2:10 20.02.2008 14:28:49 Uhr EVONIK-MAGAZIN 1/2008 TIEFSEE ERFORSCHEN 11 Bodenschätze im Flachwasser In Küstennähe hat Meeresbergbau Tradition. Knollige Gemenge aus Mineralien, Kalk oder Gesteinsschutt liefern Phosphat, das als guter Dünger gilt, aber auch Zutat von Kosmetika und Coca-Cola ist. Die reichen Lager auf der Insel Nauru sind leer. Östlich von Neuseeland und vor Indien liegen immense Reserven mit bis zu 35 Millionen Tonnen Phosphat. Das Meer sichert den Nachschub. Indonesien und Thailand gewinnen Zinnerz aus ihren Schelfgewässern. Die Hälfte aller indonesischen Exporte, auch nach Deutschland, kommt aus der Javasee. De Beers, mächtiger Diamantenkonzern aus Südafrika, schürft in nur 200 Metern Tiefe vor der namibischen Küste Edelsteine im Wert von 250 Millionen Dollar jährlich, fast die Hälfte der Produktion, und weitet den Bergbau auf den Schelf vor Südafrika aus. Der Oranje, Grenzfluss zwischen den beiden Staaten, hat den Reichtum in 40 Millionen Jahren auf die Strände gespült. FOTOS LINKS: NAUTILUS MINERALS (2), RECHTS: MARUM-FORSCHUNGSZENTRUM OZEANRÄNDER, UNIVERSITÄT BREMEN > fließendes Wasser unaufhörlich metallhaltige Partikel ab. „Die Ozeanbecken sind löcherige Eimer“ sagt der Geologe Peter Rona von der Rutgers University im US-Bundesstaat New Jersey, „weil das Vulkangestein der Erdkruste unter dem Meeresboden immer wieder zerbricht.“ Wasser dringt ins heiße Erdinnere, schießt mit heftigem Druck bei 400 Grad Celsius wieder hoch in das kalte Meer und schleudert dabei Metall-Schwefel-Partikel aus dem Gestein. Die Schlote sind sichtbar als Schwarze Raucher (Black Smoker). Feste Schwefelverbindungen, sogenannte Massivsulfide, türmen sich zu meterhohen Kaminen, stürzen im Laufe der Jahrtausende ein und hinterlassen auf dem Boden massive Erzhügel. „Sie enthalten alles, was unsere Industriegesellschaft ersehnt“, sagt Peter Herzig, Direktor des Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften, IFMGeomar, an der Universität Kiel: Kupfer für Elektronik, Nickel und Zink für die Stahlschmieden, das wertvolle Indium (weiches silberweißes Metall) für Flachbildschirme und Leuchtdioden, sogar Gold für die nationalen Währungsreserven. Weltweit sind derzeit rund 150 aktive Schwarze Raucher bekannt. Die ersten mineralischen Quellen wurden vor 40 Jahren im nördlichen Roten Meer entdeckt, wo Afrika und die Arabische Halbinsel auseinanderdriften. Atlantis II, der Tiefseegraben zwischen den Kontinenten, beherbergt die wohl größte Schatztruhe mit Tausenden Tonnen Gold, Silber, Kupfer und Zink. Mit knapp 3 Milliarden Dollar wurde der Fund seinerzeit bewertet. In zwei Kilometern Tiefe wartet er seither auf einen Investor. EIN NEUER GOLDRAUSCH Auch Kieler Forscher von IFM-Geomar tauchen und suchen – etwa im Herbst 2007 zusammen mit internationalen Kollegen und fanden Erzvorkommen am Fuße der Insel Stromboli bei Sizilien. „An eine kommerzielle Nutzung ist bisher nicht gedacht“, sagt Forschungsleiter Sven Petersen. Die bisher gefundenen Mengen reichten dafür nicht aus. Eins der weltweit führenden Explorationsunternehmen, die britische Neptune Minerals, hat dennoch Gebietslizenzen bei der italienischen Regierung beantragt. Pionier des kommerziellen Tiefseebergbaus ist die kanadische Firma Nautilus Minerals. 1997 pachtet sie von der Regierung PapuaNeuguineas versiegte Hydrothermalfelder in 1.600 Metern Tiefe in der Bismarcksee. Schwarze Raucher haben die Rohstoffvorräte über Jahrmillionen hinweg angereichert. Wissenschaftler kartographieren, erkunden Umweltbedingungen, testen Bohrund Schürfgeräte und fördern Proben. „Nautilus nutzt die Ergebnisse deutscher Grundlagenforschung“, sagt IFM-Geomar-Chef Herzig. Er leitete zuvor die ersten Probe- bohrungen nahe des Inselstaates. „Wir haben der Industrie gezeigt, dass es machbar ist.“ 2006 geht Nautilus an die Börse. Finanzkräftige Partner, etwa Metalloinvest, einer der größten russischen Eisenerzproduzenten, und Anglo American, zweitgrößter Bergbaukonzern weltweit, beteiligen sich am Tiefseeabenteuer. Schon 2009 soll der Abbau beginnen. Wer in den internationalen Gewässern graben will, braucht eine Lizenz der Meeresbodenbehörde (siehe Kasten Seite 21). Vor Papua-Neuguinea kann sie die Aktivität der privaten Konzerne nur beobachten, vor allem, um vom technologischen Fortschritt zu profitieren. Einfluss nehmen kann das Amt nicht. Die Schürflizenzen liegen innerhalb der 200-Seemeilen-Zone, dem Wirtschaftsgebiet Papua-Neuguineas. Der Inselstaat bezieht mehr als 80 Prozent seiner Exporteinnahmen aus dem Verkauf von Bodenschätzen und gilt nicht gerade als vorbildlich im Umweltschutz. „Es droht ein rücksichtsloser Goldrausch“, befürchtet der Meeresbiologe des World Wide Fund for Nature (WWF) Christian Neumann. Während sich die Minenunternehmer vor allem für den Metallgehalt am Fundort interessieren, sind Biologen von den bizarren Lebewesen in der Tiefe der Ozeane fasziniert: Einzeller, die von Schwefelwasserstoff leben, Spinnenkrabben ohne Augen oder eine Vielzahl von Muscheln und Seesternen. > Fortsetzung auf Seite 18 11_Evonik_01-08 Abs2:11 11.02.2008 13:36:58 Uhr Die Nachfrage nach den Grundstoffen steigt rasant, viele Lagerstätten an Land leeren sich. Der Meeresboden beherbergt reichhaltige Reserven: Erdöl, Erdgas und vielseitige Metalle Die Mangan-Claims Die Clarion-Clipperton-Zone im Manganknollen-Gürtel des Pazifiks zwischen Hawaii und Mexiko umfasst etwa 5 Millionen Quadratkilometer in bis zu 5.000 Metern Tiefe. Clarion und Clipperton sind die nächsten unbewohnten Inseln im Norden und Süden. Nach internationalen Konferenzen legte die ISA auf geologischen Karten Grenzen zwischen den Gebieten (Claims) fest. Lizenznehmer: • COMRA – China Ocean Mineral Resources Research and Development Association, Peking, Volksrepublik China Bauxit Aluminium-Grundstoff Cobalt Hartstahl, Sägeblätter, Magnete Diamant Industriebohrer, Schmuck Eisen Stahl, Chemie Erdöl Energie, Chemie, Kosmetik Gold Barren, Schmuck, Elektronik Ilmenit Deckfarbe Titanweiß Kohle Kraftwerke, Hochöfen Kupfer Elektroindustrie, Legierungen Mangan Stahl- und Werkstoffe, Batterien Nickel Stahl, Galvanik, Unterhaltungselektronik Platin Laborgeräte, Schmuck, Katalysatoren Silber Elektroden, Bestecke, Spiegel Titan Luft- und Raumfahrt, U-Boot-Bau, Prothesen Zinn Konservendosen, Antifoulingmittel in Farben Zirkon Keramik für Waschbecken, Zahnersatz, Schmuck • DORD – Deep Ocean Resources Development Company – japanische Regierung und etwa 50 Privatunternehmen • Der Staat Südkorea • IFREMER/AFERNOD – Französisches Forschungsinstitut für die Ausbeutung von Ozeanressourcen/Gesellschaft zur Studie und Erforschung der ozeanischen Knollen • Interoceanmetal Joint Organization – 1987 gegründete staatliche Kooperation von Bulgarien, Kuba, Tschechien, Polen, Russland und der Slowakei mit Hauptsitz in Polen • Yuzhmorgeologiya – staatliches Forschungszentrum des russischen Rohstoffministeriums • BGR – Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover • ISA – der Meeresbodenbehörde vorbehaltene Gebiete Deutsche Lizenz-Gebiete HAWAII Clarion-Bruchzone GRAFIK: DIETER DUNEKA Legende 13-16_TS_Klapper_innen 2-3 Clipperton-Bruchzone 0 500 DORD Südkorea IFREMER/AFERNOD Interoceanmetal Yuzhmorgeologiya BGR Kohle Kupfer Quecksilber Platin Zinn Zirkon Bauxit Cobaltreiche Erzkruste Diamanten Pottasche Seltene Erden Ilmenit, Rutil (Titaneisen, -oxid) Phosphorit Gold Kalkschlämme, Sand, Muschelreste Eisen, Eisenoxid Monazit Schwefel Uran Salz Baryt Chromit Zink Nickel Siliciumsand, Kies Frischwasser Gashydrate 1000 Kilometer COMRA Silber ISA FOTOS: PETER ARNOLD/OKAPIA, WWW.CLEFF.DE, D. HARMS/WILDLIFE (3), OKAPIA (4), IDRIS KOLODZIEJ (2), A1 PIX/HSC, BEN JOHNSON/SPL/AG. FOCUS, HELGA LADE, JOHN CANCALOSI/PETER ARNOLD, NORBERT NORDMANN/PAN IMAGES Rohstoffreichtum für die Industrie Manganknollenfelder Ozeanische Rücken Polymetallische Sulfide (Schwarze Raucher) 12.02.2008 17:49:29 Uhr Die Nachfrage nach den Grundstoffen steigt rasant, viele Lagerstätten an Land leeren sich. Der Meeresboden beherbergt reichhaltige Reserven: Erdöl, Erdgas und vielseitige Metalle Die Mangan-Claims Die Clarion-Clipperton-Zone im Manganknollen-Gürtel des Pazifiks zwischen Hawaii und Mexiko umfasst etwa 5 Millionen Quadratkilometer in bis zu 5.000 Metern Tiefe. Clarion und Clipperton sind die nächsten unbewohnten Inseln im Norden und Süden. Nach internationalen Konferenzen legte die ISA auf geologischen Karten Grenzen zwischen den Gebieten (Claims) fest. Lizenznehmer: • COMRA – China Ocean Mineral Resources Research and Development Association, Peking, Volksrepublik China Bauxit Aluminium-Grundstoff Cobalt Hartstahl, Sägeblätter, Magnete Diamant Industriebohrer, Schmuck Eisen Stahl, Chemie Erdöl Energie, Chemie, Kosmetik Gold Barren, Schmuck, Elektronik Ilmenit Deckfarbe Titanweiß Kohle Kraftwerke, Hochöfen Kupfer Elektroindustrie, Legierungen Mangan Stahl- und Werkstoffe, Batterien Nickel Stahl, Galvanik, Unterhaltungselektronik Platin Laborgeräte, Schmuck, Katalysatoren Silber Elektroden, Bestecke, Spiegel Titan Luft- und Raumfahrt, U-Boot-Bau, Prothesen Zinn Konservendosen, Antifoulingmittel in Farben Zirkon Keramik für Waschbecken, Zahnersatz, Schmuck • DORD – Deep Ocean Resources Development Company – japanische Regierung und etwa 50 Privatunternehmen • Der Staat Südkorea • IFREMER/AFERNOD – Französisches Forschungsinstitut für die Ausbeutung von Ozeanressourcen/Gesellschaft zur Studie und Erforschung der ozeanischen Knollen • Interoceanmetal Joint Organization – 1987 gegründete staatliche Kooperation von Bulgarien, Kuba, Tschechien, Polen, Russland und der Slowakei mit Hauptsitz in Polen • Yuzhmorgeologiya – staatliches Forschungszentrum des russischen Rohstoffministeriums • BGR – Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover • ISA – der Meeresbodenbehörde vorbehaltene Gebiete Deutsche Lizenz-Gebiete HAWAII Clarion-Bruchzone GRAFIK: DIETER DUNEKA Legende 13-16_TS_Klapper_innen 2-3 Clipperton-Bruchzone 0 500 DORD Südkorea IFREMER/AFERNOD Interoceanmetal Yuzhmorgeologiya BGR Kohle Kupfer Quecksilber Platin Zinn Zirkon Bauxit Cobaltreiche Erzkruste Diamanten Pottasche Seltene Erden Ilmenit, Rutil (Titaneisen, -oxid) Phosphorit Gold Kalkschlämme, Sand, Muschelreste Eisen, Eisenoxid Monazit Schwefel Uran Salz Baryt Chromit Zink Nickel Siliciumsand, Kies Frischwasser Gashydrate 1000 Kilometer COMRA Silber ISA FOTOS: PETER ARNOLD/OKAPIA, WWW.CLEFF.DE, D. HARMS/WILDLIFE (3), OKAPIA (4), IDRIS KOLODZIEJ (2), A1 PIX/HSC, BEN JOHNSON/SPL/AG. FOCUS, HELGA LADE, JOHN CANCALOSI/PETER ARNOLD, NORBERT NORDMANN/PAN IMAGES Rohstoffreichtum für die Industrie Manganknollenfelder Ozeanische Rücken Polymetallische Sulfide (Schwarze Raucher) 12.02.2008 17:49:29 Uhr 12 ERFORSCHEN TIEFSEE EVONIK-MAGAZIN 1/2008 Wem gehört das Meer? Die Schätze des Meeres waren zu allen Zeiten begehrt – eine Chronik 1494 Papst Alexander VI. billigt die Aufteilung der Meere zwischen Portugal und Spanien, Vertrag von Tordesillas (Spanien). 1703 Der Jurist Cornelius van Bynkershoek misst das Recht der Meeresanrainer an der Reichweite einer Kanonenkugel, etwa drei Meilen*, und erfindet damit das Prinzip staatlicher Hoheitsgewässer. 1967 Arvid Pardo, maltesischer Botschafter, bereitet in einer dreistündigen Rede vor den Vereinten Nationen den Weg für die heute geltenden Meeresgesetze: Die Freiheit der Meere führe zur Zerstörung von Ressourcen und Ökologie. Er reklamiert den Grundsatz des gemeinsamen Erbes der Menschheit als vorrangig. FOTO: AP PHOTO/RTR 1609 Hugo Grotius, niederländischer Theologe und Rechtsgelehrter, begründet mit seinem Werk „Mare Liberum“ den Grundsatz der Freiheit der Meere: Jeder darf überall Fischfang betreiben, die Seewege befahren, später dann auch Material deponieren und Kabel verlegen, ab 20. Jahrhundert die Meere frei überfliegen. wachsen. Die zweite Seerechtskonferenz endet ergebnislos. Ein russisches Forschungs-U-Boot hisst in rund 4.200 Metern Tiefe auf dem Meeresboden die Nationalflagge. Russland reklamiert die Arktis mit ihrem Reservoir an Bodenschätzen für sich 1930 Die Länder verlangen größere nationale Zonen mit ihren Fischbeständen und Rohstoffen. Auf einer ersten Konferenz in Den Haag berät der Völkerbund, einigt sich aber nicht. Internationale Gewässer Kontinentalsockel 1945 Harry S. Truman, Präsident der USA, beansprucht unter dem Druck der nationalen Ölindustrie Exklusivrechte auf dem US-Kontinentalsockel. Ausschließliche Wirtschaftszone 1947 beginnt die Offshore-Ölförderung im Golf von Mexiko. Anschlusszone max. 12 Seemeilen Küstengewässer 12 Seemeilen 1958 Das erste Seerechtsabkommen in Genf ist als Teil des Völkerrechts eine Art Verfassung der Meere. Vier Konventionen regeln, was dort erlaubt und verboten ist, egal, ob es die Schifffahrt, den Fischfang oder den Tiefseebergbau betrifft: • auf dem Kontinentalsockel (Küstenmeer bis 200 Meter Tiefe), • in der Zwölf-Meilen*-Zone (Anschlusszone bis zu 24 Meilen* zulässig: Hoheitsgewässer), GRAFIK: DIETER DUNEKA 1954 finden bereits Bohrungen in vier Kilometern Tiefe statt. Immer mehr marine Rohstoffe locken Investoren. Diamanten in Südafrika, Zinn in Indonesien, Kies für die Bauwirtschaft, Fischgründe: Die Meeresressourcen scheinen so reichhaltig wie unerschöpflich. 200 Seemeilen Grundlinie dient der Vermessung der Zonen Innere Gewässer Hoheitsgewässer max. 24 Seemeilen Festland 1 Seemeile = 1,852 km Keine einfachen Rechtsfragen: Das Seerecht kennt komplizierte Regelungen für die Frage, wer welche Ressourcen wo nutzen darf • Fischerei in der ausschließlichen Wirtschaftszone (bis 200 Meilen*), und • bestätigen die Freiheit der Meere in den sogenannten internationalen Gewässern außerhalb dieser Zonen. 1960 Neue Technologien erschließen die Tiefsee. Die Rivalitäten um ihre Schätze 1973–1982 Die Dritte Seerechtskonferenz legt die Prinzipien fest: Die Schätze der Tiefsee sollen zum Nutzen der Menschheit verwaltet, die Umwelt bewahrt, das gemeinsame Erbe mit künftigen Generationen geteilt und friedlichen Zwecken vorbehalten werden. Niemand darf den Meeresboden für sich beanspruchen. Die Internationale Meeresbodenbehörde, International Seabed Authority (ISA), erhält die Aufsicht. 1994 Das Seerechtsabkommen Unclos (United Nations Convention on the Law of the Sea) tritt in Kraft. Die ISA nimmt in Kingston, Jamaika, ihre Arbeit auf. Mitglieder sind (2007) 155 Länder mit allen Staaten der Europäischen Union, nicht aber die USA, die Türkei und Venezuela. 2.8.2007 Der Wettlauf um den Nordpol, der bisher den internationalen Gewässern zugerechnet wird, beginnt. Ein russisches Forschungs-U-Boot setzt in rund 4.200 Metern Tiefe auf dem Meeresboden die Nationalflagge. Russland reklamiert die Arktis mit ihrem Reservoir an Bodenschätzen für sich: Vermutet werden 25 Prozent der globalen Öl- und Gasvorräte, außerdem Zinn, Mangan, Diamanten, Nickel und Gold. Nach Artikel 76 von Unclos muss jedes Land innerhalb von zehn Jahren nach der Ratifizierung beweisen, dass sein Kontinentalsockel bis in die internationalen Gewässer reicht – Russland bis 2009. Anspruch erheben auch Kanada, Norwegen, Dänemark und die USA. * EINE NAUTISCHE MEILE = 1,852 KILOMETER 12_Evonik_01-08 Abs2:12 11.02.2008 19:15:28 Uhr 17 Sensible Fördertechnik gesucht Noch sind die Umweltschäden beim Tiefseebergbau nicht zu beherrschen TEXT CONSTANZE SANDERS VORSICHTIG wie mit einer Pinzette zupft der Greifarm des Minengerätes Knolle für Knolle aus dem Schlick, während die Maschine ohne Berührung mit dem Meeresboden durch die Finsternis gleitet. Pumpen spülen mit Wasserdruck die wertvollen Manganknollen auf 5.000 Meter Tiefe zum ankernden Stationsschiff hinauf. So sieht in der Fantasie von Ingenieuren und Biologen internationaler Konzerne die Rohstoffförderung der Zukunft aus. Die Tiefsee-Rohstoffe sind begehrt: Fünf Kilogramm Manganknollen pro Quadratmeter gelten als wirtschaftlich für die Förderung. Rund einen Quadratkilometer Meeresboden müssten die Maschinen tagtäglich umpflügen, um 5.000 Tonnen Erze zu schürfen. Noch gibt es aber keine Technik, den Tiefseeschatz zu heben. Erst recht nicht, wenn das Ökosystem der Tiefsee nicht nachhaltig beschädigt werden soll. „Bisher ist nur Simulation möglich“, sagt Tiefseeexperte Gerd Schriever vom Biolab im schleswig-holsteinischen Hohenwestedt über die Bemühungen der Techniker in aller Welt. Vom Stationsschiff geschleppte Schürfbagger, wie in den 70er Jahren entworfen, laufen leicht aus dem Ruder, die Schädigungen des Meeresbodens sind enorm, testete ein japanisches Team. Gravierend ist auch der Eingriff durch Eimerketten-Systeme, die zwischen zwei Schiffen fortwährend Manganknollen nach oben hieven. Druck- oder Pumpsysteme mit einem autonom getriebenen Raupenfahrzeug und flexiblen Förderschläuchen machen Hoffnung. Die Chinesen haben einen Sammler entworfen, der mit hydraulischem Antrieb die Knollen vom Boden saugt und in der Tiefe mit seiner Erzmühle bricht. ZUKUNFTSKONGRESS Auf verbesserte Messtechnik und sensible Steuerungen setzen auch deutsche Ingenieure. „Wir wollen den Meeresboden berührungslos abernten“, sagt Johannes Post von der Firma Hydromod in Hannover, die maritime Technik ent wickelt. „Der Kollektor muss einen präzise bemessenen Abstand zum Grund einhalten.“ Auf dem Sammelschwimmer wird der Tiefseeschlamm von den Mangan knollen getrennt und samt seinen Mikrobewohnern wieder in die Tiefe entlassen. Die Wassersäule bleibt clean. Das ist das Ziel. Andere Techniker erwägen ein wanderndes System. „Etwa 50 bis 60 Systeme könnten gleichzeitig arbeiten“, sagt Schriever. Bei einem Quadratkilometer pro Einheit und Tag ergibt sich eine jährliche Abbaufläche in der Größe von Rheinland-Pfalz, die Tiefsee-Ebenen sind größer als alle Kontinente zusammen. Die Verhüttung der Rohstoffe an Land fällt in die Verantwortung der Küstenstaaten. „Was passiert mit dem Abraum?“, weist Experte Schriever allerdings auf ein weiteres Problem hin, denn von 5.000 Tonnen Manganknollen bleiben 85 Prozent übrig. „Bisher denkt noch keiner darüber nach, ob das giftig ist“, sagt er. Anfang März 2008 treffen sich an der RWTH Aachen internationale und deutsche Forscher und Manager von Hightech-Schmieden und Bergbaukonzernen mit Regierungsvertretern, um Zukunftstechnik für den Manganknollenabbau, cobaltreiche Krusten, Massivsulfide und Methangashydrate zu diskutieren. So stellen sich Techniker den Abbau der Schätze in 5.000 Meter Tiefe vor 1.000 m Abstand Förder- und Transportschiff mit Förderstrang, Pumpe und Kollektor mit Eigenantrieb Transportschiff Sanfter Sammler – Soft Miner mit schwebendem Sammler, Förderstrang und Kabelverbindung zum Schiff Förderplattform Manganknollen Meeresboden 17_Evonik_01-08 Abs1:17 300 Meter breite Schürfkette Förderplattform Förderstrang mit Pumpe Förderstrang mit Pumpe Trübewolken Transportschiff Trübewolke ManganknollenKollektor ManganknollenKollektor Trübewolke Manganknollen Meeresboden Manganknollen Meeresboden Trübewolke GRAFIK: DIETER DUNEKA Eimerkettensystem: Von zwei Schiffen geschleppt, hievt eine Endloskette fortwährend Erzknollen nach oben 20.02.2008 13:40:23 Uhr 18 ERFORSCHEN TIEFSEE EVONIK-MAGAZIN 1/2008 HWWI-Index der Weltmarktpreise für Rohstoffe (US$-Basis) 320 Gesamtindex Nahrungsmittel Industrierohstoffe Rohöl 300 280 260 240 220 200 180 160 140 QUELLE: HWWI 120 100 2003 2004 2005 2006 2007 2000 =100. Monatsdurchschnitte (der Durchschnitt für den letzten ausgewiesenen Monat ist unvollständig, solange der Monat nicht abgeschlossen ist). Stand: 08.01.2008 Fortsetzung von Seite 11 > Bei Manganknollen leben Krebse, Schwämme und Anemonen. Die Beschädigung des Meeresgrundes „als Folge der direkten Arbeiten der Bergbaumaschinen ist praktisch unvermeidbar“, stellt auch eine Studie der Universität Hannover fest. Die Bodensedimente werden zerwühlt, zerquetscht, umgelagert, Schwebstoffe in die Wassersäule aufgewirbelt. Sie stören das ökologische Gleichgewicht auch in den darüberliegenden Wasserschichten. „Die Staubbelastung ist enorm“, bestätigt Herzig. Erst nach Jahren kehrt Leben zurück, und der Meeresgrund wimmelt wieder vor Organismen. „Ein Freibrief für Tiefseebergbau ist das jedoch nicht“, unterstreicht auch BGRForscher Michael Wiedicke-Hombach. Eine deutsche Kooperation aus BGR, ehemaliger Preussag, die längst von TUI abgelöst wurde, Metallgesellschaft und Salzgitter AG versuchte sich bereits 1975 zusammen mit Unternehmen aus Kanada, den USA und Japan auf dem pazifischen Meeresgrund. Nach der ersten Energiekrise fielen die Metallpreise. Viele Unternehmen, darunter auch die deutschen, gaben enttäuscht auf und hatten zusammen mehr als eine halbe Milliarde Dollar Forschungsbudgets in den Fluten versenkt. Doch inzwischen braucht die Konsumgesellschaft immer neue Edelmetalle. Ein Computer besteht aus mindestens 30 hoch- 18_Evonik_01-08 18 Stetig steigend Der HWWIRohstoffpreisindex des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts ist Deutschlands wichtigster Preisindikator für die Weltmärkte und schließt alle wichtigen Import-Industrierohstoffe ein. wertigen Metall- und Nichtmetallrohstoffen wie Indium. Das Metall wird knapp, denn es kann an nur wenigen Produktionsorten weltweit aus Zinkerz gewonnen werden. In den Manganknollen und Erzkrusten auf dem Tiefseeboden aber wäre Zink reichlich vorhanden. Oder das vielseitige Zirkon, ein nahezu diamanthartes Silikatmineral, das bisher etwa an den Stränden vor Australien oder Südafrika gewonnen wird. Das daraus gewonnene Zirconium dient dem Korrosionsschutz von Pumpen, Rührern, Wärmetauschern, wird in Glühkathoden, aber auch in der Reaktortechnik als Hüllmantel für Kernbrennstoffe eingesetzt. In den unterseeischen Erzkrusten steckt reichhaltiger Nachschub. EINE FRAGE DER KALKULATION Bis zu 1 Milliarde Tonnen Manganknollen vermuten die BGR-Forscher auf ihrer Lizenzfläche im Pazifik. Ihr Wert richtet sich nach dem Tagespreis. „Etwa ein Fünftel der Fläche müsste abgeerntet werden, damit sich der Aufwand rechnet“, sagt BGR-Mann Wiedicke-Hombach. Japan, Australien, China testen Prototypen für den Manganknollenabbau: ferngesteuerte Schürfbagger, endlos laufende Eimerketten, Luft- und Wasserpumpen. Hauptproblem des Abbaues bleiben die Umweltschäden. Grundlagenforschung, neue Modelle und Messverfahren sind notwendig, um sie zukünftig zu vermeiden. Die Entscheidung für den Abbau der Rohstoffe in den Meerestiefen fällt bei der Abwägung zwischen Förderkosten und Edelmetallpreisen. Steven Scott, Geologe an der Universität von Toronto (Kanada), schwebt eine ferngesteuerte Tiefseeversion des Kohlebergbaues an Land vor, die das Erz in Röhren zu Schiffen oder schwimmenden Plattformen hinaufbefördert. Auch an einen grabenden Ozeanroboter denkt er. Die Tiefseemaschine soll beides können: „Manganknollen sammeln oder massive Erze aus dem Meeresboden herausbohren“, hofft Scott. Ideen für die Gewinnung von festen Tiefseekrusten hat auch der Kieler Forscher Herzig: „Moving Miner“, wandernde Arbeitsschiffe für Technik, Bohrgerät, Bagger und Lager, ernten die Fundorte nacheinander ab. „So eine Flotte kostet etwa 300 Millionen Euro“, sagt er. „Eine Landerschließung mit der erforderlichen Infrastruktur kann 1 Milliarde kosten.“ Denn Tunnel, Schächte oder Zufahrtsstraßen sind im Meer überflüssig. Die Ablösung der Krusten in großer Tiefe ist zwar aufwendig, aber umweltfreundlicher als das Manganknollensammeln, denn das Vulkangestein entlässt keine Staubwolke. Allerdings: Erze in wirtschaftlich nutzbaren Mengen brauchen Jahrhunderte, bis sie sich wieder angehäuft haben. Tiefseeschätze sind nichterneuerbare Rohstoffe. Wenn es darum geht, neue Rohstoffquellen zu erschließen, ist China > 20.02.2008 15:33:41 Uhr FOTOS: BGR Vor 30 Jahren bei einer Expedition geborgen: Probe einer Manganriesenkruste Auf der Suche nach neuer Abbau-Technologie Tiefe in m Cobaltreiche Kruste 0 200 1000 2000 3000 4000 5000 6000 Cobaltreiche Kruste entsteht wie Manganknollen durch Ausfällungen des Wassers, ist aber fest mit dem Gestein des Meeresbodens verbunden und einen bis zehn Zentimeter dick. Das größte Potenzial lagert in 800 bis 2.500 Metern Tiefe und enthält bis zu ein Prozent Cobalt (in kontinentalen Vorkommen maximal 0,2 Prozent). Weitere wertvolle Inhaltstoffe, vor allem für die Stahlerzeugung, sind Titan (Härtung), Cerium (Stabilisierung), Nickel (Veredelung) und Zirconium (gegen Korrosion). Um Menge und Gehalt zu erkunden, sind aufwendige Bohrungen und Grabungen in massiven Felsbetten in großen Meerestiefen nötig. Mangankruste 19_Evonik_01-08 19 20.02.2008 15:33:45 Uhr FOTO: IFM-GEOMAR, KIEL Brennendes Eis: Steigt die Temperatur und fällt der Druck, entweicht Methangas aus seinem Eiskäfig und brennt Wettrennen um die Rechte an den Tiefseeschätzen Tiefe in m Methanhydrate 0 200 1000 2000 3000 4000 5000 6000 Gas- oder Methanhydrat liegt im Meeresboden ab einer Wassertiefe von 400 Metern oder in kontinentalen Dauerfrostböden (Permafrost), in denen auch Kleinlebewesen zu Hause sind. Die Verbindung aus Wasser und Methangas entstand in Millionen Jahren aus der Zersetzung von organischem Material bei niedrigen Temperaturen oder unter hohem Druck. Ein Kubikmeter festes Hydrat dehnt sich bei Wärme und bei nachlassendem Druck auf 164 Kubikmeter Gas aus. 20_Evonik_01-08 Abs1:20 Permafrostboden 20.02.2008 14:29:07 Uhr EVONIK-MAGAZIN 1/2008 TIEFSEE ERFORSCHEN 21 Die Wächter der Tiefsee Die Meeresbodenbehörde in Kingston (Jamaika) – International Seabed Authority, ISA – überwacht alles, was Staaten, Konzerne und Wissenschaftsbetriebe in der Tiefe vorhaben, und setzt Umweltstandards für die Biosphäre. Wer auf dem Grund der Ozeane forschen will, muss sich für 250.000 US-Dollar (170.000 Euro, Dezember 2007) eine Lizenz holen, jährlich Berichte schreiben und darf Technologien für den wirtschaftlichen Abbau der Rohstoffe entwickeln. Die neuen Erkenntnisse müssen mit den 155 ISAStaaten (Stand Dezember 2007) geteilt werden. Seit 2000 gibt es den Tiefsee-Kodex über Schürf- und Abbaurechte von Manganknollen. Im Sommer 2007 standen Massivsulfide und Erzkrusten auf der Tagesordnung. Einige „kritische Punkte fehlen noch“, sagt Satya Nandan von den Fidschi-Inseln, seit 1996 Generalsekretär der ISA. „Es geht um die Aufteilung der Flächen und die Abgaben an die Staatengemeinschaft.“ FOTO: IAN R. MACDONALD > nicht weit. Erst 2006 stellte die Chinese Academy of Engineering neue Kontrolltechnik vor, Module und Glaskabel für Unterwasserroboter. Die Volksrepublik investiert gezielt in den Kauf von Rohstoffquellen. „China betreibt Prävention“, sagt BGR-Experte Wiedicke-Hombach. Auch Japan und Indien forschen intensiv. Indien ist vor der eigenen Haustür mit den Vorarbeiten für den Manganknollenabbau schon sehr weit. Spätestens Anfang 2009 macht sich die erste BGR-Schiffscrew aus Hannover auf den Weg, um bei Hawaii Proben zu fördern. Für die Testrechte hat die BGR 190.000 Euro gezahlt, „eine Art Bearbeitungsgebühr an die Meeresbodenbehörde“, sagt WiedickeHombach. „Sie macht die Buchführung und eine externe Kontrolle. Sollte es zum Abbau der Knollen kommen, zahlen wir eine Tantieme.“ Einem Energielieferanten aus der Meerestiefe ist auch das Kieler IFM-GeomarInstitut auf der Spur. „Kiel 6000“, sein neuer Roboter, kann in sechs Kilometern Tiefe Bodenproben nehmen und soll schon in diesem Jahr vor der Pazifikküste Oregons (Nordamerika) nach Brennendem Eis suchen. Was nach James Bond klingt, ist in Wahrheit ein mächtiger Energiespeicher: Gashydrate sind vereiste Erdgasklumpen, die sich an einem brennenden Streichholz entzünden, wenn man sie aus dem Wasser holt. Dann verbrennt das gespeicherte Gas, und Wasser 21_Evonik_01-08 Abs1:21 fließt ab. Nur unter Druck und bei großer Kälte sind sie stabil, umschlossen von Dauerfrostböden (Permafrost) oder im Meeresboden ab 400 Metern Tiefe. Die weltweiten Ressourcen werden auf etwa 500 Billionen Kubikmeter, mehr als die bereits bekannten Erdgasvorkommen, geschätzt. HOFFNUNG UND RISIKO „Für die Sicherung der Energie von morgen ist die Nutzung der Tiefsee zur Energiegewinnung, zum Beispiel aus Gashydraten, eine Herausforderung“, sagt die SPDBundestagsabgeordnete Margrit Wetzel, im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie für maritime Fragen zuständig. Das Problem: Methangashydrat stabilisiert als eisiger Kitt die Kontinentalhänge zwischen dem flachen, küstennahen Meeresboden (Schelf) und der Tiefsee. Wird der Kitt herausgelöst, könnte die Erde ins Rutschen geraten und dabei Flutwellen erzeugen. Zudem ist Methan ein starkes Treibhausgas und würde die CO2-Bilanz der Erde schwer belasten, falls es dabei unkontrolliert entwiche. Die Lösung sehen Forscher in Zusammenhang mit einem anderen Umweltproblem. Um den Klimakiller CO2 nicht mehr in die Atmosphäre entweichen zu lassen, würden sie es gerne im Meeresboden deponieren und gegen den begehrten Energierohstoff Gashydrat austauschen. „Flüssiges CO2 wird unter die Methanhydratlager gepumpt“, erklärt Herzig, „und drückt sie dabei heraus.“ Das Kohlendioxid bildet dann eine festgefrorene Substanz und stabilisiert an Ort und Stelle den Untergrund. Der Energierohstoff Erdgas aber wäre aus den Lagern herausgelöst und könnte zur Förderung nach oben strömen. „Das ist sicherer und einfacher als an Land“, fügt Herzig hinzu. Seit zwölf Jahren schon nutzt die norwegische Bohrinsel Sleipner im Nordatlantik eine vergleichbare Technik. Kurz vor dem Start ist die Technik in Verbindung mit der ersten Unterwasser-Förderanlage für Erdgas auf dem Snøhvit-Feld in der Barentssee. Nur 24 Jahre hat es gedauert von der Entdeckung der Felder auf dem norwegischen Kontinentalsockel bis zur Generalprobe in 300 Metern Tiefe. Ähnlich schnell könnte es gehen, bis der Meeresgrund unter dem Nordpol zugänglich wird. Seit August 2007 steht eine russische Flagge aus rostfreiem Titan dort in 4.200 Metern Tiefe. Der Wettlauf um die Arktis und ihre Schätze hat begonnen. Dänemark, Kanada, Norwegen und die USA beanspruchen Hoheitsrechte, die großen Energiekonzerne wollen Lizenzen, alle arbeiten fieberhaft an der Fördertechnik. Ende Mai 2008 treffen sich die „fünf Supermächte der Arktis“ auf Einladung der Dänen im grönländischen Ilulissat, um zu beraten. Harte Verhandlungen stehen bevor, denn die Polarregion birgt eine wahre Schatzkammer an Industrierohstoffen. < 11.02.2008 13:37:23 Uhr 22 INFORMIEREN EVONIK-MAGAZIN 1/2008 Wechselkurse Nur Starker Euro Der Euro ist 2007 gegenüber dem Dollar auf Höhenflug gegangen 1,50 INFOGRAFIKEN: REDAKTION 4 1,45 1,4 1,35 1,3 18.12. 2006 QUELLE: FINANZEN.NET 2.4.2007 2.7.2007 1.10. 2007 2,08 Personen wohnten 2006 statistisch in einem deutschen Haushalt, 1991 waren es noch 2,27 Personen. In 23 Prozent der 39,8 Millionen Haushalte leben ausschließlich Menschen im Seniorenalter ab 65. QUELLE: STATISTISCHES BUNDESAMT Energieverbrauch Der weltweite Verbrauch von Primärenergie (Kohle, Erdöl, Erdgas, Kernkraft) steigt im Jahr 2006 auf 10.878,5 Millionen Tonnen Öläquivalent – 2,4 Prozent mehr als im Vorjahr. 80 Prozent des Verbrauchs basieren laut Deutscher Energie-Agentur (Dena) auf fossilen Energieträgern. Die Hälfte der Energie wird von einem Sechstel der Bevölkerung, den Industriestaaten, verbraucht. Die aufsteigenden Staaten Asiens gehören ebenfalls zu den Großverbrauchern 22_Evonik_01-08 Abs1:22 20.02.2008 15:38:23 Uhr 23 Bruttoinlandsprodukt Konjunktur Die fleißigen Deutschen Skeptische Verbraucher Baugewerbe Land- und Forstwirtschaft, Fischerei 4,1% Handel, Gastgewerbe und Verkehr 17,8% 0,9% 2.423 Mrd. Euro Öffentliche und private Dienstleister 21,9% Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister 29,4% Produzierendes Gewerbe 25,9% QUELLE: STATISTISCHES BUNDESAMT Fast 2.500 Milliarden Euro erwirtschafteten die Deutschen als Bruttoinlandsprodukt 2007. Das entspricht einer preisbereinigten Steigerung gegenüber dem Vorjahr von 2,5 Prozent. Im Jahr 2006 betrug die Steigerung zum Vorjahr 2,9 Prozent Die Stimmung der Konsumenten in Deutschland schwankte 2007 8 8,5 8,5 8,5 7,4 7,4 7 6,7 6 5,7 5 Konsumklimaindex in Punkten 4,9 4,3 4 F M 4,5 M J A S * 4,8 4,4 4,5 *Prognose D N 2007 QUELLE: GFK Angaben in Millionen Tonnen Öläquivalent (Mtoe) 0 – 10 Mtoe 11 – 50 Mtoe 51 – 100 Mtoe 101 – 200 Mtoe 201 – 300 Mtoe 301 – 400 Mtoe 401 – 500 Mtoe 501 – 1.000 Mtoe 1.001 – 1.500 Mtoe 1.501 – 2.000 Mtoe 2.000+ Mtoe Keine Angaben Öläquivalent, oe QUELLE: BP „STATISTICAL REVIEW OF WORLD ENERGY FULL REPORT 2007“, INTERNATIONAL ENERGY AGENCY „KEY WORLD ENERGY STATISTICS 2007“ Internationales Maß für den Brennwert verschiedener Energieträger (Erdgas, Kohle, Kern- oder Wasserkraft) gemessen an einer Menge Rohöl, hier 1 Million Tonnen 1 Mtoe = 41,9 Petajoule oder 11,6 Terawattstunden 23_Evonik_01-08 Abs1:23 20.02.2008 15:38:29 Uhr 24 GESTALTEN SEPARION EVONIK-MAGAZIN 1/2008 Ein Trio unter Spannung TEXT KLAUS JOPP WENN SEINE ZEIT und das Wetter es FOTO: DEUTSCHER ZUKUNFTSPREIS zulassen, verbringt er jeden Abend 15 Minuten auf einem Stuhl vor seinem Wohnwagen: Dort genießt er die Aussicht in die sächsische Landschaft – notfalls im wärmenden Parka. Das Ritual ist fester Bestandteil des Lebens, auch wenn die Orte wechseln: „Diese Zeitspanne ist mir extrem wichtig. Ich sortiere dann meine Gedanken, ordne die Geschehnisse des Tages und bereite mich auf die kommenden Dinge vor“, sagt Dr. Andreas Gutsch. Der Geschäftsführer der Li-Tec Battery GmbH & Co. KG in Kamenz (Sachsen) ist ein praktischer veranlagter Mann, der dank des Lob vom Bundespräsidenten: Paul Roth, Andreas Gutsch und Gerhard Hörpel (v. l.) 24_Evonik_01-08 Abs2:24 Wohnwagens kurze Wege zu seinem Arbeitsplatz hat. Dorthin hat ihn die Evonik Industries AG entsandt, für die er zuvor die bereichsübergreifende Forschungseinheit Creavis Technologies & Innovation in Marl geleitet hat. Ohne einen Moment zu zögern, hat er die Führung von rund 200 Wissenschaftlern bei der Creavis mit dem „Abenteuer“ in der Provinz getauscht. „Wir sind zu 100 Prozent von dieser Chance überzeugt. Damit wir das Batteriethema auch für die gesamte deutsche Wirtschaft gegen die starke Konkurrenz aus Fernost zum Laufen bringen, habe ich mich entschlossen, selbst die Verantwortung zu übernehmen“, erklärt Gutsch. Am Abend des letzten Nikolaustages war allerdings keine Zeit für die blaue Stunde vor dem Wohnwagen. Da hatte Bundespräsident Dr. Horst Köhler zur Verleihung des Deutschen Zukunftspreises nach Berlin geladen – und Dr. Andreas Gutsch war mit seinen beiden Mitstreitern, Dr. Gerhard Hörpel aus dem Science to Business Center Nanotronics von Evonik in Marl und Professor Paul Roth von der Universität DuisburgEssen, als eines von vier Teams für diese höchstdotierte Auszeichnung im Bereich technischer Innovationen in Deutschland nominiert (Evonik-Magazin 4/2007). Was der Nikolaus für das Evonik-Dreigespann im Sack hatte, ist bekannt: eine Auszeichnung der Arbeit. Gewonnen hat ein > FOTO: SVEN DÖRING Andreas Gutsch, Gerhard Hörpel und Paul Roth sind die Erfinder der neuen Keramik SEPARION – Kern der modernen Lithium-Ionen-Batterien für den Weltmarkt Nachdenken im Campingsessel: Vor seinem 15.02.2008 20:51:40 Uhr 25 Wohnwagen in Kamenz, den seine Kinder mit Affen-Motiven beklebt haben, erholt sich Dr. Andreas Gutsch vom Stress. Bald zieht er in eine alte Försterei um 25_Evonik_01-08 Abs2:25 15.02.2008 20:51:42 Uhr 26 GESTALTEN SEPARION Kreativität für einen weltweiten Milliarden-Markt EVONIK-MAGAZIN 1/2008 > Projekt für neuartige Leuchtdioden. Traurig sind die Protagonisten, die unter der Bezeichnung „Nanoschicht mit Megaleistung“ angetreten waren, über den Ausgang überhaupt nicht: „Das Interesse für unsere Entwicklung ist durch den Zukunftspreis enorm angewachsen, ein besseres Marketing könnten wir uns gar nicht vorstellen“, schmunzelt Hörpel. „Wir müssen nur aufpassen, dass wir bei dem Medienrummel und den vielen Gesprächen mit potenziellen Kunden noch zu unserer Arbeit kommen.“ Und davon gibt es noch jede Menge, bevor die ersten Hybridoder Elektrofahrzeuge mit den Batterien made by Evonik starten können. Im Gegensatz zum Kollegen Gutsch denkt Hörpel gerne, wenn er in Bewegung ist. Wenn sich der Kollege in Kamenz kontemplativ in den Sessel setzt, erkundet der leidenschaftliche Fahrradfahrer Hörpel gern Nachdenken beim Fahrradfahren: Dr. Gerhard Hörpel ist am liebsten in Bewegung, wenn er seinen Gedanken nachhängen will. Radtouren durchs Münsterland halten ihn nicht nur fit, sondern sind auch sein Brainstorming. Im Alltag setzt der erfahrene Wissenschaftler auf ein gutes Zusammenwirken im Team. Ein starke Mannschaft hat er in Sachen SEPARION um sich versammelt (Foto rechts): 26_Evonik_01-08 Abs2:26 15.02.2008 20:51:45 Uhr 27 auf dem Drahtesel das Münsterland – gelegentlich auch auf einem Hightech-Rad, das bereits mit den modernen Energiespeichern ausgerüstet ist. EIN MILLIARDENMARKT FOTOS: CATRIN MORITZ „Nanoschicht mit Megaleistung“ – hinter dieser Überschrift verbirgt sich ein flexibler Separator, der von beiden Seiten eine poröse Schicht aus einer nanoskaligen Keramik trägt. Seine wichtigste Aufgabe ist die Trennung von Plus- und Minusseite in der Batterie, ansonsten würde es zum Kurzschluss kommen. Darüber hinaus muss der Separator durchlässig sein für die Lithium-Ionen. Das Bauteil, extrem dünn und so biegsam, dass man es problemlos auf Rollen wickeln kann, ist der Schlüssel für Lithium-IonenBatterien großer Leistungen, wie sie unter anderem für Autos oder Kraftwerke benötigt werden. Für die Zukunft ein Mega-Milliardenmarkt. Prognosen zufolge wird er von derzeit rund 1,4 Milliarden Euro bis 2015 auf 3,9 Milliarden Euro anwachsen. Energiespeicher sind sowohl im mobilen wie im stationären Bereich unverzichtbar, wenn es gilt, das Klimaproblem durch die verstärkte Nutzung regenerativer Energien in den Griff zu bekommen. Denn die Energie aus den regenerativen Quellen wie Sonne, Wind und Gezeiten fließt nicht kontinuierlich, sondern muss gespeichert werden, um sie nutzen zu können. Im sogenannten CCC-Markt, der für Handys (Cell Phones), tragbare Computer und Camcorder steht, haben die Powerpakete inzwischen einen Marktanteil von über 99 Prozent. Neuerdings finden sie auch in leistungsfähigen Elektrowerkzeugen Anwendung, die längere Zeit ohne Steck- Dr. Andreas Schuch, Dr. Gerhard Hörpel, Rolf Terwonne (sitzend), Dr. Matthias Pascaly, Dr. Hans- Jürgen Wessely, Dr. Martin Schuster, Dr. Christian Hying, Friedmann Rex (sitzend), Dr. Volker Hennige (von links nach rechts) 27_Evonik_01-08 Abs2:27 dose auskommen müssen. Die dafür benötigten Leistungen liegen unter zwei Amperestunden, für die Champions-League, das Automobil, braucht man aber über zehn Amperestunden. Für diese hohen Kapazitäten schafft SEPARION die Voraussetzungen, weil die Keramikmembran nicht zuletzt durch ihre Temperaturstabilität auch große Akkus sicherer, leistungsfähiger und langlebiger macht. Begonnen hat die Entwicklung von SEPARION bereits vor über zehn Jahren auf einem ganz anderen Gebiet. „Damals haben wir in der Nähe von Enschede in den Niederlanden vollkeramische Membranen gemacht, Gülle filtriert und hinterher damit Kaffee gekocht, um die gute Wirkung der Wasserfiltration zu belegen“, erinnert sich Hörpel. Doch das Material hatte die typischen Nachteile, die Keramik normalerweise mit sich bringt: Es war steif und leicht zerbrechlich, und deshalb war damit in der Anwendung kein Blumentopf zu gewinnen. An diesem Punkt kam eine Erfindung aus dem Saarland ins Spiel. „Dr. Bernd Penth lernten wir auf einem der zahlreichen Membranworkshops kennen“, so Gerhard Hörpel. Er stellte eine flexible keramische Membran auf Edelstahlgewebe vor, zur Wasserfiltration. Unter der Leitung von Professor Michael Dröscher, heute Chef des Innovationsmanagements, wurde diese Technologie für Creavis akquiriert. Zusammen mit der Kompetenz der Evonik Degussa GmbH im Bereich Partikeltechnologie und insbesondere Nanotechnologie, die zusammen mit Professor Paul Roth weiterentwickelt wurde, wurde fortan die Strategie verfolgt, die ursprünglichen Wasserfilter so lange immer dünner zu machen, bis sie als flexible Folie einsetzbar waren. Es war ein langer und mühsamer Weg. Dass er letztlich zu dem glücklichen Ende führte, liegt an den Beteiligten und ihrem Engagement für ihre Ziele. Gerhard Hörpel erschreckte schon als Kind seine Umgebung beim kreativen Umgang mit dem Chemiebaukasten im Keller seines Elternhauses bei Bad Kreuznach. Gutsch hingegen schwankte zunächst zwischen den Berufswünschen Lokführer, Flugkapitän oder – durch die Herkunft der Mutter geprägt – Landwirt. Wegen seiner schwachen Rechtschreibleistungen in der Schule tröstete ihn seine > 15.02.2008 20:51:47 Uhr 28 GESTALTEN SEPARION EVONIK-MAGAZIN 1/2008 Energiespeicher der Zukunft Morgen Übermorgen Herkömmliche LithiumIonen-Batterien mit Leistungen von 3 Wh Durch Evonik-Zutaten deutlich erhöhte Batterieleistungen Große Lithium-Ionen-Batterien als Netzpuffer h 3W + *Separi on *Lithari on E EL K E ER B IL E ICH MO ÄTSSP T IZ I TR Voraussetzung für Hybridautos ist die Leistung von 1 kWh pro Batterie LiTec 1 KWh Eine große Anzahl von Elektroautos bezieht Strom aus dem Netz oder speist ihn bei großem Bedarf ins Netz zurück Einsatz in Hybridautos mit gemischtem Elektro- und Verbrennungsantrieb LiTec h 150 W SEPARION und LITHARION Die Keramikmembran SEPARION und neuartige Elektrodenmaterialien (LITHARION) erlauben den Bau von Batterien mit wesentlich besseren Leistungen bis zu 1 kWh Reines Elektroauto V2G (Vehicle to Grid) STATIONÄRE ER ELEKTRIZITÄTSSPEICH Kleine Lithium-IonenBatterien beherrschen schon heute den Markt der Handys, Laptops und Camcorder LiTec LiTec Regenerative, unstetig anfallende Energien aus Wind, Sonne und Biomasse Regenerative Energien LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec 0 KWh 100 - 10.00 LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec LiTec 10 KWh LiTec LiTec Eine größere Anzahl von Batterien werden zu kleinen Kraftwerken zusammengefasst Die Leistung der Batterien ist nochmals um den Faktor 10 erhöht INFOGRAFIK: REDAKTION 4, QUELLE: EVONIK INDUSTRIES - + Heute Heute bedienen die Lithium-Ionen-Batterien als kleine Systeme noch überwiegend den Markt der Handys, Laptops und Camcorder. Dank der Evonik-Technologie können die Powerpakete künftig auch in deutlich größeren Einheiten sicher betrieben werden. Das eröffnet Chancen zunächst in Hybrid-und Elektroautos sowie in stationären Anwendungen, die Solar- und Windenergie speichern 28_Evonik_01-08 Abs2:28 15.02.2008 20:51:50 Uhr 29 > Mutter: „Junge, halt durch. Eines Tages hast du eine Sekretärin, die macht das für dich.“ Entsprechend motiviert, absolvierte der Schüler Gutsch nicht nur erfolgreich das Gymnasium in Neuwied, sondern stürzte sich auch ins Studium. Inspiriert durch die Umweltdiskussion schrieb er sich für die Ausbildung zum Chemieingenieur an der Technischen Hochschule Karlsruhe ein. „Danach wollte ich unbedingt meine Eltern finanziell entlasten und habe mich mit dem Verkauf von Photovoltaikanlagen selbstständig gemacht. Da war ich meiner Zeit etwas voraus, aber schon damals war das ein gutes Geschäft“, erinnert sich Gutsch. GEDULD UND HARTNÄCKIGKEIT Neben der Begeisterung für naturwissenschaftliche Themen, die Hörpel durch das Chemiestudium an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz auslebte, benötigt eine Entwicklung wie die von SEPARION aber noch mehr. Geduld bis zur Sturheit, Hart näckigkeit und Überzeugungskraft sind nur einige davon. Während Gutsch eher als ungeduldiger, unnachgiebiger Antreiber agierte, zeigte sich Hörpel als ruhiger, kontinuierlicher Bewahrer, der auch einmal einen schweren Sturm abwettert. Und dunkle Wolken gab es durchaus: Die Entwicklung von den Wasserfiltern zum keramischen Separator sollte eigentlich nur sechs bis acht Monate dauern und nicht drei Jahre. In diesen schwierigen Zeiten ist das gesamte Team, zu dem sowohl auf Evonikwie auch auf Universitätsseite mehrere Mitarbeiter gehören, noch enger zusammengerückt. „Bei aller Aufmerksamkeit für das Trio in der Öffentlichkeit – ohne das tolle SEPARION-Team wäre der bisherige Erfolg gar nicht möglich gewesen“, betont Hörpel. Begonnen hat das Projekt vor einigen Jahren im sogenannten Screening Committee, dem Vorläufer der heutigen Creavis. Diese kleine kreative und visionäre Gruppe um Professor Dr. Michael Dröscher, Leiter Innovation Management Chemicals, hatte das Thema Membranen und seine Chancen damals identifiziert – zu einer Zeit, in der das Thema Lithium-Ionen-Batterien für Automobile, wenn überhaupt, nur als Vision existierte. Auf Realisierbarkeit geprüft und umgesetzt wurden die zum Teil fantastischen Ideen vom „Membranteam“ um Dr. Gerhard 29_Evonik_01-08 Abs2:29 Hörpel, bestehend aus Christian Hying mit Erfahrung in der Membranherstellung und heute Produktionsleiter für SEPARION, dem Keramiker Volker Hennige, der heute die Lithium-Ionen-Aktivitäten der Creavis in China leitet, sowie Sven Augustin mit Erfahrungen im Markt und in der Anwendung von Membranen, heute im Automotive Industry Team von Evonik der Experte für Batterieanwendungen im Automobil. Heute steht ein 40-köpfiges Team unter der Leitung von Hans-Jürgen Wessely für den Erfolg der Lithium-Technologie von Evonik ein. Anfang 2006 schlugen die Batteriebauer ein neues Kapitel in Sachsen auf, als sie die Firma Ionity AG übernahmen, um große Lithium-Ionen-Batterien bauen zu können. Sie gründeten die Li-Tec Battery GmbH als neue Partnerschaft und nutzten die bestehende Infrastruktur. „Davon profitieren wir jetzt, denn die Hallen mit 8.000 Quadratmetern Produktionsfläche standen bereits, und auch die Infrastruktur wie zum Beispiel einer der größten Trockenräume Europas war vorhanden“, freut sich Gutsch. Noch in diesem Jahr soll in Kamenz von der bisherigen Handfertigung der Zellen auf eine automatische Linie umgestellt und das vorhandene Know-how ausgeschöpft werden. Bei der Vermarktung wird eine doppelte Strategie verfolgt: Zum einen sollen bereits vorhandene Märkte möglichst schnell erschlossen werden, wozu elektrisch betriebene Fahrräder und Roller, Boote und Jetski, aber auch industrielle Anwendungen wie Gabelstapler, Rasenmäher oder Reinigungsmaschinen gehören. Zum anderen werden bereits heute Partnerschaften für die Märkte von morgen vor allem im Fahrzeugbereich entwickelt. Die Ziele sind ehrgeizig: Bereits 2008 soll die 100.000 Zelle gefeiert werden. INTENSIVE FORSCHUNG Wie groß das Interesse der Industrie ist, beweist die Forschungs- und Entwicklungsinitiative (F & E), die das Bundesforschungsministerium (BMBF) zusammen mit den Unternehmen BASF, Bosch, Evonik, Li-Tec, Evonik New Energies GmbH und aller im Verband der Automobilindustrie (VDA, Frankfurt am Main) vertretenen Automobilhersteller auf den Weg gebracht hat. „Lithium-Ionen-Batterien zur Mobilisierung regenerativer Energien der Zukunft und zur Effizienzsteigerung bei der Umwandlung fossiler und regenerativer Energien“ heißt das Vorhaben ziemlich sperrig und ist auf zunächst drei Jahre angelegt. 360 Millionen Euro will das Konsortium aufbringen, 60 Millionen Euro steuert das Ministerium zusätzlich bei. Evonik Industries unterstützt darüber hinaus zusammen mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eine weitere Initiative mit dem Titel „Funktionsmaterialien und Materialanalytik zu Lithium-Hochleistungsbatterien“. In diesem Projekt engagieren sich zwölf Universitäten und Forschungsinstitute, um Grundlagenarbeiten auf diesem Gebiet zu leisten. Flankierend zu den eigenen Aktivitäten hat Evonik zudem an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster eine Stiftungsprofessur für angewandte Materialwissenschaften zur Energiespeicherung und -umwandlung eingerichtet. Zielsetzung dabei ist ein international wettbewerbsfähiges Forschungsprogramm zur Energiespeicherung in großvolumigen LithiumIonen-Batterien. An der Stiftungsprofessur sind auch die Chemetall und VW beteiligt. Eingebettet in diese nationalen Anstrengungen werden die Lithiumaktivitäten in den Firmen Evonik und Li-Tec fortgesetzt. Das Ziel dabei ist klar: 160 Zellen aus Kamenz benötigt etwa ein Elektroauto der Golf klasse, um bei Tempo 130 rund 150 Kilometer zurückzulegen. Zugleich können die Powerpakete den fluktuierenden Strom aus Solarund Windkraftanlagen speichern (siehe Kasten) und damit die Effizienz und Wertigkeit der regenerativen Energiequellen deutlich erhöhen. Eigene Kraft für die anstehenden großen Aufgaben schöpfen die drei Forscher erstaunlicherweise alle aus derselben Quelle: Sie sind unisono ausgesprochene Familienmenschen. Deshalb will Gutsch die Wohnwagenperiode auch möglichst bald beenden. Inzwischen hat er eine alte Försterei übernommen, damit seine beiden Söhne ihn wenigstens am Wochenende besuchen können – zum Basteln von Flugzeugen und Schiffen zum Beispiel. Auch die könnte man mit Lithium-Ionen-Batterien mobilisieren. Ein Thema, das bei Evonik noch eine große Zukunft hat. < 15.02.2008 20:51:53 Uhr 30 ENTWICKELN KLIMASCHONENDES WOHNEN EVONIK-MAGAZIN 1/2008 Klima schützen – Kosten sparen Evonik setzt auf Klimaschutz, der sich auszahlt – intelligente Konzepte für nachhaltige Lösungen WENN ES UMS MODERNE Wohnen geht, sind der Fantasie fast keine Grenzen gesetzt: Aus der Tiefe der Erde Gebäude beheizen, mit Betondachsteinen die Luft verbessern und Sonnenlicht in Strom umwandeln. Das Geschäftsfeld Immobilien der Evonik Industries AG setzt konsequent alle technologischen Neuerungen in die Praxis um, damit Schadstoff-Emissionen reduziert und Mietnebenkosten gesenkt werden können. Jüngstes Beispiel sind die „ersten industriell gefertigten, umweltaktiven Dachsteine der Welt“, mit denen Evonik in einem bundesweit einzigartigen Pilotprojekt acht Mehrfamilienhäuser in Duisburg – 3.000 Quadratmeter Dachfläche – eingedeckt hat und die viel mehr können, als „nur“ vor Regen und Schnee zu schützen. Vom Schermbecker Unternehmen Nelskamp auf Grundlage eines neuen Baustoffs der HeidelbergCement-Gruppe hergestellt, besteht die Oberf läche der Dachziegel aus einem Mikrobeton, der Kristalle von Titandioxid enthält. Dieses 1908 in Norwegen und den USA entdeckte ungiftige Material ist zwar in den Dachsteinen von so geringem Durchmesser enthalten, dass es 2.500-mal dünner als ein menschliches Haar ist, verfügt aber dennoch über so viel Kraft, dass es gemeinsam mit Tageslicht Umwelt- 30_Evonik_01-08 30 schadstoffe wie Stickoxide in unschädliche Substanzen umwandeln kann. Tagtäglich stoßen Industriebetriebe und Autos Stickoxid aus, das durch Sonnenlicht zu giftigem Ozon zersetzt wird. Trifft dieses Gas auf Titandioxid, wird – in Kombination mit Tageslicht – der Schadstoff in kürzester Zeit in ungefährliche Nitratmoleküle umgewandelt. Diese Substanz wird vom Regen fortgespült und versickert als neutrales Salz im Erdboden. Hier kann es Pflanzen als Nährstoff dienen oder wird von einer Kläranlage ausgefiltert. Titanoxid kann unendlich oft als Katalysator dienen, denn es verbraucht sich nicht. Damit können die Dachsteine, die optisch herkömmlichen Dachziegeln ähneln und genauso zu verlegen sind, gerade in Ballungszentren dazu beitragen, für saubere Luft und weniger Ozon-Belastung zu sorgen. DIE SUPER-ZIEGEL Bei einem ähnlichen von der EU geförderten Projekt in Italien konnte nachgewiesen werden, dass Beton mit Titandioxid bei einer maximalen Sonneneinstrahlung eine StickoxidReduzierung von bis zu 90 Prozent erzielen kann und bei schlechtem Wetter noch bis zu 70 Prozent. Reiner Kathenbach, Leiter Tech- Pilotprojekt: 3.000 Quadratmeter Dachfläche werden in Duisburg neu eingedeckt FOTOS: EVONIK INDUSTRIES (2); INFOGRAFIK: REDAKTION 4 TEXT CATRIN KRAWINKEL 14.02.2008 14:29:38 Uhr So funktionieren die modernen Dachziegel 31 UV-Strahlung NOx NOx Regen NOx Titandioxid TiO2 im Mikrobeton neutralisiert Titandioxid Schadstoffe aus der Luft NO3NO3NO3- Die Dachziegel aus Mikrobeton enthalten Kristalle von Titandioxid. In Verbindung mit Tageslicht wandelt es Stickoxide in Nitratmoleküle um. Diese Substanz wird vom Regen fortgespült und ver-sickert als Salz im Erdboden oder gelangt über die Kanalisation in Kläranlagen, in denen sie ausgefiltert wird. ClimaLife-Dachstein-Oberfläche QUELLE: NELSKAMP nik und Quartiermanagement von Evonik Wohnen GmbH, ist von dem neuen Dachstein begeistert: „Wir modernisieren jährlich durchschnittlich 150 bis 160 Gebäude. Haben diese Häuser Steildächer, die mit den innovativen Dachsteinen ausgestattet werden können, leisten wir einen erheblichen Beitrag zum Umweltschutz .“ 200 Quadratmeter Dachfläche reichen aus, um die Abgase einer 2.000Kilometer-Fahrt mit dem Auto zu beseitigen. Bei der Sanierung erhalten die Häuser neue Wärmeschutzfenster, Dach- und Kellerdecken werden isoliert und die Fassaden mit einem Wärmedämmungs-Verbundsystem ausge- stattet, so wie es die strengen Richtlinien für die Nutzung der Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) vorsehen. Der Primärenergiebedarf der modernisierten Gebäude entspricht nach Fertigstellung annähernd dem eines vergleichbaren Neubaus und trägt somit erheblich zur Senkung der Heizkosten bei. Gleichzeitig wird der CO2-Ausstoß um mindestens 40 Kilogramm pro Quadratmeter und Jahr verringert (Evonik-Magazin 4/2007). SONNENSIEDLUNG Selbstverständlich nutzt das Unternehmen die neuen Umwelt- und Klimastandards bei Mit modernster Technologie wird die „Sonnensiedlung“ in Moers-Kapellen ausgestattet 31_Evonik_01-08 Abs2:31 allen Neubauten. So entsteht in MoersKapellen gerade die „Sonnensiedlung“ mit insgesamt 60 Eigenheimen, die zum Teil durch Geothermie, also durch Erdwärme, beheizt und durch Sonnenenergie mit Warmwasser versorgt werden. Weitere Objekte in diesem Baugebiet sind mit Photovoltaikanlagen ausgestattet. Der so erzeugte Gleichstrom wird über einen Wechselrichter in das vorhandene Stromnetz des örtlichen Versorgers eingespeist. Ist das Erdreich als Wärmequelle erst einmal erschlossen, so steht die Energie ständig zur Verfügung und ist äußerst zuverlässig. Mittels Erdwärmepumpe gelangt sie ins Hausinnere. Rund 10.000 Euro teuer ist die Anlage der Erdwärme-Technik pro Haus. Doch die Kosten rechnen sich. Schließlich lassen sich mit der Erdwärme gut zwei Drittel der herkömmlichen Energiekosten sparen. „Durch das Erneuerbare-EnergienGesetz (EEG) erhalten die neuen Hausbesitzer nicht nur eine garantierte Einspeisevergütung, die gesamte Ökotechnik kann auch durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau gefördert werden“, erklärt Kathenbach. Neben den niedrigen Energiekosten gibt es noch weitere Vorteile: Sie braucht keinen Schornstein, Öltank oder Gasanschluss und erzeugt keine Emissionen. < 12.02.2008 18:10:38 Uhr 32 ERLEBEN RUHRFESTSPIELE EVONIK-MAGAZIN 1/2008 Ein Hauch von Hollywood Kevin Spacey erneut der Star der Ruhrfestspiele – auch Peter Zadek ist wieder dabei – Frank Hoffmann TEXT ULRICH SCHMIDT riment. Eines der traditionellsten Theater Europas sollte in seiner Muttersprache die Eröffnungspremiere der Ruhrfestspiele Recklinghausen 2006 gestalten. Mit einem Oscar-Preisträger in der Hauptrolle. Glamour und Tradition. Würde das gutgehen? Es ging bestens – die Zuschauer waren begeistert. Kevin Spacey brillierte als Richard II. in Shakespeares gleichnamigem Stück in der Inszenierung von Trevor Nunn, einer Produktion des Old Vic Theatre in London, an dem Kevin Spacey auch künstlerischer Direktor ist. In diesem Jahr ist er wieder dabei in Recklinghausen (1. 5. bis 15. 6. 2008) mit dem Stück „Speed the Plow“, zu Deutsch: „Die Gunst der Stunde“. Festspiel-Hauptsponsor Evonik Industries AG hat den Auftritt möglich gemacht. Inken Ostermann, bei Evonik zuständig für das Sponsoring: „Wir sind stolz, Hauptsponsor zu sein. Die Ruhrfestspiele sind mittlerweile zu einem Magneten für internationales Publikum und Künstler von Weltrang geworden.“ Partner von Spacey in der neuen Produktion ist Jeff Goldblum, Autor des Stückes ist David Mamet, ein Dramatiker der jüngeren amerikanischen Generation, der auch schon erfolgreiche Drehbücher in Hollywood > 32_Evonik_01-08 Abs2:32 FOTO: ELLIS PARINDER VOR ZWEI JAHREN war es ein Expe- „Die Gunst der Stunde“ zeigen Kevin Spacey und Jeff Goldblum bei den Ruhrfestspielen 12.02.2008 18:07:15 Uhr 33 Frank Hoffmann (Mitte) mit dem Schauspieler Herbert Knaup (links) und Intendant Hasko Weber vom Staatstheater Stuttgart FOTO: PHILIPPE LAUREN Die Compagnie DCA – Philippe Decouflé führt ihr Tanztheater „Sombrero“ auf FOTO: DPA/BERND THISSEN und sein Team haben das Programm dem Land der Unbegrenzten Möglichkeiten gewidmet 33_Evonik_01-08 Abs2:33 12.02.2008 18:07:18 Uhr 34 ERLEBEN RUHRFESTSPIELE EVONIK-MAGAZIN 1/2008 FOTO: ARNO DECLAIR Die Bühne verbindet zwei Kontinente Judith Rosmair spielt in der Frank-Hoffmann-Inszenierung „Ein Mond für die Beladenen“ FOTO: MANU THEOBALD Josef Bierbichler in „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ von Tennessee Williams 34_Evonik_01-08 Abs2:34 12.02.2008 18:07:21 Uhr 35 > abgeliefert hat. Dort spielt auch dieses Drama: Der Hollywood-Produzent Bobby Gould (Kevin Spacey) bekommt von seiner Sekretärin Karen ein Skript zugespielt, das zwar künstlerisch wertvoll ist, aber finanziell ein Flop zu werden droht. Sein alter Freund Charlie Fox (Jeff Goldblum) wiederum hat ein Drehbuch voller Banalitäten, aber schon einen Star dazu engagiert. Bobby muss sich entscheiden zwischen Kunst und Kommerz. Dem Recklinghäuser Publikum machte Kevin Spacey ein großes Kompliment, als er vor zwei Jahren die einmalige Atmosphäre lobte. Die Erinnerung daran bewog ihn wohl auch, jetzt wiederzukommen. Mehr noch: Als er dem australischen Hollywood-Star Cate Blanchett vorschwärmte, was er vor zwei Jahren im Ruhrgebiet erlebt hatte, entschied sie sich, mit ihrer Debüt-Regiearbeit „Blackbird“ und ihrer Sydney Theatre Company ins Ruhrgebiet zu kommen. Das Stück von David Harrower erzählt vom Kindesmissbrauch. Kommt auch ins Ruhrgebiet: Harald Schmidt in „Elvis lebt. Und Schmidt kann es beweisen“ sich der Intendant, einen ironischen, mexikanischen Kommentar zum Thema. Tanz hatte schon immer einen hohen Stellenwert bei den Ruhrfestspielen. In diesem Jahr präsentiert die Compagnie Sentimental Bourreau eine Performance nach dem Roman „Sweet Thursday“ von John Steinbeck. Wie immer geht es dem Kritiker des American Way of Life um einen Gegenentwurf zur amerikanischen Leistungsgesellschaft. Den Kontrapunkt zu dieser Mischung aus Tanz, Musik und Sprechtheater, die gemeinsam mit dem Festival d’Avignon produziert wird, bietet vermutlich die Pockemon Crew Compagnie, die es buchstäblich aus dem Untergeschoss der Oper Lyon zu einem festen Bestandteil dieser Bühne geschafft hat. Eine der innovativsten Gruppen im Breakdance International kommt damit nach Recklinghausen. International ist auch das mittlerweile fest etablierte Fringe Festival, das in diesem Jahr 16 Produktionen aus sieben Ländern open air und in weiteren Räumen in der Innenstadt Recklinghausens zeigt. Die größte Überraschung für Theaterfans: „Zadek ist wieder da“, sagte Frank Hoffmann ganz lapidar, als er die Produktion „Nackt“ ankündigte, ein Stück von Luigi Pirandello. Nach den Problemen um „Was ihr wollt“ in Wien war es still geworden um Peter Zadek, der schon häufig Gast war in Recklinghausen. Zumindest dem Thema Traum bleibt diese Produktion treu. Denn das gescheiterte Leben des Kindermädchens Ersilia aufzuschreiben ist der Wunsch des Schriftstellers Nota. Dass dieses geschehe, ist ihr Traum. Doch nichts ist so, wie es scheint. Man darf gespannt sein, wie Zadek, von dem man kräftig zupackendes Theater gewohnt ist, mit diesem Spiel um Identitäten umgeht. < 35_Evonik_01-08 Abs2:35 „Es war einmal in Amerika. Ein Traum vom Theater“ hat Festspielintendant Frank Hoffmann die Saison 2008 getauft. Dabei geht es ihm auch um den Widerspruch zwischen Traum und Realität. Dafür steht seine Inszenierung von Eugene O’Neills „Ein Mond für die Beladenen“. Es ist eine Geschichte mit viel Alkohol und Liebe. Die weibliche Hauptrolle übernimmt Judith Rosmair, Deutschlands Schauspielerin des Jahres 2007. Damit ist die Spannweite vom noch stark europäisch geprägten amerikanischen Thea ter bis zum Hollywood-Stück der Gegenwart angezeigt. Dazwischen stehen noch Werke von Autoren wie Tennessee Williams, Arthur Miller und Sam Shepard. Was Frank Hoffmann damit auch zeigen will: Die amerikanische Kultur hat in nur 100 Jahren ein Theaterwesen geschaffen, das sich mit der älteren europäischen Theaterkultur durchaus messen kann. Ironische Brechungen des Amerikabildes erwartet sich der Hausherr von Jérôme Savary, der „Happy End“ von Dorothy Lane, Kurt Weill und Bertolt Brecht inszenieren wird, sowie vom Tanztheater der Compagnie DCA – Philippe Decouf lé. Ihr Stück „ Sombrero“ ist eine heitere Reise durch Licht und Schatten und liefert, so wünscht es Weitere Informationen: www.ruhrfestspiele.de. FOTO: RUHRFESTSPIELE FOTO: DAVID GRAETER TRAUM UND REALITÄT Ein Ort für Spitzentheater: das Ruhrfestspielhaus in Recklinghausen 12.02.2008 18:07:24 Uhr 36 INFORMIEREN EVONIK-MAGAZIN 1/2008 Hannover Messe FOTO: EVONIK INDUSTRIES Evonik zeigt Innovationen Mit einem informativen Messestand stellt sich die Evonik Industries AG auf der weltweit größten Industriemesse in Hannover vom 21. bis zum 25. April vor. Die Messe ist die weltweit wichtigste Plattform für technische Innovationen. Auf einem Messestand von rund 800 Quadratmetern wird der kreative Industriekonzern aus Essen seine Innovationen aus den Geschäftsfeldern Chemie, Energie und Immobilien dem Publikum aus aller Welt präsentieren. Vor allem in der Spitzentechnologie zu Ressourcenschonung und Energieeffizienz hat das Unternehmen eine Reihe von Entwicklungen zu bieten: von klimaschonenden Modernisierungen im Immobilienbereich über Spitzentechnologie bei der Nutzung von Geothermie und in effizienteren Steinkohlekraftwerken bis zu modernen Anwendungen der Chemie im Automobilbau, wie den neuen Lithium-Ionen-Batterien für Hybridfahrzeuge. Berlin und Brüssel Wilhelm Schmidt neuer Leiter der Abteilung Public Affairs Wilhelm Schmidt ist der neue Leiter der Abteilung Public Affairs an dem neuen Konzern war groß. In Berlin nutzte Evonik-Vorstandsvorsitzender Dr. Werner Müller – vor Parlamentariern, Bundesministern und Wirtschaftsvertretern, an ihrer Spitze Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert – die Gelegenheit, sich bei den Beteiligten für dieUnterstützung bei der Neuaufstellung von Evonik und der Gründung der RAG-Stiftung zu bedanken. In Brüssel informierte Evonik-Vorstand Dr. Klaus Engel die Gäste aus dem Europäischen Parlament, der Europäischen Kommission und aus den Verbänden über die ersten 150 Tage der neuen Marke Evonik. Darüber hinaus setzte er sich in seinem Vortrag und in den Gesprächen am Rande aus der Perspektive des Unternehmens kritisch mit der europäischen Chemierichtlinie REACH und dem europäischen Zertifikatehandel auseinander. Gastredner war der Europaparlamentarier und Vorsitzende des Ausschusses für konstitutionelle Fragen des Europa-Parlaments Jo Leinen. Karlheinz Maldaner leitet die Konzernrepräsentanz in Brüssel Europa-Abgeordneter Jo Leinen im Gespräch mit Evonik-Vorstand Dr. Klaus Engel FOTOS: LAURENCE CHAPERON/LASA (5) Die Abteilung Public Affairs der Evonik Industries AG hat eine neue Leitung: Nachdem Dr. Wilfried Czernie (67) in den Ruhestand gegangen ist, hat Wilhelm Schmidt (63) seit Anfang des Jahres die Leitung der Abteilung übernommen. Er ist zugleich Bevollmächtigter des Vorstandes und Gesamtleiter der Konzernrepräsentanzen in Berlin und Brüssel. In der deutschen Hauptstadt leitet Markus Schulz und in Brüssel Karlheinz Maldaner die Repräsentanz von Evonik Industries. Wilhelm Schmidt bringt umfangreiche politische Erfahrungen in seine neue Position mit ein. Er war lange für die SPD-Mitglied im Deutschen Bundestag und ihr Erster Parlamentarischer Geschäftsführer. Evonik Industries präsentierte sich in den vergangenen Wochen sowohl in der deutschen als auch in der europäischen Hauptstadt und stellte dabei den neuen Konzern und seine Ziele vor. Das Interesse bei den politischen Repräsentanten und Parlamentariern Markus Schulz leitet die Konzernrepräsentanz in Berlin Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert im Gespräch mit Dr. Werner Müller 36_Evonik_01-08 Abs1:36 20.02.2008 14:57:06 Uhr 37 Gastbeitrag Russlands negatives Bild in der deutschen Presse FOTO: PRIVAT Kein Land, mit Ausnahme der USA, genießt in den deutschen Medien eine so hohe und emotionale Aufmerksamkeit wie Russland. Dies ist nicht überraschend. Russland ist Veto- und Atommacht, wichtiger Lieferant von Rohstoffen (Öl, Gas) und nicht zuletzt Nachbar in Europa. Signifikant ist dabei, dass die Berichterstattung faktisch mit Putin gleichgesetzt wird, will sagen: Alle Ereignisse sind auf die Rolle des scheidenden russischen Präsidenten fokussiert. Putin ist somit die zentrale Zielscheibe aller zumeist negativen Kritik an Russland. In einer von der WAZ-Mediengruppe in Auftrag gegebenen Dimap-Communications-Studie wurden sechs „Kommunikationsereignisse“ der letzten zwölf Monate analysiert: die Morde an Anna Politkowskaja und Alexander Litwinenko, die Sicherheitskonferenz in München 2007 mit Putins klirrender Rede, der EU-Russland-Gipfel in Finnland, die Vergabe der Olympischen Winterspiele an Sotschi sowie die Duma- und Präsidentschaftswahlen. Fast alle Artikel zu diesen Themenfeldern erwähnten „Putin“. Besonders anschaulich ist dieser Trend in den Berichten zum Politkowskaja-Mord. Dieser führte dazu, die russische Politik allgemein aufs Korn zu nehmen. „Kriminalitätsbekämpfung“ sowie „Meinungs- und Pressefreiheit“ rangieren weit dahinter. Der gewaltsame Tod der Journalistin (die sich im Übrigen für alle Informationen an ausländische Kollegen bezahlen ließ) wurde zum Anlass genommen, mit der russischen Politik generell und mit Putin im Besonderen abzurechnen. Putin steht somit für alles, was in Russland schlecht ist. Politkowskajas Tod markierte gleichsam den Startschuss für eine Phase besonders kritischer Auseinandersetzung mit Russland. Zugespitzt kann man sagen: Russland = Putin = böse beziehungsweise immer böser. Dabei divergieren die Meinungen über Russland zwischen Korrespondent in Moskau und heimischer Zentrale durchaus: Zwar überwiegt die Einschätzung, dass die generelle politische Entwicklung den autoritär geführten Staat widerspiegelt. Doch die Zentralen neigen eher dazu, dass Putin das Land stabilisiert habe, während die Korrespondenten eine Destabilisierung zu erkennen glauben. Hier kommen natürlich auch antirussische beziehungsweise antisowjetische Reflexe und Stereotype zum Ausdruck. Allerdings sollte man bedenken, dass die Geheimniskrämerei zur politischen Kultur 37_Evonik_01-08 Abs1:37 FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA TEXT RICHARD KIESSLER Patriarch Alexij II. und Wladimir Putin: Reden gegen den Diktator Stalin Russlands gehört: nach außen Stärke und fugenlose Geschlossenheit zeigen, eigene Schwächen vor fremden Augen verborgen halten. Wenn Russland schlechte Nachrichten liefert, werden diese im kognitiven Schema des geringer entwickelten, chaotischen und unbegreiflichen Russland abgelegt. Aufschlussreich ist ferner, dass sich die Bewertungen der russischen Politik durch die rund 200 in Moskau akkreditierten deutschen Korrespondenten zu zwei Dritteln (!) auf nichtrussische Akteure stützten, auf deutsche und ausländische Politiker oder Repräsentanten internationaler Organisationen. Für die Repräsentanten der deutschen Wirtschaft besonders ernüchternd ist der Befund: Weniger als ein Prozent der Bewertungen geht auf deren Aussagen zurück. Wir in den Medien sollten deshalb versuchen, die Wirtschaftsberichterstattung nicht allein auf Rohstoffthemen zu begrenzen. Dadurch wird das vorhandene Russland-Bild nur verstärkt. Denn wo in einer Zeile „Gas“ steht, steht in der nächsten „Putin“ oder „Medwedew“ oder „Schröder“. Über die russische Wirtschaftsentwicklung aber lässt sich mehr sagen – Erfreuliches wie Kritisches. Kein Wunder, dass die Wirtschaftsvertreter vor Ort (in Russland sind 4.500 deutsche Firmen vertreten, darunter 4.300 mittelständische) beklagen, dass das Russland-Bild in den Medien nicht mit der dortigen Lebenswirklichkeit übereinstimmt. Vieles hat sich dort zum Positiven verändert, und auch die Lebensverhältnisse sind besser geworden. Vor allem wollen die Russen nicht andauernd belehrt werden. Man muss sich vor Augen halten, wo das Land mit seiner nichtdemokratischen Tradition herkommt. Unter Jelzin war alles viel schlimmer und chaotischer als jetzt in der von Putin geprägten Periode relativer Sicherheit. Die deutschen Medien indessen konzentrieren sich jedoch auf spektakulär Negatives wie Mafia, Prostitution, Korruption, Nationalismus, Tschetschenien. Auch die Überschätzung der Rolle der Opposition zu Putin um Garri Kasparow stimmt nicht mit den Realitäten überein. Nur ein Beispiel aus den letzten Wochen: Putin gedachte zusammen mit dem russischen Patriarchen der Opfer des Stalin-Terrors und hielt eine deutliche Anti-Stalin-Rede. Dies wurde in den ausländischen Medien nicht vermerkt. Stattdessen wird der Eindruck vermittelt, Putin betreibe eine Re-Stalinisierung der russischen Gesellschaft, was allenfalls begrenzt zutrifft, wenn er die Leistungen Stalins im Zweiten Weltkrieg würdigt. Man muss jedoch sehen, dass die russischen Behörden völlig unzureichend auf die Bedürfnisse ausländischer Medien eingehen. Oft dauert es Tage oder gar Wochen, eine Stellungnahme aus einem russischen Ministerium zu bekommen. Die russischen Akteure dürfen sich deshalb nicht wundern, wenn sie in den Korrespondentenberichten nicht zu Wort kommen. Die russische Politik versteht sich äußerst mangelhaft darauf, sich PR-mäßig zu verkaufen. Die Repräsentanten der deutschen Wirtschaft sitzen ihrerseits auf einem Schatz, nach dem die Journalisten hungern sollten – guten Geschichten. Kein Korrespondent wird sich zum PR-Sprachrohr eines Unternehmens machen lassen wollen. Aber die Wirtschaftsvertreter würden gewiss aufmerksame Zuhörer finden, wenn sie bereit wären, über ihre Erfolge und Schwierigkeiten offen zu erzählen. Der Autor ist Chefredakteur in der WAZ-Mediengruppe (Essen) und Sonderkorrespondent für Außenpolitik. Sein Text basiert auf einem Vortrag, den er in Moskau vor der DeutschRussischen Auslandshandelskammer gehalten hat 20.02.2008 14:57:10 Uhr 38 REISEN AMERIKA EVONIK-MAGAZIN 1/2008 „Wo gesegnete Hände herrliche Highways, Monumente, Metropolen – eine 2.000-Kilometer-Reise vom Norden in den Süden der USA 38_Evonik_01-08 38 21.02.2008 10:40:27 Uhr 39 Arbeit verrichten“ und zu drei großen Produktionsanlagen von Evonik Industries Friseur Derrick Freeman, Hopewell 39_Evonik_01-08 39 21.02.2008 10:40:32 Uhr y Munice n Dayto Dayton Columbus Terra Hautee T Louis Evansvillee isuri an- Frankfor fo t Roanoke Norfolk N Virginia Beach Suffolk k Greensboro Knoxvillle K n es d Richmond Greensboro Nashville North Ca Car a olina ol oli Raleigh Greenville Asheville Charlottee Chattano noo ooga g Te n Memphiss M Hopewell Virginia se e o Doover er Annapoli Anna Annap l s De elaware Mar Ma ar yland Charleston Kentucc k y Bowling Green Te nnessee e W shing Wa hi gton ton D. D.C. C. C. LouisLexing x ton xi v ville Owensboro Ohio New Jer Jersey Baltimore Baltimo tm We e st s Virg irg rginia in Cincinnati Indiana na Illinois noi o Trentton P Philade lphia Indianapoli d poli oliss Springfield d New g P ttsburgh Harrisburg Pi Ohio io Quinc Q ncy Lafayette is no I lli Oh Mi ssi ssi eo a Fayetteville Greenville Decatur Atlant t tischer Ozean Augusta Macon Tuscaloosa A ackson ama lab C Columbu s Montgomeery r Alabam ab a Albany Charleston Georgia Savannah Dolhan Mobile Mobile ie Pensacola w Or Or Orleans Wilmington Columbia bia Atlanta t B Birmingham m ssissippi is iss Jacksonville South Carolina o JJaacksonville T Tallahassee Golf von Mexiko k Nordamerika Florid da Gainosvvil villl lle Auf dem Weg in den lieblichen Süden KARTEN: IPUBLISH, PICFOUR ssi pp i Huntsville ille le TEXT TOM SCHIMMECK FOTOS JOHANNES KRÖMER NEW YORK, MONTAG, 9:30 UHR Hektik, der Verkehr staut sich quer. Kein Wunder: Die Brücken voll, die Tunnel beinahe dicht. Nur schnell weg hier, raus aus den Häuserschluchten von Manhattan. Durch den Holland Tunnel unter dem Hudson quetsche ich mich hindurch nach New Jersey. Ein SuburbBundesstaat, der Schlafplatz der „BosWash megalopolis“, wie die Amerikaner sagen – der Metropolen Boston, New York City, Philadelphia, Baltimore und Washington, D.C. Tatsächlich ist New Jersey sehr viel bunter. Es hat den zweitgrößten Bevölkerungsanteil von Juden wie Muslimen in den USA. Dazu viele Asiaten, Italiener und auch Indianer, die hier schon etwas länger leben als all die Zuwanderer: seit über 2.800 Jahren. Die ersten Europäer – Holländer und Schweden – kamen erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Später war hier das Zentrum des Unabhängigkeitskriegs, das kleine Morristown galt als Hauptstadt der Revolution. NEW JERSEY TURNPIKE, 14:00 UHR Die Rast- stätten auf dem Turnpike tragen historische Namen: Des Erfinders Thomas Edison, der Präsidenten Grover Cleveland und Woodrow Wilson, des Poeten Walt Whitman, sogar des Football-Coachs Vince Lombardi wird 40_Evonik_01-08 Abs2:40 Das Holzhaus von gedacht. Mein Stop ist die Molly Pitcher Service Area in Middlesex County. Molly Pitcher, lerne ich, trug während der Schlacht von Monmouth anno 1778 Quellwasser Krug um Krug (pitcher) herbei, um den Durst der Krieger zu löschen und die überhitzten Kanonen zu kühlen. Als ihr Mann verwundet wurde, übernahm sie sein Geschütz. PHILADELPHIA, DIENSTAG, 8:00 UHR „Ich war verletzt und geschlagen“, klagte Bruce Springsteen, wie viele Musiker aus New Jersey, in seinem Hit „Streets of Philadelphia“. „O Bruder, du wirst mich verrotten lassen auf den Straßen von Philadelphia.“ Das echte „Philly“, wie die Einwohner liebevoll sagen, wirkt heute gar nicht düster. Eher geschäftigfreundlich. Schließlich bedeutet der aus dem Griechischen stammende Name ja auch so viel wie Stadt der brüderlichen Liebe. INTERSTATE 95, 11:30 UHR Zwischen dem Kleinstaat Delaware und Baltimore, im Nordosten von Maryland, wird die Interstate 95 für 50 Meilen zum John F. Kennedy Memorial Highway. Kennedy hatte das Teilstück acht Tage vor seiner Ermordung im November 1963 eingeweiht. Über 30 Millionen Fahrzeuge rauschen im Jahr über die bis zu acht Spuren breite Piste, die noch breiter werden soll. Das Autobahngewirr von Washington, D.C., ist nah. Schon bin ich auf 20.02.2008 14:03:27 Uhr EVONIK-MAGAZIN 1/2008 AMERIKA REISEN 41 City Point gehört zu einer ehemaligen Plantage, der Broadway von Hopewell ist bescheiden – und Gurken aus dem Garten kann man an der Straßenecke kaufen dem Capital Beltway rund um die Hauptstadt, der Verkehrsfunk meldet lange Staus auf dem Autobahnring, ein kleiner Abstecher in die Stadt kann nicht schaden. Romanvorlage. Das echte Richmond wirkt im Vorbeifahren deutlich harmloser, recht grün. Eine Provinzhauptstadt. Lieber weiter. HOPEWELL, MITTWOCH, 11:30 UHR Im WASHINGTON, D.C., 13:30 UHR Die Sonne scheint. Was man auf den Fernsehbildern selten sieht: Auch diese Stadt beherbergt krasse Gegensätze. Nur ein paar Blocks vom Zentrum der Weltmacht entfernt kann es recht rau zugehen. Oder auch sehr ansprechend. Im Stadtteil Adams Morgan schillert das Leben. Das quirlige Viertel nördlich des Zentrums, zwischen Georgia Avenue und Rock Creek Park, wirkt verwinkelter als der Rest der Reißbrett-Stadt, fast europäisch eng, mit bunten Fassaden, interessanten Läden, Cafés und Bars. Ich lasse Washington schnell links oben liegen – auf der Suche nach dem weniger bekannten Amerika. INTERSTATE 95, 18:00 UHR Hinter dem Autobahnring um die Hauptstadt beginnt der Süden. Virginia! Wo sie noch Kautabak kauen und braun ausspucken. Richmond ist die Hauptstadt Virginias, manchen vielleicht aus den Krimis mit Chief Medical Examiner Dr. Kay Scarpetta bekannt, der blonden Gerichtsmedizinerin, die ob ihres italienischen Blutes so gut kochen kann. Kurz vor dem James River biege ich rechts auf den Downtown Expressway, für einen kurzen Blick auf die 41_Evonik_01-08 Abs2:41 „Virginian-Pilot“ steht eine bewegende Reportage von der Schließung der FordFabrik in Norfolk, ein Stück südöstlich Richtung Atlantik. 7.983.458 Fahrzeuge haben sie hier gebaut, schwere F-150er Pick-ups rollten am Ende vom Band, eigentlich ein populäres Gefährt. Aber zu wuchtig für die Moderne und die steigenden Benzinpreise. Hopewell ist eine Kleinstadt aus Backstein. Auf dem East Broadway, der eher schmal ist, lockt ein interessanter Friseursalon. Inhaber Derrick Freeman (45) ist ein kräftiger Schwarzer mit Bart, Glatze und einer schweren Goldkette um den Hals, an der ein Schlüssel baumelt. Der sei für das Schloss „zum himmlischen Königreich“, erläutert er. In den USA nichts Ungewöhnliches, zumal der „Meisterbarbier“ auf seiner Visitenkarte „göttliche Schnitte“ verheißt. Darunter steht: „Wo gesegnete Hände herrliche Arbeit verrichten.“ Die USA sind kein Ort für falsche Bescheidenheit. Er stammt aus New York City. „Eine Frau hat mich hierhergelockt. Und dann verlassen.“ Eine Tochter lebt noch in der großen Stadt. Die anderen vier Kinder seien über das Land verstreut, berichtet er, während er einem sehr still sitzenden Kunden eine schwierige Rasur verpasst. Nein, Hopewell sei „schon in Ordnung“, findet Friseur Freeman. „Das Geschäft ist ein bisschen lahm, aber es geht.“ Er klappt das Rasiermesser ein. Er wirkt, als würde er sich überall zurechtfinden. Ein paar Blocks nordöstlich liegt City Point – eine Landspitze am Zusammenfluss von James und Appomattox River. Historisches Terrain. Im Sommer 1864 schlug General Ulysses S. Grant, der das nahe Petersburg nehmen wollte, hier, acht Meilen hinter dem Belagerungsring, sein Hauptquartier auf. Der verschlafene Winkel war über Nacht Kriegsmetropole. Ein langes Kai wurde gebaut, Eisenbahnlinien und riesige Lagerhäuser. Hunderte von Schiffen landeten täglich in dem kleinen Hafen. Es wimmelt von Denkmälern und Kriegsmuseen. In einem Museumsshop entdecke ich an der Kasse Leckereien für die Kleinen – in Gestalt von Schießpulver und Kanonenkugeln aus Zuckerzeug. Von Deos, Tinten und Putzmitteln In Hopewell werden in Testlabors alle Evonik-Produkte ständig überprüft. Energisch bürstet Angela Paez das lange Haar. Sie trägt einen weißen Kittel, eine Schutzbrille und Latexhandschuhe. Das > 20.02.2008 14:03:38 Uhr 42 REISEN AMERIKA EVONIK-MAGAZIN 1/2008 „…vom Deo über die Tinte bis zum Putzmittel“ > Haar gehört zu einer Perücke, die auf einem Plastik-Puppenkopf befestigt ist. Dies ist ein wissenschaftlicher Versuch. Angela testet einen Conditioner. Wir sind in einem Labor in Hopewell, Virginia. Weiße Schrankreihen, endlose Arbeitsplatten, voll gepackt mit Röhrchen, Flaschen, Kolben und allerlei Gerätschaften. Auf einem Kühlschrank warten weitere Perückenköpfe auf Angelas Bürste. An einem anderen Tisch werden Emulsionen für die Metallbearbeitung getestet. Ein Laborant bohrt in mächtigen Eisenstücken herum, um die Qualität eines Kühlschmierstoffs zu prüfen. In einem Regal stehen viele Flaschen mit handelsüblichen Weichspülern. Teststreifen hängen an der Wand. Seit 1980 ist Evonik Industries AG mit seinen Vorgängerunternehmen in Hopewell im Osten Virginias präsent, mit mittler weile 230 Angestellten in vier Geschäftszweigen. „Alle“, sagt Philip Munson, der Chef vor Ort, „haben mit einer ganzen Reihe von Produkten zu tun, die von Millionen Leuten überall auf der Welt benutzt werden – vom Deo über die Tinte bis zum Putzmittel.“ Man staunt, für welch unterschiedliche Zwecke Chemikalien verwendet werden. Das amphotere Tensid Cocamidopropylbetain etwa wird in zahlreichen Anwendungen, darunter Shampoos und Duschgel, als zusätzliches Tensid verwendet. Polyurethan- 42_Evonik_01-08 Abs2:42 Schaum findet sich im Auto, auf der Baustelle und im Bett. Nordamerika ist ein bedeutender Markt für Evonik, wo der Konzern 33 Fabriken, Distributionszentren, Laboratorien und Lager betreibt. Mit etwa 3.500 Mitarbeitern sind dort rund 13 Prozent der Gesamtbelegschaft der Chemiesparte beschäftigt. 2006 erwirtschaftete die Region Nordamerika 2,9 Milliarden Euro Umsatz – 20% des Gesamtumsatzes der Chemiesparte von Evonik. In Nordamerika werden Grundstoffe für die Herstellung von Lack und Dünger, Handcreme und Baby windeln, Klebstoff und Kontaktlinsen, Autos, Matratzen, Möbel und tausend andere Dinge produziert. Der Stammsitz befindet sich in Parsippany, New Jersey, nicht weit von New York City. BEI PETERSBURG, 14.00 UHR Der Süden kann derb sein, aber er lächelt bezaubernd. Das Licht, die Weite entwickeln einen Sog, der einen voranzieht, immer noch ein paar Meilen. Kursüberprüfung am Autobahnkreuz bei Petersburg. Das System der Freeways ist, trotz allerlei Ausnahmen, recht simpel. Die mit ungeraden Nummern laufen in nordsüdlicher Richtung, die mit geraden von West nach Ost. Die Zahlen steigern sich gen Norden und Osten. Die durch fünf teilbaren Nummern bezeichnen die großen Highways. > Angela Paez testet einen Conditioner 14.02.2008 19:23:12 Uhr 43 43_Evonik_01-08 Abs2:43 14.02.2008 19:23:15 Uhr 44 REISEN AMERIKA EVONIK-MAGAZIN 1/2008 American Way of Life in Greensboro: VW-Buggy-Fans beim Treff in Herbies Place, Baseball bei Greensboro Grasshoppers und das Denkmal der „Greensboro Die „ziemliche Mischung“ von Greensboro > Ich muss meine Interstate 95 verlassen, die Ostküsten-Autobahn, die Miami mit Kanada verbindet. Google Maps befiehlt, leicht rechts zu schwenken, Kurs Südwest weiterzufahren auf der I-85, die nächsten 1.076 Kilometer. Die Landschaft wird immer offener. Der Himmel scheint höher zu hängen. Sobald man die Piste verlässt, fährt man durch ausgestreckte Ortschaften mit weitläufigen Rasenflächen und Vorgärten ohne Zaun. Man sieht Kirchen, viele Kirchen. Nicht umsonst heißt der Südosten, das Terrain zwischen Virginia und Texas, „Bible Belt“, Bibelgürtel. An einem Teich steht ein Opa, der mit seinen Enkeln angelt. GREENSBORO, DONNERSTAG, 10:00 UHR Am frühen Abend in Greensboro, North Carolina, eingetroffen. An der Schranke des Parkhauses saß ein kurioser Typ mit Ringen an allen Fingern, plus Armreifen. Er nahm die Pfeife aus den Mund, stellte sich als Avory Simmons vor, 60 Jahre alt, und gab mir eine Schnelleinführung. Greensboro sei „eine ziemliche Mischung“, sagte er, eine Industriestadt mit Universität. „Das macht es bunter“, setzte er lächelnd hinzu. Einst habe er ja in der Hauptstadt gelebt, erklärte Simmons mir, doch sei er froh, wieder zurück zu sein, weil es hier „viel friedlicher“ sei. Später las ich ein Lokalblatt mit dem schönen Namen „The Rhinoceros Times“. 44_Evonik_01-08 Abs2:44 Ein bodenständiger Ort. Die Heimat von 244.610 Menschen, die von Maschinenbau, Elektronik, Chemie, einer Zigarettenfabrik und letzten Resten der Textilindustrie leben. Die Restaurants tragen Namen wie Ruth’s Chris Steak House, Stamey’s Barbecue und Laddie & Duke’s Family Grille. Auf dem Campus der State University steht seit fünf Jahren eine große Statue: vier aufrechte junge Männer, die „Greensboro Four“. Am 1. Februar 1960 schritten vier schwarze Collegeboys, David Richmond, Franklin McCain, Ezell Blair und Joseph McNeill ins Zentrum, um in der Filiale des Kaufhauses Woolworth zu Mittag zu essen. Im Sitzen. Das war eine kleine Revolution. Weil Schwarzen damals nur erlaubt war, im Stehen zu essen, an einem separaten Tresen. Das „Sit-in“ des Quartetts startete ein Jahrzehnt der Proteste gegen die Rassentrennung in den USA. An einer Ausfallstraße lockt eine endlose Reihe von Autohändlern. Neugierig geworden durch die Zeitungsmeldung über die Schließung des Ford-Werkes in Virginia, ziehe ich bei Green Ford rechts ran. Salesman Zach Wyatt kommt heran, ein solide gebauter junger Mann, einer von 20 Verkäufern hier. Jeder muss acht Autos im Monat losschlagen. Wie er das macht? „Na, indem ich mit dir rede“, sagt Zach grinsend, „und das richtige Auto für dich finde.“ Und wie läuft es? „Nicht so schlecht“, brummt er 20.02.2008 14:03:46 Uhr 45 Four“. John Cranford (82) hat den Aufstand gegen die Rassentrennung erlebt ausweichend, räumt aber bald ein, dass die Zeiten eigentlich „verdammt hart“ seien. Nissan, Honda und Toyota boomen in den USA, Ford, Chrysler und GM liegen danieder. In Greensboro, sagt der Salesman, gebe es noch einen Haufen „Rednecks“, die schwere Wagen lieben. Aber auch immer mehr Lateinamerikaner. Auf der Summit Avenue hat gerade Familia Auto Sales eröffnet, eine Autohandlung, wo alles auf Spanisch läuft. Die Lage ist instabil. Der bullige Zach (21) war vorher Rausschmeißer für eine Sicherheitsfirma. Ist Greensboro seine Zukunft? „Ich bin hier geboren“, sagt er fast entschuldigend, „meine Familie lebt hier“ – seine Frau und die beiden Kinder. Es gebe ein neues Baseball-Stadion. Und das Nachtleben sei ganz in Ordnung. Er singt ein Loblied auf „die südliche Gastfreundschaft“. Im Reich der Super-Windeln Im 250.000 Einwohner zählenden Greensboro in North Carolina betreiben rund 300 Evonik-Mitarbeiter vier der sechs Fabriken, sechs Lager und vier Labors. Die beiden anderen Fabriken am Standort werden von einem früher zu Evonik gehörenden Unternehmen betrieben. Alles ist hochmodern hier. Eine mit zwölf Leuten besetzte Schicht ist in der Lage, zwei große Produktionsanlagen zu fahren. Zwei 45_Evonik_01-08 Abs2:45 von ihnen sitzen im jeweiligen Kontrollraum. Und haben alles im Blick und unter Kontrolle: Auf 13 Monitoren wimmelt es von bunten Zahlen und Symbolen. Auf der Konsole darunter finden sich Telefone, Funkgeräte, Uhren, Taschenrechner, Tastaturen und etliche Computer-Mäuse, mit denen die ganze Maschinerie „gefahren“ wird – per Mausklick. In Greensboro werden viele Produkte zur Handhygiene und medizinischen Hautpflege hergestellt, vor allem für den gewerblichen Gebrauch. Unter dem Markennamen STOKO Skin Care bietet dieser Geschäftsbereich Hautpflege-, Hautreinigungs- und Hautschutzlösungen für professionelle Anwendungen in der Industrie und Handhygieneprodukte für Krankenhäuser, Büros und Schulen. STOKO-Produkte waren die ersten, die mit einem dreistufigen Farbcode für die eindeutige Zuordnung am Arbeitsplatz gekennzeichnet wurden: Blau bezeichnet vor der Arbeit anzuwendende Produkte, die Schutz gegen Hautreizungen am Arbeitsplatz bieten. Grün steht für besonders hautverträgliche, sehr effiziente Produkte zur Hautreinigung und Rot für Pflegemittel, mit denen die Haut nach der Arbeit beruhigt und die Regeneration gefördert wird. „Dieser Markt ist hart umkämpft, und es werden Produkte ganz unterschiedlicher Qualität angeboten“, so Lori Huffman, Marketing Manager STOKO Skin Care. „Mit hochwertigen Produkten zu wettbewerbsfähigen Preisen genießt STOKO einen ausgezeichneten Ruf – das wird nicht zuletzt durch die große Zahl der Stammkunden deutlich.“ Viele andere Stoffe entstehen in Greensboro, nützlich für die Behandlung von Stoffen und Leder, von Wasser, Papier und Beton. Der Clou aber sind die Superabsorber, jene geheimnisvoll vernetzten Polymere aus Acrylsäure, die ein Vielfaches der eigenen Masse an Flüssigkeit speichern können – bis zum 300-Fachen ihres Eigengewichts. Die Fabrikationsanlagen erstrecken sich über sechs Etagen, die zusätzlich durch einen wuchtigen Lastenlift miteinander verbunden sind. Unten in der Abfüllung tanzt das Ballett der Gabelstapler, die das Endprodukt namens FAVOR, in gewaltigen Säcken abgefüllt, in die Lager auf dem Fabrikgelände bewegen. Die Supersauger finden immer neue Verwendungen: bei der Brandbekämpfung, der Abfallbeseitigung, als Kabelschutz, in der Landwirtschaft. Man kann Zaubertricks damit vorführen, etwa jenen mit der aufgerollten Zeitung, in die man einen Liter Milch hineingießt und nichts hinauströpfelt – ein Superabsorber saugt sie auf. Der Löwenanteil des Umsatzes aber wird nach wie vor mit jenem Produkt gemacht, das die ganze Welt braucht: der Baby- > 20.02.2008 14:03:49 Uhr 46 REISEN AMERIKA EVONIK-MAGAZIN 1/2008 HightechWindeln auf dem Prüfstand > windel. Evonik ist Weltmarktführer, mit Speziallabors in Krefeld, Schanghai, Istanbul und – Greensboro. Die Laborantin zeigt den Herstellungsprozess der superabsorbierenden Polymere. Sie rührt einige Stoffe zusammen, im Nu entsteht im Testkolben ein steifes Gel, das getrocknet und zu Pulver verarbeitet werden kann. Ein paar Löffelchen davon saugen zwei Liter Flüssigkeit weg. Hier im Labor werden tagein, tagaus Windeln getestet, etwa 15.000 Stück pro Jahr. Nicht nur die eigenen Produkte. Die Forscher prüfen jeden Monat auch verschiedene andere Marken und sezieren sie regelrecht. Windeln sind Hightech-Produkte. Für einen riesigen, weltweiten Markt. Moderne Herstellungsmaschinen werfen 600 bis 1.000 Stück pro Minute aus. Permanent wird auf der ganzen Welt daran gearbeitet, sie noch saugfähiger und passender zu machen. In den 80er Jahren wog eine Windel über 100 Gramm, heute nur noch 45 Gramm. Es gibt einen monatlichen Bericht darüber und dreibis viermal jährlich ein „Market Update“. In Greensboro wird jedes Windeldetail unterm Mikroskop betrachtet, gemessen, gewogen und erfasst – die Elastizität des Bündchens, die Beschaffenheit des Verteilungsvlieses, die Dehnbarkeit, der Verschlussmechanismus, die Geruchsentwicklung. Die Windelfläche wird in Planquadrate 46_Evonik_01-08 Abs2:46 aufgeteilt, um die Verteilung der Flüssigkeit zu prüfen. Vor allem aber wird ihre Kapazität getestet, das Aufsaug-Tempo, die Rückhaltefähigkeit – mit Hilfe einer guten deutschen Wäscheschleuder. Und schließlich auch, wie schnell und gut das Ganze am Ende biologisch abgebaut werden kann. Herzstück dieser hochmodernen Simulationsanlage ist der „Mannequin Leakage Tester“, in der Umgangssprache „Bepinkelungsanlage“ genannt. In langer Reihe liegen gewindelte Puppen-Torsi, per Schlauch sondern sie Flüssigkeit ab, an verschiedenen Stellen, umschaltbar zwischen männlich und weiblich. „Ständige Innovation ist sehr wichtig für die technologische Führung“, erklärt Labormanager Dr. Olaf Hoeller. „Hier werden Topsecret-Windeln vorgetestet.“ Der Windel-Test im Labor von Greensboro INTERSTATE 85, 14:00 UHR Das gemächliche Tempo ist erholsam. Sofern man nicht gerade von einem dieser titanischen, chromblitzenden Trucks gescheucht wird, die im Rückspiegel wie grinsende Monster auftauchen. Nach ein paar Tagen auf den Interstates lächelt man über deutsche Tempolimit-Debatten. Hier sind 55, 60, maximal 70 Meilen pro Stunde erlaubt, höchstens also 112 Stundenkilometer. Der Sheriff ist schnell zur Stelle, wenn man rast. Manchmal wachen sogar Radarflugzeuge über der Strecke. Vieles ist recht streng > 20.02.2008 14:03:52 Uhr 47 Dr. Yaru Shi bei der Arbeit im Labor in Greensboro 47_Evonik_01-08 Abs2:47 20.02.2008 14:03:55 Uhr 48 REISEN AMERIKA EVONIK-MAGAZIN 1/2008 Die zwei Welten von Mobile: entspannte Angler und Südstaatenflair und der Takt der Industrieregion mit Schiffen auf dem Mobile River und der Anlage von In der heißen Ecke von Amerika 48_Evonik_01-08 Abs2:48 > geregelt im Land der Unbegrenzten Möglichkeiten. Jedes grobe Wort im TV wird mit einem Piepton über lagert. In etlichen Bundesstaaten darf man erst ab 21 Bier trinken. Auf der Straße ist Alkohol nur in diesen braunen Tüten erlaubt, die wir schon von Philip Marlowe kennen. Weiter Richtung Charlotte. Ortsnamen wie Westminster, Walhalla und Athens verraten die vielfältige Herkunft der Siedler. Die Statistik verrät: Die zweithäufigste Sprache ist inzwischen Spanisch. Auf Platz drei folgt mit mageren 0,9 Prozent Französisch, dann Deutsch (0,8 Prozent), dann Vietnamesisch (0,6 Prozent). Ich streife ein Eckchen von South Carolina, lande bald in Georgia. So genannt zu Ehren von King George II. Spanier und Franzosen kamen hierher. Am 12. Februar 1733 landeten 114 Siedler mit der HMS Anne, gründeten die Küstenstadt Savannah – heute ein Feiertag, der „Georgia Day“. (Viele Bewohner hielten loyal zur britischen Krone. Dennoch war Georgia eine der 13 Kolonien, die gegen die britische Herrschaft rebellierten.) 1861 stand der Staat auf Seiten der Konföderierten. Im Winter 1864 ließ Nordstaaten-General William Tecumseh Sherman Bahnlinien, Betriebe und einen Großteil der Wohnhäuser niederbrennen. Eine Schneise der Verwüstung. Der Stoff für den Roman „Vom Winde verweht“. Das Klima im „Pfirsichstaat“ ist subtropisch. Selten fegen im Winter Eisstürme von Norden aus den Appalachen heran. In den letzten beiden Sommern herrschte Dürre. Ansonsten fürchtet man vor allem die vielen Tornados. ATLANTA, 16:40 UHR Georgias Metropole, auf einem Höhenrücken südöstlich des Flusses Chattahoochee gelegen, wirkt viel charmanter und grüner als erwartet. Recht lässig, mit einem guten Schuss südlichen Flairs. Der Großraum Atlanta hat über 5 Millionen Einwohner. Aber die verteilen sich recht weiträumig. Es ist die Heimat von CNN und Coca-Cola. ATLANTA, 19:30 UHR Auf einem Parkplatz vor einem Supermarkt hatte ich zwei Wach leute nach dem Weg zum Hotel am Stadt rand gefragt. Sie gaben sich viel Mühe und lieferten eine sehr brauchbare Beschreibung. Zwei Stunden später sehe ich sie wieder. Aufmerksam erkundigen sie sich, ob ich alles gefunden habe, erzählen dann Geschichten, machen Scherze. Ein warmer, entspannter Abend. Rund um das Landmark Midtown Art Cinema sitzen Hunderte Leute in Bars und Restaurants – zumeist im Freien, essend, trinkend, angeregt plaudernd im breiten, klangvollen Akzent des Südens. 14.02.2008 19:23:30 Uhr 49 anzulocken, sitzt wegen Bestechung und anderer Delikte im Gefängnis. MOBILE, 13:00 UHR Die letzten 280 Kilo- Evonik Industries BEI MONTGOMERY, FREITAG, 9:50 UHR Mein Freeway mündet nach über 1.000 Kilometern in die Interstate 65 ein, die von Chicago herunterkommt und mich heute bis zum Golf vom Mexiko führen wird. Im „Interstate Cafe“, einer handbemalten Baracke, amüsieren sich drei dicke schwarze Damen über den Gast mit der Landkarte. Es gibt dünnen Kaffee satt. Willkommen in Alabama. Eine der heißesten Ecken der USA. Ein Farmerparadies: Bis zu 300 Tage im Jahr wächst hier etwas auf den Feldern. Die Kehrseite: Gewitter, Tropenstürme und Hurrikane. Menschen mit schwarzer Hautfarbe hatten hier lange nichts zu lachen. Sie schufteten auf den riesigen Baumwollplantagen. 1865 wurden alle Sklaven offiziell befreit. Wählen aber durften die Schwarzen in Alabama erst 100 Jahre später. Der einst so arme Agrarstaat macht staunen. Die Arbeitslosenquote liegt bei nur drei Prozent. Stahlwerke, Flugzeugbau und andere Schwerindustrie drängeln sich heute hier. In Automobilfabriken sind an die 70.000 neue Jobs entstanden. Anfang 2009 soll Alabama Detroit als Autostandort Nummer eins abgelöst haben. Alabama boomt. Allerdings geht es dabei nicht immer astrein zu. Ex-Gouverneur Don Siegelman, der einst nach Europa und in den Fernen Osten flog, um Industrie 49_Evonik_01-08 Abs2:49 meter bis zur Küste waren schnell geschafft. Die Stadt selbst – übrigens mobiel ausgesprochen und nicht etwa mobeil – liegt an der Spitze einer riesigen Bucht und einem Fluss gleichen Namens. Was man sofort spürt: Sie ist französischen Ursprungs, wurde 1702 die erste Hauptstadt der Kolonie Französisch-Louisiana. Im Zweiten Weltkrieg entstand in der Bucht eine gewaltige Kriegsschiffproduktion. Viele neue Bewohner kamen. Die Stadt wuchs von 1940 bis 1943 um fast 90.000 Menschen. Mobile blieb ein Industriestandort, wurde nach dem Krieg zu einem immer beliebteren Firmensitz mit hohem Freizeitwert. EADS residiert heute hier, Ciba, Kimberly-Clark und auch Evonik. ThyssenKrupp investiert gerade 3,7 Milliarden Dollar in eine neue Stahlfabrik. Das Licht ist grell. Auf dem Wasser Schiffe. Ein blauer Himmel mit weißen Schafwölkchen spannt sich darüber. Im KriegsschiffPark kann man die USS Alabama bewundern, einen echten Weltkriegs-Veteranen. Die Lokalzeitung berichtet über Klassentreffen, Geburten, Abschiedspartys, über Moskitosprühflugzeuge und das 75-jährige Jubiläum des größten Angler-Wettbewerbs, des Alabama Deep Sea Fishing Rodeo. Mit über 3.000 Teilnehmern und an die 100.000 Zuschauern auf Dauphin Island. Zum späten Lunch füllt sich Wintzell’s Oyster House, eine Institution seit 68 Jahren, wie die Speisekarte froh verkündet. Dazu zeigt sie ein unscharfes Foto des Gründers – eines dicken Mannes, der, zusammengesunken, an einem Tisch seines Restaurants sitzt, schlafend. Bald steht ein Dutzend dicke Austern vor mir, die ich mit Zitrone beträufle und mit einer kleinen grünen Plastikgabel verzehre. Köstlich. Mobile – Evoniks größte Chemieanlage außerhalb Europas Das wichtigste Werk von Evonik Industries AG steht in Theodore bei Mobile (Alabama) am Golf vom Mexiko. Vor 33 Jahren rollten hier die ersten Maschinen an, um das Gelände urbar zu machen. An die 700 Mitarbeiter, plus circa 150 externe Kräfte, halten heute Evoniks größte Chemieanlage außerhalb Europas in Schwung – ein Dutzend Produktionseinheiten plus Lager. Über zweieinhalb Kilometer erstrecken sich die Anlagen. Überall ragen Fabrikationseinheiten auf, Tanks und Türme, von Rohrleitungen umrankt, verbunden mit Straßen und Bahngleisen. Das Ganze, sagt unser Führer lächelnd, sei „im Grunde ein riesiger Chemiebaukasten“. Einen eigenen Hafen gibt es, auch große Becken zur Reinigung der Abwässer. Ein Shuttlebus fährt über das Fabrikgelände. Mitarbeiter, die viel unterwegs sind, bewegen sich mit Fahrrädern und kleinen Golf-Autos. Auf dem Reservegelände baut ein Farmer Erdnüsse und Baumwolle an. „Ein exzellenter Standort“, meint Manager Tom Bates. Mobile biete gute Verkehrsanbindungen mit Eisenbahn, Auto, Schiff und Flugzeug, dazu Ingenieure und Informationstechnologie, Finanz- und Sicherheitsexperten. Alles, was man braucht, um komplexe Industrie rund um die Uhr am Laufen zu halten, „24/7“, wie die Amerikaner sagen: 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Hier wird Wasserstoffperoxid hergestellt, ein Bleichmittel für die Papier- und Zellstoff industrie, Aminosäuren für Futtermittel, Zwischenprodukte für die Kunststoffsynthese und Beschichtungen aller Art – für Häuser, Gartengeräte, Flugzeuge. Dazu der Klassiker AEROSIL, eine 1942 vom DegussaChemiker Harry Kloepfer erfundene extrem feine Kieselsäure, die heute in über 250 Produkten Verwendung findet – vom Autoreifen bis zur Zahnpasta. Sie macht Lacke kratzfester und Silicon stabiler, steuert den UV-Schutz von Sonnenmilch bei und hilft, die Scheiben für Computerchips zu polieren. Der Hurrikan Katrina hat in der Gegend von Mobile 2005 eine Schneise der Verwüstung geschlagen, so lang wie die Strecke Aachen–Berlin. Doch Menschen und Industrie in Mobile wissen sich zu schützen. Die Stadt hat Charme, der Freizeitwert am Golf ist hoch, die Fluktuation der Mitarbeiter äußerst gering. „Community“ zählt hier viel. Auch das Chemiewerk will ein „guter Bürger“ sein, sagt der Manager. Man fördert ehrenamtliche Arbeit und kümmert sich um Bildung, Soziales und die Künste. < 14.02.2008 19:23:33 Uhr 50 BEWEGEN RUHR.2010 EVONIK-MAGAZIN 1/2008 Rastlos für das Ruhrgebiet Die türkischstämmige TV-Moderatorin Asli Sevindim engagiert sich für die Kulturregion Ruhrgebiet und die Integration der Migranten Zeit für eine kurze Pause in der „Baramane“ in Essen zwischen TV-Moderation und Engagement für das Ruhrgebiet: Kulturdirektorin von RUHR.2010 50_Evonik_01-08 Abs2:50 08.02.2008 16:04:30 Uhr 51 SERIE DIE KULTURDIREKTOREN RUHR.2010 u ASLI SEVINDIM TEXT CATRIN KRAWINKEL FOTOS NORBERT ENKER „IN DUISBURG BIN ICH GEBOREN, FOTO: MICHAEL KNEFFEL in Duisburg werde ich vermutlich eines Tages sterben“, sagt die türkischstämmige Journalistin und Radio- und TV-Moderatorin Asli Sevindim. „Ich bin ein Ruhri – durch und durch!“ Mit schnellen Schritten durchquert die junge, dunkelhaarige Frau den RobertSchmidt-Saal der Hauptgeschäftsstelle des Regionalverbandes Ruhr (RVR) in Essen und nimmt neben Fritz Pleitgen Platz, dem ehemaligen Intendanten des WDR und jetzigen Geschäftsführer der RUHR.2010 GmbH. „Guten Tag, meine Damen und Herren. Herzlich willkommen zur ersten Literaturkonferenz der RUHR.2010“, begrüßt Asli Sevindim rund 50 Teilnehmer. Souverän führt sie zwei Stunden durch die lebhafte Diskussion. Erst nach der Veranstaltung verrät die 34-Jährige, dass sie sich gar nicht richtig fit fühle, weil sie die letzte Nacht wegen der aktuellen Terroristenmeldungen kaum geschlafen habe und sehr lange in der Redaktion war. Doch die Müdigkeit sieht man der Tochter muslimischer Eltern nicht an. Etwas blass ist sie, aber „für die meisten habe ich als Türkin sowieso einen viel zu hellen Teint“, erzählt sie. Asli Sevindim ist ständig in Bewegung. So auch an diesem Tag. Nur eine kurze Verschnaufpause in einem arabischen Imbiss > Asli Sevindim 51_Evonik_01-08 Abs2:51 Diskussion in Duisburg: Fritz Pleitgen mit den Kulturdirektoren Asli Sevindim und Dieter Gorny 08.02.2008 16:04:34 Uhr 52 BEWEGEN RUHR.2010 EVONIK-MAGAZIN 1/2008 Konzentriert und engagiert: Pressekonferenz MELEZ.07 Festival der Kulturen Die Kultur und die > gönnt sie sich, um dann anschließend ins Funkhaus nach Düsseldorf zu fahren. Dort moderiert die Journalistin seit eineinhalb Jahren zusammen mit ihrem Kollegen Martin von Mauschwitz die tägliche 40minütige Nachrichtensendung „Aktuelle Stunde“ im Fernsehen. Von montags bis freitags ab 18.50 Uhr, bei den Wochenendsendungen wechselt sie sich mit Kollegen ab. Aber auch für den Hörfunk des WDR ist die Mitbegründerin der Alten Feuerwache, eines Duisburger Kulturhauses, tätig. Die Themen Kultur und Integration von Migranten in die deutsche Gesellschaft liegen Asli Sevindim schon seit ihrer Schulzeit am Herzen. Sie nutzt jede freie Minute, um sich in diesen Bereichen zu engagieren, und wandte sich zusammen mit Mitstreitern auch an die RUHR.2010-Verantwortlichen. „Auf diese Weise kam ich mit ihnen ins Gespräch und wurde eingeladen, mit einer ausgewählten Gruppe nach Brüssel zu reisen und vor der Jury für das Projekt Kulturhauptstadt RUHR.2010 zu werben.“ Mit großem Erfolg, wie wir seit dem 11. April 2006 wissen. An diesem Tag wurde nicht nur verkündet, dass das Ruhrgebiet seine europäischen Mitbewerber-Städte aus dem Rennen geworfen hatte, Asli Sevindim wurde anschließend auch als einzige Frau zu einem von insgesamt vier künstlerischen Direktoren der RUHR.2010 ernannt. Eine Aufgabe, die 52_Evonik_01-08 Abs2:52 ihren Terminkalender noch praller macht. „Das Einzige, was ich mir zurzeit wünsche, ist, keinen Herzinfarkt zu bekommen“, sagt sie verschmitzt. Bei ihrem Arbeitspensum und dem Tempo, das sie an den Tag legt, ein sehr vernünftiger Wunsch. Weil Asli Sevindim es immer eilig hat und von Termin zu Termin durch das Ruhrgebiet rast, hat sie nun auch schon zum zweiten Mal ihren Führerschein abgeben müssen. Aber auch das nimmt sie sportlich. EINE BEKENNENDE CHAOTIN „Ich bin eine Chaotin bis zum Gehtnichtmehr. Aber ich liebe es nun einmal, über die 42 oder die 59 zu brausen“, erzählt sie lachend. Dabei haben ihre stets besorgten Eltern ihre älteste Tochter sowie deren zwei Schwestern zur Bedachtsamkeit erzogen. „Die ‚Bravo‘ durfte ich als Jugendliche nicht lesen, und Discobesuche mussten wir uns auch hart erarbeiten. Ihre Eltern stammen aus Eskişehir, einer Industriestadt im türkischen Anatolien. 1971 sind sie nach Duisburg ausgewandert. „Noch heute leben ungefähr 140 Cousins und Cousinen von mir sowie jede Menge Onkels und Tanten in der Türkei. Darunter auch meine Tante Ferya. Die tiefgläubige Frau ist allen Ernstes davon überzeugt, dass Menschen, die Schweinefleisch essen, nicht eifersüchtig sind. Das ist in ihren Augen ein Makel, denn Männer, die nicht eifersüchtig werden, sind keine echten Kerle“, erfährt man aus Asli Sevindims erstem veröffentlichten Buch „Candlelight Döner“. Die Geschichten über eine deutsch-türkische Familie beschreiben auch, wie eine junge türkische Frau – der Autorin nicht ganz unähnlich – als 20-Jährige ihren Eltern ihren deutschen Freund präsentiert. Asli Sevindim ist mit ihrem deutschen Mann nunmehr seit zwölf Jahren verheiratet. „Meine Mutter hätte sich eher die Fußnägel ziehen lassen, als einer Hochzeit mit einer ‚Kartoffel‘ zuzustimmen“, schreibt sie in ihrem biografisch anmutenden Erstlingswerk. „Kartoffeln“ nennen die Türken die Deutschen. Weil sie so viel davon essen und auf viele Migranten eher langweilig wirken. Aber ihr Mann konnte ihre Familie inklusive Tante Ferya von sich überzeugen. Mittlerweile ist auch ihre jüngere Schwester mit einem Deutschen verheiratet, so dass die Familien gemeinsam die deutschen und die türkischen Feiertage zelebrieren. Ob sie mehr türkische oder mehr deutsche Eigenschaften habe, fragen wir. „Mein Mann meint, ich sei eine anatolische Preußin. Streng, kategorisch und weich zugleich. Ich dagegen empfinde mich als bodenständig, unkompliziert und geradeaus.“ Wir ergänzen die Liste mit unprätentiös, humorvoll und direkt. Menschen nach ihren > 08.02.2008 16:04:36 Uhr 53 Integration von Migranten bewegen Asli Sevindim Kurze Mittagspause zwischen zwei Terminen im türkischen Döner-Restaurant „Haydar Ustanin Yeri“ in Duisburg-Marxloh 53_Evonik_01-08 53 20.02.2008 14:17:33 Uhr VITA Asli Sevindim (34) arbeitete schon während ihr Schulzeit am Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium für das Lokalradio in Duisburg. Nach dem Abitur studierte sie Politikwissenschaften an der Uni Duisburg-Essen. Seit 1999 ist sie für den Westdeutschen Rundfunk tätig. Vier Jahre später weitete sie ihre Arbeit als WDR-Moderatorin aus und übernahm die Fernsehsendung „Cosmo TV“. 2006 wechselte die Türkin zur WDR-Nachrichtensendung „Aktuelle Stunde“. Auch als Buchautorin machte Asli Sevindim bereits auf sich aufmerksam: „Candlelight Döner – Geschichten über meine deutsch-türkische Familie“ erschien im Jahr 2005. Im März 2007 moderierte Asli Sevindim die 43. Verleihung des Adolf-Grimme-Preises, eines der wichtigsten Medienawards in Deutschland. Für RUHR.2010 wurde sie als künstlerische Direktorin ernannt und zeichnet für das Themenfeld „Stadt der Kulturen“ verantwortlich. Auch ohne einen Gleich, ob im Job oder bei ihrem kulturellen Engagement – Asli Sevindim geht den Dingen gern auf den Grund und setzt Ideen schnell in die Tat um 54_Evonik_01-08 54 20.02.2008 14:18:07 Uhr EVONIK-MAGAZIN 1/2008 RUHR.2010 BEWEGEN 55 Entspannt und professionell: Vorbereitung zum Auftritt in der „Aktuellen Stunde“ deutschen Pass fühlt sie sich als waschechter „Ruhri“ > Nationalitäten abzustempeln, hält sie für klischeehaft und dumm. „Ich glaube an eine regionale Prägung, nicht an eine nationale. Das beweist mir mein Alltag. Jede Nation hat nette und böse, einfache und komplizierte Menschen.“ Sie ärgert sich über Leute, die sagen, Ausländer müssten sich den Deutschen anpassen. „Was genau soll das auch eigentlich heißen? Und an wen genau, an welche Ideal-Person soll man sich denn anpassen? Wir haben hier alle eine wunderbare Grundlage, die für alle gilt, nämlich das deutsche Grundgesetz. Oder will mir noch jemand vorschreiben, welche Tapete ich zu Hause an die Wände klebe, was ich esse oder wie ich mich kleide?“, fragt sie provokant. Richtig wütend wird sie, wenn sich Deutsche bei ihr über ausländische Mitbürger beklagen. „Die haben gar nicht bemerkt, dass ich selber Türkin bin.“ Auch wenn sie noch immer keinen deutschen Pass besitzt – „Papierkram“ gehört nicht zu ihren Stärken –, fühlt sie sich als waschechter „Ruhri“, der von der Landschaft, dem Leben und den Menschen in und um Duisburg herum geprägt wurde. „Ich liebe hier die nahtlosen Übergänge von einer Stadt in die nächste. Die Größe, den Facettenreichtum, das viele Grün, die entspannten und lässigen Einwohner sowie die enormen kulturellen Angebote des Ruhrgebietes.“ Die 5,3-Millionen-Metropole 55_Evonik_01-08 55 spiegelt für sie eine Miniaturausgabe Europas wider. Ein Multikultimix, der beflügelnd und inspirierend wirkt und zeigt, dass man nicht allein ist, sondern von Menschen umgeben ist, die anders leben. PASSIONIERTE TAUCHERIN Eine Alternative zu Deutschland wären höchstens die Malediven für die passionierte Taucherin. Oder Hawaii. Doch bevor sie ins Schwärmen gerät, erreichen wir das moderne Funkhaus am neuen Düsseldorfer Hafen. „Sorry, ich muss jetzt schnell in die Themenkonferenz, danach haben wir interne Besprechung. Dann muss ich meine Moderationstexte schreiben, und außerdem ist noch eine Regiebesprechung“, zählt sie auf. Zweieinhalb Stunden später treffen wir Asli Sevindim zwischen Spiegeln, Schminktischen und Lockenwicklern wieder. Dass sie in knapp 120 Minuten über so ernste Themen wie die in Deutschland vereitelten Bombenanschläge, den Tod Pavarottis und das Verschwinden der 14-jährigen Hanna vor rund 1 Million Zuschauer sprechen wird, ist ihr nicht anzumerken. „Natürlich gehen mir diese Themen nahe, aber man muss nun einmal professionelle Distanz bewahren in unserem Job“, sagt die Moderatorin. Nur einmal konnte sie ihre Gefühle kaum im Zaum halten, als sie 1999 über ein schweres Erdbeben in der Türkei berichtete. „Auch Ver- wandte von mir waren betroffen. Das war schon sehr schwer in dem Moment.“ Doch negative Gefühle oder Pessimismus passen sowieso nicht zu der humorvollen Person mit den großen braunen Augen. „Ich freue mich, dass ich durch meine Ernennung zur künstlerischen Direktorin RUHR.2010 das Ruhrgebiet noch besser kennenlernen werde. Das schätze ich als großes Privileg.“ Mit viel Sorgsamkeit will sie an die Aufgabe herangehen und etwas für ihr Zuhause bewegen. „Die RUHR.2010 soll auch nachhaltig auf die Menschen wirken. Ich erhoffe mir zum Beispiel eine interkulturelle Öffnung – auch durch Institutionen wie Museen – und eine Bündelung des gesamten Potenzials an der Ruhr, so dass wir noch mehr zu einer Einheit, einer großen Metropole, zusammenwachsen.“ Viel Zeit für ihr Privatleben wird ihr da nicht bleiben. „Aber meine Familie unterstützt mich.“ Und wenn sie zwischen ihrem Job und ihren Ehrenämtern doch noch etwas Zeit für sich hat, freut sie sich auf ein langes Frühstück mit ihrem Mann – oder auf ein leckeres Stück Schwarzwälder Kirschtorte in ihrem Lieblingscafé. „Familie und Essen, das ist das Allerwichtigste für mich. Auf beides könnte ich nicht verzichten“, sagt sie versonnen. Und dann heißt es in Studio eins: „Guten Abend und herzlich willkommen zur ‚Aktuellen Stunde‘“. < 20.02.2008 14:18:10 Uhr 56 DISKUTIEREN MANAGERGEHÄLTER EVONIK-MAGAZIN 1/2008 Managergehälter gesetzlich Die Höhe der Bezüge von Spitzenmanagern ist – angesichts bescheidener allgemeiner Lohnzuwächse – in die Diskussion geraten. Die Meinungen reichen von strikter Zurückhaltung bis zu Forderungen, die Gehälter gesetzlich zu begrenzen SCHWER VERMITTELBAR Ich halte zweistellige Millionenbeträge als Jahresgehalt für Dax-Vorstände für schwer vermittelbar. Als Richtschnur sollte gelten, dass die Bezüge eines Vorstands das Durchschnittsgehalt eines Mitarbeiters im Betrieb um nicht mehr als das 100-Fache überschreiten. Bei einem Durchschnittsgehalt von 35.000 Euro wären das 3,5 Millionen Euro. Hans-Otto Schrader, der neue Chef des Versandhandelsriesen Otto VERLUST DER ELITEN Wenn wir Eliten in unserem Land schlecht behandeln, verlieren wir sie. Die sind wohin verlassen. Die Debatte über Managergehälter ist keine Neiddebatte, sondern eine Diskussion über den mangelnden sozialen Zusammenhalt in unserem Land. Wir alle wollen in keinem Land leben, in dem sich jeder nur der Nächste ist und sich ohne Rücksicht die Taschen vollstopft. Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben erlebt, wie ihre Vorstände vor allem den kurzfristigen Gewinn im Blick haben, während sie die Beschäftigten wie Kostenstellen mit zwei Ohren behandeln. Wir müssen zu einer Unternehmenskultur der Verantwortung zurückkehren, in der Arbeitnehmer die Anerkennung erfahren, die ihnen gebührt. Ihre Zuverlässigkeit, ihr Erfindungsreichtum, ihr Einsatzwille sind die wichtigsten Stärken des Standorts Deutschland. Kluge Unternehmer, und davon gibt es viele, wissen, dass der soziale Friede das Geheimnis unseres Wohlstands ist und war. Hans-Werner Sinn, Präsident des Instituts für Frank-Walter Steinmeier, Vizekanzler und Wirtschaftsforschung (Ifo), München stellvertretender SPD-Vorsitzender nicht auf den Standort Deutschland angewiesen. Klaus-Peter Müller, ab Mai 2008 Vorsitzender Aufsichtsrat Commerzbank, der allerdings manche Managergehälter für zu hoch hält FLUCHT Würde man die Managergehälter von Staats wegen zusammenstauchen, würden die Manager Deutschland in Richtung London und sonst 56_Evonik_01-08 56 KEINE NEIDDEBATTE, SONDERN DISKUSSION 20.02.2008 16:14:45 Uhr 57 beschränken? GEMEINSAME VERANTWORTUNG KEINE GESETZLICHE BEGRENZUNG dazu beizutragen. Wir haben die Mitbestim- Die Große Koalition sollte sich von den Wahlkämpfen in den Bundesländern nicht auf den Holzweg führen lassen, Vorstandsvergütungen gesetzlich zu begrenzen. mung in Deutschland. In jedem Aufsichtsrat Jürgen Thumann, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) Ich will mich nicht über Einzelne äußern. Es ist sicher hilfreich, wenn sich mehr Manager an dieser für die Gesellschaft wichtigen Debatte beteiligen. Ebenso sind die Gewerkschaften aufgerufen, sitzen fast zur Hälfte Arbeitnehmervertreter. Insofern gibt es da eine gemeinsame Verantwortung. Angela Merkel (CDU), Bundeskanzlerin PROPORTIONEN AUS DEM RUDER Das Problem besteht darin, dass die Proportionen EINFLUSS DER AKTIONÄRE STÄRKEN Es ist die Aufgabe der Eigentümer, zu entscheiden, wel- aus dem Ruder geraten: Die Bezüge von Managern erhöhen sich spektakulär, während die Durchschnittsgehälter der Erwerbstätigen stagnieren. che Managerbezüge gezahlt Meine dringende Empfehlung richtet sich an die Wirt- werden. Wir können gern schaft selbst: Die Unternehmen sollten bei den Vorstands- darüber reden, über Hauptversammlungen den Einfluss der Aktionäre zu stärken. Doch bezügen mehr Fingerspitzengefühl zeigen. politisch motivierte Lohnobergrenzen halte Norbert Lammert (CDU), Bundestagspräsident ich für abwegig. Staatliche Lohnfestsetzung, FOTOS: DPA demnächst womöglich Einheitslöhne oder die Festsetzung von Brotpreisen – das wäre Planwirtschaft pur, das wäre DDR ohne Mauer. Guido Westerwelle, Vorsitzender der FDP 57_Evonik_01-08 57 20.02.2008 16:14:48 Uhr 58 LEBEN EVONIK-MAGAZIN 1/2008 ILLUSTRATION: DIGITAL VISION Virtuelles Beamen TOM SCHIMMECK über Augmented Reality – die vermischte virtuelle und reale Welt. Bald soll sie unseren Alltag erobern WIE REAL SIND SIE, HERR STRICKER? Dr.-Ing. Didier Stricker, 37, schmunzelt. Das sei keine technische Frage, meint der Franzose, sondern eher eine philosophische. Stricker, Chef der Abteilung „Virtuelle und Erweiterte Realität“ am Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung (IGD) in Darmstadt, ist ständig an den Rändern der Wirklichkeit unterwegs. Es ist sein Job, die Grenze von Realität und virtueller Welt immer weiter zu verwischen. Nein, es geht ihm dabei nicht um den Joystick-verrückten Teil der Menschheit, jedenfalls nicht nur. Sein Fachgebiet „Augmented Reality“ oder schlicht AR, zu Deutsch: „Erweiterte Realität“, zielt auf die Zukunft von Arbeit und Kommunikation. Das Zeitalter des „ubiquitous computing“ zieht herauf, eine Ära allgegenwärtiger Rechner. Bildschirm, Tastatur und auch die Maus werden da schnell nutzlos. Neue Schnittstellen müssen her, um den Standort und die Blickrichtung des Betrachters auszumachen, seine Wünsche und Kommandos wahrzunehmen und Informationen sichtbar zu machen. Was vom Computer kommt, sagt Stricker, soll „direkt eingebettet sein in die reale Umgebung“. So vermengt sich unsere echte Welt immer mehr mit einer blitzschnell und kunstvoll errechneten Zusatzwelt. Das Bild tritt aus dem Rechner. Warten wir darauf? Wenn ja, wozu brauchen wir AR? „Weil alles immer komplexer wird“, erklärt Didier Stricker. Er war technischer Koordinator von ARVIKA – Augmented Reality für Entwicklung, Produktion und Service, ein Zusammenschluss vieler Firmen von Airbus bis Zeiss, die sehr neugierig waren, was AR ihnen zu bieten hat. Beim Service etwa. Eine Fragestellung: Wie kommt man weg von immer dickeren Handbüchern und PDFDateien, hin zur Visualisierung vor Ort? Das berührt zum Beispiel deutsche Maschinenbauer, deren topmoderne Geräte um die halbe Welt geschickt werden. Aber wegen eines winzigen Details manchmal nicht laufen. „Da fliegt dann ein Support-Techniker los“, sagt Stricker, „dreht an zwei Schrauben und fliegt zurück.“ Mit AR jedoch könnte man den Nutzern vor Ort schnell und anschaulich die richtigen Schritte zeigen, davon ist er überzeugt. Die Liste der Anwendungsmöglichkeiten scheint schier endlos. In Zukunft sollen der Architekt und seine Auftraggeber das neue Gebäude in der Landschaft stehen sehen, der Maurer die Wand, die er erst erschaffen soll, schon vorab millimetergenau im Raum erblicken können. Vielleicht wird später ein Handwerker, der den Bohrer an diese Wand ansetzt, dank seiner Datenbrille erkennen, wo genau die Strom-, Wasser-, Gas- und Datenleitungen verlaufen. Wissenschaftler könnten Kollegen, Geschäftsleute ihre Kunden virtuell treffen, per 3-D-Projektion, vertreten durch einen Avatar, ein Kunstwesen im Raum. Und ihnen Dinge zeigen. Das spart viel Zeit und Kerosin. Die Vorstufe des Beamens? „Genau“, sagt Stricker, „ein virtuelles Beamen.“ Augmented Reality soll unsere Sinne mit zusätzlichen Informationen – Bildern, Tönen, Zahlen – füttern, in Echtzeit. Viel Forscherelan wird in Brillen gesteckt, die einen freien Blick ermöglichen und dem Auge zugleich allerlei Zusätzliches zeigen. Wobei ein gutes AR-System dabei die Position und Blickrichtung des Menschen sehr genau erfassen und verfolgen muss, um sich ständig entsprechend anzupassen. So kann es gelingen, auf eine reale Untertasse das 3-D-Bild einer passenden Teetasse zu projizieren. Und diese virtuelle Tasse auch dort verweilen zu lassen – während sich der Betrachter im Raum bewegt. In Darmstadt arbeiten die Forscher mit immer komplexeren Schatten- und Lichtsimulationen. Ihr Ehrgeiz: Dass ein virtuelles Sofa tatsächlich wie ein Sofa im Raum aussieht, nicht wie ein Bild. Sie haben auch ein System namens CAVE entwickelt, einen großen Würfel mit 2,4 Metern Kantenlänge, in dem Menschen in einem virtuellen Bild stehen und sich bewegen können, erzeugt von zehn Projektoren aus fünf Richtungen. Die berühmte Höhlenanlage in der Nähe der chinesischen Stadt Dunhuang, zwischen 400 und 1400 nach Christus von buddhistischen Mönchen geschaffen, wurde für Touristen und mit der Restaurierung betraute Wissenschaftler durch diese Technik virtuell rekreiert. Der Weg vom Prototyp bis zum Produkt dauere wohl auch bei AR sicher ein Jahrzehnt, meint Stricker. Treibend sei die Automobilindustrie, aber auch Automatisierungsfirmen wie Siemens. Die Spielebranche wird bald für die Verbreitung der Technik und entsprechende Kostensenkungen sorgen. Auch Akzeptanz spielt eine große Rolle. Die Datenbrillen müssen leichter, einfacher und besser werden. „Die Leute müssen damit arbeiten wollen.“ Entscheidend aber seien Schönheit und Eleganz, meint Monsieur Didier Stricker mit hauchzartem französischem Akzent. Die Bildinformation am richtigen Ort erscheinen zu lassen, in bester Qualität und dem richtigen Licht – „das“, sagt Stricker, „ist das Magische“. < Tom Schimmeck (48) fasziniert der Blick in die Zukunftslabors der Forschung. Er arbeitete unter anderem für TAZ, „Tempo“, den „Spiegel“ und „Die Woche“. Die Illustration ist eine abstrakte computergenerierte digitale Komposition. 58_Evonik_01-08 Abs2:58 08.02.2008 16:08:36 Uhr UKom-Agentur 01/08 1375-1497 PRIMA KLIM Doppeleffekt: Umwelt- und nutzerfreundliche Gebäude Nachhaltige Gebäude schonen die Umwelt während und nach dem Bau, Anlage geheizt und gekühlt. Die Luftpolster in der Doppelfassade dämmen zum Beispiel durch recycelte Materialien und energieeffiziente Heizungs- das Gebäude und klares Glas sorgt für eine natürliche Beleuchtung. anlagen. Auf diese Weise senken sie den Ausstoß an Emissionen und Gerade Frischluft und Tageslicht sorgen für Wohlbefinden bei Nutzern sparen dazu noch Betriebskosten. Das freut unsere Kunden und hilft der und damit für ein prima Klima – innen und außen. Umwelt. Bereits seit vielen Jahren realisiert HOCHTIEF in aller Welt Projekte, die hohen ökologischen Standards entsprechen – wie beispielsweise Sie wollen mehr über nachhaltiges Bauen wissen? Sprechen Sie uns an. das WestendDuo in Frankfurt. Dort wird mit einer eigenen Geothermie- Tel.: 0201 824-8281. Aus Visionen Werte schaffen. www.hochtief.de 59_Evonik_01-08 59 13.02.2008 20:29:19 Uhr Keep nicht it flowing! Bitte wegwischen! Jedes zweite Kind im südlichen Afrika geht nicht zur Schule. Millionen von Kindern haben deshalb keine Chance auf Bildung. Bauen Sie mit uns Schulen für Afrika. Spendenkonto 300 000, Bank für Sozialwirtschaft Köln (BLZ 370 205 00), Stichwort: Schulen für Afrika. www.unicef.de 60_Evonik_01-08 60 13.02.2008 18:47:04 Uhr