Anja Hilling - Theatre Café
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Anja Hilling - Theatre Café
Anja Hilling Sinn 782 A Rechtliche Hinweise © Felix Bloch Erben GmbH & Co. KG Alle Rechte vorbehalten. Hierzu zählen insbesondere das Recht der Übersetzung, Verfilmung und Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen und sonstige Medien, der mechanischen Vervielfältigung und der Vertonung, die Verwendung zu Bühnenzwecken, Vorlesungen und Aufführungen, gleich ob von Amateur- oder Profibühnen sowie anderen Interessenten. Der Text des Bühnenwerks wird Bühnen / Veranstaltern ausschließlich für Zwecke der Aufführung nach Maßgabe des jeweiligen Aufführungsvertrags zur Verfügung gestellt (Manuskript bzw. pdf-Datei). Jede darüber hinausgehende Verwertung des Texts des Bühnenwerks bedarf der ausdrücklichen vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für dessen Vervielfältigung, Verbreitung, elektronische Verarbeitung, Übermittlung an Dritte und Speicherung über die Laufzeit des Aufführungsvertrags hinaus. 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Wird das Stück nicht zur Aufführung angenommen, so ist das Manuskript umgehend zurückzusenden an: Felix Bloch Erben GmbH & Co. KG Hardenbergstraße 6 10623 Berlin Deutschland PERSONEN Phöbe Fred Tommi Karl Jule Jasmin Albert Natascha Beate Laurent -1- I. Augen Phöbe und Fred 1. Fred Phöbe hat blaue Augen Nur manchmal. Unter gewissen Umständen. Sonne Fieber und auch Angst. Da werden ihre Augen plötzlich türkis. Phöbe Das stimmt. Aber Fred. Der weiß das nur vom Hörensagen. Fred Aber es stimmt. Phöbe Ja. 2. Fred Eine Gartenparty. Der Sommer ist hoch. August. Tommi hat Geburtstag. Tommi hat sie eingeladen. Tommi. Endlich. Er hat gesagt. Ich werd achtzehn am Freitag. Fred legt auf. Hat er gesagt. Im Garten ab neun. Und bring eine mit. Sie hat das alles gewusst. Das mit der Party der Uhrzeit. Dass es zu wenig Mädchen gab bisher. Sie wusste dass Tommis Vater Bäcker war. Drei Filialen hatte ein Haus mit Garten und eine weißblonde Freundin. Sie wusste dass Tommi Raucher war seit einem Jahr. Dass Tommi seinen besten Freund verloren hat in diesem Jahr. Karl. Dass Tommi einmal ein Mädchen geschlagen hat. Jasmin. Sie hat Karl nur vom Sehen gekannt. Jasmin nur vom Sport. Aber sie wusste. Da war ein Geheimnis in Tommi. Und eine Traurigkeit. Und das gefiel ihr sehr. Sie wusste einiges über Tommi. Nur von Fred hatte sie noch nie gehört. Phöbe Tommi hat mich am Arm berührt. Er hat mich eingeladen und dabei am Arm berührt. Fred Phöbe hatte das alles schon durchgespielt. Tausendmal. Nur etwas spektakulärer. Sie hat über alles mit Tommi gesprochen. Über die Schule das Rauchen die Traurigkeit. Über alles in jeder Tonlage in allen Positionen. Schwimmend als Mondlichtgäste im Teufelssee. -2Laufend im Sand. Atemlos nach einem Sturz im Januarschnee. Er hat ihre Augen mit dem See verglichen in dem sie schwammen. Ihre Haut mit dem Schnee in dem sie lagen. Und sie. Sie hat dann ihre Finger auf seine Lippen gelegt. Und immer. Immer hat er sie dann ganz unvergleichlich geküsst. Tommi. Als er sie eingeladen hat war sie ein wenig enttäuscht. Von seinen Schweißfingern den dreckigen Nägeln. Auch die Stimme hat sie sich anders vorgestellt. Und seine Kippe hat er ihr auf den Schuh geschmissen. Phöbe Aus Versehen. Fred So ist das mit Tagtraumfreunden. Phöbe Ich hab getan was ging. Seit drei Monaten hatte ich nie mehr als zwei Pickel im Gesicht maximal fünf am Rücken. Mein Haar konnte seit sieben Monaten auf die Länge dieser Party hinwachsen. In den Pony hab ich eine einzelne blonde Strähne gefärbt. Rotes T-Shirt weiße Jeans. Ich sah aus wie ein Erdbeereis Ich wollte Tommi schon so lange. Ich wollte mit ihm zusammen sein. Vor aller Augen in alle Ewigkeit. Ich wusste es wäre anders. Anders als gedacht. Aber auch das wäre schön. Ich wollte das wirklich. Dass das wahr wird mit Tommi und mir. Fred Mit Fred hat sie nicht gerechnet. Sie hat nicht mal von ihm gewusst. Phöbe Hätte ich das. Von ihm gewusst. Er hätte mich kalt gelassen. Mit seinen dünnen Armen dem dämlichen Pferdeschwanz wieher wieher. Das muss man ihm doch sagen. Dass das scheiße aussieht so ein blonder Schwanz. Er weiß es doch nicht 3. Fred Bevor Tommi die Tür öffnet sieht Phöbe ihr Schlüsselbein leuchten im Fenster der Eingangstür. Tommi hat ein Brötchen in der Hand und einen Hauch von Wurst im Atem. Er sagt. Hallo Beate. Phöbe Ich hab Beate mitgenommen. Beate ist gut für so was. Sie sitzt gern allein in Ecken raucht Gras ohne Tabak. Sie will nichts mit mir zu tun haben und ich nichts mit ihr. Das respektieren wir beide. Dass Tommi sie zuerst begrüßt hat fällt ihr nicht mal auf. Fred Als Phöbe allein ist mit Tommi für einen Moment versucht sie ein Gespräch. Phöbe Das dann ist dein Zuhause. -3Fred Schön. Sagt sie. Phöbe Luxus. Fred Tommi sagt. Komm rein. Oder raus. Die Party ist draußen. Ich muss zum Grill. Phöbe Tommi muss Schnitzel wenden. Fred Er ist dort wo er immer ist. Kilometer von ihr entfernt. Er steht zwischen den Gästen raucht ohne Filter. Den Blick auf Höhe seiner Finger. Phöbe kennt das Bild. Sie findet es traurig und auch schön. So steht er. Im Schulhof vorm Kiosk in der U-Bahn. Und jetzt steht er hier und macht keinen Unterschied. Phöbe schließt die Augen zaubert ihn weg. Vom Grill von den Gästen. Hin zu sich. Als Tommi sich wirklich in ihre Richtung bewegt. Nimmt sie zum ersten Mal die Musik wahr. Meine Musik. 4. Phöbe Elektronisch. Langsam. Der DJ steht hinter einem schwarzen Pult unter der Kastanie. Die Musik gefällt mir sehr. Fred Tommi geht nicht zu Phöbe. Er geht zu seinem Vater. Phöbe Der Bäcker steht hinter mir. Er ruft etwas quer durch den Garten. Einen Namen. Fred Meinen Namen. Phöbe Fred. Fred Ich lächle. Er ist mein Onkel. Da lächelt man. Phöbe Der Blick des DJs ist hoch. Viel höher als wir. Ich denke. Vielleicht steht er auf einer Wurzel. Fred Als ich mein Glas hebe. In Richtung meines Onkels. Da fällt Phöbe Tommis Geburtstag ein. Phöbe Ich hab das genau überlegt. Erst dachte ich ein Buch. Dostojewski vielleicht. Dann. Ein Gutschein. Theater. Vielleicht mag der so was. Jetzt ist in der Tasche eine Flasche. Tequila. Braun. -4Vier Orangen und auch Zimt. Fred Der Bäcker geht und Phöbe. Phöbe hat Tommi im Nacken. Sie streckt ihn. Den Nacken die Wirbelsäule und ganz sanft dreht sie sich um. Phöbe Ich dreh mich um und Tommi ist mit anderen Dingen beschäftigt. Fred Partybrötchen. Phöbe Er nimmt den Teig raus knetet ihn wirft ihn. Kleine Kugeln jetzt auf den DJ. Der DJ rührt sich nicht. Er wird beschossen und bewegt keine Wimper. Fred Das ist nur Brot. Brot stinkt nicht und tut nicht weh. Phöbe Eine Kugel fällt in seine Armbeuge. Er lässt sie da. Kurz. Dann isst er sie auf. Fred Was hast du gedacht. Phöbe Ich hab gedacht. Zart. Er ist zart. Aber seine Haare sehen scheiße aus. Fred Als sie Tommi die Flasche gibt. Sagt er. Tequila ist gut. Phöbe Tequila fehlt immer. Sagt er. Fred Die Orangen und den Zimt lässt sie in der Tasche. 5. Phöbe Tommi geht weg. Aber nur um mir einen Teller zusammenzustellen. Kotelett und Würstchen. Fred Das mit dem Fleischteller. Das müsste sie freuen. So nah war sie ihrem Traum noch nie gekommen. Phöbe Aber ich freu mich nicht. Ich weiß nicht was passiert ist. Die Musik hat sich verändert. Die Melodie die Bässe. In der Kastanie geht eine Lichterkette an. Ich seh hin. Ich denke. Das dann ist Fred. Sein Gesicht ist blau. Im Monitorlicht. Sein Blick aber fliegt drüber weg. Über den Monitor über die Klappstühle. Könnte es sogar über die Hecke schaffen aufs Nachbargrundstück sein Blick. Wenn nicht ich da stehen würde. -5Getroffen würde. Von der stillen Strecke seines Blicks. Er lächelt nicht. Keine Bewegung. Nur seine Finger schieben Schalter runter und rauf. Seine Augen sind hell und kalt. Fred Tommi kommt mit Kotelett zurück. Phöbe Würstchen kommen später. Sagt er. Fred Aber du. Du siehst mich an. Nicht ihn. Phöbe Du bist es. Der mich ansieht. So ein Blick. Da wird mir schlecht von. Fred Den Teller hast du trotzdem genommen. Phöbe Das dann ist Fred. Das sag ich zu Tommi. Woher kennt ihr euch. Frag ich ihn. Und Tommi. Tommi lacht. Fred Das ist mein Cousin. Sagt Tommi. Wir sind verwandt was denkst du denn. Phöbe Ich denke. Er kommt sich toll vor auf seiner Wurzel. Dein Cousin. Ich glaube. Er starrt mich an. Das sag ich Tommi. Ganz ehrlich. Fred Tommi lacht. Er sagt. Ja klar. Fred starrt dich an. Dann nimmt er sie an der Hand und das. Das war nicht so wie es sein sollte. Sein Griff zu lasch. Zwischen ihren Zähnen ein Kotelettfaden. Sie sollte glücklich sein. Aber sie wird nur jemandem vorgestellt. Phöbe Fred. 6. Fred Tommi sagt. Fred. Das ist Phöbe. Und ich. Phöbe Du lächelst. Dein Lächeln ist blau hinter einem Computer. Dein Blick ist gesenkt jetzt nicht mehr hoch. Als ob du müde wärst oder verlegen So jemand wie dich hab ich noch nie gesehen. Ich kann nicht glauben dass du mich nicht ansiehst. Jetzt. Wo es erlaubt wäre. Ich kann nicht aufhören auf deine Wimpern zu sehen. Dicht und hell. Hasenwimpern. Fred Tommi sagt. Phöbe denkt du starrst sie an. Aber eigentlich. Sagt Tommi. Eigentlich ist sie es. Die dich anstarrt. -6Phöbe Und das. Das macht dich so stolz. Fred Ja. Phöbe Er hebt den Blick. Fred. Und die Stille seiner Augen fließt und flutet hinter meinen Schläfen. Ich könnte kotzen. Ich werfe den Kotelettknochen an den Stamm der Kastanie. Ist der blind oder was. Bist du blind oder was. Fred Tommi geht. Er sagt. Ich lass euch mal allein. Phöbe sieht ihn eine Kippe aus der Tasche ziehen oder ein Brötchen und es ist ihr ganz egal. Sie sieht zu mir. Sie legt mir eine Hand auf den Arm. Fest nicht sanft. Ihre Finger sind fettig ihre Stimme laut. Phöbe Das dann ist eure Art von Humor oder was. Das dann findet ihr witzig. Fred Lass mich mal in Ruh. Ja. Phöbe. Phöbe Er sagt meinen Namen. Und seine Stimme ist freundlich. Fred Holst du mir was vom Grill. Ich find da ja nicht hin. Phöbe Ich glaub dir kein Wort. Fred Sie macht einen Schritt auf mich zu. Sie ist mir ganz nah. So nah dass ihr Atem durch meine Wimpern fegt. Phöbe Welche Farbe hat mein T-Shirt. Fred Ich muss hier auflegen. Ich hab zu tun. Phöbe Viel Glück mit dem Grill. Fred Rot. Phöbe Genau. Rot du Arsch. Fred Rot wie Liebe Rosen Tomaten. Hat man mir erzählt. Phöbe Hör auf. Fred Hör du auf. Phöbe Mein T-Shirt ist rot. -7Fred Geraten. Phöbe Du bist nicht witzig. Fred Was willst du. Einen Hund einen Stock. Einen Computer der spricht mit mir. Phöbe Du bist blind. Richtig blind. Fred Morgen leg ich im Bergdorf auf. Phöbe Wo ist das denn. Fred Das fragst du mich. Phöbe Du kannst mich mal. Fred Kommst du. Phöbe Nein. Fred Du musst unbedingt kommen. Phöbe Ob ich komm oder nicht. Du würdest mich sowieso nicht erkennen. Fred Du könntest Hallo sagen. Phöbe Hallo. Fred Ich würde dich immer erkennen. Phöbe Welche Farbe haben meine Augen. Fred Keine Ahnung. 7. Phöbe Ich habe blaue Augen. Manchmal auch türkis. Das sind Schmuckstücke meine Augen. Die muss man gesehen haben. Meine Augen. Die sind das Schönste an mir. Schon immer. Selbst als ich noch Pickel hatte und fettiges Haar und dicker war. Selbst da haben die aus meinem Gesicht gefunkelt. Haben mir Schönheit versprochen. Mich mit Märchenweisheit bestochen. Prinzessin. Jedes Märchen braucht schlechte Phasen. Phasen. In denen das Schöne sich Zeit nimmt. Bis es sich von innen nach außen kehrt. So sind die. Meine Augen. -8Blau türkis und verheißungsvoll. Fred. Er hat keine Ahnung davon. Alle Welt bleibt an meinen Augen hängen. Wird eingezogen von ihrem Ozeanstrahl und er. Er sagt. Blau. Blau wie Himmel wie Schlümpfe wie Bodenfeuer. Blaues Essen fällt ihm nicht ein. Und Türkis. Türkis lässt sich schwer beschreiben da hört es auf. Weiter kommen wir nicht. Meine Augen sind schön. Für ihn sind sie Verschwendung. Seine Augen. Ich sag ihm. Grell. Fast farblos. Wenn es dich interessiert. Aschblau taubenblau fast grau. Er ist enttäuscht. Ich hab gelogen. Was ich eigentlich sagen wollte. Ich wollte sagen. Deine Augen sind hell. Heller als meine heller als Licht. Deine Augen sind das Hellste was ich je gesehen hab. Sie ziehen mich nicht rein. Sie leuchten mich aus leuchten alles aus. Ich wollte sagen. Mit dir hätte ich keine Angst mehr in der Dunkelheit. Weil du würdest jeden Waldweg erhellen jeden Keller jedes Herz. So was wollte ich sagen. Was weiß ich was in mich gefahren war. Vielleicht hab ich die Erkältung schon gespürt. Ich hab das nicht gewollt mir nicht vorgestellt und nicht gewünscht. Aber ich wusste ich würde morgen da sein. Da wo er auflegt. 8. Fred Ganz ehrlich. Sie ist da gewesen. Im Bergdorf. Und ich hab es nicht gemerkt. Ich hab erst viel später davon erfahren. Da hat es mich nicht mehr gefreut. Phöbe Es ist voll. Als erstes seh ich Beate. Sie küsst einen Jungen mit gelben Haaren. Ihre Haut ist weiß seine dunkel. Der Kuss ist schön. Ruhig. Gegen die Musik. Gegen die Bewegung im Raum. Augen zu. Wenn Beate die Augen öffnet wird sie überrascht sein. Mich wird sie nicht sehen. -9In dieser Ecke. Ich sehe Fred an. Er steht wieder auf irgendeiner Wurzel. Den Kopf schief. Licht in Hasenwimpern. Ich bewege mich nicht. Ich stell mir das Gegenteil vor. Mich auszuziehen. Nackt zu tanzen zu seiner Musik. Wilde Pirouetten. Man könnte über mich lachen. Schreien. Oder applaudieren. Er würde sich über den Lärm wundern. Nicht über mich. Später. Wenn er erfahren würde. Wie ich getanzt habe. Wie ich vergewaltigt wurde. Oder abgeführt. Da würde er sich vielleicht wundern. Später. Nie sofort. Erst mal würde er für einen guten Übergang sorgen. Von einem Lied zum nächsten. Sein Pferdeschwanz berührt seinen Mundwinkel. Fred küssen. Das geht nicht. Er kennt das nicht. Wird das nie kennen. Die Überraschung über mein Gesicht nach dem Kuss. Ich will ihn ansehen. Ein letzter Blick. Dann nichts wie raus hier. Sein Kopf senkrecht jetzt und sein Blick trifft mich. Quer durch den Raum zwischen die Augenbrauen. Ein heller Strahl drückt mich an die Wand. Die Wand ist feucht. Schweiß von der Decke. Mir ist kalt. Beate spricht mich an. Beate sagt. Du siehst scheiße aus Phöbe. Sie glaubt ich werd krank. Ein neues Lied beginnt. 9. Fred Als sie nachts in den Spiegel sieht. Ist die Haut dünn über ihren Gliedern. Ihr Kopf schwer und ihre Augen. Die sind türkis. Phöbe Die Erkältung kommt sofort am Morgen nach dem Club. - 10 Fred Sie ist fast erleichtert über die Verstopfung der Nase. Die hohen Zahlen auf dem Fieberthermometer findet sie sachlich und schön. Ihr Mund ist trocken ihre Haut heiß. Sie kann die Augen kaum öffnen und ihr ist kalt. Den Tag verschläft sie und auch die Nacht. Phöbe Am Morgen danach. Zwei Tage nach Bergdorf. Drei Tage nach Tommis Party ruft Fred an. Fred Wie geht s. Phöbe Ich hab seine Stimme gleich erkannt. Wer ist da. Fred Ich bin s. Fred. Phöbe Aha. Fred Schade dass du nicht da warst. Im Bergdorf. Phöbe Ja. Schade. Fred Und sonst. Sonst geht s gut. Phöbe Nein. Sonst geht s scheiße. Fred Ich komm vorbei. Phöbe Nein. Fred In einer Stunde bin ich da. Phöbe Nein. Du steckst dich bloß an. Fred Ja. Bis gleich. Phöbe Nein. Fred Sie schreit es fast. Sie hat Angst. Phöbe Nein. Fred Keine Angst. Ich nehm den Stock. Phöbe Da kommt die Übelkeit zurück. In der nächsten Stunde zweimal ins Waschbecken einmal in die Toilette gekotzt. - 11 10. Fred Sie lässt mich rein. Phöbe Ich weiß nicht was in mich gefahren ist. Ich bin allein. Mein Vater ist weg. Meine Mutter verkauft Blumen auf dem Biomarkt. Er ist neunzehn. Er hat einen Stock. Er könnte gefährlich sein. Wenn auch nur aus Versehen. Ich lass ihn rein. Fred Dir geht s wirklich scheiße. Phöbe Er hat keine Ahnung. Fred Siehst du so elend aus wie du riechst. Phöbe Verpiss dich mir geht s blendend. Fred Du musst ins Bett. Phöbe Und du kommst mit oder was. Fred Ja. Klar. Phöbe Den Stock hält er zusammengeklappt in der Hand. 11. Fred Es sind neun Stunden gewesen. Phöbe Er hat neun Stunden an meinem Bett gesessen. Irgendwann kann ich Orangen riechen. Ich öffne die Augen. Sie sind verklebt. Hinter dem Schleier der Krusten seh ich Fred. Mir kleinen sauberen Zähnen entfernt er die weiße Haut vom Fruchtfleisch. Fred Vitamine Phöbe Das sieht scheiße aus dein Pferdeschwanz. Hast du niemand. Der dir so was sagt. Fred Hier. Iss. Phöbe Hast extra Orangen mitgebracht hab ich ein Glück. Hast dich verliebt oder was. Fred Oder was. Fragt sie. Phöbe Geht das so schnell bei euch. - 12 Eine Stimme ein Name eine Orange. Du bildest dir da was ein. Deiner Vorstellung. Der sind vielleicht keine Grenzen gesetzt. Aber bei mir hört s auf. Hier und jetzt. Du bist blind Mann. Du weißt nicht wer ich bin. Du würdest mich nicht am Bahnhof erkennen. Ich könnte mir die Haare färben. Neon tragen. Ich könnte vor deinen Augen einen anderen küssen. Ich könnte hässlich sein wie die Nacht. Es wär dir egal. Aber das bin ich nicht. Ich bin nicht hässlich. Ich bin sogar ziemlich attraktiv und es tut gut. Das auch ab und zu zu hören. Von jemand der Ahnung hat von diesen Dingen. Jemand. Der sagen kann. Meine Freundin. Das ist die schönste Frau der Welt. Jemand. Dem man so was glaubt. Über dich würde man lachen. Über uns. Tut mir leid. Wir wären Witzfiguren. Taps und Tapperchen. Ich brauch das nicht. Wirklich. Ich brauch dich nicht. Tut mir leid. Bitte verpiss dich. Ja. Mach dich vom Acker schwing deinen Stock sattel deinen Hund. Und danke für die Vitamine. Fred Ich glaub nicht dass sie mich ansieht. 12. Phöbe Er lässt die Orangen auf meine Bettdecke fallen. Fred Die hab ich nicht extra mitgebracht. Deine Mutter hat sie in deiner Tasche gefunden. Phöbe Du hast mit meiner Mutter gesprochen. Fred Ich geh. Phöbe Er geht. Er ist schon an der Tür. Seinen Stock trägt er seitlich am Gürtel geschnallt. Ich finde ihn Wahnsinn dort an der Tür. Verwegen. Er erinnert mich an alles was gefährlich ist und schön auf dieser Welt. Wildwestduelle Geschwindigkeitsübertretungen Liebestode. Geh nicht. Es tut mir leid. Das war nicht so gemeint. Das alles. Fred Klar. Klar hast du das so gemeint. Das alles. Das ist doch nicht schlecht. Eine Position zu haben. Das ist doch schon mal was. Phöbe Ein Scheiß ist das. Keine Position. Fred So schnell geht das nicht. - 13 Ich bin nicht verliebt in dich. So schnell geht das bei uns nicht. 13. Phöbe Klar hab ich alles so gemeint. Jedes Wort kam aus meinem Herzen. Und ich hab nie gesagt dass das gut wär mein Herz oder besonders. Es ist einfach ein Herz. Das die Dinge so raushaut. Und dann noch zum Lügner wird und sagt. Das war nicht so gemeint. Das alles. Ich war verwirrt. Ich bin es immer noch. Er ist blind. Und es ist absolut. In jeder Hinsicht Unsinn. Von einem Blinden verehrt zu werden. Es ist nichts wert. Nicht viel. Mein Körper wäre beleidigt meine Freunde belustigt meine Augen verunsichert. Ich würde mich selbst nicht mehr erkennen. Ich würde mich mit seinen Augen sehen. Seinen Augen. Weil das so ist. Wenn man liebt sieht man sich mit den Augen des anderen und das. Das wär so schade. Wenn alles was ich hier seh. Von heute auf morgen verschwunden wäre. Luft und Phantasie. Nur weil mein Liebster keine Augen hat. Ich meine. Das sind doch Dinge. Wirklich Dinge über die man sich ein zwei Gedanken machen kann. Die dich verwirren können. Weil du dir trotz dieser ganzen Verschwendung hier. Nichts weiter wünscht. Nicht mehr als einen Anruf. Seine Stimme zu hören. Für den Anfang. Fred Sie wartet zwei Tage. Dann ruft sie mich an. 14. Phöbe Er sagt meinen Namen Fred Phöbe. Sie schließt die Augen am Telefon Phöbe Mir geht s wieder gut. Fred Gut. - 14 Phöbe Ja. Und du. Fred Ich. Ich würd dich gern sehen. Phöbe Du Arsch. Fred Ich mein s ernst. Phöbe Ich auch. Fred Wann. Phöbe Heute. Jetzt. Fred Ja. Jetzt. Phöbe Was machen wir. Fred Ist doch egal. Phöbe Pause. Hier gibt es eine Unterbrechung. Ein Schmerz in der Fußsohle. Er weiß nicht ob ich noch in der Leitung bin. Fred Hallo. Phöbe Es ist nicht egal. In unserer speziellen Situation muss man sich ein zwei Gedanken darüber machen. Was man macht und was nicht. Sollen wir ins Kino oder was. Oder ist der halbe Spaß das Geld uns nicht wert. Wie wär s mit dem Zoo. Der ist akustisch interessant und wir können in den Streichelzoo schon besser. Fred Was willst du. Willst du ins Kino. Gehen wir ins Kino Kein Arsch geht im Sommer ins Kino aber wir gehen da hin tolle Idee. Phöbe Am Ende nur noch sein Atem. Fred Wir legen noch nicht auf. Wir könnten. Aber wir tun es nicht. Phöbe Egal. Lass uns irgendwas machen. Ich will dich sehen. Fred Sie lächelt am Telefon. Lass uns schwimmen gehen. Phöbe Was. Fred Wir fahren zum See. Mit der S-Bahn bis gleich. - 15 - 15. Phöbe Zweimal hab ich für mein Seedate gelogen. Meiner Mutter hab ich gesagt ich bin bei einer Freundin. Der Freundin hab ich gesagt ich helfe meiner Mutter beim Blumenbinden. Den Weg zur S-Bahn geh ich auf Zehenspitzen. Er hat beide Hände über seinen Stock vor seinem Körper gekreuzt. Die Beine verdreht wie zum Tanz. Zehn Meter von mir entfernt. Ich denke daran umzudrehen. Einfach nichts sagen und gehen und ihn vergessen. Dann ist es zu spät. Dann dreht er sich um. Fred Du bist zu spät. Phöbe Ich nehm seine Hand. Ich weiß nicht warum. Manchmal vergisst man sich. Wie machst du das. Fred Was. Phöbe Ich spür seine Hand. Stärker jetzt. Er verstärkt den Druck leitet ihn weiter. Eine Welle. Über die Arme die Schultern den Hals. Ein Zucken unter den Lidern ein Druck an den Schläfen kurz vorm Schmerz. Aus meinem Mund ein Laut. Ein Vokal. Ich lasse seine Hand los. Sofort. Fred Wie mach ich was. Phöbe Woher wusstest du dass ich da bin. Ich war viel zu weit weg. Fred Du warst zu spät. Ich dachte jetzt könnte sie mal kommen. Dann warst du da. Also Glück. Bild dir nichts ein. Phöbe Ist da nicht was. Was an mir. Was du stärker wahrnimmst als andere. Mein Geruch mein Atem meine Schritte. Fred So gut kennen wir uns auch noch nicht. Phöbe Ja. Genau. Fred Genau. - 16 Phöbe Dann nimmt er mich in den Arm. Ich spür seinen Atem im Ohr seinen Stock an der Wirbelsäule. Die S-Bahn hat Verspätung. 16. Fred Wir haben die ganze Fahrt über kein Wort gesprochen. Sie hat in mein Gesicht gesehen und ich. Ich weiß nicht was sie dort gesehen hat oder gefunden. Ich weiß nur es war. Es war als ob sie in mich fahren würde. Wie Angst oder Drogen oder Schmerz. Extrem. Und auch schön. Und plötzlich wünschst du die Fahrt soll kein Ende haben. Und dann bist du da. Komm. Komm wir gehen schwimmen. Das ist doch schweineheiß hier drin. Aber sie. Sie stolpert über ihr eigenes Handtuch. Und schlägt mit dem Kopf an die Haltestange. Kurz ist ihr schwarz geworden vor Augen. Wie man so sagt. Und ihre Knie sind eingeknickt. Alles klar. Phöbe Das kommt davon. Fred Wovon. Phöbe Davon wenn ich dich zu lang anseh. Fred Dann sieh weg. Phöbe Das geht nicht. Fred Nicht. Wieso nicht. Phöbe Ich find dich. Ich weiß nicht. Aber irgendwie. Irgendwie find ich dich wahnsinnig schön. Fred Komm wir gehen schwimmen. Phöbe Bist du jetzt verlegen oder was. Fred Bist du jetzt verliebt oder was. - 17 17. Phöbe Das stimmt. Ich hab über die ganze Fahrt in sein Gesicht gesehen. Mich über vierzig Minuten in seinen Augen verloren. Und das war nicht wie in Augen sehen es war anders. Es war einseitig. Kein Wechsel. Kein Austausch. Es kam nichts zurück. Ich habe alle Haltestellen verpasst. Ich lüge nicht so ist es gewesen. Ich bin in seinen Augenhöhlen gewesen. Für vierzig Minuten in ihnen verschwunden. Ich hab dort nichts gesehen oder alles vergessen. Ich hab nicht den Hauch einer Ahnung was dort vor sich geht. Aber ich bin dort gewesen. Glücklich. Und dann voller Wut. Ich finde dich maßlos in deiner Blindheit. Unerreichbar übertrieben eine Überdosis. Ätzend. Hilflos und unendlich elegant. Ich seh dich unter Sternen durch ein Weltall rauschen. Dann über einen Bordstein fallen. Deine Hand die immer daneben greift. Deine Hand in meiner Blutbahn. Deinen Fuß in der Lücke zwischen Bahn und Bahnsteig. Ich seh dich stolpern durch die Nacht. Über Steine fallen auf dem Weg zum See. Über die Milchstraße gleiten. Ich will dir nah sein. Näher. Ich will wissen wie weit das geht. Hinter deinen Augen. Ich habe tausend Fragen. Ist die hell oder dunkel deine Welt. Bewegt sich Musik in dir. Wie eine Schlange vielleicht oder eine Spinne oder was. Haben Geräusche Gerüche und ich. Kannst du mich riechen. Bin ich eine Farbe ein Ton eine Bewegung. Bin ich dreidimensional. Woran denkst du wenn du meine Stimme hörst. Hast du eine Vorstellung von mir. Ein Bild. Wo kommt das her. Weißt du überhaupt was das ist. Ein Bild Oder ist da nur Wüste in dir. Wo nichts entsteht. Ich will das wirklich wissen ich will das sehen. Die Landschaft hinter deinen Augen. Ich will sehen was du siehst. Mich mit deinen Augen sehen. Durch deinen Augapfel zischen. In dein Universum knallen. - 18 In dir sein leuchten und schreien. Fred Komm wir gehen schwimmen. Das ist doch schweineheiß hier drinnen. Phöbe Dann ist mir schwarz geworden vor Augen. - 19 - II. Nase Tommi und Karl 1. Karl Du rauchst. Tommi Und du bist tot. Karl Hör doch auf mit dieser Geisterscheiße. Tommi Dann hau ab. Karl Lässt du mich mal ziehen. 2. Karl Mitten im Hochsommer die erste Schachtel. Rote Gauloises. Im Oktober die blauen. Seit Januar dreht er selbst. Tommi Was weißt du schon davon. Karl Am Anfang hat er den Rauch inhaliert. Ganz kurz. Dann ins Zimmer gespuckt. Später konnte er ihn in der Mundhöhle halten. Ihn dann wieder rauslassen. Ein weißes Band. Nach vier Wochen hat er das Nikotin durch die Lunge gezogen. Ihn dann gespalten durch zwei Nasenlöcher. Am Anfang ging es darum das Zimmer auszuräuchern. Tommi Aber das war nicht genug. Karl Es war in ihm nicht im Zimmer. Ein böser Zauber. Eine Heimsuchung Ein Geruch. Und das Nacht für Nacht. Tommi Ich wollte wieder schlafen. Mehr nicht. Nur meine Ruhe. Karl Darum die ganze Qualmerei. Tommi Der Geruch des Zaubers ist sauer und süß. Karl Süß wie Blut. Sauer wie Brot. Tommi Nacht für Nacht steht er vor mir. Karl. - 20 Als ob er das noch hätte. Einen Geruch ein Gesicht diese Leiche. Karl So ist das mit Freunden. Die lassen sich nicht allein. 3. Tommi Wir waren Freunde. Karl Sind. Tommi Waren. Karl Sind. Tommi Für mich bist du schon lange tot. Karl Schon immer. Die besten. Wie man so sagt. Seit wir sprechen laufen denken konnten. Tommi Der gleiche Kindergarten die gleiche Schule. Alles gleich. Auch der Geschmack. Turnschuh Filme Frauen. Karl Die gleiche Frisur. Tommi Karl blond. Karl Tommi braun. Tommi Wir haben sogar am selben Tag Geburtstag. Karl Am zwölften August. Tommi Karls Vater hatte einen Schlaganfall. Karl Tommis eine Bäckerei. Später sogar drei. Tommi Karls Mutter war wirklich überfordert. Karl Tommis tot. Backt jetzt Sterne. Nach einem Jahr hat der Bäcker sich eine Griechin für Bett Herz und Ofen geholt. Tommi Helena. Karl Für uns beide war die Griechin wie eine Mutter. - 21 - 4. Tommi Wir waren acht. Meine Mutter war tot seit einem Jahr und die Griechin. Die hatte dunkle schwere Locken. Ihr Körper war klein und weich und ihre Augen schwarz. Ich dachte. Jetzt. Jetzt beginnt der sanfte Teil des Lebens. Unter den Armen der Griechin roch es nach Ziegenmilch. Sie liebte die Bäckerei. Die Morgenstunden die Wärme der Öfen und das Gehen der Hefe. Und Karl und ich. Wir liebten die Griechin. Karl Aber die einzig deutschen Worte aus dem Mund der Griechin. Kamen aus dem Bereich der Backkunst. Tommis Vater wartete acht Monate auf ein Gespräch. Dann begann er eine andere Sprache zu sprechen. Tommi hat sie gefunden. Ihr Gesicht klebte am Ofenfenster. Die Haut konnte man abziehen von der Schläfe bis zum Ohr. Tommi wollte zu ihr. Sie trösten. Mit vertrauten Worten. Tommi Zöpfe Plunder Schrippen Schnecken. Karl Sein Vater riss ihn weg und sein Gesicht. Das fand sich wieder im warmen Hefeteig. Der Teig wurde größer und runder. Wuchs um sein Gesicht herum. Er stellte sich vor so zu sterben. Die Nase in Hefe verklebt. Aber so war es nicht. Er wurde gerettet und die Griechin auch. Zwei Cousins haben sie nach Athen geholt. Tommi hat Helena nie wieder gesehen. Tommi Aber ich hab sie in mir. In meiner Nase meinem Hirn. Die ganze Hefe. Ich weiß dass sie wachsen wird. Wie ein Pilz eben wächst. Und mich eines Tages von innen sprengt. Karl Die Bäckerei hatte jetzt einen neuen Namen. Die Bäckerei hieß jetzt Helena. Tommi Als wir fünfzehn wurden hat Karl bei meinem Vater Arbeit gefunden. Dreimal die Woche nach der Schule. Als Backhilfe bei Helena. Karl Ich hab mich auch nach der Griechin gesehnt. - 22 Tommi Du weißt doch gar nicht was das ist. Sehnsucht. Das ist doch ein Keks für dich. Ein Joint ein Schokoladenherz. Karl Als wir sechzehn wurden. Letzten August. Hab ich bei Helena einen Marmorkuchen gebacken. Mit zwei Gramm Haschisch für Tommi und mich. Tommi Und ich. Ich hab Jasmin kennen gelernt. 5. Karl Tommi hat Jasmin geliebt. Von Anfang an. Wie ein Verrückter. Er hat jedem davon erzählt. Auch mir. Von ihrem Haar. Das hellrot war und wellig. Ihren Augen nussbraun. Den Augenbrauen. Tommi Wie ein Likör in ihr Gesicht gegossen. Karl Und ihrem Körper. Der so war wie ihr Haar. Tommi Lang und wellig. Karl Ihr Atem. Sie hat geröchelt und manchmal gerasselt. Einfach so. Dann hat sie eine Sprühdose vor die Lippen gehalten. Die hat auch gerasselt. Tommi Sie hatte ein Lungenemphysem. Einen angeborenen Enzymmangel. Karl Selbst das hat Tommi geliebt. Dass sie sich Kortison in die Lunge jagt. Tommi Sie hat die Dose zwischen ihre Lippen gehalten. Und ich dachte. So könnte das klingen. Wenn sie mich küsst. Karl Im Bus zur Schule hat er ihr alles erzählt. Sie aufgeklärt. Warum er sie liebt. Tommi Sie war ganz still. Karl Sie war geschmeichelt. Tommi Sie hat mir ihre Nummer gegeben. - 23 Karl Sie war fünfzehn. Von solchen Reden hat sie bisher nur geträumt. Tommi Sie hat mir ihre Nummer gegeben. Karl Sie sind ausgegangen. Tommi und Jasmin. Kino Club Zoo was man so tut. Er hat sie nicht mehr losgelassen. Hat seine Nase in sie gesteckt. Als wären sie Hunde voller Angst vor dem Nachhausegehen. Tommi Die Ohren Zitrone. Der Hals Koriander. Die Arme unten nasse Wiese oben Bärenfell. Karl Er war betört fast betrunken. Er spürte dass ihr Geruch ihn ausfüllte. Dass der Pilz in ihm kleiner wurde immer kleiner. Bald verschwinden würde in der Landschaft ihrer Haut. Tommi Ich hab sie bewundert. Karl Bestaunt. Wie man ein Phänomen bestaunt. Ein Wunder der Natur. Sie war ein Berg für ihn. Rotgelb und seltsam. Tommi Du hast sie nicht gekannt. Nicht so. Karl Du warst verrückt. Tommi Du weißt nicht was das heißt. Verrückt zu sein nach jemandem. Da geht man auf die Knie. Da betet man mit offenen Armen. So verrückt war ich nach ihr. Karl Du warst verrückt nach deinem Gefühl. Sie. Sie hast du dabei so gut wie vergessen. Tommi Ich hab sie nicht angerührt. Karl Du hast sie bedrängt. Tommi Ich hab sie nicht angerührt. Sie hat gesagt. Ich hab ein Lungenemphysem. Sex Zigaretten und Sport. Das ist Gift für mich. Damit muss man vorsichtig umgehen. Vorsichtig. Falls du weißt was das heißt. Karl Ich weiß dass du verrückt warst. - 24 Tommi Ja. Du hast das alles gewusst. Ich hab es dir erzählt. Dafür sind Freunde da. 6. Karl Ich hab das alles gewusst. Und mich trotzdem in Jasmin verliebt. Tommi Im April in der Bäckerei meines Vaters. Du weißt nicht wie das ist. Wenn man alles verliert. Mitten im Frühling. Jeden Sinn zum Weiteratmen. Karl Sie war süß. Ihr Haar feucht. Ihre Haut glänzte und roch nach Schweiß. Sie hat gesagt. Ich komm vom Volleyball und brauch Brötchen. Tommi Volleyball. Hör auf. So eine Scheiße zu erzählen. Das ist Jasmin. Die belastet ihre Lunge nicht mit Mannschaftssport. Karl Das mit dem Volleyball war gelogen. Sie hat ihre Haare nass gemacht und ihre Lippen nebenan in der Espressobar. Zwanzig Meter rennen. Das hat gereicht für den Schweiß auf der Haut. Davon hab ich erst später erfahren. Von der Lüge und der Mühe. Die sie ihrem ersten Auftritt gewidmet hat. Tommi Hör auf. Karl Als ich ihr die Brötchen gegeben hab hat sie meine Hand berührt. Tommi Hat sie nicht. Du hast sie festgehalten. Ihre scheiß Hand. Karl Ich hab noch Grüße ausrichten lassen. Grüß Tommi. Ich weiß nicht warum. Ich dachte das macht man so. Tommi Grüß Tommi. Du Arschloch. Karl Als ich das gesagt hab. - 25 Hat sie unsere Hände mit der Brötchentüte an meine Lippen gehoben. Tommi Eure Hände. Mir wird schlecht. Karl Dann hat sie mich geküsst. Tommi Sie dich. Karl Und ich sie. Tommi Du Arschloch. Das verzeih ich dir nicht. Karl Ihre Lippen haben nach Hefe gerochen. Ich dachte. Vielleicht hat sie Tommi noch gesehen heut morgen. Ich dachte. Vielleicht habt ihr euch noch geküsst. Ich hab an dich gedacht. Du Arschloch. Sie zu küssen. Das war auch ein bisschen. Wie dich zu küssen. Tommi Du widerliche Schwuchtel. Das ist keine Art. Um Verzeihung zu bitten. 7. Karl Jasmin hat sich sofort von Tommi getrennt. Noch am selben Abend. Tommi konnte es nicht glauben. Tommi Das war ein Missverständnis ein Fehler ein Irrtum. Wir waren doch am Anfang nicht am Ende. Sie war nicht bei sich. Sie weiß nicht was sie redet. Sie weiß nicht was das heißt. Liebe. Was man da zu verlieren hat. Alles. Sonst wüsste sie wie sie sich fühlen sollte. Wie ich. Wie im Scheißhaufen. Eine Fliege im Dampf ihrer Kacke. Wie ich sie liebe. Karl Tommi hat es mir erzählt. Am Telefon. - 26 8. Tommi Ich spür das wieder. Diese Angst. Karl Welche Angst. Tommi Ich kann sie riechen. Sie ist nicht weg. Sie ist überall. Sie ist in mir. Karl Hör doch auf mit dieser Pilzscheiße. Tommi Sie hat einen anderen. Einen anderen. Lass uns lachen mein Freund. Karl Aber ich hörte ihn schreien. Schluchzen und Wimmern am Telefon. Er knallte den Hörer auf den Boden. Ich landete auf weichem Teppichboden. Ich sagte seinen Namen. Tommi. Zweimal. Tommi. Nach dem dritten Mal wollte ich auflegen. Ich wollte an Jasmin denken. An die feuchte Haut nach dem Volleyball. Ich wollte nicht aber ich musste lächeln. Tommi Karl. Karl Er war wieder da. Tommi mein Kleiner. Tommi Karl. Was soll ich denn tun. Karl Was weiß ich. Anrufen. Tommi Anrufen. Glaubst du das hab ich nicht schon elfmal probiert. Glaubst du sie geht ran oder was. Karl Dann geh sie suchen. Tommi Ja. Lass uns suchen nach ihr. Tolle Idee Karl. Wo wird sie wohl sein. Lass uns scharf nachdenken. Der andere. Wo treibt man sich rum. Wenn man so ein Irrtum ist. Wo wohnt man so. Als absolutes Missverständnis. - 27 Sag mir das Karl. Und ich bin da. Karl Vielleicht ist sie beim Volleyball. Tommi Volleyball. Mir wird schlecht. Karl Dann geh kotzen. Tommi Du hast aufgelegt. Karl Ich hab das nicht gewollt. Tommi Für mich war das OK. Wenn schon allein dann total allein. Karl Ich hab das nicht gewollt. 9. Tommi Karl hat das nicht gewollt. Er wollte Jasmin anrufen. Er wollte sagen. Es geht nicht. Karl Es ist wegen Tommi. Es war schön aber es geht nicht tut mir leid. Tommi Aber er hat nichts davon gesagt. Karl Es tut mir leid. Tommi Er hat den Bäcker gefragt. Meinen Vater. Ob er noch bleiben kann. Nach Feierabend. Karl Ich würd gern ein Rezept ausprobieren. Tommi Rezept. So hat er das genannt. Mein Vater der Bäcker war begeistert. Karl Jasmin hat zugestimmt. Sofort. Ich hab sie eingeladen. In die Bäckerei nach Feierabend und sie. Sie hat einfach Ja gesagt. Tommi Ja. Obwohl sie das wissen musste. Was für ein dunkler und staubiger Raum das ist. So eine Backstube. Karl Sie war nicht blöd. - 28 Wir waren Freunde du und ich. Schon immer. Sie kannte dich. Sie wusste. Hier oder nirgends. Dann aber war es heller als sie erwartet hat. Tommi Das Glitzern des Backbestecks. Der weiße Mehlstaub der graue PVC. Die Luft schwer und süß. Zum Umkippen so eine Luft. Im Ofen leuchtete ein Hefezopf. Das ist so abartig für sie einen Zopf zu backen. Karl Als sie vor mir stand. Im Dunkel der Backstube. Gab es nichts mehr für mich. Was weißer sein konnte. Als das Weiß ihrer Iris. Tommi Du starrst sie an. In dieser Mehlstaubhölle. Und sie kann schon nicht mehr durch die Nase atmen. Karl Ihr Spray ist in der Tasche geblieben. Tommi Ihr seid dabei mich zu töten. Alles von mir. Karl Wir haben den Zopf probiert. Er war zu dunkel und zu salzig. Tommi Sie hat ihn trotzdem gelobt. Karl Sie hat gesagt. Er schmeckt scheiße. Tommi Dann hast du sie gefickt. Sie hat kaum Luft bekommen. Und du hast sie gefickt. Karl Ich hab ihr Gesicht berührt. Ihr Mund hat gelächelt ihre Zähne geleuchtet. In meine Nase floss Wärme. Ein rückwärts fließendes Nasenbluten. Tommi Sie haben sich auf den Tisch gelegt. Den Tisch. Auf dem mein Vater Teig ausrollt Brötchen formt Brezeln flicht. Karl Ihre Haut war warm und salzig. Ich war glücklich an diesem Ort. Tommi Sie musste husten. Karl Ich glaube. Sie hatte etwas Angst. - 29 Tommi Etwas Angst. Karl Ich hatte auch Angst. Tommi Sie hat sich am Tisch verletzt. Karl Wir spürten das alles. Holz Haut Mehl. Überall. Zwischen den Schultern den Zehen den Fingern den Kniekehlen. Wir haben uns das geteilt. Die Angst und den Schmerz. Tommi Du weißt doch gar nicht was das heißt. Etwas zu teilen. Karl Es war schön. Tommi Das hast du ihr danach ins Ohr geflüstert Es war so schön. Karl Gesprochen haben wir gar nicht mehr. Tommi Du hast noch nie was geteilt. 10. Karl Tommi hat diese Nacht vor Jasmins Haus verbracht. Mit grüner Lederjacke und gelbem T-Shirt. An einen roten Mercedes gelehnt. Er sah aus wie eine Ampel. Nur etwas durcheinander. Tommi Ich wollte sie nicht erschrecken mich nicht verstecken. Sie sollte mich sehen. Sofort. Ich wollte nur mit ihr reden. Karl Du wolltest ihr sagen dass sie ein Wunder ist kein Mensch. Tommi Ein Vulkan in einer Reihenhaussiedlung. Die Kreuzung des Menschen mit dem Seepferdchen. Die Geburt eines fliegenden Marders. So bist du Jasmin nur du. Karl Und nur Tommi kann das sehen. Nur Tommi auf seinem Blech von Aussichtspunkt. Tommi Ich warte hier auf diesem scheiß Mercedes vor ihrem scheiß Fenster. Dass sie auftaucht. Mein Blut reinzieht in ihr Lungenemphysem. Meine Innereien erweitert mit ihren schicken Stiefeln. Dass es weiter wird hier drin. Wieder Platz gibt. - 30 Für einen Atemzug. Karl Als sie kam war es kurz vor drei. Tommi Sie sieht mich nicht. Karl Sie sieht gar nichts. Das hat nichts mit dir zu tun. Tommi Sie sperrt die Haustür auf. Karl Du sagst kein Wort. Tommi So schön wie hier vor ihrer Haustür in dieser Nacht. So schön war sie noch nie. Karl Du warst ihr nicht nah genug. Tommi So nah wie jetzt war sie mir noch nie. Karl Wärst du ihr näher gekommen. Du hättest alles gerochen. Die Hefe in ihrem Atem. Mein Schweiß auf ihrer Haut. Das Mehl in ihren roten Haaren. Aber du. Du hast sie einfach nur angesehen. Und das hat dir gereicht. Tommi Irgendwie hat mich das glücklich gemacht. Karl Tommi ist vor ihr Haus gegangen. Nächtelang. Später mit dunkler Kleidung hinter dunkleren Autos. Und war glücklich. Sie einfach anzusehen. Tommi Eine gute Zeit. Liebe. Aber in aller Ruhe. Karl Du nennst das Ruhe. Ich Terror. Tommi Sie hat mich nicht gesehen. Karl Sie hat dich gesehen. Sie dachte nur. Das hört bald auf. Bald ist der Terror vorbei. Tommi Auf meine Art hab ich sie in Ruhe gelassen. Karl Mich auch. Kein Anruf. Nichts. Inzwischen ist der Sommer gekommen Ich dachte. Du hast das alles gewusst. Von Jasmin und mir. - 31 Tommi Nichts hab ich gewusst. Du warst mein Freund. So was kann man nicht wissen ohne durchzudrehen. Ich hatte einfach keine Lust zu reden. Karl Ich hab dich vermisst. Tommi Du hast sie weiter in der Bäckerei gefickt. Karl Du hast sie im Park geschlagen. Tommi Das war ein Affekt. Ein Versehen. Karl Seitdem hatte sie Angst. 11. Tommi Ich hab durchgedreht den Kopf verloren. Das ist normal wenn jemand dir dein Herz rausreißt. Karl Jasmin hat mir von der Parksache erzählt. Tommi Es war Zufall. Plötzlich ist sie vor mir gegangen. Karl Mit einem Jungen. Tommi Der Junge war seltsam. Das dachte ich gleich. Oben schmal unten dicklich. Die Haare halblang und fettig. Ich hab kleine Kieselsteine nach ihnen geworfen. Karl Irgendwann ein größerer. Der traf den Jungen am Rücken. Er drehte sich um. Tommi Helle Augen fast türkis. Leuchten raus aus einer Aknefresse. Arme ohne Muskeln ohne alles. Er war ein Witz. Ich wollte nicht mal mehr wissen wie er heißt. Karl Der Junge sagt. Spinnst du. Und Tommi sagt. Hallo. Tommi Hallo. Zu Jasmin nicht zu ihm. Karl Verpiss dich Tommi. Sagt Jasmin. Tommi Der Junge sagt. Komm. - 32 Mit heller Stimme. Karl Komm. Zu Jasmin nicht zu ihm. Tommi Das war zuviel. Das jemand so mit ihr redet. Komm. Du sagst Komm zu ihr. Karl Jasmin sagt. Verpiss dich Tommi. Lass uns in Ruhe. Tommi In Ruhe. Euch. Karl Tommi nimmt ihre Arme. Den rechten dann den linken. In ihren Muskeln spürt er ihre Angst. Das hat er nicht gewollt. Ihr Angst einjagen. Er wollte sie nur wieder alleine. Ganz für sich. Sie sagt. Ich liebe dich nicht Tommi. Tommi Ich liebe dich nicht. So ist das nun mal. Karl Tommi lässt sie los. Tommi Wen liebst du denn. Den da oder was. Karl Sie lacht. Tommi Da ist es passiert. Karl Seine Augen folgen seiner eigenen Faust. Tommi Ich konnte nichts dagegen tun. Sie hat gelacht. Karl Die Faust trifft sie links überm Kinn. Gleitet weiter. Schräg über die Oberlippe. Seitlich ans Nasenbein. Von der Nasenspitze in die Luft. Ihr Kopf klappt nach hinten. Kein Gleichgewicht mehr. Unter ihren Wangen kleine Steine. In ihrer Nase Wärme. Von innen nach außen. Tommi Nasenbluten. Sah schlimmer aus als es war. Karl Jasmin hebt den Kopf. Sie spricht den Jungen an. Sie sagt einen Namen. - 33 Tommi Sie sagt. Phöbe. Karl Der Junge war ein Mädchen. Tommi Ich fand ihn gleich seltsam. Aber dann hab ich den Kopf verloren. Karl Phöbe sagt. Ich ruf die Polizei. Tommi Jasmin sagt. Nein. Karl Tommi geht weg. Irgendwann rennt er. Tommi Das hab ich nicht gewollt. Karl Aber du hast es getan. Tommi Es war deine Schuld. Ohne dich wär das nie passiert. Karl Es war schon lange nicht mehr so wie du denkst. Tommi Du hast meine Freundin gefickt. Was soll ich dazu denken. 12. Karl Es hat mit der Bäckerei zu tun. Wir haben uns über den PVC über Krümel gerollt. Wir hatten blaue Flecken offene Wunden. An den Knien am Rücken am Arsch. Splitter in der Haut vom Backtisch. Wir hatten Mehl in den Poren Zucker im Atem. Einmal bin ich auf das Brotmesser getreten. Das große mit dem Holzgriff. Auf dem Griff stand der Name der Griechin. Helena. Ich hab zwischen den Zehen geblutet. Und Jasmin hat meinen Fuß in den Mund genommen. Die Luft war immer süß. Irgendwann schwer. Als ich sie mit zu mir genommen hab. In mein Zimmer. Nach drei Monaten. War der Sommer gekommen. Es war heiß. Aber nicht schwer und auch nicht süß. Als ich sie berühren wollte. In einem stinknormalen Bett. Da hat sie gesagt. Nein. Und ich hab es erst gar nicht versucht. Die Bäckerei hat uns gefehlt. - 34 Die Luft dort und das Mehl. Das erste Mal hat sie wieder ihr Spray benutzt. Ich dachte. Wenn wir uns erst wieder dort sehen. In der Bäckerei. Dann wird alles wieder gut. So gut es eben sein kann. Wenn man seinen besten Freund dabei verliert. Als es soweit war. War der August gekommen. Der elfte. Ein Tag vorm Geburtstag. Tommis und meiner. Jasmin war bei mir. Wir wollten uns küssen uns anfassen. Wir haben das wirklich versucht. Aber es ging nicht mehr. Der Raum hatte seinen Zauber verloren. Jasmin hat mir ins Gesicht geniest. Wir haben gelacht und einen Kuchen gebacken. Mit drei Gramm Haschisch nur für dich. Tommi. Als wir ihn anschneiden wollten. Ein Stück probieren um kurz nach zehn. Da haben wir das große Brotmesser nicht mehr gefunden. 13. Tommi Ich wollte ein letztes Mal auf Jasmin warten. Vor ihrem Haus. Es war zwanzig nach elf. In vierzig Minuten hatte ich Geburtstag. Ich wollte ihr das Messer geben. Ich wollte ihr sagen. Wenn ich dir je wieder zu nah komm. Schneid mir mit dem Messer die Kehle durch. Ich wollte ihr die Stelle zeigen. Den Anfang. Zwei Zentimeter unter dem Ohr. Das wollte ich ihr sagen. Und dann zu Karl. Geburtstag feiern. In der Bäckerei wie jedes Jahr. Plötzlich. Aus heiterem Himmel hab ich dich vermisst. Karl Jasmin kam um zwanzig vor zwölf. Wir hatten uns nicht berührt. Stattdessen einen Kuchen gebacken. Mit einem Loch in der Mitte. Einen Guglhupf. Tommi Sie hat mich sofort gesehen. Karl Tommi stand auf der Türschwelle. - 35 Sie konnte nicht an ihm vorbei. Tommi hat sich entschuldigt. Tommi Die Parksache. Die tut mir leid. Karl Sie stand vor ihm. Ganz ruhig. Als hätte sie nichts zu verbergen. Ein Mehlbaum. Der sofort die ganze Bäckerei über ihn goss. Tommi Die letzten vier Monate Totalbetrug. Karl Die Vanilleküsse den Anisschweiß. Das Wälzen im Mehl. Unser Atem aus Kuchen und Hasch. Tommi Ich spürte mein Herz. Erst pumpen dann rasen. An die Kehle in die Lunge in den Bauch. Bevor ich es auskotzen würde. Mein Herz. Auf die Straße vor ihre Füße. Bin ich gerannt. In die Bäckerei. Zu Karl. Karl Das Messer hat er ihr nicht gegeben. 14. Tommi Als ich kam hatte Karl schon zwei Stück Kuchen gegessen. Karl Es war halb eins. Ich dachte du kommst nicht mehr. Tommi Wir haben jeden Geburtstag in der Bäckerei gefeiert. Warum nicht diesen auch. Karl Als du da warst hab ich mich so gefreut. Tommi Du hast mich umarmt. Karl Du hast dich nicht bewegt. Tommi Dann die Gratulation. Karl Happy birthday Tommi Bommi. Was hast du nur gemacht die ganze Zeit. Tommi Auf einmal hatte ich ein Stück Kuchen in der Hand. Und du. - 36 Was hast du so gemacht. Karl Na ja. Gebacken. Viel gebacken. Zöpfe Plunder Schrippen Schnecken. Mein Herz ist Mehl meine Seele Teig. Tommi. Ich hab dich so vermisst. Tommi Ich hab den Kuchen fallen gelassen. Karl Du hast in deinem Rucksack gekramt. Ich dachte. Jetzt bloß kein Geschenk. Ein Geschenk hätte ich nicht ertragen. Tommi Ich hab gewusst was du denkst. Dann hab ich das Messer genommen. Und dir die Kehle aufgeschlitzt. In einem Schnitt. Karl Schnell warm und präzise. Tommi Anfang zwei Zentimeter unter dem rechten Ohr. Ende drei Millimeter über der linken Hälfte des Schlüsselbeins. Karl Mein Blut. Eine ovale Insel dunkel und leise um uns herum. Tommi Deine Augen geschlossen. Deine Wimpern ruhig. Deine Lippen sanft wie gerade geküsst. Deine Arme berühren meine Beine. Deine linke Schulter auf dem Kuchenstück. Meine Schuhe sind schwarz. Schwarze Adidas. Der Blutpegel bleibt auf Höhe der Gummisohlen stehen. Meine Füße bleiben trocken. Ich wusste. Wenn ich das hier verlasse. Den Radius dieser Insel. Wird nichts wie es war. Karl Er zieht die Schuhe aus. Und geht auf Socken in den Raum hinein. Fünf Schritte von mir weg. An der Kasse mit den Tageseinnahmen weiß er was zu tun ist. Tommi Nur Münzen Ich hab sie ihm alle in die Taschen gesteckt. Es war nicht viel. Hundertzwanzig Euro. Dann die tropfenden Schuhe aus dem Blut gefischt. Karl Später erzählt er seinem Vater. Er hätte mich nicht erkannt. Tommi Ich hab nur gesehen wie jemand Geld aus der Kasse nimmt. - 37 Es ist so dunkel gewesen. Karl hat das Messer in der Hand gehalten. Ich hab ihm das Messer entwendet Ich hab ihn nicht erkannt. Er war mein Freund. Ich hab ihn umgebracht. Das hab ich nicht gewollt. Karl Später. Als die Polizei da war. Die Spurensicherung. Der Leichenwagen. Später hat er geweint. Und auf den Bürgersteig gekotzt. Tommi Wir waren Freunde. Die besten. Wie man so sagt. Karl Der Bäcker war entsetzt. Er hatte mir vertraut. Mehr als seinem Sohn. Dann hat er Tommi in den Arm genommen. Tommi Und alles wegen hundertzwanzig Euro. Karl Für den Mord ist Tommi nicht angeklagt worden. Vom Gesetz nicht und auch nicht von seinem Vater. Was Jasmin dazu denkt. Das weiß man nicht. Vielleicht ist es ihr egal. Tommi Ich glaube sie ist unter die Lesben gegangen. Als ich sie das letzte Mal gesehen hab. Hat sie ein Mädchen geküsst. In einer Dönerbude mitten im Juni. Karl Zwei Monate später im August wird Tommi achtzehn. Das wird im Garten gefeiert. - 38 - III. Haut Jule und Jasmin 1. Jasmin Sie ist da. Immer. Sie verschwindet nicht. Sie ist alles was ich habe. Alles was ich brauche. Mein Sauerstoff mein Kortison mein Leben. Jule Hol erst mal Luft. 2. Jasmin Jule ist niemand dem man hinterherrennt. Ich hab es trotzdem getan. Jule Rennen kann man das wohl kaum nennen. Jasmin Allein ihr Haar ist Horror. Selbst geschnitten mit einem Taschenmesser. Jule Damenrasierer. Jasmin An manchen Stellen bis zur Schulter. An anderen nur bis zum Ohr. Am linken Ohr eine Narbe. Jule Brand. Nicht Schnitt. Jasmin Ihr Haar hat drei Farben. Oben dunkel unten heller fast blond. Dazwischen grau. Ganze Büschel. Als ich Jule das erste Mal gesehen hab. Da dachte ich sie würde stinken. Jule Andere denken noch ganz andere Sachen über mich. Jasmin Dass sie nicht klug ist eher dumm. Jule Warum bricht man sonst die Schule ab. Wo doch danach die Sorgen erst losgehen. Jasmin Andere finden sie aggressiv. Ihr Haar ihre Dummheit ihren Körper. Sie denken. Jule isst nichts. Nicht genug. Sie denken dass sie es schwer hatte. Bestimmt. Seht sie euch an. - 39 Jule Dass auch andere es schwer hatten. Und trotz allem was aus sich machen. Optisch und auch sonst. Jasmin Dass sie wahrscheinlich die Hand aufhält. Am Hauptbahnhof oder vor Karstadt für einen Euro. Jule Und wo sie schläft. Darüber will man lieber gar nicht nachdenken. Jasmin Das sind die Irrtümer die entstehen. Wenn man Jule sieht. Dass sie auf keinen Fall jemand ist dem man hinterherrennt. 3. Jule Mein Name ist Jule. Ich bin sechzehn Jahre alt. Mit fünfzehn bin ich in ein Mädchenwohnheim gezogen. Den Weg dorthin find ich im Schlaf. Zwölf Mädchen pro Stockwerk. Ein Bad. Drei Duschkabinen. Und ein Raum mit Badewanne. Abschließbar. Der Raum ist der Himmel und auch sonst. Das Zimmer gehört mir ganz allein und ein Fach im Kühlschrank der Gemeinschaftsküche. Die Mädchen sind zwischen vierzehn und achtzehn. Freundinnen hab ich dort noch nicht gefunden. In zwei Jahren muss ich eh hier raus. Da stehen feste Bindungen nur im Weg. Es geht mir gut. Jeden Dienstag um zwölf ein Sozialpädagoge für mich allein. Wenn ich nicht will ist auch gut. Wir sind nicht deine Eltern. Das musst du begreifen. Hab ich schon. Die Schule hab ich vor einem halben Jahr verlassen. Du kannst jetzt betteln gehen oder stehlen oder anschaffen oder arbeiten. Es gibt ja tausend Möglichkeiten. Wir vermitteln dich gern. Ich hab mich fürs Fernsehen entschieden. Telefonannahme. Interessenten für Weihnachtskrippen Bauchwegtrainer Messersets. Das macht mir solchen Spaß. Das Telefonieren. Das liegt mir im Blut. Haben die dort gleich gemerkt. Ich bin da gern gesehen. In der Telefonzentrale. Jeden Tag trag ich eine andere Bluse. Jasmin Batikblusen. Sie hat sie in allen Farben. - 40 Die erste die ich gesehen hab war rot und blau. Es gibt auch Dreierkombinationen. Grau blau türkis. Rot gelb orange. Sie sind alle das Letzte. Das Allerletzte was ein Mensch anziehen würde. Darunter. Die Haut ist fleckig. Druckstellen Kratzer offene Wunden. Am Anfang dachte ich ein Ausschlag. Eine Flechte eine Krätze vielleicht ansteckend. Später wusste ich. Das kommt vom Waschen. Jule Ich wasch mich dreimal am Tag. Nicht im Waschraum. Bei mir im Zimmer am Waschbecken. Ich hab einen Job. Ich kann mir nicht erlauben zu stinken. Jasmin Sie wäscht sich mit allem was sie finden kann. Waschlappen Topflappen Stahlschwamm Messerspitzen Fingernägeln. Jule Ich hab Schale. Die doppelte Haut. Die paar Kratzer. Das sind Ornamente. Das ist Vorarbeit. Du musst weiter gehen. Da wo die weißen Fäden kommen. Da fließt was. Da kommt Saft. Ich bin nicht lebensmüde. Ich bin eine Orange. Ich küsse die Sonne. Ich häng am goldenen Baum. Ich bete dich an. Leben. Mir geht s gut. Ich bin wieder auf dem Damm. Auf dem aufsteigendem Ast. Wen soll man da benachrichtigen. Außer die ganze Welt vielleicht. Ich spar noch bisschen. Dann kauf ich Produkte. Salben Lotionen Enzyme. Nur das Beste. Und dann werd ich Photomodell. Jasmin Die Seife klaut sie nachts aus dem Waschraum. Nivea Bebe CK Gucci Palmolive. Sie riecht immer anders. Immer neu. Jule Man hat mir ans Herz gelegt mich anders zu kleiden. Passender. Weniger bunt weniger weit. Jasmin Sie ist mager. Zu mager für ihre Knochen. Jule Ich wiege sechsundvierzig Kilo. Bei einer Größe von hunderteinundsiebzig Zentimetern. - 41 Jasmin Sie isst. Ich hab sie essen sehen. Ich weiß dass sie isst. Sie atmet sie lacht und sie rennt. Sie ist das schnellste Mädchen der Stadt. Ihre Beine sind lang ihre Kniescheiben groß ihre Hüften breit. Die Jeans hält sich an den Knochen fest. Keine ihrer Jeans findet die Haut über den Knochen. Aber sie ist da. Jules Haut. Über die Knochen gespannt. Ein absolut sinnloses Zelt. Über die Ellbogen gespannt die breiten Schultern. Das Überbein am Handgelenk. Den absolut runden Schädel. Über dieser Knochenwut die dünne Haut. Äste von Adern Sehnen. Das Versprechen einer Landschaft dahinter. So blau und rot und wild wie ihre Batikblusen. Ich weiß wovon ich spreche. Ich hab sie gesehen und auch berührt. Ihre Knochen glühen. Als ob sie ständig Fieber hätte. Aber so ist es nicht. Es ist nur die Reibung zwischen Knochen und Haut. Es ist wie Feuer machen in alten Zeiten. Ich weiß wovon ich spreche. Ich bin durch ihre Haut auf ihre Knochen gestoßen. Ich kenn den Weg. Kurz und einmalig. Es ist alles was ich über Jule wissen muss. Dass sie ein Diamant ist unter ihrer Kleidung und ihrer Frisur. Jule Die Haare wasch ich zweimal am Tag. Einmal wöchentlich benutz ich das Rasiermesser für den Kopf. Jasmin Sie meint das nicht provokativ mit der Messertechnik. Sie mag einfach das Gefühl. Auf der Kopfhaut im Nacken hinter der Stirn. Wenn eine Klinge Metall vom Haar in die Wurzel ins Hirn leitet. Wenn die Wurzel sich irgendwann löst. Ein Haar. Einzeln. Auserwählt. Über die Farbe ist sie immer erstaunt. Jule Für die Farbe kann ich nichts. Vielleicht bin ich eine Glückskatze. Die haben auch drei Farben. Und mehr Glück als Verstand. Mit elf hab ich mein Ohr auf eine Herdplatte gelegt. Ich wollte wissen ob man Wärme hören kann. Jetzt weiß ich dass auf Narben keine Haare wachsen. Jasmin Jule ist nicht dumm. - 42 Sie hat mehr Verstand als ihr alle. Keiner hat mit sechzehn graues Haar. Sie schon. Vielleicht bin ich ihr deshalb hinterhergerannt. Jule Du bist gerannt weil ich dein Handy geklaut hab. Wenn man das rennen nennen kann. 4. Jasmin Wir sind mitten auf einem Platz. Der Platz vorm Atlantik. Um uns Hallenbadturner Cafégänger und Verstorbene. Ich will Karl eine SMS schreiben. So geht mir das manchmal am helllichten Tag. Da gefällt mir das traurig zu sein. Da redet man sich was ein und schickt eine SMS ins Universum. Ich vermisse dich so unglaublich. Jule zieht mir das Handy aus der Hand. Als ob sie mich rausziehen will. Aus dem Sumpf meiner Traurigkeit. Jule Bild dir nichts ein. Ich hab das einfach so geklaut. Jasmin Du hast gedacht. Ich steck zu tief drin in was. Und wolltest mich rausziehen. Jule Ist mir scheiß egal wo du drinsteckst. Ich bin nicht Jesus. Ich hab nur dein Handy geklaut. Ich dachte. Das könnte Spaß machen. Bisschen Räuber und Gendarm. Laufen jagen Herzklopfen. Jasmin An Diebstahl hab ich nie gedacht. 5. Jule Für einen Moment haben sich unsere Hände berührt. Mit dem Handy dazwischen. Wie beim Staffellauf. Das war ein schönes Gefühl. Jasmin Für einen Moment hat sie mich angesehen. Zumindest hat sie es versucht. Jule Das In die Augen sehen halt ich für überschätzt. Jasmin Jule schielt. - 43 Nicht sehr nur ein wenig. Ihre Augen sind grau. Und hell. Ihr Blick verfehlt meine Pupille. Um einen Millimeter vielleicht. Er irritiert mich. Ihr Blick. Trifft mich an ungewohnter Stelle. Ihr hellgrauer Blick kennt einen Weg direkt unter die Iris. Ich schwöre es. Seit damals. Seit dem ersten Blickkontakt. Hab ich einen Druck unter den Lidern. Der Druck kommt von innen. Von der anderen Seite der Haut. Ich schwöre. Sie ist es. Sie ist da drin. Und zwar für immer. Jule Komm mit. Jasmin Was. Jule Komm mit. 6. Jasmin Sie rennt. Mein Handy in der Hand. Sie rennt in Schlangenlinien. Als könnte sie sich nicht entscheiden. Jule Worauf wartest du nur. Jasmin Als wollte sie mir Zeit geben. Jule Komm mit. Jasmin Sie rennt vorbei am Hallenbad. Umrundet eine Mutter mit Kind. Springt über eine Bierbank vor einem Café. Sie trägt Sandalen. Ich Turnschuh. Nikes in grau. Als sie beim Dönerladen ankommt setz ich mich in Bewegung. Jule So würd ich das auch nennen. Jasmin Langsam erst. Dann schneller. So schnell ich kann. Ich kann nicht so schnell. Ich hab ein Lungenemphysem du blöde Tarantel. Nichts weiter nicht schlimm. Nur hatt ich schon mit vierzehn das Lungenvolumen einer vierzigjährigen Frau. Jetzt bin ich sechzehn. Die Frau wahrscheinlich fünfzig. Und ich hab Angst dich in den Straßen zu verlieren. - 44 Jule Komm schon. Jasmin Unter den S-Bahnbögen bleibt sie stehen. Ich kann mich täuschen. Aber ich glaube sie wartet. Jule So macht das keinen Spaß. Jasmin Zehn Meter bevor ich bei ihr bin rennt sie weiter. Über die Straße. Direkt auf den Biomarkt. Und ich seh ihren bunten Rücken blinken zwischen den Ständen. Die Bluse rot blau rutscht ihr von der Schulter. Kurz seh ich die Verwüstung auf ihrem Rücken. Die Flecken und die dünne Haut. Ich bekomme Seitenstechen. Jetzt. Der Atem bleibt stecken zwischen den Rippen. Kommt nicht weiter in Organe geklemmt. Ich kenne das. Und die Angst. Die kenn ich auch. Die Angst kommt immer. Angst dass er da bleibt. Der Atem. Weil meine Lunge gebläht ist. Ein fetter Babybauch ohne Ausgang. Weil diese scheiß Lunge mein Herz abklemmt. In die Ecke presst. Bis es explodiert mit all seinen Kammern. Und der letzte Blutrausch aus meinen Poren Lippen Ohren spritzt. Weil ich zu schnell gerannt bin. Meine Lunge überlastet hab. Weil eine Batikschlampe mein Handy geklaut hat. Ich will schreien. Aber Schreien verschlimmert nur das Gefühl. Ich warte. Dass der Atem zurückkommt. Und dann die Ruhe. Als Erstes geht die Angst. Dann seh ich das Batik ihrer Bluse leuchten Langsam geh ich über die Straße. Jule Jetzt Blumen kaufen. Jasmin Jule hält eine Gladiole in den Händen. Eine einzige. Die Blüten sind rot und klein. Ich denke. Blumen. Ich denke. Jetzt beruhigen sich die Gemüter. Auch meins. Auf einmal will ich zu ihr. Einfach so. Sie wird mir die Gladiole geben. Ich sag ihr meinen Namen. Ich bin Jasmin. Ich bin Jule. - 45 Das Handy fällt uns erst viel später ein. Ich fasse mir an den Kopf. Mein Haar ist rote Wüste. Ich wünschte in meinem Gesicht wäre der Staub der kurzen Jagd zu sehen. Dann hätten wir Grund uns zu entspannen. Jule holt Geld aus der Tasche. Die Verkäuferin will es nicht. 7. Jule Was kostet die. Jasmin Die Gladiolen gehen nicht einzeln. Die gehen nur zu dritt oder zu fünft. Jule Ich brauch aber nur eine. Jasmin Das geht nicht. Jule Dann zahl ich drei. Und nehm nur eine. Jasmin Das geht nicht. Jule Was geht da nicht. Jasmin Das geht prinzipiell nicht. Jule Fass mich nicht an. 8. Jasmin Ich hab meine Hand auf ihren Arm gelegt. Den ohne Blume. Ohne bösen Absichten. Ich will sie nur weg von hier bringen. Durch den Batikstoff kann ich ihren Unterarmknochen spüren. Der Knochen ist heiß. Nimm doch den ganzen Strauß. Jule Halt dich da raus. Jasmin Auf einmal ist er weg ihr Arm. Ich kann ihn nicht mehr finden. Ich schwöre es. Unter meinen Fingern nichts als Stoff. Rot und blau. Der Stoff ist kühl. Gib mir mein Handy zurück. - 46 Jule Hier. Die scheiß Blume. Jasmin Sie gibt der Verkäuferin die Blume. Meine Gladiole. Jule Komm mit. Jasmin Zu mir sagt sie das. Komm mit. Und ich weiß ich reagier nicht richtig auf sie. Nicht angemessen. Nicht so wie ich reagieren sollte. Gar nicht. Aber Komm mit. Das ist ein Wahnsinnssatz. Alles was ich hören will. Und ich geh mit ihr. Jule Das geht prinzipiell nicht. Jasmin Jule rennt zurück zur Blumenfrau. Jule Prinzipiell geht alles. Jasmin Die Vase mit den Gladiolen tritt sie dreimal mit den Sandalen. Erst beim dritten Mal fliegt sie um. Jule nimmt eine Gladiole vom Boden. Irgendeine. Die Verkäuferin sagt kein Wort. Die Vase ist heil geblieben. Als Jule bei mir ist sieht sie mich kurz an. Die Gladiole in der Hand. Und ich weiß das wird immer ein Problem sein. Sich in die Augen zu sehen mit diesem Silberblick. Sie rennt los. An mir vorbei in den Park. Ich geh ihr nach. Ganz langsam. Sie hat es nicht gesagt. Komm mit. Aber der Satz ist in mir. Und ich weiß dass sie im Park auf mich wartet. 9. Jule Hundert Jahre später. Jasmin Sie sitzt auf einer Bank. Die Beine übereinander geschlagen. Die Blume auf dem Schoß. Sie sieht mir entgegen. Sie hört meinen Atem. Gib mir mein Handy zurück. - 47 Jule Setz dich mal. Jasmin Neben ihr berührt der Stil der Gladiole mein Bein. Er ist schräg geschnitten. Das Gefühl ist elektrisch. Eine Berührung ein Stich. Ich spür es im Kopf unter der Schädeldecke. Dann verlier ich die Verbindung zu den Füßen. Ich denke. So geht Gift. So fühlt sich das an. Gut. Jule nimmt mein Handy aus der Hosentasche. Jule Ich vermisse dich so unglaublich. Jasmin Gib das zurück. Jule Wen denn. Jasmin Wen. Jule Ja. Wen. So unglaublich. Jasmin Karl. Jule Karl. Jasmin Mein Freund. Jule Karl. Jasmin Gib das zurück. Jule Fickt ihr. Jasmin Was. Jule Karl und du. Fickt ihr. Jasmin Ob wir ficken. Jule Ja. Genau. Jasmin Ich weiß ich sollte nicht lachen. Ich sollte mich erinnern an seine Vanillehaut und seinen Zimtatem. Und dann traurig werden. Aber so ist es nicht. Es ist mir ein zu großes Vergnügen mit Jule zu sprechen. Jule Und. Wie ist er so. Jasmin Karl. - 48 Jule Ja. Fickt er gut. Jasmin Karl. Jule Ja. Jasmin Karl ist tot. 10. Jule Echt. Jasmin Echt. Jule Wahnsinn. Jasmin. Wir haben gefickt. Jule Karl und du. Jasmin Ja. In einer Bäckerei. Dann ist er erstochen worden. Von seinem besten Freund. Tommi. Mit dem war ich auch zusammen. Jule Krank. Jasmin Sie gibt mir mein Handy zurück. Jetzt könnte ich gehen. Jetzt ist es so. Jetzt bin ich traurig. Du glaubst mir nicht. Jule Mir ist das scheißegal. Jasmin Sie steckt ihren Kopf zwischen die Knie. Ich kann die Narbe am Ohr erkennen. Möchte sie jetzt im Nacken berühren. 11. Jule Vermisst du ihn. Jasmin Nein. Jule Also nicht so unglaublich. Jasmin Nein. - 49 Jule Du schreibst deinem toten Freund eine SMS. Obwohl du ihn nicht mal vermisst. Jasmin Ziemlich krank oder. Jule Ziemlich. Jasmin Auf den Wangen trägt sie jetzt die Abdrücke der Hosennaht. Und ihre Lippen. Die sind kurz vor einem Lächeln. Jule Da ist sie ja. Jasmin Wer. Jule Natascha. 12. Jasmin Sie geht. Weg von mir. Durch den Park. Mit der Blume. Zu einem Mädchen. Ich bleibe hier. Auf der Bank. Was soll ich tun. Ich bin eine fünfzigjährige Frau. Jule sagt nichts. Sie rennt. Holt das Mädchen ein. Springt ihr mitten in den Weg. Jules Lächeln. Zwei Minuten zu spät. Das Mädchen lächelt nicht. Jeder würde lächeln wenn Jule mit einer Gladiole in den Weg springen würde. Das Mädchen nicht. Das Mädchen will weiter. Vorher gibt Jule ihr Geld. Scheine. Direkt in die Hosentasche. Das Mädchen holt die Scheine wieder raus. Wirft sie auf den Weg. Dann gibt Jule ihr die Gladiole. Jule beginnt zu sprechen. Mit freien Händen jetzt. Ein richtiger Tanz ist das. Mit ihren Händen in der Luft. Ein Monolog für einen Fisch. Schön sieht das aus. Und etwas verzweifelt. Das Mädchen sammelt die Scheine ein. Als beide fertig sind gibt das Mädchen Jule die Gladiole zurück. - 50 13. Jule Du bist ja immer noch da. Jasmin Wer war denn das. Jule Geht dich nichts an. Jasmin Sie gibt mir die Gladiole. Legt sie mir in die Hand. Sie ist offen gewesen die Hand. Die ganze Zeit hat sie sich schon auf die Blume gefreut. Ich bin Jasmin. Jule Beschissener Name. Jasmin Wie heißt du denn. Jule Bist du ein Tee oder was. Jasmin Sie holt eine Zigarette aus der Hosentasche. Unverpackt. Geknickt. Tabak bröselt auf ihre Hand. Sie pustet ihn in mein Gesicht. Spinnst du. Jule Ich bin Jule. Jasmin Wenn du rauchst muss ich gehen. Jule Dann geh doch. Jasmin Sie zündet die Zigarette an. Sie lächelt. Endlich. Die Zigarette im Mund. Ihr Profil lässig und schön. Ich hol mein Spray aus der Tasche. Jule Was ist das denn. Jasmin Kortison. Jule Ist das alles krank. Jasmin Ich pump mir das Zeug in die Lunge. Sie soll sehen wozu sie mich treibt. Tabak bringt mich um. Jule Kortison auch. Jasmin Ich hab ein Lungenemphysem verstehst du. Enzymmangel Blählunge. - 51 Ich sollte nicht mal in der Großstadt leben. Jule Willst du mal ziehen. Jasmin Sie hält mir die Zigarette hin. Ein grausames Angebot. Fast ein Kuss. Ich huste. Sie hustet auch. Aus Spaß. Dann steckt sie sich mein Spray in die Tasche. Dort wo vorher mein Handy war. Gib das zurück. Ich brauch das. Jule Wozu. Jasmin Zum Atmen Mann. Jule Das schaffst du schon. Jasmin Du bist ein Arschloch Jule. Jule Wo willst du hin. Jasmin Ich muss los. Jule Ohne dein Spray bist du nichts. Jasmin Glaubst du da gibt s nur eins davon oder was. Jule Bleib doch noch. Guck mal. Kippe weg Luft rein. Jasmin Wer war das. Das Mädchen. Jule Sollen wir spazieren gehen. Ganz langsam. Jasmin Du kannst mich mal. Jule Das war Natascha. Jasmin Hübsch. Echt hübsch. Jule Hübsch. Bist du lesbisch oder was. Jasmin Wer schenkt ihr denn die Gladiole. Du oder ich. Jule Wer hat sie denn die Gladiole. Sie oder du. - 52 Jasmin Ich nicht. Ich hab sie verloren. Sie ist mir aus der Hand gefallen. Unter die Bank. Wir lassen sie dort. Dort leuchtet sie auch. Dann gehen wir ein paar Meter. 14. Jule Natascha kann nicht hören. Sie versteht nur Hände. Jasmin Seid ihr schon lang befreundet. Jule Sie ist nicht meine Freundin. Jasmin Vergiss es einfach. Jule Sie ist meine Schwester. Jasmin Jetzt geht sie zurück. Sucht in der Wiese nach der Kippe. Als sie zu mir sieht lächelt sie. Den Stummel zwischen den Lippen. Und ich weiß dass ich sie nie schöner finden werde als jetzt. Mit ihrem Kippenlächeln. Fünf Meter von mir entfernt. Von wo aus ihre Haut eine Landkarte ist. Bunt und weit. Ein Kaleidoskop. Sonne im Kristall. Von wo aus es unmöglich erscheint. Sich zu wundern ekeln anzustecken. Von wo aus sie mir entgegenleuchtet. Mit ihren Flecken und Wunden. Und ich mir nichts mehr wünsche als dort zu sein. Dort wo sie ist. In ihrer Haut zu stecken. Egal was das bedeutet Auch wenn ich mich kratzen würde. Bluten und krepieren. Die Kippe lässt sich nicht mehr anzünden. Verletzt du dich selbst oder was. Jule Nein. Das ist genetisch. Jasmin Bei deiner Schwester sieht man nichts davon. Jule Die ist noch mal davongekommen. Jasmin Ihr seht euch gar nicht ähnlich. - 53 Jule Wir sind nicht zusammen groß geworden. Jasmin Und was ist mit Genetik und so. Jule Kümmer dich um deine eigene Genetik. Jasmin Ich find das sieht schön aus. Deine Haut. Wie Sonne im Kristall. Jule Was. Jasmin Egal. Jule Du glaubst nicht. Dass Natascha meine Schwester ist. Du glaubst ich hab mir eine Schwester erfunden. Für so krank hältst du mich. Jasmin Ist mir scheißegal. Jule Mir auch. Ich bin pleite. Die Sau hat mir mein Geld geklaut. Jasmin Nein. Jule Du hast doch zugeguckt. Jasmin Du hast es ihr gegeben. Jule Ich hab Hunger. Jasmin Und dann. Im Dönerladen. Auf meine Kosten. Hat sie von sich erzählt. Von den Fragen der Ärzte. Und wie sie ihre Schwester getroffen hat. Sie isst Fleisch und Sauce und Brot. Den Salat legt sie zur Seite. 15. Jule Im Krankenhaus. Vor einem Jahr. Ich hatte da was ausprobiert. In der Badewanne vom Mädchenwohnheim. Was mit Schlaftabletten. Nicht viel. Nur zwölf. Ich wollte nicht sterben. Es ging um ein Atemexperiment. Ich wollte wissen wie das ist. Unter Wasser einzuschlafen. Wenn alles sich mit Wasser füllt. Jedes Loch jede Öffnung jede Pore. - 54 Jeder Schlauch deiner Innereien. Auch die Lunge. Das hat mich interessiert. Wie man aufwacht. Ob du dich blähst und platzt irgendwann. Oder ob deine Haut sich öffnet an anderer Stelle. Ob das möglich wäre. Neue Atemwege zu schaffen. Die Frage hab ich mir gestellt. Ob du im Schlaf ein Fisch werden kannst. Über Nacht zum Kiemenatmer. Aber die haben die Tür aufgebrochen. Die Tür zum Baderaum. Diese Sozialarbeiterschwuchteln. Haben mich nackt aus dem Wasser gefischt. Und ich war eben erst eingeschlafen. Im Krankenhaus haben sie die alten Schleusen geöffnet. Das ganze Schaumbad wieder rausfließen lassen. Diese Fischvernichter. Mich mit Luft zugepumpt. Von Kiemen keine Rede mehr. Nur mein Schlaf. Der war übermenschlich lang. Siebzehn Stunden. Dann die Fragen. Kannst du mich hören. Dein Name. Kannst du uns deinen Namen sagen. Wie alt bist du. Wo wohnst du. Kannst du uns den Weg nach Hause beschreiben. Weißt du was du getan hast. Diese Gedächtnisfanatiker. Diese Sauerstofffaschisten. Woher kommen die Wunden die Kratzer. Was ist mit deinem Ohr passiert. Verletzt du dich selbst. Wie lange geht das schon so. Sollen wir jemand benachrichtigen. Freunde. Verwandte. Deine Eltern. Kannst du uns dein aktuelles Gewicht nennen. Empfindest du dein Äußeres als aggressiv. Würdest du dich selbst als aggressiv einstufen. Bist du bereit Hilfe anzunehmen. Kannst du dich einem anderen Menschen öffnen. Ist körperliche Nähe dir unangenehm. Ich hab das alles beantwortet. Und dann um Ruhe gebeten. Und meine Schwester gefunden. Wir lagen zusammen auf einem Zimmer. Für drei Wochen in der Nervenklinik. Sie hat kein Wort gesagt. Nicht zu Ärzten. Nicht zu Besuch. Am Bettende stand dass sie Natascha heißt. Mir hat sie manchmal ein Lächeln geschenkt. Und ich war so dankbar. - 55 Für ihre Schweigsamkeit. Hast du gar keinen Hunger. 16. Jasmin Ich bin Vegetarier. Jule Du hast einfach keinen Sinn für die Schönheit der Welt. Jasmin Dich find ich unglaublich schön. Jule Kein Ästhet ist Vegetarier. Sieh dir das an. Den Dönermann und sein Dönertier. Zehntausend Splitter aus einer Schweinebacke. Das ist filigran. Das nenn ich Kunst. Was glotzt du. Guck ihn an. Nicht mich. Jasmin Wir können das auch. Schweigen. Jule Wenn du mich anfasst bin ich weg. Jasmin Wenn ich sie berühre wird sie verschwinden. Ich weiß wovon ich spreche. Ich hab schon mal ihren Unterarmknochen verloren. Ich atme alles ein. Den Knoblauch aus ihren Poren. Das Fleisch am Drehspieß. Das Fett in der Luft. Noch nie hatte ich mehr Platz in mir. Jule Hab ich gleich gedacht dass du lesbisch bist. Jasmin Und Karl. Jule Karl ist tot. Tote ficken nicht. Wer nicht fickt ist nicht zusammen. Jasmin Ich muss hier raus. Jule Warum. Jasmin Ich krieg keine Luft mehr. Jule Soll ich dich küssen. Dir Luft schenken. Jasmin Hör auf mich so anzusehen. Jule Warum. - 56 Jasmin Du schielst. Jule Ich würde dich gern berühren. Jasmin Echt. Jule Aber du kannst mich nicht berühren. Jasmin Weil du dann verschwindest. Jule Genau. Jasmin Androidenscheiße. Jule Ich finde dich auch unglaublich schön. 17. Jasmin Was ist das. Jule Zahnstocher. Jasmin So viele. Jule Wir müssen nach Möglichkeiten suchen. Jasmin Das ist sie immer. Auf der Suche nach Möglichkeiten. Sie will nicht verschwinden. Sie sucht nur einen anderen Ort. Das ist nicht dasselbe. Daran glaubt sie. Dass es die gibt. Die Welt hinter der Haut. Unter dem Orangenplanet. Da sind Freude und Schmerz Geschwister. Da ist das Leben keine fünfzigjährige Frau. Da rauscht es uns weg. Daran glaubt sie. An diese Möglichkeit. Davor geh ich in die Knie. Vor dieser Zuversicht. Hör auf. Jule Nein. Jasmin Der erste Zahnstocher im Handballen. Etwa zwei Zentimeter tief. Der zweite in der Mitte der Hand. Dort wo zwei Linien sich kreuzen. Der dritte unter dem kleinen Finger. Tiefer noch als der erste. Der vierte kurz bevor das Handgelenk beginnt. Ich seh hin. - 57 Ihre Hand wird rosa. Gesund sieht das aus. Beinah schön. In meinem Körper Lichtschüsse. Kein Zusammenhang kein Schmerz. Nur Treffer. Fußsohle Halswirbel Steißbein. Der letzte trifft mich hinter der Stirn. Mein Mund ist offen. Aber ich schreie nicht. Zieh die Dinger da raus. Jule Zieh du sie raus. Jasmin Eins zwei drei vier. Ich bin ein heller Raum. In mir ein Lichtfest. Dann kommt das Blut. Fließt in alle Richtungen. Dunkel und schnell. Über die Mitte der Hand über die Bahnen der Handlinien. Zwischen die Finger unter die Nägel. Weiter über den Ballen in den bunten Ärmel ihrer Bluse. Ich halte ihre Hand. Sie verschwindet nicht. Sie ist warm und leicht. Tropfen auf dem liegen gebliebenen Salat. Ich schließe die Augen. Ich weine mit geschlossenen Lidern. Ich kann nicht mehr unterscheiden zwischen Salz Blut und Licht. Jule Hast du Angst. Jasmin Nein. Jule Ich hab mir auf die Zunge gebissen. 18. Jasmin Ihre Mundhöhle glitzert. Ich hör sie schlucken. Sie schluckt Blut. Unsere Hände halten sich fest. Ich hör sie schreien. Ich atme ihn ein ihren Schrei. Ihre Lippe platzt zwischen meiner. Ihr Kiefer in meinem Zahnfleisch. Meine Wimpern an ihrer Schläfe. Um uns Stille. Der Dönermann räumt den Tisch auf unter unserem Kontakt. Er wundert sich nicht. Zwei Mädchen die sich küssen nach einem guten Döner. Er hat schon Schlimmeres gesehen. Jules Schrei hat er nicht gehört. Er ist in mir. Rast durch meinen Körper. Öffnet meine Poren. Nimmt mir alles. Auch die Angst. Ich spür ihre Hand. Immer. Auch jetzt spür ich sie. Die Wärme und die Lust zu rennen. - 58 - IV. Ohren Albert und Natascha 1. Natascha Erst mal hab ich deinen Füßen zugehört. Unter Wasser im Atlantik. Die Wellen der großen Zehen. Die Chlorblasen dazwischen. Ein Fußkonzert. Deine rosa Sohlen singen ein Lied für mich. Leise und schön. Ich konnte die Haare in meinen Ohren tanzen hören. Albert Rosa Sohlen. Das hatte ich schon gehört. Wie schwierig das ist. Ein normales Gespräch mit dir zu führen. Natascha Ich war auch überrascht. Über dein Unterwasserlied. Wo du sonst nur Müll von dir gibst. Albert Wie unhöflich du bist. Davon hatte ich auch gehört. Wenn andere reden. Machst du Geräusche. Manchmal. Hatte ich gehört. Manchmal sollst du mit Spucke gurgeln. Mitten im Gespräch. Und dann summen. Wie Omas summen. Natascha Mmmmmmmmmmmm. Albert Was soll man da noch sagen. 2. Natascha Mit den Füßen scharren am Stoff kratzen. Polster Hose Haut. Manchmal am Ohr. Atmen. Laut. Durch den Mund. Mit der Zunge schnalzen. Speichel schlucken auch wenn es nichts zu schlucken gibt. Summen. Mmmmmm. M. Ein Resonanzkörper ein Bienenstock. Ein Geschenk des Himmels dieser Buchstabe. In deinen Ohren deiner Membran. In den kleinen Härchen auf deiner Haut. - 59 Und du vergisst alles. Auch die Angst. Angst dass jemand ein Gespräch beginnt. Seine Stimme auf mich richtet. Stimmen schlagen Löcher in meinen Schädel. Reißen Wände auf in meinem Hirn. Legen alles lahm. Jeden Gedanken jede Idee. Ich kann nicht zuhören. Das ist mir nicht gegeben. Ein Gespräch. Das ist nichts als Schmerz für mich. Stimmen. Laut leise tief hell grell. Kinderstimmen Lehrerstimmen Mütterstimmen. Freunde Fremde Popstars. Fernsehstimmen Radiostimmen U-Bahn-Ansagen. Ich versuch das zu überhören. Dann zu übertönen. Ich trage Papierkugeln in meinen Ohren. Andere stört das nicht mehr. Wir haben uns arrangiert. Man hat mich aufgegeben. Himmel des Schweigens. Lehrer begraben ihre Hoffnung. Schüler gehen mir aus dem Weg. Meine Mutter hat mich in eine Nervenklinik gebracht. Sie dachte dort würde ich meine Stimme wieder finden. Und die Lust zu reden. Die Verrückte in meinem Zimmer dachte ich wär ihre Schwester. Ohne Gehör und sozial am Ende. Manchmal seh ich sie noch. Dann gibt sie mir Geld und redet mit Händen. Ich brauch das nicht. Ich bin nicht gehörlos und auch nicht arm. Es geht mir gut seht mich an. Ich laber nicht rum texte niemand zu. Ich bin ein Freund der Welt. Ein angenehmer Zeitgenosse. Ich suche nicht Ruhe. Ich suche Musik. Melodien jenseits des Gelabers. Autobahnen Stolpersteine Wimpernschläge. Haut die auf Haut klatscht. Klopfen an Schädelwände. Würmer im Holz. Niesen Husten Atemzüge. Wasser in mir. Seewasser Süßwasser Chlorwasser. Ich liebe den Zoo. Affenkreischen Nilpferdfurze Flügelschläge. Ich könnte ein Tier unter Tieren sein. Ein Bär eine Ameise ein Pinguin. Ich bin ein Goldfisch. Bis eine Möwe kommt. Mich in ihren Schnabel klemmt und über alle Berge trägt. Albert. Albert Scheiße. Zehn nach sechs. - 60 Natascha Die Happy Hour im Atlantik ist vorbei. Albert Das heißt nachzahlen. Und zwar zwei Euro. Ich hab nichts bei mir. Keinen Cent. Natascha Dass Albert fliegen kann war eine Überraschung. Das erste Mal am Beckenrand. Als er vor mir stand auf einem Bein. Wie ein Wellensittich vorm Schlafengehen. Da dacht ich noch es könnte Einbildung sein. 3. Albert Die Sache mit dem Bein ist ein Tick. Eine nervöse Angewohnheit. Eine Art Beruhigungsritual. Andere pfeifen oder kneifen sich. Ich zieh ein Bein nach oben. Mit Fliegen hat das nicht zu tun. Keine Ahnung wie das passieren konnte. Die Happy Hour zu überschreiten. Natascha Albert. Albert Als Natascha meinen Namen sagt vergess ich kurz alles. Die Zeit das Geld das Bein. Natascha Dann seh ich es. Nur kurz nur knapp über den Fliesen. Aber ich kann sehen er schwebt. Albert Scheiße. Natascha Ich weiß er ist es nur. Albert. Der sich wegen zwei Euro in die lila Badehose macht. Obwohl er im Geld schwimmen könnte. Häuschen in Seenähe. Wo andere baden gehen ist er zu Hause. Spießer Streber Labertasche. Wichtigtuer mit Cordjackett. Wenn er ein Referat hält setzt er eine Brille auf mit rotem Rand. Einer wie er hält dauernd Referate. Über Kaiser Was weiß ich den Achten. Chromosomenforschung Stochastik Periodensysteme. Letztes Jahr ist er Schulsprecher geworden. Nachmittags trainiert er Mädchen im Volleyball. Jemand wie er macht vor gar nichts halt. Er ist im Schachclub. Spielt im Schultheater. Hat die AG Hilfe für Westafrika gegründet. Jemand wie er hat überall seine Finger drin. - 61 Überall ein Wörtchen mitzureden. Er ist mir kein Rätsel kein Geheimnis. Er ist nichts als Schrecken für mich. Albert Scheiße. Natascha Ich weiß nicht woher die kommt. Die Musik in mir. Er sagt. Scheiße. Was für ein Zischlaut. Ich hab schon Lamas auf diese Weise Wasser trinken hören. Ich weiß es ist unmöglich. Ich weiß er ist es nur. Albert Arbeitsgemeinschaft. König der Streber. Aber da ist etwas. In seiner Stimme. Das sich dreht unter meiner Schädeldecke. Mit einem Kratzen. Schön. Nicht schmerzhaft. Eine Nadel auf Vinyl. Musik. Nicht Müll. Ich weiß wer du bist. Albert. Der allerletzte Mensch in meinem System. Die Abartigste aller Begegnungen. Die schlimmstmögliche Konversation. Ich weiß mein Kopf sollte zerspringen. Allein bei der Vorstellung eines Gesprächs. Er schwebt ein kleines bisschen über den Boden. Ich muss mir das nicht ansehen. Ich muss nichts sagen. Wir sind noch nie ins Gespräch gekommen. Krampf. Albert Was. Natascha Im Fuß. Albert Ach so. Nein. Du. Natascha Ich. Nein. Mit meinen Füßen ist alles in Ordnung. 4. Albert Natascha. Wahnsinn. Natascha. - 62 5. Natascha Natascha. Natascha. Ein elendes Wort. So geht das immer los. Natascha. Danach kommt Nacht sonst nichts. So ist der mein Name. Ein grausamer Beginn. Drei qualvolle Silben. Drei A. Schmerzlaute. Ein T in der Mitte. Ein Schlag ein Zittern tttttttt. Pochen der Ohrmuschel. Spannung der Hirnmuskeln. Was jetzt kommt kenn ich ist immer das Gleiche immer Schmerz. Text Text Text. Fragen kleine Späße Worte Worte. Was jetzt kommt versteh ich nicht. Nie. Eine Stimme fährt in mich. Zertrümmert mein Trommelfell. Schießt Buchstaben in meinen kleinen Kopf. Reißt Brücken ein zwischen den Organen. Augendruck Zungenpelz Atemnot. Mein Schädel brennt meine Lippen zucken. Jemand will mit mir reden will Antworten hören. Das geht oft mit meinem Namen los. Ich sage nichts. Ich kann nicht. Mir fehlt die Stimme nicht die Antwort. Die Antwort ist ein Schrei. Keiner hört ihn. Ich schreie nicht. Nicht laut. Ich will weg und zwar schnell. Ich renne nicht. Ich kann die Brücke nicht finden zu meinen Beinen. Ich rausche in Blutbahnen schreie in schalldichten Kammern. Dann lächel ich. Wenn man meinen Namen sagt lächel ich. Wenn alles Nacht wird in mir auf meinem Gesicht ein Lächeln. Mein Lächeln ist ein freier Geist. Ich weiß es ist seltsam. Lächeln entspricht nicht den Erwartungen zählt nicht als Antwort. Lächeln ist immer zuwenig. Oder zuviel. Albert Natascha. Natascha Als Albert meinen Namen sagt ist kein Lächeln in mir. Nur Musik. Ich weiß wer er ist. Schulsprecheralbert. Held der mündlichen Beiträge. Aber der Klang seiner Stimme könnte mich tragen. In drei Silben übers Nichtschwimmerbecken. Ich habe Angst. Die Angst ist neu. Ich habe Angst er könnte gehen ohne ein weiteres Wort. - 63 Albert Wir müssen nachzahlen. Natascha Mach dir nicht in die Hose Albert. 6. Albert Ich kenn ihren Namen. Natascha. Sonst kenn ich sie nicht. Wir gehen in dieselbe Schule das heißt noch lange nichts. Vor zwei Jahren sind wir in dieselbe Klasse gegangen. Neun B. Dann bleibt sie sitzen dann wiederholt sie freiwillig. Jetzt bin ich Elf B. Sie Neun A. Mir ist das egal. Aber wenn ich sie wäre fänd ich das seltsam. Extrem seltsam. Sie ist seltsam. Sie führt sich auf wie eine Wilde. Sie klatscht in die Hände aus heiterem Himmel. Dann reibt sie sie an den Schläfen. Die Hände. Letztes Jahr war sie für drei Wochen in der Psychiatrie. Danach ganz die Alte. So seltsam wie immer. Sie spricht nicht. Schon gar nicht mit mir. Wenn wir uns in der Schule begegnen sind wir Passanten. Kein Wort kein Blick. Ich weiß nicht in welcher Welt sie lebt. Es ist mir auch egal. Ich hab genug um die Ohren. Sie hat hellbraune Haare hellbraune Augen. Sie ist eine Lichtung eine Augenweide. Das absolut schönste Mädchen der Schule. Dass sie meinen Namen weiß überrascht mich sehr. Natascha Ich kann dir was leihen. Albert Echt. Natascha In zwanzig Minuten am Drehkreuz. 7. Albert Sie ist zu spät. Egal. Zeit spielt keine Rolle mehr. Nachzahlen müssen wir eh. Natascha. Dreimal die Neunte. Auf den Kopf gefallen. Summende Oma. - 64 Morgen nach der Schule sind Proben. Nein. Morgen ist Wochenende. Fünf vor sieben und ich bin etwas durcheinander. Zuviel Chlor kein Geld. Heute ist Freitag. Wenn sie nicht kommt sag ich ich zahl morgen. Die kennen mich hier. Das geht schon. Wenn sie nicht kommt lass ich sie ausrufen. Der kleine Albert wartet am Drehkreuz auf die schöne Natascha. Sie kommt schon. Nicht der Fuß. Nicht jetzt. Der linke Fuß geht nach oben. Pissen. Das hätt ich noch machen sollen. Das ist immer schöner ein Gespräch. Wenn man nicht pissen muss. Kein Problem. Sie wird eh kein Gespräch anfangen. Sie ist vielleicht schon weg. Übers Wochenende muss ich die Wertherkopien machen. Da ist was unter meinen Füßen. Ein Gefühl. Keine Berührung. Eher ein Blick. Als würde ich von unten angesehen. Dann das Schweben. Direkt vorm Drehkreuz. Ist das jetzt Fliegen oder was. Physikalisch überraschend. Ich warte auf Natascha. Keine Ahnung was das soll. Später drüber nachdenken. Später. Erst mal wieder normalisieren. Boden gewinnen. Sie kommt. Sie sieht ernst aus und schön. Die Haare trocken. Als hätte sie was zu sagen. Sie sagt nichts. In ihrer Hand die Münzen. Ich geh zu ihr. Das ist ein seltsames Gefühl. Das ist Nach unten steigen ohne Stufe. Natascha Bist du besoffen oder was. Albert Sehen wir uns morgen in der Schule. Wegen dem Geld. Natascha Also morgen ist Wochenende. Aber wenn du willst gerne. Wir können übers Geländer klettern. Albert Ich mein Montag. Natascha Überübermorgen. Albert Ja. - 65 Natascha Ja. Albert Den Weg zur U-Bahn bin ich gerannt. 8. Natascha Am Montag hab ich die Schule mit Fanfaren betreten. Nur Albert. Albert ist nicht gekommen. Albert Ich hatte da was vergessen. Irgendwas. Ist da extrem durcheinander geraten am Freitag im Atlantik. Natascha Ich steh vor seinem Zimmer. Elf B. Als würde ich noch dazugehören. Keiner spricht mich an. Keiner tut so als wären wir mal in einer Klasse gewesen. Albert kommt nicht. Albert Keine Ahnung wie das passieren konnte. Natascha Ich warte. Sieben Minuten. Mehr kommt jemand wie er nie zu spät. Irgendwann die Stille des Gangs. Leer nicht schön. Ich geh zurück. Zu meiner Generation. Meine Mitschüler sind jetzt alle zwei Jahre jünger als ich. Algebra. Papierkugeln gerollt. An die Tafel gerufen. Wegen Verspätung und auch sonst. Die Kreide splittert. Mit Fingerdruck ein kreischender Ton. Ein fettes Koordinatensystem. Nicht schlecht gar nicht schlecht weiter komm ich nicht. Jemand wirft eine Papierkugel nach vorne. Jemand lacht. Die Papierkugel trifft die X-Achse. Ich renne raus bin flink wie nie. Der Knall der Tür erreicht meine Ohren nicht. Mein Ziel die Schultoilette. Mich lauthals in ein Becken entleeren. Mein Weg dorthin ein Sturz von einer Wand zur anderen. Bin ich besoffen oder was. Stehen bleiben. Lass dir Zeit. Dir ist nicht schlecht. Es ist nichts in dir was nach oben kommen könnte. Stehen bleiben. Ein Bein heben. - 66 Ich bin ein Wellensittich. Tränen. Weinen Wellensittiche. Ich auf jeden Fall pinkle durch meine Hose auf das hellgraue Laminat. Zu Hause wartet ein Brief auf mich. 9. Albert Samstag. Siebzehnter November. Hallo Natascha. Leider kann ich dir Montag das Geld nicht geben. Weil ich das Schachturnier vergaß. (Dabei fiebere ich schon seit Monaten darauf hin. Die Besten der Besten der Sechzehn- bis Achtzehnjährigen. Und das Ganze im schönen und wilden Schwarzwald.) Keine Ahnung wo ich war mit meinen Gedanken. „Ich weiß weder dass Tag noch Nacht ist Und die ganze Welt verliert sich um mich her“ (Goethe. Die Leiden des jungen Werther. Brief vom 19. Junius) Am Dienstagabend komm ich heim. Vorschlag. Wickeln wir am Mittwoch nach Schulschluss in der Cafeteria die Geldübergabe ab. So gegen halb drei. Da kommen auch die anderen von der Theater AG wegen den Kopien. Den Wertherkopien. Ich spiel übrigens Werther. Nicht Albert. Das heißt Text Text Text. Die ganzen Briefe. Vielleicht geht das bei dir am Mittwoch. Adieu. Albert. Natascha Am Briefkopf eine Tanne. Das Symbol einer Jugendherberge. Albert Hallo Natascha. Mein Gott. Natascha Seine Stimme rast durch meinen Kopf. Seine Handschrift knallt gegen meine Augendeckel. Albert Adieu. Natascha Ich weiß nicht was das soll. Werther Junius Geldübergabe. Ich weiß nicht warum man nach dem Schwarzwald fiebert. Ich weiß auch nicht ob Tag ist oder Nacht. Ist mir scheißegal. Ich hab gerade auf den Schulflur gepisst. Hallo Natascha. Mittwoch halb drei. Ich lese den Brief von vorn. - 67 - 10. Albert Am Mittwoch das totale Krümmen. Im Bett unter der Dusche in der U-Bahn. Hallo Natascha. Es ist nicht wahr nicht wahr. Kein Brief. Keiner schreibt einen Brief. Ich spiel übrigens Werther nicht Albert. Scheiße. Ich geb ihr das Geld das war s. Adieu. Albert. Es ist was es ist. Es ist nichts. Nur ein Brief. Ein Brief. Aus dem schönen und wilden Schwarzwald. Um halb drei ist die Sache aus der Welt. Zwei Euro. Schwamm drüber. Kopf frei. Wickeln wir ab. Freitag ist Schulsprecherwahl. 11. Natascha Mittwochmorgen erhöhte Temperatur. Steigend. Um sieben schon neununddreißig. Um halb acht Durchfall. Glieder wie Cellosaiten dunkel schöner Schmerz. Ohrendruck dann Ohrverschluss. Ein guter Beginn. Fieber Totalentleerung Bettschwere. Die perfekte Entschuldigung. Durch den Tag schweben. Blutleer lautlos. Ein schönes Erwachen. Immer. Nur heute. Heute bitte nicht. Heute ist Mittwoch und ich muss um halb drei in der Cafeteria sein. Cafeteria. Plauderhölle. Polsterkammer der Prinzenpärchen. Ein Raum im Keller. Versteckt versiegelt. Für mich ein natürliches Tabu. Albert Als sie reinkommt verlier ich alles. Die Verlegenheit die Krümmung den Brief. Die Wertherkopien fliegen mir aus der Hand. - 68 Den Ausdruck im Gesicht. Den ich ihr widmen wollte. Eher beschäftigt bisschen überrascht. Den verlier ich auch. Ihr Blick schlägt in meinen Unterarm. Der Arm schlägt aus. Es fängt schlecht an. Nichts läuft wie geplant Ihr Hals ist rot. Natascha Ein roter Rolli. Meine beste Farbe für den Gang in den Keller. Was soll ich sagen. Meine Wangen glühen. Meine Stirn schlägt Funken. In den Ohren das dunkle Zupfen an den Saiten meiner Glieder. Er ist allein. Ganz allein. Eigentlich hätte ich im Bett bleiben sollen. Albert Mit ihr kommt Wärme. Ich will was sagen. Ich kann nicht. Meine Lippen sind trocken. Ihre auch. Ich will aufstehen. Ich bleibe sitzen. Sie sieht auf meine Füße. Natascha Sie schweben beide in der Luft. Albert Im Sitzen fällt das nicht so auf. Natascha Der Druck platzt aus meinen Ohren. Ein Sylvesterknall. Blut blubbert Dann zwei Tropfen auf den Boden. Der Boden ist rot. Da fällt das nicht so auf. Albert Ihr Atem strömt heiß in den Raum. Natascha Das Glas seiner Brille beschlägt. Albert Die Brille. Das war eine Idee. Ein Fehler aber kein Versehen. Natascha Extrem schade du Pinguin Jetzt kann ich deine Augen nicht sehen. Albert Ich dachte. Durch die Brille. Da wirkst du klug und auch etwas abwesend. Die Brille schraubt die Briefsache runter. Mit der Brille bist du jemand. Der im ständigen Briefverkehr steht. Jemand der das Telefonieren leid ist. Der dem geschriebenen Wort den Vorzug gibt. Ich dachte. Das könnte ihr gefallen. Mit der Hitze hab ich nicht gerechnet. - 69 Hallo Natascha. Fühlst du dich nicht wohl. Hast du Fieber. Setz dich mal. Natascha Das hab ich mir anders vorgestellt. So eine Cafeteria. Ich dachte an einen Minenkeller von Stimmen. Ein Schussfeld eiskalter Blicke. Ich dachte nicht dass er allein hier sitzen würde bei diesen Temperaturen. Das ist ein Wüstentraum keine Cafeteria. Und ich ein Sandfloh. Bereit für eine kleine Plauderei. Und. Wie war das Ding. Gewonnen oder was. Albert Was. Natascha Das Schachding. Albert Ach das. Nein. Natascha Lag am Schwarzwald. Zu schön und zu wild. Albert Ich war ganz woanders. Natascha Doch nicht im Schwarzwald. Albert Gedanklich. 12. Natascha Es ist alles ganz leicht. Wir spucken Flohseide in diese Wüstenluft. Die Zurückgebliebene und der Schulsprecher. Die albernste aller Kombinationen. Die schwärzeste Vision. Das letztmögliche Gespräch. Jetzt ist es Musik. Endlich setzt er die Brille ab. Albert Ihr Gesicht ist weiß. Ihre Augen leuchten. Sie blendet mich. Ich weiß nicht was es ist. Ihr Gegenlicht oder mein Sehfehler. Als sie zu reden beginnt steigt meine Temperatur. Natascha Ist es immer so ruhig hier. Albert Hier. Nein. Nie. - 70 Natascha Ich bin das erste Mal hier. Albert Ja. Natascha Eigentlich nett hier. 13. Albert Ich mach mir nichts vor. Das Gespräch hat es nie gegeben. Ich weiß das ist ein Traum. Bleiben wir bei den Tatsachen. Sie hat Fieber. Vielleicht hat sie mich angesteckt. Warum bleibt sie nicht im Bett wenn sie krank ist. Sie ist anders als ich. Ganz anders. Sie schafft die Schule nicht. Sie verliert kein Wort über die Brille. Kein Wort über den Brief. Sie ist kein Mensch. Sie ist das schönste Mädchen der Schule. Sie berühren. Sie berühren das wär durch Wolken knallen. Zu schön um wahr zu sein. Dann wär sie weg. Oder ich wach. Das wär gut. Wenn sie verschwinden würde wär mein Kopf wieder frei. Natascha Woran denkst du. Albert Nächsten Freitag ist Schulsprecherwahl. Natascha Dann muss er niesen. Albert Sie ist immer noch da. 14. Natascha Ich seh ihn an. Sein Niesen juckt in meinem Mundwinkel. Ich will seine Brille auf den Boden werfen. Das Glas klirren hören. Mit meinen Lippen in seinen Wimpern klimpern. Mit meinen Zähnen auf seine Zähne knallen. Ich habe Lust seine Haare zu berühren. Mich interessiert ob die weich sind oder knistern. Ob er schreit wenn ich an ihnen reiße. Oder nur flüstert. - 71 Wie das klingt wenn er flüstert. Auf einmal interessiert mich alles an ihm. Albert Da öffnet sich die Tür der Cafeteria. 15. Natascha Erst kommt Laurent. Der Typ aus Afrika. Mit Haaren so gelb wie Dotter. Albert Wegen der Petition. Dem Spendenaufruf für Rebellenopfer. Natascha Warum er gerade jetzt kommt. Um halb drei. Albert Weil ich ihn bestellt hab. Mittwoch um halb drei. Weil ich dachte das macht Eindruck bei ihr. Wenn ich mit einem Typ aus Kapverden die Sorgen seiner Heimat teile. Natascha Ihre Stimmen rollen durch meinen Schädel. Mein Kopf wird kalt. Albert Hallo Laurent. Natascha Schweineheiß hier drin. Albert Kommst du wegen der Petition. Natascha Nein. Ich komm Kaffee trinken. Albert Das ist übrigens Natascha. Natascha Hier hast du deinen ganzen Scheiß. Albert Natascha. Das ist Laurent. Aus Togo. Kapverden. Natascha Hör mal zu Streberleiche. Ich bin von hier. Mein Haar ist blond meine Seele auch. Deine Petition kannst du dir in den Äquator schieben. Und es heißt Fogo. Klar. Fogo. Nicht Togo. Albert Fogo. Natascha Mmmmmmmmm. - 72 16. Albert Ich kann sie hören. Sie summt. Mir gefällt das. Ihr Summen. Es trägt ihn weg. Laurent. Nach Fogo oder Togo oder einfach ins Erdgeschoss. Die Tür geht auf. Natascha Jetzt also Sport. 17. Albert Phöbe vom Volleyballteam. Natascha Ich muss dir was sagen. Albert Training am Freitag ist erst um vier. Natascha Ich komm da nicht. Albert Um zwei ist Schulsprecherwahl. Da bin ich wieder nominiert. Natascha Ich meld mich ab. Albert Warst du auch nominiert. Natascha Vom Training. Albert Vom Volleyball. Natascha Jetzt beruhig dich mal wieder. Albert Wir haben ein Spiel am Samstag. Natascha Ich hab mich verliebt. Albert Das steht in überhaupt keinem Zusammenhang. Natascha Doch. Albert Nein. Natascha Das ist doch Natascha. Albert Was. Natascha Was hat sie denn. Albert Was. - 73 Natascha Was summt sie denn Albert Sie summt doch gar nicht. Natasch Was lächelt sie denn. 18. Albert Sie ist ganz still. Summt nicht mehr. Sitzt hier. Hier bei mir. Sie lächelt. Ich lass mich nicht täuschen. Sie lächelt und ich weiß es geht bergab. Mit ihrem Lächeln senkt sich die Raumtemperatur. Ich kann den Tisch spüren unter meinen Händen. Er bewegt sich. Ich weiß es ist in ihr. Das Geräusch. Ihr Summen. Sie leitet es weiter. Über den Tischfuß die Platte in meine Hände. Ich will den Arm bewegen. Er ist eingeschlafen. Außen taub innen ein Rauschen. Als die drei vom Wertherstück kommen hab ich kaum noch ein Ohr für sie. 19. Natascha Albert / Wir sind zu spät Mann / Und du wartest hier rum / Aber nicht allein / Hi Natascha / Hallo / Ich bin s Sandy. Wir waren mal Parallelklasse. Klaus auch / Hi / Die ist ja ganz weggetreten / Was denn los / Klaus. Macht deine Mutter nicht was mit Nerven / Ist echt saukalt hier drin / Das heißt Neurologie / Sind das die Kopien / Also eigentlich wollten wir noch mal wegen der Besetzung / Werner hat grad noch mal den letzten Brief vorgelesen / Sandy hat gesagt ich soll mal. Einfach so / Ich wollt mal hören wie das klingt mit Werners Stimme nicht deiner / Ich hab gesagt das ist scheiße. So über deinen Kopf weg / Ich finde. Und Klaus auch / Ich halt mich da raus / Klar. Klaus hält sich aus allem raus / Also wenn du unbedingt den Werther spielen willst ist das OK für uns. Ich finde nur / Ist doch auch seltsam wenn Albert Albert spielt und Werner Werther / Ich find das aber irgendwie besser / Ich eigentlich auch / Irgendwie ist das nicht fair. Albert hat schon soviel reingegeben. Die Kopien gemacht und alles / Albert ist auch eine gute Rolle / Albert / Sagst du vielleicht auch mal was. 20. Albert Schweigen. Natascha Er sagt nichts. - 74 Albert Sie schließt die Augen. Natascha Etwas reißt. Albert Ein Schrei. Natascha Er bricht aus mir raus. Von der Erde ans Licht. Er ist alles was ich habe. Meine Knochen mein Blut mein Herz. Wenn er raus ist bin ich Vergangenheit. Albert nimmt meine Hand. Wir sind ganz allein. Albert Wo sie hin sind. Die anderen. Mit ihren Sachen. Werther Volleyball Westafrika. Ich weiß es nicht. Vielleicht sind wir da und sie nicht. Oder umgekehrt. Egal. Wir sind ganz allein. Natascha Mein Körper wird leicht. Kein Halt mehr im Nacken. Albert Ein Blutfaden. Von ihrem Ohr zum Hals. Als würde ihr Pulli an einem Ohrring hängen. Natascha Wahrscheinlich fall ich zu Boden. Albert Sie fällt vom Stuhl. Natascha Es geht mir gut. Albert Ich weiß nicht was ich tun soll. Natascha Er küsst mich. Albert Es gibt sowieso keinen Boden mehr. 21. Natascha Küsst du mich. Weil das Geschrei dich nervt. Albert Nein. Natascha Aber schön ist das jetzt schon. Die Stille. Albert Ziemlich schön. - 75 Natascha. Denkst du. Ich bin tot. Albert Du bist nicht tot. Natascha Das wär ja auch ziemlich makaber dann. Mich zu küssen. Albert Du bist nicht tot. Natascha Gott sei Dank hast du die Brille nicht auf. Albert Gott sei Dank. Natascha Die Brille stört eher beim Küssen. Albert Und beim Fliegen. Natascha Ist das jetzt Fliegen oder was. Albert Mehr geht nicht. Natascha Albert Albert. Ich hab mich total in dir getäuscht. Ich dachte. Mit dir sprechen. Das wär ein Alptraum. Albert Ich dachte auch nicht dass das geht. Natascha Da klimpert was. Albert Die zwei Euro. Natascha Bin ich tot. Albert Wie fühlst du dich denn so. Natascha Jetzt. Albert Ja. Natascha Ich fühl mich phantastisch. - 76 - V. Zunge Beate und Laurent 1. Beate Wir waren sieben Wochen zusammen. In dieser Zeit sind wir fünfmal im Kino gewesen. Achtmal im Club. Haben viermal beieinander übernachtet. Noch nie Sex gehabt. Einmal hat er mir die Haare geschnitten. Gegessen haben wir dreimal miteinander. Laurent Zweimal einen Döner. Einmal eine Pizza geteilt. Beate Nach sieben Wochen will er für mich kochen. Aus dem Nichts eine Art Einladung. Laurent Nächsten Samstag bei dir. Beate Bei mir. Das ist ziemlich einsam bei mir im Moment. Meine Eltern sind schon seit Tagen in Skiurlaub. Weit weg da wo Schnee liegt auch im Herbst. Das hat er genau gewusst. Laurent Auf einmal dachte sie. Ich könnte gefährlich sein. Über sie herfallen. Ein Tier ein Pygmäe. Beate Das kennt man. Darüber gibt s Filme Bücher tausend Beispiele. Laurent Samstag um sechs. Beate OK. Laurent Dein Herd meine Zutaten. Beate Soll ich jetzt lachen oder was. 2. Laurent Als ich bei ihr bin Samstag fünf vor sechs. Hat sie schon zwei Joints am offenen Fenster geraucht. Beate Das tu ich für dich. Dämpft die Angst und schürt den Hunger. - 77 Laurent Ich tu das auch für dich. Schlepp das ganze Zeug über den Hof rauf in deine Wohnung. Beate Von oben sein gelber Krauskopf. Auf dem Rücken ein weißer Seesack. In der rechten Hand eine schwarze Reisetasche. In der linken eine pinke Tüte. Auf einmal bin ich voll Sehnsucht und auch voller Freude. Als käme er heim nach langer langer Reise. Laurent Natürlich wusste ich dass ihre Eltern Skifahren sind. Beate An der Tür der Kuss. Als wären wir Fremde. Laurent Ich hätte erst mein Gepäck ablegen sollen. Beate Das ist es nicht. Es ist der Geschmack. Laurent Zitrone und Koriander. Ich hab schon vorgekocht. Abgeschmeckt. Beate Das ist es nicht. 3. Laurent Sie nimmt mir die pinke Tüte aus der Hand. Beate Meine Lippen brennen. Auf der Tüte steht was in gelber Schrift. Laurent True love Tapioka. Beate Da weiß ich. Ich hab mich getäuscht. Das hier wird beispiellos. Ich weiß dass es kein Essen je geben wird. Das mit diesem hier vergleichbar wäre. 4. Laurent Was für den Kühlschrank. Beate Pudding. Laurent Maispudding. Beate Also. Mais. - 78 Ich weiß nicht. Mais. Laurent Das muss vier Stunden fest werden. Beate Vier Stunden. Laurent Für uns ist das viel zu kurz. 5. Beate Er stellt den Backofen an. Aus der schwarzen Reisetasche kommt eine Form. Schwarz quadratisch. Oben silber. Wahnsinn. Auflauf. Laurent Vorspeise. Beate Er zieht die Alufolie von der Form. Der Auflauf ist weiß. Puderzucker. Mandeln. In braunen Linien eine Schrift. Was ist das. Laurent Zimt. Beate Was heißt das. Laurent B und L. 6. Beate Beate und Laurent. Das ist kein Märchen. Auch wenn es so losging. Vor gut sieben Wochen. In der Dämmerung. In der Stunde die silbern ist und die Welt dir verschleiert durch den Zaun deiner Wimpern erscheint. Die Musik ist elektronisch. Das Gras küsst deine Füße. Und du schenkst dem Leben ein Lächeln nach dem dritten Joint. Alles ging los mit einer Gartenparty. Einer Langeweile. Und einem blonden Jungen der aus der Hecke fiel. 7. Laurent Der Auflauf muss vierzig Minuten im Ofen. Beate Was trinken wir. - 79 Bier Cola Wasser. Laurent Wein. Beate Wein. Laurent Ich hab Rotwein dabei. Beate Wein ist nicht so mein Ding. Laurent Als sie probiert muss sie husten. Der zweite Schluck geht besser. Beate Was ist das denn. Laurent Wein aus Fogo. Beate Schmeckt nach Rauch. Laurent Liegt am Anbaugebiet. Beate Aha. Laurent Die Nähe zum Vulkan. 8. Beate Phöbe hatte mich mitgeschleppt. Aus Not. Nicht aus Freundlichkeit. Ich bin nicht der Freundinnentyp. Ich wollte da nicht sein. Ich bin nicht der Gartenpartymensch. Aber jetzt. Jetzt war ich dabei das Beste rauszuholen. Ein paar Rippchen ein paar Wolken zählen. Vor mir tanzende Flip Flops. Ich weiß noch. Ich hab gelächelt voller Liebe zu diesem Klappstuhl. Als Laurent in mein Leben platzte. Rückwärts aus dem Dunkel der Hecke. Fiel mir ein Rippchen in die Wiese. Laurent Dann hat sie mich Penner genannt. Beate Ich wollte keine Gesellschaft. Auch diese nicht. Pass doch auf du Penner. 9. Laurent Der Auflauf ist durch. Sie verbrennt sich an der Schrift. - 80 B und L. Beate Der Finger schmeckt bitter und auch süß. Auf der Zunge ein Pelz. Zimt und Zucker. Ist das Kuchen oder was. Laurent B’stila Beate Was. Laurent Pastete. Beate Ich hol Besteck Laurent Essen wir hiermit. Beate Er meint die Finger. Das erste Stück bricht mir in der Hand. Ein Knacken wie winzige Genickbrüche. Laurent Filoteig. Beate Eins zwei drei vier Teigschichten. Dazwischen Fleisch. Das Fleisch ist sauer. Der Teig schmilzt geschmacklos am Gaumen dahin. Mandeln brechen im Fleisch. Meine Zunge berührt die obere Zahnreihe. Der Kontakt ist elektrisch. Ein ungewohnter Belag. Der Schmerz raubt mir die Sicht. Laurent Sie isst mit geschlossenen Augen. Beate In meinem Hals brennt ein Ingwerfaden. Ich lösch ihn weg mit Wein aus Fogo. Unsere Teller sind leer. Ich hab ihn nicht essen sehen. Laurent Du bist schön wenn du B’stila isst. Beate Wahnsinn. Deine Pastete. Laurent Taubenpastete. Beate Tauben. Laurent Ich hab mich vom ersten Moment in dich verliebt. - 81 10. Beate So eine bin ich nicht. Alles an mir hängt ein bisschen. Die Haare die Augen die Oberlippe. Überbiss. Nicht der niedliche der sinnliche. Eher der andere. Der bisschen dämliche. Ich mag Kiffen Essen und Musik. Alles andere ist mir mehr oder weniger egal. Ich bin nicht so eine in die man sich verliebt vom ersten Moment. Der erste Moment. Klappstuhl Dämmerung. Mein eines Hosenbein war aufgekrempelt. Das andere nicht. Auf dem großen Zeh ein Ketchupfleck. Laurent ist aus der Hecke gefallen. Wo kommst du denn her. Laurent Fogo. Beate Was. Laurent Kapverden. Westafrika. Beate Eigentlich hatte ich die Hecke gemeint. Aber jetzt. Jetzt sah ich dass sein Haar gefärbt war und kraus. Seine Haut dunkel fast schwarz. Und glänzte wie verrückt im Schein einer Lichterkette. 11. Laurent Was machst du da. Beate Ich kotz Tauben du Arsch. Laurent Wo flattern sie denn. Beate Ich will gehen. Weg aus dem Bad aus der Wohnung. Weg von hier von ihm. Da fällt mir ein dass wir bei mir sind. Laurent Das wusst ich nicht. Dass du Angst vor Tauben hast. Beate Ich hab keine Angst vor Tauben. Laurent In Aufläufen schon. Beate Ich hab keine Angst. - 82 Laurent Dann auf zum Hauptgang. Beate Ja. Lass uns Spinnen grillen. Laurent Ja. 12. Beate Ich hab mir niemand gewünscht. Der mir in einem Garten vor die Füße fällt. Aber jetzt. Wo er hier war. Da bot ich ihm meinen Joint an. Laurent Danke. Nein. Da krieg ich Angst. Beate Er setzte sich neben mich ins Gras. Ich hab ihn nicht eingeladen. Ich wollte sagen. Lass mich allein. Da sah ich eine Ameise über seinen Unterarm laufen. Und fand den so schön. Ihren Weg. Was machst du in der Hecke Laurent Ich musste mal. Aber dann. Beate Was. Dann. Laurent Dann war da was. Beate Was. Laurent Eine Spinne. Beate Ich sah zur Hecke. Als wär ein Blickwechsel möglich zwischen der Spinne und mir. Laurent Eine Spinne ist mir über den Schwanz gelaufen. Beate So einer ist er. Einer der aus Westafrika kommt. Der Parfum trägt und T-Shirts mit Markenaufdruck. Diesel. G-Star. Adidas. Jeans von Calvin Klein. Der das Haar gelb färbt und Angst vor Spinnen hat. Laurent Ich leb schon lange hier. Seit ich neun bin leb ich hier. Beate Er sah auf meinen großen Zeh. Den mit dem Ketchupfleck und da ist es passiert. Vielleicht lag es am Licht vielleicht am Gras. - 83 Vielleicht war alles Einbildung Kopfgeburt halluzinogene Täuschung. Ich weiß so was kommt vor. Aber aus heiterem Himmel hockte vor mir der schönste Prinz dieser Party. König des Gartens. Mir vor die Füße gefallen. Schimmernde Haut. Augen schwarze Mandeln. Brauen kurz und schmal. Darüber zwei Falten. Senkrecht. Die sich streckten wenn er sprach. Er sprach aus Herzlippen. In der Farbe von Lachsfilet. Weiße Zähne rosa Zunge. Am linken Ohr eine Narbe. Eine Sichel. Schneeweiß in dunkler Haut. Ich sah ihn mir genau an. Ganz genau. Ich wünschte mir eine Lupe für dieses Gesicht. Um den Hals trug er eine Kette. Den Anhänger versteckt im Diesel T-Shirt. 13. Laurent Onkel Armand hat mir Kochen beigebracht. Beate Armand. Laurent Armand hat mich nach Deutschland gebracht. Beate Als du neun warst. Laurent Vier Chilischoten. Zwei Frühlingszwiebeln. Zwei Süßkartoffeln. Vier Okra. Zwei rote Paprika. Eine Maniokknolle. Ein Glas Erdnussbutter. Tomatenmark. Willst du ein Photo sehen. Von Armand. Beate Von deinem Onkel. Laurent Meinem Vater. Beate Dein Vater heißt auch Armand. Laurent Auf Fogo heißt fast jeder Armand. Beate Er zieht am Lederband. Nach sieben Wochen klappt er endlich den Anhänger auf. Unter dem Metall zwei Gesichter dunkel und zerrissen. Wer ist der andere. Laurent Cesária. Beate Cesária. - 84 Laurent Meine Mutter. Beate Sieht aus wie ein Mann deine Mutter. Laurent Das ist die Luft. Lavastaub. Der ledert die Haut. Beate Er hackt die Zwiebeln schneidet die Chilis. Schält erst die Süßkartoffel dann die Maniokknolle. Er sagt kein Wort. Unter seiner Narbe pocht eine Ader. Als er die grüne Okra mit dem Brotmesser teilt schneidet er sich in den Daumen. Laurent Fast hätt ich das Lammfleisch vergessen. Beate Sein Daumen in meinem Mund. Ich schmecke Zwiebel und Eisen. Mit der Zunge zieh ich ein Stück Chili aus der Wunde. Laurent Sie sieht mich an. Ich sie. Unter Küchentränen. Das Fleisch ist im Seesack. 14. Beate Als es dunkel wurde im Garten hab ich ihn nach der Narbe gefragt. Laurent Haushaltsunfall. Beate Ich sah die Narbe ihr Leuchten verlieren. Laurent Bügeleisen. Beate Ich dachte an andere Dinge. Wildere. An Macheten Kannibalen Raubtierklauen. Laurent Ich bin Laurent. Beate Laurent. Noch nie hatte ich jemand Laurent genannt. Ich bin Beate. Laurent Beate. Beate Genau. Beate. Mehr geht nicht. Laurent Bist du immer so auf Partys. Beate Wie bin ich denn. - 85 Laurent So still so abseits. Beate Die Party ist in mir. Und du. Laurent Ich bin wegen Fred hier. Beate Fred. Laurent Der DJ. Beate Die blinde Nuss. Laurent Fred legt morgen im Bergdorf auf. Beate Bergdorf. Laurent Das ist ein Club. Beate Super. Laurent Kommst du auch. Beate Nein. Laurent Du musst unbedingt kommen. Beate Ich bin kein Clubmensch. Laurent Wenn du nicht kommst sterbe ich. Beate Wenn ich komm auch. Laurent Komm. Beate Nein. Laurent Ich steh auf der Gästeliste. Laurent plus eins. Beate Aha. So so. Komm Nein Bitte. Am Ende sagt man Vielleicht und hat schon damit gelogen. Genau solche Gespräche. Genau die versuch ich zu vermeiden. Aber so war es nicht. So hat es nicht geendet dieses Gespräch. Ich hörte ein Tschüss aus seinem Lachsmund kommen. Und plötzlich konnte ich mir alles vorstellen. Auch dass er sterben könnte. Morgen. Nur weil ich nicht ins Bergdorf gekommen bin. - 86 15. Laurent Hier. Rohes Fleisch. Fass mal rein. Beate Nein. Warum. Laurent Weil das ist wie dich von innen berühren. Dein Herz deine Nieren deinen Darm. Beate Du bist widerlich. Laurent Du bist wundervoll. Beate Er kippt sie in die Pfanne. Die Lammhäppchen. Ich sage seinen Namen. Laurent. Zweimal zärtlich. Das Zischen des Öls ist lauter. Im zweiten Topf verschwindet alles. Klein gehackt. Grün und rot und gelb. Er presst das Tomatenmark aus der Tube. Schaufelt die Erdnussbutter in den Topf. Salz direkt aus der Schachtel. Wasser aus der Leitung. Im dritten Topf kocht Reis. Laurent Und. Magst du Okra. Beate Keine Ahnung. Laurent Probier mal. Beate Der erste Kuss. Der war unglaublich. Laurent Ich hab meine Eltern seit acht Jahren nicht gesehen. Beate Und. Vermisst du sie. Laurent Probier mal. Beate Zwischen seinen Zähnen eine grüne Schale. Meine Zunge in seinem pinken Mundwinkel. Laurent Unglaublich. 16. Beate Im Bergdorf. Eine Tüte Gras verloren in den Händen des Türstehers. Teenager getrennt mit Ellenbogen. - 87 Dampf im Auge. Neonlicht. Ich hatte alles vergessen. Das Klappstuhlgefühl. Dass es tödlich sein könnte oder unendlich traurig nicht ins Bergdorf zu kommen. Ich sah Fred. Den blinden DJ. Er hielt seinen Kopf schief. Als gäbe es Augenlicht in dieser Diskoluft. Keine Ahnung was ich hier suchte. Ich dachte den Namen von gestern. Laurent. Ich dachte daran nach Hause zu fahren. Bisschen Fernsehen paar Erdnüsse vielleicht ein Fußbad. Das wäre ein gelungener Abend. Dann hat mich eine Hand am Ellenbogen berührt. Ich warte einen Moment. Schwarz vor Augen. Weißer Rauch in Mund und Nase. Ein Laser trifft meinen Handballen. Für einen Moment absolute Stille. Absolutes Nichts. Langsam dreh ich mich um. 17. Laurent Hellrote Sauce dunkelbraunes Fleisch. Unter einem Süßkartoffelmaniokknollenberg. Scheint die Paprika raus und die Okra wie grüne und rote Salamanderreste. Sie isst drei Löffel. Nach dem dritten kann sie mit der Zunge die Haut am Gaumen lösen. Beate Ich blute im Mund. Laurent Du musst mit Reis ablöschen. Beate Ich blute du Arsch. Laurent Und du. Würdest du mich vermissen. 18. Beate Sein dunkles dunkles Gesicht. Die helle Sichel am Ohr. Rosa die Lippen. Sein Haar ein gelber Helm im Schwarzlicht. Seine Jeans eng. Unten Springerstiefel. Das T-Shirt so weiß wie eine Schäfchenwolke über der Elfenbeinküste. Bisschen affig. Dein Outfit. Laurent Schön dich zu sehen. - 88 Beate Mein Lächeln braucht zwei Minuten. Dann ist es da. Wunschlos. Breit. Auf meinen Lippen in meinem Blick in meinem Blut. Die Musik ist lauter geworden. Härter. Er sagt was. Was. Du musst lauter reden. Laurent Raw Garage. Beate Dann haben wir uns geküsst. Und ich wusste. Ich wusste es gäbe nie Worte. Die mein Glück beschreiben konnten und meine Angst. Ich wusste jedes Wort wäre ein Witz. Jeder hätte gelacht. Auch ich. Ich hätte gesagt wir waren unter Wasser. Meine Lippen in Seide. Seine Finger über meinen Nacken gezogen. Wie ein Boot durch weiches Wasser zieht. Ich hatte von Anfang an Angst ihn zu verlieren. 19. Laurent Als sie aufsteht in der warmen Küche hat sie kein Gefühl mehr in den Beinen. Beate Gift. So was hat man schon gehört. So was kommt vor. Mann kann es nicht wissen. So gut kennen wir uns noch nicht. Laurent Sie spürt die Wärme. Erst in der Stirn dann im Nacken. Sie fließt über die Wirbelsäule zurück in die Beine. Beate Dein Eingeborenenfraß hat mir den Mund aufgerissen. Laurent Ich hab sie getragen. Durch die Küche in ihr Zimmer ins Bett. Es geht ihr gut. Ihre Mundhöhle ist warm nicht zerbrochen. In ihrer Kehle schlafen Erdnüsse. Wein im Atem. Meine Hand klebt auf ihrer Stirn. Beate Bild dir nichts ein. Laurent Onkel Armand hat mir das alles mitgebracht. Den Wein und die Okra. Beate Willst du mich vergiften oder was. - 89 Laurent Er hat meine Eltern auf Fogo besucht. Beate Mir ist heiß. Laurent Meine Eltern sind Friseure. Beate Merkst du nicht wie heiß mir ist. Laurent Sie haben einen Salon. Zwei Stühle am Fuß des Vulkans. La Coiffure d’eternité. Beate Laurent. Laurent Frisur der Ewigkeit. Beate Küss mich. Laurent Sie sind 63. Alle beide. Sie haben magische Hände. Barbierpfoten. Sie schneiden flechten zwirbeln rollen glätten toupieren. Rasieren Sterne in den Nacken. Implantieren Magma in die Kopfhaut. Sie haben das nie gelernt. Sie sind damit zur Welt gekommen. Sie sind Zauberer. Haarpoeten. Die einzigen Friseure der Insel. 20. Beate Warum ich nicht aufgehört hab zu kiffen. Ich glaube ich hätte es nicht verkraftet. Den nüchternen Zustand. Im nüchternen Zustand wär mir alles zu groß geworden. Die Liebe das Glück und das Fremde an ihm. Ich hatte tausend Fragen. Wie war das dort auf deiner Insel. Sehen da alle aus wie du. Wer sind deine Eltern. Hast du in Holzhütten geschlafen. Gibt es dort Antilopen auf deiner Insel. Malaria. Regenzeiten. Hast du kein Heimweh. Nichts davon hab ich gefragt. Ich saß neben ihm als zwei Typen in der U-Bahn eine Banane in seinen Schoß geworfen haben. Er hat kein Wort gesagt. Er hat von Partys erzählt von der Schule. Von Gästelisten. Einer Jacke die er sich kaufen wollte. Wir waren sieben Wochen zusammen. Von Fogo hat er nie erzählt. In seiner Wohnung hab ich einen Papierstapel entdeckt. Neben dem Telefon. Spendenmaterial. Prospekte. Statistiken Unterschriftensammlungen. Was ist das. Laurent Westafrikakram. - 90 Beate Erzähl mal. Laurent Ist nicht von mir. Ist von Albert. Beate Wer ist Albert. Laurent So ein Streber von der Schule. Ein AG-Heini. Hat die AG Hilfe für Westafrika gegründet. Beate Ist doch interessant. Laurent Kannst gerne Alberts Nummer haben. Beate Willst du dass ich da irgendwo unterschreibe. Laurent Ich will mit dir schlafen. Beate Ich aber nicht. Noch nicht. Laurent Warum nicht. Beate Ist doch noch Zeit. Das hab ich gesagt. Eine Woche bevor er für mich gekocht hat. Ist doch noch Zeit. 21. Laurent Mein Onkel ist letzte Woche aus Fogo wiedergekommen. Beate Das ist doch jetzt egal. Laurent Meinen Eltern geht s nicht gut. Beate Gibt s da keine Ärzte auf deiner Insel. Laurent Das ist ein einziger Vulkan. Beate Ich will dich küssen. Laurent Meine Eltern leben zu nah dran. Sie atmen Erde trinken Rauch. Mein Vater hat einen Lavaschlauch keine Lunge mehr. Sein Atem ist lauter als die Trockenhaube. Meine Mutter säuft Wein und singt. Und spuckt schwarze Steine in die Haare ihrer Kunden. Mein Onkel war da. Er sagt der Salon verkommt. Die ganze Insel verkommt. Die Leute haben Läuse in den Haaren. Überall Rasiermessernarben. Nichts glänzt mehr. Nichts. - 91 Beate Hör doch auf mit dieser Fogoscheiße. Laurent Die brauchen einen Friseur da. Beate Hör auf damit. Laurent Die brauchen mich da. Beate Dich. Laurent Ich muss da hin. Beate Nach Fogo. Laurent Ja. Beate Hör doch auf mit dieser Scheiße. Laurent Ich muss den Salon übernehmen. Beate Du bist kein Friseur. Guck dich doch an. Laurent Ich hab das geerbt. Die Hände. Ich werd mein Haar entfärben. Beate Hör auf. Laurent Das sind meine Eltern. Beate Du kennst sie doch gar nicht. Laurent Die brauchen mich da. Beate Ich brauch dich hier. Laurent Wo gehst du hin. Beate Pudding holen. Laurent Komm her. Beate Warum. Laurent Ich will mit dir schlafen. Beate Verpiss dich. Laurent Sie geht in die Küche. Ihre Knie sind weich ihre Beine schwer. Sie öffnet den Kühlschrank und muss rülpsen. In ihrem Mund ein Stück Okra. Salz und Schale. Sie schluckt es ein zweites Mal. - 92 Als sie zurückkommt ins Zimmer. Den Pudding fest in der Hand. Bin ich verschwunden. Beate Das ist es. Das ist die ganze Geschichte. Laurent hat für mich gekocht. Mich zum Kotzen zum Weinen zum Fallen gebracht. Mir von Afrika erzählt. Von Friseuren und Vulkanen. Dann hat er sich verpisst. Ich hab den Pudding in eine Schüssel gekippt und gegessen. In gelber Masse fünf Backpflaumen gefunden. An Kakerlaken gedacht und nicht gekaut. Tränen erst bei der letzten der fünf. Die im Hals geblieben ist. Ein Verschluss ein Siegel ein Kakerlakenende. Ich hab ihn nie wieder gesehen. Jemand hat seinen Onkel getroffen. Der hat erzählt. Laurent ist jetzt Friseur auf Fogo. Jemand hat erzählt einen Onkel Armand gibt es gar nicht. Albert hat Laurent in einem Steakhaus in der Innenstadt gesehen. Albert denkt. Laurent ist jetzt Griller. Ich weiß es nicht es ist mir scheißegal. Ich weiß nur er ist weg. Am Fuße irgendeines scheiß Vulkans. Alles was mir von ihm geblieben ist trage ich hier. In meiner Mundhöhle. Die Erdnussbutter die Zitrusküsse. Das Salz und den Schleim. Zimt und Taubenkacke. Er hat gesagt. Ich will mit dir schlafen. Ich hab ihm gesagt. Er soll sich verpissen. Und. Wärst du geblieben. Wenn wir es getan hätten. Laurent Nein. Beate Warum hätt ich es dann tun sollen. Laurent Aus Liebe. Mann. Aus Liebe. 03/2007