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TOBIAS LENARTZ / GERD MÖRSCH / IVEN PASCHMANNS RATTUS NORVEGICUS – EIN BLICK IN DIE SAMMLUNG DAHLMANN HERAUSGEGEBEN VOM LEOPOLD HOESCH MUSEUM DÜREN 2009 2 INHALT Einleitung................................................ 04 Die Kunst der Provokation...................... 14 Tjorg Douglas Beer.................................. 26 Werner Büttner........................................ 28 Zhang Dali.............................................. 30 Michael Deistler....................................... 32 Georg Herold.......................................... 34 Paul McCarthy........................................ 36 Jonathan Meese....................................... 38 Bjarne Melgaard...................................... 40 Stephan Mörsch....................................... 42 Markus Oehlen........................................ 44 Thomas Rieck.......................................... 46 Oliver Ross.............................................. 48 Gerd Stange............................................. 50 Thomas Zipp........................................... 52 Marcuse und der Protest.......................... 54 Impressum............................................... 62 3 RATTUS NORVEGICUS – DIE SAMMLUNG DAHLMANN zu Gast im Leopold-Hoesch-Museum ‚Die Aufklärung konnte das Böse nicht wegblenden. Wo viel Licht ist, erhöht es einfach seine Wattzahl.‘ Veit Loers(1) Warum ist eine Ausstellung mit dem Namen einer Rattenart betitelt und wirbt für sich mit einem schlammbraunen DIN A4 Plakat in dessen Mitte – gerahmt von den Namen der ausgestellten Künstler in goldfarbenen Lettern – jenes Nagetier thront? Ratten sind eine Plage, neben Spinnen der Inbegriff von Ekel und Hässlichkeit, lästige Stammgäste in Mülltonnen und städtischen Grünanlagen. Auch das Plakat erinnert eher an ein Punkrockfestival und die bluttriefende Typographie scheint eine Hommage an Horrorfilmposter der 1950er zu sein.(2) Hat etwa – um bei den Worten Veit Loers zu bleiben – das Böse seine Finger im Spiel? Fangen wir am Anfang an. DIE WANDERRATTE – ERFOLG IM SCHATTEN DER ZIVILISATION Die Wanderratte – lateinisch rattus norvegicus – stammt ursprünglich aus Zentralasien und Nordchina. Sie hat sich wie die Hausratte als Kulturfolger des Menschen in alle Welt ausgebreitet, doch erst ca. 1000 Jahre später als ihre Verwandte. Die ältesten Knochenfunde der Wanderratte in Deutschland werden auf das 9. und 10. Jh. datiert. Im 18. Jh. begann ihr bis heute andauernder Siegeszug im Schatten des Menschen, der zur Verdrängung der Hausratte führte. Bedingt durch die veränderte Lebensweise der Menschen – moderne Häuser und Kanalisation – konnte sich die Wanderratte stark vermehren. In weniger modernen Siedlungen ist ihre Verbreitung dagegen beschränkt. So ist rattus norvegicus noch heute etwa in Afrika nur in Groß- und Hafenstädten anzutreffen. Sie schwimmt sehr gut und findet in der Kanalisation moderner Großstädte ideale Bedingungen vor. In den Laboren der modernen Wissenschaft ist sie als klassisches Versuchstier nicht mehr wegzudenken.(3) Auch aus diesem Grund ist sie dem Labormediziner und Kunstliebhaber Nicolaus Dahlmann bestens vertraut. DER SAMMLER – DIE WILDEN SECHZIGER UND SIEBZIGER JAHRE DES 20. JH. Das ‚Sammeln beginnt, wenn man die Bilder nicht mehr in der Wohnung aufhängen kann‘ definiert bescheiden der Sammler Nicolaus Dahlmann. Ein dynamischer, hochgewachsener Mann in Turnschuhen, dessen Alter erst an der Farbe der Haare erkennbar wird. Der aus Düren stammende Professor wanderte bereits in seiner Jugend über Düsseldorf und Bonn nach Hamburg aus. Die Hansestadt hat es ihm angetan und (1) Veit Loers: Ritter Tod und Teufel, in Ausst. Kat.: Jonathan Meese, Deichtorhallen Hamburg, Verlag Walther König, Köln 2006. (2) Ein schönes Beispiel für diese Gattung sind die Poster des Films ‚Monster on the Campus‘ von 1958, der in Deutschland unter dem Titel ‚Der Schrecken schleicht durch die Nacht‘ zu sehen war. Zahlreiche Filmplakate zu diesem Thema findet man unter www.monstrula.de. Das Dürener Ausstellungsplakat wurde von Tjork Douglas Beer gestaltet. (3) Dass ausgerechnet die wegen der Übertragung von Krankheiten gefürcheteten Nager als Versuchstiere der modernen Labomedizin für die Bekämpfung von Krankheiten eine zentrale Stellung einnehmen, zeugt von den dialektischen Wendungen der Historie. (4) Der listige Titel der Arbeit von Breuste bietet interessante Parallelen zu anderen Kunstwerken in der Sammlung, etwa solche von Beer, Meese und Deistler. Sprachwitz findet sich in vielen Werken der Sammlung. 4 nicht nur seinen rheinländischen Dialekt gefärbt. Auf die Frage, warum er als Sammler nicht den klassischen Weg gehe und alte Meister oder Werke der Klassischen Moderne kaufe, antwortet Dahlmann schlicht und zugleich mit einem frechen Lachen, dass es einfach spannender sei nach vorne, statt nach hinten zu sehen. Dahlmanns Sammelleidenschaft wurde durch eine Collage von Joseph Beuys geweckt. Das war im zuletzt durch zahlreiche Ausstellungen, Filme und Publikationen ausführlich gewürdigten Jahr 1968, erinnert sich der Labormediziner heute. Er habe die damaligen gesellschaftspolitischen Diskussionen und Umbrüche aufgesogen wie ein Schwamm – so Dahlmann – und war fasziniert von der künstlerischen Umsetzung dieser Themen. 1970 folgte der Ankauf einer Arbeit von Hans-Jürgen Breuste. Es handelt sich um ein Werk mit dem Titel ‚Crux Kreuz Leid Kummer‘,(4) das die zu Beginn der 1970er Jahre zunehmend ins kollektive Bewusstsein tretende Umweltverschmutzung thematisiert. Die Arbeit fasziniert den Sammler aufgrund ihrer subtilen Ambivalenz bis heute. Bereits aufgrund seiner Stofflichkeit – das Werk besteht aus Materialien, die die letzten Glieder der Verwertungskette darstellen – vermittelt es die politische Botschaft des Künstlers, betont Dahlmann. Politisches Engagement und ein Interesse an philosophischen Themen waren die entscheidenden Kriterien für sein Interesse und den Abbildung: Ausstellungsplakat rattus norvegicus (2006), Entwurf und Realisierung Tjorg Douglas Beer 5 Kauf der ersten Werke. Hinzugekommen sind Witz, Humor und kunsttheoretische Relevanz. Er schätzt die inspirative Kraft der Kunst und spricht von persönlicher Faszination und inneren Grundmelodien, die ihn – wenn sie von einem Kunstwerk angesprochen werden – zum Kauf bewegen. Es waren vor allem kleine, dem Budget und der Größe des Studentenzimmers entsprechende Kunstwerke, die Dahlmann während seines Medizinstudiums erwarb. ‚Im Gegensatz zu heute war das Wort Wertsteigerung damals noch verpönt‘, kommentiert er lachend die heutige Kunstszene.(5) Doch in den 1970er Jahren ließen Familiengründung und wissenschaftliche Karriere zunehmend weniger Spielraum für die begonnene Sammelleidenschaft und das Verfolgen aktueller Positionen. Hinzu kamen kommerzielle, oberflächliche Tendenzen im Kunstmarkt, erklärt Dahlmann aus heutiger Perspektive diese Atempause. Seit dem Ende der 1990er widmet er sich wieder intensiv seinem Interesse an und dem Sammeln von zeitgenössischer Kunst. Freundschaften zu Künstlern, regelmäßige Ausstellungsbesuche und Akademierundgänge entflammten die Sammelleidenschaft von neuem. Auch der inzwischen historische Blick auf die Kunst der 1960er und 1970er Jahre – der in den zahlreichen großen Retrospektiven des letzten Jahrzehnts ermöglicht wurde – hatte großen Einfluss, berichtet der Sammler. Inzwischen zählt die Sammlung über 300 Werke und Dahlmann möchte nach wie vor nicht bestimmte Künstler, sondern in die Breite sammeln. KAUFEN HEISST FÖRDERN, AUSSTELLEN AUCH – KUNST DARF NICHT IM DEPOT SCHMOREN Das Fördern junger, noch nicht in Kunstszene und -markt etablierter Positionen bedeutet für Dahlmann – wieder eine Parallele zum umtriebigen Nager, der für seine große, äußerst effiziente Sorge um den Nachwuchs bekannt ist – neben dem Ankauf einzelner Arbeiten vor allem das Präsentieren der Werke. Einerseits ermöglicht der Sammler jungen Künstlern durch Ankauf und Präsentation ihrer Werke den Einstieg in den Kunstmarkt, andererseits unterstützt er auch ältere, weniger etablierte Positionen. Dahlmann beweist Treue durch regelmäßige Ankäufe und deren Präsentation im Zusammenhang mit den prominenten ‚Zugpferden‘ der Sammlung. In diesem Sinne stellte Dahlmann zunächst regelmäßig Teile der Sammlung an seinem Arbeitsplatz in Hamburg aus. Natürlich kann man hier protestieren und fragen, ob ein solcher Ort wohl der richtige (5) Im Sinne dieses Seitenhiebs auf die Kunstszene kann auch das in Düren ausgestellte Bild Georg Herolds ‚Ohne Titel‘ (Kaviarbild) von 1990 verstanden werden. Die 1980er Jahre waren durch eine ähnliche Spekulations- und Kauflust auf dem Kunstmarkt gekennzeichnet wie die heutige. (6) Weitere Indizien für das idealistische Engagement des Sammlers sind kleine, bewusst ohne großes Aufsehen vollzogene Spenden für Ausstellungsprojekte und Kunstpreise. Den nach der ersten Ausstellung in Hamburg benannten Meilenstein-Preis vergibt Dahlmann in Kooperation mit dem Leopold-Hoesch-Museum regelmäßig an junge Künstler. Verbunden mit einer Einzelausstellung wurde er zuletzt 2008 an die in Berlin lebende koreanische Künstlerin SEO verliehen. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: SEO – The cologne paintings. (7) Ähnlich den staatlichen Zulagen für Wohnungsbau und -erwerb förderten die Peills ihre Arbeiter und Angestellten beim Kauf von Kunstwerken durch Zuschüsse. Mehr Informationen hierzu findet man im Ausstellungskatalog der Günther-Peill-Stiftung (1993) in einem Beitrag von Thomas Deecke (Günther und Carola Peill, S. 12f.). Das Ausstellen am Arbeitsplatz hat sich inzwischen längst zu einer vor allem bei großen Unternehmen weit verbreiteten Strategie beim Umgang mit Sammlungen etabliert. Ein gutes Beispiel hierfür ist u. a. die 2006 in Düren einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemachte Sammlung der Provinzial Versicherungsanstalten Rheinprovinz. Eine ausführliche Dokumentation der Sammlung und des Ausstellungskonzeptes findet sich unter www.provinzial-kunst.de. 6 sei. Doch versteht man die ersten Ausstellungsprojekte als das, was sie Dahlmanns Verständnis von Förderung entsprechend sind – idealistisch motivierte Schritte hin zu einer breiteren Öffentlichkeit – erscheint die Frage obsolet. Man kann das Präsentieren am Arbeitplatz – ganz im Gegenteil zur eher rhetorischen Frage nach der Seriosität einer solchen Ausstellung – durchaus als demokratisch motiviertes Mäzenatentum im Sinne der Beuysschen Erweiterung des Kunstbegriffs verstehen. Was wiederum als ein Indiz für Dahlmanns ‚Aufsaugen‘ der Gedanken der 1968er-Bewegung gelesen werden kann.(6) Ein historisches Vorbild für dieses Engagement findet sich in Düren. Carola und Günther Peill versuchten, durch das Aus- und Vorstellen von Kunstwerken am Arbeitsplatz, Angestellte und Arbeiter ihrer Fabriken zur Auseinandersetzung mit und zum Kauf von Kunstwerken zu bewegen.(7) Zugegeben, natürlich haben – prozentual gesehen – nur sehr wenige Mitarbeiter trotz der finanziellen Anreize der Peills tatsächlich ein Kunstwerk erworben. Doch der intendierte, positive Einfluss auf die Gestaltung der Produkte der Firma und auch auf den geistigen Horizont der in der Regel zum ersten Mal mit zeitgenössischer Kunst konfrontierten Mitarbeiter darf nicht unterschätzt werden und bedarf in diesem Sinne einer besonderen Würdigung. Zeitgenössische Kunst ließ und lässt sich nach wie vor trotz fragwürdiger Preisexzesse auf dem Abbildung: Abbildung: Ausschnitt aus: Claudia Liekam: Nicolaus (2002), Sammlung Dahlmann. Links: 7 Kunstmarkt schwer vermitteln. Von Rodins ‚Balzac‘(8) zu den Dadaisten über Césars ‚Compressions‘(9) und Vostells ‚Ruhender Verkehr‘(10) bis hin zu Kippenberger und Koons – wobei sich die Liste der Künstler beliebig fortsetzen und früher ansetzen lässt – zeigt sich eine Diskrepanz zwischen zeitgenössischer und historischer Kunstrezeption. Besonders deutlich wird dies etwa an den heute heute kanonischen und postertauglichen Impressionisten oder Expressionisten. Vergessen sind die wortgewaltigen Verrisse der zeitgenössischen Kunstkritik, die die jungen Wilden und ihre ungewöhnlichen Bilder verspotteten. So lässt sich die Bezeichnung ‚Impressionismus‘ auf den Kunstkritiker Louis Leroy zurückführen, der 1874 in einer Ausstellungsbesprechung Claude Monet als ‚Impressionisten‘ beschimpfte, weil er sich wie seine Kollegen nur mit ‚flüchtigen Augenblicken‘ statt ewigen Wahrheiten beschäftige. Zugespitzt könnte man sagen, dass es geradezu ein Kennzeichen progressiver Kunst ist, in ihrer Zeit verkannt zu werden. Doch wollen wir uns hier nicht weiter in Klischees verstricken. Den Vorbehalten gegenüber zeitgenössischer Kunst entsprechend waren auch in der Hamburger Klinik die Reaktionen auf die ausgestellten Werke meist zurückhaltend bis ablehnend. Doch wurde ein Kunstwerk dann einmal ausgetauscht – berichtet Dahlmann augenzwinkernd – wurde es plötzlich vermisst. Ähnliches berichtet auch der Sammler Heinz Berggruen in seinen Erinnerungen.(11) EIN ERSTER MEILENSTEIN IN HAMBURG 2005 präsentierte Dahlmann seine Sammlung erstmalig einer breiteren Öffentlichkeit unter dem Titel ‚Meilenstein‘ im Kunstverein HamburgHarburg. Das Konzept dieser ersten großen Ausstellung vereinte einen Überblick auf die frühe Sammlungsgeschichte mit der gegenwärtigen Situation und einem Ausblick auf die Zukunft. Einerseits wurden vor allem Arbeiten der Fluxus-Bewegung von Künstlern wie Beuys, Vostell und Staeck gezeigt. Andererseits war neben einigen Vertretern aus den (8) Die Bronzeskulptur wurde vom frz. Verein zur Förderung der Literatur 1890 in Auftrag gegeben, Rodins Entwurf jedoch entrüstet abgelehnt. 1893-98 wurden mehrere Vor- und Zwischenstufen ausgeführt. Balzac wird in langer zeitloser Kutte dargestellt, was auf Kritik und Ablehnung des Salons stieß. Erst nach einem jahrelangen Kampf fand man für die inzwischen als Meisterwerk Rodins anerkannte Skulptur einen angemessenen Standplatz in Paris. (9) Der französische Künstler César provozierte 1960 mit seinen ‚Compressions‘ genannten, zusammengepressten Autos einen handfesten Skandal während der Pariser Kunstmesse. Inzwischen schmücken zahlreiche Compressions die Strandpromenade von Marseilles. (10) Unter wütenden Protesten von Passanten betonierte Vostell 1963 ein vor einer Kölner Galerie parkendes Auto ein. Nach einer der Rodinskulptur in nichts nachstehenden Odyssee durch die Stadt Köln befindet sich das von den Passanten in der Regel unbeachtete bzw. als solches nicht erkannte Kunstwerk auf der vielbefahrenen Ringstraße. (11) ,Eines Tages – in den späten fünfziger Jahren – erwarb ich ein wichtiges, großformatiges Bild von Picasso, ein Portrait von Dora Maar. (...) Es schien mir das ideale Bild für den Platz über dem Kamin in meiner Wohnung. Ich ließ es mir nach Hause bringen und bat Jeanne, mir beim Aufhängen zu helfen. Jeanne war entsetzt. Sie fand das Gemälde brutal, geradezu abstoßend. Sie konnte es nicht fassen, daß ich mit solch einer ‚Scheußlichkeit’ leben wollte. (...) Vier, fünf Monate später trat das ein, was ich mir Jeanne zum Trost ausgedacht hatte. Ein amerikanischer Sammler kam zum Mittagessen (...), begeisterte sich für den Picasso und wollte ihn kaufen. Schweren Herzens entschloß ich mich zu diesem Schritt, und ein paar Tage später erschienen die Transporteure (...). Als die Männer sich im Wohnzimmer zu schaffen machten, trat Jeanne aus der Küche (...) mit Tränen in den Augen. ‚Aber Jeanne, was ist denn?’ fragte ich. ‚Das Bild – kommt es denn weg?’ ‚Es ist verkauft, Jeanne.’ Sie war bestürzt. ‚Ein so schönes Bild, Monsieur!’.’ Berggruen, Heinz: Hauptweg und Nebenwege. Erinnerungen eines Kunstsammlers, Berlin 1996, S.138f. 8 Abbildung: Abbildung: Blick in den Ausstellungsraum, imVordergrund Plakat des anlässlich der Ausstellung Zhang Dali: 100 chinese (2002) veranstalteten Punk-Rock-Konzertes 9 1980er Jahren eine kleine Auswahl an Neuerwerbungen von Künstlern wie Amouzou Glipka, Burkhard Held, Franziska Hufnagel, Kailiang Yang, Martha Soares, SEO und Stephan Kaluza zu sehen. Die hohe Besucherzahl und das durchweg positive Medienecho bestärkten den Sammler in seiner Leidenschaft und dem Willen, seine Sammlung regelmäßig einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren. Von da an war der Weg zurück nach Düren, in das prunkvolle Museum seiner Kindheit, nicht mehr weit. Dahlmanns Idealismus und Engagement stehen in guter Tradition des bürgerlichen Kulturengagements der ehemaligen Stadt der Millionäre.(12) Zuletzt bereicherte der aus Düren stammende, in Düsseldorf und international zu Ruhm gelangte Galerist Hubertus Schoeller mit der nach ihm benannten Stiftung die Kultur seiner Heimatstadt.(13) Und ohne die großzügige Unterstützung der bereits erwähnten Mäzene und der nach ihnen benannten Günther-Peill-Stiftung wäre die bereits von Beginn an konzipierte Erweiterung des Museums nicht möglich gewesen. DER NÄCHSTE SCHRITT Im Leopold-Hoesch-Museum Düren wurde im Herbst 2006 erstmals ein umfangreicher, auf die jüngere Sammlungsgeschichte fokussierter Blick ermöglicht. Die Ausstellung ‚rattus norvegicus‘ bespielte den gesamten linken Flügel des historischen Obergeschosses. Nach der Hamburger Überblickschau wurde nun eine thematischer orientierte Abbildung: Blick über das opulente Treppenhaus auf den linken Flügel des historischen Obergeschosses des Leopold-Hoesch-Museums. Dort wurde die Ausstellung rattus norvegicus 2006 präsentiert. (12) Diesen stolzen Titel erwarb die reiche Industriestadt gegen Ende des 19. Jh. (13) Die zum 100jährigen Bestehen des Leopold-Hoesch-Museums 2005 erschienene Festschrift bietet einen umfangreichen Überblick auf die Geschichte des Hauses und seiner Sammlungen. Zahlreiche andere Stiftungen bereichern neben den hier genannten das Museum seit seiner Gründung und ermöglichen bis heute Ankäufe und die Realisierung von bedeutenden Ausstellungsprojekten. 10 Abbildung: Plakat des anlässlich der Ausstellung veranstalteten Punk-Rock-Konzertes Abbildung: Blick in den ersten Raum der Ausstellung rattus norvegicus. An der Wand ein Werk von Werner Büttner: Die justitialen Probleme der Schöpfung künden von ihrer Schönheit (1983). Die Worte ‚IHR MUSEUM‘ sind Teil einer Installation von Bettina Pousttchi (2005). 11 Auswahl bestehend aus 31 Werken präsentiert. Die Künstlerliste war ebenso umfangreich wie prominent besetzt und ließ Liebhaber gefälliger Kunst nichts Gutes ahnen. Womit wir wieder beim einleitenden Gedanken vom Bösen wären. Denn Künstler wie Tjorg Beer, Werner Büttner, Paul McCarthy, Georg Herold, Jonathan Meese, Gerd Stange oder Thomas Zipp stehen nicht gerade in Verdacht, mit ihren Arbeiten das klassisch Gute und Schöne zu feiern. Ganz im Gegenteil scheint ein gemeinsames Anliegen dieser Künstler eine Vorliebe für die oft absurd-hässliche Realität und der Protest gegen diese zu sein. Erinnern wir uns an Dahlmanns Begründung für den Kauf der ersten Werke – politisches Engagement und Interesse an philosophischen Themen – deutet sich eine konzeptionelle Linie, ein roter Faden innerhalb der Sammlung an. Es gibt viele Versuche, einen gemeinsamen Nenner dieser Positionen, einen sie treffend abbildenden Begriff zu finden: Neo-Dadaismus, Junge oder auch Neue Wilde, Neue Gegenständlichkeit, Berliner Realisten, Protest- oder gar Politkunst. PUNK – DIE WUNDERSAME METAMORPHOSE DER WANDERRATTE Hier schließt sich der Kreis und führt zurück zur Anfangsfrage ausgehend vom Titel und dem ungewöhnlichen Plakat der Ausstellung in Düren. Die Wanderratte hat in der jüngeren Kulturgeschichte die Bedeutung eines Symbols für Protest und Rebellion gewonnen. Angesichts ihres traditionell negativen Bildes, wie es einleitend angedeutet wurde, kann zurecht von einem überraschen Wandel gesprochen werden. Die hässliche, die teuflische Pest übertragende Ratte – wunderbar klassisch in dieser Rolle ist sie noch 1979 in Werner Herzogs ‚Nosferatu - Phantom der Nacht‘(14) zu sehen – ist seit Mitte der 1970er Jahre zur Ikone einer Jugendbewegung geworden: Punk. Punk bezeichnet eine Jugendkultur, die Mitte der 1970er in New York entstand und bald danach international und besonders in London einen Höhepunkt erlebte. Es handelt sich ursprünglich um eine Subkultur, deren Anhänger sich durch eine rebellische Anti-Haltung, Verweigerung, nonkonforme Kleidung und Verhaltensweisen auszeichneten. Das Wort Punk ist – wie so oft – älter als allgemein vermutet wird. Bereits Shakespeare bezeichnet mit ihm eine Prostituierte(15) und ausgehend von der Definition ‚faules Holz‘ ergeben sich weitere Bedeutungen. Im Englischen bezeichnet Punk allgemein etwas Niedriges, Minderwertiges oder auch Unsinn. Auf Personen bezogen reicht die Bandbreite von Anfänger über Strolch, Kleinkrimineller, Landstreicher bis hin zu Abschaum und Dreck. In diesem Sinne entwickelte sich die Ratte zur Ikone der Punkbewegung in den 1980er Jahren, war Symbol für Protest, Provokation und subversive Systemkritik. Ein Bedeutungswandel findet aber dementsprechend nicht statt, denn die Ratte wird gerade durch diese negative Konnotation zur Ikone der Punkbewegung. Das Tier spiegelt die Sicht der Gesellschaft auf die Außenseiter und Verweigerer, die sich mit ihm zugleich ironisch als solche stilisieren. (14) Herzogs liebster Feind Klaus Kinski spielt in Nosferatu die Figur Dracula. ‚Der Tod ist nicht alles. Es gibt Schlimmeres‘, sagt Kinski an einer zentralen Stelle des Films – er meint das Leben. (15) In seinem Stück Maß für Maß (1604). 12 Viele der in Düren gezeigten Kunstwerke lassen sich vor dem hier nur angedeuteten Hintergrund erschließen. Und so trug die Ausstellung 2006 nicht von ungefähr den Namen der dem Labormediziner Dahlmann bestens vertrauten Spezies. Neben einer Arbeit von Michael Deistler ist auch das erste Album (1977) der bis heute einflussreichen englischen New Wave Gruppe ‚The Stranglers‘ nach ihr benannt – rattus norvegicus.(16) G.M. Abbildung: Ausschnitt des von Jamie Reid gestalteten Covers für die Single ‚God Save the Queen‘ der Band ‚Sex Pistols‘ aus dem Jahre 1977. (16) Der eigenwillige Musikstil der Stranglers, der meist als New Wave bezeichnet wird, obwohl er auch deutliche Punk- und Psychedelic-RockElemente aufweist, sorgte für Aufmerksamkeit. 1977 konnten sie bereits drei Singles in den britischen Top Ten platzieren. Die Stranglers provozierten mit ihren Äußerungen, Auftreten und Texten, die ausländer- und frauenfeindlich zu sein schienen. Tatsächlich handelte es sich aber um eine zynische wie ironische Entlarvung des gesellschaftsimmanenten Rassismus und Sexismus – Kunst als Spiegel der Gesellschaft. Abbildung: Plakat des anlässlich der Ausstellung veranstalteten Punk-Rock-Konzertes 13 DIE KUNST DER PROVOKATION Eine kleine Kurzgeschichte des Tabubruchs Aus zeitgenössischer Perspektive erscheint die Geschichte des Tabubruchs oder Skandals in der Kunst der westlichen Kulturen zunächst eng verbunden mit dem Phänomen der industriellen Massengesellschaft, wie sie sich in Europa im Laufe des 19. Jh. entwickelte. Doch muss man sich wie so oft nur seines zeitlich wie kulturell beschränkten Erfahrungshorizontes bewusst werden, um dessen Grenzen überschreiten und sich so dem Kern der Dinge nähern zu können. Bei genauerer historischer Analyse lassen sich die Phänomene der Massenkultur sicher nicht erst in antiken Metropolen wie Rom konstatieren.(1) In diesem Sinne soll hier kurz stellvertretend an einen prominenten antiken ‚Punk‘ erinnert werden. Er war von Beruf Philosoph, ein Kyniker(2) um genau zu sein. Sein vermeintlich rotzfreches Verhalten gegenüber einem der größten Kriegsherren der Antike ist uns noch heute als Redewendung vertraut: ‚Geh mir aus der Sonne!‘ sprach Diogenes von Sinope.(3) Er war ein brillianter, von seinen Zeitgenossen als ‚Hund‘ beschimpfter Denker, der im Sinne einer nicht kurzfristig gedachten Kulturgeschichte als einer der geistigen Urväter der Punk-Bewegung verstanden werden kann. Der Hintergrund der berühmten Redewendung ist die folgende, auf Plutarch und Cicero zurückzuführende Anekdote. Sie hat sich über die Jahrtausende tief ins kollektive Gedächtnis europäischer Kulturen eingeprägt und ist aufgrund ihrer Aussagekraft und unzähligen ihr gewidmeten Miniaturen, Gemälden und Stichen bis in die Gegenwart präsent: Der Bettler im Fass und der antike Herrscher im Gespräch.(4) Diogenes hatte sich bewusst für das Leben eines Bettlers entschieden. Als er eines Tages von Alexander dem Großen auf der Straße angetroffen und gefragt wurde, was er sich wünsche, antwortete Diogenes ihm schlicht, er solle ein wenig zur Seite treten – das war auch schon alles. Alexander wohlgesinnte Historiker berichten, der Feldherr habe wie folgt geantwortet: ‚Wäre ich nicht (1) Francesco Vezzolis Video ‚Caligula‘ aus dem Jahre 2005 bietet sich für einen Diskurs zu diesem Thema an. Das Werk des Künstlers ist eine Täuschung, ein prominent besetzter, kinotauglicher Trailer für einen Film, der nicht existiert: Das Remake des Ende der 1970er Jahre entstandenen ‚Caligula‘-Films. Dieser Film war eine groteske Melange aus Kolportage und Pornografie, subtile Dekadenz fürs Auge. (2) Auch die griechische Kultur kannte Dresscodes. So wie Tatoos, Irokesenschnitt, Sticker, Sicherheitsnadeln und die Ratte auf der Schulter den Klischee-Punk der frühen 1980er kennzeichneten, hatten auch die Kyniker eindeutige Erkennungszeichen: Wanderstab, Rucksack und Essensschale. Sie symbolisierten zugleich die Grundprinzipien des Kynismus – Kosmopolitentum, Autarkie, Bedürfnislosigkeit und freie Rede. Dass Diogenes ein Extremist im positiven Sinne und kein Freund fauler Kompromisse war, bezeugt auch eine weitere Anekdote: Diogenes besaß nur eine Schale zur Nahrungsaufnahme. Doch als er sah, wie ein Hund aus einer Pfütze trank, warf er auch die Schale weg. Andere Quellen berichten, er habe einem Knaben abgeschaut, dass man auch aus der hohlen Hand trinken kann. Wichtig ist jedoch die Tatsache, dass der Philosoph wie der spätere Ordensgründer Franziskus aus einer hohen Gesellschaftsschicht stammte – die Anekdote kann vor diesem Hintergrund auch als Hinweis auf seine Herkunft verstanden werden. (3) Er lebte ca. 395 - 323 v. Chr. (4) Woher das sich zum Symbol für Diogenes entwickelte Motiv des Bettlers im Faß stammt und die Frage, ob es sich tatsächlich um eine von ihm ‚gelebte Szene‘ handelt, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Beispielhaft für das Motiv ist ein Meisterwerk aus der Sammlung des Kölner Wallraf-Richartz-Museums: ‚Alexander und Diogenes‘ (um 1630) von Gaspar de Crayer. 14 Abbildung: Ausschnitt aus: Adolph Menzel: Alexander sitzt neben Diogenes in der Tonne auf einer Steinbank (aus Illustrationen zu den Werken Friedrichs des Großen), 1846-1857, Quelle: ArteMIS, Ludwig-Maximilians-Universität, München. 15 Alexander, wollte ich Diogenes sein!‘(5) Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt... Wie schroff Diogenes die Geste des makedonischen Königs auch abgelehnt haben mag, sei ebenso wie die Glaubwürdigkeit der Reaktion Alexanders an dieser Stelle dahingestellt.(6) Wir bevorzugen die freche Variante, da sie Diogenes Ruf und der nach ihm benannten Philosophie-Schule gerechter wird. Seine unkonventionelle Lebensweise brachte dem Philosophen - hier zeigt sich die Parallele zum postmodernen Punk langsam – den Spottnamen ‚Kyon‘ – Hund – ein. In dieser Tradition nannte man die Anhänger seiner Philosophie zunächst pejorativ Kyniker – Hunde. Sie trugen die Bezeichnung wie ihre Geistesverwandten gegen Ende den 20. Jh. jedoch mit Stolz. Denn ‚die Missachtung sozialer Normen und Schranken, seine Suche nach dem persönlichen Glück im Privaten und nicht in der Ordnung der Polis‘(7) kennzeichnet das die Eigenverantwortlichkeit des Menschen betonende Konzept des Philosophen. Die Missachtung sozialer Normen und Schranken ist auch in der Kunst ein Kennzeichen eines in allen Epochen vorhandenen, in der Regel im Nachhinein als Avantgarde bezeichneten Typus von Künstlern. Gerade die mit zahlreichen Normen und Schranken gefesselte Sexualität eignet sich besonders gut für den Tabubruch, wie an dem folgenden Beispiel deutlich wird. Im späten 16. Jh. schuf Agostino Carracci für ein recht exklusives Publikum in der antiken Mythologie angesiedelte, ‚Lascivie‘ genannte Kupferstiche. Sie konfrontierten den Betrachter – den Voyeur – mit eindeutigen Sex-Szenen. Diese für viele sicher überraschend drastischen Darstellungen von Sexualität aus der frühen Neuzeit, die – wie die Technik bereits andeutet – für eine breitere Öffentlichkeit geschaffen wurden, rufen noch heute ‚verklemmte‘ Reaktionen hervor. Anhand der folgenden Abbildung und einem Vergleich der dem Stich im 20. Jh. verliehenen Titel lässt sich einerseits die Widerstandskraft überlebt geglaubter Normen und Schranken ablesen. Andererseits wird zugleich – im Sinne des Impetus der in den 1960er Jahren ausgerufenen sexuellen Revolution – die ungebrochene Notwendigkeit des Tabubruchs deutlich. Obwohl das von Carracci geschaffene Bild der heimlichen Annäherung und Selbstbefriedigung des Satyrs mit der schlafenden Nymphe eine im Verhältnis zu anderen Stichen der Serie eher ‚zurückhaltende‘ Liebesszene zeigt, scheint es sogar professionelle Kunstbetrachter zu irritieren. Während die einen Kunsthistoriker das Werk und die Geste des Satyrs eindeutig als ‚Schlafende Nymphe mit onanierendem Satyr‘ bezeichnen, verwenden andere den schüchternen Titel ‚Satyr eine schlafende Nymphe betrachtend‘(8) und beschrieben den Stich somit (5) Die Reaktion könnte auch das Ergebnis antiker Imageberater sein, das sich Dank der Macht ihres Auftraggebers im Laufe der Zeit durchgesetzt hat. Zensur und Propaganda haben auch sehr tiefe Wurzeln. Oder um ein wieder in der politischen Gegenwart angesiedeltes, bundesdeutsches Beispiel zu wählen: Wer weiß heute noch, dass Jürgen Rüttgers 1994 Zukunftsminister war? Das aus der Zusammenlegung der Ministerien für Bildung und Wissenschaft sowie Forschung und Technologie neu geschaffene Ministerium sollte die Innovationsfreudigkeit der Regierung symbolisieren und wurde daher als ‚Zukunftsministerium‘ bezeichnet. (6) ‚Geh mir jetzt ein wenig aus der Sonne‘ ist eine mögliche, höflichere Variante der Übersetzung der Lateinischen Variante ‚Nunc quidem paululum (...) a sole.‘ (Cicero, Tusculanae disputationes, V, 92 und Plutarch XXXIII, 14, Diogenes Laertius, VI, 36). (7) B. Zimmermann in: Metzler Philosophen Lexikon, Stuttgart 1995, S. 229. (8) Der demütige oder auch schüchterne Blick des Satyrs und das Lächeln der Nymphe lassen Zweifel an der Tiefe ihres Schlafes und der Heimlichkeit seiner Tat aufkommen. Insgesamt verbreitet das Bild eine sehr ruhige Atmosphäre und gewinnt durch die großen Stoffbahnen einen surrealen Charakter. 16 Abbildung: Ausschnitt aus: Agostino Carracci: Lacivie, 1590-95, British Museum, London, Quelle: Diathek online, Universität Trier. 17 unkorrekt. Dass es sich hierbei nicht um eine Ausnahme handelt, wird an einem weiteren ‚Titelpaar‘ deutlich: ‚Satyr und Nymphe beim Geschlechtsakt‘ und ‚Satyr eine Nymphe umschließend.‘(9) Welche Folgen diese zunächst amüsant erscheinende, in der Regel wohl unbewusste Zensur für die Wissenschaft hat, wird deutlich, wenn man sich die Funktion des Titels als ein wesentliches Kriterium der Beschreibung bewusst macht. Das an den beiden Beispielen aufgezeigte Verschweigen bzw. die falsche Beschreibung des Kunstwerks macht ein Auffinden der Motive in einer auf (Titel-)Schlagworten basierten Bildsuche unmöglich. Vor diesem Hintergrund gewinnt auch das 2006 im Leopold-Hoesch-Museum gezeigte Multiple von Jonathan Meese (‚Lolitadzioz‘, 2001) aus der Sammlung Dahlmann – eine magazinartige Papiercollage mit vielen nackten Körpern – eine weitere Bedeutung: Als ironischer Kommentar Meeses zur vermeintlich aufgeklärten, ‚übersexualisierten‘ Massenkultur begriffen, liefert es zugleich seine Berechtigung für den Tabubruch. Ein Indiz dafür sind die teils entrüsteten Reaktionen von Besuchern auf das Werk. Sie spiegeln die bis heute gültige Sprengkraft des sexuellen Tabubruchs, trotz der Omnipräsenz des Eros in den zeitgenössischen Massenmedien.(10) Für eine kleine, in die nicht allzuferne Vergangenheit reichende Geschichte der Provokation in der Kunst bietet es sich an, in der Mitte des 19. Jh. zu beginnen, natürlich in Paris: Édouard Manets Gemälde ‚Olympia‘ (1863) zeigt eine blendend blasse junge Dame – eine Kindfrau, wie sie etwa in Martin Scorseses Film ‚Taxi Driver‘ (1976) oder Vladimir Nabokovs Skandalroman ‚Lolita‘ (1955) erscheint. Sie liegt nackt auf einem Bett und schaut den Betrachter direkt an. Ihre linke Hand ruht auf ihrem Schoß, während eine schwarze Dienstmagd der Dame schüchtern einen Blumenstrauß darbietet. Schnell ahnt der Betrachter, weniger durch die Nacktheit und die Haltung als durch den ruhigen, aber sehr bestimmten Blick, der auf ihm ruht, dass es sich bei dieser Geste um ein zutiefst unmoralisches Angebot handelt. Doch im Gegensatz zu Scorseses Iris – ein vom Land nach New York geflohenes Mädchen, das in der Straßenprostitution angekommen ist – handelt es sich im Falle Manets um eine ‚Edel-Prostituierte‘, wie das Interieur und die Dienstmagd andeuten. Die Empörung über die offen zur Schau gestellte, verführerische Darstellung einer stadtbekannten Dame aus dem Rotlichtmilieu war enorm. Verstärkt noch durch den Umstand, dass Manet die Prostituierte wie eine Königin in Szene setzt. Der Künstler zeigt sie in der klassischen Pose der Göttin Venus stellt damit alle sozialen und moralischen Wertmaßstäbe und Hierarchien auf den Kopf. Das Werk war ein echter Eklat. Gustav Courbet radikalisierte den Ansatz Manets und präsentierte dem nicht minder schockierten Pariser Salonpublikum seine Vision vom Ursprung der Welt: Das 1866 entstandene Gemälde ‚L‘Origin du monde‘, ein alle Distanzierungsmechanismen der klassischen Aktmalerei sprengendes Werk, ist eine naturalistisch ausgeführte Nahaufnahme des weiblichen Geschlechts – kurz ein echter Skandal!(11) Nur drei Jahre (9) Zur ‚Ehrenrettung‘ der hier zitierten deutschsprachigen Kunsthistoriker sei auf die ebenso neutrale wie falsche Beschreibung des British Museum verwiesen, das das Motiv wie folgt beschreibt: ‚Satyr looking at a sleeping nymph; to right a naked nymph lying on drapery on the ground asleep, with a satyr bending over and looking at her‘ Quelle: Online-Datenbank des Museums. Dabei hatte Carracci selbst mit seinem Titel ‚Lascivie‘, abgeleitet vom lateinischen Adjektiv lascivus (ausgelassen, mutwillig, leichtsinnig, üppig, geil) oder Verb lascivire (übermütig sein, ausgelassen sein, leichtsinnig werden, sich gehen lassen), für die Serie von Stichen recht eindeutig den Kontext der Szenen beschrieben. (10) Im Sinne der Objektivität muss betont werden, dass die Präsentation des Werks in der Vitrine allein seiner Fragilität geschuldet war. Die Erfahrungen des Kurators mit Reaktionen von Besuchern auf andere, vermeintlich pornographische oder sexistische Kunstwerke in verschiedenen Ausstellungen unterstützen jedoch den Aspekt der Schutzbedürftigkeit von an Tabus rührenden Kunstobjekten. (11) Die Chronik der Aufbewahrungsorte und Präsentationsformen des Gemäldes sprechen Bände. Es wurde nicht nur an seinem ursprünglichen Ausstellungsort immer verhüllt aufbewahrt. Im Landhaus des Philosophen und Psychoanalytikers Jacques Lacan, der letzte private Aufbewahrungsort, 18 nach dem Tumult um Manets verführerische Kindfrau ließ Courbet alle ‚Hüllen‘ fallen. Er positionierte das weibliche Geschlecht dem Titel des Bildes entsprechend im Zentrum seiner Komposition. Abbildung: Ausschnitt aus: Edouard Manet: Olympia, 1863, Musée d‘Orsay, Paris, Quelle: Digitale Diathek, Justus-Liebig-Universität, Gießen. Wie eine Antwort auf Courbets Ursprung lässt sich Constantin Brancusis Skulptur ‚Prinzessin X‘ (1916) lesen: Eine sich scheinbar dem Betrachter – dank einem Sockel annähernd auf Augenhöhe – entgegen neigende Frauenbüste.(12) Die Form wurde von Brancusi jedoch so stark abstrahiert, dass sich die empörten Gäste im Pariser Salon des Indépendants mit einem riesigen Penis konfrontiert sahen. Das Kunstwerk wurde umgehend aus der Ausstellung entfernt. Die Zensur verwundert umso mehr, da es sich im Gegensatz zu Courbets Ursprung nicht um eine bewusste Abbildung eines Geschlechtsteils, also eine eindeutige Provokation, sondern nur um ein Missverständnis handelte. (13) Auf dem Wege der radikalen Abstraktion schuf Brancusi ein geniales Sinnbild des vollkommenen Androgynen: Die sich selbst betrachtende Frau hatte sich in einen Penis verwandelt – Philosophie statt Porno. Marcel Duchamp der faule Hund(14), der im Gegensatz zu seinem Freund Brancusi bewusst und eindeutig als dadaistisch-surrealistischer Provokateur auftrat, provozierte ein Jahr später in New York einen weiteren, wohl kalkulierten Kunst-Skandal: Mit seinem intregant inszenierten Readymade ‚Fountain‘ gelang es ihm, die vermeintlich liberale Kunstszene, die die International Exhibition of Modern Art im Grand Central Palace(15) organisiert hatte, vorzuführen. Da hing das Bild hinter einem von André Masson gefertigten ‚Panneau-masque‘ (1955). Dabei handelt es sich um eine Vexierzeichnung, die durch das Nachzeichnen der Umrisse des weiblichen Körpers entstand und als Hügellandschaft gelesen werden kann. Viele Autoren betonen den Einfluss des Gemäldes auf das nicht minder skandalträchtige Spätwerk Marcel Duchamps ‚Étant donnés‘. (12) Als ‚Prinzessin X‘ portraitierte er bereits 1909 eine Frau in Marmor, die sich nach vorne gebeugt im Spiegel betrachtet. (13) Der Phallus ergab sich für Brancusi aus der weiteren Abstraktion der noch eindeutig als weibliche Figur zu erkennenden, gleichnamigen Skulptur von 1909, wie Günter Metken formuliert: ‚Sieben Jahre später bleibt von diesem Inbild des Narzißmus nur noch die Halskrümmung mit der Verdickung des Kopfes und der auch als Gesäß deutbaren Brust.‘ (Metken in: DIE ZEIT, 18/1995) (14) Warum es sich bei Duchamp um einen genialen, philosophisch-motivierten Faulenzer handelt, hat Helen Molesworth aufgedeckt: Work Avoidance – The Everyday Life of Marcel Duchamp‘s Readymades, in: Art Journal, Vol. 57, 4/1998, S. 51 - 61. 19 Duchamps Name in den Avantgardekreisen bereits berüchtigt war, reichte er das Werk – ein abgesehen von der Signatur unverändertes, gebrauchtes Pissoir – unter dem Pseudonym R. Mutt ein. Hinterlistig heizte Duchamp die kontroverse Diskussion über das Werk in dem angeblich juryfreien Kuratorium an, dem er selbst als ‚Hängekommissar‘ angehörte. Der Skandal war perfekt, als man sich entschied, ‚Fountain‘ nicht auszustellen und die juryinterne Debatte darüber in die Öffentlichkeit gelangte.(16) Alles wurde von Duchamp gemeinsam mit seinem Freund Alfred Stieglitz und dem einflussreichen Sammler W. Arensberg geschickt inszeniert. Das Readymade galt schon bald als ein Jahrhundertwerk und Duchamp zurecht als Meister einer in ihrer Vielschichtigkeit kaum absehbaren, subversiven wie humorvollen Kunst. (17) Wieder in Paris ließ sich Duchamp mit tonsurartigem Haarschnitt und Sternrasur am Hinterkopf sowie der obligatorischen Denkerpfeife im Mund portraitieren und nannte die Arbeit später ‚Tonsure de 1919 Paris‘.(18) Eine dadaistische Hommage an den katholischen Klerus?(19) Mit letzterem legte sich kurze Zeit später George Grosz an. Seine den deutschen Militarismus thematisierenden Grafiken sorgten für einen der berühmtesten Justizfälle der späten 1920er Jahre in Deutschland. Eine Abbildung: Ausschnitt aus ‚Tonsure de 1919 Paris‘ von Man Ray, Collection Sylvio Perlstein, Antwerpen (15) Es war die größte bis dahin gezeigte Ausstellung zeitgenössischer Kunst in den USA. (16) Siehe dazu Arturo Schwarz: The complete works of Marcel Duchamp, New York 1969, S. 466f. (17) Hier können nur einige Interpretationsansätze zu ‚Fountain‘ erwähnt werden. Zunächst provoziert das Werk bereits aufgrund seiner – abgesehen von Signatur und ‚Hängung‘ – scheinbar banalen Normalität. Es ist Pissoir, ein Readymade, das die Frage evoziert, ob bereits allein der Sockel (als Stellvertreter des gesellschaftlichen Kontextes) das Objekt zum Kunstwerk macht? Dann das Pseudonym: Richard Mutt kann einerseits als schlicht notwendige Tarnung für das Einschleusen des Werks, die Tarnkappe Duchamps für sein brilliantes Intrigenspiel gegen die New Yorker Kunstszene verstanden werden. Aber Mutt (deutsch: Dussel, Trottel oder passend zu Diogenes auch Köter) ist mehr als der vermeintliche Trottel, dem es mit seinem Kunstwerk gelingt, das begrenzte Kunstverständnis der vermeintlichen Avantgarde zu entlarven. Der Geniestreich besteht darin, dass die Kunstszene sich selbst vorführt, sie hat sich öffentlich ‚in die Hose gemacht‘. Helen Molesworth betont in diesem Sinne, dass Fountain so auf dem Sockel arrangiert wurde, dass einem fiktiven Benutzer sein Urin auf die Füße laufen würde. (Siehe Fußnote 14) Andere Interpreten betonen, das Werk sei – wie sein Name nahelegt – eine Anspielung auf die Vagina. Eine Hommage an Courbets Ursprung? 20 von ihnen zeigt einen mit Gasmaske und Armeestiefeln bekleideten Jesus am Kreuz. Darunter schrieb Grosz die unheilige Verbindung von Kirche und Krieg betreffend: ‚Halt dein Maul und diene weiter‘. Der Strafprozess dauerte drei Jahre. Grosz musste durch drei Gerichtsinstanzen, um schließlich einen Freispruch zu erwirken. Zuvor hatte bereits der ‚Dadamax‘ aus Köln – Max Ernst – die Öffentlichkeit der Weimarer Republik gegen sich aufgebracht, als er 1926 sein Gemälde ‚Jungfrau Maria verhaut den Menschensohn‘ präsentierte.(20) Die in einer pittura metafisica-ähnlichen Architektur angesiedelte Szene lässt aus Sicht der Provokation kaum etwas zu wünschen übrig: Eine mit reichlich weiblichen Formen versehene Heilige Mutter versohlt dem komplett enthüllten Jesuskind mit goldenen Locken so kräftig den Hintern, dass sein Heiligenschein zu Boden fällt. Die Mutter scheint von ihrer Tat völlig unberührt zu sein. Doch durch einen Wandausschnitt hinter ihr wird die ungeheuerliche Tat von drei geheimnisvollen Herren beobachtet. Der Tumult um das Werk und der Inhalt der Kölner Dompredigt nach der Vernissage war heftig.(21) Abbildung: Ausschnitt aus: George Grosz: Hintergrund: Maul halten und weiter dienen, 1927, Quelle: Imago, Berlin. Nicht nur den Klerus provozierten Luis Buñuel und Salvador Dalí mit ihrem 1930 in Paris gezeigten Film ‚L‘Âge d‘Or‘, in dem Max Ernst den Räuberhauptmann spielte. Der Film attackierte in einer bis dahin nicht (18) Tonsur nennt man die geschorene Stelle auf dem Scheitel als Zeichen der Zugehörigkeit zum katholischen Klerus. Es stammt aus dem Lateinischen, tonsura (das Scheren) bzw. tondere (scheren). (19) Andere Quellen beziehen die Tonsur auf einen seiner frühen Texte, Fragmente, die das Drehbuch zum ‚Großen Glas‘ bilden. Dort ist die Rede von einem ‚Scheinwerferkind‘, das Duchamp dieser Theorie zufolge mit einem ‚umgedrehten‘ Komet assoziierte. (20) Das Werk befindet sich im Museum Ludwig in Köln. (21) Das Bild war einer der vielen Aspekte, der das schlechte Verhältnis des Künstlers zu seiner katholischen Heimatstadt Brühl begründete. 21 gekannten, drastischen Blasphemie die Scheinheiligkeit der bürgerlichen Gesellschaft und generierte einen der nachhaltigsten Kunstskandale der Moderne. Nach der bereits tumultartigen Premiere konnte ‚L‘Âge d‘Or‘ nur noch sechs mal im stets ausverkauften ‚Studio 28‘ gezeigt werden. Dann stürmten Rechtsradikale den Kinosaal und zerstörten diesen und die parallel dort gezeigte Ausstellung surrealistischer Kunstwerke. Bereits eine Woche nach dem Gewaltexzess des rechten Mobs wurde für ‚L‘Âge d‘Or‘ ein Vorführverbot erlassen, das in Frankreich erst 50 Jahre später 1981 - aufgehoben wurde. Dalis Gespür für die Produktivität des Skandals und sein enormes Selbstvermarktungstalent – ‚le surrealisme c‘est moi‘ – machen ihn zu einer Ikone der jüngeren Geschichte der Provokation. Seinem nicht nur von Sigmund Freud(22) bezeugten Charme konnten selbst Päpste nicht widerstehen. Sie luden Dali trotz seiner skandalösen Jugendsünden zu Privataudienzen (Pius XII. 1949 und Johannes XXIII. 1959). Schade nur, dass der Künstler sich selbst durch seine offen bekundete Sympathie für den Faschismus disqualifizierte.(23) Letzteres ist wiederum ein Skandal, der weniger öffentlichkeitswirksam war und Dalis Aufstieg zum populären Kunststar der Nachkriegskunst nicht hindern sollte. Im Oktober 1944 genoss Jean Dubuffet im Gegensatz zu den Surrealisten den Schutz der Pariser Polizei. Die Stadt hatte sich gerade erst wieder an Freiheit gewöhnt(24) als Dubuffet zum ersten Mal in der Pariser Galerie Drouin ausstellte. Seine von der Kritik als ‚Strichmännchen‘ verschmähten, in der Öffentlichkeit heftig verissenen Bilder verursachten einen derartigen Skandal, dass sie von der Polizei bewacht werden mussten. Auch Dubuffet war ein bewusster Rebell, er klagte den repressiven Charakter des etablierten Kunstverständnisses an und begründete 1945 das Konzept der Art brut.(25) Francis Bacon dagegen erging es ähnlich wie zuvor Brancusi. Sein düsteres Gemälde ‚Two Figures‘ (1953) zeigt zwei ineinander verschlungene Ringer auf einem weißen, bettähnlichen Grund in einem schwarzen Raum. Das einer Fotografie von Edward Muybridge entlehnte Motiv wurde als eine Darstellung von Homosexualität interpretiert und daher zum Opfer der Zensur. In diesem Sinne befindet es sich auch heute noch in einer Privatsammlung. In Berlin provozierten zu Beginn der ‚wilden‘ 1960er Jahre die Jungen, von der oberflächlichen Scheinheiligkeit der entnazifizierten Wirtschaftwundergesellschaft frustierten, nicht nur mit ihren pandämonischen Manifesten gegen das Schöne und Glatte in der (22) An seinen Freund Stefan Zweig schreibt Sigmund Freud nach Dalis Besuch: ‚Wirklich, ich darf Ihnen für die Fügung danken, die die gestrigen Besucher zu mir gebracht hat. Denn bis dahin war ich geneigt, die Surrealisten, die mich scheinbar zum Schutzpatron gewählt haben, für absolute (sagen wir zu fünfundneunzig Prozent wie beim Alkohol) Narren zu halten. Der junge Spanier mit seinen treuherzig-fanatischen Augen und seiner unleugbar technischen Meisterschaft hat mir eine andere Einschätzung nahegelegt.‘ L. Salber: Salvador Dalí, Reinbek 2004, S. 23. (23) Schon 1938 wurde Dalí wegen ‚Sympathien für den Nationalsozialismus‘ aus der Surrealisten-Bewegung ausgeschlossen und von seinen Kritikern ‚Hofnarr Francos‘ genannt. Dass es sich dabei nicht nur um eine Gegenreaktion auf den bei den Surrealisten verbreiteten Kommunismus handelte, belegen zahlreiche Quellen und Handlungen Dalis. Noch 1975 schickte er dem altersschwachen Franco ein Glückwunschtelegramm anlässlich der Exekution von fünf ETA-Terroristen. (24) Am 25. August kapitulierten die in Paris eingekesselten deutschen Truppen. General von Choltitz war es gelungen, den Befehl Hitlers, nur verbrannte Erde zurückzulassen, zu umgehen. (25) Dubuffet wollte stets ein subversiver Außenseiter sein. Er lehnte es ab, seine Werke zwischen jene der von ihm als ‚Berufskünstler‘ geschimpften Zeitgenossen zu hängen. 22 Abbildung: Ausschnitt aus ‚L‘Âge d‘Or‘ von Luis Buñuel und Salvador Dalí, Quelle: photofest 23 Kunst.(26) Die Werke von Georg Baselitz, der seine 1960 begonnene Bildserie bezeichnenderweise ‚Helden‘ nannte, hielten der jungen Bundesrepublik ihr hässliches Spiegelbild in Form von einsamen, verkrüppelten Geschöpfen vor. Und da war er, der erste große Skandal der deutschen Nachkriegskunst: ‚Schock in der Kunst-Galerie‘ titelte die Bildzeitung am 3.10.1963. Die beiden Gemälde ‚Die große Nacht im Eimer‘ und ‚Der nackte Mann‘ verstörten und empörten die Öffentlichkeit. Denn die monsterhaft erigierten Penisse der verstümmelten Figuren von Baselitz spiegeln den schizophrenen Zustand der ‚Täternation‘, die sich – wie das Verhältnis der riesigen Hände zu den recht kleinen Köpfen andeutet – nur auf den materiellen Wiederaufbau zu konzentrieren schien. Sogar in Köln, das sich zur international bedeutenden Kunstmetropole nahe der kleinen und biederen Hauptstadt der BRD entwickelt hatte, wurde noch 1970 angesichts der Ausstellung ‚happening & fluxus‘ dem Kölnischen Kunstverein gedroht, ‚er werde brennen.‘(27) Mitte der siebziger Jahre dann war der zunächst endgültige Höhepunkt erreicht. ‚Pop-Art – Neuer Realismus – Conzept-Art – Land-Art – Op-Art‘ steht auf dem Zettel, der neben der noch weißen Leinwand hängt, aber ‚Wo stehts Du mit deiner Kunst Kollege?‘, fragte Jörg Immendorf auf seinem gleichnamigen Gemälde von 1973. Ein Jahr später gelang der US-Künstlerin Lynda Benglis mit einer listigen Aktion in dem renommierten Kunstmagazin ‚Artforum‘ ein Skandal, der die nach wie vor von Männern dominierte Kunstszene im wahrsten Sinne des Wortes erregte. Für 3000 Dollar schaltete sie eine doppelseitige Abbildung: Ausschnitt aus ‚rattus norvegicus‘, LP-Cover © The Stranglers / EMI (26) Georg Baselitz und Eugen Schönebeck verfassten 1961 zusammen das (später so genannte) 1. Pandämonische Manifest, worin sie sich gegen die etablierten modernen Kunstformen auflehnten. 1962 folgte das 2. Pandämonische Manifest (das eigentliche Pandämonium). (27) Die Ausstellung wurde geschlossen und ohne die heftig umstrittenen Positionen von Hermann Nitsch und Otto Mühl neu eröffnet. (28) Lynda Benglis, ‚Artforum Advertisement‘. (29) Das SO36 startete im August 1978 mit dem zweitägigen Mauerbaufestival seinen Betrieb als alternativer Veranstaltungsort in Berlin. Das Festival war eines der ersten großen NDW-Festivals. Doch bereits nach wenigen Monaten drohte der Konkurs und Martin Kippenberger und Andreas Rohe übernahmen die Leitung. Sie suchten einen Brückenschlag zwischen Punk, New Wave und Kunst, wie er im Düsseldorfer ‚Ratinger Hof‘ gelungen 24 Anzeige und präsentierte sich darin vollkommen nackt, während sie einen überlangen Penis vor ihr Geschlecht hielt und sich somit ironisch in einen Künstler verwandelte.(28) In der ‚freien Stadt Berlin‘ traf sich die nächste Generation junger Rebellen nach Baselitz und Lüpertz: Martin Kippenberger und die in der Sammlung Dahlmann vertreteten Künstler Georg Herold, Markus Oehlen und Werner Büttner sind ihre prominentesten Protagonisten. Ihre Kunst kennt keine (Gattungs-)Grenzen mehr. Sie gründen neben Bands auch Ligen wie jene zur Bekämpfung widersprüchlichen Verhaltens, das Zentralorgan der Liga Dum Dum oder eine Samenbank für DDR-Flüchtlinge. Doch über bissigen Humor hinaus ist die Auseinandersetzung dem gesellschaftlichen Klima in der BRD entsprechend härter geworden. Die Kunst befindet sich, wie das Scheitern des als ‚Konsumscheisse‘ verurteilten Programms Kippenbergers im SO36(29) beispielhaft zeigt, inmitten der Kämpfe einer nicht nur am atomaren Abgrund tanzenden Gesellschaft. Wie in den 1920er Jahren spiegelt sie den Nihilismus der von Konsumismus, Rezession und dem Glaubwürdigkeitsverlust gesellschaftlicher Utopien verstörten jungen Generation. ‚Punk – Kultur aus dem Slums: brutal und hässlich‘ titelte das Magazin Der Spiegel 1977. Widerstand, Provokation und humorvoller Skeptizismus sind Kennzeichen der wütenden Avantgarde. Sie wird von der Kunstgeschichte mit Begriffen wie ‚Neue Wilde‘ und ‚Neoexpressionismus‘ und dem Streben nach einer Erneuerung der Kunst in der Tradition von Dada und Fluxus entsprechend als ‚Neo-Dadaismus‘ beschrieben. Um den Titel dieser Kurzgeschichte gerecht zu werden, kann zuletzt als Brücke in die Gegenwart auf die Vorbildfunktion der hier nur stellvertretend für viele andere ausgewählten Künstler verwiesen werden. Auch sie haben den Marsch durch die Institutionen angetreten, sind Lehrer und Professoren geworden und prägten die folgenden Generationen. Dass die Macht der Provokation und des Tabubruchs trotz der zunehmenden Kommerzialisierung der Medien und der von Marcuse beschriebenen Entsublimierung ungebrochen ist, beweisen etwa die Aktionen von Künstlern wie Christoph Schlingensief (‚Tötet Helmut Kohl‘ und ‚Chance 2000‘).(30) In diesem Sinne begrüßt und schockiert auch Jonathan Meese auf dem Weg zu seiner ‚Diktatur der Kunst‘ das Publikum regelmäßig mit dem sogenannten Hitlergruß. Mit dieser Geste verstörte bereits Anselm Kiefer das Publikum, dessen jüngste Opernkulissen nicht von ungefähr an die Kriegsruinen seiner Jugend erinnern. Vor diesem Hintergrund kann Meese aus kulturhistorischer Perspektive durchaus in der Tradition prominenter Narren-Figuren wie Diogenes, Mulla Nasrudin oder Till Eulenspiegel gelesen werden: Ein Schelm in schwarzer Adidas-Trainingsjacke, dessen Werke und Aktionen neben der (Kunst-)Öffentlichkeit auch die Statistik des Innenministeriums für rechtsextreme Straftaten manipulieren. G.M. war. Doch die Kreuzberger Anarcho-Punk-Szene lehnte die ‚Schickeria-Kunst‘ ebenso ab, wie die als zu hoch empfundenen Preise und Hausverbote gegen einzelne Punks. Der Konflikt eskalierte und endete mit einem ‚Kommando gegen Konsumterror‘ genannten Überfall im November 1979. Kippenberger beendete sein Engagement danach. (30) Schlingensief wurde bei der Kunstaktion ‚Mein Filz, mein Fett, mein Hase‘ (documenta X 1997) von der Polizei festgenommen, da er ein Schild mit der Aufschrift ‚Tötet Helmut Kohl‘ verwendete. Ein Jahr später gründete er die Partei ‚Chance 2000‘ und zog mit ihr in den Bundestagswahlkampf. 25 TJORG DOUGLAS BEER *1973 Lübeck „Warum reisen Sie nicht? – Reisen Sie in das Land der Fliegen, in das Land der wochenlangen Sandstürme, in das Land mit dem Backofenklima, das Land der Lüge, der Honiggrimassen und der raffinierten Berufsbettelei? Ins Land der Null und der großen Nullifizierung?“ (Jean Dubuffet an Florence Gould, 1949) In Sinne Dubuffets, mit dem Tjorg Beer nicht nur ungewöhnliche, in der Regel bewusst trashige Materialien und kindlich-naive Figuren gemein hat, reist Beer unermüdlich von Kontinent zu Kontinent. So hat er sich im Laufe weniger Jahre mit vielbeachteten Interventionen in internationalen Kunsträumen ein erstaunliches Renommee erarbeitet. Aufgrund seines eigenen, durch Materialien und Motive ‚global‘ anmutendenden Oeuvres, wurde Beer bereits ins P.S.1 und als New Talent zur Art Cologne eingeladen. Seine Umtriebigkeit und sein Aufstieg – er ist Künstler, Kurator und betreut die von ihm mitinitiierte Hamburger Sammlung ‚Taubenstraße‘ – kann durchaus mit dem eines Kometen verglichen werden. Die in Düren gezeigte, großformatige Wandarbeit ‚Nelenti‘ (2005) der Sammlung Dahlmann bleibt auch bei genauer Betrachtung so rätselhaft wie ihr Titel. Es ist eine Landschaft, doch bleibt ungewiss, ob sie zerstört oder aufgebaut wird. Nelenti scheint einer fremden Sprache zu entstammen, die nur mit Hilfe von Paratranslate – ein Programm, das aus scheinbar zufälligen Buchstabenkombinationen alle möglichen Aussagen generiert – zu entziffern ist. So meint etwa ‚nelen litaschi‘ ‚hell! nice saint‘ oder auch ‚this clean line.‘ Dieses geheimwissenschaftliche wie sprunghafte Kombinieren findet sich neben dem Duchampschen Sprachstil (etwa der in Düren gezeigte, ‚Parawahn/Einbau(r)egalité‘ genannte Raumteiler) auch in der ungewöhnlichen Materialität der Werke. Beers Markenzeichen sind Folien und Klebematerialien, die er neben Öl und Lack wie Stift und Papier handhabt. Für seine Installationen, Videos und Plastiken verwendet er objets trouvés: Plastikbecher und -rohre, Tontöpfe, Alufolie und Blechdosen. Baumarkt statt Boesner scheint geeignet, diesen bewusst trashig ausgeführten, neodadaistischen Stilmix zu beschreiben. Vergleicht man diese modernen Materialien mit den Kugelschreiberwerken Michael Deistlers der 1980er Jahre oder ähnlichen Bildern Sigmar Polkes aus 1970ern, erscheinen sie als eine Erweiterung des Kunstvokabulars, so wie sie zuletzt durch die unter dem Nouveau Réalisme subsummierten Strömungen gegen Ende des 20. Jahrhunderts erfolgte. Der fruchtbare clash of cultures, der aus Beers Kunst-Jetset folgt, spiegelt sich neben der Sprache auch den Motiven seiner Werke. So wie sich die Materialien in allen globalen Metropolen finden und Baustoff für Spielzeug oder Slumhütten sind, scheinen auch die politischen und kunsthistorischen Verweise postnational: Die Figuren der ‚Camp Hope‘ (2008) genannten Installation tragen weiße Trainingsanzüge und Kopftücher. Dank der Kufiyas (das palästinensische Kopftuch) liegt die Vermutung nahe, dass es sich um Friedensaktivisten im Nahen Osten oder G8-Gipfel-Gegner handelt. Sicher nicht zufällig erinnert die Plastik ‚Soldier 04/Ministry of Hope‘ (2008) abgesehen von den rosa Streifen auf ihrer Uniform an UN-Truppen. Beers monumentale, auf einem klassischen Sockel thronende Plastik Hool‘ (2006, siehe Abbildung S. 29 und 47), ein sehniger Hund, der in Düren den Betrachter wie das Bild Markus Oehlens anzugreifen schien, verbreitet wie die ‚Fuck Revolution‘ (2003-04) genannte Reihe einen aggressiven Skeptizismus. Doch muss stets ein ironisch distanzierendes Augenzwinkern, das für den ‚homo ludens‘ Beer typisch ist, beachtet werden: ‚The flickering mind tries to connect to alarmarama. Jump in now and make it your own. Forever. Enjoy.‘(1) (1) Beer in: Manana Resistance, 2006, S.3 G.M. Abbildung rechts: Tjorg Douglas Beer: Nelenti (2005) Parawahn/Einbau(r)egalité (2006) 26 TJORG DOUGLAS BEER 2004 BFA, School of Fine Arts, Hamburg 2005 Stiftung Kunstfonds, Bonn 2005 Artist in Residence Program, Sapporo 2007 Stiftung Kunstfonds, Bonn AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL) 2009 Misanthropenkarussell/ Forgotten Bar Project, Alp Gallery, Stockholm Transzendenz Inc., Hospitalhof Stuttgart Kunstpreis der Böttcherstraße, Neues Museum Weserburg, Bremen 2008 Camp Hope, Gallery Parkstrasse, Gstaad Narkose #02, City Gallery, Heerlen The Krautcho Club/In and Out of Place, 176 Gallery, London Forgotten Bar Project, Galerie im Regierungsviertel, Berlin Tjorg Douglas Beer, Stadsgalerij, Heerlen The End was Yesterday, Kunstraum, Innsbruck 2007 Re-Escape, Contemporary Art Institute, Sapporo Fish & Ships, Kunsthaus, Hamburg Viewing Club, Phillipa Hatsplus, London Vélada Santa Lucia, Santa Lucia, Maracaibo Artists‘ Books - Transgression/Excess, Space Other, Boston 2006 Tohuwabohu II, Galerie Karlheinz Mayer, Karlsruhe Tohowabohu, Erik Steen Gallery, Oslo Mindmaking, Patricia Low Contemporary, Gstaad rattus norvegicus, Leopold-Hoesch-Museum, Düren Himmelfahrtskommando, Arndt & Partner, Zürich Hirnwaschanlage, Mitchell-Innes & Nash, New York Wheely, Bonner Kunstverein, Bonn This ain`t No Karaoke!, Haas Fischer, Zürich Neue Kunst in Hamburg, Kunstverein, Hamburg 2005 Schnitte/Cuts, Produzentengalerie, Hamburg Closer, Space Other, Boston Troja Boja - Morgentaodde, Kunsthaus, Hamburg Uagh, Autocenter, Berlin 2004 Tjorg Douglas Beer, Galerie Nomadenoase, Hamburg Turmsturm, Nikolaj Contemporary Art Center, Kopenhagen Kunstlichtkongress, Kunstraum Walcheturm, Zürich 2003 Asian Print Adventure, Hokkaido Museum of Modern Art, Sapporo Feine Ware I-III, Kunstverein Harburger Bahnhof, Hamburg Aktion Brückenkopf, Hotel Bellville, London 2002 Trip to Bang Bang City, CAI – Contemporary Art Institute, Sappor Bifokal, Kunsthaus, Hamburg 2001 Bruder Poul sticht in See, Kunstverein Hamburg 72 Hours a Day, Ausstellungsraum Taubenstrasse, Hamburg LITERATUR (AUSWAHL) 2009 Salonu Istanbul/Narkose #02, Revolver - Archiv für aktuelle Kunst 2006 Manana Resistance, Revolver - Archiv für aktuelle Kunst 2005 Transterroituale-Müller, Sammlung Taubenstrasse, Hamburg 2004 Kunstlichtkongressmagazin, Revolver - Archiv für aktuelle Kunst Cheap Champagne, Material Verlag/Revolver - Archiv für aktuelle Kunst Sammlung Taubenstrasse, Revolver - Archiv für aktuelle Kunst Ausstellungsraum Taubenstrasse 1999-2002, Sautter & Lackmann, Hamburg 27 WERNER BÜTTNER *1954 Jena Polke ist dumm und lügt. (Ausstellungskatalog, H. Nordhausen, 1978) ‚Jedes Leben ist auch ein verpfuschtes Leben‘ resümiert der Autodidakt Werner Büttner, der es vom abgebrochenen Jurastudium zur Professur an der Hochschule für Bildende Künste (HBK) in Hamburg brachte. An Selbstbewusstsein mangelt es dem ehemaligen Jungen Wilden, der 1977 mit Albert Oehlen vor dem Berliner Lotterleben nach Hamburg floh, nicht: ‚Unsereiner studiert drei Semester und weitere fünf Semester kassiert er Bafög - und dann hat er was fürs Leben gelernt.‘(1) Vor diesem Hintergrund offenbart das in Düren – neben Meeses von einer Vitrine geschützten Multiple – präsentierte Werk ‚Die justitialen Probleme der Schöpfung künden von ihrer Schönheit‘ (1983) auch autobiografische Aspekte. Büttner kennt den Wahnsinn der Justiz und ihre eigentümliche Schönheit. Indem er es als solches vorführt, entlarvt der Künstler das absurd anmutende Rechtsuniversum durch seine Kombination von comichaften Linolschnitten mit Zitaten aus Urteilen und Gesetzestexten. Büttner schlägt das System mit seinen eigenen Waffen, so wie er 1978 eine Anzeige anlässlich der Ausstellung bei Hilka Nordhausen schelmenhaft abfing. ‚Ich habe einen Brief an die Staatsanwaltschaft geschrieben, in dem ich mich entschuldigt habe, dass dieses Missverständnis nur unserer Unfähigkeit als Maler zu verdanken ist. Ich schrieb, dass wir eigentlich einen Feuerschlucker malen wollten und dass da jetzt ein Punzenschlecker draus geworden ist, dass tut uns verdammt leid. Daraufhin ist das Verfahren eingestellt worden‘, berichtet Büttner vom Ausgang des Skandals.(1) Sigmar Polke dagegen – damals Professor an der HBK – hatte ihm zum Übertünchen und einer Schadensersatzklage geraten, wie der einleitend erwähnte Katalog ironisch überliefert. Daher verwundert es kaum, dass Meese, der als einer der prominentesten Schüler Büttners gilt, so gekonnt wie humorvoll mit dem Tabubruch spielt. Büttners Werk ist gekennzeichnet von subtilem wie bissigem Humor. In bester Satiretradition nennt er ein vor Regalen mit Totenköpfen positioniertes Schaf schlicht ‚Wachschaf‘ (2005). Über den Sprachwitz hinaus offenbart das Werk den mit deutscher Geschichte Vertrauten den oft doppelbödigen Charakter der Arbeiten Büttners. Hinter dem vordergründigen Humor verbirgt sich ein zynischer Kommentar zu den vorgeblich unwissenden Mittätern der Konzentrationslager, die als Wolkenschafe ins Reich der Illusion verwiesen werden. Desillusion findet sich auch in dem ‚Irreversible Begeisterung‘ (2006) genannten Werk. Hier verbindet Büttner ein Affengesicht, das aus einem gewitterwolkenartigen Hintergrund herausschaut und über dem der kümmerliche Rest eines Apfels schwebt, mit der Venus von Willendorf. Der Affe scheint für die durch den Strunk der paradiesischen Frucht symbolisierte, geistige Evolution – die Entfernung des Menschen von seinen animalischen Wurzeln – nur ein wahnsinniges Grinsen übrig zu haben. Sprache, die Zündkraft der Reibungsenergie von Bild und Wort, ist ein wichtiger Bestandteil der Werke Büttners. An seinen Collagen wird deutlich, warum die Jungen Wilden des Nachkriegsdeutschlands wie die Fluxusbewegung häufig als Neodadaisten begriffen wurden. Zynismus und Ironie bilden – wie die Feuerschlucker-Anekdote zeigt – den Kern eines subversiven Skeptizismus. Mit ihm gelingt es Büttner, der gefährlichen, weil bleiernen Schwere des politisch motivierten Realismus – der ihn mit Albert Oehlen und Martin Kippenberger verbindet – lustvolle Momente abzugewinnen. Doch wie gekonnt Büttner mit dem Klischee von Kunst als elitärer und mystischer Veranstaltung spielt und ironisch die Unmöglichkeit von Metaphysik und Utopie kommentiert, erinnert letztlich wieder an Polkes ‚Höhere Wesen‘. (1) Büttner in Monopol 5/2008, S. 112f. G.M. Abbildung oben: Werner Büttner: Die justitialen Probleme der Schöpfung künden von ihrer Schönheit (1983), siehe Seite 11. 28 WERNER BÜTTNER 1974 Gründung Liga zur Bekämpfung widersprüchlichen Verhaltens 1977 Erste Ausgabe des Zentralorgans der Liga Dum Dum 1980 Gründung Samenbank für DDR-Flüchtlinge 1985 Annemarie-und-Will-Grohmann-Stipendium, Baden-Baden 1989 Professur, Hochschule für Bildende Künste, Hamburg AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL) 2009 Privat - Wuppertaler Sammler der Gegenwart, Von der Heydt Museum, Wuppertal 2008 Vertrautes Terrain - Aktuelle Kunst in und über Deutschland, ZKM, Karlsruhe 2007 Un Fair/Trade, Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz 2006 Kompromat, Kunsthalle Dominikanerkirche, Osnabrück 2005 Hello Cruel World, Kunstverein, Bremerhaven 2004 Welcome to accès interdit, Fonds Regional d’Art Contemporain, Angouleme 2003 Verkehrte Welt, Deichtorhallen, Hamburg 2002 Klopfzeichen-Kunst und Kultur der 80er Jahre, Museum der bildenden Künste, Leipzig 2001 Vom Eindruck zum Ausdruck - Grässlin Collection, Deichtorhallen, Hamburg 1999 Zoom - Ansichten zur deutschen Gegenwartskunst, Kunsthalle, Kiel 1998 Fast Forward: Image, Kunstverein, Hamburg 1997 Deutschlandbilder, Martin-Gropius-Bau, Berlin 1996 Einseitig gedeckter Tisch, Galerie Klosterfelde, Hamburg 1995 Heute scheint die Sonne in Strömen, Galerie Bärbel Grässlin, Frankfurt 1994 O.T., Galerie Klemens Gasser, Bozen 1993 Miserere, Kunsthalle Ritter, Klagenfurt 1992 Malen ist Wahlen, Kunstverein, München 1991 Gullivers Reisen, Galerie Sophia Ungers, Köln 1990 Kampf dem Verderb, Jänner Galerie, Wien 1989 Neue Figuration - Deutsche Malerei 1960-88, Kunstmuseum, Düsseldorf What about having our mother back!, Kunstverein, Hamburg 1988 Les Années 80: À la Surface de la Peinture, Centre d‘ Art Contemporain, Meymac The BiNational/Amerikanische Kunst der späten 80er Jahre, Kunsthalle, Düsseldorf 1987 Q.U.I, Villa Arson, Nizza 1986 Half an Hour of Modern Art, Metro Pictures, New York 1985 Kosmoprolet, Galerie Peter Pakesch, Wien 1984 Wahrheit ist Arbeit, Museum Folkwang, Essen 1983 Jenseits konstanter Bemühungen, Produzentengalerie, Hamburg 1982 Rechts blinken - links abbiegen, Realismusstudio 21, Berlin 1981 Junge Kunst aus Westdeutschland, Galerie Max Hetzler, Stuttgart 1980 Finger für Deutschland, Atelier Jörg Immendorff, Düsseldorf Mühlheimer Freiheit und interessante Bilder aus Deutschland, Galerie Paul Maenz, Köln 1979 Elend, Kippenbergers Büro, Berlin LITERATUR (AUSWAHL) 2008 Wetterfester Schmetterling, Galerie Bärbel Grässlin, Frankfurt 2003 Verkehrte Welt, Deichtorhallen, Hamburg 2002 Gitarren, die nicht Gudrun heißen, Galerie Max Hetzler, Berlin 29 ZHANG DALI *1963 Harbin, China ‚I think I belong to the artists who raise questions, but do not solve them.‘ (Zhang Dali in: Interview with CNN, 11.12.2006) Die beiden in Düren gezeigten Arbeiten des Künstlers Zhang Dali, das großformatige, an Polkes Rasterbilder erinnernde, dunkle Portrait ‚AK47‘ (2002) und der ‚100 chinese‘ genannte Epoxydharzabguss eines Kopfes (2002), zeigen zwei zentrale Motive aus seinem frühen Werk: Das Kürzel AK47 und der Kopf. Er begann als Sprayer in Beijing Anfang der 1990er Jahre und ist inzwischen ein international gehandelter Künstler. Vor Zhang schafften es nur Jackson Pollock und Keith Haring bis auf die Titelseite des TIME-Magazin. Doch seine Graffiti sind nicht wie die Banane des Sprayers Thomas Baumgärtel Hinweise auf Kunst(-orte). Sie sind Zeichen für die schleichende Zerstörung, eines Hauses, einer Stadt, einer Kultur. ‚After my graduation it was very difficult for me financially so I couldn‘t hide in the studio dreaming about things. I wanted to change reality into art, the things near me into art.‘(1) Zhang sprühte schlichte, kindlich anmutende Profile auf Häuser in Vierteln, die dem Wirtschaftsboom weichen müssen. Das Profil ist ein traditionelles Symbol für den Dialog, es handelt sich also um einen letzten poetischen Aufruf zum Überdenken der Baumaßnahmen und ihren soziokulturellen Konsequenzen. Darüber hinaus sind seine Graffiti und Tags subversive Reaktion auf die offiziellen Zeichen, mit denen Abrisshäuser markiert werden. Eine durchaus gefährliche Aktion, ein offensichtlicher Protest gegen den Zeitgeist: ‚One day the police suddenly came to my house and asked ‚Is that painted by you?‘ and I said ‚no‘, I denied it. They said, ‚Who do you think we are? We know everything‘ and then I said ‚yes‘. They wanted to know what the graffiti was for, was it anti-government, was it an organization or group that did it.‘(1) Trotz Repressionen und der ihm inzwischen zur Verfügung stehenden Mittel sprüht Zhang weiter und dokumentiert die Orte seiner stillen Interventionen fotografisch wie ein Chronist. Neben diesen als C-Print vertriebenen Werken zeigen Foto-Serien wie ‚A second history, china history‘ (2005) mit Revolutionsmotiven der Mao-Zeit, die durch eine Gegenüberstellung mit dem ‚Original‘ als propagandistisch geschönte Bilder entlarvt werden, sein politisches Engagement. Auch das zu Zhangs ‚Markenzeichen‘ gewordenene Tag ‚AK47‘ ist entgegen seiner Aussage – ‚It comes from a gang‘s name, I use this to stand for the violence, this sort of violence doesn‘t just mean one person hits another person‘(1) – eng mit Geschichte Chinas verbunden. Er verwendet das Kürzel, wie das Bild der Sammlung Dahlmann zeigt, zum einen als Basis von Rasterportraits. Zum anderen ist AK47 sein Tag und da er die Orte aus dem zuvor genannten Grund mit Graffiti versieht, gewinnt es über die von ihm genannte Gang-Gewalt hinaus einen politischen Aspekt. AK47 ist die häufigst produzierte moderne Schusswaffe der Welt. Von der chinesischen Variante wurden seit 1956 mehr als 10 Millionen hergestellt, die den Roten Garden und der Volksbefreiungsarmee gute Dienste leisteten. Wie komplex und subtil die Verweise in Zhangs Arbeiten trotz vordergründig schlichten Motiven sein können, zeigt eine seine Graffiti dokumentierende Fotografie aus der Serie ‚Demolition‘. Auf den Resten einer weißen Abrissmauer, hinter der ein Turm die bedrohte traditionelle chinesische Architektur zeigt, entdeckte der Künstler ein Herbert von Karajan-Plakat. Auf dessen linke Seite sprühte Zhang das Dialog-Profil, rechts davon sein Tag AK47. Alt und Neu, West und Ost werden hier in pointierter Weise miteinander verbunden. Ein idealistischer Aufruf zum Dialog über kulturelle Grenzen hinaus oder zynischer Kommentar zu vergangenen wie aktuellen ‚Kulturrevolutionen‘ und deren Schattenseiten? (Zhang Dali 2006) (1) G.M. Abbildung rechts: Zhang Dali: AK47 (2002) Siehe auch Abbildung Seite 9: Zhang Dali: 100 chinese (2002) 30 ZHANG DALI 1983-1987 Studium der Malerei, National Academy of Fine Arts & Design, Peking AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL) 2009 Pervasion, He Xiangning Art Museum, ShenZhen Stairway to Heaven: From chinese streets to monuments, Art Center, Kansas City 2008 China Gold, Musée Maillol, Paris Re-Imagining Asia, Haus der Kulturen der Welt, Berlin China Now - Lost in Transition, Eli Klein Fine Art, New York Zeichen an der Wand - Neorealismus und Avantgarde im China der 80er und 90er Jahre, Museum Groninger, Groningen 2007 Three Unities - Man and Beast - DDM Warehouse, Shanghai Unexpected – Out of Control, Ku Art Center, Peking Chinese Offspring, Chinese Contemporary Gallery, New York, Red Hot!..., Houston Museum of Fine Arts, Houston 2006 China Now - Kunst in Zeiten des Umbruchs, Sammlung Essl - Kunsthaus, Klosterneuburg All Our Tomorrows - The Culture of Camouflage, Kunstraum der Universität Lüneburg Chinese Contemporary Sculpture Exhibition, Museum Beelden aan Zee, Scheveningen Zhang Dali - A Second History, Walsh Gallery, Chicago 2005 New Photography and Video from China, Victoria and Albert Museum, London The Game of Realism, Peking Commune Gallery, Peking Xianfeng, Museum Beelden aan Zee, Scheveningen Sublimation, Peking Commune Gallery, Peking 2004 Regeneration, Samek Art Gallery, Bucknell University, Lewisburg Me!Me!Me!, The Court Yard Gallery, Peking Between Past and Future, ICP, New York Zhang Dali, Chinese Contemporary Gallery, London 2003 China-Germany Art, factory 798, Peking Full Frontal: Contemporary Asian Artists, The Logan Collection, Art Museum, Denver 2002 Headlines, Chinese Contemporary Art Gallery, London Zhang Dali, Base Gallery, Tokyo Asian Party, Global Game, Chinese Contemporary at ARCO, Madrid Cross Pressures, Oulu City Art Museum, Oulu 2001 Contemporary Chinese Photography, Finland Museum of Photography, Helsinki Osaka Triennale, Osaka Hot Pot, Kunstnernes Hus, Oslo China Art Now, Singapore Art Museum, Singapore 2000 Dystopia + Identity in the Age of Global Communication, Tribes Gallery, New York AK-47, Courtyard Gallery, Peking Fuck Off, Eastlink Gallery, Shanghai Artistes Contemporains Chinois, Musee des Tapisseries, Aix-en-Provence LITERATUR (AUSWAHL) 2008 Zeichen an der Wand. Neorealismus und Avantgarde im China der 80er und 90er Jahre, Museum Groninger, Groningen Re-Imagining Asia - A Thousand Years of Separation, Saqi Books, London 2007 China Art Book, Hrsg. Uta Grosenick/Caspar Schübbe, Dumont, Köln 31 MICHAEL DEISTLER *1949 Berne Es ist in den letzten Jahren etwas still geworden um den wilden, unverhohlen provokanten Michael Deistler, dessen drei Kugelschreiberwerke – ‚rattus norvegicus‘ (1989), ‚Allzweckplane‘ (1981) und ‚Wer hier nicht denkt, muss lenken‘ (1981) – in Düren so prominent im Rundgang des Obergeschosses ausgestellt wurden. Und dass, obwohl der Hamburger Künstler sich stets in besten Kreisen befand. Er war 1979 in Kippenbergers Berliner Büro zu sehen. Später dann mit Kollegen wie Albert Oehlen, André Butzer, Tim Berresheim und Markus Selg in der letzten Ausstellung des Kölnischen Kunstvereins (‚Offene Haare, offene Pferde Amerikanische Kunst 1933-45‘, 2002), die in den mittlerweile abgerissenen 1950er-Räumen stattfand. Diese inzwischen legendäre Kölner Ausstellung war eine Hommage an Ivan Dambrowsky, einem russischen Emigranten, der wie McCarthy als Entfant terrible der amerikanischen Kunstszene gilt. So wie Büttner wird Deistler dagegen als Vertreter einer Gruppe von Künstlern der Hamburger Kunsthochschule gehandelt, die sich seit Generationen mit Print, Schrift und Bild und deren Verkettung beschäftigen. Das Werk, dessen Titel die Dürener Ausstellung überschrieb, zeigt einen Totenkopf. Das Motiv erinnert an Tourplakate von Punkbands Mitte der 1980er Jahre. Horizontal gerahmt von einer groben, dem Raster geschuldeten Typografie ‚rattus norvegicus‘ blickt der Schädel vor giftgrünem Hintergrund nach rechts – ein politischer Verweis? Die anderen beiden in Düren ausgestellten Arbeiten lassen keinen Zweifel an Deistlers Gesinnung aufkommen. In einer für die Zeit typischen plakativen Art kombiniert er ein Hakenkreuz mit dem schelmischen Kommentar ‚Wer hier nicht denkt, muss lenken‘. Und das ‚Allzweckplane‘ genannte Werk thematisiert – wie bereits das Camouflagemuster nahe legt – deutsche Klischees und Doktrinen wie den Militarismus. Zugleich deutet es dank seines doppelbödigen Titels einerseits auf einen genuin deutschen, weil kombinatorischen Sprachwitz. Das Werk kann ebenso als zynischer Kommentar zur Ambivalenz des menschlichen Erfindungsgeistes an sich gelesen werden: man kann sich unter der Plane ebenso gut verstecken und schützen, wie man sie für militärische Tarnung verwendet – AllZweck. So wie der Nistkasten zugleich eine Falle für den sich darin ansiedelnden Vogel sein kann. Bereits durch seine Technik – Kugelschreiber und Filzstift auf gerastertem Papier – wird die Zugehörigkeit Deistlers zur zuvor genannten Hamburger Tradition offenkundig. Besonders seine, dank des verwendeten (Karo-)Papiers, an Werke gelangweilter Schüler erinnernden Kugelschreiberzeichnungen führen dem Betrachter die Basis des medialen Blicks – das Raster – vor Augen, so wie es zu Beginn der 1960er Jahre Sigmar Polke mit seinen Raster-Bildern tat. Kunsthistorisch betrachtet eröffnet sich hier zugleich das spannende Feld der Frage vom Ornament als Bild und dem Bild als Ornament. Doch auch dieser Aspekt ist wiederum geeignet, Deistlers Werk in einen politischen, spezifisch deutschen Kontext zu verorten, wenn man ihn mit Alois Loos Schriften, seiner Parole ‚Das Ornament ist ein Verbrechen‘ sowie der darauffolgenden Entwicklung der deutschen Kunstgeschichte verbindet. Im Stil der Reklame, deren plakative, eingängige Motive und Motti die Botschaft den Konsumenten einschärfen sollen, schafft Deistler stimmige Verbindungen von Form und Inhalt. Ihre Schlichtheit ist kennzeichnend für den Aktionismus einer noch von scharfen Gegensätzen – Punker und Popper oder alternativ linke und revisionistisch rechte Gesinnung – geprägten Zeit: Die 1980er. Für sie stehen die schrillgrüne Neonfarbe und der Totenkopf. Darüber hinaus erinnert das Rechenheft-Raster an erste Computerspiele wie Pac-Man, dessen bauklotzartige Ästhetik auch in Beers ‚Nelenti‘ als Referenz an die eigene Kindheit gelesen werden kann. G.M. 32 MICHAEL DEISTLER 1973-80 Hochschule für Bildende Künste, Hamburg 1980-81 DAAD - Stipendium, Ägypten 1986 Hamburger Arbeitsstipendium 1989 Stiftung Kunstfond, Bonn 1994-95 Hans-Günther-Baas-Stipendium, Hamburg AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL) 2006 rattus norvergicus, Leopold-Hoesch-Museum, Düren Medium Fotografie, Galerie Löhrl, Mönchengladbach 2005 Deimos/Phobos - Notizen zur Landschaft, Feld für Kunst, Hamburg Nix wie weg, Galerie Hübner, Frankfurt 2. Internationales Lückerinnerungstreffen, WBD, Berlin 8 Nachkriegszeichner und ein Monitor, Galerie Meyer Riegger, Karlsruhe 2003 Harakiri, Westwerk, Hamburg Ebenholztränen, Kunsthaus, Hamburg 2002 Offene Haare, offene Pferde, Amerikanische Kunst 1933-45, Kunstverein, Köln 2001 Zeichnungen und Malerei 1984-2005, Sammlung Dr. Fellermann, Hamburg Nordic Cryptomanic, Dr. Frieling, Hamburg 1999 Zwischenspiel, Maximilian Krips Galerie, Köln 1995 Kunststreifzüge, Kunsthaus, Hamburg 1994 3.3, Kampnagel, Hamburg Keinzeit, Künstlerhaus Sootbörn, Hamburg 1993 Stadtfahrt, Hamburg Michael Deistler, Westwerk, Hamburg 1991 Zehn Jahre junge Kunst in Hamburg, Kunstmuseet, Malmö 1990 Arbeiten auf Papier, Galerie Dörrie + Priess, Hamburg Heimspiel, Kunstverein, Hamburg 11 Cities/11 Nations, Frieslandhal, Leeunwarden 1989 Zum 1. September 1939, KX auf Kampnagel, Hamburg 1988 Arbeit in Geschichte/Geschichte in Arbeit, Kunsthaus/Kunstverein, Hamburg World Fax 88, Kunstraum, Neuss The show must go on, Galerie Dörrie + Priess, Hamburg 1987 Stipendiatenausstellung, Kunsthaus, Hamburg 1986 Haben und Halten, Speicherstadt, Hamburg Galeristenblatt + Hans Kultur, Galerie Zwirner, Köln Standpunkte, Kunsthalle, Hamburg 1985 Tiempo circular, Goethe Institut, Mexico-City Hans Kultur präsentiert sich, NGbK, Berlin Nur 3 Stunden, RZA Galerie, Düsseldorf 6xHamburg, Goethe Institut, Kairo & Athen 1984 Et in arcadia ego, Kunsthaus, Hamburg Moderne Kunst nach 1980, Institut für Kunst, Hannover Kalter Stern/Kalter Schweiss/Kalter Kaffee, Galerie Gugu Ernesto, Köln 1983 Künstlerräume, Kunstverein, Hamburg 1982 Lackbilder, Künstlerhaus, Hamburg 1981 Rundschau Deutschland, Klapperhof, Köln Zeichnungen, Polaroids, Dia-Ton-Schau, Goethe Institut, Alexandria 1980 Finger für Deutschland, Atelier Immendorf, Düsseldorf One night only, Danny Keller Galerie, München Picknick am Atlantik-Wall und an der Maginot-Linie 7, Kunstverein, Kassel 1979 Elend, Kippenberger Büro, Berlin Abbildung: Michael Deistler: rattus norvegicus (1989) LITERATUR (AUSWAHL) 1995 45 minutes, NDR-Filmportrait, Hamburg 1991 Zehn Jahre junge Kunst in Hamburg, Kunstmuseum, Malmö 1984 Medium Fotografie, Galerie Löhrl, Mönchengladbach 33 GEORG HEROLD *1947 Jena ‚Welche Erwartungen hat ein Betrachter an Kunst? Das ist doch viel interessanter als irgendeine Interpretation.‘ (Georg Herold 2009) (1) Die in der Ausstellung rattus norvegicus mit Arbeiten von Stange und Ross in einem Raum gezeigten Werke Georg Herolds – ‚Ohne Titel‘ (Kaviarbild, 1990), ‚Kurt und Karl‘ (2004) sowie das BacksteinObjekt (‚Ohne Titel‘, 1984) – bieten einen guten Überblick auf einen Schwerpunkt in seinem Werk. Die neo-expressionistische Sprengkraft der Jungen Wilden, zu denen Herold zählte und die sich neben der Gründung von Bands oder Vereinen auch im Duktus ihrer Bilder zeigt, findet sich hier in einer einfachen wie kunsthistorisch subtilen Geste. Der in Düren schlicht auf dem Boden positionierte Backstein (‚Ohne Titel‘, 1984), scheint von hinten durch die Leinwand geworfen zu sein – und ist doch immer noch mit ihr verbunden. Der Stein ist, neben der Bedeutung als Zeichen rationalisierter Architektur, ein (deutsches) Symbol für Wiederaufbau, das nicht nur auf jenen der BRD zielt. Er kann allgemeiner als grundlegende Metapher für das Aufbauen, die Werkgenese gelesen werden. Da es sich um ein Werk vom Ende des 20. Jahrhunderts handelt, ist der aggressive ‚Durchbruch‘ auch vor dem Hintergrund experimenteller, der Erweiterung des Kunstbegriffs dienender Attacken auf die Leinwand der Moderne und den 1960ern (ZERO oder Lucio Fontana) interessant. Doch während jene mit Pfeil und Bogen oder Pistolen auf die Leinwand schossen, wurde Herolds Angriff nicht frontal ausgeführt. Hinterlistig scheint der Stein von der Rückseite her den Stoff zerrissen zu haben, wie der Betrachter aufgrund der Position der Leinwandfetzen schließen kann. Folgt man diesem Indiz, offenbart das zunächst schlicht anmutende Werk vielfältige Facetten, die über politische Aspekte hinaus auch kunsttheoretische Fragen evozieren: Ist es ein Gemälde, eine Plastik, oder eine Installation? Entgegen seinen vermeintlichen Vorsätzen – ‚Materialien, die eine eigene Sprache sprechen, werden von mir grundsätzlich nicht benutzt. Deshalb suche ich mir ungehobeltes, dummes Material, das keine Fragen aufwirft‘ (2) – sorgt Herolds Werk für Kopfzerbrechen; seine Selbstdeutung erscheint als Finte. Werke wie ‚Kurt und Karl‘ oder das häufig variierte ‚Kaviarbild‘-Motiv Herolds, ein kräftiger, mit Lack konservatorisch fragwürdig fixierter Klecks der Feinkost, das im Jahre 1990 entstanden ein zynischer Kommentar zum deutschen Einheitsrausch zu sein scheint, zeugen vom subversiven Humor des Künstlers. Er verbindet ihn mit Büttner oder Martin Kippenberger. Trotz seiner Beteiligung an Bands und Vereinen war er stets mehr Solitär als Mitglied der Gruppen, wie er gewohnt prägnant und ironisch auf der ‚Nebenlatte‘ genannten Arbeit 1984 notiert: ‚Gemeinsam sind wir Arschlöcher.‘ Manifeste wie das ‚Facharbeiterficken‘ (1982 mit Büttner und A. Oehlen) und Ausstellungstitel wie ‚wo man kind‘ (2008) machen deutlich, dass sich hinter Provokation und Sprachwitz stets ein um Aktualität und Relevanz bemühter Geist steckt. Kennzeichen des seit Mitte der 1990er Jahre an Akademien lehrenden Herold ist seine unverkennbare (deutsche) Materialsprache, Dachlatten, Ziegelsteine, Autolack. Seine künstlerischen Experimente sind stets ernsthafte wie selbstreferentiell-ironische Kommentare zu aktuellen Tendenzen in Kunst, Gesellschaft und Politik. Dass er sich dabei einerseits in bester Tradition und andererseits zugleich distanzierend auf verlorenem, weil hoffnungslos idealistischen Boden befindet und darum weiß, belegen humorvolle Werke und Titel wie ‚Künstlerische Medizin, Patho-Ontologie / Cabinet patho-psychologique‘ (1995). Durch seine erfrischend derbe wie feinsinnige Sprache gelingt es ihm, Klischee und Pathos zu umschiffen – trotz plakativ provokantem Gestus. (1) Herold in: Monopol 2/2009. (2) Herold in: Wolkenkratzer Art Journal, 1/1988. G.M. 34 GEORG HEROLD 1969-1973 Studium der Malerei, Halle 1974-1976 Studium der Malerei, München 1977-1978 Studium der Malerei, Hamburg Seit 1993 Professur, Hochschule für Bildende Kunst, Frankfurt Seit 2000 Professur, Akademie, Düsseldorf AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL) 2009 Art of Two Germanys/Cold War Cultures, Deutsches Historisches Museum, Berlin 2008 Archeology of Mind, Konstmuseum, Malmö Vertrautes Terrain - Aktuelle Kunst in und über Deutschland, ZKM, Karlsruhe Kavalierstart, Museum Morsbroich, Leverkusen The Hamsterwheel, Konsthall, Malmö ...und immer fehlt mir was, und das quält mich, Werkstadt, Graz 2007 Im Wort, Kunsthalle, Göppingen Georg Herold, Stedelijk Museum voor Actuele Kunst, Gent wo man kind, Museum Ludwig, Köln The Lath Picture Show, Friedrich Petzel Gallery, New York 2006 Kunst als Kommentar, Neues Museum, Nürnberg rattus norvegicus, Leopold-Hoesch-Museum, Düren Transformation, Kunstmuseum Liechtenstein Faster! Bigger! Better!, ZKM, Karlsruhe 2005 Georg Herold, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden & Kunstverein, Hannover What a life!, Museum Moderner Kunst Kärnten, Klagenfurt Flashback - eine Revision der Kunst der 80er Jahre, Kunstmuseum, Basel Goetz meets Falckenberg, Sammlung Falckenberg, Hamburg 2004 Bollinger War’s, Anthony Reynolds Gallery, London Für die Konstruktion des Unmöglichen - European Kunsthalle, Köln Das große Fressen. Von Pop-Art bis heute, Kunsthalle, Bielefeld Rhinegold - Art from Cologne, Tate Liverpool 2003 son of mom, Gabriele Senn Galerie, Wien 4 old works, Studio Fairhurst/Lucas, London Blinde wehrt Euch!..., K21, Düsseldorf Phantom der Lust - Visionen des Masochismus in der Kunst, Neue Galerie, Graz 2002 OM, Galerie Bärbel Grässlin, Frankfurt Sand in der Vaseline..., Kaiser Wilhelm Museum, Krefeld Klopfzeichen, Kunst und Kultur der 80er Jahre..., Museum Folkwang, Essen Georg Herold, Kunstecke in der Tiroler Sparkasse, Innsbruck 2001 Big Nothing - Höhere Wesen..., Staatliche Kunsthalle, Baden-Baden Mutter-Kind-Vater, Goethe Institut, Palermo Auktion‚ Genussgutscheine, Portikus, Frankfurt WertWechsel. Zum Wert des Kunstwerks, Museum für Angewandte Kunst, Köln 2000 Dein Wille geschehe ..., Haus am Waldsee, Berlin I believe in Dürer, Kunsthalle, Nürnberg First Biennale Buenos Aires, Museo Nacional de Bellas Artes, Buenos Aires Dinge in der Kunst des XX. Jahrhunderts, Haus der Kunst, München Abbildung: Georg Herold: Ohne Titel (1985) LITERATUR (AUSWAHL) 2006 Kunst als Kommentar, Neues Museum, Nürnberg 2005 What a life!, Museum Moderner Kunst Kärnten, Klagenfurt 2003 Private - Corporate II, Sammlung Daimler/Chrysler Haus Huth, Berlin 35 PAUL MC CARTHY *1945 Salt Lake City ‚Body fluids are base material. Disneyland is so clean; hygiene is the religion of fascism. The body sack, the sack you don’t enter, it’s taboo to enter the sack. Fear of sex and the loss of control; visceral goo, waddle, waddle.‘ (P. McCarthy 2003) (1) Die im ‚Evening Sale‘ bei Christies am 12. November 2008 für über 2 Millionen versteigerte Bronzeplastik ‚Michael Jackson Fucked Up‘ (2002) von Paul McCarthy dürfte ihrem neuen Besitzer trotz der vielbeschworenen Kunstmarktkrise eine inzwischen ansehnliche Rendite beschert haben. Es ist ein düsteres, nicht nur aufgrund der monumentalen Maße, klassisch anmutendes Werk und zeigt den tragischen Popheroen mit zwei Köpfen in traditioneller Pose auf einem tumbenähnlichen Sockel sitzend. Das riesige, wie das zweite komplett in Mullbinden gehüllte Haupt der Figur versinnbildlicht die melancholische Konnotation des Titels und die empathische Dimension der Arbeit. Es handelt sich nicht um eine vermeintlich witzige Provokation des als Enfant terrible der US-amerikanischen Kunst gefürchteten McCarthy, wie man aufgrund des Titels mit dem tabuisierten F-Wort auf den ersten Eindruck vermuten könnte. Die Plastik zeigt den von Massenmedien verspotteten Pophelden, der seit Mitte der 1990er Jahre zunehmend als monströser Freak dargestellt wurde. Subtil verweist McCarthy mit einer schlichten Geste – ein Keil, der den riesigen Kopf mit der geometrischen, antik anmutenden Nase vom Körper trennt – auf den brutalen wie tiefen Sturz. Jackson ließ für seine ‚HIStory World Tour‘ (1996/97) werbewirksam blasphemisch hohe Statuen in europäischen Großstädten aufstellen. (1993), dessen Penis sich spaghettiartig auf dem Boden ausbreitet. Die in Düren passend in einem Raum mit Büttner, Meese und Melgaard gezeigte Lithografie (Ohne Titel, 2005) McCarthys zeigt seine oft beschriebene Nähe zum abstrakten Expressionismus, Wiener Aktionismus und Action Painting, die in frühen Performances und Videos besonders deutlich wird. Statt Blut verwendet er Ketchup, Mayonnaise und andere Markenprodukte, die zu Ikonen USamerikanischer Konsumkultur geworden sind. Diese sind wie Sex und Gewalt und die zu Freaks mutierten Comichelden und Märchenfiguren markante Kennzeichen seines Oeuvres. Es steckt voller kunsthistorischer (Minimal und Pop Art) wie gesellschaftskritischer (Freud und Marcuse) Referenzen und Anleihen, die sich dem – in der Regel zunächst irritierten – Betrachter erst auf dem zweiten Blick offenbaren. McCarthy gelingt es auf diese Weise, eine wirkungsmächtige, weil einprägsame Bildsprache zu kreieren, was sein bis heute andauernder Einfluss auf zeitgenössische Künstler zeigt. Wie Bruce Naumans frühe Werke kreisen seine aggressiven, sexuell provokativen und teils brutal selbstzerstörerischen Werke um das Thema des menschlichen Körpers. Sie treffen den voreilig urteilenden Betrachter wie ein Schlag ins Genick – say goodbye to neverland. (1) McCarthy in: BOMB-Magazin 84/2003) G.M. McCarthy thematisiert den einleitend erwähnten DisneylandFaschismus, die Schattenseiten des ‚American Way of Life‘, wie sie auch am Schicksal des verstorbenen ‚King of Pop‘ deutlich werden, bereits seit den 1960er Jahren. Doch entgegen dem Punk-Klischee ist er nicht in erster Linie daran interessiert, Tabus zu brechen. Seine oft zynische wie absurde, stetig wiederkehrende Betonung von Sex und Gewalt richtet sich gegen die symbolische, sublimierte Gewalt, die von Massenmedien und den in ihnen reproduzierten, konservativen Familienwerten ausgeht. McCarthys künstlerische Untersuchungen der Mechanismen dieser sozialen Strukturen sind vielschichtig und bringen monströse, kopulierende Tierfiguren hervor, wie ‚Bear and Rabbit on a Rock‘ (1992) oder den unheimlichen ‚Spaghetti Man‘ 36 PAUL MCCARTHY 1969 Kunststudium Universität Utah und San Francisco Art Institute (SFAI) 1972 Bachelor of Fine Arts Malerei am SFAI, University of Southern California 1973 M.F.A. Film/Video/Intermedia, University of Southern California Seit 1982 Professur an der UCLA, Los Angeles Abbildung: Paul McCarthy: Ohne Titel (2005) AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL) 2009 Sonic Youth etc.: Sensational Fix, Kunsthalle, Düsseldorf 2008 Here Is Every, MoMA, New York Paul McCarthy, Middelheimmuseum, Antwerpen Central Symmetrical Rotation Movement, Whitney Museum, New York Head Shop/Shop Head, Stedelijk Museum, Gent 2007 Live/Work: Performance into drawing, MoMA, New York Nothing Else Matters, De Hallen Haarlem, Haarlem Kunst aus Los Angeles der 60er bis 90er Jahre, Kunstverein, Braunschweig There is never a stop and never a finish, Hamburger Bahnhof, Berlin 2006 Full House, Kunsthalle, Mannheim Los Angeles 1955-85, Centre Pompidou, Paris rattus norvegicus, Leopold-Hoesch-Museum, Düren Paul McCarthy, Moderna Museet, Stockholm Faites vos jeux! Kunst und Spiel seit Dada, Museum für Gegenwartskunst, Siegen 2005 Superstars, Kunsthalle, Wien Wild Gone Girls, Frac, Ile-de-France, Paris Multiple Räume - Film, Kunsthalle, Baden-Baden LaLa Land Parody Paradise, Haus der Kunst, München 2004 Das große Fressen, Kunsthalle, Bielefeld Paul McCarthy, CAC, Malaga Brain Box - Dream Box, Van Abbemuseum, Eindhoven Playlist, Palais de Tokyo, Paris 2003 Spiritus, Magasin 3, Kunsthalle, Stockholm Paul McCarthy, Tate Modern, London Bankett/banquete, Palau de la Virreina, Barcelona M_ARS - Kunst & Krieg, Neue Galerie, Graz 2002 Clear Thoughts, Luhring Augustine Gallery, New York Paul McCarthy - Video & Fotografie, Frans Hals Museum, Haarlem Passenger - The Viewer as Participant, Fearnly Museum of Modern Art, Oslo Plus Ultra, Kunstraum, Innsbruck 2001 Let‘s Entertain - Life‘s Guilty Pleasures, Museo Rufino Tamayo, Mexico City Paul McCarthy, Villa Arson, Nizza Extreme Connoisseurship, Harvard University Art Museum, Cambridge Paul McCarthy - Video & Fotografie, Kunstverein, Hamburg 2000 The Fashion Show, Los Angeles Pinturas Amuebladas, Galeria OMR, Mexico City Lost, Ikon Gallery, Birmingham Around 1984, PS1, New York LITERATUR (AUSWAHL) 2007 Franke/Knapstein: There is never a stop and never a finish, Köln 2003 Paul McCarthy at Tate Modern, London 2003 Engelbach: McCarthy, Paul, Hammer, Oranges, Apple, Frankfurt a.M., Revolver Verlag 2000 Meyer-Hermann: Paul McCarthy - Dimensions of the Mind: The Denial and the Desire in the Spectacle, Köln 37 JONATHAN MEESE *1970 Tokio Die Zukunft richtet sich niemals nach den widerlich nostalgischen Befindlichkeiten des Menschen, der Mensch möge von sich absehen und die Machtübernahme der Kunst liebevollst willkommen heißen.‘ (Meese in: Rolandseckmanifest, 2009) festleg- und somit interpretierbar. Meese betont zugleich, dass seine Selbstportraits keine individuelle Aussage beinhalten, es handele sich vielmehr um ‚Staatsfratzen, Staatsgesichter, die keine Individualität mehr haben.‘(2) Meese, Meese, Meese ... Im Falle Jonathan Meese fragt man sich schnell: Wie viele Meeses gibt es eigentlich? Den bildenden Künstler, den Schauspieler (Das Herz ist ein dunkler Wald), den Bühnenbildner (Kokain) und den Autoren-Regisseur Meese (De Frau: Dr. Poundaddylein - Dr. Ezodysseusszeusuzur). Seine Produktionswut und die diversen Inspirationsquellen, von altnordischen Sagen bis zu zeitgenössischer Science-Fiction, erwecken den Verdacht, es handele sich um einen unruhigen Geist, der auf zu vielen Hochzeiten tanzt. Wäre da nicht dieser Grundgedanke Meeses, nicht einmal dies und anderes mal jenes zu machen, sondern immer alles. Sein primäres Ziel scheint zu sein, alle Referenzen des Meese-Universums zu integrieren und somit unzählige Möglichkeiten des gedanklichen Ab- und Ausschweifens zu bieten. Auf diese Weise gelingt Meese die inhaltliche Ent- und Umwertung von historischen Begriffen und Figuren. Ähnlich einer Assemblage wecken die von ihm verwendeten Elemente mittels der (Neu-) Kombination im Betrachter individuelle Assoziationen. Meese verstärkt diesen Prozess, indem er Begriffe und Personen verwendet, die oft eine eindeutig negative Konnotation haben. So verwirrt die Gegenüberstellung von Charles Bronson, Pornographie, ‚Slayer‘ und Hitler den Betrachter und zwingt ihn zu weiter reichenden Assoziationen. Die in Düren gezeigten Selbstportraits der Sammlung Dahlmann (‚Marquis des Sqawmeese im geöffneten Maul des Mädchenvampirs Nassys‘ von 2002 und Werke der ‚Kapitano Bligh‘ Reihe von 2001) verweisen auf einen bedeutenden Grundsatz in Meeses Denken. Das Selbstportrait, vermeintlich das Persönlichste, was ein Künstler schaffen kann, wird von ihm entindividualisiert und eröffnet dem Betrachter somit Assoziationen fernab vom Offensichtlichen – Facetten des MeeseUniversums, dessen Kunstdiktatur keine eindeutigen Identitäten zu kennen scheint. Gedankenspiel wird inhaltliche Debatte und umgekehrt. ‚Alles ist Spielzeug. Das ist alles gewesen. Ob Kommunismus, Nationalsozialismus, das alte Ägypten oder das alte Rom, nichts kommt wieder. Wir sollten etwas anderes sich lostreten lassen, der Vulkan der Kunst möge ausbrechen‘(1) fordert Meese. Er gibt keine Interpretation vor und entzieht sich geschickt immer wieder möglichen Einordnungen. Als wolle er sich dem immer wieder auf seine Arbeiten angewendeten Begriff von der ‚individuellen Mythologie‘ entziehen, bezeichnet Meese seine Kunst als Staatskunst und versieht jeden zentralen Begriff mit dem Präfix ‚Staat‘ (Staatspornographie, Staatsideologie, Staatsobsession...). Doch er erläutert nicht, wie er den Begriff versteht. Es macht keinen Sinn, sich auf Max Weber, Franz Oppenheimer oder Niklas Luhmann zu berufen – die Offenheit seines Systems wäre zerstört, er wäre Meese entzieht sich jeder Definition oder der Eindeutigkeit eines Konzeptes, das eine Annäherung an seine Werke auf einer allgemeingültigen Ebene erlaubt. Meeses Kunst ist anziehend und abstoßend zugleich. Durch die Offenheit des Systems und immer wieder neu auftauchender Widersprüche kann die Kunst ständig neu betrachtet werden. Damit entsteht ein gewisser Aspekt der Zeitlosigkeit, der garantiert, dass auch, wenn sich niemand mehr daran erinnert, wer Charles Bronson war, die Diktatur der Kunst als solche verstanden wird. (1) Moritz Honert: ‚Der will nur spielen. Interview mit Jonathan Meese, in: testcard #16: Extremismus (2007), S.162-168. (2) Angela Lampe: ‚Der Wille zur Staatskunst – Ich bin breit mich weiter zu verstricken’, in: Kunstforum International, Bd.164 (2003), S.183. I.P. Abbildung rechts: Jonathan Meese: Marquis des Sqawmeese im geöffneten Maul des Mädchenvampirs Nassys (2002) 38 JONATHAN MEESE 1995-1998 Hochschule der Bildenden Künste, Hamburg AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL) 2009 Erzstaat Atlantisis, Arp Museum - Bahnhof Rolandseck, Remagen KölnSkulptur 5, Skulpturenpark, Köln Crotla Presents, Lothringer 13 - Städtische Kunsthalle, München 2008 Vertrautes Terrain, ZKM, Karlsruhe Fräulein Atlantis, Essl-Museum, Klosterneuburg back to black - Schwarz in der aktuellen Malerei, Kestner Gesellschaft, Hannover 2007 Marquis de Schnurkuss Milchmädch‘ Meesie (Babybouncer) Die ultragroßen Abenteuer, Kunstraum, Innsbruck No, future, Bloomberg Space, London Konstellationen III, Städel Museum, Frankfurt Mama Johnny, Deichtorhallen, Hamburg Deutsche Geschichten, Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig 2006 rattus norvegicus, Leopold-Hoesch-Museum, Düren Daniel Richter / Jonathan Meese, Kunsthaus, Stade Memento Mori, Comme ci Comme ca II, Köln Die 90er - Vom Künstlerbuch zur CD-ROM, Neues Museum Weserburg, Bremen 2005 Képi Blanc - nackt, Schirn Kunsthalle, Frankfurt Zur Vorstellung des Terrors: Die RAF-Ausstellung, Kunstwerke, Berlin Baroque and Neobaroque, Domus Artium 2002, Salamanca Sherwood Forest, De Hallen, Haarlem 2004 Das Bildnis des Dr. Fu Manchu, Contemporary Fine Arts, Berlin Sammlung Taubenstrasse, Kunsthaus, Hamburg Solo Mortale, Kunstverein, Kassel Partisanen der Utopie, Schloss Neuhardenberg, Berlin 2003 Warum!, Martin Gropius Bau, Berlin L‘amour, Galerie Daniel Templeton, Paris Grotesk!, Schirn Kunsthalle, Frankfurt Deutschemalereizweitausendrei, Kunstverein, Frankfurt 2002 Young Americans, Contemporary Fine Arts, Berlin Revolution, Kestner-Gesellschaft, Hannover Brotherslasher, Ausstellungsraum Brotherslasher, Köln Hossa, Centro Cultural Antratx, Mallorca 2001 Ziviler Ungehorsam - Sammlung Falckenberg, Kestner-Gesellschaft, Hannover Jonathan Meese, Galerie Leo Koenig, New York Ausgesucht von Eva Schlegel und Erwin Wurm, Galerie Krinzinger, Wien Jonathan Meese, Centre d‘Art Contemporain, Fribourg 2000 The Return of Dr. Cyclops, Paolo Curti & Co., Mailand Soldat Meese (Staatsanimalismus), Maldoror-Turm, Museum Abteiberg, Mönchengladbach L.A. ex, Museum Villa Stuck, München Produktivität und Existenz, Kunstraum Bethanien, Berlin LITERATUR (AUSWAHL) 2008 Diktatur der Kunst, Jonathan Meese (Erzmumin), Köln 2007 Jonathan Meese, Fräulein Atlantis, Klosterneuburg 2004 Don’t call us piggy, call us cum, Galerie Hammelehle und Ahrens, Köln 2002 Revolution, Kestner-Gesellschaft, Hannover 2001 Jonathan Meese, Galerie Leo König, New York 2000 Sierhoden und Absinth - Erwin Meese, Contemporary Fine Arts, Berlin 39 BJARNE MELGAARD *1967 Sydney ‚Yes, we have declared war. Dead died because the trend people have destroyed everything from the old black metal / death metal scene, today death metal is something normal, accepted and funny and we hate it.‘ (Øystein Aarseth alias Euronymous, in: Bad Faust Magazine 1992) Auch sein Beitrag auf der documenta 12 war eine Hommage an einen Musiker: Roger Baptist alias Rummelsnuff. Er gilt als eine Ikone der deutschen Elektropunk- und Industrial-Szene, dessen beeindruckende Muskelmassen das Zentrum der in Kassel ausgestellten Malereien und Fotografien bildete. Die in Düren vis-á-vis von McCarthys wilder Lithografie auf einem weißen Sockel präsentierte Plastik Bjarne Melgaards könnte einem skandinavischen Krimi entstammen. Der klassisch anmutende, von Melgaard mit schwarzen Bemalungen und Statements wie ‚RUSSIAN STEROIDS‘ oder ‚WE DIE TO SLOW‘ verfremdete Gipsabguss wirkt wie das ungewöhnliche Artefakt am Tatort, das den Ermittlern den entscheidenden Hinweis auf das Milieu liefert: Die Death Metal-Szene. Letztere ist wie Punk längst im Sinne Marcuses Analyse als ‚Attitüde‘ ins Konsumsystem integriert worden. Ihre genuinen Inhalte wurden Anfang der 1990er Jahre erfolgreich kommerzialisiert und entfremdet, wie der einleitend zitierte Sänger Euronymous feststellte. Dass er unter umstrittenen Umständen verstarb, steigerte den kommerziellen Ausverkauf und den Kult-Status der norwegischen Black Metal-Band ‚Mayhem‘ nur noch. Melgaards malerisches Werk umfasst Arbeiten von hoher künstlerisch-technischer Virtuosität neben an Art brut erinnernde Kinderzeichnungen. Doch das Bindeglied aller Arbeiten und Medien des Künstlers – Skulptur, Fotografie, Zeichnung, Digitale Kunst, Installation, Environment und zahlreiche Cover für ihm nahestehende Bands – sind die psychischen und leiblichen Abgründe des Menschen, mit denen er den Betrachter in der Regel konfrontiert. Auch die aus drei Figuren bestehende Gipsplastik wurde durch Melgaards Übermalungen aus ihrem ursprünglichen Kontext gelöst. Die beiden, die mittlere Figur flankierenden Männer, wirken durch ihre Haltung und Attribute wie tatkräftige Handwerker oder Seemänner. Doch durch die vom Künstler hinzugefügten schwarzen Augenringe und tatooartigen Spuren auf den Armen kippt die Stimmung. Die entschlossene Körperhaltung erscheint nun bedrohlich. Im Gegensatz zu diesen beiden, nur halb aus dem Sockel ragenden Assistenzfiguren, steht die zentrale Figur aufrecht und stützt ihre linke Hand auf einen langen Stab. Ihr Körper ist bis auf die Hände und das Gesicht vollständig von einem sakral anmutenden Gewand verhüllt und kann letztlich durch die Verfremdungen Melgaards – das schwarze Gesicht und der Totenkopf auf der Brust – nicht mehr eindeutig identifiziert werden. Ist es eine weibliche Heiligenfigur oder doch ein zwiespältiger Wächter oder Fährmann, wie druch den Stab angedeutet wird? Die Aufschrift ‚Just want to be the cause of my own death‘ auf dem Rücken der Figur legt den Verdacht nahe, dass es sich um einen gefallenen Engel oder eine satanische Sirene handelt. Melgaard ist, wie bereits der als eine Hommage an ‚Mayhem‘ zu lesende Titel des Werks zeigt, eng mit der Black Metal-Szene verbunden. Ob Graffiti, satanistische Symbolik, Splatterfilm oder ClubhouseÄsthetik: Angesichts von fiktiven Ritualmorden und dem Verbrennen der Exponate scheint vor allem der scheinbar diabolisch motiverte Tabubruch Programm zu sein. In diesem Sinne müssen Melgaards Ausstellungen daher stets auch als Performance gelesen werden. Die zur Vernissage oder im Ausstellungsbegleitprogramm auftretenden Bands sind ein integraler Bestandteil seines Konzeptes. ‚Dead died – but never surrender‘ scheint die an Punk erinnernde Botschaft der Performances und Werke Melgaards trotz bzw. angesichts der von Marcuse als repressive Entsublimierung beschriebenen Kommerzialisierungstendenzen zu sein. G.M. Abbildung rechts: Bjarne Melgaard: Euronymous (2001) 40 BJARNE MELGAARD 1989-90 Kunstakademie, Warschau 1990-91 Statens Kunstakademi, Oslo 1991-92 Jan van Eyck Academie, Maastricht 1992-93 Rijksacademie van Beeldende Kunsten, Amsterdam AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL) 2009 Twilight Zone - Art Hits Design, Kunstraum Niederösterreich, Wien Loss of Control, MARTa, Herford 2008 Chickenhawk, Galerie Krinzinger, Wien A Kidwhore in Manhattan - A Novel, Galerie Guido W. Baudach, Berlin Euro-Centric - Part 1, Rubell Family Collection, Miami Oh My God!, Kunstlaboratorium, Vestfossen 2007 Aggression of Beauty II, Galerie Arndt & Partner, Berlin Mommy`s Boy & Daddy`s Girl, Patricia Low Contemporary, Gstaad You Always Move in Reverse, Leo Koenig, New York Daydreams and Nightmares, Stenersen Museum, Oslo 2006 Minipigs in Space, Galerie Krinzinger, Wien Die Jugend von heute, Schirn Kunsthalle, Frankfurt Goethe abwärts - deutsche Jungs, Mönchehaus-Museum, Goslar rattus norvegicus, Leopold-Hoesch-Museum, Düren Antisocial, Frac Auvergne, Clermont Ferrand 2005 With us against reality, or against us!, Galleri S.E., Bergen Hallo Maybe, Haugar Museum of Art, Oslo Cut Off - Collage als Dekonstruktion, Malkasten, Düsseldorf Life is a Lonely Buffalo, Niels Borch Jensen Gallery, Berlin Not a Painting Show, Stella Lohaus Gallery, Antwerpen 2004 Secrets of the 90s, Museum voor Moderne Kunst, Arnheim Norwegian Art of the Last Decade, Zacheta National Gallery of Art, Warschau Central Station - Harald Falckenberg collection, Maison Rouge, Paris Playlist, Palais de Tokyo, Paris 2003 The End of the Professional Teenager, Pollock Fine Art, London Phantom der Lust, Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz Tattoo, Galerie Roger Pailhas, Marseille The Painting never dries..., Astrup Fearnley Museum of Modern Art, Oslo 2002 Black Low, MARTa, Herford Interface to God, Kunsthalle, Kiel Hommage an Rudolf Schwazkogler, Galerie Krinzinger, Wien Nothing Special, Galerie Faurschou, Kopenhagen 2001 New Heimat, Kunstverein Frankfurt Bjarne Melgaard, Galerie Krinzinger, Wien 2000 Civil disobedience - Sammlung Falckenberg, Kestner Gesellschaft, Hannover The myth of a young washing machine, Museum of Contemporary Art Galleri Riis, Oslo Rückblick und Ausblick, Kunstmuseum, Bonn Organising Freedom - Nordic art in the 90s, Charlottenborg udstillingsbygning, Kopenhagen LITERATUR (AUSWAHL) 2008 Afterall, A Journal of Art, Context and Enquiry (17/2008), London 2005 Hallo Maybe - Bjarne Melgaard, Haugar Vestfold Kunstmuseum 2002 Interface to God, Kunsthalle, Kiel 1997 Free from content, Stedelik Museum, Amsterdam 41 STEPHAN MÖRSCH *1974 Aachen So sah ich nach oben Fand noch nicht einmal den Mond Und diese Stadt war leise Fast so still und sanft wie der Tod (Fliehende Stürme, Spieler) Treppenhäuser, Tiefgaragen, Straßenkreuzungen: Unorte und Durchgangsräume begegnen uns auf den Zeichnungen von Stephan Mörsch. Räume, die keine Lebensräume sind, die nicht zum Verweilen einladen, sondern funktionale Transitzonen auf dem Weg zur Arbeits-, Vergnügungs-, und Wohnstätte. Menschen sind auf den Stadtbildern des Künstlers die Ausnahme der Regel. Sie treten nahezu ausschließlich als Einzelne auf, meist in der Rückansicht. Sie erinnern an die leise Verlorenheit der Figuren Edvard Hoppers, teilen deren Ziellosigkeit. Und wie sich bei Hoppers 1946 entstandener ‚Einfahrt in die Stadt’ eine dunkle Tunneleinfahrt in ein betonsteriles Tor zur Unterwelt verwandeln kann, wird bei Mörsch die prosaische Sicherheitstür einer Tiefgarage – verdunkelt und ins Bildzentrum gerückt – latent bedrohlich. Sie erhält den fatalistischen Sog eines schwarzen Lochs, das jede Wahlfreiheit versiegelt. Hopper setzt die Unterhöhlungen des amerikanischen Traums ins Bild. Ausgeführt an deren exemplarischen Ortschaften, dem Produktionsmotor Großstadt und dem Refugium der viktorianischen Kleinstadt. Er entdeckt Verlorenheit und Lebensleere auf der Rückseite des aktionistisch vitalen Fortschrittsoptimismus. Dagegen kann Mörsch als Chronist der Tristesse der westdeutschen Stadt begriffen werden. Seine Zeichnungen sind seismographische Aufzeichnungen des Unbehagens, der Unheimlichkeit im öffentlichen Raum. Angesichts seiner Straßenszenerien mag man sich an postapokalyptische Filme wie den ‚Omega-Mann’ (1973) erinnert sehen. Doch wo die grandiose Szenerie der Hochhausschluchten New-Yorks der unaufhebbaren Einsamkeit des ‚last man on earth’ immer noch einen Rest Heroismus gestattete, schrumpft sie bei Mörsch auf das Mittelmaß bundesrepublikanischer Einkaufszonen. Die metaphysische Dimension der Einsamkeit, wie sie Nietzsche, Rilke und Camus noch beschworen, weicht bei Mörsch der Trivialität des Alleinseins. Nur ausnahmsweise scheinen in der Trivialität quasi metaphysische Momente auf. So kann der helle Lichtschein, der aus einem U-Bahneingang auf die nachtschwarze Straße dringt, einen epiphanisch-visionären Charakter erhalten. Mörschs zeichnerische Arbeiten tragen einen eminent filmischen Charakter. Ihr kontrastreiches Schwarz-Weiß erinnert an Film-Stills der 1950er und 1960er Jahre, an Neorealismus und Nouvelle Vague. So kann man die seriellen, kleinformatigen Werke mit ihren wechselnden Kamerawinkeln und Einstellungsgrößen auch als sequenzielle Bilderfolge eines Storyboards lesen, als Momente einer Handlung, die nicht geschieht. Thematisch wie formal kreisen die Werke um die Pole Bewegung und Stillstand, um Zeitlichkeit. Auch wo sie Stillstand zeigen sind es Aufzeichnungen, die aus der Bewegung, oft aus dem Gehen entstanden sind und deren Entstehungssituation sich in das bildliche Ergebnis eingeschrieben hat. Neben den melancholisch gestimmten Graphitzeichnungen entstehen modellhafte Plastiken, geprägt von lakonischem Humor und hintersinnigem Witz. Ein Jagdhochsitz (Ohne Titel, 2007) wird auf Modellgröße geschrumpft und gleichsam als minimale Übersicht ironisiert: Entlarvung durch Miniaturisierung. Aber so wie er Charakter, Struktur und Atmosphäre seiner Unorte, Zwischenräume und Transitzonen zeichnerisch souverän einfängt, bildet Mörsch die rohe wie fragile Holzkonstruktion des erniedrigten Hochsitzes in liebevoller Detailgenauigkeit nach. Denn Mörsch zieht sich nie in Zynismus zurück, sondern bewahrt auch in subtiler Kritik einen Moment von Empathie. Er verkleinert Wachhäusschen libanesischer Grenzsoldaten auf Nistkastenformat, entdeckt in ihren unterschiedlichen Formen, Größen und Bemalungen unerwartete Diversität in der Uniformität des Militärischen. Thematisch korrespondieren die Hochstände und Wachhäusschen mit den graphischen Arbeiten. Sie sind Orte gespannter Aufmerksamkeit, potentieller Destruktion und zugleich Stätten ausgedehnter Langeweile. Zwischenstationen wie eine Bushaltestelle, Sinnbild eines Lebens im Wartestand. Aktivität und Passivität kulminieren im Nullpunkt. T.L. 42 STEPHAN MÖRSCH 1994-96 Geisteswiss. Studium, Universität Bonn 1996-98 Akademie Beeldende Kunsten, Maastricht 1998-04 Hochschule für Bildende Künste, Hamburg 2003 Stipendium der Karl H. Ditze Stiftung 2005 Art Cologne, Förderkoje 2005 2006 Hamburger Arbeitsstipendium für Bildende Kunst 2006 Gastprofessur, Akademie der Bildenden Künste, Nürnberg AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL) 2009 Central Nervous Sytem NO. 2, Galerie im Regierungsviertel, Berlin Bremerhaven - New York, Kunsthalle, Bremerhaven 2008 Tabularasa - The Driller Killer Artists, Galerie im Regierungsviertel, Berlin Zeichnen, Kulturbahnhof Eller, Düsseldorf 2007 Imaging the Distance, Ludwig Forum Aachen, Arlington Art Centers Transfer Türkei - NRW, Ludwig Forum Aachen, Bochum, Münster, Istanbul Otopark, Galerie Sfeir-Semler, Hamburg Fish and Ships, Kunsthaus, Hamburg 2006 Site Samples # 1 & 2, Galerie für Landschaftskunst, Hamburg Sculpture, Rental Gallery, New York rattus norvegicus, Leopold-Hoesch-Museum, Düren Moving Home(s), Galerie Sfeir-Semler, Beirut 2005 Tauchfahrten, Kunsthalle, Düsseldorf Modellräume, Städtische Galerie, Nordhorn Stephan Mörsch, Galerie Sfeir-Semler, Hamburg Deimos/Phobos, Feld für Kunst, Hamburg 2004 Kunst in der Börse, Hamburg Kunstlicht Kongress, Kunstraum Walcheturm, Zürich Tauchfahrten, Kunstverein, Hannover & Kunsthalle, Düsseldorf Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen, Galerie Adamski, Aachen Sammlung Taubenstrasse, Kunsthaus, Hamburg 2003 Mobile Drawn, Kunsthaus, Zug Feine Ware (eins bis drei), Plattform Taubenstrasse, Kunstverein, Harburg Tangente, plan b kunstraum, Hamburg Aktion Brückenkopf/Bridgehead’, Hôtel Bellville, London & Taubenstrasse, Hamburg 2002 Mullhollanddrive, Taubenstrasse, Hamburg Does-a-line-lie? - Artgenda 2002 Zeichenexperiment, Künstlerhaus Weidenallee, Hamburg Eine zeichnerische Untersuchung, Galerie für Landschaftskunst, Hamburg Istanbul Gizmek – Drawn Istanbul, Asmalimescit Galerie, Istanbul 2001 >>re//MIR<<, art agents gallery, Hamburg Stephan Mörsch, Borey-art gallery, St. Petersburg 2000 Seawater Proof Drawing Machine / Wissant - British Channel, France 1999 Unfallzeuge gesucht - Radiogun, Galerie Haushaltskunst, Hamburg 1998 Suche nach meinem Doppelgänger, Kubus-Kunstparcours, Eupen Abbildung oben: Stephan Mörsch: Ohne Titel (Modell von 2005) Abbildungen unten: Stephan Mörsch: Ohne Titel (Zeichnungen von 2005/2006) LITERATUR (AUSWAHL) 2008 Stephan Mörsch - Quedlinburg, Gustav Mechlenburg Verlag, Hamburg 2006 Hamburger Arbeitsstipendium für Bildende Kunst 26/2006, Hamburg 2004 Sammlung Taubenstrasse, Kunsthaus, Hamburg 2004 Tauchfahrten - Zeichnung als Reportage, Kunsthalle, Düsseldorf 1996 Künstler im Kreis Düren, Leopold-Hoesch-Museum, Düren 43 MARKUS OEHLEN *1956 Krefeld ‚Musste Jackson Pollock sterben und die Kommunistische Partei verboten werden, damit Markus Oehlen existieren konnte?‘ Diedrich Diedrichsen (1) Mit dieser Frage zielte Diedrich Diedrichsen auf den zeitgenössischpolitischen Kontext der Werke Oehlens. Hätte sich seine Kunst anders entwickelt, oder hätte Oehlen es überhaupt für notwendig befunden, sich künstlerisch auszudrücken, wenn er in einer anderen Zeit, in einer anderen Gesellschaft aufgewachsen wäre? Kein Zweifel besteht daran, dass Oehlen einer von starken Umwälzungen betroffenen Generation entstammt. Er wuchs in einer Welt auf, in der die Bedrohung zum Politikum und die Politik zur Bedrohung wurde. Der Kalte Krieg kulminierte in der Kubakrise als Oehlen zur Schule ging. Und zu allem Unheil zentrierte sich der weltpolitische Umstand des Kampfes zweier Weltanschauungen auf das geteilte Deutschland. Ein Land in zwei Lager gerissen und Berlin als Zentrum des Irrsinns. Das Berlin der 80er Jahre war nicht nur ein Ort an dem viele politische Einstellungen und Meinungen aufeinandertrafen, sondern wurde auch zum Ziel der Wehrdienstflüchtlinge und einer in den Tag hinein lebenden Generation, die sich mit den Vorstellungen ihrer Vätergeneration absolut nicht mehr identifizieren konnte. Ein Nährboden also für Antihaltungen wie den Punk und damit auch für eine Vielfalt von aus diesem resultierenden und mit ihm einhergehenden Konzepten und Ideen. Kennzeichnend für Oehlens Werk in jener Zeit sind politische Provokation und ebenso provokative Musik. Er gehörte diversen Punkbands an (z. B. ‚Fehlfarben‘ und ‚Mittagspause‘) und gründete Institutionen wie die ‚Kirche der Ununterschiedlichkeiten‘ sowie eine ‚Samenbank für DDR-Flüchtlinge‘ (gemeinsam mit Georg Herold und Werner Buettner), die dem Ausdruck seiner politischen und gesellschaftlichen Kritik dienten. Kennzeichend für die Neuen Wilden ist ihre schelmenhafte, neodadaistische Provokation und zynische Agitation, wie sie besonders an der ‚Samenbank‘ und an Martin Kippenbergers ‚Sozialkistentransporter‘ (1989) deutlich wird. Die sich auch im Duktus der Malerei spiegelnde, extreme Expressivität beschreibt Diedrichsen, der mit Oehlen in Bands spielte, rückblickend aus der Perspektive des Musikers: ‚Das Schönste an diesen Bands war, dass wir so viele Ideen hatten, dass sie nur in inadäquater Weise umgesetzt werden konnten.‘(1) Dies gilt ebenso für die bildende Kunst. Die kopflastige Kunst des vorangegangenen Jahrzehnts wurde abgelöst durch eine emotionalexpressive Malweise, die synchron zur Selbstbefreiung dieser Generation zu verstehen ist. Diese Ausdrucksweise ist in der Malerei, wie in der Musik als Rundumschlag zu verstehen und bedeutet einen Bruch mit vorhandenen Konzepten und Vorstellungen. Oehlens Arbeit ‚Ohne Titel‘ (1983) wirkt nach mehr als 25 Jahren immer noch, wie ein frisches Graffiti – seine Pinselführung, die Drippings und sich überlagernde Farb- und Formexplosionen zeugen von einer schnellen, emotionalen Arbeitsweise. Obwohl es sich um eine gegenstandslose Arbeit handelt, assoziiert sich durch Technik und Ausführung eine inhaltlich-thematische Dimension. Der Betrachter wird durch die Struktur unweigerlich an Wände in besetzten Häusern, an Graffiti und an Farbbomben erinnert. Des Weiteren versucht er Formen oder Umrisse zu erkennen, die jedoch nicht fassbar sind – sie sind zerstört oder dekonstruiert, was unweigerlich dazu führt, dass der Betrachter Zusammenhänge, Strukturen, Muster oder Formen sucht, mit denen er sich dem vermeintlichen Inhalt des Gemäldes annähern kann. Dies lässt sich ebenfalls mit dem Punk vergleichen: die Musik, die Melodie, die Texte sind zerstörerisch, wollen ein vorhandenes System zerschlagen, aber das Verhalten der Punks ist in weiten Teilen sozial und konstruktiv. Das Gemälde erscheint als Momentaufnahme: nach der Auflösung und vor dem Neuanfang, aber schon mit Ideen und Perspektiven aufgeladen. (1) Markus Oehlen ...desde 1956, in: Pinturas, Ausst. Kat. Galeria Fucares, 1987. I.P. Abbildung rechts: Markus Oehlen: Ohne Titel (1983) 44 MARKUS OEHLEN 1976-82 Kunstakademie, Düsseldorf 1976 Gründung der Liga zur Bekämpfung widersprüchlichen Verhaltens 1981 Gründung der Kirche der Ununterschiedlichkeit 1987 Berliner Kunstpreis 2002 Professur, Akademie der Bildenden Künste, München AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL) 2009 Gesammelte Werke - die Achtziger, Galerie David, Bielefeld 2008 Passioniert provokativ, Pinakothek der Moderne, München Aerobic 3, Galerie Hammelehle und Ahrens, Köln pas de deux, Städtische Galerie Villa Zanders, Bergisch Gladbach Vertrautes Terrain, ZKM, Karlsruhe 2007 Pensee Sauvage, Kunstverein, Frankfurt & Ursula Blickle Stiftung, Kraichtal Markus Oehlen, Galerie Hohenlohe, Wien Markus Oehlen - Neue Arbeiten, Galerie Hans Mayer, Düsseldorf 2006 Faster! Bigger! Better!, ZKM, Karlsruhe rattus norvegicus, Leopold-Hoesch-Museum, Düren abstract art now 1, Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen Neue Malerei, Museum Frieder Burda, Baden-Baden 2005 Markus Oehlen - New Paintings, Galerie Asbaek, Kopenhagen Meilenstein, Kunstverein Harburger Bahnhof, Hamburg Löffelpogo!, Galerie Bärbel Grässlin, Frankfurt State of the Art, State of Sabotage, Wien 2004 actionbutton, Russian Museum, St. Petersburg Arbeiten auf Papier, Monika Sprüth Philomene Magers, München Sammlung Falckenberg, FIAC, Paris Markus Oehlen - Electric Beach, Galerie Hans Mayer, Düsseldorf 2003 Because if it‘s not love..., Institute of Visual Culture, Cambridge Obsessive Malerei - Rückblick auf die Neuen Wilden, ZKM, Karlsruhe actionbutton, Hamburger Bahnhof, Berlin Gar.net, Die Bank, München 2002 Kunstverein Malkasten, Düsseldorf Markus Oehlen - Skulpturen, Kunstsammlungen, Chemnitz Markus Oehlen, Galerie Suzanne Tarasieve, Paris Zurück zum Beton, Kunsthalle, Düsseldorf 2001 Vom Eindruck zum Ausdruck, Deichtorhallen, Hamburg Salons de Musique, Musée d’Art Moderne et Contemporain, Strasbourg Musterkarte, Goethe-Institut, Madrid 2000 Transfer, Centro Galego de Arte Contemporánea, Santiago de Compostela Der Ritt der sieben Nutten - Das war mein Jahrhundert, Museum Abteiberg, Mönchengladbach 1999 Die Schule von Athen - Deutsche Kunst heute, Tecnopolis, Athen 1998 Fast Forward - Image, Kunstverein, Hamburg 1997 Hommage à Kippenberger, Galéria Juana de Aizpuru, Madrid 1994 O.T., Galerie Klemens Gasser, Bozen 1987 Q.U.I., Villa Arson, Nizza LITERATUR/DISCOGRAFIE (AUSWAHL) 2008 Markus Oehlen, König Verlag, Köln 1991 Markus Oehlen, Galerie Gisela Capitain, Köln 1984 Die Rache der Erinnerung, LP 1982 Kirche der Ununterschiedlichkeit, LP 1981 Mittagspause live, LP 1980 Herrenreiter, Single 1979 Ohne Titel, Doppelsingle 45 THOMAS RIECK *1951 Hamburg Der geschundene Körper, ein mit wenigen, schnell ausgeführten Pinselstrichen auf durchtränktem Stoff von Thomas Rieck gemaltes Wesen (ohne Titel, 1999) hat keinen Namen und erinnert durch seine Haltung an die groteske Graphik Paul Klees ‚Zwei Männer einander in höherer Stellung vermutend‘ (1903). Die scheinbar im Übergang befindliche Kreatur, deren Füße und Hände zum Boden streben, gewinnt durch die rohe Ausführung und den dreckigen Träger einen bestialischen Charakter. Doch im Gegensatz zu der im selben Ausstellungsraum in Düren gezeigten Plastik (‚Hool‘, 2005) von Beer, die von ihrem Sockel aus aggressiv den Betrachter und die gegenüber positionierte Arbeit von Oehlen angreift, scheint das Wesen von Rieck Opfer zu sein. Es wendet dem Betrachter das verzerrte Gesicht zu. Haut, Körpersprache und unnatürliche Glieder negieren die menschlichen Züge der Figur. Auch die zweite im Saal zwischen Beer und Zipp präsentierte Arbeit Riecks (ohne Titel, 2002) aus der Sammlung Dahlmann fügt sich in diese Stimmung. Es zeugt zugleich – wie der als Träger für das zuvor genannte Werk verwendete, profane Stoff – von der Vielseitigkeit des Künstlers. Seine Bilder sind in der Regel das Ergebnis eines langwierigen, vielfachen Überarbeitungsprozesses, motivisch und technisch. Das Abfotografieren von Vorlagen führt zu Spiegelungen und Verzerrungen. Lack, Kaffee und Fett stehen wie Tipp-Ex und Filzstift gleichberechtigt neben klassischen Mitteln wie Kreide und Öl auf Leinwand. Der Blick auf Riecks Werk offenbart eine virtuose Technik, aufwendige Marmoriertechnik findet sich ebenso wie das Durchtränken des Bildträgers. Das Beschmutzen, Durchstechen und Zerkratzen des Malgrundes deutet auf eine unterschwellige Aggressivität, die sich auch in den skurrilen Wesen als ein zentrales Thema zeigt. In diesem Sinne sind sie der expressiven Zerrissenheit und Deformation der Figuren Francis Bacons sehr nahe. Der Technik- und Stilmix von Rieck harmoniert auf subtile Weise mit dem Infragestellen der Realität und den Konditionen der Wahrnehmung; die des Künstlers selbst und jene der Betrachter seiner Bilder. Traum, Wahn und Wirklichkeit sind nicht zu unterscheiden und verdeutlichen auf diese Weise die grundlegende Fragilität vermeintlich objektiver Realitätskonzepte. Als Symbol für diesen stetigen Wandel und die aus ihm resultierende Ungewissheit können auch die mit Öl oder Lack auf Fotografien ausgeführten und in diesem Sinne alchemistisch anmutenden Arbeiten Riecks gelesen werden. Denn der fixierte fotochemische Prozess wird durch die Übermalungen wieder gestartet und die den Künstler ursprünglich inspirierende Vorlage mutiert. Im Laufe der Zeit verschwindet sie gänzlich. In diesen technischen wie inhaltlichen Kontext des immerwährenden Wandels fügt sich auch das Interesse Riecks für den indischen Kulturraum, das sich in zahlreichen Motiven und Titeln (‚Ich bin Du, Alles ist Alles‘, 1998 oder ‚Hinduhundi‘, 2006) zeigt. Trotz solcher Titel, die eine ironische Distanz – wie etwa am Ausstellungstitel ‚Goyayoga‘ deutlich wird – zu den tendenziell düsteren Szenen schaffen, lässt die Werkschau eine klassisch anmutende Konzentration auf den menschlichen Kopf als Motiv sichtbar werden. Er ist die Quelle aller Konzeptionen von Realität, ob Wahn, Wunsch oder vermeintlich objektive Wirklichkeit. In diesem Sinne charakterisierte Arthur Schopenhauer in seinem 1818 veröffentlichten, gleichnamigen Hauptwerk – ‚Die Welt als Wille und Vorstellung‘ – den Kern seiner Philosophie. Die Negation des Willens galt Schopenhauer als Schlüssel für die Befreiung des Subjekts. Dieser Gedanke findet sich in einem frühen Werk Riecks aus dem Jahre 1983: Eine Figur, deren scheinbar entflammter Kopf sich aufzulösen droht, fragt den Betrachter und sich selbst: ‚Why can‘t I stop thinking?‘ G.M. Abbildung rechts: Thomas Rieck: Ohne Titel (1999) 46 THOMAS RIECK 1973-80 Studium Hochschule für Bildende Künste, Hamburg 1980 Stipendium Studienstiftung des Deutschen Volkes 1983 Hamburger Arbeitsstipendium 1985-86 Rom-Preis, Villa Massimo 1987 Arbeitsstipendium Kunstfonds e.V, Bonn 1992-93 Barkenhoff-Stipendium, Worpswede 1997-99 Vertretungsprofessur, Hochschule für Bildende Künste, Hamburg 1999 Gastprofessur Pentiment, Akademie für Kunst & Gestaltung, Hamburg 2001-02 Cité Internationale des Arts-Stipendium, Paris AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL) 2009 Goyayoga, Galerie Renate Kammer, Hamburg 2008 Coincidentia Oppositorum, SchauRaum Produzentengalerie, Hamburg Ach so!, Makii Masaru Fine Arts, Tokio 2006 rattus norvegicus, Leopold-Hoesch-Museum, Düren Ausschnitte deutscher zeitgenössischer Kunst, Jeonbuk Province Art Museum, Korea 2005 Wunsch Indianer zu werden - Zeichnungen und Bilder, Galerie Claudia Delank, Köln Thomas Rieck, Kunsthalle Hamburg Der weitere Blick - Photographie von Malern, Galerie Claudia Delank, Köln Meilenstein, Kunstverein Harburger Bahnhof, Hamburg 2004 Suche durch Summen, Kunstverein Harburg, Hamburg 2003 Harakiri Bonbon, 25 Jahre Künstlerhaus Hamburg, Hamburg Thomas Rieck/Rolf Schanko - Bilder und Zeichnungen, Galerie Claudia Delank, Köln 2001 Alone Ahead, Kunstverein Harburger Bahnhof, Hamburg Body as Metaphor, Detroit Artist Market, Detroit 2000 Zeichnungen, Künstlerhaus, Hamburg Thomas Rieck - Bilder und Zeichnungen, Galerie Claudia Delank, Köln 1999 Thomas Rieck, Clifford-Smith Gallery, Boston Thomas Rieck, Agentur für zeitgenössische Kunst, Hamburg 1998 Thomas Rieck, Klostergalerie, Zehdenick Thomas Rieck, Galerie du Tableau, Marseille Thomas Rieck, Galerie Hauptmann, Hamburg 1996 Thomas Rieck - Zeichnungen, Kunsthalle, Hamburg Thomas Rieck, Galerie Claudia Delank, Bremen 1995 Erste Wahl, Kunstverein, Hamburg 10. Nationale der Zeichnung, Augsburg 1994 Nietzsche in der Bildenden Kunst, Stiftung Weimarer Klassik, Weimar 1993 Thomas Rieck, Künstlerhaus Hamburg e.V, Hamburg 1991 Linie und Farbe, Galerie Pels-Leusden, Berlin 1990 Thomas Rieck, Micalady Gallery, Tokio Hamburg - Leipzig, Emschertalmuseum, Herne Thomas Rieck, Kunstzentrum, Hengelo LITERATUR (AUSWAHL) 2005 Willkommen alter Mann, mit F. Fux und G. F. Gerlach, Eigenverlag, Hamburg 2003 Renaissance, mit F. Fux und G. F. Gerlach, Eigenverlag, Hamburg 1996 Zeichnungen, Kunsthalle, Hamburg 1993 Barkenhoff-Stipendiaten 1992/93, Schäfer Verlag, Hannover 1990 Menschenbilder, Städtische Galerie im Schlosspark Strünkede, Herne 47 OLIVER ROSS *1967 München ‚Humanes Erkenntniscolorit, schicksalslos bunte Konstellationen einer poetologischen Supermarktmentalität statt sinnlich sittlicher Geistesordnung?‘ (O. Ross 2007) Die beiden Werke von Oliver Ross in der Sammlung Dahlmann – (‚Hypothesa‘ (1999) und ‚Hypothetischer Seelenmüll im archetypischen Stil‘ (2001/02) – muten an, als habe der für seine Fallenbilder bekannte Daniel Spoerri sich weniger dem Nouveau Réalisme als dem rauschhaften ‚Summer of Love‘ gewidmet. Während die neonfarbenen Formen und Strukturen an Drogenvisionen der 1960er und 1970er Jahre erinnern, collagiert Ross im Stil der Fallenbilder Spoerris zeitgenössische Fundstücke auf den Malgrund. Platinen, verschweißter Bierschinken, Zigarettenstummel und Toastscheiben, dessen Schimmel mit der filigranen Malerei auf dem Träger harmoniert und in einer geheimnisvollen wie komplexen Struktur verbunden zu sein scheint. Die Frage nach dem Grund, das Warum kreist wie die anderen Applikationen um die gegenstandslose Mitte der Arbeit. Alles scheint in dieses Zentrum zu streben bzw. wächst aus ihm heraus. Ein ironischer Kommentar zu der ewig andauernden Suche des Menschen nach Ursprung und Sinn, zu den Grundfragen der Philosophie? Im Text ‚Hard Edge Hippie Brain‘ (2007) konstatiert der Künstler einleitend ‚Gott ist Pleite‘ und fragt anschließend – wie oben zitiert – nach einer sinnlich sittlichen Geistesordnung. Hinter der dadaistisch anmutenden Materialschlacht des Künstlers verbirgt sich ein philosophischer, ja ein aufklärerischer Ansatz, wie Anna Blume jr. in ihrer Einführungsrede zur Ausstellung ‚Innenwelthypothese‘ im Jahre 2002 erläuterte. Die seit Jahrtausenden andauernde Diskussion um das Verhältnis von Außen- und Innenwelt und die Beschaffenheit der letzteren ist ein zentrales Thema der Werke. Angeregt von der sogenannten Innenwelthypothese des Philosophen Hermann Schmitz spielt Ross mit klassischen Begriffen wie Ich, Seele, Subjekt oder Psyche und verbindet sie in einer organisch anmutenden Struktur miteinander und mit den aus dem Alltag herausgelösten, in diesem Sinne zweckentfremdeten Gegenständen der Außenwelt. Subtil verweist er – für in diesen philosophischen Diskurs Eingeweihte – auf die aus Sicht der Phänomenologie problematische, in der Antike einsetzende, strikte Trennung zwischen Subjekt und Außenwelt, die unsere Vorstellungen und auch die Kunst bis in die Moderne beeinflusste. Aus formaler Perspektive bieten die beiden in Düren ausgestellten Werke von Ross etwa interessante Parallelen zu den ‚Kordelbildern‘ Markus Oehlens der 1990er Jahre. Diese aus auf Holz aufgeklebten, bunten Baumwollfäden geschaffenen Werke zeigen abstrakte Muster und Formen, die verschiedene Assoziationen hervorrufen. Ähnlich den Maserungen einer Holzplatte sucht der Rezipient intuitiv nach bestimmten Formen, so wie er in den abstrakten bis fantastischen Szenen und Collagen von Ross nach deren inneren Zusammenhang fahndet und bei genauerer Betrachtung Details entdecken kann, wie etwa das Bewusstseinsschemata von Sigmund Freud. Auch jüngere, mit dem Computer generierte oder klassisch collagierte Werke mit Heroldschen Titeln wie ‚Wurst im Getriebe‘ oder ‚Analysediplom‘ (beide 2005) scheinen der Komplexität von biologischen, technischen wie intellektuellen Systemen und den Verbindungen zwischen ihnen gewidmet zu sein. Eine Referenz an die Mensch-Maschine-Idee wie sie etwa von Futuristen, Dadaisten und Surrealisten verfolgt wurde? Für diese Vermutung sprechen Fragmente wie ‚Organmaschine‘ und ‚Innere Fabrik.‘ Auch die skurrilen, organisch anmutenden Maschinen, die an Jules Vernes Romane, Ridley Scotts ‚Blade Runner‘ oder die psychedelische Reise der Beatles im ‚Yellow Submarine‘ erinnern, deuten in diese Richtung. Im Jahre 2000, also genau in der Zeit, als Ross an ‚Hypothesa‘ und ‚Hypothetischer Seelenmüll im archetypischen Stil‘ arbeitete, formulierte eine bekannte Hamburger Hip-Hop-Band in diesem Sinne: ‚Bitte knacken Sie mit den Synapsen.‘ G.M. Abbildung links: Ausschnitt aus: Oliver Ross: Hypothetischer Seelenmüll im archetypischen Stil (2001/2002) rechts: Oliver Ross: Hypothesa (1999) 48 OLIVER ROSS 1993-99 Studium Hochschule für Bildende Künste, Hamburg 2005 Künstler zu Gast in Harburg 2007 Arbeitsstipendium, Stadt Hamburg 2008 Gaststipendium, Arbeitsgemeinschaft Zürcher Bildhauer, Schlieren AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL) 2009 Cash Flow, White Trash Contemporary, Hamburg 2008 Stipendiaten 07, Kunsthaus, Hamburg Wunschhirn, A.C. Kupper Modern, Zürich Dessins de la Collection C. et J.-M. Salomon, Salon du dessin contemporain, Paris Petrovsky/Ross, Galerie Feurstein, Feldkirch SCULPT-O-MANIA, Stadtgalerie, Kiel Wir nennen es Hamburg, Kunstverein, Hamburg 2007 Radikal subjektiv, Arthur Boskamp-Stiftung M.1, Hohenlockstedt Hard Edge Hippie Brain, White Trash Contemporary, Hamburg Artists‘ Books - Transgression/Excess, Space Other, Boston Baroquissimo, Fondation pour l‘art contemporain, Château d‘Arenthon, Alex Eurasia One, Island6 Arts Center, Shanghai Keine Zeichnung, kein Zeichner, Kunstverein, Rügen Ornament und Verbrechen, Galerie Nikolaus Bischoff, Lahr 2006 Common Sense, Ausstellungsraum 25, Zürich Mein Hirn will es so, Galerie in der Wassermühle, Trittau Emergentia Multiplex, White Trash Contemporary, Hamburg PHÄNO CUBE, Architekturbox, Hamburg Onto-Locher, ArtFair, Köln Drawing Now, White Trash Contemporary, Hamburg rattus norvegicus, Leopold-Hoesch-Museum, Düren Mein Hirn will es so, Wassermühle,Trittau 2005 Index 05, Kunsthaus, Hamburg Neuro Color, Kunstverein, Harburg Fiesta de Inauguracion, Maracaibo, Venezuela 2004 Innenwelthypothese III, Ausstellungsraum 25, Zürich Innere Entropie, Taubenstrasse, Hamburg Leporello Visuello, Manuel Zonouzi, Hamburg Psychochemie und Biophantasie, Einstellungsraum, Hamburg Performancefestival, Ausstellungsraum 25, Zürich Kunstlichtkongress, Kunstraum Walcheturm, Zürich Sammlung Taubenstrasse, Kunsthaus, Hamburg Wo ist mein Gehirn (chemicalmoonbaby), Villa Bechtler, Zürich 2003 Kosmophrenetisches Seelenmaterial, trottoir, Hamburg 2002 Seeyouatthepremierefair, Kongresszentrum Rauchstrasse, Berlin Schönhaus: Noteingang, Wilhelm Lehmbruck Museum, Duisburg 2001 Bauanleitung, Kunstraum Walcheturm, Zürich 2000 Problem Malerei, Kunstverein, Gütersloh LITERATUR (AUSWAHL) 2008 Wir nennen es Hamburg, Kunstverein, Hamburg 2007 Baroquissimo, Fondation pour l’art contemporain Salomon 2006 Mein Hirn will es so, Wassermühle,Trittau 2005 Transterroituale Müller, Macaibo 2004 Kunstlichtkongress Magazin, Sammlung Taubenstrasse, Hamburg 2000 Problem Malerei, Kunstverein, Gütersloh 49 GERD STANGE *1954 Barby/Elbe ‚Nun merket auf und gedenket, ihr Menschen, hier liegen große und kleine Gebeine, von Männern und von Frauen, von Rittern und Knechten, jeder kann hier sein Ebenbild anschauen.‘ (Heidelberger Totentanz, 1485) ‚Spiel mir das Lied vom Tod‘ könnte in Anlehnung an Sergio Leones Meisterwerk ein Untertitel der in Düren gezeigten Arbeit Gerd Stanges ‚Tschernobyl (Totentanz)‘ (1986) aus der Sammlung Dahlmann sein. In der Mitte der mit kräftigen, schwarzen Pinselstrichen geschwärzten Leinwand hat Stange eine kleine Drehorgel appliziert. Oberhalb von ihr findet sich eine hellere Fläche im TV-Format. Dort tanzen an Penck erinnernde Figuren. Die Orgel erinnert dabei an den Regler des Fernsehapparates, der die Katastrophe – den ersten ‚live‘ übertragenen, atomaren Totentanz – ins kulturelle Gedächtnis eingebrannt hat. So wie der Reigen des Totentanzes eine Kreisbewegung beschreibt, die keine Entwicklung kennt und daher Wiederkehr des ewig Gleichen, der Bewegung als Stasis ist, kann auch die Orgel ihre Melodie lediglich wiederholen. Das unschuldige Kinderinstrument wird bei Stange zum mahnenden Symbol der drohenden Kontinuität, der (Selbst-)Vernichtung der Menschheit. Unterhalb der Orgel finden sich drei verschiedene Kreuze, Schwellensymbole, die vor Gefahren warnen. Stange verwendet das Andreaskreuz als Menetekel des Strahlenunfalls. Die Kreuze berühren einander und bilden zugleich die Verbindung zu einer weiteren, am unteren Rand befindlichen dunklen Fläche mit hellen Flecken. Dem Titel geschuldet liest man sie intuitiv als Totenschädel. Die im selben Raum gezeigte schwarze Wolke von Thomas Zipp (ein Teil der Arbeit ‚Plant‘) zog etwa fünfzig Jahre nach ihrem ersten Erscheinen wie eine biblische Plage über Europa. Ihre Quelle war der Kernreaktorunfall in Tschernobyl, eine Stadt, die der (westlichen) Welt bis zum 26.4.1986 nahezu unbekannt war. Der von Experten wie Medien sogenannte Super-GAU, die nicht mehr beherrschbare atomare Katastrophe, ließ Stange nicht mehr los. So wie die Chronisten des späten Mittelalters den Totentanz in Miniaturen und Holzschnitten festhielten, übertrug Stange seine düsteren Gedanken auf die Leinwand und schuf neben dem bereits erwähnten Werk im selben Jahr ein weiteres, ebenfalls in Düren gezeigtes Gemälde: ‚Tschernobyl (Mutation)‘. Eine an Art brut erinnernde Figur spreizt ihre dürren Beine in die unteren Ecken der Leinwand, die einen ungewissen, düsteren Raum zeigt. Sie kann als groteskes Zerrbild von Da Vincis idealtypischem Goldenen Schnitt, der die kosmologisch-mathematische Schönheit des menschlichen Körpers maß und feierte, gelesen werden. Stanges Figur dagegen hat mit ihren Händen auch ihre Handlungsfähigkeit verloren. Sie hat sich durch die Konsequenzen ihrer Taten selbst zum Opfer deformiert. Mit ihren Füßen hat sie ihre Standfestigkeit und auch die Fähigkeit zu Fortschritt eingebüßt; unkontrollierter Fortschritt führt zur Stasis? Der Leib ist aufgetrieben und erinnert an Fernsehbilder verhungernder Kinder aus der früher sogenannten ‚Dritten Welt‘. Auch der Penis der Figur ist zu unwirklicher Größe hypertrophiert und baumelt impotent zwischen den amorphen Beinen. Doch die wie mit weißer Kreide auf die Leinwand geschriebene Zahl 1986 ruft sofort das Bild vom radioaktiven Niederschlag hervor. Das stufenartige, abstrakte Element in der linken ‚Hand‘ erscheint nun wie ein Fragment der zerstörten Jakobsleiter. Statt niederfahrenden Engeln strömt Gift vom Himmel herab auf die Erde. Auch die Plastik ‚Bagdad, Simone, Proust und der Krieg‘ (1991) lässt Stange als zynischen Chronisten und Mahner – wer erinnert sich noch an den ersten Golfkrieg und den daher abgesagten Karneval? – erscheinen. Der Tatendrang des Künstlers – sein vita activa – zeigt sich besonders deutlich an seinen zahlreichen ortspezifischen Aktionen und Interventionen im öffentlichen Raum. G.M. Abbildung rechts: Gerd Stange: Tschernobyl (Totentanz) (1986) und Tschernobyl (Mutation) (1986) Abbildung links: Briefmarke der Deutschen Bundespost von 1964: 25 Jahre Entdeckung der Kernspaltung von Otto Hahn und Fritz Straßmann 50 GERD STANGE Freiakademisches Studium der Bildenden Künste AUSSTELLUNGEN/AKTIONEN/INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM (AUSWAHL) 2009 Der Schachtelmensch, Emil Andresen Straße, Hamburg 2009 Draußen vor der Tür, Hörspiel von Wolfgang Borchert, Subbühne, Hamburg 2007 mixed assortment, Galerie Carolyn Heinz, Hamburg 2006 rattus norvegicus, Leopold-Hoesch-Museum, Düren Umbenennung Alte Leute Garten (Ein Gartenstück für Rosa Luxemburg), Hamburg weitersagen, Filmprojekt (Metropolis, Hamburg), Hamburgische Kulturstiftung 2005 Erinnerungsfußball und Gartenstücke, Galerie Carolyn Heinz, Hamburg Literarischer Garten (Projekt), Eppendorf, Hamburg Meilenstein, Kunstverein Harburger Bahnhof, Hamburg 2004 Ein Gartenstück für Rosa Luxemburg (Szenische Lesung, Umbenennung), Hamburg 2002 Present Sounds (Installation, Projekt mit M. Batz), Hamburg/Prag 2001 Gedenktafel Marie Beschütz (Installation, Umbenennung der Schottmüller Schule in Marie Beschütz Schule), Hamburg Poetik des Raums - Sammlung Ulla & Heinz Lohmann, Hamburg 2000 Sammlung Vogel C. & C, Dokumentationszentrum Prora, Rügen 1997 Schützengraben - Soldatengraben, Nachdenkmal zum Kriegerehrendenkmal, Licentiatenberg/Groß-Borstel, Hamburg 1996 Erinnerungsfußballspiel Chinesenstraße, Bolzplatz Schmuckstraße, Hamburg Rhythmisch Babylonische Wasserskulpturen (Installation), Luftschutzbunker Eppendorf, Hamburg 1995 Subbühne - Ein anderes Mahnmal für Wolfgang Borchert, Hamburg 1994 Schichtwechsel, Made in Hamburg 4, Kunsthaus, Hamburg Aus der Eisenzeit - Übersetzungsformen der Moderne, K3, Hamburg 1993 Die andere Reihenfolge des Denkens (SOFI-Performance), Hamburg 1991 Mahnlicht gegen den Krieg (Aktion), Mahnmal Verhörzelle Erika-Apotheke, Hamburg Kunst gegen den Golfkrieg, Kunstverein, Hamburg Bilder und Objekte 1984 - 1990, Galerie Kunststück, Hamburg Drei Ikonen für die Katakomben, Abriss Galerie, Hamburg 1990 Mahnmal für die Geschwister Scholl, Installation der Verhörzelle, Hamburg 1989 Terra nostra III. Verbinden - Musik - Literatur - Kunst, Literaturhaus, Hamburg 1988 Terra nostra II. Bilder und Objekte, Literaturhaus, Hamburg 1987 Bilder, Fotografie und Objekte, Kunsthaus, Hamburg 1984 Terra nostra I. Experimentelle Fotografie, Galerie Rose, Hamburg LITERATUR (AUSWAHL) 2009 Ein Gartenstück für Rosa Luxemburg, Abera Verlag, Hamburg 1995 Gunnar Gerlach, Thomas Sello, Gerd Stange: Verhörzelle und andere antifaschistische Mahnmale in Hamburg, Hamburg 1994 Ludwig Seyfarth: Gerd Stange, Vom Geheimen, Fundstücke I und I, in: Schichtwechsel, Ausst. Kat., Kunsthaus, Hamburg 1993 Christiane Benzenberg: Denkmäler für die Widerstandsgruppe Weiße Rose, Bonn 1991 16.1.9Kunst gegen den Golfkrieg, Ausst. Kat., Kunsthaus, Hamburg Mappenwerk Verhörzelle, Edition, Hamburg 51 THOMAS ZIPP *1966 Heppenheim Zum Werke, das wir ernst bereiten, Geziemt sich wohl ein ernstes Wort; Wenn gute Reden sie begleiten, Dann fließt die Arbeit munter fort. (F. Schiller, Die Glocke, 1799) ‚Angesichts der Existenz von begrenzt rauschhaften Zuständen‘ – so der Titel eines Werks von Thomas Zipp aus dem Jahre 2005 – und den anderen in der Regel humorvollen wie komplexen Werken des Künstlers wird der kriminalistische Spürsinn des Betrachters geweckt. Die in Düren gezeigte, sechzehnteilige Arbeit ‚Plant‘ (2005) kann nicht nur in diesem Sinne als typisch für Zipp angesehen werden. Wie Elektronen umkreisen fünfzehn gerahmte Zeichnungen und Collagen den zentralen Kern des Werks; eine scheinbar verkümmerte Pflanze mit sechs Trieben, an deren Ende sich jeweils ein grünes Blatt befindet. Während Zipp die Schwarz-Weiß-Fotografien von vier Männern mit Hilfe von dadaistisch anmutenden Augenbinden verfremdet, sind die Zeichnungen und technischen Skizzen eindeutige Hinweise: Formeln und Zeichen deuten auf die Atomphysik und frühe Kernspaltungs- und Kernfusionsexperimente. Nun erschließen sich auch die maskierten Figuren. Es handelt sich um Wissenschaftler, die entscheidend an der Entwicklung der Atombombe beteiligt waren. Vor diesem Hintergrund lässt sich dann auch die an eine Kinderzeichnung erinnernde dunkle Wolke, die sich über einem Berg ergießt, als eine zynische Chiffre für Fallout, den radioaktiven Niederschlag, lesen. Und die im schwarzen Grund wurzelnde dürre Pflanze erscheint als eine düstere Variante des mythischen Baumes der Erkenntnis. Veit Loers bezeichnete Zipps Ansatz als narrativen Konzeptualismus, ein Erzählen der Geschichte der Ideologien und Utopien. In diesem Sinne findet sich die Atombombe auch in der Installation ‚Dirty Tree Black Pills‘ (2005) wieder. Die riesigen, vor einer idyllischen Landschaft in Abendrot positionierten, schwarzen Pillen erinnern aufgrund ihrer Form und Größe weniger an die mundgerechten aus dem Drogenmilieu, sondern an die ersten Atombomben, die in der Regel in vermeintlich verlassenen Inselregionen getestet wurden. Zipp arbeitet gezielt dort, ‚when humor becomes painful‘ (so der Titel einer Gruppenausstellung im Migros Museum, Zürich 2005). Er gilt als Satiriker des Spießbürgerlichen und zurecht als philosophischer wie humorvoller Zyniker, dessen fein gesponnene Referenzen sich nicht scheuen, unter dreckig zugemalten Bierhallenlampen präsentiert zu werden. Die ‚tumb, tumb, tumb‘ (2005, Sammlung Boros) genannte öde Landschaft Zipps erinnert nicht zufällig an die futuristische Geräuschmusik ‚Zang Tumb Tumb‘ (1914) von Marinetti, eine euphorische Hommage an den Krieg. Zipps ‚Geist ohne Körper‘ (2004) betitelte Glocke mit Totenkopf auf der Schweifung lässt sich als subtiler wie ironischer Kommentar zu Schiller und dem Deutschen Bildungskanon, zu vergangenem wie aktuellem Idealismus lesen. Sind also letztlich Gut und Böse die zentralen Themen des Künstlers, das ‚Zeugs im Kopf‘ wie es Zipp nennt? Eveline Bernasconi erkennt Humor und Ironie als Mittel zur Erzeugung von Distanz zu historischen Referenzen in Zipps Oeuvre. In diesem Sinne sind die dreckigen Pillen mehr als alte Atombombentypen, wie sie Kubriks Dr. Strangelove entwarf, dessen Sonnebrille Vorbild für die Augenbinden der Wissenschaftler in ,Plant‘ gewesen zu sein scheint. Dirty pills, schmutzige Bomben, ist ein junger, tagespolitischer Terminus, den das Bundesamt für Strahlenschutz wie folgt definiert: Missbrauch von radioaktivem Material in Verbindung mit konventionellem Sprengstoff. Eine Metapher für die zeitgenössische Terrorismusphobie oder Anspielung auf die bittere Pille, die ‚der Westen‘ nicht schlucken kann und will, deren Rezept er aber selbst geschrieben hat? Zipps Universum ist verwirrend komplex und faszinierend zugleich, ein subversiver Remix von Geschichte(n). G.M. Abbildung rechts: Thomas Zipp: Plant (2005) 52 THOMAS ZIPP 1992-98 Freie Kunst, Städelschule, Frankfurt und Slade School, London 2006 Gastprofessur, Hochschule der Bildenden Künste, Karlsruhe 2008 Professur, Universität der Künste, Berlin AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL) 2009 Mens Agit Molem, Sammlung Goetz, München Berlin2000, Pace Wildenstein, New York ILSATIN, Galleria Francesca Kaufmann, Mailand 2008 Heavy metal - Die unerklärbare Leichtigkeit eines Materials, Kunsthalle, Kiel Sympathy for the devil, Musée d‘Art Contemporain, Montreal Von Assig bis Zipp, Frisch, Berlin Son of ... ,Musée des Beaux-Arts, Tourcoing 2007 Made in Germany, Kestner Gesellschaft, Hannover Planet Caravan. Is There Life After Death?, South London Gallery, London Null Bock, Schickeria, Berlin It takes something to make something, Portikus, Frankfurt 2006 Deformation of Character, PS1, New York rattus norvegicus, Leopold-Hoesch-Museum, Düren Rings of Saturn, Tate Modern, London Faster!Bigger!Better!, ZKM, Karlsruhe Geist über Materie, Patrick Painter Inc., Santa Monica 2005 Achtung! Vision: N.I.B., Alison Jacques Gallery, London The Return of the Subreals, Kunstverein, Oldenburg Man muss das Adjektiv abschaffen, Baronian_Francey, Brüssel Security Check. Painting After Romanticism, Galerie Arndt & Partner, Zürich 2004 actionbutton, Russian Museum, St. Petersburg Heimweh, Haunch of Venison, London Das Böse, Guardini Galerie, Berlin Kommando Pfannenkuchen, Daniel Hug Gallery, Los Angeles 2003 Hands up, baby, hands up, Oldenburg, Kunstverein Painting on the Roof, Museum Abteiberg, Mönchengladbach Neroin, Maschenmode, Galerie Guido W. Baudach, Berlin 2002 Friede, Freiheit, Freude, Maschenmode, Berlin Schöne Aussicht, Herr Schweins, Galerie Otto Schweins, Köln Tiere, Elternhaus Thomas Palme, Immenstadt 2001 Montana Sacra (Circles 5), ZKM, Karlsruhe Bis dass der Tod uns meidet, Galerie Hilger, Wien The Ölwechsel, Transmission Gallery, Glasgow Bayrle, Jensen, Neumeier, Vatter, Zipp, Gesellschaft fur junge Kunst, Baden-Baden LITERATUR (AUSWAHL) 2008 Son of ... ,Musée des Beaux-Arts, Tourcoing 2007 Is there life after death? A futuristic world fair, Galerie Guido W. Baudach, Berlin 2006 Marc Prince: ‚Pluralism and the ‚isms of art history‘, Art Monthly, 293/2006 2005 Achtung! Vision: Samoa, The Family of Pills & The Return of the Subreals, Kunstverein, Oldenburg When Humour Becomes Painful, Migros Museum für Gegenwartskunst, Zürich 2004 Thomas Zipp, Neroin & The New Breed, Galerie Guido W. Baudach, Berlin 53 MARCUSE UND DER PROTEST STRANGULIEREN TUT ÜBERHAUPT NICHT WEH(1) In Zeiten, in denen pubertierende, an ‚Dorfpunks‘ erinnernde, sich selber aber als ‚Dorfrocker‘ bezeichnende Bands die volkstümlichen Bühnen von Marianne und Michael stürmen dürfen und in Hollywood produzierte Kinofilme sich der Karriere vermeintlicher Punkbands wie ‚Green Day‘ widmen, ist es nicht leicht zu differenzieren. Dies ist kein Zufall und nicht nur der Tatsache geschuldet, dass gesellschaftliche Analysen – wie sie auch die Kunstgeschichte liefert – von historischer Distanz zum Sujet profitieren. Zum einen zeigt sich dieser Aspekt bereits am Begriff Kunstgeschichte, zum anderen am Ringen der Disziplin mit der Frage, inwieweit zeitgenössische Positionen ihr Anliegen sein können. Im Folgenden wird trotz dieser Problematik und den Tendenzen der Manipulation von Sprache im Orwellschen Sinne der Versuch gewagt, zeitgenössische und bereits kanonisierte Kunstwerke vor dem Hintergrund wesentlicher Gemeinsamkeiten zu einer Geschichte zu verweben. Eine traditionelle Form der Kunstgeschichtsschreibung, die nur auf den ersten Blick – die Fokussierung des roten Fadens auf die Protestkultur – ungewöhnlich erscheint. HERBERT MARCUSE MACHT KAPUTT – DIE ABSORPTION DES PROTESTPOTENTIALS DER JUGENDKULTUR DURCH DIE MASSENGESELLSCHAFT ‚Radios laufen, Platten laufen, Filme laufen, TV‘s laufen, Reisen kaufen, Autos kaufen, Häuser kaufen, Möbel kaufen. Wofür?‘ Im Gegensatz zu Theodor Adorno gilt Herbert Marcuse als ‚Studentenfreund‘. Der Philosoph ist aufgrund seines intensiven Kontaktes und seiner öffentlichen Solidarisierung mit der Protestbewegung der 1960er Jahre eine der schillerndsten Figuren der sogenannten Kritischen Theorie.(2) Er legte wie Hannah Arendt den Schwerpunkt auf das Handeln – vita activa(3) – und daher hoffte und glaubte Marcuse an das kreative wie kritische Potential der Studentenbewegung.(4) Während Adorno sich von barbusigen Studentinnen provozieren ließ und somit oberflächlich dem Klischee der konservativen akademischen Elite – der verstaubte Muff von tausend Jahren – gerecht wurde, saß Marcuse inmitten der jungen Revolutionäre. Der Philosoph sprach nicht nur mit den Studenten, (1) So lautet der Refrain des Songs ‚Strangulieren‘ der deutschen Punkband ‚Angeschissen‘ (LP 1984). Die hanseatisch eingefärbte Stimme des Sängers Jens Rachout prägt nach zahlreichen Zwischenstationen (nach Angeschissen folgten die Formationen ‚Blumen am Arsch der Hölle‘, ‚Dackelblut‘ und ‚Kommando Sonnenmilch‘) heute die Alben der Band ‚Oma Hans‘. (2) Als Kritische Theorie wird die von der Frankfurter Schule entwickelte und vertretene Sozialphilosophie bezeichnet. Die drei Hauptbeobachtungsfelder der Kritischen Theorie sind die Ökonomie, die Entwicklung des Individuums sowie die Kultur. In einer Kombination marxistischer und psychoanalytischer Perspektiven wird die Gesellschaft kritisch betrachtet. Letztere wird nicht nur als Gesamtheit von Menschen in einer bestimmten Zeit verstanden, sondern vielmehr als Verhältnisse, die dem Einzelnen gegenüberstehen und den Charakter und die Handlungsmöglichkeiten der Menschen in weitaus stärkerem Maße formen, als diese zur Bildung der Gesellschaft beitragen können. Eine besondere Mittlerrolle kommt daher der familiären Sozialisation und den Massenmedien bzw. der Massenkultur zu. Bekannte Vertreter der Theorie sind u.a. Theodor W. Adorno, Walter Benjamin, Jürgen Habermas, Max Horkheimer und Marcuse. (3) Der Begriff bezieht sich auf das philosophische, nicht vollendete Hauptwerk Hannah Arendts ‚Vita activa oder Vom tätigen Leben‘ von 1960 (engl. Original: The human condition, 1958). Dabei handelt es sich nicht um eine schlechte Übersetzung, sondern eine der Muttersprache Arendts geschuldete Präzisierung, die durch den späteren – Arendt übersetzte das Werk selbst – deutschen Titel den Schwerpunkt ihrer Philosophie verdeutlicht. 54 sondern sprach für sie. Er lieferte der Bewegung ein von ihr oft nur unverstanden wiederholtes, statt erweitertes theoretisches Fundament, das zum Treibstoff für die damals wie heute äußerst beliebte Phrasendreschmaschine verkommen ist.(5) Der Unterschied ist nur, dass diese dadaistisch anmutende Maschine nicht mehr das spielerische Symbol einer mehr oder weniger bewussten, ironisch-subversiven Protestkultur ist, sondern mehr denn je als integraler Bestandteil des zeitgenössischen Politiktalks erscheint – die Reform der Reform. Doch zurück in die Vergangenheit. ‚Züge rollen, Dollars rollen, Maschinen laufen, Menschen schuften, Fabriken bauen, Maschinen bauen, Motoren bauen, Kanonen bauen. Für wen?‘ In seinem 1964 veröffentlichen Buch ‚Der eindimensionale Mensch‘ beschreibt Marcuse aus heutiger Perspektive geradezu prophetisch die Fähigkeit des etablierten Systems, sich oppositionelle Tendenzen einzuverleiben. Letztere werden, so die Analyse des Philosophen, als sinnentleerte, konsumierbare Phrasen in die Massenkultur integriert und auf diesem Wege zugleich ihres subversiv-kritischen Potentials beraubt. (4) Im Sinne der einleitend erwähnten ‚Differenzierungsproblematik‘ muss jedoch betont werden, dass bereits der Begriff ‚Studentenbewegung‘ problematisch ist, da er den Fokus auf eine bestimmte Gruppe lenkt und so das breite gesellschaftliche Spektrum der Proteste vernachlässigt. (5) Als ‚Phrasendreschmaschine‘ bezeichnete man nicht erst in der Studentenbewegung die ebenso hohe wie alte Kunst, mit vielen Worten nichts zu sagen. Zu Beginn der 1970er Jahre konnte man die ‚Maschine‘ dann kaufen, ein kommerzielles, an Fluxus-Editionen erinnerndes Produkt mit den Varianten progressiv (Vorderseite) und konservativ (Rückseite). Das Drehen an den Rädern der Apparatur bringt zufällig generierte Wortkombinationen hervor, die durch Schlitze ablesbar sind. Als beliebte Metapher und digitale Variante findet man sie heute z. B. unter www. luftpiraten.de: ‚Nichts sagen und trotzdem intelligente Sprüche ablassen? Hier ist die Lösung! Das ultimative Management-Tool für den LaberSupergau gibts hier gleich in zwei Versionen, einer vollautomatischen Light-Version für rhetorische oder artikulative Formtiefs sowie einer manuellen Comfort-Version, geeignet komplette Diplomarbeiten/Promotionsschriften mit fragwürdigen Inhalt zu füllen.‘ Abbildung oben: CDU-Werbesingle Bundestagswahlkampf 1972: Hits aus BONNanza, Quelle: Archiv für Christlich-Demokratische Politik 55 Dieser von Marcuse als ‚repressive Entsublimierung‘ bezeichnete Prozess ist ein wesentliches Mittel der Herrschaft und des Machterhalts in industrialisierten Massengesellschaften. Es handelt sich um ein grundlegendes Instrument des gesellschaftlichen Zusammenhalts, wie etwa die zeitgenössische Volksmusik oder auch der Umgang der DDR mit Subkulturen wie der Punk-Bewegung zeigt.(6) Die folgenden, heute nicht weniger aktuellen Worte Marcuses verdeutlichen den Kern seiner These: ‚Wenn die Massenkommunikationsmittel Kunst, Politik, Religion und Philosophie harmonisch und oft unmerklich mit kommerziellen Mitteilungen vermischen, so bringen sie diese Kulturbereiche auf einen gemeinsamen Nenner – die Warenform. Die Musik der Seele ist auch die der Verkaufstüchtigkeit. Der Tauschwert zählt, nicht der Wahrheitswert. In ihm faßt sich die Rationalität des Status quo zusammen, und alle andersartige Rationalität wird ihr unterworfen.‘(7) ‚Bomber fliegen, Panzer rollen, Polizisten schlagen, Soldaten fallen, Die Chefs schützen, Die Aktien schützen, Das Recht schützen, Den Staat schützen. Vor uns!‘ Die hier eingefügten Liedtextfragmente stammen von der ersten Single einer der einflussreichsten deutschen Rockgruppen der 1970er und frühen 1980er Jahre: ‚Ton Steine Scherben‘.(8) Im Sommer 1970 strahlte die ARD auf einem prominenten Sendeplatz eine Abbildung rechts: CHANCE 2000, Wahlkampf-Flyer (1998) © Büro Schlingensief / Volksbühne Berlin (6) Während des VII. Parlamentskongresses der FDJ im Jahre 1963 verlautete das Jugendkommuniqué, das sich an die Jugend als ‚Hausherrn von morgen‘ richtete: ‚Niemandem fällt es ein, der Jugend vorzuschreiben, sie solle ihre Gefühle und Stimmungen beim Tanz nur im Walzer- oder TangoRhythmus ausdrücken. Welchen Takt die Jugend wählt, ist ihr überlassen. Hauptsache, sie bleibt taktvoll.‘ (zitiert nach www.radio-geschichte-dt64. de). Die Stasi unterwanderte die Punk-Szene und warb Musiker als Inoffizielle Mitarbeiter (bekannte Bands, in denen IM mitwirkten, sind, ,Sandow‘, Namenlos‘, ,Restbestand‘ und ,Die Firma‘). Protagonisten wie etwa die Mitglieder der Band ,Namenlos‘ wurden verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Andere wurden zum Wehrdienst eingezogen, Jüngere kamen in Heime für Schwererziehbare. Auf diese im Verhältnis zur BRD harten Repression folgte schließlich auch die im Westen gängige Vereinnahmung durch den Kulturbetrieb: Einige Bands wurden ‚begnadigt‘ und im offiziellen Jugendradio zugelassen. Diese Begnadigung von zuvor lästigen Querulanten bildet eine interessante Parallele zur Integration von Punk-, Rock- oder Technoelementen, wie sich sich in der aktuellen Volksmusikszene zeigt. (7) H. Marcuse: Der eindimensionale Mensch, 1964, S. 77 (zitiert nach der Luchterhand-Ausgabe von 1977). (8) Viele Texte der Band und aus Rio Reisers späteren Soloprojekten findet man unter www.riolyrics.de. (9) Außerparlamentarische Opposition (kurz APO) beschreibt eine Opposition, die außerhalb des Parlaments stattfindet, weil sie entweder in den im Parlament vertretenen oder sonstigen Parteien (noch) kein Sprachrohr hat oder nicht haben will. In der BRD verstärkte sie sich ab Mitte der 1960er Jahre mit der Studentenbewegung, die mit der APO oft synonym gesetzt wird. Besonders in Universitätsstädten erreichten APO-Aktivitäten in den Jahren 1967 und 1968 ihren Höhepunkt. Die häufig in Bezugnahme auf diese Zeit ihrer Hochphase auch ‚68er-Bewegung‘ genannte studentische APO wurde im Wesentlichen durch den SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) getragen. 56 Dokumentation mit dem Titel ‚Fünf Finger sind eine Faust‘ über die Ziele der APO(9) aus. Der Film wurde mit Liedern einer bis zu diesem Zeitpunkt namenlosen Musikgruppe unterlegt. Zahlreiche Zuschauer riefen den Fernsehsender an und wollten wissen, von welcher Gruppe die Musik stamme und wo man sie kaufen könne. Daraufhin produzierten Ralph Steitz, Ralph Möbius (alias Rio Reiser), Wolfgang Seidel und Kai Sichtermann, die sich fortan ‚Ton Steine Scherben‘(10) nannten, die erste Schallplatte der verkürzt häufig nur ‚Scherben‘ genannten Band. Die erste Single mit den beiden Songs ‚Macht kaputt, was euch kaputt macht‘ und ‚Wir streiken‘ verkaufte sich bis zur Weihnacht 1970 über 6000 mal, was angesichts der erst im Entstehen begriffenen Vermarktungsketten ein beeindruckender Erfolg war. Aus den zuvor unbekannten 20jährigen Berlinern(11) waren ‚über Nacht‘ Protagonisten einer erst im Entstehen begriffenen Subkultur geworden.(12) Ihre Texte versprühten den Charme des ‚jugendlichen Glaubens‘ an die Möglichkeit einen radikalen Wandels. Die romantische Idee der ‚Revolution der (10) Der Name leitete sich laut Rio Reisers aus einem Zitat des Troja-Entdeckers Heinrich Schliemann ab: ‚Was ich fand, waren Ton, Steine, Scherben‘. Im Buch ‚Keine Macht für Niemand‘ erwähnt Kai Sichtermann dagegen eine profanere Geschichte, derzufolge der Name bei einem Brainstorming aus dem Namen ‚VEB Ton Steine Scherben‘ entwickelt wurde. VEB nannte man in der DDR einen ‚Volkseigenen Betrieb‘, eine Rechtsform von Industrie- und Dienstleistungsbetrieben. Auch die westdeutsche Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden könnte Quelle gewesen sein. (11) An dieser Stelle muss der Sonderstatus Berlins erwähnt werden. Die Mauer- und Frontstadt entwickelte sich im Laufe der 1960er und 1970er Jahre aufgrund ihres rechtlichen Sonderstatus zu einem Exil für Wehrdienstverweigerer. Zehntausende wehrpflichtige BRD-Bürger entzogen sich der Armee durch den Umzug nach Westberlin, was zu einem im Verhältnis zu anderen westdeutschen Großstädten extrem großen Protestpotential führte. Noch 1999 erklärte ein Vertreter der Bundeswehr in einem Verfahren gegen einen Totalverweigerer: ‚Seit es Soldaten aus Berlin gibt, ist es an der Tagesordnung, dass Soldaten den Dienst nicht antreten‘. (12) Als Abschluss ihres Auftritts am 6.9.1970 (Love-and-Peace-Festival, Insel Fehmarn) spielten ‚Ton, Steine, Scherben‘ den Song ‚Macht kaputt, was euch kaputt macht.‘ Dann stand plötzlich die Bühne, auf der zuvor Jimi Hendrix sein letztes Konzert gegeben hatte, in Flammen und das Festival wurde abgebrochen. Auch wenn ‚Ton Steine Scherben‘ nicht – obwohl es als genialer Showeffekt plausibel erscheint – für den Brand verantwortlich waren, erzählte man im Publikum, sie hätten die Bühne in Brand gesetzt. In Wirklichkeit war das Feuer die Rache von Tourhelfern, da die Veranstalter mit der Tageskasse verschwunden waren. Diese vermeintlich radikale Aktion – eine vom Schicksal komponierte Performance? – fand in der Szene viel Anerkennung und schlagartig war die Band ‚Ton Steine Scherben‘ bekannt. 57 Masse‘ hatte eine zeitgenössische wie prägnante Stimme gefunden: ‚Allein machen sie dich ein, schmeissen sie dich raus, lachen sie dich aus, und wenn du was dagegen machst, sperr‘n se dich in den nächsten Knast. Zu zweit, zu dritt, zu viern, wird auch nix and‘res passiern. (...) Zu hundert oder tausend kriegen sie langsam Ohrensausen. Sie werden zwar sagen, das ist nicht viel, aber tausend sind auch kein Pappenstiel. linksradikalen Szene, etwa ‚Keine Macht für Niemand‘ und ‚Macht kaputt, was euch kaputt macht‘. Doch so wie die Abkürzung AK47 und die historische Figur Che Guevara haben auch sie sich ganz im Sinne der von Marcuse beschriebenen, repressiven Entsublimierung zu scheinbar inhaltsleeren, weil geschichtvergessenen T-Shirtmotiven entwickelt. Der für sein Streben nach der Kunstdiktatur von vielen gefürchtete Künstler Jonathan Messe konstatiert resigniert – scheinbar vor dem Hintergrund der hier nur angerissenen Entwicklung der außerparlamentarischen Opposition am Ende des 20. Jh. – passend zu diesem Thema: ‚Von der Straße kann ich mir auch keine Revolution mehr erhoffen, der Mensch schafft das nicht.‘(14) PUNK‘S NOT DEAD IS DEAD In dem Land, in dem wir wohnen, sind aber ‚n paar Millionen. Wenn wir uns erstmal einig sind, weht, glaub ich, ‚n ganz anderer Wind. (...) Und du weißt, das wird passieren, wenn wir uns organisieren.‘(13) Aus der Traum? Ist nach Gott nun auch noch der Protest wie die politische Satire unbemerkt verstorben oder zumindest obsolet geworden, weil sie offensichtlich längst von der Realität eingeholt bzw. repressiv entsublimiert wurde? Einiges spricht für diese hier lediglich angedeutete These, die dem alten Motiv von der ‚Verkehrten Welt‘ nahe kommt. Letzteres zeigt sich z. B. in der folgenden Analyse des Chefdesigners einer exklusiven Modemarke besonders deutlich: Einige Titel und Textpassagen von ‚Ton Steine Scherben‘ sind bis in die Gegenwart bekannte Slogans der außerparlamentarischen Linken und ‚Das Tempo der Vereinnahmung hat sich dramatisch erhöht: Punk war jahrelang eine Gegenkultur, heute würde der Look sofort von (13) Textfragmente des Liedes ‚Allein machen sie dich ein.‘ Der Song wurde 1971 für eine Fernsehsendung über die Jugend der 1970er Jahre geschrieben. Er erschien zuerst als Folien-Single und später auf dem Album ‚Keine Macht für Niemand.‘ (14) D. Schönberger in: Kultur SPIEGEL 4/2007, S.14. (15) Moritz Honert: ‚Der will nur spielen. Ein Interview mit Jonathan Meese‘. In: Behrens/Büsser/Engelmann/Ullmaier (Hg.): testcard #16/ Extremismus, S.162-168. Testcard ist eine kritische Anthologie zur Popgeschichte und -theorie. Artikel zu Musik, Film und zeitgenössischer Kunst kreisen in jeder Ausgabe um einen wechselnden Themenschwerpunkt. (16) Schönberger nennt das Label ‚Comme de Garcons‘ als Beispiel, dessen Guerilla-Shops eröffneten unberechenbar und verschwanden wieder. Das Wort ‚Guerilla‘ bezeichnet die militärische Taktik, den (in der Regel überlegenen) Feind mit kleinen, selbstständig operierenden Kampfeinheiten ‚nadelstichartig‘ zu attackieren. Die Geschichte des in Tokio von Rei Kawakubo 1969 gegründeten Modelabels eignet sich vor dem Hintergrund der Punk-Kultur besonders gut, da es sich – glaubt man dem Labelmythos – gegen die Kommerzialisierung der Mode wendet. Kritiker beschrieben die 58 Hennes & Mauritz kopiert, und zwar, bevor er sich überhaupt richtig entwickeln kann. Dass es diese Kultur des Anti, der Abweichung, des Subversiven, aus der heraus Identität und Individualität entstehen, nicht mehr gibt, ist traurig.‘(15) Auch das subversiv-kopierte Guerilla-Shop-System(16) – wieder so eine ungewollte Hommage der zeitgenössischen deutschen Sprache an die Phrasendreschmaschine der 1960er Jahre – kleiner wie unabhängiger Modelabels wurde nach kurzer Zeit von großen Konzernen imitiert. Es wurde ganz im Sinne der von Marcuse beschriebenen, repressiven Entsublimierung seiner Authentizität und somit seiner Kraft beraubt. Abbildung: Aufruf zum Sternmarsch nach Bonn gegen die Notstandsgesetze vom Kuratorium „Notstand der Demokratie“ © Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn Während die industriellen Massenkulturen der 1970er Jahre subversiven Jugendkulturen noch Schonfristen von bis zu einem Jahrzehnt gewährten, verkürzte sich die Phase des vielgescholtenen Prozesses der Kommerzialisierung in den 1990er Jahren bereits auf kaum mehr als ein Jahr. Diese Vereinnahmung lässt sich neben der bereits erwähnten Modekultur besonders deutlich anhand von innovativen, teils subversiven Musikgenres beobachten, was manche Autoren zu dem wohl nostaligisch begründeten Fehlurteil verleitet, Punk als letzte globale Jugendbewegung zu bezeichnen. So gelang es der Musikindustrie und den Unterhaltungsmedien etwa, in einer zuvor nicht gekannten Geschwindigkeit aus der im Underground angesiedelten Grunge-Szene(17) einen von breiten Massen konsumierbaren Musikstil zu kreieren. Kollektionen als ‚postatomaren Fetzen-Look‘, ‚Hiroshima-Chic‘, ‚Quasimodo-Style ‚ oder ‚Armutsästhetik.‘ das Label präsentiert seine Kleider wie (Kunst-)Objekte und nicht wie Waren, sie sind Teil eines Gesamtkonzepts, dass sich auch in der Architektur widerspiegelt, jedoch nicht nur in der Innenarchitektur. ‚Comme de Garcons‘ war das erste Label, das Shops der Kollektion entsprechend von Architekten gestalten ließ. Die Idee fand wiederum rasch viele Nachahmer, was Kawakubo dazu bewegte, das Konzept aufzugeben. Daraufhin folgten die Guerilla-Shops, die wiederum schnell von Modekonzernen wie Adidas kopiert wurden. (17) Der Begriff Grunge (engl. Schmuddel oder Dreck) kam bereits in den 1960er und 1970er Jahren auf, um den Stil von Bands wie ‚Neil Young & Crazy Horse‘, ‚Iggy Pop & The Stooges‘ oder ‚The Velvet Underground‘ zu beschreiben, wurde zunächst jedoch nicht als ein Subgenre verstanden. 59 KURT COBAIN IS, BUT PUNK‘S SAID TO BE NOT DEAD(18) Konsumismus als Resignation? Die ewige Wiederkehr von Remix und Revival oder etwa Revolution als Nostalgie, wie der zuletzt von der Presse gefeierte Film ‚Dorfpunk‘ nach dem gleichnamigen Bestseller von Rocko Schamoni? Während der Irokesenschnitt auf Wunsch im Friseursalon um die Ecke gestylt wird und Piraten neben Schiffen auch europäische Parlamente entern und sich zugleich großen Kommunikationskonzernen als Werbefigur anbieten, inszeniert Schorsch Kamerun an etablierten deutschen Bühnen. Uwe Dag Berlin ist Schauspieldirektor an einem Landestheater, Claudia Roth macht Bundespolitik und Vivienne Westwood eroberte die Laufstege der Modeszene, möchte aber nicht mehr auf den Titel ‚Queen of Punk‘ reduziert werden. Sie alle waren in den 1980er Jahren ‚prominente‘ Punks. Und die Frage, wie sich diese erste Generation der Punk-Bewegung gewandelt hat, welche Impulse der heutige Kulturbetrieb ihnen verdankt und ob das ‚Erbe der Rebellion‘ weiter wirkt, beschäftigt nicht nur die deutschen Feuilletons seit einigen Jahren.(19) Auch die Entwicklung des 1981 in Berlin am Tisch der legendären Kommune I gegründeten ‚Chaos Computer Club‘ kann in diesem Sinne als Beispiel dienen. Doch vielleicht sollte man sich auf den Ursprung der Bewegung konzentrieren, die Musikszene. Dafür bietet sich aus deutscher Perspektive neben ‚Atari Teenage Riot‘ (ATR), die Ende der 1990er Jahre erfolgreich Techno und Punk fusionierten, auch ‚Gudrun Gut‘, die ehemalige Bassistin der Einstürzenden Neubauten, an. Während ATR aufgrund von Sex, Drugs & Rock‘n Roll wie ein zu heller Stern verloschen sind und in Compilations gefeiert bzw. in den Soloprojekten von Alec Empire weiterleben, veröffentlicht Gut unter ihrem ‚alten‘ Pseuydonym Soloalben wie Remixes. Sie avancierte dank eines Portraits von Anja Frejya aus dem Jahre 1977 zuletzt gar zur Titelfigur des Wiener Ausstellungskatalogs ‚Punk - No One is Innocent.‘ Und 2002 stellte Werner Büttner unter dem Titel ‚Gitarren, die nicht Gudrun heißen‘ in der Galerie Max Hetzler in Berlin aus (was die in diesem Katalog angedeutete, enge Verbindung zwischen Punk und der hier vorgestellten Kunst humorvoll belegt). Darauf, dass es sich fernab von der künstlerischen Qualität und Aussagekraft des Gut-Portraits auf dem Ausstellungskatalog um eine gute, weil stimmige Wahl handelt, deutet auch ihre Zusammenarbeit mit der international renommierten Kollegin Pipilotti Rist hin. Rist wurde Ende der 1990er Jahre durch ihr Video ‚Ever Is Over All‘ (1997) bekannt. Darin flaniert eine junge Frau hypnotisch summend, sie trägt ein hellblaues Sommerkleid und rote Schuhe. Doch bereits nach kurzer Zeit entpuppt sie sich als eine verspielte, feenhafte Anarchistin und demoliert parkende PKWs. Vor dem Hintergrund der Flower-Power-Bewegung mutet es ironisch an, dass es eine Blume ist, mit der die vermeintliche Fee in Rists Video so eindrucksvoll (18) Kurt Cobain war der Sänger der wohl populärsten Grunge-Band der 1990er Jahre: ‚Nirvana‘. Punk‘s not dead dagegen ist der Titel des 1981 veröffentlichten Songs und gleichnamigen Albums der Band ‚The Exploited‘. Sie gilt als Stellvertreter der zweiten Punk-Generation in Großbritannien. Ihre in sehr einfach gehaltener Sprache formulierten Texte thematisieren Arbeitslosigkeit, Krieg, Korruption, Machtmissbrauch, Faschismus und die Trostlosigkeit der kapitalistischen Gesellschaft. (19) Bereits 2002 wagte die Düsseldorfer Kunsthalle unter dem Titel ‚Zurück zum Beton‘ einen Blick auf die ‚Die Anfänge von Punk und New Wave in Deutschland 1977-82‘. Internationaler ausgerichtet präsentierte die Kunsthalle Wien unter dem Titel ‚Punk - No One is Innocent‘ 2007 eine umfangreiche Ausstellung zum Thema, die sich auf die Städte New York, London und Berlin konzentrierte. (20) In den Händen hält die Frau eine langstielige, zepterartige Blume. Sie lächelt, hüpft und versprüht den Charme kindlicher Naivität. Dann nähert sie sich einem parkenden Auto, holt aus und zertrümmert die Beifahrerfensterscheibe des Wagens mit der Blume. Sie zieht die ‚Waffe‘ zurück, schmunzelt und geht summend weiter. Keiner der Passanten scheint davon irritiert zu sein. Eine Polizistin nähert sich langsam von hinten, während 60 demonstriert, wie schön und zugleich befreiend Zerstörung sein kann. (20) Neben Gudrun Gut kann auch das kommerziell recht erfolgreiche Duo ‚2raumwohnung‘ als ein weiteres Beispiel für die (musikalische) Weiterentwicklung der ‚Punk-Generation‘ genannt werden. Inga Humpe, Schwester der ‚Ideal‘-Sängerin Annette Humpe, entdeckte in London zu Beginn der 1990er Jahre die Techno- und RaveBewegung. Eine Dekade später wurde der für die Tabakindustrie produzierte Song ‚Wir trafen uns in einem Garten‘ zur Initialzündung für ‚2raumwohnung‘, deren Alben(21) häufig als post-elektronischer Chanson beschrieben werden.(22) Wie Gudrun Gut deutet ‚2raumwohnung‘ auf einen Wandel der Subkultur. Beide spiegeln eine Tendenz konsumorientierter Massengesellschaften im ausgehenden 20. Jh. wider: Die von der Soziologie häufig einseitig als ‚verlängerte Adolenszenz‘ beschriebene Entwicklung, derzufolge Subkulturen sich zunehmend von ihrer traditionellen Bindung an Jugendkultur lösen. In diesem Sinne charakterisiert Tobias Rapp: ‚2raumwohnung spielen keinen Soundtrack der Rebellion. Ihre Musik handelt vom Ausprobieren. Vom ewigen (!) Experiment des eigenen Lebens.‘(23) Abschließend zurück zu der einleitend erwähnten Band ‚Green Day‘. Sie gelangte aufgrund der Eingängigkeit ihrer Songs, die sorgfältig jede echte Härte und Sperrigkeit meidet, zu enormer Popularität. Inzwischen gilt die Band als wegbereitend für das Anfang der 1990er begonnene und angesichts des berühmten Mottos ‚Punk‘s not dead‘ besonders zynisch erscheinende ‚Punk-Revival.‘ ‚Die Musik der Seele ist auch die der Verkaufstüchtigkeit?‘(7) schrieb Marcuse. Wie hätte er wohl den angekündigten, als Kassenschlager konzipierten Kinofilm über ‚Green Day‘ kommentiert? Der Kulturwissenschaftler Martin Büsser geht im Resümee seiner Untersuchung über die Entwicklung der Punk-Bewegung noch einen Schritt weiter und behauptet: ‚Kaum eine Bewegung hat Krieg und Gewalt dermaßen zum Thema gemacht wie Punk (...).‘ Büsser kommt zu dem Fazit, dass die vermeintliche Antikriegshaltung im Punk gekippt ist: ‚Mit dem Moment, wo Punk die eigene Verwundbarkeit abgelegt hat und im permanenten Krieg nicht mehr bewusst Verlierer sein wollte, sondern Profiteur des Krieges, ist Punk von der radikalsten Kapitalismuskritik, die eine Pop-Subkultur vielleicht je erlebt hat, zur völligen Teilnahme am System übergegangen.‘(24) ‚I don‘t wanna be an american idiot...‘ schallt es aus den MP3Playern junger Soldaten im sogenannten Krieg gegen den Terror. G.M. die Frau weitere Autoscheiben einschlägt. Die Polizistin kommt näher, schliesst zur Frau auf und grüßt sie freundlich, indem sie mit ihrem Zeigefinger an ihren Hut tippt. Die Ordnungshüterin blinzelt, lächelt die Vandalin an und geht weiter. Nur das vermeintlich unschuldige Summen und Zerbersten der Scheiben ist zu hören, es ist wie in einem Traum. (21) 2009 erschien das sechste, ‚Lasso‘ genannte Album des Duos. (22) ‚Alterslose Jugend‘ überschrieb ‚Der Spiegel‘ (30/2009, S. 125) treffend einen Artikel über das Duo. (23) Martin Büsser, in: testcard #9: Pop und Krieg. Mainz, Ventil Verlag, 2000. (24) in: ‚Der Spiegel‘ (30/2009, S. 125). 61 IMPRESSUM Dank an alle Helfer des Park-Punk-Festivals und alle beteiligten Mitarbeiter des LHM André Mager Büro Schlingensief (Chance 2000) CDU (Hits aus BONNanza) Galerie Kammer Hamburg Galerie Meyer Riegger Karlsruhe Hildegard Lennartz Osiris Pausch Rio-Reiser-Archiv / Möbius Records (Ton Steine Scherben) UBG (Bernd Profittlich - Hits aus BONNanza) Volksbühne Berlin (Chance 2000) Fotos: Leopold-Hoesch-Museum, Düren / Anne Gold, Aachen Sammlung Dahlmann, Hamburg Texte: Tobias Lenartz T.L. Dr. Gerd Mörsch G.M. Iven Paschmanns I.P. Design / Layout: Daniel Schäfers, TRANSPORTdesign, Köln www.TRANSPORTdesign.de Auflage: 500 Druck: www.diedruckerei.de Herausgeber: Leopold-Hoesch-Museum Düren Hoeschplatz 1 52349 Düren © 2009 bei den Autoren und Künstlern, TRANSPORTdesign, den Fotografen und Institutionen sowie den an entsprechender Stelle genannten Rechteinhabern ISBN 978-3-925955-01-3 62 63