Schifffahrt 2003-4 - Fachbereich Verkehr
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Schifffahrt 2003-4 - Fachbereich Verkehr
01_04schifff03 05.12.2003 17:22 Uhr Seite 1 der fff SCHI report AHRT E 11130 F Fachbereich Verkehr 4/2003 INHALT Seemannskasse 9-11 30 Jahre Seemannskasse – ein Grund zum feiern ? Seeschifffahrt 8 Tarifvertrag für 50 000 Seeleute – ver.di mit Arbeitszeit nicht einverstanden 13 Schlag gegen das Maritime Bündnis 14 Seelenverkäufer am Pranger 15 Schlussverkauf im Container-Geschäft Seehäfen Binnenschifffahrt 16/17 Vater Rhein auf dem Trockenen Politik 18-19 100 000 gegen Sozialabbau Protest der Hafenarbeiter Port-Package-Planer mussten einpacken Seiten 4 bis 6 02_03_04schifff03 05.12.2003 17:24 Uhr Seite 2 ver.di re p o r t | INTERN Angehörige fahren steuerfrei mit Finanzämter verzichten auf „geldwerten Vorteil“ I m März 2001 berichtete der ÖTV-Report Seefahrt über den Versuch der Hamburger Finanzbehörde, die Mitfahrt von Familienangehörigen als Luxus-Kreuzfahrt zu deklarieren. Die Mitfahrt sei ein geldwerter Vorteil, der zu versteuern sei. Die Gewerkschaft ÖTV ließ ein Gutachten erstellen, das auszugsweise im ÖTVReport Seefahrt Nr. 1/2001 nachzulesen ist. Das Gutachten wurde zur Grundlage zweier Klagen gegen Steuerbescheide, in denen die Versteuerung verlangt wurde. Beide Klagen wurden von Hapag- Lloyd Seeleuten geführt. Im ersten Fall hat das zuständige Finanzamt in Niedersachsen (Aktenzeichen 13 K 92/02, Niedersächsisches Finanzgericht) seine Forderung zurückgezogen und betont, dass nur der geldwerte Vorteil der Verpflegung zu versteuern sei. (Siehe auch Bericht in ver.di-Schifffahrt 3/2002.) Der zweite Fall ist nunmehr auch positiv für den Kläger erledigt worden. Es handelt sich wiederum um ein Finanzamt in Niedersachsen. Hier ist es gar nicht erst zur Klage gekommen. Mit Ver- Gute Fahrt ins neue Jahr! weis auf das Gutachten wurde bereits dem Widerspruch gegen den Einkommensteuerbescheid stattgegeben. Die Mitreise der Tochter eines Besatzungsmitglieds muss nicht als geldwerter Vorteil versteuert werden. Das Finanzamt Höxter hat seine ursprüngliche Position aufgegeben und den Steuerbescheid entsprechend geändert. Ein weiterer Beleg dafür, dass es sich lohnt, ver.diMitglied in zu sein und sich mit professioneller Hilfe zu wehren. ❏ Foto: Dieter Benze Gratulation zur Wahl in den Bundesvorstand Jan Kahmann, der Leiter des ver.di-Fachbereichs Verkehr (auf dem Foto links), ist während des Bundeskongresses der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft im Oktober 2003 in Berlin wieder in den Bundesvorstand gewählt worden. Zu den Gratulanten gehörten die Delegierten aus der Fachgruppe Schifffahrt, Bernd Losch, Peter Geitmann und Hartmut Seidack (neben Kahmann von rechts nach links). Verzögerte Tarifverhandlung im Lotsversetzdienst Zeichnung: Battiston Seit der Tarifverhandlung für den Lotsversetzdienst am 23. Juli 2003 wartet die ver.di-Tarifkommission auf die zugesagten Vorschläge der Arbeitgeber. Sie sahen sich nicht in der Lage, die kostenneutrale Vorlage der Arbeitnehmer zu übernehmen. Seit Monaten bewegen sich die Verhandlungen deshalb auf der Stelle. Der Lotsbetriebsverein wird weiterhin aufgefordert, einen eigenen Verhandlungsentwurf vorzulegen. ❏ 2 4/2003 | SCHIFFFAHRT IMPRESSUM Der ver.di-Report Schifffahrt Nr. 4, Dezember 2003 Herausgeber: Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Fachgruppe Schifffahrt, Potsdamer Platz 10, 10785 Berlin v.i.S.d.P.: Frank Bsirske, Jan Kahmann, Bearbeitung: Dieter Benze Verantwortlicher Redakteur: Dietmar Rothwange Internet: www.verdi.de Herstellung+Druck: alpha print medien AG, Kleyerstr. 3, 64295 Darmstadt, www.alpha-print-medien.de Titelseite: Demonstration der Hafenarbeiter. Fotos: FB 02_03_04schifff03 05.12.2003 17:24 Uhr Seite 3 ver.di re p o r t D | KOMMENTAR ie Ergebnisse der 3. nationalen Maritimen Konferenz am 25./26. Mai 2003 in Lübeck sind im Beisein von viel politischer Prominenz bis hin zum Bundeskanzler erarbeitet worden. Die Umsetzung dieser Entscheidungen ist jetzt vorrangig für das Maritime Bündnis. Die Mitglieder des Maritimen Bündnisses haben die Aufgabe, durch emsiges Zutun sicherzustellen, dass die Ziele von Lübeck verwirklicht werden. Zwar sind die Voraussetzungen für die Entlastung der Lohnnebenkosten von der Bundesregierung auf den Weg gebracht worden, und es besteht begründete Hoffnung, dass die meisten Verbesserungen zum 1. Januar 2004 wirksam werden können. Aber damit sind die schifffahrtsrelevanten Ziele wie das Rückflaggen von bis zu 200 zusätzlichen Schiffen und die Besetzung dieser Schiffe mit der vorgeschriebenen Anzahl deutscher Seeleute noch lange nicht erreicht. Was die Besetzung der Schiffe angeht, hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) sich gutachterlich bestätigen lassen, dass die Anzahl der arbeitssuchenden deutschen Seeleute nicht ausreicht, um die zurückzuflaggenden Schiffe nach der Schiffsbesetzungsverordnung (SchBesV) fahren zu lassen. Das BMVBW hat deshalb die SchBesV verändert und für eine Übergangszeit festgelegt, dass ein fehlender deutscher Patentinhaber durch einen qualifizierten Nicht-EU-Patentinhaber ersetzt werden kann, wenn gleichzeitig für die Dauer dieser Ausnahme zwei deutsche Auszubildende eingestellt werden. In den Verwaltungsvorschriften heißt es dazu, dass ein Nicht-EU-Patentinhaber eingestellt werden darf, wenn „innerhalb von sechs Monaten für die Schaffung von zusätzlich zwei seemännischen Ausbildungsstellen für den Bordeinsatz (gesorgt wird), davon (muss) mindestens eine Ausbildungsstelle zum Schiffsmechaniker im Sinne der Schiffsmechaniker-Ausbildungsverordnung. Die Ausbildungsstellen müssen, unter Berücksichtigung der jeweiligen Ausbildungspläne, ständig besetzt sein.“ Das Umsetzen dieser Maßnahme wird allerdings nur gelingen, wenn durch ein reedereiübergreifendes, kompetentes Management alle zur Verfügung stehenden Ausbildungspotentiale ausgeschöpft werden. Dazu gehört auch, dass die Auszubildenden auf einem anderen Schiff der Reederei oder auf einem Schiff einer anderen Reederei oder auf einem geeigneten Schiff unter fremder Flagge angemustert werden. Dazu gehört weiterhin, dass bei Neubauten vorgesehen wird, auf bestimmten Schiffen mehrere Auszubildende unterzubringen. Voraussetzung dafür ist, dass die deutschen Seeschifffahrtsunternehmen die freiwilligen Zusagen von Lübeck erfüllen wollen und bereit sind, die Anzahl der Ausbildungsplätze deutlich zu erhöhen und darüber hinaus bis zu 200 Schiffe zurückflaggen. Denn trotz der in Lübeck beschlossenen Entlastung der Lohnnebenkosten für Schiffe unter deutscher Flagge sind die Kosten auf einem in BareboatCharter ausgeflaggten Schiff, das gleichzeitig die deutsche Tonnagesteuer für sich in Anspruch nimmt, immer noch etwas niedriger, als unter deutscher Flagge. Insofern muss in zwei Jahren, wenn alles auf den Prüfstand kommt, auch der Beschluss von Lübeck im Lichte der gewährten Entlastungen in den anderen EU-Mitgliedsstaaten (entsprechend der Aussage des Bundeskanzlers während der 1. nationalen Maritimen Konferenz in Emden) nachgebessert werden. Es macht beispielsweise keinen Sinn, die Entlastung der Lohnsteuer in Deutschland auf 80 Prozent festzulegen, wenn alle anderen Mitgliedsstaaten eine 100prozentige Steuerentlastung für Seeleute anwenden. Doch jetzt ist nicht die Zeit, weitere Anpassungen an die Regelungen in den anderen Mitgliedsstaaten der EU vorzu- Die Zukunft der deutschen Seeschifffahrt darf nicht in den Sternen stehen schlagen. Denn sie werden nur dann ernsthaft diskutiert werden, wenn die Hausaufgaben von Lübeck, die die Mitglieder des Maritimen Bündnisses bis Ende 2005 erledigen wollten, gemacht worden sind. Denn ohne Erledigung der Hausaufgaben wird bei der Bundesregierung keine Bereitschaft vorhanden sein, die Lübecker Entlastungen bei den Lohnnebenkosten zu verstätigen, geschweige denn dem Niveau in Dieter Benze, Leiter der den anderen Mitgliedsstaaten Fachgruppe Schifffahrt anzupassen. Wenn aber die deutsche Reederschaft nicht bereit sein sollte, von ihren ca. 1800 Schiffen unter fremder Flagge lediglich 200 Schiffe zurükkzuflaggen, gefährdet sie nicht nur die Fortführung der Lübecker Entlastungen über das Jahr 2005 hinaus, sondern auch die für deutsche Geldanleger so vorteilhafte deutsche Tonnagesteuer mit all ihren Facetten. Vor diesem Hintergrund müsste es möglich sein, die deutschen Reedereien bis hin zu den Kapitalsammelstellen davon zu überzeugen, dass es im Interesse aller Beteiligten ist, die Ziele von Lübeck zu erreichen. Diese Überzeugungsarbeit muss jetzt von den Mitgliedern des Maritimen Bündnisses unter Berücksichtigung der bereits laufenden Zwei-Jahres-Frist geleistet werden. Denn die Zukunft der deutschen Seeschifffahrt darf nicht in den Sternen stehen. Dieter Benze SCHIFFFAHRT | 4/2003 3 04_05_04schifff03 05.12.2003 17:25 Uhr Seite 4 ver.di re p o r t | TITELGESCHICHTE Port-Package-Planer mussten einpacken Europäisches Parlament lehnt Hafenrichtlinie ab Die EU-Richtlinie über den Marktzugang für Hafendienste (Port Package) ist vom Europäischen Parlament am 20. November 2003 abgelehnt worden. Der Abstimmung waren mehrere Demonstrationen vorausgegangen, an denen tausende von Hafenarbeitern teilgenommen haben. M Foto: FB it 229 gegen 209 Stimmen bei 16 Enthaltungen votierte das Europäische Parlament gegen die Richtlinie der Europäischen Kommission vom 13. Februar 2001. Damit hätte das Selbstabfertigen von Schiffen ermöglicht werden sollen. Außerdem sollten ten die belgischen Seelotsen über Nacht ihren Dienst ein. In Deutschland folgten 5000 Hafenarbeiter dem Aufruf von ver.di zu einer Demonstration, die Beschäftigten des Lotswesens schlossen sich an. Die Proteste bewirkten eine Änderung der Richtlinie, der Europäische Ministerrat änderte sie zugunsten der Beschäftigten. Die EU-Staaten hätten mit nationalen Maßnahmen Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen schützen können. Aber das Selbstabfertigen der Schiffe und Lotsendienste sollten den Reedern weiterhin ermöglicht werden. Am 11. März 2003 stimmte das Europäische Parlament Änderungsanträgen zu, mit denen nach Ansicht der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF) die Notwendigkeit berücksichtigt wurde, Billighäfen in der EU, Sozialdumping sowie das Aushöhlen der Sozial- und Arbeitsbedingungen zu verhindern. Tags hatten erneut Demonstrationen stattgefunden, an denen allein in Deutschland 5000 Hafenarbeiter teilnahmen. 4000 Hafenarbeiter und Lotsen protestierten am 19. November 2003 in den deutschen Häfen, am 29. Oktober in Rotterdam waren es 9000 gewesen, darunter 500 aus Deutschland. Die Aktionen und Interventionen, auch des ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske und von Jan Kahmann, des Leiters des ver.diFachbereichs Verkehr, waren erfolgreich. „Durch die Ablehnung der Hafenrichtlinie kann der soziale Friede in den europäischen Seehäfen aufrecht erhalten werden“, betont Jan Kahmann. Das Europäische Parlament habe eine Entscheidung über die Sicherheit in den europäischen Häfen und für die Zukunft von hundertausenden Arbeitsplätzen getroffen. Darüber hinaus sei eine Richtungsentscheidung für eine Wettbewerbspolitik gefallen, die stärker auf die sozialen Aspekte und die Interessen der Arbeitnehmer/innen ausgerichtet sei. Die Annahme der Richtlinie hätte die gewachsenen Strukturen in den europäischen Häfen zerstört und im Lotswesen hätte die Gefährdung durch Schiffsunfälle zugenommen. ro Tausende von Hafenarbeitern waren an den Protesten beteiligt 4 4/2003 | maritime Dienstleistungen nur noch befristet im Rahmen von Konzessionen mit fünf bis zehn Jahren Dauer vergeben werden. Betroffen wären Hafenumschlag, Lotswesen, Kanalsteuerung, Schleppschifffahrt und Festmacherei gewesen. Die Richtlinie hat nicht geregelt, ob die Beschäftigten bei der Neuvergabe der Konzession vom neuen Unternehmen übernommen werden. Schon bald kam es zu Protesten. Am 7. Juni 2002 legten 10 000 belgische Hafenarbeiter für 24 Stunden die Arbeit nieder, Tage später stell- SCHIFFFAHRT 04_05_04schifff03 05.12.2003 17:25 Uhr Seite 5 | TITELGESCHICHTE Hafenarbeiter in Lübeck, ver.di und ITF haben sich gewehrt D er ITF sind in den vergangenen Monaten eine Vielzahl von Fällen bekannt geworden, in denen in Häfen Ladungsarbeiten, einschließlich Ladungssicherungen, von Seeleuten vorgenommen wurden, obwohl darin große Gefahren für die Standards der Häfen und für die beruflichen Zukunft der Hafenarbeiter verborgen sind. So auch in dem Fall des Ro/Ro-Schiffes „Gladis“. Seit Oktober 2003 pendelt sie auf der Linie Lübeck – Muuga (Estland). Schon beim ersten Anlaufen Lübecks, am 21. Oktober, wurde bekannt, dass auf Weisung des estnischen Managers Amisco Ltd. das Laschen und Entlaschen der an Bord befindlichen Trailer durch die Besatzung – 22 Seeleute aus Estland – ausgeführt wurde. Und sofort waren die Hafenarbeiter in Lübeck mit ihrem Betriebsrat, die Hauptamtlichen von ver.di und die ITF sensibilisiert. Nicht zuletzt deshalb, weil gerade wegen der Aktualität des Themas die Hafenarbeitersektion der ITF beschlossen hatte, ihre Kampagne gegen diese Entwicklung zu intensivieren. So widmete die ITF ihre diesjährige europaweite ITF-Aktionswoche im September 2003 der Unterstützung der Hafenarbeiter in ihrem Kampf gegen die EU-Seehafenrichtlinie (Portpackage) und das Cargohandling durch Seeleute. In 18 europäischen Ländern kam es zu Kundgebungen, Demonstrationen bis hin zum Schiffsboykott. Auch in Lübeck gab es für die Hafenarbeiter handeln! Ladungsarbeiten der Seeleute verhindert Fest entschlossen, spätestens beim zweiten Anlaufen in Lübeck die Ladungsarbeiten der Seeleute auf der „Gladis“ zu unterbinden, wurde von den Lübecker Hafenarbeitern, dem Hafenbetriebsrat Hand in Hand mit ver.di und der ITF der Schiffsboykott organisiert. Die „Gladis“ steht unter der Flagge von St. Vincent und ist somit ein Billigflaggenschiff. In den ITF-Tarifverträgen heißt es sinngemäß, dass Ladungsarbeit durch Seeleute nur dann gemacht werden kann, wenn die Zustimmung der für den Hafen zuständigen Gewerkschaft vorliegt. Also die Zustimmung von ver.di und der Hafenarbeiter, die gewerkschaftlich organisiert sind. Dass der Schiffsboykott im Fall der „Gladis“ letztlich nicht ausgeführt werden musste, ist dem Umstand zu verdanken, dass der estnische Manager Amisco Ltd. für die „Gladis“ kurz zuvor einen ITF-Tarifvertrag mit der in Estland zuständigen Gewerkschaft unterzeichnet hatte. Unter dem fortgesetztem Druck der Lübecker Hafenarbeiter gab der Manager letztlich auch sein Verlangen auf, seinen Seeleuten widerrechtlich, weil gegen die Tarifvereinbarungen verstoßend, Hafenarbeit aufzuerlegen. Wir – die Lübecker Hafenarbeiter mit ihrem Betriebsrat und die Hauptamtlichen von ver.di und der ITF – konnten uns an Bord des Schiffes davon überzeugen, dass die Lascharbeiten tatsächlich nicht mehr von der Besatzung ausgeführt werden. Ein Erfolg, der zeigt, dass entschlossene Gegenwehr sich lohnt. Hartmut Kruse Foto: Hartmut Kruse ver.di re p o r t Das Ro/Ro-Schiff „Gladis“ sollte in Lübeck von Seeleuten gelascht und entlascht werden SCHIFFFAHRT | 4/2003 5 06_07_04schifff03 05.12.2003 17:25 Uhr Seite 6 ver.di re p o r t | TITELGESCHICHTE Foto: Harald Schmeling ver.di-Sekretär Werner Kiepe (rechts) demonstriert mit Arbeitern aus dem Hafen Duisburg gegen Billigflaggen Dennoch wurden Heuerdifferenzen in Höhe von 154 700 US-Dollar errechnet und eingefordert. 20 Schiffe hatten keinen Tarifvertrag. Sieben davon konnten zum Abschluss eines ITF-Tarifvertrages veranlasst werden. In drei dieser Fälle waren bis zu fünfeinhalb Stunden Boykott durch die Hafenarbeiter notwendig, um die Reeder zu überzeugen. Zwei weitere Boykotts waren befristet und werden bei nächster Gelegenheit international fortgesetzt. Gegenwärtig dauert der Boykott der unter Malta Flagge fahrenden „Apolonia“ in Bremen noch an. In Hamburg konnte der Tarifvertrag für die „Providence“ unterschrieben werden. In den europäischen Seehäfen wurden während der Aktionswoche bis zum gestrigen Tag 376 Schiffe besucht. Für insgesamt 16 Schiffe wurden neue Tarifverträge abgeschlossen. Auch nach dieser Woche bestätigt sich die Erfahrung, dass die meisten Schiffe unter den sogenannten Billigflaggen, die nordeuropäische Häfen anlaufen, einen internationalen ITFVertrag abgeschlossen haben. Eine andere Erkenntnis der Aktionswoche ist, dass es immer noch einzelne Reeder gibt, die versuchen, die internationalen Mindestheuern zu unterlaufen, um sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Diese Woche bestätigt aber auch, dass die ITF permanent weltweite Aktionswochen veranstalten muss. Dieter Benze 110 Schiffe kontrolliert Europäische Aktionswoche der ITF W ährend der vom 8. bis 12. September 2003 dauernden europäischen ITFAktionswoche wurden in den deutschen Seehäfen Bremen, Bremerhaven, Brake, Nordenham, Hamburg, Kiel, Duisburg, Rostock und Wismar 110 Schiffe von den ver.di- Aktionstrupps kontrolliert. An Bord der meisten dieser Schiffe gab es keine Beanstandungen. Lascher Umgang mit dem Laschen „Veracruz I“ mit 5000 alten Autos für Afrika S chiffssicherheit, was ist das ?“ So würden der Kapitän und der Charterer der „Veracruz I“ die Frage beantworten, warum Sie mit 5000 ungelaschten alten Autos nach Afrika schippern wollten. Als die Hafenarbeiter das ITF-Büro darüber informierten, dass die „Veracruz I“ in Bremerhaven mal wieder ohne zu laschen Altautos lädt, war das Maß voll. Bereits vor zwei Monaten war das Schiff kontrolliert worden, weil die Besatzung die alten Karren laschen musste. Der Kapitän und der Reeder wurden darauf hingewiesen, dass Laschen nur von Hafenarbeitern gemacht werden darf. Die Schlussfolgerung, die Autos jetzt gar nicht mehr zu laschen, ist allerdings harrsträubend. Zwar waren zwei „Hafenarbeiter“ an Bord tätig, aber die Überprüfung ihrer Hafenarbeitskarten führte zum sofortigen Verlassen 6 4/2003 | SCHIFFFAHRT des Schiffes. Als der Kapitän dann auch noch erklärte, dass ihn die Beladung nichts angehe und nur der Charterer entscheide, ob die Autos gelascht werden, reichte es. Die Hafenarbeiter stellten das Beladen der „Veracruz I“ ein. Bereits nach 15 Minuten wurde vom Reeder für sofort eine Bremerhavener Laschgang bestellt. Als die Kollegen eintrafen, wurde die Ladung von den Hafenarbeitern in einen laschfähigen Zustand versetzt und nach einer guten Stunde konnte die Beladung fortgesetzt werden. Auch für den nächsten Tag wurden Hafenarbeiter zum Laschen bestellt. Wenn Hafenarbeit nur von Hafenarbeitern gemacht wird, ist das nicht nur gut für die Hafenarbeiter, sondern wie in diesem Fall auch für die Seeleute. Das ist Schiffssicherheit ! Michael Blanke 06_07_04schifff03 05.12.2003 17:25 Uhr Seite 7 ver.di re p o r t | SEESCHIFFFAHRT Mit Kaugummi Welche Gefahr sich hinter dem gegen die Müdigkeit Begriff „Fatigue“ verbirgt Foto: Gordon Welters A usfall der Klimaanlage im Roten Meer, schwere See, schlechte Stimmung innerhalb der Besatzung, nie endende Büroarbeit und dann noch Probleme zu Hause – auf See ist es alles andere als gemütlich. Doch meist wird selbst das schlimmste Malheur mit einer wegwerfenden Handbewegung abgetan: Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern! Oh doch! Auch wenn es sich der einzelne nicht eingestehen will. Das Phänomen hat sogar einen Namen: Fatigue (Französisch für Ermüdung). Hinter diesem Fremdwort verbirgt sich nichts anderes als ein alltägliches Übel – die lästige Müdigkeit, die die Konzentration stiehlt und den Körper schwächt. Sie hat viele versteckte Ursachen: Schlafmangel, Stress, persönliche Probleme, Gesundheitszustand, Lärmbelästigung, Klima etc. All diese körperlichen oder geistigen Anstrengungen führen dazu, dass die persönlichen Fähigkeiten stark eingeschränkt werden. Wer 26 Stunden nicht geschlafen hat, dessen Reaktionsvermögen ist so beschränkt, als hätte der Körper ein Promille Alkohol im Blut. Dass damit die täglichen Anforderungen im Beruf nicht mehr gefahrlos über die Bühne gebracht werden, versteht sich von selbst. Erst recht auf einem Schiff. Das verlngt seiner Besatzung ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit und Verantwortung ab – und das 24 Stunden am Tag. Ohne die Chance, bei Dienstschluss nach Hause zu gehen. Ohne die Möglichkeit, sich dem Lärm oder extremen Temperaturen zu entziehen. Mit Arbeitszeiten, die in der Realität das geforderte Maximum von 77 Wochenstunden weit überschreiten. Die Folge sind Unfälle, die eindeutig vermeidbar wären. Auch bei der „Exxon Valdez“-Katastrophe war Fatigue eine der Unfallursachen. In ihren Richtlinien zur Fatigue fordert die IMO (International Maritime Organisation), Informationen über das Ermüdungssyndrom an Seeleute, Reedereien, Schifffahrtsverwaltungen etc. weiter zu geben. Für alle betroffenen Immer im Einsatz – ob auf See oder im Hafen. Die Schiffsbesatzung steht über Monate hinweg unter Dauerbelastung. Für jeden Einzelnen bedeutet das ein erhöhtes Risiko, aus Übermüdung oder Unachtsamkeit einen Fehler zu machen. Parteien gibt es Maßnahmen – vom Einhalten der Arbeitszeitregeln bei entsprechender Besatzungsstärke bis hin zu Verminderung von Lärmbeeinträchtigung durch veränderte Schiffskonstruktionen. Doch auch ohne viel Aufwand und langwierige Änderungen im Seefahrtssystem kann Fatigue vermieden oder gemildert werden. Änderung der Schlafgewohnheiten, Entspannungstechniken oder Nutzung auch kleiner Pausen können das Schlafdefizit mindern. Der ermüdenden Arbeitsroutine kann mit Tricks begegnet werden – angefangen von körperlicher Bewegung (Und wenn es nur Kaugummikauen ist!) bis hin zu Lichtveränderungen. Kleine Ursache – große Wirkung! Das trifft vor allem für Seeleute zu, die über Monate in dem Rhythmus des Schiffsalltags gefangen sind. Von Juli 2004 an fordert die Umsetzung des ISPS Codes (International Ship and Port Facility Security Code) erhöhte Wachsamkeit von der Besatzung im Hafen. So muss zum Beispiel permanent eine Gangway-Wache postiert sein – meist ohne Aufstockung der Mannschaft. Eine weitere Aufgabe, die neue Anforderungen an die körperliche und mentale Durchhaltefähigkeit der Seeleute stellt. In diesem Zusammenhang bietet das Fortbildungszentrum Hafen Hamburg (FZH) einen Kurs zum Umgang mit Fatigue an. Die Kosten für dieses Seminar müssen die Teilnehmer allerdings allein tragen. Christiane Sternberg SCHIFFFAHRT | 4/2003 7 08_04schifff03 05.12.2003 17:26 Uhr Seite 8 ver.di re p o r t | SEESCHIFFFAHRT Tarifvertrag für 50 000 Seeleute – ver.di mit Arbeitszeit nicht einverstanden Vereinbarung für Billigflaggenschiffe V ertreter von Reedereien und Seegewerkschaften haben sich in San Francisco auf eine verbesserte soziale Absicherung von mehr als 50 000 Seeleuten geeinigt. Die Vereinbarung, die von zwei großen Industrieverbänden und der ITF unterzeichnet wurde, gilt für rund 2400 Schiffe in offenen Registern („Billigflaggenstaaten“ wie Panama, Liberia und Malta). Dem internationalen Tarifforum gehören auf Reederseite der inter-nationale Arbeitgeberverband International Maritime Employers’ Committe (IMEC) mit Sitz in London sowie der japanische Schiffsmanager-Verband International Mariners' Management Committee of Japan (IMMAJ) an. Die Einigung sieht ein nach Schiffstypen gestaffeltes Heuersystem vor. Bei einem Modell-Frachter mit 23 Besatzungsmitgliedern würden sich die gesamten Crew-Aufwendungen der Reederei gegenüber der bestehenden Regelung um 2173 US-Dollar pro Monat erhöhen, teilten die Tarifpartner gemeinsam mit. Das entspräche zwei zusätzlichen freien Tagen pro Seemann. Hinzu kommt das Aufstocken der Mittel für medizinische Betreuung und Unfallversicherung von 1247 USDollar pro Monat und Schiff. Die Einigung sei als Rahmenvereinbarung zu verstehen, deren Einzelpunkte auf nationaler Ebene genauer erörtert werden sollen. Bei Zustimmung der örtlichen Gewerkschaften dürfen die Reedereien bis zu 15 Prozent der Besatzungskosten einbehalten, wenn sie die Mittel für soziale Zwecke oder die Fortbildung der Seeleute ausgeben. Die Tarifvereinbarung katapultiere 8 4/2003 | SCHIFFFAHRT die Arbeitsbeziehungen in der Seeschifffahrt „in das 21. Jahrhundert“, erklärte der Verhandlungsführer der Reeder, Roberto Aglieto, in einer gemeinsamen Stellungnahme der Verbände. „In keiner anderen Industrie hat es je eine vergleichbare internationale Einigung gegeben. Das Beispiel zeigt, wie fortschrittlich die Schifffahrtsindustrie sein kann, wenn Ge- Foto: Dieter Benze Länderübergreifende schaft dadurch im Laufe der Jahre unter ihre Fittiche. Diese Praxis wird weiterhin quasi parallel zum neuen Tarifvertragssystem existieren. Die ITF hofft jedoch, dass die Zugeständnisse, die sie im Rahmen der partnerschaftlichen Verhandlungen gemacht hat, weitere Reedereien zur Mitarbeit im Tarifforum ermutigen wird. Alle übrigen werden ohne Wenn und Aber eine Erhöhung der Matrosen-Eckheuer um 50 auf 1400 US-Dollar von 2004 an hinnehmen müssen, wenn sie verhindern wollen, dass ihre Schiffe in den Häfen an die Kette gelegt werden. Der internationale Seetarifvertrag sieht außerdem ein neues Schlichtungsverfahren für Arbeitskonflikte auf den Schiffen vor. Ausserdem verpflichten sich die Reedereien dazu, Besatzungsmitglieder nicht für Ladungsarbeiten einzuspannen, die üblicherweise von qualifizierten Hafenfacharbeitern erledigt werden. Von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di nahm Dieter Benze an den Tarifverhandlungen teil. Er meint, der Tarifvertrag sei Voraussetzung dafür, dass die Arbeitsund Lebensbedingungen der Seeleute an Bord der Billigflaggenschiffe an die internationalen Mindeststandards angepasst werden können. Er kritisiert das Anheben der durchschnittlichen, täglichen, maximalen Arbeitszeit von 13 auf 14 Stunden und das Ausdehnen der täglichen maximalen Arbeitszeit an zwei aufeinander folgenden Tagen über 14 Stunden hinaus. Nach seiner Meinung ist diese Arbeitszeitverlängerung über die Arbeitszeitkonvention 180 der IAO hinaus unverantwortlich, sie müsse reduziert werden. Schließlich seien überlange Arbeitszeiten verantwortlich für Stress und Übermüdung der Schiffsbesatzung. Das International Bargaining Forum (IBF) hat eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich mit diesem Thema befassen soll. mph Unterschriften für 50 000 Seeleute werkschaft und achtbare Reeder sich an einen Tisch setzen.“ Der Generalsekretär der ITF, David Cockroft, lobte den Tarifabschluss als „vorteilhaft“ für beide Seiten. „Die Seeleute erhalten der Vereinbarung nach höhere Heuern und eine bessere soziale Absicherung als anderswo. Gleichzeitig bekommen die Gewerkschaften in den einzelnen Ländern die Gelegenheit, die Bedingungen genauer auszugestalten.“ Bislang war es Praxis, dass die Seeleutegewerkschaften die Eckheuern im Alleingang festlegten und dann durch Schiffsboykotte durchzusetzen versuchten. Die Herkunft der Seeleute und die Lebenshaltungskosten in ihrer Heimat spielten dabei keine Rolle – entscheidend war, dass es sich um Beschäftigte auf Schiffen unter Billigflagge handelte. Rund 6000 Dampfer brachte die Gewerk- 09_11_04schifff03 05.12.2003 17:27 Uhr Seite 9 ver.di re p o r t | SEEMANNSKASSE Wirksame Hilfe für arbeitslose Seeleute 30 Jahre Seemannskasse – ein Grund zum feiern? Am 1. Januar 2004 wird die Seemannskasse 30 Jahre alt. Während dieses Zeitraums sind durch Ausflaggen und Rationalisierung rund 80 Prozent der Arbeitsplätze deutscher Seeleute vernichtet worden. Die Entstehung der Seemannskasse 1970 hatte die deutsche Seeschifffahrt ihren größten Umfang nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht. 56 441 Seeleute waren bei der See-Berufsgenossenschaft (SeeBG) versichert. In diese Zeit geht die Diskussion um das Einführen der „Seemannsrente“ zurück. Sie erfolgte allerdings schon vor dem Hintergrund einer sich abzeichnenden Ausflaggungs- und Rationalisierungswelle statt. Den Stand der Überlegungen gibt am besten ein Konzeptionsvorschlag der Verwaltung der SeeBG vom Foto: Dieter Benze I n diesen 30 Jahren des dramatischen Niedergangs der deutschen Seeschifffahrt hat sich die Seemannskasse zu einer einzigartigen, institutionell abgesicherten Form der Seesozialversicherung entwickelt. Mit ihrer Hilfe war es möglich, die negativen Auswirkungen der zunehmend unsozialeren Gesetzgebung auf die Lebensverhältnisse der Arbeitslosen und Rentner zu begrenzen. Dabei wurde sozialpolitisches Neuland betreten. Gelegentlich mussten die für die Seemannskasse verantwortlichen Reederei- und Gewerkschaftsvertreter über ihren eigenen Schatten springen. Die Verknüpfung von Tarifpolitik und sozialpolitischem Wirken im Rahmen der SeeBG war letztlich eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg. In den turbulenten Jahrzehnten des Niedergangs der deutschen Seeschifffahrt ist die Seemannskasse eine wirksame Hilfe und verlässliche Größe für die von Arbeitslosigkeit betroffenen Seeleute geworden. Jürgen Söncksen (rechts) erläutert während einem Seminar für Seebetriebsräte die Seemannskasse (siehe auch „Wogen schlagen hoch“, Seite 12) 16. August 1971 wieder. In den sogenannten Grundsätzen wurde folgendes vorgeschlagen: Seemannsrente sollte auf Antrag erhalten, wer das 58. Lebensjahr vollendet, eine versicherungspflichtige Seefahrtzeit von 20 Jahren zurückgelegt, in den letzen 18 Jahren überwiegend als Seemann rentenversicherungspflichtig tätig war und eine Beschäftigung als Seemann nicht mehr ausübt. Die Rente sollte nach den für Alterruhegelder der Rentenversicherung geltenden Grundsätzen berechnet werden. Träger sollte eine Sondereinrichtung mit eigenem Etat unter Haftung der SeeBG sein (damals noch „Seemannsrentenkasse“). Rechtsgrundlage würde eine gesetzliche Ermächtigung der SeeBG zur Einrichtung sein. Die Satzung bedürfte der Genehmigung durch das Bundesversicherungsamt und sollte der Bundesaufsicht für Sozialversicherung unterliegen. Um eine lückenlose Einbeziehung aller Reeder und Seeleute zu sichern, sollten die Einzelheiten nicht in einem Tarifvertrag geregelt werden. Vielmehr sollten die einzelnen Regelungen der Satzung der „Seemannsrentenkasse“ überlassen bleiben, da Reeder und Gewerkschaften in den Organen der SeeBG paritätisch vertreten seien. Als Begründung wurden ausgeführt (Zitat): „Seit langem ist anerkannt, daß die allgemeinen Altergrenzen der Rentenversicherung den besonderen Belastungen der Seefahrt nicht Rechnung tragen. Bedeutende Schiffahrtsländer haben besondere Altersgrenzen für Seeleute... Diesem Anliegen dienen die vorgeschlagenen Grundsätze. Sie ermöglichen es Seeleuten, die nach Vollendung des 58. Lebensjahres den Anforderungen der Seefahrt nicht mehr gewachsen sind aus der Seefahrt auszuscheiden. Damit werden menschliche und betriebliche Probleme in angemessener Weise gelöst.“ Außerdem heißt es: „Hat ein Seemann zwar die Wartezeit von 20 Seefahrtjahren erfüllt, war er aber zwischen seinem 40. und 58. Lebensjahr nicht überwiegend in der Seefahrt tätig – z.B. weil er mit 45 Jahren ausgeschieden ist – so ist es gerechtfertigt und sinnvoll, ihm dann für die Dauer von 3 Jahren eine Zeitrente SCHIFFFAHRT | 4/2003 9 09_11_04schifff03 05.12.2003 17:27 Uhr Seite 10 ver.di re p o r t | SEEMANNSKASSE zu gewähren. .Mit dieser Regelung soll der Abwanderung der Seeleute zwischen 30 und 40 Jahren, die in erschreckendem Maße stattfindet entgegengewirkt und gleichzeitig dem über 40jährigen eine wirksame Starthilfe für den Übergang in einen Landberuf gegeben werden.“ Schon in diesem Stadium der Entstehung der Seemannskasse wird deutlich, dass in erster Linie die Personalprobleme der Reeder in Vordergrund standen. Ältere Seeleute (vorwiegend seemännische Arbeiter) sollen aussortiert und Offiziere und Ingenieure dazu bewegt werden, wenigstens bis zum 40. Lebensjahr in der Seeschifffahrt zu bleiben. Die Entscheidung für die Einführung fällt in einer Heuertarifrunde. Als ein Ergebnis des legendären 36-Stunden-Warnstreiks der Gewerkschaft ÖTV im März 1972 gibt es am 17. März 1972 eine „Vereinbarung über die Einführung einer Seemannsrente“. Sie ist Bestandteil des Tarifvertrages und wird zwischen dem Verband Deutscher Reeder (VDR) und dem Verband Deutscher Küstenschiffseigner (VDK) einerseits und den Gewerkschaften ÖTV und DAG andererseits vereinbart. Wörtlich heißt es dort: „Die Tarifvertragsparteien verpflichten sich nachdrücklich und in gegenseitigem Einvernehmen darauf hinzuwirken, dass sobald wie möglich eine Seemannsrente und die hierfür erforderlichen Einrichtungen, Vorschriften usw. geschaffen werden.“ Am 14. Juni 1972 wird eine gleichlautende Vereinbarung mit dem Verband der deutschen Hochseefischerei abgeschlossen. Es folgen nun vorbereitende Arbeiten der Verwaltung der SeeBG, Entwurf der Satzung, Gespräche mit den beteiligten Ministerien und dem Bundesversicherungsamt. Als notwendige Voraussetzung wird am 16. Oktober 1972 die Reichsversicherungsverordnung (RVO) geändert. Im neu eingefügten § 891 a (heute § 143 SGB VII) wird die SeeBG ermächtigt, in eigener Verantwortung (Haftung) eine entsprechende Kasse einzurichten. Am 21. August 1973 beschließt die Vertreterversammlung der SeeBG die Seemannskasse mit eigenem Haushalt. Die entscheidenden Punkte der Satzung, die im wesentlichen bis heute gelten, sind: 10 4/2003 | SCHIFFFAHRT Voraussetzung für Leistungen der Kasse sind 20 Jahre versicherungspflichtige Seefahrtzeit. Es werden Überbrückungsgeld auf Zeit (drei Jahre) und Überbrückungsgeld bis zur Rente nach dem 58. Lebensjahr gewährt. Für das Überbrückungsgeld auf Dauer muss der Seemann die letzten 18 Jahre vor Eintritt des Leistungsfalls überwiegend (neun Jahre plus einen Monat) Seemann gewesen sein (sogenannte Halbdeckung). Mittel für die Kasse werden bis zu zwei Prozent der jährlichen seemännischen Entgelte allein von den Reedern getragen. Falls erforderlich tragen die Seeleute die nächsten zweiProzent. Die Jahre 1974 bis 1987 In den ersten Jahren wird die Kasse nur zögerlich in Anspruch genommen. So kann die Reederumlage von 1,7 Prozent im Jahr 1974 für die Jahre 1975 bis 1978 auf 0,1 Prozent gesenkt werden. Anlässlich der Heuertarifrunde 1979 verständigen sich VDR und Gewerkschaft ÖTV auf eine Senkung auf 55 Jahre für den frühestmöglichen Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Überbrückungsgeldes auf Dauer. Wie richtig, aber auch notwendig diese Entscheidung war, sollte sich mittelfristig eindrucksvoll bestätigen. Hier die Entwicklung von Gesamtausgaben und Inanspruchnahme durch die Seeleute: Zahl der Anzahl SeeAusgaben Versicherten mannsrentner in DM 1974 35258 93 1975 34802 140 2,8 Millionen 7 Millionen 1976 36505 173 3,3 Millionen 1977 36792 181 3,7 Millionen 1978 3441 238 5,1 Millionen 1979 31363 406 8,5 Millionen 1980 29583 608 14,3 Millionen 1981 27295 713 18,2 Millionen 1982 26964 765 21 Millionen 1983 25604 711 20,4 Millionen 1984 25709 674 19,3 Millionen 1985 24856 661 19,1 Millionen 1986 21997 696 20,2 Millionen 1987 18573 781 22,3 Millionen Die Zahl der Seemannsrentner erhöht sich also bis zum Jahre 1987 fast auf das Neunfache von 1974, während die Zahl der versicherten Seeleute auf die Hälfte sinkt. Die Kosten der Kasse tragen bis zu diesem Zeitpunkt die Reeder allein. Aber die Lage in der Seeschifffahrt spitzt sich dramatisch zu. Die Einführung des 2. Schifffahrtsregisters durch die CDU/FDP-Regierung ist der Todesstoß für die Arbeitsplätze der deutschen Seeleute. Die letzten verzweifelten Versuche zur Änderung der Schifffahrtspolitik durch den Seeleutestreik 1986 und den Hungerstreik der Seebetriebsräte können keine Änderung mehr bewirken. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Die Jahre 1988 bis 1998 Die katastrophale Entwicklung wird am besten anhand der Zahlen deutlich: Zahl der Anzahl SeeAusgaben Versicherten mannsrentner in DM 1988 16764 893 20,2 Millionen 1998 13211 2538 73,3 Millionen Vom Ende der 80-er Jahre an werden die Gesetzesänderungen im Sozialbereich immer hektischer. Die CDU-geführte Bundesregierung begibt sich auf die schiefe Ebene des Sozialabbaus, die sich bis heute fortsetzt. Die Seemannskasse muss deswegen in immer kürzeren Abständen ihre Satzung ändern. Dabei wird zunächst insbesondere auf die Änderung bei der Bundesanstalt für Arbeit reagiert. Die Verwaltung ist überfordert und will die politische Verantwortung für die Seemannskasse nicht länger tragen. Als Konsequenz wird 1988 ein besonderer „Ausschuss Seemannskasse“ gegründet, der von Vorstand und Vertreterversammlung der SeeBG paritätisch besetzt ist. Ihm gehören drei Reeder- und drei Gewerkschaftsvertreter an. Dieser Ausschuss muss für folgende Probleme Lösungsvorschläge entwickeln: ● Anspruch der Seeleute der DSR (Rostock) nach der Vereinigung ● Verhältnis Seemannskasse – Arbeitsamt ● Anrechnen von Abfindungen ● Sperrzeiten deswegen ● Rückzahlungspflicht des Arbeitgebers bei älteren Arbeitnehmern ● Berücksichtigung der Arbeitslosenzeiten ab 50 Jahre für die Halbdeckung ● Auswirkungen des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992. Gleichzeitig wird die finanzielle Lage der Seemannskasse immer prekärer. 09_11_04schifff03 05.12.2003 17:27 Uhr Seite 11 ver.di re p o r t | SEEMANNSKASSE Beitragssatz Arbeitgeber Arbeitnehmer 1988 2,9 Prozen 2 Prozent 0,9 Prozent 1989 – 1994 3,5 Prozent 2 Prozent 1,5 Prozent 1995 4 Prozent 2 Prozent 2 Prozent 1995 6 Prozent 4 Prozent (erstmals auch Seeleutebeitrag) 2 Prozent (zweite Erhöhungen 1995) 1996 6 Prozent 4 Prozent 1997 7 Prozen 4 Prozent 2 Prozent 3 Prozent 1998 8 Prozent 5 Prozent 3 Prozent Die Beitragsentwicklung: Am 23. Juli 1996 beschließt der Bundestag das „Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand“ (und damit den „Blüm’schen Abschlag“ bei Frühverrentung ab 60.) und am 25. September 1996 das „Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz“. Beide Gesetze zusammen hebeln die Seemannskasse praktisch aus. Die dem Ausschuss vorgelegten Hochrechnungen der Verwaltung sind beängstigend. Die Kasse wäre bei unveränderten Leistungen nicht mehr bezahlbar, bzw. die Beiträge müssten auf eine nicht mehr zumutbare Höhe steigen. Betroffen davon wären die Reeder und die Seeleute. Zur Sicherheit der entscheidenden Gremien wird ein versicherungsmathematisches Gutachten in Auftrag gegeben. Es bestätigt die Berechnungen der Verwaltung und es lässt nur einen Schluss zu: Entweder die Satzung wird verändert, das heißt, Leistungen werden eingeschränkt, oder die Kasse ist am Ende. Nach langer Diskussion im Seemannskassenausschuss (mehr als 20 Sitzungen), in der Vertreterversammlung, im Vorstand der SeeBG und nach Zustimmung der Gewerkschaft ÖTV beschließt die Vertreterversammlung am 9. September 1998 den legendären 32. Nachtrag zur Satzung der Seemannskasse. Er soll den Erhalt der Seemannskasse gewährleisten und sieht folgenden Kompromiss vor: Die Altergrenze wird von 55 auf 57 Jahre angehoben (inzwischen wieder auf 56 Jahre gesenkt), die Zuzahlung des halben Rentenversicherungsbeitrags entfällt, Wegfall des Ü-Geldes auf Zeit, die Zuzahlung zum Krankenversicherungsbeitrag wird halbiert (bisher volle Übernahme Arbeitgeberund Arbeitnehmeranteil durch die Seemannskasse), verpflichtender Rentenbeginn für alle nach Vollendung des 60. Lebensjahres. Bei Nichtbeantragung der Alters- rente wird das ÜGeld mit „Blüm’schen Abschlag gemindert Voller Ausgleich des „Blüm’schen Abschlags“ bei Rentenbezug bis zum vollendeten 65. Lebensjahr Danach Ausgleich der halben Minderung gemäß Paragraf 187 SGB VI als Einmalzahlung. Bei diesen Regelungen handelt es sich um einen Kompromiss, der von der Sache her begründet, aber vor dem Hintergrund der paritätischen Besetzung der Gremien der SeeBG gar nicht anders möglich gewesen wäre. Er ist trotzdem in Deutschland einmalig. Die Seemannskasse wirkt wie ein branchenübergreifender Sozialplan der deutschen Seeschifffahrt. Sie stellt sicher, dass ein Seemann, der seinen Arbeitsplatz verliert, vom 54. Lebensjahr an nicht in ein sozialpolitisches Loch fallen kann. Nach Beendigung der Arbeitslosenzeit und bei entsprechender Leistungsvoraussetzung bekommt er bis 60 das Überbrückungsgeld. Anschließend geht er in Rente und erhält einen lebenslänglichen Ausgleich der Rentenminderung. Zunächst wird bis zum vollendeten 65. Lebensjahr durch monatliche Zahlung der „Blüm’sche Abschlag” ausgeglichen, und anschließend erfolgt die Einmalzahlung gemäß Paragraf 187 SGB VI. Die Satzung gewährleistet außerdem bereits ab dem 47. Lebensjahr (nach Erfüllung der Halbdeckungszeit) einen Rechtsanspruch auf das Überbrückungsgeld ab 56. Die Jahre 1999 bis heute Die Änderungen in Folge des 32. Nachtrags beginnen in den Folgejahren zu wirken. Wichtigstes Ergebnis ist, dass die Überbrückungsgeldzahlungen nach dem 60. Lebensjahr immer weniger werden und damit die Kasse entscheidend entlastet wird. Dafür nimmt die Zahl der Zuzahlungen zur Rente stetig zu. Ebenso verhält es sich mit der Einmalzahlung nach Vollendung des 65. Lebensjahres. Durch die Entspannung wird es aber möglich, für diese Sonderzahlungen Rücklagen zu bilden. Außerdem bewirkt die immer geringer werdende Zahl der Patentinhaber ein weiteres. Die Reeder müssen sich mehr und mehr am HTV und MTV orientieren. Das führt offensichtlich zu einer abnehmenden Zahl von Anträgen auf Überbrückungsgeld. So sinkt die Zahl der Überbrückungsgeldbezieher von 2000 auf 2001 von 1646 auf 1469. So ist es sogar möglich, die angehobene Altersgrenze für Antrags auf Überbrückungsgeld wieder auf 56 Jahre zu senken. In den Jahren nach 1999 entwickeln sich Umlage und Beiträge wie folgt: Beitragssatz Arbeitgeber Arbeitnehmer 1999 8 Prozent 5 Prozent 2000 8 Prozent 5 Prozent 3 Orzent 3 Prozent 2001 7 Prozent 4 Prozent 3 Prozent 2002 6,5 Prozent 3,5 Prozent 3 Prozent 2003 5,5 Prozent 3 Prozent 2,5 Prozent Gegenwärtig beschäftigt sich der Ausschuss Seemannskasse mit einem neuen Projekt. Es soll eine „Bonus-Regelung” für Seeleuten geschaffen werden, die das Überbrückungsgeld nicht in Anspruch nehmen. Schlussbetrachtung Mit Hilfe der Seemannskasse werden die schlimmsten Auswirkungen der unsozialen Gesetzgebung aller Bundesregierungen seit 1988 reduziert. Sie entbindet die Reeder nicht von ihrer politischen Verantwortung für den Niedergang der deutschen Seeschifffahrt. Sie verwischt nicht den grundsätzlichen Interessengegensatz zwischen Arbeitgebern und Seeleuten. Unabhängig davon ist die grundsätzliche Bereitschaft der Reederseite anzuerkennen, die Seemannskasse zu erhalten. Mit dem nicht unerheblichen Eigenbeitrag beweisen aber auch die fahrenden Seeleute Solidarität mit ihren Kollegen in schwierigen Zeiten. Aus anderen Motiven entstanden, ist die Seemannskasse unter heutigen Bedingungen ein unverzichtbarer Bestandteil der Seesozialversicherung. Die Seemannskasse zu erhalten, zu sichern und weiter zu entwickeln ist (beinahe) jede Anstrengung wert. Deswegen ist ihr Bestehen nach 30 Jahren für uns Seeleute ein kleiner Grund zum feiern. Jürgen Söncksen SCHIFFFAHRT | 4/2003 11 12_13_04schifff03 05.12.2003 17:28 Uhr Seite 12 ver.di re p o r t | SEMINAR Standpunkte finden Seminar für Seebetriebsräte in Undeloh chend Schiffsbesetzungsverordnung zur Verfügung stehen. Somit müssen Ausnahmen klar formuliert sein. Die Reeder haben dabei teilweise andere Vorstellungen. Innerhalb des Maritimen Bündnisses muss darüber eine Einigung erzielt werden. Die Seemannskasse, eine Einrichtung der See-Berufsgenossenschaft, war ebenfalls ein heftig diskutiertes Thema. Dabei ging es darum, zu beraten, was die Seemannskasse den Seeleuten für die Zukunft bieten kann. Die Kollege Manfred Seyer referierte beim Seminar für Seebetriebsräte Finanzausstattung der Kasse ist so, dass man über eine mögliche Bonuszahlung für Seeleute, die länger zur See fahren, nachdenkt. Die weitere Beitragsentwicklung, die in diesem Fall von den Gremien (Vorstand und Vertreterversammlung der See-Berufsgenossenschaft) bestimmt wird, wurde diskutiert. Die Reeder begehren aufgrund der guten Finanzsituation eine Beitragssenkung. Das jedoch muss angesichts der Befreiung der ausländischen Seeleute aus Drittstaaten von der Sozialversicherung (ausgenommen Unfallversicherung) gut überdacht sein. Die Mehrheitsmeinungen tendierten dahin abzuwarten, ob denn die avisierte Rück- flaggung und die verstärkte Ausbildung deutscher Seeleute tatsächlich kommt. Im Gegenzug können die Lohnnebenkosten der Seemannskasse gesenkt werden. Das Thema „Fährschifffahrt in der Ostsee“ ist sehr vielschichtig. Zum einen gibt es Abwanderungsbestrebungen der Unternehmen in die anderen EU-Staaten, in denen die Förderbedingungen für die Schifffahrt besser als in Deutschland sind (beispielsweise Schweden, Finnland). Hier gibt es aber Hoffnungen, dass die jetzt gestalteten Wettbewerbshilfen der Bundesregierung diesen Trend stoppen und die Fährschiffe in Deutschland bleiben. Zum anderen gibt es teilweise deutliche Unterschiede in Bezug auf die angewandten Tarife für die Beschäftigten auf diesen Schiffen. Anstrebenswertes Ziel wäre die Schaffung eines einheitlichen Fährschifftarifes für die Ostsee. Eine erfolgreiche Nachwuchsausbildung wird angesichts der Altersstruktur in der deutschen Seeschifffahrt ein wesentlicher Punkt sein, wenn das Know-how erhalten bleiben soll. Die Teilnehmer des Seminars waren sich einig, dass der Schwerpunkt auf der Ausbildung zum Schiffsmechaniker liegen soll. Um die jungen Menschen für die Seefahrt zu gewinnen, muss ein Werbekonzept her, das klar zeigt, wie heute Arbeit und Leben in der Schifffahrt aussieht. Eine wesentliche Voraussetzung dafür wird aber sein, dass allen Verantwortlichen klar sein muss, dass dieser Berufsstand auch wieder eine größere Zukunft für deutsche Seeleute bietet. Peter Geitmann Wichtige Hinweise für die Praxis Dabei ging es vor allem um die Übergangsregelungen für die Zeit der befristeten Aussetzung der Schiffsbesetzungsverordnung, die Seemannskasse, die Entwicklungen der Fährschifffahrt in der Ostsee sowie um damit zum Teil in Verbindung stehende weitere Themen wie Schifffahrtspolitik, Vergabe Forschungsschiffe, Nachwuchsausbildung, Arbeitszeitverordnung, EU-Osterweiterung. Insbesondere die Übergangsregelungen für die Schiffsbesetzungsverordnung wurden heiß diskutiert. Denn wenn es nächstes Jahr zu einer großen Rückflaggungswelle unter die deutsche Flagge kommt, werden nicht ausreichend deutsche Seeleute entspre12 4/2003 | SCHIFFFAHRT Fotos: FB V om 6. bis 10. Oktober 2003 fand in Undeloh ein Seminar für Seebetriebsräte statt. 24 Kolleginnen und Kollegen waren angereist, um zu beraten und Standpunkte zu finden. Angesichts der vielen Kompromisse, die nach der 3. Nationalen Maritimen Konferenz notwendig sind, ist das keine leichte Arbeit. Unter der Leitung von Dieter Benze (Bundesfachgruppenleiter Schifffahrt) wurden die Themenschwerpunkte festgelegt und in Arbeitsgruppen bearbeitet. 12_13_04schifff03 05.12.2003 17:28 Uhr Seite 13 ver.di re p o r t | SEESCHIFFFAHRT Schlag gegen das Maritime Bündnis Vergabe Forschungsschiffe per Gerichtsentscheid entschieden D as Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg hat am 21. November 2003 die Beschwerde der Arbeitsgemeinschaft Reederei Forschungsschifffahrt Bremen und Reederei F. Laeisz GmbH Rostock gegen die Entscheidung der Vergabekammer der Finanzbehörde Hamburg zurückgewiesen und damit den Beschluss der Vergabekammer bestätigt. Dort ist beschlossen worden, dass die Briese Schiffahrts GmbH & Co. KG Leer wegen des wirtschaftlichsten Angebotes die mittelgroßen Forschungsschiffe bereedern soll. Im Beschluss der Vergabekammer wird darauf verwiesen, dass es keine Tarifbindung gibt. Die Tatsache, dass unterschiedliche Heuern gezahlt werden, würde schließlich dem geforderten Wettbewerb entsprechen. Die Tarifbindung war wegen der europäischen Ausschreibungsrichtlinien nicht vorgegeben. Das Ausschreibungsverfahren war gekennzeichnet von der Ignoranz gegenüber der schifffahrtspolitschen Entwicklung der nationalen Maritimen Konferenzen. Auf der einen Seite unternehmen die Beteiligten des Bündnisses alles, um deutsche Seearbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. Im Gegenzug wird nicht verstanden, eine Ausschreibung so zu formulieren, dass die Besetzung der ausgeschriebenen Schiffe im Eigentum des Bundes oder der Küstenländer mit deutschen bzw. EU-Seeleuten abgesichert wird. Während der dritten nationalen Maritimen Konferenz in Lübeck haben sich Reeder dazu bekannt, einen Teil ihrer Schiffe zurück unter die deutsche Flagge zu bringen. Es war von bis zu 200 Schiffen die Rede. Nun wird von einem Gericht bestätigt, dass es keine Tarifbindung gibt, eine Weiterbeschäftigung der alten Besatzung gemäß Paragraf 613a des Bürgerlichen Gesetzbuches (Übernahme der Arbeitnehmer zu den bestehenden Arbeitsbedingungen für ein Jahr) nicht gilt und damit ausländi- sche Seeleute zu Billigheuern eingesetzt werden können. Wann endlich gibt es Festlegungen, die die Beschäftigung von deutschen bzw. EU-Seeleuten an Bord von Forschungsschiffen absichern? Wie geht der Verband Deutscher Reeder damit um, dass auf der einen Sei- te ein Teil seiner Mitglieder mit ihren Schiffen unter die deutsche Flagge zurückkehren und damit deutsche Seearbeitsplätze schaffen will und auf der anderen Seite ein Mitglied des Verbandes dazu übergeht, auf Forschungsschiffen mit Seeleuten zum Billigtarif zu fahren? Warum sind die Richter in Hamburg nicht den Aussagen der Gutachten der beschwerdeführer Seite gefolgt und haben sie bei ihrer Entscheidung überhaupt an die politische Dimension gedacht? Es ist dringend geboten, Grundsätze für die Besetzung von Schiffen im Bundes- oder Landeseigentum zu schaffen. Sollte dies der Politik nicht gelingen, dann können wir die Ergebnisse der Maritimen Konferenz in Lübeck in den Wind schreiben. Manfred Seyer Unverstanden und misshandelt Besatzung der „Prince of Ocean“ versteht kein Englisch – der Kapitän kein Mandarin D er Anruf der Seemannsmission in Brake klang dringend. Die unter Panama-Flagge fahrende „Prince of Ocean“, besetzt mit Kollegen aus China sowie einem kroatischen Kapitän und Chefingenieur, war am Morgen eingelaufen. Zwei Besatzungsmitglieder standen mit Koffern in der Hand vor dem Seemannsclub und wollten nach Hause. An Bord, so berichteten sie, würden sie vom Kapitän und Chefingenieur misshandelt. Es gebe nicht ausreichend Proviant und seit Monaten kein Geld. Beim Eintreffen des ITF-Inspektors an Bord herrschte helle Aufregung. Angeblich waren zwei Besatzungsmitglieder illegal in die Bundesrepublik eingereist, und zwar mit dem Taxi nach Bremen, obwohl sie nur Landgangstickets hatten. Die Fahndung war bereits angelaufen. Die chinesischen Besatzungsmitglieder übergaben einen Beschwerdebrief in Mandarin. Eine Verständigung war kaum möglich da die Englischkenntnisse der Crew bescheiden waren. Mit Händen und Füßen, mit Drohungen und Bitten, gelang es, die ersten Probleme zu lösen. Die angeblich illegal Eingereisten waren die zwei Besatzungsmitglieder, die nach Hause wollten. Sie waren an Bord. Die Reederei er- klärte sich bereit, sie am nächsten Tag nach Hause zu fliegen. Sie erhielten ein Visa und flogen heim. Die Überprüfung des Proviants ergab, dass durch unsachgemäße Lagerung ein Großteil verdorben war. Der Proviantraum wurde gründlich gereinigt und repariert. Danach wurde neuer Proviant bestellt. Die Übersetzung des Beschwerdebriefes ergab, dass sich alle Besatzungsmitglieder von der Schiffsleitung schlecht behandelt fühlten. Die Arbeitssprache an Bord war Englisch. Kapitän und Chief räumten ein, dass wegen kaum möglicher Verständigung, zweimal hatte das Schiff deshalb Grundberührung, der Ton schon mal „rauer“ gewesen sei. Dies war der Moment die PSC einzuschalten. Von Port State Control wurde dem Schiff am 7. November 2003 Auslaufverbot erteilt. Am 17. November wurden der Kapitän und der Chief durch einen chinesischen Kapitän und einen taiwanesischen Chief abgelöst. Arbeitssprache an Bord ist jetzt Mandarin. Die für Wachsgänger vorgeschriebenen Englischkenntnissen haben sich aber verschlechtert, weil auch der Chief nicht Englisch spricht. Michael Blanke SCHIFFFAHRT | 4/2003 13 14_17_04schifff03 05.12.2003 17:29 Uhr Seite 14 ver.di re p o r t | SEESCHIFFFAHRT Seelenverkäufer am Pranger Datenbank mit Informationen über tausende von Schiffen Equasis heißt eine neue Möglichkeit der EU-Kommission im Kampf gegen Billigdampfer, die Küsten und Meere gefährden. Charterer, Seeversicherer und Behörden können bei der Datenbank kostenlos Informationen über tausende Schiffe abrufen. D ie Forderungen nach einer Ächtung umweltgefährdender Billigdampfer sind von Desaster zu Desaster lauter geworden. Künftig sollen Kunden, die schlecht gewartete Tonnage unter Vertrag nehmen, zumindest nicht mehr sagen können, sie hätten von nichts gewusst. Mit einem Klick nach www.equasis.org kann sich inzwischen jedermann umfangreiche Hintergrundinformationen über den Frachter seiner Wahl herunterladen. „Wir hatten im Oktober rund 260 000 Besucher auf unser Internetseite, ein neuer Rekord für uns“, freut sich Executive Director George Barclay. Equasis wurde im Jahr 2000 als gemeinsames Datenbankprojekt der EUKommission und der französischen Schifffahrtsverwaltung aus der Taufe gehoben. Undurchschaubare Geschäftsbedingungen Kurz zuvor war der maltesische Tanker „Erika“ vor der französischen Atlantikküste gesunken. Das Entsetzen war groß, nicht nur wegen der ökologischen Auswirkungen, sondern auch, weil aller Welt klar wurde, dass die Geschäftsbedingungen in der Schifffahrt so undurchschaubar sind, dass „tickende Zeitbomben“ sich nur schwer identifizieren lassen. „Die relativ kleine Zahl der rücksichtslos agierenden Schifffahrtsfirmen bringt die ganze Industrie in Verruf. Aufgrund des Mangels an Transparenz ließen sie sich bislang aber nicht aus dem Geschäft drängen“, so Barclay. Equasis, das von einem unscheinbaren Büro in Paris aus betrieben wird, hat nicht die nötige Manpower, um riskante Dampfer eigenhändig an die Kette zu legen. Trotzdem kann es die schwarzen Schafe der Industrie an ihrer empfindlichsten Stelle treffen: dem Bankkonto. “Wenn Charterer die 14 4/2003 | SCHIFFFAHRT Dampfer ablehnen, und Versicherer sich weigern, sie zu versichern, kommen die Geschäfte zum Stillstand”, meint der Experte. Equasis liefert ihnen alle Daten, die sie brauchen: Wann und wie häufig wurde ein Schiff festgehalten? Welche technischen Pannen hat es aufgewiesen? Wie alt ist der Pott, wie häufig hat er den Eigner und die Flagge gewechselt? Wie viele Unfälle? Interessierte geben den Namen oder das IMOKennzeichen des Schiffs ein, und schon rattern die Tabellen über den Monitor. Die Idee klingt so einfach, dass man sich fragt, warum nicht schon früher jemand auf den Trichter kam? Schlichtweg weil die meisten Behörden, Institutionen und Firmen in der Vergangenheit viel zu diskret mit den Daten umgingen. “Wir sammeln die Informationen aus 37 Quellen, darunter Hafenbehörden, technische Überwachungsfirmen und private Datenbanken. Ein Teil davon muss teuer eingekauft werden”, verrät Barclay. Aufgrund des wachsenden politischen Drucks rücken die Organisationen aber immer mehr Informationen kostenlos raus. Denn keiner möchte in den Ruch geraten, Umweltfrevler zu decken. Zumal immer mehr Kreise mit zur Haftung gezogen werden, wenn ein schlecht gewartetes Schiff samt Ladung und Brennstoff untergeht. Neben der zuständigen Reederei geraten auch Ladungseigner, Agenten, Makler und Versicherer immer öfter ins Fadenkreuz der Ermittler. Auch Einsparungen führen zu Unfällen Das Informationsangebot von Equasis soll in den kommenden Monaten ausgeweitet werden, verspricht George Barclay. „Wir wollen die menschlichen Aspekte beim Schiffsbetrieb stärker berücksichtigen, mehr Infos über die Bemannung der Frachter und die Personalpolitik der Reedereien auflisten.“ Denn wie zahlreiche Kollisionen und Verschmutzungsfälle gezeigt haben, sind nicht immer die technischen Eigenschaften der Frachter der ausschlaggebende Faktor. Genauso gut können Einsparungen beim nautischen Personal oder Sprachbarrieren unter den bunt zusammengewürfelten Crews zu Unfällen führen. Michael Hollmann 344 Piratenüberfälle in diesem Jahr 20 Matrosen sind ums Leben gekommen V or allem langsame und leicht zu erbeutende Schiffe wie Schlepper und Lastkähne sind im bisherigen Jahresverlauf Piraten zum Opfer gefallen. Das berichtet das International Maritime Bureau in London. Der Spezialeinheit der Internationalen Handelskammer zufolge waren deutlich weniger eigenangetriebene Frachtschiffe von Übergriffen betroffen als in den Vorjahren. Insgesamt habe die Zahl der Piratenüberfälle welt- weit aber einen neuen Neunmonatsrekord erreicht: Bis Ende September zählten die Ermittler, die von Büros in London und Kuala Lumpur aus arbeiten, 344 Übergriffe. Im selben Vorjahreszeitraum waren es 271 gewesen. Bei den Angriffen seien 20 Matrosen ums Leben gekommen, hieß es. Die meisten Vorfälle wurden abermals in indonesischen Gewässern (87) registriert, gefolgt von Bangladesch und Nigeria. mph 14_17_04schifff03 05.12.2003 17:29 Uhr Seite 15 ver.di re p o r t | SEEHÄFEN Schlussverkauf im Container-Geschäft Öffentliche Betriebe kontrollieren nur noch ein Fünftel des Umschlags D ie großen Terminalbetreiber haben sich die Rosinen herausgepickt“, sagt der Investment-Experte und Direktor der maritimen Beratungsfirma Policy Research Corporation, Gustaaf de Monie. „Was übrig geblieben ist, sind im wesentlichen relativ unattraktive Umschlagplätze mit geringem Containeraufkommen und niedriger Produktivität, zum Beispiel in Westafrika.“ Monie, der als Berater für die Weltbank und die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung tätig war, warnt zudem vor Patzern bei einer Reihe von laufenden Privatisierungsprojekten. So würden einige Staaten wie Südafrika bestehende Terminals noch vor dem Verkauf in kleinere Einheiten unterteilen, damit mehrere Betreiber einen Zuschlag erhalten und sich untereinander Konkurrenz machen könnten. Die Anlagen würden dadurch aber zu stark verkleinert, um noch wirtschaftlich arbeiten zu können, so der Belgier. Dort wo noch attraktive Terminals unter den Hammer kommen, stünden die Bieter bereits Schlange. Die Konkurrenz habe deutlich zugenommen, weil sich neben den angestammten Umschlagkonzernen wie Hutchison Port Holdings und P&O Ports “jetzt auch verstärkt Linienreedereien in das Geschäft einmischen”, beobachtet Monie. Appetit auf Häfen in Entwicklungsländern David Bayne, früherer Manager von P&O Ports und heute als Berater für Drewry Shipping Consultants tätig, ist davon überzeugt, dass die großen Terminal-Konzerne durchaus Appetit auf unrentable, kleine Hafenplätze in den Entwicklungsländern haben. „Voraussetzung ist, dass sich die betrieblichen Abläufe dort ohne große Investitionen verbessern lassen“, so Bayne. Seiner Erfahrung nach haben sich eine Reihe von Terminals in Südasien schon Der Schlussverkauf im internationalen Container-Terminal-Geschäft neigt sich dem Ende zu. Nach umfangreichen Privatisierungen und Übernahmen von Kapazitäten in den Industrie- und Entwicklungsstaaten sind die besten Schnäppchen längst vergeben. durch logistische Umstellungen in relativ produktive Standorte verwandeln lassen. Mittelgroße Unternehmen werden verschwinden Einer Drewry-Statistik zufolge hat die öffentliche Hand im Vorjahr nur noch 21 Prozent des weltweiten Umschlagaufkommens von rund 260 Millionen 20-Fußstandardcontainer (TEU) kontrolliert. 58 Prozent aller Containerbewegungen weltweit erledigen inzwischen global tätige Konzerne, während kleine unabhängige Firmen nur noch auf einen Marktanteil von 21 Prozent kommen. “Mittelgroße Unternehmen werden weitgehend verschwinden. Am Ende bleiben nur noch Riesenkonzerne und kleine spezialisierte Nischenanbieter übrig”, glaubt Bayne. Ihre Kriegskasse dürften die übernahmehungrigen Terminal-Multis selbst nach Inkrafttreten der neuen strengeren Kreditrichtlinien (Basel II) ohne Schwierigkeiten mit Darlehen auffüllen. Während einer Hafen-Fachkonferenz in London erklärte der Manager der HSH Nordbank, Dr. Ansgar Bendiek, vergangenen Monat, dass „der Containerterminalbetrieb aufgrund der hohen Wachstumsraten ein attraktives Geschäftsfeld für die Banken bleiben wird.“ Günstigste Variante ist die Projektfinanzierung Über die Eigenkapitaleinbringung der Investoren lasse sich immer diskutieren. Wichtig sei jedoch, dass die Ausfallrisiken bei Terminalprojekten fair zwischen den beteiligten Parteien – Betreibern, Investoren, Gläubigern, Regierung und Projektentwicklungsfirma - aufgeteilt würden. Als günstigste Variante „in der Welt nach Basel II“ bezeichnete Bendiek die Projektfinanzierung. Dabei wird Eigentum und Betrieb des Containerterminals einer gesonderten Gesellschaft übertragen, deren Umsätze direkt für die Kredittilgung eingesetzt werden. Vorteil für die Hafenkonzerne: Die Schulden tauchen nicht in ihrer Bilanz auf und belasten somit auch nicht ihre Bonität. Das Transship-Geschäft treibt das Wachstum an Mittelfristig hohe Wachstumsraten bescheinigt Andrew Penfold, Direktor der Beratungsfirma Ocean Shipping Consultants, den Umschlagunternehmen. Eine Verdopplung des weltweiten Containerumschlags auf mehr als 510 Millionen TEU bis zum Jahr 2015 gelte als sicher. Angetrieben werde das Wachstum durch das rasant steigende Transshipment-Geschäft. Im Zeitraum zwischen 2002 und 2010 rechnen Ocean Shipping Consultants mit Zuwächsen von bis zu 56 Prozent in Nordamerika und 62 Prozent in Europa. Mit Blick auf die langfristige Entwicklung über das Jahr 2015 hinaus schlägt Penfold aber vorsichtigere Töne an: Es sei anzunehmen, dass der Globalisierung auf Dauer allmählich die Puste ausgehe und die Märkte in den OECD-Ländern sich der Sättigung nähern. Investoren und Gläubiger, die heute große Terminalprojekte auf den Weg bringen, müssten diese Entwicklungen angesichts der langen Amortisierungszeiten mit einkalkulieren. Michael Hollmann SCHIFFFAHRT | 4/2003 15 14_17_04schifff03 05.12.2003 17:30 Uhr Seite 16 | BINNENSCHIFFFAHRT Fotos: Sabine Vielmo ver.di re p o r t Sommer 2003 am Rhein: Die lange Trockenzeit hatte extrem niedrigen Wasserstand zur Folge Vater Rhein auf dem Trockenen Revierzentrale in Oberwesel am Mittelrhein D ie Panoramasicht aus der Revierzentrale in Oberwesel am Mittelrhein veranschaulichte im Sommer, dass der verkehrsreiche Fluß sich zu einem Rinnsal verändert hatte. Das hat zur Folge, dass die ohnehin umfangreichen Aufgaben der Revierzentrale mit ihrem 300 Kilometer langen Überwachungsbereich von Rolandseck bis Iffezheim am Rhein sowie den Nebenflüssen Mosel bis Trier, dem Main bis Hanau und dem Neckar bis Heilbronn, bei extremem Wasserstand drastisch zunehmen. Schnelle Entscheidungen der Verantwortlichen in der Revierzentrale in Form von nautischen Informationen und Empfehlungen an die Schiffsführungen sowie das Einleiten von Hilfe sind gefragt. Entscheidend ist, dass die Chemie zwischen Revierzentrale und vorbeifahrender Schifffahrt stimmt. Die Bediensteten der Revierzentrale bezeichnen das Verhältnis zu den Binnenschiffern als außergewöhnlich gut und freundschaftlich im Umgang miteinander. 16 4/2003 | SCHIFFFAHRT Keineswegs darf unterschätzt werden, dass bei so extrem niedrigen Wasserständen in den meisten Fällen nur Wachsamer Warschauer wenige Zentimeter Wasser unterm Schiffsboden vorhanden sind und die Nerven der Schiffsführung blank liegen. Dies erfordert in der Revierzentrale den integrierten Warschaudienst, der die Schifffahrt mit Signalanlagen auf dem Stromabschnitt St.Goar - Oberwesel leitet. Vier Landradaranlagen ermöglichen, dass der Warschauer auf seinen Monitoren die gesamte Strecke beobachten kann und zur nautischen Beratung über den UKW-Kanal 18 zu erreichen ist. Trotz der schwierigen Fahrverhältnisse hat es nicht mehr Unfälle gegeben. Große Disziplin und äußerst vorsichtige Navigation der Schiffführungen sind ein Beweis für die korrekte Umsetzung der allgemeinen Sorgfaltspflicht, entsprechend der Rheinschifffahrts- Polizeiverordnung. Immerhin wird die Revierzentrale Oberwesel im Jahresdurchschnitt von 65 000 Schiffen passiert. Beim Transport gefährlicher Güter werden wichtige Daten abgefragt. Das stellt si- 14_17_04schifff03 05.12.2003 17:30 Uhr Seite 17 | BINNENSCHIFFFAHRT Foto: Sabine Vielmo ver.di re p o r t 65 000 Schiffe passieren jährlich die Revierzentrale Oberwesel cher, dass bei einem Unfall alle nötigen Informationen für die Bergungsund Rettungsdienste sofort zur Verfügung stehen. An der Integration weiterer Aufgaben zur Verbesserung der nautischen Information wird fortwährend gearbeitet, die Kollegen unter- liegen damit einem ständigen Lernprozess. Die Revierzentrale ist rund um die Uhr besetzt. Die Crew besteht aus 16 Personen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, wovon 12 Nautiker und vier Warschauer sind. Der Schichtdienst läuft im Acht-Stunden-Rhythmus ab. Hohen Stellenwert hat die persönliche Hilfe außerhalb der gesetzlichen Vorgaben. Damit wird verdeutlicht, dass die große Familie Binnenschifffahrt immer noch exitiert. Hans-Werner Kayßer Tarifabschluss Binnenschifffahrt Trotz der angespannten wirtschaftlichen Situation in vielen deutschen Unternehmen der Binnenschifffahrt verständigten die Tarifvertragsparteien am 18. November 2003 in Duisburg sich auf einen Tarifabschluss. Im Detail sieht der Abschluss wie folgt aus: Lohn- und Gehaltstarifvertrag In einer Gesamtlaufzeit von 24 Monaten werden in den ersten zwölf Monaten vom 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2004 die Vergütungen linear und tabellenwirksam in der Güterschifffahrt um zwei Prozent und in der Fahrgastschifffahrt um 1,7 Prozent erhöht, in den weiteren zwölf Monaten vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2005 werden die Vergütungen nochmals linear und tabellen- wirksam in der Güterschifffahrt um 1,9 Prozent und in der Fahrgastschifffahrt um 1,6 Prozent erhöht. Ausbildungsvergütung Für alle Berufsausbildungsverträge, die vom 1. Januar 2004 an abgeschlossen werden, wurde einer Reduzierung der Ausbildungsvergütung zugestimmt, mit der Maßgabe, dass der Ausbildungsbetrieb die eingesparten Beträge zur Finanzierung der Lehrgangsgebühren bis maximal 100 Prozent verwendet. Die Abzüge betragen: im ersten Ausbildungsjahr 90 Euro, im zweiten Ausbildungsjahr 100 Euro und im dritten Ausbildungsjahr 110 Euro. Laufende Berufsausbildungsverhältnisse bleiben von dieser Regelung unberührt. Rahmentarifvertrag Zwar konnte die Forderung der Arbeitgeber auf Rückkehr zur 40Stunden- Woche abgewehrt werden, jedoch musste die ver.di- Tarifkommission einer stufenweise Arbeitszeiterhöhung in der Güterschifffahrt zustimmen, um eine Erhöhung der Lohn- und Gehaltstarife zu erreichen. Der Anspruch auf zusätzliche freie Tage vermindert sich gemäß Paragraf 18 Ziffer 1 zum 1. Mai 2004 um 1,5 Tage auf 10,5 freie Tage, zum 1. Mai 2005 um 1,5 Tage auf neun freie Tage, gemäß Paragraf 21 Ziffer 9 a zum 1. Mai 2004 um 1,5 Tage auf 7,5 freie Tage, zum 1. Mai 2005 um 1,5 Tage auf sechs freie Tage. SCHIFFFAHRT | 4/2003 17 18_20_04schifff03 05.12.2003 18:03 Uhr Seite 18 ver.di re p o r t | POLITIK 100 000 gegen Sozialabbau Demonstration am 1. November 2003 in Berlin Mit 20 000 rechneten die Veranstalter. Mehr als 100 000 kamen und protestierten gegen den geplanten Sozialabbau. Und sie haben allen Grund dazu! M it einem beispiellosen sozialen Kahlschlag – verborgen hinter der neudeutschen Bezeichnung „Agenda 2010“ – will die rotgrüne Bundesregierung Arbeitnehmer/innen, Kranke, Arbeitslose und Rentner/innen zur Kasse bitten. Weil die angeblich zu hohen Lohnnebenkosten die Wirtschaft schier zu Grunde richten, so dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährdet sein soll, wird ein Umverteilungsprogramm in Gang gesetzt, das seit Gründung der Bundesrepublik ohne Beispiel ist. In der Krankenversicherung werden die Beiträge gesenkt. Dafür müssen die Arbeitnehmer/innen nun die Versicherungsprämien für Zahnbehandlung und das Krankengeld allein bezahlen. Für den Arztbesuch ist ein Eintrittsgeld fällig, die Selbstbeteiligung der Kranken für Medikamente, Krankenhausund Kuraufenthalt wird erhöht. Die Arbeitgeber, die Apotheker und die Pharmaindustrie, mit einer derzeitigen Umsatzrendite von zehn Prozent, bleiben verschont. Das Arbeitslosengeld wird bei längerer Arbeitslosigkeit auf Sozialhilfeniveau heruntergefahren, die Bezugsdauer gekürzt und Zumutbarkeitsgrenzen abgeschafft. Die arbeitslose Lehrerin in die Putzkolonne, der Sozialarbeiter als Handlanger auf den Bau. Zumutbar ist jede Arbeit, schließlich muss sie ja von irgendwem geleistet werden. Ein Ar- 18 4/2003 | SCHIFFFAHRT beitsplatz in Hamburg, wenn man in Bremerhaven wohnt, kein Problem. Schließlich haben wir eine gut ausgebaute Infrastruktur und eine Wegezeit von zwei bis drei Stunden, kann man für einen Arbeitsplatz doch wohl in Kauf nehmen. Wer da nicht mitmacht, dem wird die Unterstützung gestrichen. Mit Minijobs sollen sich die gebeutelten Arbeitslosen ein Zubrot verdienen dürfen. Rentenalter rauf, Altersbezüge runter heißt die Devise für die Rentner. Die demographische Entwicklung macht es unausweichlich, lautet die Begründung. Dazu werden Prognosen über einen Zeitraum von Jahrzehnten strapaziert. Wir kennen die Halbwertzeit solcher Prognosen und wissen, was wir davon zu halten haben: Nichts. Die klugen Professoren wollen uns einreden, dass sie die Verhältnisse im Jahre 2030 vorhersagen könnten. Wahre Hellseher! Die durch Umlage finanzierte Rente sei nicht mehr bezahlbar, weil immer weniger Junge für immer mehr Alte arbeiten müssten, erfahren wir. Eigenvorsorge für das Alter sei deshalb das Gebot der Stunde. Wie soll das funktionieren? Sollen wir nun Mehl, Brot, Wurst, Käse und Butter fürs Alter einlagern, damit die Jungen nicht für uns arbeiten müssen? Sollen wir jetzt die Hemden und Hosen, die Töpfe und Pfannen, die Autos und Kühlschränke für das Alter in den Schuppen stellen. Nein, immer werden die Jungen die Güter erzeugen müssen, von denen auch die Alten leben. Da spielt es keine Rolle, ob die Alten das Geld für die Beschaffung dieser Gü- ter von der Rentenversicherung, einer Lebensversicherung oder von einem Aktienfond erhalten. Wie sicher ist denn die private Altersvorsorge? Gerade mussten die Versicherungen durch ein Milliardensteuergeschenk gestützt werden. Sie hatten sich bei den Aktienkäufen zu Boomzeiten verspekuliert und Milliarden in den Sand gesetzt. Bevor in der Bevölkerung Zweifel an der Sicherheit der privaten Vorsorge aufkommen konnte, musste den Spekulanten mit einer steuerlichen Nachtund Nebelaktion Beistand geleistet werden. So sicher wie die privaten Geldanlagen, ist das umlagefinanzierte Rentensystem allemal. Flexibel müsse der Arbeitsmarkt und das Arbeitsrecht werden. Kündigungsschutz, Arbeitsrecht und Tarifverträge stehen zur Disposition. Wir müssen im globalem Wettbewerb leistungsfähiger werden, um uns zu behaupten, wird uns erzählt. Deutschland ist wohl gerade deshalb Exportweltmeister geworden, weil es international nicht wettbewerbsfähig ist? Wie soll es denn weitergehen im globalen Wettbewerb? Immer niedrigere Löhne, immer längere Arbeitszeiten, immer kleinere Renten? Und weil die Menschen das nicht mehr kaufen können was sie produzieren, bauen wir gleich Bomben und Granaten, die wir dann in den Schurkenstaaten entsorgen können. Was bleibt denn für die Menschen in den Entwicklungsländern, wenn in den hoch entwickelten Industriestaaten das Sozialsystem kaputtgemacht und Löhne und Arbeitsbedingungen heruntergefahren werden, um international wettbewerbsfähiger zu werden? Sie können ihre Bedingungen nicht verschlechtern, um wettbewerbsfähiger zu werden; sie sind schon am Verhungern. Nein, das ist keine Perspektive, die uns da angeboten wird! Ein echter Niedriglohnsektor müsse her, wird uns gesagt. Die Unternehmer hätten dann wieder Lust zum investieren, und Arbeitsplätze würden zuhauf entstehen. Welche Niedriglöhne meinen sie? Sind die vier Euro, für die manche Wachleute 260 Stunden im Monat ihre Runde gehen, zu viel? Sind die sie- 18_20_04schifff03 05.12.2003 18:03 Uhr Seite 19 ver.di re p o r t | POLITIK Zeichnung: Freimut Wössnera ben- bis achthundert Euro die eine Friseurin in Dresden als Vollzeitkraft brutto verdient zu hoch? Auf welches Niveau sollen die Löhne denn noch gesenkt werden? Die Arbeitszeiten müssten ohne Lohnausgleich verlängert werden, fordert die Vorsitzende der CDU, Angela Merkel, bei über vier Millionen Arbeitslosen in Deutschland. Andere fordern schon die Einführung der 48-StundenWoche. Sollen denn noch weniger Arbeitnehmer noch mehr arbeiten? Der ehemalige Arbeitsminister Walter Riester schlägt eine Stunde Mehrarbeit pro Woche für die Altersvorsorge vor. Eine Stunde Mehrarbeit in der Woche pro Arbeitnehmer/in bringt bei circa 35 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zusätzlich 140 Millionen Arbeitsstunden pro Monat. Rein rechnerisch ein Arbeitsvolumen für mehr als 800 000 Arbeitnehmer/innen deren Arbeitplätze zur Disposition ständen. Warum soll diese Arbeit – wenn sie denn vorhanden sein sollte – nicht von den derzeitigen Arbeitslosen geleistet werden? Noch vor nicht zu langer Zeit hat Kollege Riester die IGMetall-Streiks für die 35 Stunden Woche organisiert. Verkürzung der Arbeitszeit zur Sicherung der Arbeitsplätze war die Begründung. Für Sachsens ehemaligen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) sind US-amerikanische Verhältnisse ein Vorbild. Dort „verdienen 20 Prozent der Beschäftigten mit ihrem Hauptjob ein Einkommen unterhalb unseres Sozialhilfeniveaus. Sie müssen deshalb oft mehr als einen Arbeitsplatz haben oder von ihrem Familienverbund mitgetragen werden“, erklärte er in einem Interview (Der Spiegel 41/2003). Auf die Frage, ob dies seine Zukunftsvision für Deutschland sei, stellte er unmissverständlich klar, dies sei keine Vision, sondern zukünftige Notwendigkeit. Wohin die Reise geht, wissen wir also. Wenn wir mit dem Ziel nicht einverstanden sind und diese Reise nicht mitmachen wollen, müssen wir uns wehren. Die Zumutungen, die uns als Perspektive verkauft werden, müssen wir verhindern. Dafür müssen wir auch öffentlichen Druck machen und auf die Straße gehen. Der 1. November in Berlin kann nur der Anfang sein. Wir müssen weitermachen! Wilhelm Zechner SCHIFFFAHRT | 4/2003 19 18_20_04schifff03 05.12.2003 18:03 Uhr Seite 20 Absender ver.di re p o r t | ver.di · Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft e.V. GLOSSE Empfänger: Terminvorschau 2004 Zeichung: Muirhead ■ Die ver.di-Fachgruppe „Schifffahrt“ in Bremerhaven trifft sich jeden zweiten Donnerstag im Monat um 18 Uhr in der Gaststätte „Markt-Treff, Neumarkstr. 12, in Bremerhaven. Fiete Festmacher Kontrolle N eulich lief für Fiete alles schief. Seine Frau brauchte das Auto genau zu der Zeit, als er am Ende der Welt einen Liberia-Dampfer los schmeißen sollte. Weil das auch nur noch ein Mann macht, konnte er auch nicht seinen Freund Otje fragen, ob er ihn mitnimmt. Also früher raus und mit dem 24er-Bus zum Terminal. Kaum sitzt Fiete, steht so’n Kerl vor ihm und sagt : „ Fahrscheinkontrolle“ , dabei zeigt er seinen Ausweis und Fiete zeigt seine Fahrkarte. Alles gut gegangen. Am Terminal angekommen, will Fiete mit einem kurzen Wink zum Pförtner schnell noch den TerminalBus erreichen. Aber Pustekuchen. Er ist schon am Pförtner vorbei, dabei brüllt es: „Zurück, ausweisen.“ Fiete sagt: „Spinnst Du? Du kennst mich doch.“ Der Pförtner, der ihn wirklich 20 4/2003 | SCHIFFFAHRT ■ Betriebsräte-Seminar vom 23. bis 27. Februar 2004 in Undeloh ■ Binnenschifffahrts-Seminar in Waldsrode vom 15. bis 19. März 2004. kennt, lässt jedoch nicht locker: „Ausweisen, das wollen die Amis so, und wenn die das wollen dann wird auch kontrolliert.“ Fiete zückt sein Dienstausweis. Der Pförtner guckt nicht hin, lässt ihn aber passieren. Der Terminal-Bus ist weg. Als Fiete endlich am Schiff ankommt, muss er erst mal an Bord und sich seinen Arbeitsauftrag unterschreiben lassen. Auf dem Weg zur Kapitänskammer hört er russische Stimmen, deutsche und englische Laute und Tagalog. Das kennt Fiete auch, weil er während seiner Seefahrtzeit mal mit Filipinos zusammen gefahren ist. Er denkt nur noch, wie die wohl miteinander zurechtkommen. Der Alte ist auf der Brükke, der Lotse ist auch schon da. Offensichtlich wartet man noch darauf, dass die Wasserschutzpolizei fertig wird, die gerade die Mannschaftsliste kontrolliert. Während der Alte seinen Arbeitsauftrag unterschreibt, spricht er mit dem Lotsen und Fiete hört noch, wie der Alte sagt:“ Haben Sie etwas dagegen, wenn ich nachher auf dem Revier mich etwas zu- rückziehe ? Ich hab 36 Stunden in den Knochen und draußen will ich wieder oben sein.“ Der Lotse kennt das wohl schon und nickt nur. Fiete geht nun wieder an die Pier und wartet. Dann quakt sein Funksprechgerät. Sein Chef fragt nach, ob alles klar ist oder ob er noch Hilfe braucht. Nein, braucht er nicht. Aber Fiete ist sauer. Er fühlt sich kontrolliert und das schon zum wiederholten Mal heute. Er grübelt. Irgendwie hat er das Gefühl, dass die Kontrollen wohl notwendig sind, aber die Verhältnismäßigkeit nicht stimmt. In seiner Fahrtzeit hat er jedenfalls nie erlebt, dass jemand an Bord gekommen ist und sich wirklich vorführen lassen hat, ob die multi–kultiTruppe sich in einer Sprache verständigen konnte. Auch dass konkret geprüft wurde, wie lange der Alte eigentlich schon auf den Beinen ist, hat Fiete in seiner Fahrzeit nicht erlebt. Ob das wohl jemand jetzt während der Liegezeit gemacht hat und er das nur nicht mitgekriegt hat ? Na egal, denkt Fiete, ich muss ja nicht mehr mitfahren.