Schifffahrt 2014-3 - Fachbereich Verkehr

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Schifffahrt 2014-3 - Fachbereich Verkehr
Fachbereich Verkehr
03
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SCHIFFFAHRT
d e r v e r.d i - R e p o r t
01
4
Den Verlust von
Arbeitsplätzen
für deutsche
Seeleute STOPPEN!
Schifffahrtspolitische Forderungen der Gewerkschaft
ver.di zielen auf wirksame Sofortmaßnahmen
zur Stärkung der Beschäftigung deutscher Seeleute
Es kommt nicht alle Tage vor, dass
sich ein Gewerkschaftsvorsitzender
und das für das Ressort zuständige
ver.di-Bundesvorstandsmitglied an
den Bundesverkehrsminister, den
Maritimen Koordinator der Bundesregierung, an die Ministerpräsidenten der Bundesländer mit Küstenanbindung und die Bürgermeister der
Hansestädte Hamburg und Bremen
wenden. Doch jetzt ist es der Fall.
Die Dramatik der Lage gebietet es.
Es geht um nicht mehr oder weniger als die Zukunft für deutsche
Seeleute unter deutscher Flagge.
„Spätestens seit 2008 befindet sich die
Seeschifffahrt unter deutscher Flagge in
einer dauerhaften Krisensituation“, heißt
es in dem Brief an die Politiker. „Die Versu­
che, durch eine Änderung des Flaggen­
rechtsgesetzes und die Einrichtung der
Stiftung ‚Schifffahrtsstandort Deutschland‘
im Jahre 2012 diesen Trend zu stoppen
bzw. umzukehren, sind misslungen“,
schätzt ver.di ein.
„Die Folgen dieser Ausflaggung bekom­
men vor allem die deutschen Seeleute zu
spüren, die ihre Arbeitsplätze verlieren,
aber auch die Absolventen der Seefahrt­
ausbildungsstätten der Küstenländer, die
nach Abschluss ihres Studiums keine An­
stellung als nautische oder technische
Wach­offiziere finden, um mit der internati­
onal vorgeschriebenen Erfahrungsseefahrt­
zeit ihre Ausbildung abzuschließen.
Das aktuellste Beispiel ist die Reederei
NSB in Buxtehude, die auf Druck von Emis­
sionshäusern auf einen Schlag zum Jahres­
ende 38 Schiffe ausflaggen wird, sofern
keine Maßnahmen zur Kostenverbesserung
umgesetzt werden“ (siehe Seite 3). Den
Briefschreibern geht es darum, das Augen­
merk der politisch Verantwortlichen „auf
den Erhalt von Arbeitsplätzen für unsere
verbliebenen deutschen bzw. inländischen
Kolleginnen und Kollegen zu legen. Bereits
heute wird die Schifffahrt stark subventio­
niert. Nach unserer Auffassung müssen die
bestehenden Subventionen in nachhaltige
Beschäftigung zugunsten der deutschen
Seeleute umgesteuert werden.
1. Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts
von 40 Prozent auf 100 Prozent, wie
das von der entsprechenden EU-Richtlinie (State Aid Guidelines) für den Abschluss bzw. den Erhalt unbefristeter
Arbeitsverträge auf Schiffen deutscher
Flagge zugelassen ist.
2. Umsetzung der möglichen 100prozentigen Beitragsfreistellung für alle
Lohnnebenkosten, so wie es die EU in
den „State Aid Guidelines“ für zulässig erklärt. Voraussetzung dafür müssen unbefristete Arbeitsplätze sein.
3. Bindung der Tonnagesteuer an die
deutsche Flagge, mindestens aber an
die Beschäftigung von inländischen
Seeleuten und die Anwendung der
deutschen Schiffsbesetzungsverordnung.
4. Die für Ende 2016 vorgesehene Überprüfung der Wirksamkeit des 2012
­geänderten Flaggenrechtsgesetzes ist
vorzuziehen auf das erste Quartal
2015, spätestens aber zum 30. Juni
2015. Ab sofort darf es keine Verlängerungen für eine Ausflaggung unter
Bareboat-Charter nach Ablauf von
zwei Jahren mehr geben.
5. Beibehaltung der Ausbildung zum
Schiffsmechaniker. Die Position
des Schiffsmechanikers muss in der
Schiffsbesetzungsverordnung veran-
Das Ausflaggen und damit verbunden der
Rückgang der Zahl deutscher Seeleute wirkt
sich direkt auf die unterschiedlichen Zweige
der Sozialversicherung aus, so brechen in
der Berufsgenossenschaft Verkehr große
Beitragssummen weg“ (siehe Seite 5).
„Wegen des rasant verlaufenden Verlus­
tes von Arbeitsplätzen auf See und an Land
fordert ver.di umgehend folgende Maßnah­
men von der Politik (siehe Kasten).
Die genannten Forderungen seien „wirk­
same Sofortmaßnahmen, die kurzfristig zum
Erhalt der Beschäftigung deutscher Seeleute
und des maritimen Clusters umgesetzt wer­
den müssen“, heißt es in dem Schreiben.
kert bleiben. Die auf EU-Bürger ab­
gestellten Besetzungsvorschriften
sind zu ersetzen durch den Anspruch,
„Seeleute mit Wohn- und Lebensmittelpunkt in Deutschland“ zu beschäftigen.
6. Einwirken auf die Stiftung „Schifffahrtsstandort Deutschland“: zur
­Erhöhung der Ablösebeträge für das
Ausflaggen auf mindestens das
­Doppelte der bisherigen Beträge. Vorrangige Beschäftigung und Förderung
von Absolventen der Seefahrtausbildungsstätten.
7. Die zeitlich befristete Befreiung für Erlöspools der Reeder von der Versicherungssteuer muss dauerhaft fortgeführt werden. Die sonst ab 2016 fällig
werdenden Millionenbeträge sind im
Interesse der Standort- und Beschäftigungssicherung zu vermeiden.
8. Umweltanforderungen und energiesparende Techniken fordern Umbauten
und Investitionen. Hierfür sollten zinslose KfW-Darlehen gewährt werden.
Sofern entsprechende Darlehen
­genutzt werden, dürfen diese nur
­gewährt werden, wenn eine Mindestbindungsdauer an die deutsche Flagge
bzw. die Beschäftigung von inländischen Seeleuten für zehn Jahre garantiert wird.
Die ver.di-Forderungen haben das Ziel,
„die Attraktivität der deutschen Flagge
zu stärken. Mit der Umsetzung dieser For­
derungen würden Schiffe unter deutscher
Flagge wieder konkurenzfähiger mit an­
deren europäischen Schifffahrtsnationen
werden, in denen eine vergleichbare oder
eine weitergehende Förderung stattfin­
det“.
Die Dramatik der Situation für die See­
leute und den seemännischen Nachwuchs
gebiete es, auf Maßnahmen für eine kurz­
fristige Abhilfe im Interesse der Branche
hinzuarbeiten. ver.di macht dazu ein um­
fassendes Gesprächsangebot.
INTERVIEW
Boombranche mit Webfehlern
Fast zwei Jahre war er in Sachen
Flusskreuzfahrt für ITF und ETF an
Rhein, Donau und anderen Flüssen
mit einem Camper unterwegs und
ging möglichst oft an Bord:
Schwarze und weiße Schafe fand
Werner Kiepe vor. Bei Gesprächen
mit Crew-Mitgliedern ging es vor
allem um Bezahlung, Überstunden
und soziale Absicherung. Seite 2
AKTUELLES
Austauschkündigung für alle
FOTO: NSB
Bei der Niederelbe Schiffahrtsge­
sellschaft in Buxtehude (NSB) ste­
hen die Zeichen auf Sturm: Alle
470 deutschen und EU-Seeleute,
die die Bereederungsgesellschaft
noch beschäftigt, sind den tonan­
gebenden Fondsauflegern zu teuer,
Sie sollen gegen preiswertere
„ausgetauscht“ werden. Der See­
betriebsrat versucht, das auch fünf
nach Zwölf noch zu verhindern.
Seite 3
BALTIC WEEK
Austausch und Solidarität
Die „Baltic Week of Action 2014“,
die diesjährige Aktionswoche ge­
gen Billigflaggen und für gute
­Arbeitsbedingungen der Seeleute
in der Ostsee, war ein Erfolg. In
deutschen Ostseehäfen kontrol­
lierten Seeleute, Hafenarbeiter und
ITF-Inspektoren mehr als 50 Schif­
fe. Austauschpartner waren dies­
mal estnische Gewerkschafter. Ein
ITF-Trupp berichtet aus Tallin.
Seite 6
PANORAMA
MS Deutschland wieder flott?
Das ZDF-Traumschiff, die MS
Deutschland, befand sich seit län­
gerem finanziell in schwerer See.
Nun mussten die Betreiber des Tra­
ditionsschiffs Insolvenz anmelden.
Wir berichten von Versuchen, In­
vestoren zu finden und das letzte
unter deutscher Flagge fahrende
Kreuzfahrtschiff wieder flott zu be­
kommen. Seite 8
Diskussion mit einem klaren Ziel
38 Schiffe stehen bei NSB zur Ausflaggung
an. Was passiert da? – Die Besitzer der
Schiffe aus München geben dem Bereederer
NSB auf, dass die Kosten für die deutschen
See­leute eingespart werden sollen. Die dra­
matische Folge: Entlassungen, die unsere
Kollegen im Seebetriebsrat von NSB zu Ver­
handlungen über einen Sozialplan zwingen.
Das Beispiel macht deutlich, wo die
Schifffahrt aktuell steht: Nach dem Boom
durch die Förderung von Schifffahrtsfonds
der Banken in den Jahren bis 2008 wurden
enorme Geldmengen in die Schifffahrt ge­
lenkt. Sie machen einen großen Teil der
deutschen Wachstumsgeschichte in der
Seeschifffahrt aus. Bei dieser Förderung
ging es nicht um Beschäftigung und nicht
um Seeleute, nicht um Arbeitsplätze und
nicht um Ausbildung. Sondern um Geldan­
lagen und Renditen der Banken.
ver.di verlangt mit seinen schifffahrtspoli­
tischen Forderungen eine Um­kehr: Wir wol­
len, dass künftig die Beschäftigung deut­
scher und inländischer Seeleute in den
Mittelpunkt der Förderung gerückt wird
und natürlich der Erhalt der Ausbildung des
seemännischen Nachwuchses.
Unser Vorschlag wird in der maritimen
Fachöffentlichkeit für Stirnrunzeln und Zu­
stimmung, vor allem aber für Diskussionen
sorgen – das wollen wir. Wir wollen darü­
ber reden, wie unsere Kolleginnen und Kol­
legen dauerhafte Arbeitsplätze auf Schiffen
erhalten, wir wollen, dass die Ausbildung
unserer jungen Kollegen nicht ins Leere
geht, sondern zu zukunftsfähiger Arbeit in
einem gesicherten Umfeld führt!
Die Politik betont, welche Bedeutung
das maritime Cluster für unser Land hat.
Wenn es also auch um nachhaltige Ver­
sorgungssicherheit geht und um die deut­
sche Exportwirtschaft, so müssen weitere
Schritte zur Unterstützung der Ausbildung
und Beschäftigung deutscher oder inländi­
scher Seeleute gegangen werden.
Allerdings muss das verbunden sein mit
einer Zusage der Reeder für verbindliche
Beschäftigung deutscher oder inländischer
Seeleute. Und wir wollen keine Ausreden
hören, wie wir es bei der zugesicherten
­Anzahl der Schiffe unter deutscher Flagge
erlebt haben. Wir wollen eine verbindliche
Zusage für Beschäftigung – nur dann ist
mit uns über weitere Subventionen zu re­
den!
Das ist der Maßstab, den wir als die
Seeleute-Gewerkschaft anlegen.
Christine Behle
Mitglied des ver.di-Bundesvorstandes
CHRISTINE BEHLE, MITGLIED DES VER.DIBUNDESVORSTANDES | FOTO: DIE HOFFOTOGRAFEN
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MEINUNG
FACHBEREICH VERKEHR 03 | 2014
EDITORIAL
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Einen großen, wenig beachteten Erfolg
konnte ver.di am 5. September in Bremer­
haven im Rahmen der Baltic Week verbu­
chen – unser ITF-Koordinator Ruud Touwen
konnte Lohnforderungen in Höhe von rund
850.000 US-Dollar für die Crewmitglieder
eines Kreuzfahrtschiffes sichern.
Ein großartiges Ergebnis beharrlicher
Arbeit, das für die Lebensbedingungen der
Seefahrer und ihrer Familien eine wichtige
Absicherung ist! Unser internationaler Zu­
sammenhalt in der ITF hat dieses tolle Er­
gebnis ermöglicht, die Zusammenarbeit
der Hafenarbeiter und der Seeleute war
erfolgreich.
Ich glaube, wir können kaum ermessen,
welche Bedeutung die Einkommenssiche­
rung für die Seeleute fern der Heimat hat.
Und es ist gut, dass unser internationales
Zusammenstehen in der ITF es unseren Kol­
legen aus fernen Ländern möglich macht,
besser leben zu können.
Für mich war die Baltic Week die Fort­
setzung des ­positiven Erlebnisses auf dem
ITF-Kongress in Sofia. Schon dort habe ich
gedacht, dass der Zusammenhalt und das
Ringen um g­ emeinsame Lösungen immer
praktisch orientiert war. Mir hat gut gefal­
len, dass die Diskussionen dort immer die
Menschen vor Augen gehabt haben.
Und an der Ostsee habe ich es dann
wieder praktisch erlebt: In Bremerhaven
wurde ein Schiff der Reederei Rickmers
festgelegt – das Unternehmen wollte kei­
nen Tarifvertrag für die „John Rickmers“
unterschreiben. Die Verfahren des Arbeit­
gebers gegen ver.di liefen ins Leere, der
Reeder hat in der Folge Tarifverträge und
damit geregelte Zahlungsbedingungen für
die Seeleute auf weiteren Schiffen unter­
Maritimes Knowhow erhalten!
zeichnet. Ohne die vielen Hundert ver.diMitglieder im Hafen hätte dies nicht funk­
tionieren können.
Innerhalb der Bundesfachgruppe lag der
Schwerpunkt in der Entwicklung umfassen­
der schifffahrtspolitischer Forderungen, um
gegenüber der Politik sprechfähig zu blei­
ben. Derzeit bereiten wir uns auf die Nati­
onale Maritime Konferenz vor, die im
Herbst 2015 stattfinden wird.
Die Situation für unsere Kolleginnen und
Kollegen ist in verschiedenen Artikeln in
der „Schifffahrt“ beschrieben. Unsere For­
derungen an die Politik haben das Ziel, Aus­
bildung und Beschäftigung zu sichern. Uns
geht es nicht um höhere Renditen der
Fondsgesellschaften, uns geht es um das
Leben an der Küste, in den Hafenstädten
und um das Maritime Know-how in Deutsch­
land, das nicht verloren gehen darf.
Ich habe viele Antrittsbesuche gemacht,
sie sind noch lange nicht beendet. Aber
auch hier gab es Anregungen und Hinwei­
se, die für unsere Arbeit in der einen oder
anderen Weise nützlich sind. Ihr seht also:
Meine ersten 100 Tage sind fast um,
sie waren ereignisreich und spannend. Ich
habe viel über die Seefahrt und ihre Bedin­
gungen gelernt; allen, die ein offenes Ohr
für meine vielen Fragen hatten und mir
geholfen haben, möchte ich nochmals
­
ganz herzlich danken. Das war Solidarität
KLAUS SCHROETER | FOTO: PRIVAT
im besten Sinne: Gemeinsam Unterhaken
und Zusammenstehen, um die Zukunft zu
gestalten.
In diesem Sinne wünsche ich frohe
Weihnachten und alles Gute für Euch und
Eure Familien.
Klaus Schroeter
INTERVIEW
Boombranche mit Webfehlern
Schwarze Schafe, weiße Schafe: ITF-Inspektor für Flusskreuzfahrten erzählt
Zwei Jahre lang folgte er den Flüssen:
Werner Kiepe war vom 1. November
2012 bis zum 31.Oktober 2014 als
ITF-Inspektor zuständig für die Le­
bens- und Arbeitsbedingungen der
Beschäftigten auf europäischen Fluss­
kreuzfahrtschiffen. Zurück in Düssel­
dorf berichtet er von den Zielen, Er­
gebnissen und Zukunftsaussichten der
Rivercruise Campaign.
Die Rivercruise Campaign war eine Ge­
meinschaftsaktion von ETF und ITF?
Werner Kiepe | Ja, die Projektkoordina­
toren, die solche Projekte genehmigen
müssen, arbeiten bei der ITF. Und da es um
die Flusskreuzfahrten in Europa ging, war
die ETF mit im Boot.
Gab es einen konkreten Anlass für
das Projekt?
Werner Kiepe | Flusskreuzfahrten haben
in den letzten Jahren ­einen enormen Boom
erlebt – mittlerweile fahren auf den euro­
päischen Flüssen ca. 330 Kreuzfahrtschiffe.
Das war der Grund, weshalb sich ETF und
ITF gesagt haben, dass sie die Entwicklung
der Branche ­
begleiten müssen. Entspre­
chend wurde das Projekt für die Fluss­
kreuzfahrtschiffe aufgelegt – zunächst für
zwei Jahre.
Wie kamst Du selbst zur Rivercruise
Campaign?
Werner Kiepe | Wenn so etwas im Busch
ist, guckt man sich um, wer dafür Interesse
haben könnte und wer die nötige Erfah­
rung mitbringt. Und weil ich seit über
15 Jahren für die Binnenschifffahrt zustän­
dig bin und auch die Flusskreuzfahrts­
branche kannte – wir hatten da in der Ver­
gangenheit schon die eine oder andere
Aktion gestartet – fiel der Blick auf mich.
Auf welchen Flüssen tummeln sich
die Kreuzfahrtschiffe?
Werner Kiepe | Die wichtigsten Flüsse
sind eindeutig der Rhein und die Donau.
Das höchste Passagieraufkommen ver­
zeichnet die Strecke von Amsterdam bis
zum Schwarzen Meer, sie ist verbunden
durch den Rhein-Main-Donau-Kanal. Teil­
weise wird auch die Elbe bereist, allerdings
ist dort vielfach der Wasserstand zu nied­
rig. Außerdem befahren die Schiffe in
Deutschland auch die Mosel und den
­Neckar, in Frankreich ist vor allem auf der
Rhone viel los.
Wie liefen Deine Schiffsbesuche ab?
Werner Kiepe | Aufgrund von Schiffs­
meldelisten, die man zum Teil auch im In­
ternet findet, wusste ich, wann und wo
welches Schiff festmacht. Nach einem ge­
nauen Plan konnte ich also an den euro­
päischen Anlegestellen präsent sein. Vorab
wurden die ­Unternehmen und die Beschäf­
tigten über mein Kommen informiert.
Auf den Flüssen gibt es schwarze und
weiße Schafe, sie sind allerdings oft nicht
ohne Weiteres zu erkennen – manch ein
schwarzes Schaf tummelt sich im Halbdun­
kel und muss erst gefunden werden. Aus
meiner Erfahrung wusste ich aber meist,
ob mein Besuch willkommen war und wo
man mich lieber nicht an Bord gesehen
hätte. So durfte ich beispielsweise die
Schiffe von Ama Waterways, Scylla und Sea
Chefs nur nach vorheriger Anmeldung
und in Begleitung eines Vertreters der Ge­
schäftsführung betreten. Das wirkt faktisch
wie ein Zugangsverbot, weil dann kein
­Besatzungsmitglied offen mit mir spricht.
In solchen Fällen hast Du Dich dann
mit dem Camper in Sichtweite pos­
tiert und darauf gewartet, dass die
Crew-Mitglieder zu Dir kommen?
Werner Kiepe | Ja, mit dem Camper, der
seit März 2014 im Einsatz war, wurde ­vieles
leichter. Wir hatten uns zuvor gefragt, wie
wir unsere Präsenz deutlicher machen kön­
nen. Der Camper sollte möglichst von den
Schiffen aus gut zu sehen sein. Auf dem
Wohnmobil prangten deutlich die Embleme
von ETF und ITF, der ­Leitspruch „Better Jobs
for all“ und die Webadresse „www.etfrivercruise.eu“. Das sollte zeigen: „Wir sind
hier, wir sind für euch da.“
Hatten die Crew-Mitglieder Angst,
mit Dir Kontakt aufzunehmen?
Werner Kiepe | Leider war das oft der
Fall. Im Hotel-Restaurant-Catering-Bereich
(HoReCa) hatte ich vorwiegend mit osteu­
ropäischen oder asiatischen Crew-Mit­
gliedern zu tun. Wenn ich denen Infomate­
rial überreicht und versucht hatte, in der
Crew-Messe mit ihnen zu sprechen, haben
sie mir höflich zugehört. Diskutiert haben
sie jedoch kaum mit mir – Offenheit ist
rar, wenn entweder der Kapitän oder der
Hotelmanager stets in der Nähe sind.
Wie war die sprachliche Verständi­
gung?
Werner Kiepe | Auf dem Rhein ist nach
europäischem Binnenschifffahrtsrecht die
Flusssprache Deutsch, Holländisch oder
Französisch. Im HoReCa-Bereich wird meist
Deutsch oder Englisch gesprochen. Auf
Englisch kann man sich insgesamt gut ver­
ständigen.
WERNER KIEPE | FOTO: PRIVAT
Wie viele Beratungen hast Du durch­
geführt?
Werner Kiepe | Mit wie vielen Menschen
insgesamt ich gesprochen habe, kann ich
nicht sagen, aber die sogenannten Calls for
Help, die telefonisch oder per E-Mail ein­
gehen, werden festgehalten. Im letzten Jahr
waren es 23 Calls, aufgrund derer ich tätig
geworden bin. Mal ging es dabei um das
individuelle Problem einer Person, mal um
die kollektiven Schwierigkeiten ­einer ganzen
Mannschaft. Hohe Wellen hat beispiels­
weise der Fall des Schiffes „Serenade 2“
geschlagen. Dort hat die holländische Crew­
ing Agentur die komplette Besatzung nicht
­bezahlt. Nachdem ich einen großen Teil der
Crew organisiert hatte, konnten wir den
Druck auf den Eigner so verstärken, das
letztlich die ausstehenden Heuern von über
43.000 Euro bezahlt wurden.
Mit welchen Problemen der Crew
warst Du hauptsächlich konfrontiert?
Werner Kiepe | Das war zum einen
die in der Flusskreuzfahrtbranche generell
nicht gerade üppige Bezahlung. Das Thema
Entlohnung ist jedoch recht ambivalent:
Wenn eine chinesische Küchenhilfe im
­Monat 350 Euro verdient, ist das unter
Umständen für sie „sehr viel“, wenn sie
damit nach China zurückkehrt. Für ein
westeuropäisches Crew-Mitglied ist das
hingegen fast nichts. Im Schnitt erhalten
das Kabinenpersonal und die Kellner mo­
natlich 600 bis 800 Euro. Damit kann man
vielleicht im ländlichen Rumänien über
die Runden kommen, aber schon in Buka­
rest funktioniert das nicht mehr.
Die Bezahlung ist also das Haupt­
problem?
Werner Kiepe | Nicht unbedingt. Die
­Leute kommen ja zum großen Teil aus ost­
europäischen Ländern, wo es für sie auf
dem Arbeitsmarkt gar keine Alternative
gibt. Immerhin kommen zur Grundbe­
Sind die Crews eigentlich vorwie­ zahlung ja in der Regel noch Trinkgelder
hinzu – je nachdem, was für Passagiere
gend männlich?
Werner Kiepe | Nein, das kann man so an Bord sind, können das nochmals 200
nicht sagen. Zwar sind die Männer in der bis 400 Euro zusätzlich sein.
Schwierig ist jedoch vor allem die sozia­
Mehrheit, aber vor allem im HoReCa-­
le Absicherung: Mit den geringen Löhnen
Bereich arbeiten auch recht viele Frauen.
lassen sich nur sehr bescheidene Renten-,
Arbeitslosen- und Krankenversicherungs­
ansprüche erwerben. Auch die Frage, wel­
ches Sozialrecht für die Crew-Mitglieder
jeweils gilt, ist wichtig – ob jemand nach
deutschem, niederländischem oder zyp­
rischem Recht abgesichert ist, macht große
Unterschiede aus.
Das größte Problem waren in letzter
Zeit die Überstunden. Besonders im HoRe­
Ca-Bereich sind überlange Arbeitszeiten
üblich. Oft steht im Arbeitsvertrag ein Achtbis-zehn-Stunden-Tag – schließlich soll ja
alles schön mit dem EU-Recht konform ge­
hen. Darüber hinaus werden jedoch viele
­Überstunden geleistet, ein 16-Stunden-Tag
ist im HoReCa-Bereich nicht selten. Viele
­arbeiten quasi eine zweite Schicht! Und
die wird oft nicht bezahlt. Das geht soweit,
dass teilweise die von den Arbeitnehmern
korrekt ausgefüllten Arbeitsstundenzettel
von den Restaurantleitern bzw. den Hotel­
managern geändert werden.
Im nautischen Bereich sieht es etwas
besser aus, aufgrund des europäischen
Binnenschifffahrtsrechts kommt es in der
Regel nicht zu Arbeitszeitüberschreitun­
gen, dort wird durchaus auch öfter von der
Wasserschutzpolizei kontrolliert.
Was lässt sich tun, um die Arbeits­
bedingungen zu verbessern?
Werner Kiepe | Eines unser Ziele war ja,
dass die Beschäftigten überhaupt merken:
Jemand interessiert sich für ihr Schicksal.
Viele der aus Osteuropa stammenden Ar­
beitnehmer kennen freie Gewerkschaften
gar nicht. Aber auch für viele West­europäer
ist es ein Novum, dass sich jemand um ihre
Belange kümmert. Es ging uns also erst
mal darum, in der Branche bekannt zu
­werden und den klassischen gewerkschaft­
lichen Ansatz einer „Hilfe zur Selbsthilfe“
in den Köpfen zu verankern.
Zum anderen geht es natürlich auch
um Lobbyarbeit bei den Arbeitgebern. Auch
die sollen merken, dass es eine Organisa­tion
gibt, die nah an den Beschäftigten ist und
sich zuständig fühlt. Die Arbeitgeber sollen
wissen, dass wir sie im Auge haben. Erklärte
Absicht war es, mit den Unter­nehmen Ver­
einbarungen zu treffen. Dies­bezüglich ha­
ben wir noch nicht sehr viel erreicht, aber es
war klar, dass es dafür ­einen langen Atem
braucht. Die ersten Schritte sind g­etan,
beispielsweise werden derzeit mit ­
­
Arosa
­Gespräche über Verein­barungen geführt.
Der dritte Punkt ist die politische Lob­
byarbeit. Sie richtet sich meist an die
­Zentralkommission Rhein in Straßburg, die
sich mit allen möglichen, die Binnenschiff­
fahrt betreffenden Fragen befasst. Dort
sitzen Vertreterinnen und Vertreter von Ar­
beitgebern und Arbeitnehmern sowie Dele­
gierte aus den zuständigen Ministerien
der Nationalstaaten. In diesem Gremium
können Probleme diskutiert und Verträge
geschlossen werden, die dann später in
EU-Richtlinien einfließen. So läuft dort bei­
spielsweise derzeit ein EU-Gesetzgebungs­
verfahren zur Arbeitszeit. Alles in allem
kann man sagen, dass sich durchaus etwas
bewegen lässt. Auch hier gilt: Steter Trop­
fen höhlt den Stein.
Wird das Projekt weitergeführt?
Werner Kiepe | Ja, es sieht danach aus.
Im Moment wird bei der ETF über das
„Wie“ diskutiert. Aber die einhellige
­Meinung lautet: Jetzt aufzuhören, wo es
­anfängt zu laufen, ist nicht sinnvoll. Jetzt
müssen erst einmal Projektmittel bei der
ITF beantragt und ein Nachfolger für mich
gefunden werden.
DIE FRAGEN STELLTE: UTE C. BAUER
IMPRESSUM
Der ver.di-Report
Schifffahrt
Nr. 3, Dezember 2014
Herausgeber:
Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)
Bundesvorstand:
V.i.S.d.P.: Frank Bsirske, Christine Behle
Koordination:
Klaus Schroeter
Redaktionelle Bearbeitung:
Ute Christina Bauer, Helma Nehrlich
(transit berlin.pro media)
www.pressebuero-transit.de
Redaktionsanschrift:
ver.di-Bundesverwaltung
Fachbereich Verkehr
Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin
Layout, Satzerstellung:
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Titelfoto Seite 1:
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www.alpha-print-medien.de
Der ver.di-Fachbereich Verkehr
ist auch im Internet zu finden:
www.verdi.de/verkehr
AKTUELLES
3
SCHIFFSFÜHRUNGS-SIMULATOR IN DER NSB ACADEMY FOTOS (4): REEDEREI NSB
FACHBEREICH VERKEHR 03 | 2014
Abgemustert
Austauschkündigungen für alle
Gehaltsverzicht und
­Rendite­erwartung
Die Zuspitzung sei nicht über Nacht
g­ekommen, sondern als „schleichender
Prozess“, erklären die Seebetriebsräte. Sie
haben sich beraten – mit Beschäftigten,
mit ver.di, mit dem Arbeitgeber. Gemein­
sames Ziel: „Möglichkeiten zur Weiterbe­
schäftigung von deutschen und europäi­
schen Seeleuten zu prüfen und einen
Rahmen zu schaffen, mit dem die Wett­
bewerbsfähigkeit des Unternehmens dau­
erhaft gesichert werden kann.“
Dabei war die Arbeitnehmerseite schon
in Vorleistung gegangen. Mit einem Be­
schäftigungssicherungstarifvertrag wurde
seit 2012 auf Gehalt verzichtet. „Wir woll­
ten Arbeitsplätze halten und das Unterneh­
men retten“, begründet Seebetriebsrats­
vorsitzender Andreas Näser. Es hat letztlich
nichts genützt. Zum 31. Oktober hat NSB
die Vereinbarung gekündigt. Es gelten wie­
der der HTV See und der alte Tarifvertrag.
Froh ist darüber niemand. Die Lage spitzt
sich eher noch zu. Klar, es gibt seit Länge­
rem ein Tonnage-Überangebot, Charter­
raten sind dadurch nicht auskömmlich,
keine Änderung in Sicht. Fakt ist auch, dass
immer größere Containerriesen die kleine­
ren Schiffe unwirtschaftlich machen und
vom Markt verdrängen. Hinzu kommt:
„Man erklärte uns ständig, wir sind zu
­teuer“, stöhnt der NSB-Seebetriebsratsvor­
sitzende. Die deutsche Flagge mit ihrer
Besetzungsvorschrift von fünf deutschen
­
oder europäischen Seeleuten ist im Ver­
gleich um 1250 US-Dollar pro Tag teurer.
Eine Bereederungsgesellschaft wie die
Buxtehuder rechnet vor allem mit den Per­
sonalkosten. Da rächt sich, dass Deutsch­
land die EU-Leitlinien, die die vollständige
Befreiung der Seeleute und Reeder von
den Steuern und Sozialabgaben gestattet,
nicht zu 100 Prozent umgesetzt hat. Ande­
re EU-Länder nutzen diese Möglichkeit der
Förderung ihrer Reeder und der Beschäftig­
ten schon seit Jahren in vollem Umfang,
das bringt ihnen erhebliche Kostenvorteile.
Nun sieht besonders der Fondsaufleger
CONTI aus München, der NSB-Mehrheits­
eigner, seine Renditeziele davonschwim­
men: Seht zu, dass ihr die Kosten senkt!,
verlieren die Finanziers die Geduld. Der
Verkauf von Schiffen oder zumindest das
Ausflaggen scheint so die einzige Alterna­
tive.
„Mit tiefer Sorge“ sieht Nina Lepper,
die ver.di-Sekretärin Schifffahrt in Bremen,
dass die Einschiffsgesellschaften nun den
„kompletten Ausstieg aus der deutschen
Flagge nicht nur planen, sondern dass die
Entscheidung bei NSB einen Dominoeffekt
bringt“.
„Alle 470 deutschen und EU-Seeleute
sollen nun so schnell wie möglich weg“,
bringt Andreas Näser das Dilemma
auf den Punkt. „Austauschkündigungen“
stünden an, denn die Arbeitsplätze auf den
Schiffen fallen ja nicht weg, sie sollen nur
von preiswerteren Seeleuten eingenom­
men werden. Eine reine Kosten-NutzenRechnung. Welches Tempo angeschlagen
wird, wissen die Betriebsräte noch nicht.
Sie wollen den Prozess natürlich hinaus­
zögern, versuchen immer noch, auch in der
Politik Verbündete zu finden. Denn sie
­sehen sich auch als „Versuchsballon“ für
andere Reedereien, wo es noch deutsche
Seeleute gibt. Sie alle müssten bei den
Lohnnebenkosten entlastet, die nach EURecht genehmigten Beihilfen vollständig
ausgenutzt werden. „Der Zug war eigent­
lich schon abgefahren, als 1997 die Tonna­
gesteuer nicht an die deutsche Flagge,
sondern ans Register gekoppelt wurde“,
wirft Näser der Politik vor. Und Untätigkeit
seit Jahren.
Ob man den Bedarf erst nach Nieder­
holen von Schwarz-Rot-Gold „auf dem
letzten deutsch geflaggten Seeschiff ermit­
teln“ wolle, fragen die NBS-Betriebsräte
den Bundesverkehrsminister sarkastisch.
Noch immer gäbe es Spielräume: Der bis­
her gewährte Lohnsteuerein­behalt von 40
Prozent zum Kostenausgleich für Schiffe
unter deutscher Flagge könnte beträchtlich
aufgestockt werden und den Reedereien
zusätzlich zugute kommen. Für Entlastung
bei den Lohnnebenkosten sollte umverteilt
werden, auch mithilfe der „Stiftung Schiff­
fahrtsstandort Deutschland“. Die NSB-­
Interessenvertreter nutzen alle Gesprächs­
möglichkeiten, haben auch sämtliche
FRITZ SCHARF | FOTO: PRIVAT
Im Sommer gab es noch Fünkchen der
Hoffnung. Reederei und die Seeleute­
gewerkschaft ver.di hatten sogar gemein­
sam an die Bundesregierung appelliert, für
den Erhalt der deutschen Flagge auch poli­
tische Spielräume auszunutzen. Doch es
geschah nichts. Ein von ver.di vorgeschla­
gener unabhängiger Wirtschaftsprüfer leg­
te im August seinen Bericht vor. Er forschte,
was getan werden könne, der Niederelbe
Schiffahrtsgesellschaft Buxtehude (NSB),
eine der größten deutschen Bereederungs­
gesellschaften, wirtschaftlichen Auftrieb zu
verschaffen. Doch er konnte am Ende nur
bestätigen, was das Unternehmen selbst
an Daten für seine „wirtschaftliche Not­
lage“ offenbarte: An sich gesund, aber
bei den aktuellen Charterraten nicht kon­
kurrenzfähig, so die Diagnose.
ANDREAS NÄSER | FOTO: PRIVAT
Dabei waren die Buxtehuder bislang ein
Fels in der Brandung, ein Rückgrat des ma­
ritimen Standorts und der deutschen Flag­
ge. 60 Container-, zwei Off-Shore-Schiffe
und sechs Produktentanker gehören zur
NSB-Flotte. 38 davon fahren noch unter
deutscher Flagge. Von den 2700 Mitarbei­
tern auf See kommen noch 470 aus
Deutschland und der EU; 200 Beschäftigte
gibt es an Land. Und 48 Azubis. Mit der
NSBacademy verfügt die Gesellschaft zu­
dem über eine eigene Weiterbildungsein­
richtung.
SIEGFFRIED LÜDKTE | FOTO: PRIVAT
Vier Seebetriebsräte (rechte Spalte)
haben einen Brief an Bundesverkehrs­
minister Dobrindt geschrieben. Im ei­
genen Namen, in dem ihrer Kollegin­
nen und Kollegen und deren Familien.
„Die Uhr zeigt schon nach zwölf und
wir hängen über dem Abgrund“, heißt
es darin. Sie hoffen auf positive Nach­
richten zu Weihnachten. Doch der Mi­
nister schweigt.
REINHOLD STECHER | FOTO: PRIVAT
Bei der Niederelbe Schiffahrtsgesellschaft (NSB)
sollen die deutsche Flagge eingeholt und alle deutschen
­Seeleute ersetzt werden
Landesregierungen mit Küstenzugang an­
geschrieben…
Ansonsten aber bleibt ihnen nichts, als
über Sozialplan und Interessenausgleich
zu verhandeln. Jetzt in der Einigungsstelle.
Die Verhandlungen gestalten sich sehr
schwierig. Es geht um die soziale Abfede­
rung von Betroffenen, um Kosten und Zeit­
räume. Noch mehr als ein gutes Ergebnis
wünschen sich die Betriebsräte allerdings,
dass die Politik ihre Untätigkeit beendet,
damit „deutsche Seeleute auf deutschen
Schiffen generell wieder eine Zukunft und
NEH
berufliche Chancen bekommen“. 4
I N T E R N AT I O N A L E S
FACHBEREICH VERKEHR 03 | 2014
Vorerst
erfolgreich
beendet
Local IBF
Negotiations for
Germany
Reach
Successful
Conclusion
Lokale IBF-Verhandlungen
für Deutschland abgeschlossen
Die Verhandlungen zur Umsetzung
des zentralen IBF-Verhandlungser­
gebnisses zwischen ver.di und IMEC
(International Maritime Employer
Council) für Schiffe deutscher Schiffs­
eigentümer (Banken, Reeder), die
entsprechend Mitglied bei IMEC sind,
fanden am 30. September und 1. Ok­
tober in London statt.
Der Rahmen für die Forderungen der
Gewerkschaft ver.di war durch den zentra­
len IBF-Verhandlungsprozess, der Anfang
Juni in Indonesien beendet worden war,
bereits gesetzt.
Zur Erinnerung (wir informierten in der
letzten Ausgabe): Neben einigen substan­
ziellen manteltarifvertraglichen Verände­
rungen konnte für die Jahre 2015 bis 2017
trotz anhaltender Schifffahrtskrise eine
Heuererhöhung von insgesamt 6,5 Prozent
erreicht werden.
Nach zähen Verhandlungen bei der ITF
in London stand das Ergebnis schließlich
fest. Die AB (able seamen) beispielsweise
werden in den nächsten Jahren insgesamt
monatlich 52 Dollar mehr Heuer bekom­
men. Der ver.di-Verhandlungsführer Torben
Seebold und Giles Heimann, sein Pendant
auf der Reederseite, beschrieben das Ver­
handlungsergebnis als für beide Seiten
„akzeptabel“. Seebold betonte in diesem
Zusammenhang insbesondere, dass das
Ergebnis auf der Seite der Seeleute von den
Ländern getragen wird, die die Seeleute
aus Ländern wie Philippinen, Ukraine,
Russland oder Indien repräsentieren.
Die Gewerkschaftsführer aus den ge­
nannten Ländern waren allesamt Mitglieder
der internationalen ver.di-Verhandlungs­
kommission. „Das ist gelebte internationale
Solidarität und ein starkes Zeichen an die
Reederseite, die diesen Zusammenhalt
während der Verhandlungen sozusagen rie­
The negotiations for implementing the results of central IBF negotiations between ver.di and the
International Maritime Employers’ Council (IMEC), for
ships belonging to German
owners (banks and shipping
companies) who are IMEC
members, took place in London on 30 September and
1 October.
FOTO: VH-7
chen konnte“, betont Seebold. Der Gewerk­
schafter, der nunmehr die Geschicke der
Bundesfachgruppe Häfen lenkt und die
maritime Arbeit für die ITF Deutschland
­
koordiniert, dankte seinem Nachfolger
­
Klaus Schroeter als Bundesfachgruppenlei­
ter Schifffahrt für sein besonderes Engage­
ment bei den Verhandlungen in London.
Für Schroeter bedeuteten die Tarif-Ausein­
andersetzungen quasi den gelungenen Ein­
stand auf internationalem ITF-Parkett.
Auf die Frage, ob die Arbeit damit
erst einmal erledigt sei, antwortete Torben
Seebold zurückhaltend, zugleich jedoch
­
selbst­bewusst: „Die Verhandlungen waren
nur der Startschuss für die Hafenarbeiter
und Seeleute in ihrer Entschlossenheit, den
Reedern auch in Zeiten von MLC die Stirn
zu bieten. Sie werden weiterhin gemeinsam
weltweit für angemessene Arbeitsbedingun­
gen, faire Löhne und sichere Arbeitsplätze
RED/TS
an Land und auf See kämpfen.“
Solidarität wird
GROSSGESCHRIEBEN
ITF-Kontrolle im Seehafen Wismar
FOTO: © HENRIK G. VOGEL/PIXELIO
Es geschieht an einem Sonntagmor­
gen im November im Seehafen Wis­
mar: Kurz vor 8.00 Uhr macht der
Frachter „Don 1“ am Liegeplatz 10
fest. Keiner der Beschäftigten im
­Wismarer Hafen ahnt zu diesem Zeit­
punkt, was an Bord los ist.
Am nächsten Tag, dem 10. November
2014, nutzt ein Seefahrer die Chance, sich
für einen Landgang von Bord zu schlei­
chen. Er meldet sich bei der Wasserschutz­
polizei und bittet dort um Hilfe, auch bei
der ITF kann er anrufen. Der Seemann
schildert die Situation an Bord der „Don 1”
folgendermaßen: Seit drei Monaten habe
der ukrainische 3. Offizier keine Heuer
­erhalten, sein Arbeitsvertrag sei abgelau­
fen. Dennoch weigere sich der Reeder,
den Offizier abzumustern und nach Hause
bringen zu lassen.
Nur eine Stunde später geht der ITF-­
Inspektor Amadou Hamani an Bord. Nach
­einem Blick in die Schiffs- und Besatzungs­
unterlagen und mehreren Einzelgesprä­
chen mit den Seefahrern, kann er sich ein
­klareres Bild der katastrophalen Zustände
­machen: Demnach fährt „Don 1” unter
maltesischer Flagge, Eignerin des Schiffes
ist eine russische Reederei. Der letzte ITF-­
Vertrag war schon zweieinhalb Jahre zuvor
ausgelaufen, im April 2012! Die Besatzung
besteht aus 13 russischen und ukraini­
schen Seeleuten. Bei zehn Besatzungsmit­
gliedern steht die Heuer für zwei oder so­
gar drei Monate aus, die Verträge von fünf
Seefahrern sind abgelaufen. Diese möch­
ten ihr Geld bekommen und so schnell wie
möglich nach Hause gebracht werden.
Neben anderen Aktionen, mit denen
man den Seefahrern helfen will, besteht
eine wirksame Maßnahme des ITF-Inspek­
tors darin, die Hafenarbeiter und den Be­
triebsrat einzubeziehen. Sofort und spontan
sprechen die Hafenarbeiter den Seeleuten
ihr Mitgefühl aus und erklären sich soli­
darisch – die Holzladung für den Libanon
verzögert sich daher um ein paar Stunden.
Als Folge der guten Zusammenarbeit
von Hafenbehörden, Hafenarbeitern, Was­
serschutzpolizei und der Berufsgenossen­
schaft Verkehr (PSC) wird das Schiff an die
Kette gelegt. Die Auflage an den Reeder:
Alle an Bord vorgefundenen Probleme
müssen beseitigt werden, um dem Inter­
nationalen Seearbeitsübereinkommen (MLC
2006) zu entsprechen. Nach sieben Tagen
ist es endlich soweit. Zähneknirschend
­erfüllt der Reeder die ITF-Forderungen, die
Seeleute bekommen, was ihnen zusteht.
Hoch lebe die internationale Solidarität!
RED/AH
FOTOS (3): ITF
The framework for the de­
mands of the trade union ver.
di was set in advance by the
central IBF negotiation pro­
cess, which was completed in
Indonesia in June.
Just to remind you (infor­
mation from the last issue):
Alongside some substantive
changes to non-wage agree­
ments, a wage rise totalling
6.5 % was agreed for the
years 2015 to 2017 despite
the ongoing crisis in the ship­
ping industry.
A result was reached after
some tough negotiating at
the ITF in London. An AB (able
seaman), for example, will
earn a t­ otal of 52 dollars more
in wages during the coming
years. ver.di’s negotiator Tor­
ben Seebold, and his opposite
number representing the ship­
owners, Giles Heimann, de­
scribed the negotiation result
as “acceptable” for both
sides. Torben Seebold stressed
in particular, “that on the part
of the seafarers the results
are supported by the coun­
tries representing seafarers
from countries such as the
Philippines, Ukraine, Russia
and India.” The trade union
leaders from these countries
were all members of ver.di’s
international negotiation com­
mission. He added, “That is
international solidarity in
practice and a strong signal to
the shipping companies, who
could sense this solidarity
during the negotiations.” Tor­
ben Seebold, who now heads
the German Federal Working
Group Ports and co-ordinates
the maritime work for ITF Ger­
many, thanked Klaus Schroet­
er, his successor as head of
the Federal Working Group
Shipping, for his commitment
during the negotiations in
London, which in a way kicked
off his ITF activities at inter­
national level.
When asked whether this
meant that his work was done
for the time being, Torben
Seebold replied – with both
modesty and self-confidence
– that “the negotiations mere­
ly fired the starter’s pistol for
the dockers and seafarers to
stand up to the shipping com­
panies, even in the MLC era,
and to fight together around
the world for appropriate
working conditions, fair wag­
es and safe workplaces both
RED
on land and at sea.
FACHBEREICH VERKEHR 03 | 2014
FOTO: ISTOCKPHOTO.COM
Wohin mit Fähigkeiten,
Erfahrung und Macher-Energie?
Schiffsmechaniker: 80 Bewerbungen und keine Aussicht auf eine Anstellung
Als Jugendlicher träumte er von
Abenteuern, davon, auf einem Schiff
über die Meere zu fahren und weit
herumzukommen, hatte Reiselust
und Fernweh. Was sollte da besser
sein, als ein Arbeitsplatz auf See? Er
arbeitete gezielt darauf hin, bekam
einen der begehrten Ausbildungs­
plätze an der Marineschule, wurde
Vollmatrose der DDR-Handelsflotte,
durfte sich als ­Belohnung nach sport­
licher Meisterschaft im SeesportMehrkampf sogar aussuchen, wohin
die Reise über­wiegend gehen sollte.
Asien-Amerika-Routen befuhr er
dann viele Jahre. Eine harte, aber
gute Zeit. Sie hatte ein abruptes Ende
noch vor der Wende.
Es folgten berufliche Umorientierung,
Selbständigkeit und mehr als ein Jahrzehnt
als Angestellter im Air Cargo-Sektor des
Luftverkehrs, mit viel Einsatz und Verant­
wortung, auch das ein „geiler Job“. Mit
der Luftverkehrssteuer wurde es für die
deutschen Cargo-Airlines doppelt schwer,
sich international zu behaupten. Bei zu­
nehmend geringeren Frachtraten wurde
auch hier „ausgeflaggt“. Weil er angestellt
und im Lande bleiben wollte, besann sich
unser Mann vor fünf Jahren als Ü-Vierziger
wieder auf seine maritimen Wurzeln und
absolvierte ergänzend eine Umschulung
zum Schiffsmechaniker – in relativ kurzer
Zeit und mit untadeligem Prüfungsergeb­
nis. „Ich hatte ein sehr gutes Praktikum
auf einer Frachtfähre nach Finnland, da
konnte man wirklich qualifiziert arbeiten.“
Auch danach lief zunächst alles einiger­
maßen nach Plan. Ende 2011 bekam er
­einen Arbeitsvertrag bei Scandlines, befris­
tet auf ein Jahr, sammelte weiter Erfahrung
auf Fähren, arbeitete in der Maschine, an
Deck und als Bootsmann. Bis die dänischdeutsche Gesellschaft die Fracht-Fährlinien
wenige Monate später verkaufte. Die lukra­
tiven Linien wurden von der schwedischen
Stena Line übernommen. Die Besatzungen
zumeist gleich mit. „So wurde ich plötzlich
Stena-Mitarbeiter“, er fuhr weiter zwischen
Saßnitz und Trelleborg. Einen neuen Ar­
beitsvertrag bekam er auch, ohne Über­
gangsrechte. Weihnachts- und Urlaubsgeld
wurden Monate später zurückgebucht.
Aber er blieb noch ein halbes Jahr lang
im Woche-Woche-Rhythmus im Fährdienst.
Schließlich bewarb er sich neu und er­
hielt 2013 bei HochTief die Chance, mit
einem neuen Jack-Up-Schiff einen Offshore-­
Windpark in der Nordsee mitzubauen. Was
sich anspruchsvoll und spannend anließ,
endete völlig überraschend: Der spanisch
dominierte Baukonzern beschloss, sich auf
sein Kerngeschäft zu konzentrieren und
Nebengeschäfte, wie die Windkraftsparte,
aufzugeben. Auch wegen der Reformen der
deutschen Energiewende, die I­nvestoren
verunsicherten. Ende Februar 2014 bekam
unser Mann seine Kündigung. Und eine
erstklassige Beurteilung. „Aber die nützt
gar nichts, damit kann man sich quasi den
Hintern wischen“.
Seit Monaten schreibt er Bewerbungen.
80 Reeder und Firmen hat er bereits ange­
schrieben, sich auch für Lotsen- und Bugsier­
dienste beworben. „Bei vielen bekommt
man gar keine Antwort, andere melden sich
nach Wochen, laden ein, versprechen erst
und vertrösten dann doch.“ Man hört von
langen Wartelisten. Auch etliche Vorstel­
lungsgespräche – oft mit sehr gutem Gefühl
– hat er hinter sich gebracht, aber immer
noch keinen Job. Er recherchiert, verfolgt
Stellenangebote im NDR, macht und tut.
„Es ist momentan im Netz einfach nichts zu
finden“, weiß er. Auf einen Land-Job will
er nicht wechseln, auch nicht unter seinen
Fähigkeiten bleiben. Schließlich hat er schon
auf Brücke, in der Maschine, bei Reparaturen
und im Wachdienst gearbeitet, beherrscht
sein Metier, ist einsatzbereit und voller Ener­
gie. Doch wohin damit? Mann bekommt
bei deutschen Reedereien keine Chance.
Er wird wohl jetzt auf eigene Kosten Kur­
se belegen, um sich die nötigen Zertifikate
für die Offshore-Branche zu sichern. Zutrau­
en würde er sich das, auch körperlich, keine
Frage. Aber Opido-zertifizierte BOSIET Off­
shore Trainings sind nicht „förderfähig“ vom
Arbeitsamt. Sie werden in Deutschland nicht
mal angeboten. Doch: „In dem Bereich wird
langfristig gedacht und gutes Geld ver­
dient.“ Plattformen sind keine besseren
Baugerüste mehr, haben einen eigenen An­
trieb, sind mit Hightech voll. Schiffe unter
deutscher Flagge waren mal „Weltmarkt­
führer“. Der Traum scheint ausgeträumt.
Heute bleiben einem gut ausgebildeten
Schiffsmechaniker „entweder eine Einstel­
lung weit unter Tarif oder ein Anheuern
als Hilfsseemann unter rechtsfreien Ver­
NEH
tragsbedingungen“. Schon bitter. SOZIALES
5
4 Prozent
mehr
gefordert
Heuer-Tarif­
verhandlungen
starten im Januar
Die ver.di-Bundestarifkommission
Seeschifffahrt hat im August ihre
Forderungen für die Tarifrunde
2014 beschlossen. Vorausgegan­
gen war eine Mitgliederdebatte
in den Betrieben. Die Arbeitneh­
merseite will vor allem eine Ab­
kopplung der Seefahrer von der
allgemeinen Lohnentwicklung ver­
hindern. Deshalb einigte sich die
Tarifkommission auf eine Forde­
rung von vier Prozent mehr Ein­
kommen und eine Laufzeit von
zwölf Monaten. Angesichts der
Krisensituation in der Seefahrt
wird erwartet, dass sich die Ver­
handlungen mit dem Verband der
Deutschen Reeder schwierig ge­
stalten werden und ein langer
Atem gefragt ist. Der Tarifvertrag
gilt für Unternehmen, die ihn di­
rekt anwenden, aber auch für sol­
che, die mit ITF-Tarifverträgen im
deutschen internationalen Schiffs­
register (ITF-GIS) erfasst sind. Auch
dort ist geregelt, dass für deutsche
Seeleute der Heuer-Tarifvertrag an­
zuwenden ist.
Die erste Verhandlungsrunde
startet am 26. Januar 2015.
Aktuelles von Berufsgenossenschaft Verkehr, Knappschaft-Bahn-See und Seemannskasse
Beitragsanpassung
Schifffahrtspolitik hat Auswirkungen auf
See-Sozialversicherung
Die derzeitige Entwicklung in der Seeschifffahrt
hat auch Einfluss auf Bereiche der Sozialversicherung, die direkt davon abhängig sind. Das wurde
in der Sitzung des Finanzausschusses See in der
BG Verkehr ganz deutlich. Bedingt durch sinkende
Entgeltsummen hatte die Verwaltung vorgeschla-
gen, den Beitrag von derzeit 3,9 auf sechs Prozent
anzuheben. Das war schon ein „starker Brocken“
und würde natürlich dazu führen, dass die Unternehmen noch mehr belastet würden. Genau das
aber können die Reedereiunternehmen in dieser
Zeit nicht gebrauchen. Denn so dreht sich der Teufelskreis weiter, und es wird noch mehr Personal
abgebaut. Mit jedem Schiff, das die deutsche Flagge verlässt, mit jedem Seemann, der seinen Job
verliert, werden in der Folge die Entgeltsummen
absinken und neuerlich steht die Beitragshöhe zur
Disposition. Nach langer, umfangreicher Diskus­
sion hat man sich dann verständigt, den Beitrag
für 2015 nur auf 4,9 Prozent anzuheben. Damit
will man der gesamtwirtschaftlichen Situation
Rechnung tragen. Gleichzeitig wurde auch sehr
klar gesagt, dass das nur eine Lösung auf Zeit sei.
Denn die Beiträge müssen grundsätzlich so bemessen sein, dass die bestehenden Leistungsverpflichtungen erfüllt werden und abgesichert bleiben.
In der Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung wird sich das nicht so aufzeigen. Spannend
wird dennoch, wie sich diesbezüglich der Haushalt
der Seemannskasse entwickelt. Die Finanzausstat-
tung liegt derzeit noch über den in der Satzung
vor­
gegebenen Höchstgrenzen, jedoch wird sich
die Gesamtsituation der Seeschifffahrt mit Bestimmtheit auch in diesen Posten niederschlagen.
Der Beirat für Angelegenheiten der Seemannskasse hat das bereits zum Thema der letzten Sitzungen gemacht und sich mit der Verwaltung darüber
beraten. Ziel ist es, mit Augenmerk die weitere
Entwicklung zu beobachten, um gegebenenfalls
steuernd einzugreifen. Der Beirat ist sich bewusst,
welchen hohen Stellenwert die Seemannskasse bei
PETER GEITMANN
den Seeleuten hat.
6
B A LT I C W E E K
FACHBEREICH VERKEHR 03 | 2014
Bessere Arbeitsbedingungen –
sichere Bezahlung
28. Baltic Week of Action vom 1. bis 5. September 2014 zeigte Wirkung gegen Billigflaggen
FOTOS (3): ITF
Die „Baltic Week of Action 2014“, die
diesjährige Aktionswoche gegen Bil­
ligflaggen und für gute Arbeitsbedin­
gungen der Seeleute in der Ostsee,
war ein Erfolg. Die gemeinsamen ge­
werkschaftlichen Trupps aus Seeleu­
ten, Hafenarbeitern und ITF-Inspek­
toren kontrollierten in deutschen
Ostseehäfen mehr als 50 Schiffe. Al­
lein auf einem Kreuzfahrtschiff konn­
te die Zahlung von über 850.000 Euro
ausstehender Heuern erreicht werden.
Nach Boykott des Containerschiffes
„John Rickmers“ durch die Hafen­
arbeiter in Bremerhaven wurden für
dieses und für zwei weitere Schiffe
des Unternehmens Tarifverträge ab­
geschlossen.
Insgesamt waren ITF-Trupps in den
­Häfen Bremen, Bremerhaven, Kiel, Lübeck,
Wismar und Rostock aktiv und kontrollier­
ten dort festgemachte Schiffe unter Billig­
flaggen. Es geht dabei traditionell um die
Arbeitsbedingungen an Bord und die Ein­
haltung von Verträgen sowie Heuerzahlun­
gen. ver.di hat mehr als 2100 ITF-Tarifver­
träge mit deutschen Reedern geschlossen.
Die Verträge regeln neben den Arbeitsbe­
dingungen auch die Bezahlung. Wo sich
an die Regeln gehalten wird, verdient ein
Mechaniker rund 1600 Euro im Monat –
beträchtlich mehr als der weltweite Min­
destlohn von 700 Dollar (530 Euro), mit
dem sich Seeleute auf vielen Schiffen ohne
ITF-Tarifvertrag begnügen müssen. Aber
auch viel weniger als die Beträge, mit de­
nen deutsche und EU-Crewmitglieder auf
Schiffen unter deutscher Flagge vergütet
werden. Der Preiskampf ist etwa auch auf
Kreuzfahrschiffen unerbittlich geworden,
seit solcher Tourismus zum Massenphäno­
men geworden ist. „Der Trend zum ‚Mallor­
ca-Urlaub auf See’ wird mit Niedriglöhnen
für die Seeleute bezahlt“, erläutert Klaus
Schroeter, Leiter der ITF-Billigflaggenkam­
pagne. Er betonte die Einzigartigkeit der
Kampagne, bei der Hafenarbeiter und See­
leute solidarisch füreinander einstehen.
Neben Kreuzfahrtschiffen nahmen die Kon­
trolleure auch Handelsschiffe in den Blick.
Von den 3400 Schiffen deutscher Eigentü­
mer fahren heute nur noch 170 unter hei­
mischer Flagge – ein klarer Verstoß gegen
zurückliegende Zusagen aus dem Mariti­
men Bündnis. Die schlimmsten Bedingun­
gen finden die Kontrolleure freilich auf
Billigflaggenschiffen vor. Die schwarzen
­
Schafe unter den Bemannungsagenturen
speisen Seeleute mit weniger als 300 Euro
im Monat ab. „Was man da an Bord zu
­sehen bekommt, ist oft nicht menschen­
würdig“, beschreibt Torben Seebold, der
Austausch und Solidarität
Karin Friedrich, ITF-Inspektorin in Hamburg und Jörg Wien,
Hafenarbeiter vom CTA Hamburg, berichten aus Tallinn
Bei der Baltic Week of Action kämpfen
die maritimen Gewerkschaften der
ITF (International Transport Workers
Federation) für bessere Arbeits- und
Lebensbedingungen von Seeleuten.
Traditionell findet auch ein Austausch
mit Gewerkschaften aus den OstseeAnrainerländern statt. Dieses Jahr war
unser Partnerland Estland. Gewerk­
schaftlich organisierte Aktionsteams
prüfen gemeinsam die Arbeits- und
Lebensbedingen der Seeleute an Bord.
Darüber hinaus gewannen wir einen
Einblick in die ­gewerkschaftliche Ar­
beit des Landes und lernen Arbeits­
bedingungen vor Ort kennen. Zu uns
nach Hamburg kamen zwei estnische
Gewerkschafter, darunter Jaanus Kuiv,
der dortige ITF-Inspektor.
Mit Ahmet Olcabey, Hafenarbeiter vom
GHB Bremerhaven, und Norbert Stelljes,
Betriebsrat vom Lotsbetriebsverein Bre­
­
merhaven, bildeten wir vier diesmal das
Team aus Deutschland, das nach Tallinn
entsandt wurde. Unsere Partner waren die
Kollegen der Gewerkschaft EMSA (Estiona
Seemen’s Independent Union). Die Organi­
sation wurde erst 1994 gegründet, nach­
dem im September die Fähre Estonia auf
dem Weg von Tallinn nach Stockholm ge­
sunken war und dabei 852 Menschen star­
ben. Seither kämpft die EMSA für bessere
Arbeits- und Lebensbedingungen der See­
leute in Estland. 1995 war die Gewerk­
schaft mit 350 Mitgliedern gestartet, heute
hat sie 2.300, davon sind 2.000 Mitglieder
Seefahrer, 130 Hafenarbeiter und 170 aus
dem Hotelbereich/Fährenpersonal.
Gemeinsam mit Hafenarbeitern und
Seeleuten vor Ort besuchten wir die wich­
tigsten Häfen in Estland, die sich in und
nahe der ­estnischen Hauptstadt befinden.
Am Old City Harbour legen hauptsächlich
Fähren und Passagierschiffe an. Der Muuga
Harbour ist der größte Umschlagshafen
und befindet sich ca. 17 Kilometer östlich
von Tallinn, hier werden etwa 90 Prozent
der Ladungen umgeschlagen, unter ande­
rem Getreide, Gas, ÖL, Holz, Stückgut und
Container. Paldiski Süd Harbour, der zweit­
als Industrie- und Hafengebiet genutzt.
In der Baltic Week of Action haben unse­
re gemeinsamen Trupps neun Schiffe kon­
trolliert und ein ITF-Agreement erneuert.
Drei der Schiffe fuhren unter Billigflaggen,
die anderen unter nationalen Flaggen. Wir
hatten keine Probleme mit dem Zugangs­
recht, auch wurden uns auf den Schiffen
alle n­otwendigen Dokumente zur Verfü­
gung gestellt. Die kontrollierten Schiffe
wiesen keine gravierenden Mängel auf.
Auf dreien stießen wir auf nicht korrekt
FOTO: ITF
größte Umschlaghafen von Tallinn, befin­
det sich ca. 45 Kilometer westlich. Hier
fahren die Fähren nach Finnland ab, und es
werden ­vorrangig Fahrzeuge umgeschla­
gen (Kfz, Lkw und Baumaschinen). Der Pal­
jassaare Harbour, sechs Kilometer vom
Zentrum der Stadt entfernt, wird schließlich
ausgefüllte Arbeitsverträge. Die wurden
nach unserer Intervention durch die Reeder
korrigiert.
Neben Debatten über die politische
­Situation – in Estland ist man über die
Ukraine-Krise besonders beunruhigt – lern­
ten wir auch die Arbeitsbedingungen der
Maritime Koordinator von ver.di: „Feuchte
oder schimmlige Unterkünfte, Kabinen, die
mit Kebab-Grills beheizt werden…“
Ohne die regelmäßigen Kontrollen der
ITF würde sich das Dumpingsystem unge­
The “Baltic Week of Action 2014”,
the 28th action week by the International Transport Workers’ Federation
(ITF) to demonstrate against flags of
convenience and for good working
conditions for seafarers, was successful. Joint groups from trade unions
consisting of seafarers, dockers and
ITF inspectors checked more than 50
ships in German Baltic ports at the
beginning of September. On a single
cruise ship, they secured payment of
more than 850,000 euro in outstanding wages for the crew. After the
boycott of the container ship “John
Rickmers” by the dockers in Bremerhaven, collective bargaining agreements were concluded for this ship
and two others belonging to the
company. ITF activists carried out
checks in the ports of Bremen, Bremerhaven, Kiel, Lübeck, Wismar and
Rostock. Traditionally such inspections assess the working conditions
on board and compliance with agreements. ver.di has over 2.100 ITF collective bargaining agreements with
German shipping companies. They
Hafen­arbeiter kennen. Zwar gibt es in Tallin
spezialisierte Hafenarbeiter, zum Beispiel
Kranfahrer. Es wird von ihnen aber auch
jede andere Tätigkeit ausgeführt, die gera­
de anfällt. Sie sind auf Stand-by und wer­
den a­ ngefordert, wenn sie benötigt wer­
den. Im Fährhafen Tallinn Old City arbeiten
die H
­afenarbeiter in 48-Stunden-Bereit­
schaftschichten und zwar immer im Wech­
sel: zwei Tage arbeiten – zwei Tage frei. In
den Bereitschaftsschichten stehen Ruheund Sozialräume zur Verfügung. Alle anfal­
lenden ­Arbeiten – Festmachen, Einweisen,
Laschen usw. – an den Fähren gehören
zum Auf­
gabengebiet der Hafenarbeiter.
­Allerdings unterscheidet sich auch die Be­
hemmt weiter verbreiten. Längst seien
phillipinische Seeleute, die momentan
weltweit jeden dritten Arbeitsplatz auf den
Schiffen besetzen, nicht mehr die preiswer­
testen. Es werden Seeleute aus Ländern
angeworben, wo die Mindestlöhne noch
weit darunter liegen, etwa aus Myanmar.
„China entwickelt sich allein durch die
schiere Masse der Arbeitsuchenden zum
wichtigsten Markt der Branche“, weiß
Klaus Schroeter. Die chinesische Gewerk­
schaft vertritt 1,2 Millionen Seeleute der
Volksrepublik. „Wir müssen kooperieren“,
sagen die ver.di-Aktiven. Denn ohne die
asiatischen Gewerkschaften können Min­
deststandards international nicht durch­
gesetzt werden. Für Torben Seebold geht
es dabei nicht zuletzt um das Überleben
der wenigen verbliebenen deutschen See­
leute. Auch ihnen helfen letztlich die Kont­
NEH
rollen bei der Baltic Week. govern not only the working conditions but also remuneration. Where
the rules are applied, a mechanic
earns around 1,600 euro a month –
far more than the world-wide minimum wage of 700 dollars (530 euro),
but much less than on ships sailing
under the German flag. In addition to
cruise ships, the inspectors also examined merchant ships. Out of the
3,400 ships with German owners,
only 170 still operate under the German flag – which is a clear violation
of existing agreements from the Maritime Alliance. Yet the inspectors
found the worst conditions on ships
registered under flags of convenience. Without regular inspections by
the ITF, the dumping system would
continue to spread unabated. The
Baltic Week of Action traditionally includes an exchange with other seafarers’ trade unions from the countries
bordering the Baltic Sea. This year
Estonia was the partner country. ITF
inspector Karin Friedrich and Hamburg docker Jörg Wien report from
Tallinn.
zahlung beträchtlich gegenüber dem, was
ein Hafen­arbeiter in Deutschland verdient.
Der Lohn liegt in Tallin bei etwa 1000 Euro
netto.
Fazit: Wir wurden bei den estnischen
Gewerkschaftskollegen herzlich aufge­
nommen, hatten interessante Begegnun­
gen und haben viel Neues gesehen. Das
hat uns ­übrigens Jaanus aus Tallinn auch
umgekehrt bestätigt, als wir ihn nach
unserer Rückkehr noch kurz zu seinen
­
Eindrücken aus Hamburg befragten. Die
­
ITF ist eine internatio­nale Gewerkschaft,
lebt von Austausch und Solidarität. Beides
muss auch praktiziert werden! KARIN FRIEDRICH/JÖRG WIEN
JUGEND
FACHBEREICH VERKEHR 03 | 2014
7
OM
FOTO: CANSTOCKPHOTO.C
Jetzt Zukunft der
Schifffahrt sichern
FAQs
Was ihr schon immer über
ver.di wissen wolltet!
Können nur Auszubildende Mitglied
der ver.di Jugend werden?
Nein! Wir sind die Interessenvertretung für junge Erwachsene. Als Teil
der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft organisiert die ver.di Jugend
bundesweit Tausende von Auszubildenden, jungen Beschäftigten, Erwerbs­
losen, Schüler/-innen und Studierenden.
Wir sind die Fachleute für Ausbildung,
aber auch für den Berufseinstieg. Deshalb sind auch Mitglieder bis zur Vollendung des 28. Lebensjahres Teil der
ver.di Jugend.
Mit einem flächendeckenden Netzwerk und dem Erfahrungsschatz der
Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft
ist die ver.di Jugend übrigens eine der
stärksten politischen Jugendorganisationen.
Wird bei Jugendorganisationen nicht
nur gefeiert?
Wir sind eine offene Community –
aktiv für Gerechtigkeit. Dafür verbinden
wir People, Party und Politics: Wir
­machen uns fit mit Seminaren, Workshops und Konferenzen. Wir feiern coole Partys und heiße Festivals. Und wir
kämpfen – mit kreativen Kampagnen,
Demos, Aktionen. Und natürlich auch
mit Streiks.
ver.di
Jugend –
das ist
Zukunft in
Bewegung
Gemeinsam
weiterbilden.
Zusammen feiern.
Vereint kämpfen.
Denn nur gemeinsam sind wir stark.
Gemeinsam lässt sich viel erreichen.
Gemeinsam gehört uns die ­Zukunft. Wir
nutzen unsere Stärke, um unsere Interessen als junge Erwachsene wirkungsvoll durchzusetzen. Kompetent, konsequent und kreativ.
Was ist der Unterschied zwischen
der Fachbereichsjugend und der
­ver.di Jugend vor Ort?
So unterschiedlich wie die Anforderun­
gen und Interessen der jungen Beschäf­
tigten sind, so bunt ist auch das Angebot
der ver.di Jugend. Eure Jugendsekretärin
bzw. euer Jugendsekretär ist in eurem
Bezirk zuständig für die ver.di Jugend
vor Ort und das in a­ llen Branchen. Ge­
meinsam mit dem Bezirksjugendvorstand
(also den Aktiven im Bezirk) werden
Schwerpunkte festgelegt, Themen disku­
tiert und Aktionen geplant und durchge­
führt.
Wir, die Fachbereichsjugend Verkehr,
vertreten bundesweit die junge Generati­
on im Verkehrssektor. Fach- und bran­
chenspezifische Themen und Projekte
stehen dabei im Vordergrund. Mit unserer
Bildungsarbeit sichern wir die Qualifizie­
rung, die speziell in unseren Branchen für
die Jugend wichtig ist und ermöglichen
dabei die Vernetzung der Teilnehmenden
aus verschiedenen Bereichen. Darüber
hinaus ist die Fachbereichsjugend auch
als Teil der ITF aktiv.
Die enge Zusammenarbeit von Ehrenund Hauptamtlichen auf allen Ebenen ist
ein weiterer Schlüssel zum Erfolg.
Wie kann ich auch in der Fachbe­
reichsjugend aktiv werden?
Interessierte wenden sich bitte an die
Kollegin Vera Visser. Sie ist zuständig für
die Jugendarbeit im Bundesfachbereich
und ist per E-Mail ([email protected])
oder per Telefon (0 30/69 56 17 63) er­
reichbar. Sie stellt euch die aktuellen
­Mitmachmöglichkeiten vor und überlegt
mit euch zusammen, wo und wie ihr am
besten aktiv werden könnt.
Gefragt: Soziale Verantwortung der Reeder
Wenn junge Menschen nicht nur ih­
ren Wunschausbildungsplatz erhal­
ten, sondern die Ausbildung auch
noch mit Bestnoten absolvieren,
sollten gute Zukunftsaussichten zu
vermuten sein. In der deutschen
Schifffahrt sieht die Realität leider
ganz anders aus.
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der deutschen Schifff
und damit
den maritimen Standort
Deutschland!
Gelöst ist das Problem damit offen­
sichtlich dennoch nicht. Denn wie unter
anderem das NDR-TV-Magazin Panora­
ma 3 am 25. November 2014 berichtete,
sind aktuell 100 Nautische Wachoffiziere
auf der Suche nach einer entsprechenden
Beschäftigung. Abgeschlossene Hoch­
schulausbildung und trotzdem keine
Chance auf einen angemessenen Job –
das scheint das Motto der Reeder zu sein.
Für jeden einzelnen dieser Betroffenen
bedeutet das, dass ein Strich durch
die persönliche Lebensplanung gemacht
wird. Nach Expertenmeinung wird dies
spätestens ab 2022 zu einer großen
­Herausforderung für die deutsche Schiff­
fahrt. Denn: Sollte die Ausbildung der
jungen Generation nicht in entsprechen­
dem Maße ermöglicht werden, steht
schon in wenigen Jahren kaum noch
­qualifiziertes Fachpersonal zum Beispiel
für die wichtigsten Lotsenreviere zur
­Verfügung.
Klar ist allerdings schon jetzt, dass
n­eben den Reedereien die Politik eine
wesentliche Rolle bei der Bewältigung
der Krise spielt.
Die schifffahrtspolitischen Forderun­
gen von ver.di sind daher umgehend
umzusetzen. Mit der Realisierung der
­
EU „State Aid Guidelines” auch in
Deutschland könnten große Hürden be­
seitigt werden.
Die deutsche Flagge muss gestärkt
werden, damit weitere Ausflaggungen
verhindert werden und auch zukünftig
qualifiziertes Personal zu finden ist.
Dazu gehört auch, die Aus­bildung zum
Schiffsmechaniker beizubehalten, wie sie
bisher in Deutschland durchgeführt wird.
Die Ausbildung der zukünftigen Fach­
kräfte ist ein wesentlicher Faktor für
die S­tärkung des Schifffahrtsstandorts
Deutschland.
Zur Erinnerung: In der Laufbahn zum
Kapitän sind mehrere Jahre Erfahrungs­
seefahrtszeit zwingend zu erbringen. Ein
Nautischer Wachoffizier muss nach Ab­
solvierung seiner Ausbildung entweder
drei Jahre Seefahrtszeit als Wachoffizier
oder ein Jahr als Wachoffizier sowie ein
weiteres Jahr als Nautischer Offizier nach­
weisen können (s. Skizze). Hat er diese
praktische Erfahrung nicht, so nützt ihm
auch sein Patent wenig.
Um die Reedereien bei der Ausbildung
zu unterstützen und vor der Ausflaggung
zu schützen, wurden seit 2003 insgesamt
590 Millionen Euro an Subventionen
(Quelle: Politik-Magazin Panorama 3 im
NDR Fernsehen vom 25.11. 2014) an
deutsche Reedereien gezahlt. Dabei
sind die Steuervergünstigungen durch die
Tonnagesteuer noch nicht mitgerechnet.
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Seit Kurzem ist die Facebookseite der Fachbereichsjugend (verdi jugend verkehr) online!
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PA N O R A M A
FACHBEREICH VERKEHR 03 | 2014
Aus der Traum?
MS Deutschland meldet Insolvenz an
Das Kreuzfahrtschiff MS Deutschland,
durch das ZDF als „Traumschiff“ be­
kannt geworden, befindet sich finan­
ziell in schwerer See. Bereits Ende
­Oktober hatte die betreibende Beteili­
gungsgesellschaft beim Amtsgericht
in Eutin einen Insolvenzantrag ge­
stellt. Alle weiteren geplanten Reisen
– auch die anstehende Weltreise vom
18. Dezember 2014 bis zum 1. Mai
2015 – wurden abgesagt. Der Grund
hierfür: Die bereits terminierten und
nötigen Werftarbeiten können auf­
­
grund von Zahlungsunfähigkeit der
Beteiligungsgesellschaft nicht durch­
geführt werden.
neue Zielvorgabe wurde die Ausflaggung
des Schiffes nach Malta. Damit sollten Per­
sonalkosten minimiert und Gewinne ge­
steigert werden. Eine daraufhin aufflam­
mende öffentliche Diskussion, eine aktive,
von ver.di unterstützte Gegenwehr der Be­
satzung sowie der drohende Verlust von
Stammkunden bewegten Aurelius jedoch,
sich dem öffentlichen Druck zu beugen und
das Ausflaggen nicht zu vollziehen. Mit­
entscheidend für den Verbleib des Schiffes
unter deutscher Flagge waren auch die
konsequenten Verhandlungen von ver.di
über einen Verbleib maßgeblicher Besat­
zungsteile im deutschen Sozialversiche­
rungssystem durch „Ausstrahlung“.
Trotz dieser Rolle rückwärts verlor die
Fest steht, dass das einstige Traumschiff MS Deutschland einen großen Teil ihrer
der Deutschen in die Jahre gekommen ist Stammkunden – unter anderem wegen
und Konkurrenz durch neue und größere personeller Fehlentscheidungen wie der
Schiffe von „Aida“ oder „Mein Schiff“ er­ fristlosen Entlassung des langjährigen
halten hat. Im boomenden Kreuzfahrtge­ ­Kapitäns Andreas Jungblut. Um die Ge­
schäft war die MS Deutschland wegen der winnerwartungen des Investors zu erfüllen,
zusätzlichen Anbieter, wegen eines Motor­ wurden 2012 Anleihen für die MS Deutsch­
brandschadens im Mai 2010 und wegen land auf den Markt gebracht, der letzte
der daraufhin abgesagten Kreuzfahrten schnelle Gewinn wurde eingefahren. Wie
erstmals in finanzielle Schieflage geraten. für einen Finanzinvestor dieser Art üblich,
Sie wurde daraufhin auf dem Markt zum verabschiedete sich Aurelius anschließend
Kauf angeboten.
und verkaufte den größten Anteil seiner
Den Zuschlag erhielt eine börsennotier­ Beteiligung an die Gesellschaft Callista
te Beteiligungsgesellschaft, eine „Heu­ ­Private Equity, die im Januar 2014 Mehr­
schrecke“, namens Aurelius. 2010 über­ heitsanteilseignerin an der MS Deutsch­
nahm dieser Investor von den Schwestern land wurde. Die zu zahlende Zinslast der
Gisa und Hedda Deilmann zu 95 Prozent unter Aurelius ausge­gebenen Anleihen ist
die Mehrheit an der Reederei Deilmann mit einem Schiff, das auf maximal 500 Pas­
und an der Schifffahrtsgesellschaft MS sagiere ausgelegt ist, jedoch nicht mehr
Deutschland. Bis 2012 fuhr das Fünf-­ zu erwirtschaften. Für weitere Finanzierun­
Sterne-Schiff mit einem festen Kunden­ gen kommt erschwerend hinzu, dass das
stamm weiter unter deutscher Flagge. Schiff wegen der ­Anleihen nicht mehr als
Aurelius änderte 2012 seine Strategie, Sicherheit verwendet werden darf.
­
KARIKATUR: RAINER HOFMANN-BATTISTON
Ein gutes Dutzend potenzieller Käufer
interessiert sich nun seit Oktober für den
Erwerb der „MS Deutschland“, eine Ent­
scheidung sollte ursprünglich am 26. No­
vember fallen. Reinhold Schmid-Sperber,
vorläufiger Insolvenzverwalter der Reede­
rei Peter Deilmann und der „MS Deutsch­
land Beteiligungs GmbH“, hatte in der
Zwischenzeit vergeblich nach einem Inves­
tor gesucht. „Leider haben wir keinen In­
vestor gefunden, der uns in der Kürze der
Zeit ausreichende Finanzierungsnachweise
für ihre teilweise attraktiven Angebote lie­
fern konnte, um die Durchführung der Rei­
se und des nötigen Werftaufenthalts zu
garantieren“, so Schmid-Sperber in einer
Mitteilung. „Wir dürfen bei diesem Verkauf
aber nicht riskieren, dass eine unverbind­
liche Finanzierungszusage nach Vertrags­
schluss doch noch platzt.“ Laut SchmidSperber gebe es weiterhin zahlreiche
Interessenten für Schiff und Reederei, mit
denen die Verhandlungen nun ohne den
Zeitdruck der bevorstehenden Weltreise
fortgeführt werden können. Dies geschieht
mit dem erklärten Ziel, den Fahrtbetrieb
der Deutschland im Frühjahr 2015 wieder
aufzunehmen.
Laut „manager magazin online” habe
Schmid-Sperber zuletzt noch mit vier
­potenziellen Investoren ernsthaft verhan­
delt. Alteigner Callista Private Equity, der
ursprünglich auch zu den Kaufinteressen­
ten gehört hatte, sei nicht mehr darunter.
Dem Finanzinvestor habe der Insolvenz­
verwalter eine Absage erteilt.
Um das Schiff wieder flott zu machen,
sind verschiedene Maßnahmen im Ge­
spräch: etwa eine Verringerung des Perso­
nals um bis zu 25 Prozent sowie eine
­Qualitätsrückstufung des Schiffes von fünf
auf vier Sterne. Auch die Ausflaggung des
Schiffes wird erneut offen diskutiert. Am
Ende ist es wie immer: Fehler im Manage­
ment werden konsequent auf dem Rücken
der Belegschaft ausgetragen, die am Ende
die Suppe auslöffeln soll. Dagegen setzt
sich ver.di zur Wehr, denn ein weiterer
­Verkauf darf nicht zulasten der Beschäftig­
ten gehen. Ebenso dürfen die gravierenden
Managementfehler nicht wiederholt wer­
den. Die MS Deutschland muss unter deut­
scher Flagge verbleiben!
CHRISTIAN MANKE
WDR-Betriebsrat gerichtlich bestätigt
Kapitäne mit Landanbindung
dürfen mitwählen
FÄHRE MS SCHLESWIG-HOLSTEIN AM ANLEGER WITTDÜN | FOTO: HTTP://COMMONS.WIKIMEDIA.ORG
Nicht ganz alltäglich: Über den Aus­
gang der Betriebsratswahl bei der
Wyker Dampfschiffs-Reederei FöhrAmrum GmbH (WDR) hat Anfang
­Oktober letztlich das Arbeitsgericht
Flensburg entschieden. Das Gericht
hat in seinem Urteil die im Unterneh­
men durchgeführte Betriebsratswahl
als rechtens bewertet und eine Klage
der WDR zurückgewiesen. Gegen die
Wahl geklagt hatte die WDR, weil
sich zehn dort beschäftigte Kapitäne
daran beteiligt hatten. Die Geschäfts­
leitung sah dies als nicht konform
mit den Vorschriften des Betriebsver­
fassungsgesetzes an, da die Kapitäne
an Bord der WDR-Schiffe leitende
­Angestellte seien.
Vor der Verhandlung hatte es bereits e­ inen
Gütetermin gegeben. Dieser war ohne Er­
gebnis geblieben, wie Jürgen Reimer, Hu­
sumer Geschäftsführer des ver.di-Bezirkes
Westküste erläuterte. Mit einer Einigung
habe man jedoch ohnehin nicht gerechnet,
da es dem Unternehmen darum gegangen
sei, eine Grundsatzentscheidung herbeizu­
führen.
Dieter Krause, ver.di-Rechtssekretär i. R.
und Sachverständiger für Seearbeitsrecht,
war von den bei der WDR beschäftigten
Kollegen gebeten worden, sie zu vertreten.
In Absprache mit dem Arbeitsgericht Flens­
burg trat er daraufhin als Bevollmächtigter
auf. Krause zum Hintergrund des Rechts­
streits: Nach eigener Auskunft sei die
WDR von einem Sprecher der „Kommission
Ausflugs- und Fährschifffahrt“ beim Ver­
band der Reeder (VDR) dazu aufgefordert
worden, die Kapitäne von der Wählerliste
zu nehmen. Was eigentlich gegen die Be­
teiligung der Kapitäne spreche, habe ihm
Axel Meynköhn, Geschäftsführer der WDR,
nicht eindeutig erklären können, so Krause.
Er habe nur gesagt, dass dies im Interesse
des Verbands Deutscher Reeder liege.
„Tatsächlich möchten manche Reeder
die Kapitäne nicht so gern auf der Seite der
anderen Mitarbeiter sehen“, erklärt Krau­
se. Schließlich hätten Kapitäne im Unter­
nehmen einen viel größeren Überblick als
Decksleute, Maschinisten oder Kassierer.
„Da ist es manchen Reedern anscheinend
nicht angenehm, wenn ihre Kapitäne im
Betriebsrat mitmischen.“ Eine Begründung
habe man auf Seite der Reederei schließ­
lich darin gefunden, dass das BetrVG kein
Wahlrecht für Kapitäne vorsehe, weil sie
leitende Angestellte seien. „Der Betriebsrat
der WDR hat sich dem nicht angeschlossen.
Er hatte zuvor von ver.di-Westküste und
von anderen Fachleuten für die Seeschiff­
fahrt die Auskunft erhalten, dass Kapitäne
im vorliegenden Fall keine leitenden An­
gestellten sind“, so Krause. Die Experten
hätten argumentiert, dass laut § 114, 4
BetrVG Schiffe, die innerhalb von 24 Stun­
den ihren Heimathafen wieder erreichen,
den Landbetrieben und nicht den Seebe­
trieben zuzuordnen sind. Das Arbeitsge­
richt in Flensburg folgte dieser Auffassung
und kippte damit ein älteres Urteil des
­Landesarbeitsgerichts Kiel.
Die WDR habe schließlich von einer
B­erufung abgesehen, so Krause. „Damit
hat die Reederei gutgetan. Sie hätte beim
Landesarbeitsgericht in Kiel kaum jeman­
den gefunden, der noch die alte Auffas­
sung vertritt.“ Dafür habe das Arbeits­
gericht in Flensburg seine Entscheidung
viel zu sauber begründet. Das sei dem Ree­
der im Prinzip klar gewesen.
Übrigens haben nicht alle Reedereien
ein Problem mit betriebsratsaffinen Kapi­
tänen. Ausgerechnet bei der Partner-Ree­
derei der WDR, der „Norden Frisia“, die
zwischen Norddeich und Juist verkehrt,
sieht man die Dinge ganz anders. „Dort
ist sogar ein Kapitän stellvertretender Be­
triebsratsvorsitzender“, sagt Krause.
UCB