In einer anderen Welt
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In einer anderen Welt
SEPTEMBER 2015 ICON ICON September 2015 In einer anderen Welt Tel. 0211 / 86 47 00 louisvuitton.com ARMANI.COM www.sensai-cosmetics.com HUGO BOSS AG Phone +49 7123 940 HUGOBOSS.COM D E S I G N P O R T R A I T. Ray, sitzsystem design von Antonio Citterio. www.bebitalia.com B&B Italia Stores: München, Maximiliansplatz 21 - T. +49 0894 613680 Berlin, Torstrasse 140 - T. +49 3024 0477377 Plz 0 1 2 3 4 5 Andreas Weber T. +49 5130 5840584 [email protected] Plz 5 6 7 Thomas Köber T. +49 1737 490937 [email protected] Plz 0 7 8 9 Norbert Juelicher - T. +49 1729 572772 [email protected] Treten Sie ein! Fühlen Sie sich ganz ungeniert. PICTURE PRESS/CAMERA PRESS I David Bowie wählte die Villa Mandalay auf Mustique schon vor Jahren als Rückzugsort. Wir sind nun auch mal dorthin geflogen und haben dort die neue Herbstmode fotografiert. Auf dem Cover trägt Model Alexina eine Bluse von Michael Kors. Norwegerpullover: Etro. Kleid: Victoria Beckham. Tasche: Longchamp. Schuhe: Chanel. Sonnenbrille: Vintage Dior st es richtig, jetzt in die wunderbare Welt der Mode abzutauchen? In diesen umwälzenden Zeiten, wie man sicher zu bedenken geben könnte? Jetzt, da wir tagtäglich mit traurigen Bildern und Herausforderungen konfrontiert werden, die wir nicht mehr verdrängen können, weil sie so nah sind? Diese fast pawlowsche, sehr deutsche, moralisch beschwerte Frage stellt sich uns nicht. Keinesfalls aus Arroganz, sondern weil es darauf keine richtige Antwort gibt. Die Schönheit des Lebens ignoriert nicht die Not des Daseins, aber die Not wird nicht besser ohne Schönheit. Sie lässt uns auftanken. Wir fühlen uns daher in unserer Arbeit durchaus privilegiert, dürfen wir uns doch mit den Themen beschäftigen, die wie ein herrlicher Blumenstrauß im Alltagszimmer das Dasein dekoriert. Dass die Mode für viele Arbeitsplätze sorgt, sei nur am Rande erwähnt. Es klingt dann wieder wie eine Rechtfertigung. Und das hat sie nicht verdient. Wir schämen uns ihrer nicht. Warum auch? Zumal gerade jetzt eine Reihe interessanter, begabter Designer ins Rampenlicht getreten ist, die – jeder mit individueller Ästhetik – fortführen, was die Großen wie Karl Lagerfeld, Giorgio Armani oder Tomas Maier oder Wolfgang Joop und andere immer schon propagierten: Mode ist Haltung, ist Allüre. Ihr ist diese Ausgabe gewidmet. TAKAHIRO OGAWA Wer als Europäer nach Japan reist, sieht sich mit einem interessanten Kontrast konfrontiert. Die Japaner mögen es geordnet, bis ins Detail durchorganisiert und staubkornfrei. Richtig krachen lässt man es dafür in der Mode. Unser „Keypieces“-Fotograf Takahiro Ogawa ist da keine Ausnahme. In Japan aufgewachsen, arbeitete er erst als Bildbearbeiter. Zu seiner eigentlichen Berufung kam der 37-Jährige auf recht triviale Weise: „Ich bin meinen Stärken gefolgt, Fotografie ist das Einzige, worin ich wirklich gut bin.“ Das ist nun vier Jahre her. Heute lebt er in New York und arbeitet für einflussreiche Magazine. Das Ergebnis ist experimentell, voller Farbe und, wenn man ihn lässt, gegen den Strom. Kräftiges Rot und Blau treffen dann auf Schwarz und Weiß, das sind seine Lieblingsfarben. Wir ließen ihn. Seine Inspiration zieht er aus Filmen, Musik, Comics und Kunst. Hauptsache, es hat Energie. Liebstes Mode-Keypiece? Sein Comme-des-Garçons-Shirt. Mehr ab Seite 58 TITEL: ANDERS OVERGAARD; DIESE SEITE: MARIO TESTINO; PRIVAT; ANDERS OVERGAARD; PICTURE ALLIANCE/DPA VILLA YEMANJÁ Hier dürfte sich die Göttin des Meeres bestimmt wohlfühlen. Schließlich ist das Anwesen auf der Karibikinsel Mustique nach ihr benannt. Vermutlich würde sie die Wendeltreppe zum Foyer emporgesteigen, einen kurzen Blick auf ihr gemaltes Konterfei werfen und dann schnurstracks zu einem der drei Pools marschieren. Gelegentlich würde einer der beiden hauseigenen Butler einen Krabbencocktail reichen, während die Hausherrin den traumhaften 360-Grad-Panoramaausblick über die Insel genießt. Allein wäre ein Fehler. Auf dem sieben Hektar großen Anwesen lassen sich nämlich mühelos Familie und Freunde unterbringen (auch zur Miete). Acht Schlafzimmer stehen zur Auswahl. Für unser Shooting hat Villa-Managerin Denise Brown das Tor zum „Yemanjá“ geöffnet. Ohne sie würde wohl so mancher Gast die Ausfahrt zur Villa im dichten Dschungel übersehen. Dank geht auch an Caroline von Waldburg, die uns überhaupt erst auf diese göttliche Insel führte. Ab Seite 80 OTTO DRÖGSLER & JÖRG EHRLICH Die Designer des deutschen Labels Odeeh kennen die Modebranche aus verschiedenen Perspektiven. Sie wissen aus Erfahrung, wie die Konzerne ticken, sind vertraut mit den kreativen Freiheiten und Erwartungen, die an ein Label gestellt werden. Zum Saisonauftakt wollten wir deshalb hören, was sie derzeit bewegt und welche Entwicklungen sie in der Modewelt beobachten. Neben den inhaltlichen Gedanken zum Thema überzeugte das Duo auch in der Form: Die Gespräche mit ihnen fanden statt, während sie auf der A7 Richtung Comer See zu ihren Webern unterwegs waren, sowie in Mailand zwischen Terminen. Dass Drögsler den Verkehrsfunk auf dem Navi wegdrücken musste, brachte sie nicht weiter aus der Ruhe. Es änderte auch nichts an der Qualität des Gesprächs. Eher lieferten sie en passant eine Fallstudie für die Multitaskingfähigkeit erfolgreicher Designer gleich mit. Seite 50 IMPRESSUM ICON Chefredakteurin: Inga Griese (verantwortlich) Textchef: Dr. Philip Cassier Redaktion: Caroline Börger, Heike Blümner, Nicola Erdmann, Julia Hackober, Jennifer Hinz, Silvia Ihring, Mira Wiesinger. Korrespondentin in New York: Huberta von Voss. Korrespondentin in Paris: Silke Bender. Stylistin in New York: Nadia Rath. Autoren: Susanne Opalka, Esther Sterath, Andreas Toelke Redaktionsassistenz: Ursula Vogt-Duyver Artdirektorin: Barbara Krämer Gestaltung: Maria Christina Agerkop, Katja Schroedter Fotoredaktion: Julia Sörgel; Elias Gröb Bildbearbeitung: Thomas Gröschke, Liane Kühne-Kootz, Kerstin Schmidt Verlagsgeschäftsführung: Dr. Stephanie Caspar, Dr. Torsten Rossmann General Manager: Johannes Boege Gesamtanzeigenleitung: Stefan Mölling; Anzeigen ICON: Roseline Nizet ([email protected]) Objektleitung: Carola Curio ([email protected]) Verlag: WeltN24 GmbH Druck: Prinovis Ltd. & Co KG, Nürnberg Herstellung: Olaf Hopf ICON ist ein Supplement der „Welt am Sonntag“, die nächste Ausgabe erscheint am 18. Oktober 2015. Sie erreichen uns unter [email protected] Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/unabhaengigkeit. 25 Bronzene Zeiten: Geschirr von Rick Owens (Info über [email protected]) TAKAHIRO OGAWA Es werde Licht: Lampe „Petite Potence“ Special Edition von Jean Prouvé und G-Star Raw für Vitra Sich mal so richtig hängen lassen: Hängematte „Hammock“ aus der Objets-Nomades-Serie des Ateliers Oï für Louis Vuitton Runde Sache: Tisch „Satellite“ von Hermès. Ab November erhältlich Angesagt im Herbst sind große Knöpfe, opulente Stickereien und Gold. Strickjacke: Chanel. Sweatshirt aus Satin: Max Mara. Hose: Paul Smith. Cabanjacke (um die Hüfte geknotet): Michael Kors. Mehr vom KeypieceShooting finden Sie ab Seite 58 Qual der (Tisch-)Wahl: Esstisch „Catlin“ von Minotti lässt sich individuell zusammenstellen – mit ovaler, eckiger oder runder Platte (aus Glas oder Marmor) 48 WELCOME BACK, GU CCI! Nach durchwachsenen Jahren hat die Marke mit Alessandro Michele einen neuen Designer. Sein Credo: Lässige Extravaganz 50 CO OL ES CH AOS Odeeh ist ein eigenwilliges, besonderes Label. Die Gründer und Chefdesigner Jörg Ehrlich und Otto Drögsler berichten über den leisen Siegeszug des Einzelteils AUSGEWÄHLT 55 ES GEHT VO RA N War nicht eben noch Ostern? Egal – unsere Lifestyle-Weisen freuen sich auf einen wunderbaren Mode-Herbst TRÄU M W EITER Seine fantasievollen Entwürfe haben Erdem Moralioğlu nach London-Mayfair gebracht. Spot an auf einen Shootingstar 58 MEHR LICHTO RGEL! Icona dresst sich für die Disco auf – und damit sie nicht zu sehr abhebt, hat sie noch einen Look als braves Mädchen DIE SCH LÜ SSEL ZU M H ERBST Zieh das schöne Kleid doch einfach über die Hose: Nadia Rath hat die Keypieces der Saison in New York City inszeniert 70 ITA LIE NS GRÖSSTER Was machen, wenn man alles erreicht hat? Giorgio Armani veröffentlicht seine Autobiografie. Wir durften schon mal reinsehen 72 STANDH AFT Die Santonis fertigen Schuhe, die Begehrlichkeiten wecken. So einfach ist Erfolg? Ein Besuch in den Marken Sitz-Sack de luxe: „Beanbag Chair“ von Alexander Wang für Poltrona Frau ICON SEPTEMBER 2015 30 42 MODE Feierabend: Sessel „Work is over“ mit Stahlgestell. Von Diesel und Moroso. Gibt’s über iconist.de 44 ZEBRA CROSSING Schwarz und Weiß gehen fast immer – selten war die Ästhetik des Kontrasts so ausgeprägt wie in diesem Herbst 46 EINMAL IN FARBE, BITTE! Als Kontrast zu den Kontrasten: Uni in Knalltönen ist jetzt angesagt. Monochrom, nicht monoton 27 Zwingt zum Liegenbleiben: Sessel „Mart“ von Antonio Citterio für B&B Italia Meer und Palmen soweit das Auge reicht. Links: Bikini von American Apparel. Unten: Lederrock von Fendi Glamour gibt es auf der Karibikinsel Mustique schon. Unser Model Alexina hat überdies die neusten Herbsttrends im Gepäck. Unten links: Jacquardkleid: Viktor & Rolf. Jacke: Akris. Armbänder: Chanel. Velourslederboots: Fendi. Unten rechts: Kleid: Derek Lam. Seidenkleid: Wunderkind. Lederjacke: Meindl. Velourslederstiefel: Burberry. Koffer: Rimowa ICON SEPTEMBER 2015 MODE 79 ICH TRAG BLUMEN Für die einen sind die Siebziger ein Krisenjahrzehnt – für uns sind sie eine Inspiration. Neun Looks für die coole Zeitreise 80 WO NUR WENIGE HINKO MMEN ... findet unser großes Shooting statt: Mustique in der Karibik ist eine Privatinsel - und eine wirklich exklusive Kulisse SCHMUCK 46 KETTE SICH, WER KANN Kaum ein Accessoire ist besser zu kombinieren als eine Kette – die neuen Modelle haben „Alleinhängungsmerkmale“ 108 SIXPACK DELU XE Nein, Prada macht jetzt nicht Bier. Dafür eine Duft-Kollektion mit sechs Aromen. Die Bilder dazu hat der Fotograf Marcel Christ in einem chemischen Experiment gefertigt KOSMETIK 102 GO LDENE ZEITEN Edelmetall liegt auch in der Kosmetik im Trend. Wir fanden neueste Produkte, die sich in Gold hüllen. Plus: Unsere Experten und ihre liebsten Fashion-Beauty-Marken 104 HIGH (BEAUTY )-FA SHIO N Modemarken und ihre Kosmetikableger. Die Neuheiten im September 105 TANZ DER MO LEKÜLE Wie ein Däne den Parfümmarkt mit seinen Molekulardüften aufmischt, erzählte er Caroline Börger in Berlin GESCHICHTEN 76 VILLA KU NTERBU NT Nur wenige Tage im „Il Pellicano“ lassen einen die Welt rosarot sehen, stellte Dagmar von Taube in der Toskana fest 94 GÖ NN IH N DIR Champagner kennt jeder – Franciacorta nicht. Das ist eigentlich ziemlich schade, merkte Philip Cassier bei der Probe 98 GLO B AL DIARY Schwimmen lernen an der Côte d’Azur, Spaß im Spa in Spanien und Staunen in der Wüste von Namibia – was für ein Sommer 99 EINFACH MAL BL AU MACH EN Wasser, Salzfelder und der kleinste Strand der Welt: Piet Boons Insel Bonair will man nicht mehr verlassen 110 DER BAU PLAN Gib Gummi und mach was wirklich Elegantes daraus: So entsteht der SchuhKlassiker Gommino von Tod’s ANDERS OVERGAARD (11) 106 PFO RZHEIM ERO BERT PARIS Falls es doch mal kühler wird. Wollblazer: Paul Smith. Wollfilzkleid: Rochas. Plateauschnürschuhe: Wunderkind Silke Bender begleitete Jean-Marc Weiser, Inhaber von La Biosthétique, zu einem Shooting im Musée Rodin. Nein, das ist nicht da, wo Sie denken 107 TANGO MIT MO NSIEUR A LA ÏA Zum ersten Mal gibt es einen Duft zur Marke des genialen Designers. Wir waren bei der Präsentation dabei – in der Küche von Monsieur 29 STILISTEN PHOTO © 2015 DAVID DREBIN. ALL RIGHTS RESERVED UNSERE LIFESTYLEWEISEN FEIERN DIE MODE – UND FREUEN SICH AUF DEN HERBST Tief eingetaucht Diese Mini-Fliegen von Hermès sind alles andere als lästig D I E P E T I T S N Œ U D S PA P I L L O N S GIBT’S IN DEN HERMÈS-LÄDEN HERBSTVORSÄTZE Johnny Talbot & Adrian Runhof Designer-Duo des Münchner Modelabels Talbot Runhof 30 1. Herausfinden, was wir ganz persönlich für Flüchtlinge tun können. Jobs schaffen? Praktika? Spenden? An wen, und an wen besser nicht? 2. Diesmal mit großer Gelassenheit das Pariser Défilé vorbereiten und besonders nett zu allen sein, die ihre Spätsommertage und -nächte dafür opfern. 3. So lange es nur geht die neuen Marni-Sandalen tragen 4. Abends keine Kohlenhydrate mehr zu sich nehmen (sind wir froh, dass guter Rotwein quasi keine enthält) 5. Öfter ins Hammam gehen und sich anschließend eincremen lassen 6. Endlich den Yoga-Gutschein einlösen, der seit dem Frühjahr herumliegt 7. Nicht mehr nach Berlin fahren, lieber darüber lesen, wie etwa „Das andere Berlin“ von Robert Beachy 8. Alle körpernahen Klamotten aus dem Schrank werfen, jetzt ist oversized mit langen Shirts und Hochwasserhosen dran 9. Sich auf den neuen J.F. Schwarzlose-Duft „Fetisch“ freuen 10. So oft es geht in unserer neuen Münchner Boutique in der Theatinerstraße sein und Ovationen entgegennehmen HERMÈS Wer das Paradies sucht, darf nicht an der Oberfläche bleiben. Der Fotograf David Drebin steckt den Kopf deshalb wenn nötig auch mal in den Swimmingpool. „Chasing Paradise“ ist ein Bildband, der Sinnliches und Verstörendes vereint: Was eben noch elegant schwamm, droht zu ertrinken und bleibt doch bildschön. Aber keine Sorge, das Drama spielt sich nur im Kopf des Betrachters ab (nur die Schuhe sind dann wohl hin). TeNeues Verlag DER NEUE CHIC Emmanuel de Bayser KULTURKONTOR / SEPP WERKMEISTER Mitbesitzer von The Corner Berlin Auf der Straße spielt das wahre Leben – die drei Damen, die da in den Sechzigern in New York unterwegs sind, beweisen das. Als der Fotograf Sepp Werkmeister damals mit Streetfotografie anfing, ignorierten ihn die Passanten. Heute gehört die Technik längst zum Alltag von Models und Schauspielern. Das Stadtmuseum München zeigt bis 27. September eine Auswahl Werkmeisters – einfach coole Perspektiven. TRENDBAROMETER VON WOLFGANG JOOP Herr Haka Als ich für Arte das „Fashion Weekend“ moderiert habe, war auch ein Beitrag für das Popkultur-Format „Tracks“ dabei. Es ging um einen Modetrend aus den Townships, drei junge, arme Schwarze, die einen neuen Dandy Look proklamieren, mit Fliege und allem Chic. Das Gegenteil vom „Gangsta“ Zeug mit den runterhängenden Hosen. Wenn grad jetzt Chancenlose mit ihren wenigen Mitteln diesen exklusiven Look kreieren , dann finde ich das toll. Das Erleichternde an der Mode ist doch, dass sie immer einen kleinen Widerspruch parat hat. LOEWE Was ist denn da los? Provozierende Bikinis, ultrakurze Minikleidchen, eine Orgie von tätowiertem Fleisch – in unzähligen Fitnessstunden mühsam geformt. Ohrenbetäubende Musik, am Strand, am Pool, im Hotel, im Restaurant, im Nachtclub. Party 24/7, von einer angesagten Insel zur anderen, immer auf der Suche nach neuen Sensationen und hedonistischem Vergnügen. Der Sommer war 2015 eine Überdosis an Ultraglam und frenetischem Voyeurismus. Sichtbar und zur Schau gestellt vor Ort, im Social Media. Unentrinnbar und allgegenwärtig. Doch die Teilnehmer an dieser Sause sollten sich beeilen, sie ist fast zu Ende. Vorbei die billigen Provokationen und der aggressive Streetstyle. Vorbei mit Protz, Angeberei und Bling-Bling. Willkommen neue Romantik, Weichheit, Poesie und multikulturelle Inspiration. Willkommen Chic und Diskretion, Qualität und handwerkliches Können. Gucci, Loewe, Céline, Dries Van Noten. Die Vorzeigedesigner für die neuen Trends im kommenden Herbst und Winter, führen uns in eine ganz andere Richtung. Präzision und Vielfalt. Kein Diktat, ganz im Gegenteil, die Akzeptanz der Unterschiede in einer Welt, die sich rapide wandelt. Dieselben Einflüsse spürt man auch in der Architektur und bei Interieurs. Nach schreienden Farbkombinationen oder unterkühlter Showroomästhetik sehen wir jetzt Lebensräume, die uns einladen in komfortable, beschützende, unaggressive Universen. Dem künstlichen „total Look“, ziehen wir Harmonie, Blumen, Komfort und ethnische Einflüsse vor. Eklektizismus ist das Schlüsselwort. Frau Dob Da begegnet also der Angst vor Verwahrlosung durch die derzeitige Völkerwanderung die Sehnsucht nach Eleganz und Hoffnung mit leiser Ironie. War das nicht immer so? Nach dem Krieg malten Frauen auf die nackten Waden mit Augenbrauenstift eine Nylonstrumpfnaht, schneiderten irgendetwas zurecht, um irgendwie wieder lebensbejahend auszusehen. Es ist nicht die Zeit, dass Mode „kränkeln“ propagiert. SEI RAFFINIERT 32 Das Bewährte muss genauso berücksichtigt werden, wie das, was uns heute noch avantgardistisch erscheint, aber morgen schon Gewöhnung ist. Trends entstehen nicht nur in Mailand, London oder Paris, sondern auch in den Köpfen unserer Kunden, die auf Reisen gehen, Filme, Theaterstücke, Kunstausstellungen, Orte sehen, die sich langsam, aber sicher, wie bei uns allen, zu neuen Ideen und Sehgewohnheiten formen. Mode hat etwas mit Bauchgefühl und Sehnsucht nach Schönem und anderem zu tun. Der Zeitgeist liefert die Zutaten für den modischen Mix. Zum Winter setzen sich zum Beispiel Layering und ein anspruchsvoller und intellektueller Stil weiter durch. Tiefe entsteht durch Qualität: Sartoriale Verarbeitung, höchstwertige Materialien und raffinierte Schnitte stehen im Vordergrund und eigenständige Stilistiken grenzen sich eindeutig gegen das ab, was man langläufig als trendy bezeichnet. Dieser Mode-Herbst wird einer für Persönlichkeiten. Petra Fischer Geschäftsführerin vom „Modehaus Fischer“ in Singen Der neue Luxus ist Einfachheit. Bisschen griechisch-balearischsyltisch-mittigyachtig-labelosiger. Je älter ich werde – 60 plus 1 – desto einfacher, unauffälliger, relaxter, lastloser und kurzhaariger möchte ich unser Leben feiern. Ballast ist out. Light ist in. Mein neuester LieblingsFriseur ist der Barber Shop „La Flamme“ in Harvard – für 16 Dollar! (Ohne Flug). Jeans? Schlicht! „Carhartt“ – wie kanadische Holzfäller oder die ausgefranste „Hermès“ ( Label innen). Schlips? Nie mehr! Ausnahme: Vintage Hermès, die es nicht mehr zu kaufen gibt. Bescheidener Look zurück: Je oller, desto authentischer. Lieblings-Hemden? „Blanc Bleu“ aus Saint-Tropez (älter als unsere Ehe) und löchrige Ralph Laurens (XXL). Leichte Jacken? „Universal Works“ oder hanseatisch „Omen“. Herbst-Daunen? Die neue „Sansibar“Jacke – trägt auch Seelen-Sylter Wolfgang Schäuble. Und Regenmantel von „Hansen“. Kaschmir-Pulli – von „Barefoot Living“ (reduzierterTilSchweiger-Style). Uhren? Keine! Oder: schwarze „Apple Watch“ – ein Mini-Wunder mit Telefon (trägt Schwarzenegger). Aber mein Arm sehnt sich nach der alten Rolex. Badehose – von Hotels als Glück-Souvenirs. Weiße Hemden – Brooks Brothers David Blieswood (Non iron – Connaisseur aus Hamburg nicht zum Bügeln). PoloShirts mit Aufdruck? Nur, wenn man wirklich da war – z. B. „Copa del Rey“. Strümpfe – nur in Monaten mit „R“ – und nur von Falke. Schuhe – lange getragen und immer geputzt. Koffer? Taschen von „Eastpak“. Reise-Outfit über „monocle.com“ (von Globetrotter-Profi Tyler Brûlé) Auto? Langsame Vespa (wie Tom Hanks & Karaseks). Slow Living ist das neue Schnell. 34 (C) PHILIPPE HALSMAN / MAGNUM PHOTOS / AGENTUR FOCUS IMMER MIT DER RUHE Abgehoben Dass Edward VIII. 1936 auf den englischen Thron verzichtete, um die bürgerliche Wallis Simpson zu heiraten, ist das eine. Das andere ist, dass das Paar dafür gerühmt wurde, nicht auf dem Teppich geblieben zu sein: Der Fotograf Philippe Halsman setzte für sein „Jump Book“ (erschienen bei Damiani) in den Fünfzigern nicht nur die beiden in Szene, sondern auch Ikonen wie Grace Kelly und Audrey Hepburn. Unser Herz hüpft mit. Neues von Karl Lagerfeld: Depot-Chef Christian Gries zuliebe hat er drei Kissenhüllen gestaltet. Katze Choupette als Gestiefelter Kater. Ist für einen guten Zweck. Ab 17. September in allen Depot-Filialen Pünktlich, wenn das erste Mal die Klimaanlage in der Bahn den Geist aufgibt, die Maschine zurück aus dem Sommerurlaub hoffnungslos überbucht ist und die See einen Schleier aus Sonnenmilch trägt, dann ist es Zeit für den Herbst. Gemeinsam mit den Temperaturen heißt es dann: Runterfahren. Gerne auch im Strandkorb, beim Spaziergang am Strand, aber bitte immer zu zweit. Es ist nämlich so: Zu keiner anderen Jahreszeit wird so viel gekuschelt wie im Herbst, bestätigen Wissenschaftler und damit die Geburtenrate im warmen Juli. Die Natur verführt förmlich dazu, mit schummerig goldenem Licht am Tag und einer frühen Dämmerung. Den schönsten „Indian Summer“ gibt es zur Abwechslung mal nicht auf Sylt, sondern in Bayern. Die Landhotels versinken im bunten Laub und die Bayern wechseln nun, gelegentlich und zumeist ohne Murren, von Bier auf Wein. Verstehen kann ich den leidenschaftlichen Biertrinker aber durchaus. Ab einem gewissen Alter weiß man, Herbert Seckler was man will und braucht – und tut auch nur noch das. Kultwirt vom Wenn ich also dem Weißbiertrinker mit einem Glas kalifornischen Cabernet Sauvignon Sylter „Sansibar“ zuproste, dann tue ich das aus tiefstem Verständnis. Mein Favorit kommt vom Weingut „Far Niente“, was übersetzt so viel wie „nichts tun“ heißt und nach Aromen von Johannisbeeren und Brombeeren mit einer würzigen Eichennote schmeckt. Einen besseren Begleiter für den Herbst kann ich mir also kaum vorstellen – wenn auch nur als Dritten im Bunde. HERBST? DER TUT NICHTS! (Jimmy) Choos nach Maß: Farbton, Stoff oder Gravur, your choice! Z U M B E I S P I E L I N D Ü S S E L D O R F, K Ö N I G S A L L E E 2 8 Walk of Gaultier PETER LINDBERGH Zu selten sieht man sie in freier Wildbahn, die Kreationen von Modedesigner Jean Paul Gaultier. Schon in Paris war daher die Ausstellung „From Sidewalk To Catwalk“ sehr nachgefragt. Bis zum 14. Februar gastiert die multimediale Inszenierung nun in der Kunsthalle München und zeigt das breite Spektrum seiner Fantasie. Geht es um Mode gegen alle Konventionen, war Gaultier doch die erste Wahl für Madonna, Luc Besson oder Cindy Sherman. NEUE BÜHNE FÜR TIM LABENDA MASSIMO RODARI Mit seinen klaren Entwürfen hat der 29-Jährige bereits in der TV-Sendung „Fashion Hero“ (2013) auf sich aufmerksam gemacht. Dann machte der Designer auch während des von der Vogue initiierten Berliner Modesalon von sich reden. Nun hat Hessnatur den ausgebildeten Herrenschneider verpflichtet, sich um die Herrenkollektionen des Öko-Labels zu kümmern. Gute Wahl! Er gilt als einer der talentiertesten Designer der Stunde. Der in Mailand ansässige Arbesser, 33, wird am 25. September während der Mailänder Modewoche seine erste Kollektion für „Iceberg“ zeigen. Auch die eigene Linie „Arthur Arbesser“ wird der Österreicher erstmalig mit einer Show am 28. September präsentieren. Chapeau! MARKUS JANS GUT. BESSER. ARTHUR ARBESSER MODE IM PARKHAUS Alex Eagle Kreativdirektorin von „The Store x Soho House“ in Berlin und Besitzerin von „Alex Eagle“ in London 36 In London ist in diesem Herbst einiges in Bewegung. Die Fashion Week zieht um. Ab September findet die Veranstaltung erstmalig im „Brewer Street Car Park“ in Soho statt. Alle sind sehr aufgeregt, es ist ein mutiger Schritt. Der internationale Event wird sich in völlig anderen Dimensionen und in einer neuen Atmosphäre einrichten. Etablierte und Nachwuchsdesigner werden hier gleichermaßen zeigen. Ich freue mich besonders über den Schwung an frischen Designern, mit denen wir jetzt arbeiten. Marques Almeida, der Gewinner des LVMH Modepreises 2015, war bisher vor allem für seine Denim-Kollektionen bekannt. Nun arbeitet er auch mit anderen Materialien. Dann das inspirierende Label „Trager Delaney“ sowie „Keji“ von Katie Green, die nach ihrer Zeit als Stylistin beim Magazin „Love“ im Einkauf von Net-a-porter arbeitete, bevor sie ins Designfach wechselte. Spannend wird auch die Männer-Kollektion von Phoebe English. Da Mode auch vom geistigen Austausch mit Kunst, Architektur und Design profitiert, empfehle ich allen Besuchern, die Ausstellung der Bildhauerin Barbara Hepworth im Tate-Britain-Museum (bis 25. Oktober) sowie das Design-Festival im Sommerset House vom 21.–27. Oktober nicht zu verpassen. Nix zu trinken, sondern personalisierte Kaschmirschals gibt’s in der Burberry Scarf Bar ONLINE UND IN DEN BOUTIQUEN B AY S WAT E R B A G M U L B E R RY. C O M Nebenbei bemerkt, können Frauen nicht so gut malen. Findet zumindest Herr Baselitz, der damit bei meinen malenden Kolleginnen Wutausbrüche gegenüber dem Machismus in der Kunst und natürlich auch Selbstzweifel erzeugte, denn man ist schließlich Frau. Ich bin mir sicher, Herr Baselitz hat das damals in jenem Interview ganz nebenbei gesagt. Ich finde, dass das so nicht stimmt. Allerdings, es stimmt, von den Wenigen, die sich auf dem zeitgenössischen Kunstmarkt in den oberen Rängen tummeln, sind noch weniger nebenbei Frau. Nebenbei kann man eben nicht berühmt werden. Nebenher Künstlerin sein, endet oft als Aquarell in der Praxis des Ehemannes. Paula Modersohn-Becker, von Herrn Baselitz zumindest lobend erwähnt, war nur ein kurzes Malerinnenleben vergönnt. Sie starb nach der Geburt ihrer Tochter. Und ich glaube, hier ist die Antwort auf die Frage: Warum ist das so? Warum gibt es vergleichbar wenige (bekannte, teure, hoch gehandelte) berühmte Frauen in der Kunst? Man kann vieles nebenbei machen, das weiß ich, denn während ich heute früh Florentine Joop meinen Kindern das Frühllustratorin stück machte, nebenher die und Autorin Küche aufräumte, die Post in Berlin sortierte, meine Mails checkte, die Kinder zum Kindergarten brachte, nebenbei noch ein paar wichtige Erzieher-Eltern-Gespräche führte, mich einer Freundin widmete, der es schlecht ging, nebenbei meine Termine checkte, nebenbei einkaufen ging, die Hunde Gassi führte und nebenbei mir ein neues Thema für meine Kolumne erdachte, neben dem, dass mein Vater mich anrief, weil ich auch noch Tochter bin, und Schwester und Partnerin, denn meine Beziehung ist mir wichtig, nebenbei fiel mir auf, dass ich keine Malerin sein werde. Vieles werde ich nicht mehr sein, weil ich mich entschieden habe, vieles andere zu sein. Paula Modersohn-Becker wusste es ganz genau, wenn sie Mutter wird, wird sie keine Malerin mehr sein können. Sie hatte einige Jahre quasi gegen diese Erkenntnis angemalt, in dem sicheren Wis- Vorfreude: Inspiriert von Jil Sanders J+ Linie entwirft nun Christoph Lemaire (ehemaliger Hermès-Designer) für den japanischen Modekonzern Uniqlo eine Kollektion. A B A N FA N G O O T O B E R E T WA I N D E R B E R L I N E R F I L L I A L E ( TAU E N T Z I E N 7 ) 38 UND SONST NOCH FÜR WIESN-PÜPPIS: Zum Oktoberfest gibt es von Lili Radu zwei exklusive Saddlebags. Schmankerl: An der Seite baumelt ein rund zehn Zentimeter großes WiesnMadl als Anhänger, über liliradu.com ——— MÄRCHENHAFT: „Die Geschichte von Mademoiselle Oiseau“ der Autorin Andrea de La Barre de Nanteuil und der Illustratorin Lovisa Burfitt hat uns bereits verzückt. Nun gibt’s Nachschub: „Mademoiselle Oiseau – Die geheimnisvollen Briefe“ (Kleine Gestalten)——— BENEFIZAUSMISTEN: Ab dem 15. September verkauft Margherita Missoni über 90 private Kleidungsstücke über die Vintageplattform Videdressing.com. Der Erlös geht an Familien aus Ghana ——— ERSTER!: Tod’s verlässt sein Terrain: Die ModeKollektionen gibt’s nun über net-aporter.com und mrporter.com ——— DIE LIEBEN KOLLEGEN: Die Modejournalisten Julia Werner und Dennis Braatz zeigen in ihrem Bildband „For the Love of Bags“ die schönsten Taschen von der Straße, fotografiert von Sandra Semburg (Te Neues) LILI RADU X SARAH BRANDNER Unter uns KLEINE GESTALTEN VERLAG FLORENTINE JOOP HOW TO ART – TEIL IV sen, dass ihr wenig Zeit vergönnt war, sich als Künstlerin zu entwickeln. Nicht Mutter werden, das war damals auch nicht drin. Männern/Künstlern/Malern ist es erlaubt, voll und ganz in ihrer Kunst aufzugehen. Das ist ein Absolutismus, den die Kunst verlangt. Und verdient. Nur völlige Hingabe führt zur Vervollkommnung. Und MANN kann eben nicht viel nebenbei machen. Nebenbei bemerkt, nachdem ich Kinder bekommen hatte, fühlte ich mich schöpferisch erfüllt. Alles, was ich danach machte, schien nur ein schnöder Abklatsch dieser wahren Kreativität zu sein. Dem Drang, mich auszudrücken, konnte ich im Alltag einer Mutter nicht mehr jederzeit nachgehen. War wohl doch nicht so wichtig gewesen. Meinen Kindern beim Laufen lernen oder Schlafen zuzusehen war wichtiger. Fazit? Erstens: Dann malen Frauen eben nicht so gut. Wo wollte man den implizierten Vergleich überhaupt ansetzen? Zweitens: Gemessen an den Möglichkeiten, malten Frauen durch die Jahrhunderte hinweg, TROTZ ALLEM und JEDEM, fantastisch! Sie malten heimlich, unter männlichen Pseudonymen, gegen die Zeit, gegen die Gesellschaft, sie malten als Frauen unvergleichlich, unvergesslich und über sich hinaus. Es gibt atemberaubende Kunst von Frauen, kostbar, meisterhaft und ewiglich. Und obendrein oftmals ganz nebenbei. FIND OUT MORE AT alsterhaus.de . kadewe.de . oberpollinger.de ESTATE OF HELMUT NEWTON / MACONOCHIE PHOTOGRAPHY /VICTORIA AND ALBERT MUSEUM Geht doch! Nach dem langen heißen Sommer, in dem eigentlich jedes Kleidungsstück zu viel war, versprechen die dicken, weiten Kaschmirpullover und Ponchos, die weichen Wildlederhosen und die Bouclémäntel in den Auslagen einen entspannten Herbst mit Temperaturen, die wieder Lust machen auf Mode. Cowboystiefel aus feinstem Leder mit Fransen, Farben wie Muscheln und Maronen, Oliven und Offwhite und das immerschöne Schwarz an Schwarz mit Schwarz, Kombinationen mit viel fließender Seide und ganz viel Trachtiges. Eigentlich braucht man jetzt alles neu! Wer will sich in einer so schwebend schönen Erwartung eigentlich mit der nicht so glamourösen anderen Seite der Mode beschäftigen? Bekannt ist, dass eine Jeans in ihrem Lebenszyklus mehr als 64.000 Kilometer zurückgelegt hat: Im Anbauland, zum Beispiel Indien, wird die Baumwolle geerntet, in der Türkei zu Garn versponnen, in Taiwan zu Jeansstoff verarbeitet, mit einer in Polen hergestellten Indigofarbe dort eingefärbt, in Bulgarien veredelt, in China mit Knöpfen aus Italien und Futterstoff aus der Schweiz zusammengenäht und in Deutschland Dr. Maria mit dem Label „Made in Germany“ versehen. Die später entsorgte Schneider Jeans wird in den Niederlanden sortiert und gelangt dann per Schiff Kreativdirektorin der Autostadt nach Afrika. Ein wahrhaft internationales Kleidungsstück! Über die in Wolfsburg Klimafolgen der langen Wege, des Einsatzes von Chemikalien und Pestiziden, dem Verbrauch von 8000 Litern Wasser pro Jeans und dem Sterben der Flüsse in der Nähe der Färbereien ist viel geschrieben worden. Die schlechten Arbeitsbedingungen an allen Stationen der Produktion, insbesondere für Frauen, sind bekannt und in Afrika ist der Segen der Secondhand-Kleidung umstritten, da sie die heimische Produktion gefährdet. Überflüssig zu erwähnen, dass nur ein Prozent des Jeanspreises als Lohn in den Herkunftsländern bleibt. Natürlich gibt es auch Unternehmen, die auf fairen Handel setzen, aber ohne einheitliche Zertifizierung in den unterschiedlichen Ländern bleiben die Maßnahmen unübersichtlich. Stella McCartney verzichtete stets auf Leder und Fell und setzte auf Imitate, mit großem Erfolg. Vegane Schuhe sind uns noch seltsam fremd und für Pelzliebhaber ist die Kunstvariante sicher keine Alternative. Aber hinsehen sollten wir und unsere Kraft als Verbraucher auch wirklich nutzen. Beim Blick in meinen Schrank war nach diesen Erkenntnissen klar: Ich brauche eigentlich keine neue Jeans. Gekauft habe ich sie trotzdem, weil die neue dann eben doch wieder anders war. 40 Wiedererkannt: Die Fassade des Londoner Paul Smith Stores als Accessoire N O. 9 G I B T E S I N V I E L E N FA R B E N U N D VA R I A N T E N „KEEPALL“ AUS DER GRAFFITIKOLLEKTION VON MARC JACOBS UND STEPHEN SPROUT FÜR LOUIS VUITTON (2001) WAS BRAUCHEN WIR? Wer in High Heels hoch hinaus will, fällt im Zweifelsfall tief. Nadja Auermann holt sich im „Vogue“Shooting Hilfe von Bodyguards und Krücken. Dabei noch gut auszusehen, das ist die eigentliche Sensation. Noch mehr extremes Schuhwerk zeigt die Ausstellung „Shoes: Pleasure and Pain“ im Victoria and Albert Museum. 200 Paar Schuhe aus der ganzen Welt, eines aufregender als das andere, können noch bis 31. Januar in London bestaunt werden. KLUG SHOPPEN In Zeiten zunehmenden Konsums und Tendenz zur „Fast Fashion“ kommt Qualität eine ganz neue Bedeutung zu. Trends kommen und gehen, während hochwertig verarbeitete Designerteile Bestand haben. Die Marken, die es geschafft haben, mit ihrem klassischen, überall und immer wiedererkennba- Cécile Gaulke ren Design eine andauernde Begehrlichkeit zu schaffen, haben Gründerin des meist die höchsten Wiederverkaufswerte. So ist die Nachfrage Online-Secondetwa nach Louis-Vuitton-Klassikern riesig und viele Fans schät- handshops „Rebelle“ in zen diese Teile gerade wenn sie bereits Patina angesetzt haben, Hamburg weil sie mehr Lässigkeit ausstrahlen. Marken wie Chanel, Gucci, Valentino, Prada, oder Chloé sind ebenfalls sehr wertbeständig, weil sie ihrem Stil treu bleiben und sich dabei trotzdem immer wieder neu erfinden. Und manchmal, wie zum Beispiel bei den stark limitierten Hermès-Taschen, liegt der Wiederverkaufswert sogar über dem Ladenpreis. Natürlich gibt es auch Kundinnen, die genau das nicht wollen – offensichtlich ein Label tragen. Nicht zuletzt auch durch skandinavische Designeinflüsse zeichnet sich ein klarer Trend ab: Understatement und schlichte Schnitte sind in immer mehr Kollektionen zu finden. So oder so gilt: Die stilbewusste Kundin, die ihre Garderobe mit Bedacht wählt, zahlt nicht nur für einen Markennamen, sondern vor allem für die Qualität, für die die Marke steht. OH, LOOK! UNSERE ICONA ZEIGT IHRE AKTUELLEN LIEBLINGSTRENDS ILLUSTRATIONEN: JAMES DIGNAN (JAMESDIGNAN.COM) DISCO FIEBER! + Ein echtes Evergreen für Partygirls: Top von Marni über matchesfashion.com + + s g e h t m it L o o k ? A ll e ru o la ri n s m la G a ls !“ v o n C s oder ti e y n e e y ss e E k e o h Sm e „T a tt e n p a le tt d e r L id sc h Smile! „Cross“und „Ruby Crescent“Ringe aus der „Visage“-Reihe von Ruifier V wie: vollkommen over the top. Und deshalb perfekt für ein DiscoStyling. Ohrringe von Versace High on Absinth! Die „Wormwood Absinthium Cream“ von Prospector Co. gibt’s über niche-men.de + Die figurbetonte „Levi’s 715“-Jeans setzt Tanzbeine in Szene + + Golden Girl: Icona liebt ihre Fendi-Clutch von stylebop.com = 5.067 € Heiße Sohlen fürs Parkett: Pailletten-Booties von Roger Vivier BRAVES MÄDCHEN? + + + Von wegen zurückhaltend: Die Ohrringe sind von Dolce&Gabbana Icona bleibt Versuchungen gegenüber standhaft in Stiefeln von Proenza Schouler über net-aporter.com 42 + + Birgt nicht nur Platz für die Bibel. Die „B14 Bag“ von Coccinelle + Gar nicht so unschuldige New Yorker Geschichten von Dorothy Parker (Kein & Aber) Verführerisch: Lippenstift „Rouge Coco“ im Farbton „Etienne“ von Chanel Oh my god! Bei dem Valentino-Kleid von mytheresa.de wurde Icona dann doch schwach = 5.525 € ZUSAMMENGESTELLT VON MIRA WIESINGER Sündhaft schön! Die goldene Kette mit Kreuz in Diamantpavé ist von Cada Duftet verboten gut: Parfum „Velvet Orchid“ von Tom Ford 44 Chanel Victoria Beckham Bottega Veneta Giles Louis Vuitton GETTY IMAGES (9); WIRE IMAGE (3); MONTAGE: ICON; ZUSAMMENGESTELLT VON MIRA WIESINGER Christian Dior Jil Sander Céline Emilio Pucci Giambattista Valli Dolce & Gabbana Moschino Valentino Tod’s Kontrastprogramm MUSTER Der so genannten „Schwarzweißmalerei“ haftet im Sprachgebrauch nichts Gutes an. In der Mode jedoch gilt es nun auf Grauzonen zu verzichten. Schönste Ensembles im schwarzweißen Mustermix diesel.com hashtag hashtag hashtag hashtag Uni ist jetzt Uniform Oscar de la Renta MONOCHROM Anders als beim „Colour Blocking“ werden in dieser Saison kräftige Farben nicht Tibi untereinander kombiniert. Stattdessen trägt man sie von Kopf bis Fuß. Für den perfekten „Monochrom-Look“ gilt es, auch Accessoires in Prada 46 GETTY IMAGES (9); ARMANI (1); WIRE IMAGE (1); MONTAGE: ICON; ZUSAMMENGESTELLT VON MIRA WIESINGER Hermès Max Mara Blugirl Boss Woman Versace Emporio Armani Cedric Charlier Miu Miu derselben Nuance zu wählen B E R L I N BY HERRENDORF LIETZENBURGER STRASSE 99 10707 BERLIN T. +49 (0)30 755 4204 56 [email protected] AGENTEN DEUTSCHLAND: PLZ 0/1/2/3/4/5 HANDELSAGENTUR STOLLENWERK T. 0221 2828259 - [email protected] PLZ 6/7/8/9 HANDELSAGENTUR RIEXINGER T. 07121 325953 - [email protected] INDIVIDUELLE EINRICHTUNGSBERATUNG SITZSYSTEM COLLAR | DESIGN RODOLFO DORDONI CREATE YOUR OWN DESIGN EXPERIENCE AT MINOTTI.COM D ass Alessandro Michele mit seinen schulterlangen, schwarzen Haaren, dem Vollbart und den freundlichen Augen aussieht, wie wir uns gern Jesus vorstellen, hat wahrscheinlich keine Rolle gespielt bei seiner Ernennung zum neuen Chefdesigner von Gucci. Gleichwohl lässt sich ohne übertriebenes Pathos feststellen, dass er für das italienische Modehaus zu einer Art Messias geworden ist. Gerade mal ein Dreivierteljahr im Amt, hat der Italiener, der bis dahin immer nur hinter den Kulissen (seit 2002 bei Gucci) kreativ war, die Milliarden-Umsatzmarke völlig neu positioniert. Mit ihm und auch dem neuen CEO Marco Bizzar- Erst risk, jetzt fun Als Gucci Alessandro Michele zum neuen Designer ausrief, war die Szene irritiert. Ein Nobody für eine so wertvolle Marke? Von Nobody kann allerdings keine Rede sein, hat Inga Griese beobachtet 48 ri, der schon bei Bottega Veneta einen Top-Job in dieser Position gemacht hat und zum Erstaunen der Szene, den unbekannten Michele verpflichtete, ist nicht nur ein Spitzenpersonalwechsel zu verzeichnen – eine neue Ära hat begonnen. Beziehungsweise knüpft Gucci wieder an die großen Zeiten an. Die Lässigkeit ist zurück. Nicht so sexy wie unter Tom Ford, sein Hedonismus der 90er-Jahre ist nicht zu kopieren: Wer es versucht, endet als Kim Kardashian. Guccis zeitgemäße Lässigkeit und Respekt vor Individualität ist in den Kollektionen zu erkennen, aber vor allem im Auftreten. Im Gegensatz zu den spröden Vorgängern sind Bizzarri wie Michele nahbare Leute. Auf Entourage-Gedöns können sie offenbar verzichten. Ziemlich abrupt hatte Anfang des Jahres das Arbeitsverhältnis zwischen der Kering-Gruppe und der damaligen Chefdesignerin Frida Giannini geendet – und ihr Mann, CEO Patrizio di Marco, ging gleich mit. Die Kunden waren offenbar gelangweilt, die Zahlen straften das Selbstverständnis ab. Gerade mal fünf Tage blieben Michele nach seiner Verpflichtung, um sich auf den ersten Auftritt vorzubereiten und die Männer-Kollektion auf eine neue Vision zu trimmen. Nun hat er zwar einen Riesenapparat zur Verfügung, 70 Designer arbeiten in seinem Team, aber auch dieses musste ja mal eben völlig umkonditioniert werden. Michele, der romantische Exzentriker, schleppte die schönsten Teile seiner privaten Vintage-Sammlung und alte Möbelstoffe heran, um den Spirit zu befeuern. In seinem Verständnis ist Gucci kein „Fashion-Brand“. Er will vielmehr einer Schönheit nachspüren, die sich aus dem Charme einer so alten, traditionsreichen Marke speist und daraus ein neues Bild gestalten, nicht nur eine Kollektion. Hatten dann die ersten Auftritte im Frühjahr bei der Prêt-à-porter in Mailand (Jungs in Schluppenblusen? Die Mädchen blass und in unprätentiösem Hippie-Look?) noch eine gewisse Ratlosigkeit hinterlassen, was der 42jährige Römer mit dem großen Erbe anfangen würde, wurde mit der für eine Marke so wichtigen Cruise Collection im Juni deutlich, wohin die Reise gehen soll. Eine Garage, wenige Meter hinter der Galerie von Ellsworth Kelly in der 22. Straße, dick ausgelegt mit Orientteppichen, darauf einzelne Stühle wie sonst nur bei der Haute Couture, bezogen mit einem Porzellanmuster, das später als Kleid wieder auftauchen würde. Auf den Plätzen handgeschriebene Namensschilder. Jeder für sich, das ist eines der Schlüsselwörter jetzt. Prominenz war da, aber es gab nicht diesen dramatischen Starauftritt, der der Mode seit einiger Zeit die Aufmerksamkeit stiehlt. Die Models ein Panoptikum an Typen, junge Frauen und Männer, wie eine Persiflage auf gängige Schönheitsideale. Das Wort formell existiert nicht mehr in der modernen Welt. GirlieKleider, Pelzmäntel, Boheme-Roben, Spitze, Glitzerstoffe, Unisex-Anzüge. Individualität, Haltung. Das schwere Wort Eklektizismus. Das sind die Codes der neuen Lässigkeit. Nach der Show waren die Gäste über die Straße gezogen, in einen Raum mit Industriecharme, der als Umkleide gedient hatte. Nun mischte man sich dort, die Mitarbeiter, die Models, der Chef, der Designer – alles war zu besichtigen, anzusprechen, anzufassen. Michele trägt bevorzugt T-Shirt, Jeans, Brogues ohne Strümpfe, jede Menge Ringe und Armbänder (wie nun auch seine Kunden). „Ich liebe Schmuck. Er ist so persönlich.“ Darum geht es, genau dieses Gefühl. Der Messias hat kein religiöses Dogma, seine Freude an dem Job ist spürbar und sichtbar. Und die Freiheit, die CEO Bizzarri ihm gibt, reicht er an die Kunden weiter. KEVIN TACHMANN; GETTY IMAGES (4); MONTAGE: ICON DIE NEUEN WILDEN Mehr Chaos, bitte! Jörg Ehrlich und Otto Drögsler sind die Designer des erfolgreichen Labels Odeeh aus Giebelstadt. Ihr Fokus lag stets auf Einzelteilen. Ein Konzept, das in der Branche nun GETTY IMAGES (2) generell für neue Impulse sorgt ESSAY N 50 Neulich, im Gucci-Flagshipstore in Mailand: Auf wenigen Kleiderstangen aufgereiht, war genau das zu erleben, worüber wir beide schon länger diskutieren. Da hing die letzte Kollektion von Frida Giannini, der ehemaligen Kreativdirektorin der Marke, neben den Entwürfen des neuen Kreativdirektors, Alessandro Michele. Beides schaute aus wie Gucci, aber dennoch komplett anders. Fridas Look war poliert, posh, konzeptionell, aufgeräumt. Alessandros Interpretation war viel freier und setzte auf die Wirkung des Einzelteils. Auf den ersten Blick wirkte seine Idee fast chaotisch, die spannende Stringenz offenbarte sich erst bei näherer Betrachtung. Die Botschaft war jedoch deutlich: „Kauf dir ein Teil und stell damit an, was du willst. Mach es zu deinem Teil!“ Für uns ist die Arbeit von Alessandro wie eine Zäsur, vergleichbar mit dem Moment, als Tom Ford auf der Bühne erschien, wobei der natürlich für einen ganz anderen Spirit stand. Aber dieses Gefühl, dass jetzt etwas Neues losgeht, das ist dasselbe. Anna Wintour sagte Anfang des Jahres: „Trend is a dirty word.“ Das ist gewissermaßen die Konsequenz aus dieser Bewegung vom eher konzeptionellen Ansatz zum Fokus auf Einzelteile, Individualität und Vielschichtigkeit. Uns persönlich gefällt das, weil wir mit Odeeh von jeher diesen Ansatz verfolgen. Es ist jedoch noch nicht lange her, da war man mit dieser Vorstellung etwas einsamer. Die Botschaft „Sei individuell“ ist zwar nicht neu und wurde auch stetig von spannenden Medien propagiert. Dem steht jedoch ein Kollektionsverständnis vieler Marken gegenüber, das diese Losung nicht spiegelte. Da wurde wieder und wieder ein Farbthema oder eine Stimmung durchgezogen, vieles hat einen uniformen Unterton. Hat man fünf Looks gesehen, kennt man schon den Rest. Doch jetzt bewegt sich was. Design tritt wieder mehr in den Vordergrund, eine Zeit lang hatte man sich doch sehr in diese sterilen Konzeptwelten verabschiedet. Marc Jacobs für Louis Vuitton briefte sein Designteam wahrscheinlich mit Collagen. Bei Nicolas Ghesquière hat man jetzt den Eindruck, er setzt sich Stück für Stück mit seiner Arbeit auseinander: Erst ein Teil, dann das nächste, das vordergründig nichts mit dem vorangehenden zu tun hat, und dann das dritte Teil, das wieder einen völlig anderen Aspekt aufzeigt. Auch das ergibt am Ende einen Look, aber der ist viel moderner. Hier lebt die Eklektik! Wären diese Art von Kollektionen Bücher, so müsste man sagen, dass die Tendenz endlich wieder zu vielschichtigeren Geschichten geht, mit überraschenden Wendungen und unerwarteten Brüchen. Wir haben vor Odeeh jahrelang in der Industrie gearbeitet, und wenn wir da zum Beispiel sechs verschiedene Blautöne in einer Saison machen wollten, hieß es: „Das geht nicht, das kann man nicht zusammen irgendwo hinhängen.“ Heute erlauben wir uns den Luxus nicht einen, sondern zwanzig Drucke zu machen, wenn wir Lust darauf haben. Oder eben gar keinen, wenn wir es eher uni wollen. Man beschäftigt sich wieder viel mit dem Produkt und nicht nur mit der Frage: Wie mache ich eine Kampagne daraus? Wobei wir den Eindruck haben, dass auch Kampagnen der großen Häuser im positiven Sinne eckiger werden. In einer Zeit, wo auf einmal Schluppenblusen für Männer, Transgenderkampagnen von Highstreet-Konzernen oder Unisex-Abteilungen in Kaufhäusern ein Thema sind, wirkt vieles eben doch leicht alt und etabliert. Die Kunden sind auch immer informierter – und extrem begeistert sind wir von besonders kompetenten Einkäufern: Je einzelteiliger und fragmentierter jemand ordert, desto mehr kennt der oder diejenige sich in der Regel aus. Jemand, der kommt und nur sagt: „Ich kaufe das Thema, wie es da hängt“, macht sich sehr abhängig. Jemand, der auch weiß, wie man eine Kollektion mit anderen spannend kombiniert, der ist nicht nur für die Labels, sondern auch für Kunden heute interessanter als jemand, der sagt: Ich fülle wie immer 3,5 Meter mit Label X. Auch der Luxusbegriff wandelt sich. Samstags Shoppen gehen, Champagner trinken und sich dann ein Louis-Vuitton-Täschchen kaufen – wir wollen niemandem diese Vorstellung absprechen, aber der neue Luxus hat eher etwas mit beschränkter Verfügbarkeit zu tun, mit Besonderem, das es vielleicht nur an diesem Ort oder in jenem Laden gibt, mit Individualität. Natürlich definiert sich Luxus auch über Qualität, aber nicht in dem Sinne, dass alles aus Seide oder Kaschmir sein muss. Es gibt auch luxuriöse Shetlandwolle-Qualitäten, und die kratzen halt. Wir finden, das ist der spannendere Wohlstand. Vor fünf Jahren haben wir uns ganz bewusst entschieden, dass wir nicht mehr innerhalb einer Struktur arbeiten wollen, in der alles durchorganisiert ist und ständig optimiert werden muss. Man muss vermeintlichen Fakten auch mal infrage stellen: Was ist sinnvoll, was nur stumpfe Planwirtschaft? Wir fordern: Mehr Chaos, bitte! Denn das ist der beste Nährboden für wirkliche Kreativität. Unter Kollegen besprechen wir uns oft: Wie gehst du mit der Schnelligkeit um? Wie schafft man das alles überhaupt? Wir finden es so wichtig wie Einzelteile, sich Momente zu gönnen, die nicht organisierbar sind. Unschuldige Sekunden im Alltag. Irgendwo auf einer Bank zu sitzen ist oft inspirierender, mindestens aber so wichtig wie die nächste Stoffmesse. Man muss sich die Muße nehmen und sich Entschleunigung leisten, wie eine Art Mantra: Ich sitze hier jetzt einfach nur rum. Vieles folgt dann von ganz allein. Aufgezeichnet von Heike Blümner FLANIEREN MIT HERMÈS FLANIEREN MIT HERMÈS FLANIEREN MIT HERMÈS Informationen unter: Tel. 089/55 21 53-0 Hermes.com Schön speziell: Rechts zwei Looks für diesen Herbst, links aus der Resort-Kollektion 2016. Und in der Mitte? Erdem höchstpersönlich MARTIN PARR/MAGNUM PHOTOS/AGENTUR FOCUS (1) R omantiker müssten es eigentlich schwer haben in der Modewelt. Margen, Umsatzzahlen, Meetings, all diese Dinge holen jeden Träumer ruckzuck auf den Boden der Tatsachen zurück. Doch wer andere zum Träumen bringen will, und darum geht es in der Mode schließlich auch, sollte selbst dazu fähig sein – zumindest ein bisschen. Und mit Sicherheit lässt sich Erdem Moralioğlus Erfolg zu einem großen Teil darauf zurückführen, dass er es so gut versteht, mit seiner Fantasie immer wieder auf Reisen zu gehen, dass er wie ein Filmregisseur aus diesen Gedanken Geschichten strickt, die er dann mit Kleidern erzählt. Am liebsten ist der Designer dafür allein in seinem Studio in Shoreditch, wo er „zeichnet, zeichnet, zeichnet“. Schon als Kind konnte er „nur gut spielen, wenn ich die einzige Person im Raum war und vollständig in meinen Gedanken versank“, sagt der Modemann britisch-türkischer Herkunft, der in Kanada aufgewachsen ist und heute in London lebt; die meisten sprechen ihn nur mit seinem Vornamen an. Vom Eremitendasein ist der 38-Jährige jedoch weit entfernt. Immerhin hat er ein Unternehmen und ein Team zu leiten. Und er würde dieses Jahr nicht das zehnte Jubiläum seines Labels Erdem sowie die Eröffnung eines ersten eigenen Stores im feinen Londoner Mayfair-Viertel feiern, wenn er es nicht verstanden hätte, seine Fantasie in begehrenswerte und zeitgemäße Mode zu übersetzen. 170 Stores weltweit führen seine Kollektionen. Frauen wie Keira Knightley, Michelle Obama und Emma Watson tragen seine Kleider, die mühelos Preise von fast 4000 Euro erreichen. Und was für Kleider das sind: Erdem entwirft die schönsten Modelle, die die überaus lebendige Modeszene der britischen Hauptstadt derzeit zu bieten hat. Ob er viele kleine ver- schiedenfarbige Tüllblüten so aneinanderknüpft, dass sie ein verfremdetes CamouflageMuster bilden, schimmernde Jacquards zu luxuriösen Patchworks verarbeitet oder einen Latex-Trench mit Blumen bedruckt – seine romantische Ader spürt man in jedem Detail. Doch schöne Oberflächen werden erst so richtig interessant, wenn man an ihnen kratzt. „Ich liebe die Filme von Visconti und Hitchcock. Alles darin ist wunderschön, aber man spürt sofort, gleich passiert etwas Schlimmes. Diese Spannung liebe ich“, sagt er. Die Jacquards sind zerfranst, die Blumenstickereien aufgeraut. Solche Kontraste machen den Reiz seiner Mode aus, die Erdem auch deswegen als „britisch“ bezeichnet, weil sie einerseits sehr keusch daherkommt und dann doch an unerwarteter Stelle Haut entblößt. „Meine Mutter war Engländerin und hat sich ihr Leben lang nach ihrer Heimat gesehnt. Die einzigen englischen Filme, die in Kanada im Fernsehen liefen, waren sehr sentimentale, prächtige Kostümfilme. Als Kind war ich also immer dieser romantischen Vorstellung von England ausgesetzt“, sagt Erdem schmunzelnd. „Auch wenn wir unsere britischen Verwandten in einem Apartment in Birmingham besucht haben, nicht in einem Landhaus.“ Das hat es auch nicht gebraucht. Erdems Mutter, die wie sein türkischer Vater inzwischen verstorben ist, las ihren zwei Kindern Texte über Manet vor, und die Puppen seiner Zwillingsschwester Sarah dienten ihm als Mannequins für seine ersten selbst genähten Kleider. Der Weg in die Modebranche stand bald fest, und nach einem ersten Designstudium in Toronto zog es Erdem nach London ans Royal College of Art. 2005 gründete er sein Label, ein Jahr später stellte er seine erste Show auf die Beine. „Die Schuhe habe ich mit Sprühfarbe eingefärbt, weil ich kein Geld hatte“, erinnert er sich. Seit dieser ersten Show hat ihn der British Fashion Council mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Statt eingesprühter Schuhe sah man auf seiner Show für diesen Herbst Models, die durch eine aufwendige Apartment-Kulisse aus Retromöbeln und 40er-Jahre-Tapeten schritten. Und nun das erste eigene Geschäft, für dessen Design Erdems langjähriger Partner, der Architekt Philip Joseph, verantwortlich zeichnet. LONDON RULES Blühende Fantasie Als Kind träumte sich Erdem Moralioğlu durch den Tag. Ein Glück! Seinen Gedankenspielen haben Frauen die schönsten Kleider der Londoner Modeszene zu verdanken Viel hat sich verändert, doch Erdem sagt, er lerne jeden Tag dazu. Die dickrahmige Brille, das schüchterne Lächeln, die jungenhafte Bescheidenheit: alles Posen? No way! „Was ich am meisten an Menschen liebe, ist Humor. Die Fähigkeit, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen, weiterzumachen und glücklich zu sein, wissen Sie?“ Dass jemand in dieser ständig um sich selbst kreisenden Branche solche Sätze sagt, macht Erdem schon zu etwas Besonderem. Er selbst sagt, er wolle sich den Tag nicht vorstellen, an dem er alles verstanden habe: Silvia Ihring „Fürchterlich langweilig!“ 55 mit ette ard rts“-K op y Hea t von Ch Happ is Die „ ttdetails u Pe r l m 56 icolo r -S a utoir aus der „Am Ke SCHMUCK tt e n r e ak Das Sautoir „Rhythmus by Kim“ aus Roségold ist von Wempe ulett e“-K “ au von asha tion e „S ollek Ke t t Cart s Ro Schm „Flo etterlin ra“-K g ollek skette a u tion von s der Guc ci d ’O r “ e „ F il e t t t e K e p e lr e ih ig mès D ie d o p o ld is t v o n H e r ég aus Ros Mult Die ier ségo ld is ZUSAMMENGESTELLT VON MIRA WIESINGER t vo n Fa berg é la n g e n e n d li c h u e h a in e D ie b n Tif fa n y tt e is t v o e K “y it n „I n fi „Lo vel y Dai sy“ -Ko llek tion von Wickelkette „Dew Drops & Lotus“ von Ole Lynggaard Ket te aus Ge lbg old aus der Das Sautoir „Lacrima“ mit Rosaquarz ist von Bucherer n o ti Es kommt eben doch auf die Länge an! Das sogenannte Sautoir, die Halskette, die über kurz oder lang getragen wird, feiert ein großes Comeback Fop e F A L K E · P.O.BOX 11 09 - D-57376 SCHMALLENBERG / GERMANY · FALKE Energizing Cotton Mix, FALKE Energizing Wool, FALKE Ultra Energizing LIFE PERFORMANCE SOLUTIONS ENERGIZING ULTRA ENERGIZING Stimulierung der äußeren Blutbahnen Tiefenwirksame Stimulierung der inneren und äußeren Blutbahnen FEEL THE 24 HOUR ENERGIZING EFFECT K eypiece Den einen Trend gibt es längst nicht mehr. Nichts ist unmöglich. Alles geht. Gleichwohl hat jeder Designer eine Art Leitmotiv, ein Keypiece, in seiner Kollektion. Also baten wir unsere Stylistin Nadia Rath, aus dem üppigen Angebot dieser Saison die angesagten Looks zusammenzumixen. Und wo ließe sich das besser realisieren als in New York? FOTOGRAF: TAKAHIRO OGAWA C/O FACTORY DOWNTOWN; STYLING: NADIA RATH C/O FACTORY DOWNTOWN; MODEL: DOROTA KULLOVA C/O M4 MODELS; HAARE: FELIX FISCHER C/O FACTORY DOWNTOWN, MIT PRODUKTEN VON MATRIX STYLELINK; MAKE-UP: GLENN MARZIALI C/O FACTORY DOWNTOWN; PRODUKTION: BEATRICE BARKHOLZ C/O ISABEL SCHARENBERG CREATIVE MANAGEMENT LLC; FOTOASSISTENTEN: NIGEL HO SAND & YU HSING LIN; STYLING-ASSISTENTIN: JANELLE OLSEN SEVENTIES-GO-EIGHTIES-LOOK: MANTEL IN MAXILÄNGE MIT GEKNOTETER RÜSCHENBLUSE ALS PARADEBEISPIEL FÜR DIESEN TREND. BUNT WIRD ES DURCH PELZBESATZ IN KNALLFARBE AM ÄRMEL DES PLISSEEKLEIDS LANGER TRENCHCOAT UND BLÜTE MIT FEDERN: DRIES VAN NOTEN. BLUSE MIT RÜSCHENPASSE: MIU MIU. PLISSEEKLEID MIT ROSA PELZVERBRÄMUNG: GUCCI. OVERKNEE-STIEFEL ZUM SCHNÜREN IN BLAUMETALLIC: SANTONI VIELSCHICHTIG: KLEID MIT SCHLITZEN, IN DIESER SAISON UNBEDINGT ÜBER DIE HOSE ZIEHEN, MIT BODENLANGEM ROCK AUS LEDER SMOKING-HOSE UND -JACKE ALS KRAGEN DRAPIERT: BOSS. LANGES KLEID IM SMOKINGSTIL MIT TIEFEM AUSSCHNITT UND HOHEM SCHLITZ: RALPH LAUREN. LEDERROCK MIT HOHEM SCHLITZ: BARBARA BUI. TASCHE: CHANEL LINKE SEITE: ANDROGYN: OVERSIZED HOSENANZUG MIT LAGIGEM, KURZ GESCHNITTENEM TOP. DAZU SCHNÜRSCHUHE MIT ANGEDEUTETER METALLKAPPE ALS SPITZE JACKE, HOSE UND BUSTIERTOP: STELLA MCCARTNEY. GRAUER ROLLI MIT TRANSPARENTEM EINSATZ: AKRIS. CREMEFARBENER RIPPENSTRICK-ROLLI: HERMÈS. SCHNÜRSCHUHE MIT METALLSPITZE: BARBARA BUI 61 FOLKLORE: ÜPPIG VERZIERTE KLEIDER, JE AUFFÄLLIGER, DESTO BESSER. DIESEN WINTER AM BESTEN MIT MARY JANES ODER PEEPTOES BESTICKTES KLEID: VALENTINO. HOSE: BOTTEGA VENETA. MARY-JANE-SCHUHE: JIL SANDER. ROLLKRAGEN-LÄTZCHEN: DEREK LAM LINKE SEITE: MOD-STYLE: SIXTIES-TWEED-KLEID MIT MONGOLISCHEM PELZMANTEL, DER DEN FELLÄRMEL-TREND AUFGREIFT; DAZU EINE BESTICKTE CLUTCH TWEED-KLEID MIT SCHLEIFEN UND BROSCHE: PRADA. PELZMANTEL MIT WEISSEN STICKEREIEN: CHANEL. LACK-CLUTCH, BESETZT MIT PAILLETTEN UND PERLEN: GIORGIO ARMANI 63 ZWANZIGER JAHRE: PATCHWORK-KLEID: KENZO. RECHTE SEITE: NERD-STYLE DE LUXE: WICKELWESTE UND CULOTTE-HOSE IN 7/8-LÄNGE. DAZU LOAFER MIT GUMMISOHLE WESTE MIT GÜRTEL: JIL SANDER. BLUSE MIT STEHKRAGEN: DSQUARED2. TASCHE AUS LAMMFELL: MULBERRY. RING: POMELLATO. LOAFER: PRADA 65 70S FOREVER : DER PONCHO MIT FRANSEN ZUM PATCHWORKTOP UND GRAFISCHEM PULLI IN KNALLFARBEN. HIGHLIGHT: PATCHWORK-OVERKNEE-STIEFEL AUS WILDLEDER PONCHO UND PATCHWORK-OVERKNEE-BOOTS: BURBERRY. PULLOVER: BOTTEGA VENETA. BESTICKTES LONGSLEEVE TOP: ETRO. HOSE MIT JACQUARDMUSTER: DIESEL BLACK/GOLD. LINKE SEITE: GOTHIC GLAM: PLATEAUSTIEFEL TREFFEN AUF MATERIALMIX: DER OBERE TEIL IST AUS LEDER, DER UNTERE AUS CHENILLE LANGE FELLWESTE: BRUNELLO CUCINELLI. KLEID MIT LEDERTOP UND -ÄRMELN: CALVIN KLEIN. PLATEAUSTIEFEL AUS SAMT MIT PASSENDEN, NIETENBESETZTEN SOCKEN: ALEXANDER WANG 67 FUTURISMUS: KLEID UND STIEFEL AUS GLÄNZENDEM BROKAT UMHANG IN CAMEL: PORSCHE DESIGN. UMHANG AUS SAMT: SONIA RYKIEL. JACQUARD-KLEID MIT PERLENSTICKEREIEN: ALICE & OLIVIA. KETTE: TORY BURCH. JACQUARD-STIEFEL: SANTONI RECHTE SEITE: PATCHWORK LOOK: GRAFISCHE MUSTER AUF DEM ROCK, STREIFEN AUF DER JACKE UND IM PULLOVER ALS MIX MANTEL MIT WELLENMUSTER: CHRISTIAN DIOR. STREIFENPULLOVER: TOMMY HILFIGER. LEDERTOP MIT LANGEN ÄRMELN: SALVATORE 68 FERRAGAMO. ROLLKRAGEN: MARNI. WATTIERTER ROCK MIT STEPPUNG UND KONTRASTTASCHEN AUS LEDER: FENDI In seiner Autobiografie zeigt der Stardesigner Giorgio Armani sowohl Bilder seines Schaffens als auch private Impressionen. Viele seine Inszenierungen spiegeln Armanis Liebe zum Film Schön, stark und dabei auch so richtig mächtig: Giorgio Armani mit seinem Hund. Jetzt hat er eine Katze. BLICK ZURÜCK Mode leben Er sollte Arzt werden, wollte aber Filme machen. Zum Glück wurde Giorgio Armani dann Modedesigner und Unternehmer – und zwar einer der erfolgreichsten aller Zeiten. Jetzt, mit 81 Jahren, erzählt er in dem gleichnamigen Bildband sein Leben in Bildern und Geschichten. Und erlaubt 70 damit nicht nur einen Blick in seine Arbeit – sondern auch in seine Seele ARMANI (7); ALDO FALLAI (2); PIERO BIASION (2); CHRISTIAN MOSER; MAURIZIO PRACELLA; GIAN PAOLO BARBIERI; JACQUES OLIVAR; MARCO GLAVIANO Giorgio Armani ist durch und durch Familienmensch. Rechts ist er mit seinen Nichten Silvana und Roberta Armani zu sehen; auf dem Foto unten mit seinem verstorbenen Lebensgefährten Sergio Galeotti Klein-Giorgio ziert das Cover der Autobiografie (Mitte); Mutter Maria Armani war zu Lebzeiten eine elegante Erscheinung (links); Foto aus der Armani Eyewear-Kampagne 1990 (oben) Italienischen Chic gab es in der Familie schon, bevor Sohn Giorgio Designer wurde. Die Familie mit Schwester Rosanna beim Spaziergang und Vater Ugo bei der Zeitungslektüre (links), und mit den Kindern am Strand (rechts) E Es gibt viele Bilder, die einem reflexartig einfallen, wenn der Name Armani fällt: Der stets braun gebrannte Mann mit dem freundlichen Lächeln und den strahlenden Zähnen zum Beispiel. Szenen aus dem Film „American Gigolo“, allen voran Richard Gere im Mantel, oder elegante Frauen, nicht von dieser Welt, hingegossen in Roben, schöner noch als jede cineastische Fiktion. Doch Giorgio Armani hat kein ikonisches Foto für das Cover seiner am 29. September bei Rizzoli erscheinenden Autobiografie gewählt. Stattdessen schauen wir auf piccolo Giorgio, auf ein Baby mit offenem, wachem Blick, dem man am liebsten das pralle Bäckchen knutschen möchte. Ein properes, kleines Wunder, von dem man sich fragt: Wie wurde aus diesem Kind einer der berühmtesten und mächtigsten Designer der Welt? Dieser Frage spürt Giorgio Armani nun selbst nach. Talent muss er einfach mitbekommen haben – alles andere erarbeitete sich der junge Armani selbst. Geboren 1934 im norditalienischen Piacenza, wuchs er in einer von Entbehrung geprägten Zeit auf. Nach einem abgebrochenen Medizinstudium zog er 1957 nach Mailand und arbeitete unter anderem für Nino Cerruti. Zusammen mit seinem inzwischen verstorbenen Lebensgefährten Sergio Galeotti gründete er 1975 das Unternehmen Giorgio Armani und eroberte mit einer bis dahin nicht gekannten modernen Eleganz die Welt – und noch immer ist er führend. Für sein Buch öffnete Armani sein privates Archiv, mit Bildern aus seinem unmittelbaren Umfeld und von seiner Familie, mit der er bis heute eng verbunden ist. Als er vor einigen Jahren sehr krank wurde, päppelte ihn seine Schwester Rosanna mit Schonkost wieder auf. In filmisch anmutenden Sequenzen beschreibt der Bildband anrührend und anspruchsvoll Erinnerungen, prägende Eindrücke und die Entwicklung seines Stils. Das Geheimnis seines Erfolgs lüftet er dennoch nicht vollständig – und das ist nicht weiter verwunderlich. Eine Heike Blümner gewisse Magie kann man eben nicht erklären. 71 FATTO A MANO Andrea und Giuseppe Santoni sind in vielerlei Hinsicht ähnlich geraten. Vor allem aber teilen sie eine Vision Pappa e Ciccia Kleider machen Leute. Schuhe aber sagen einiges über ihren Charakter aus. So sieht das zumindest Familie Santoni, die nun seit 40 Jahren luxuriöse Schuhe herstellt. Mira Wiesinger hat sie in Italien besucht, Thomas Meyer fotografierte F 72 ragt man Giuseppe Santoni, wie viele Schuhe er besitzt, dann antwortet er prompt und ungeniert: „350 Paar.“ Natürlich sind es fast alles Modelle aus der Fabrik seiner Familie. Artfremd seien einzig ein paar Nike-Sneaker. „Ich mag es eben manchmal bequem“, gesteht er mit einem Gesichtsausdruck, als sei das Gesagte ein kleines bisschen unanständig. Der Chef einer der glamourösesten Schuhmarken der Welt – „diese Schuhe sind wie guter Sex mit einem wirklich schönen Mann“, urteilte einst das britische „Tatler“-Magazin – trägt heute einen dun- kelblauen, zweireihigen Blazer mit Goldknöpfen, knöchelkurze Hosen, eine Kette mit Heiligenanhänger und ein Paar dunkelblaue Lederslipper aus eigener Produktion. Er trägt sie barfuß. Als Stilmittel. Und es ist mehr als heiß zu dieser Jahreszeit in Corridonia, dem Heimatort seines Vaters Andrea. 1975 hatte dieser das Unternehmen mit seiner Frau Rosa inmitten der sanften Hügel der Marken gegründet. Wie bei vielen damals endstandenen Handwerksbetrieben kam mit der nächsten Generation die Globalisierung ins Haus. Vater Andrea, Erfinder jener speziellen, längst kopierten Poliertechnik, die dem Leder seine ikonische Patina verleiht, hatte zwar auch schon Kunden jenseits der italienischen Gren- zen, doch mit dem anglophil geschulten Sohn Giuseppe bekamen auch Begriffe wie Marketing, Expansionsstrategie, Kooperationen erfolgreiche Rollen im Betrieb. „Wenn man unsere Schuhe trägt“ – Giuseppe Santoni schaut verschwörerisch, als er fortfährt –, „dann fühlt man sich sofort eleganter.“ Darin sehe er sich bestätigt, seit der französische Designer Philippe Starck einmal zu ihm gesagt habe: „Ihre Schuhe sind Objekte der Begierde – ich würde sie am liebsten allesamt besitzen.“ Die Kunden kämen eben nicht, weil sie ein neues Paar brauchten, „sondern weil wir sie in Versuchung führen“, sagt er mit dem Selbstbewusstsein eines Geschäftsmanns, der die globalen Luxusmärkte 3 Moderne Ansichten: Das Hauptquarter von Santoni So wird ein Schuh draus: Leder kommt auf den Leisten Übung macht den Meister: Die Schule der Santonis Sie treibt’s gern bunt: Fiorella beim Färben eines Schuhs Glanzleistung: Durch 100 Händepaare geht hier ein Schuh 3 intensiv studiert hat. Der Rest sei heutzutage Voraussetzung: gute Passformen, Komfort, perfekte Verarbeitung, Topmaterialien. „Wenn du das nicht hast, kannst du gleich einpacken.“ Giuseppe Santoni, ein weit gereister Mann, der seine Familie, schnelle Autos, teure Uhren und italienische Grandezza liebt, spricht aus Erfahrung. Direkt nach dem Schulabschluss stieg er ins Familienunternehmen ein, ging schon mit 19 Jahren auf Geschäftsreise. Im Jahr 1990 sagte sein Vater: „Nun gehst du nach Japan und öffnest dort den Markt für uns.“ Als er ins Flugzeug nach Tokio stieg, war er bereits CEO der Firma – mit 23. „Er wollte, dass ich ein großer Junge werde“, sagt der Sohn beinahe ehrfürchtig. Überhaupt, wenn Giuseppe Santoni von seinem „papà“ spricht, dann immer mit viel Achtung. Er sei ein großer Visionär gewesen, als er die kleine Manufaktur aufbaute. Damals schon hätte er erkannt, dass man in Zeiten von billigen Klebschuhen aus Fernost unbedingt das Gegenteil tun muss: in Qualität investieren. „Es gibt ein italienisches Sprichwort, das besagt: Wenn du Geld sparen willst, wirst du am Ende mehr ausgeben. Man sollte sich also überlegen, wie man Dinge besser machen kann. Dann kommt das Geld von ganz allein“, sagt er. Die Zahlen geben ihm recht: 18 Prozent Wachstum konnte das Unternehmen 2014 verzeichnen – eines der wenigen, das tatsächlich zu 100 Prozent einer Familie gehört. Trotz großen Lebensstils kümmert sich Giuseppe um vieles selbst, so wie der Vater es getan hat. Und deshalb ist auch nach wie vor die gesamte Produktion von Herren-, Damen-, Kinder- und Turnschuhen unter den Dächern inzwischen dreier Werkshallen auf dem 15.000 Quadratmeter großen Gelände untergebracht. 500 Paar Hände arbeiten hier tagtäglich daran, dass aus kostbarem Kalbs-, Straußen-, Pferde-, Rochen- oder gar Krokodilleder, aus Kork, Wachsfarbe und weißen Fäden Schuhe entstehen, die nun vor allem auch Frauen um den Verstand bringen sollen. Vor zehn Jahren erst hatte man die Damenlinie etabliert, heute mache sie bereits 45 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Unter Dröhnen und Quietschen, Surren und Schnurren, Sausen und Brausen wird in der Fabrik das Leder von Hand oder mittels Laser geschnitten, werden die Einzelteile des Oberschuhs mit alten Pfaff-Maschinen zusammengenäht, bis daraus nach und nach eine bereits schuhähnliche Form entsteht. Diese wird dann meist mit einer Maschine auf einen Leisten gehämmert, auf dem sie mindestens vier Wochen verweilt, bis sie auf die Ledersohle genäht werden kann. Ein braun gebrannter Mann namens Luigi, der weiche Wildlederslipper zum roten Kittel trägt, kann es noch mit der Hand: Dafür wirft er sich eine Handvoll Nägel wie Erdnüsse in den Mund und gibt sie einzeln, einen nach dem anderen, zwischen zusammengepressten Lippen wieder frei. Diese Technik hat er mit der Zeit perfektioniert. Seit 30 Jahren arbeite er für die Santonis, mit Giuseppe ist er schon gemeinsam zur Schule gegangen, das prägt. Durchschnittlich 170 Arbeitsschritte braucht es, durch rund 100 Paar Hände geht ein Schuh, bis er fertig ist. Eines dieser Handpaare gehört zu einer Frau mit pink lackierten Fingernägeln. Sie heißt Fiorella und koloriert seit 20 Jahren Schuhe für die Familie Santoni. Es dauere etwa eine Stunde, bis ein naturfarbenes Leder eine andere Farbe angenommen hat. Etwa vier Stunden brauche ein für das Haus typischer Farbverlauf. Dafür müssen bis zu zehn Schichten Farbe mit einem Läppchen und viel Geduld aufgetragen werden. Diese Technik hat der 76-jährige Andrea selbst entwickelt. Er legt Wert darauf, dass das Wissen weitergegeben wird. Dafür hat er eine Schule eingerichtet, in der aktuell zehn junge Leute ausgebildet werden. Hier werden „Stitching“ und „Colouring“ gelehrt, aber auch das Schneiden von kostbaren Ledern will geübt sein. Vier bis fünf Jahre dauere es, bis ein Schüler das beherrscht. Und bis er weiß, wie man Hanffasern von Hand wachst, wie man sie mittels einer Spule und viel Körpereinsatz verzwirbelt, wie man sie über dem Knie rollt, bis eine robuste, wasserabweisende Schnur entsteht. Warum man sich heute solch zeitintensive Techniken überhaupt noch leisten kann? Signore Santoni Senior zieht den einen Mundwinkel nach oben und sagt: „Weil Leute, die schöne Dinge lieben, immer Geld für schöne Dinge ausgeben werden.“ Und warum springen diese Leute ausgerechnet auf die drei Worte „made in Italy“ an? Jetzt folgt der zweite Mundwinkel: „Wir sind nicht besser als andere. Aber wir haben den besseren Geschmack.“ Sein Sohn pflichtet ihm bei: „Wir sind umgeben von Schönheit, von großartiger Architektur, wundervoller Landschaft und gutem Essen – all das reflektiert sich auch in unserer Arbeit.“ Damit das so bleibt, kommt Vater Andrea immer noch jeden Tag. Morgens begrüßt er seine Mitarbeiter, überprüft dann stichprobenartig die Qualität der Schuhe, sieht in der Schule nach dem Rechten. Seit Tochter Ilenia 2012 verstarb, lässt er es jedoch ruhiger angehen. Seinen weißen Kittel, jahrelang sein Erkennungszeichen, hat er seit dem Schicksalsschlag gegen Jeans und gestreifte Hemden eingetauscht. Unverändert, ja mehr denn je teilt die Familie seitdem Freud und Leid. Wie Pech und Schwefel, „come pappa e ciccia“, wie man in Italien sagt, halten die Santonis zusammen. Und deshalb ist auch sie jeden Tag hier: eine sehr kleine Frau im rosa Kittel. „Sie mag klein aussehen“, erfahren wir von Mitarbeiterin Silvia, während sie die Fäuste ballt, „in Wirklichkeit aber ist sie eine große Frau.“ Die sehr kleine große Frau ist Giuseppes Mutter Rosa und der gute Geist der Fabrik. Aus ihrem Kittel lugt ein geblümter Saum hervor, während sie ihrer Arbeit nachgeht. Geschäftig und gut gelaunt läuft sie zwischen den Näherinnen umher – genäht wird grundsätzlich von Frauen, gehämmert und geschnitten von Männern, so will es die Tradition – , transportiert Kartons, hebt den Zeigefinger, erklärt. Die Santonis, das wissen alle hier, seien alle stets ansprechbar. Wenn man Giuseppe dann fragt, ob Schuhe etwas über den Charakter eines Menschen aussagen, antwortet er prompt und ungeniert: „Klar! Wenn ich versuche zu verstehen, wer jemand ist, dann schaue ich auf seine Schuhe. Und auf seine Uhr. Auf diese Weise weiß ich sofort, mit wem ich es zu tun habe.“ Was es aussagt, dass sein Gast heute BirkenstockSchuhe trägt? „Na, dass auch Sie es manchmal bequem mögen.“ Und da ist er wieder, dieser vielsagende Gesichtsausdruck. Da stehen Frauen buchstäblich drauf: Modelle aus der aktuellen Herbst-/Winterkollektion Die Grahams (rechts unten) gründeten das Hotel, das bald zum Inbegriff des Jetsets in der Toskana werden sollte; und die Star-Fotografen Slim Aarons, John Swope und Juergen Teller (Mitte) zeigten das Dolce Vita in einem Buch Leben auf der Sonnenseite: Die Liste der Gäste, die im „Il Pellicano“ vorbeischauten, ist zu lang, um sie hier vorzustellen. Sie ist auch gar nicht so wichtig – hier geht es nämlich darum, dass man als Mensch ins knallbunte Gesamtensemble passt JÜRGEN TELLER, HINTERGRUND: IL PELLICANO HOTEL; SLIM AARONS/HULTON ARCHIVE, JOHN SWOPE 1965 © HOTEL IL PELLICANO, DAGMAR VON TAUBE, CASS BIRD; MONTAGE: ICON In den Sixties entdeckte ein amerikanisches Paar in der Toskana eine unberührte Bucht bei Porto Ercole und baute die Villa Il Pellicano. Zum 50. Geburtstag ist die familiäre Atmosphäre des Hotels wichtiger denn je SLIM AARONS/HULTON ARCHIVE/GETTY IMAGES UNTERWEGS Wer nicht schwimmen will, kann sich auch ein Riva-Boot mieten oder einfach nur gucken I 78 ch war einmal an diesem Ort, einmal für zwei Nächte“, schrieb Bob Colacello, Amerikas Gesellschaftsreporterlegende der „Vanity Fair“ über seinen Besuch. „Ich wünschte, ich hätte zwei Wochen bleiben können. Oder zwei Monate!“ Der Mann hatte gute Gründe: Colacello erinnerte sich an Stunden am Fuß des Felsens am Strand, an das zementierte Plateau, zu dem man über viele kleine Klippenstufen hinabstieg oder im Outdoor-Fahrstuhl hinunterglitt. An Bäder im Licht toskanischer Sonne und Limonade zur Erfrischung: „So vergeht ein typischer ,Il Pellicano‘-Tag: In nichts als in seinen Badekleidern lebend, eine dicke Biografie über eine Königsfamilie lesend oder eine leichte, schnelle Novelle, und ab und zu kühlt man sich im smaragdgrünen Meer oder dem Salzwasser-Pool ab – Italien, wie man es sich schöner nicht erträumen kann.“ Jahrzehnte später liegt man dann selbst auf diesen zitronengelben Badetüchern, neben sich eine genüsslich schnarchende Fürstin beim Mittagschläfchen und weiter hinten Eugenie Niarchos und Bianca Brandolini mit schwarzen Brillen in Bikinis. Oder man lauscht in der Mittagshitze im Suite-eigenen Garten voll duftender Rosmarinbüsche dem entspannten Plopp-Plopp eines Tennisspiels – und denkt: Kein Wunder, dass sie schon immer alle in dieses Hotel kamen nach Porto Er- cole, dem südlichsten Zipfel der Toskana. Elsa Peretti und Charlie Chaplin, Königin Beatrix, die Agnellis und die Borgheses natürlich. Ihnen gehörte in den Sechzigern dieses Stück Land. Slim Aarons, der weltberühmte Fotograf, hat seine hiesigen Ferien gleich als ganzes Buch dokumentiert. Sein Kollege Juergen Teller feierte allein die Gerichte des SterneKochs in einem eigenen Bildband. Musiker wie Bono sommern gern hier. Denn das kann dieser Ort, darin liegt seine Faszination, erklärt Angelika Taschen, Verlegerin und Interiordesignerin, die sich auskennt mit Hotels: „Zur Schönheit kommt eine Intimität, die kein Paparazzo stört. Man checkt hier auch nicht ein als anonymer Gast, sondern wird von der Familie empfangen, die das Anwesen – fünf Häuser, 50 Zimmer – bis heute privat führt. Keiner muss sich hier verstellen. Jeder darf einfach nur sein, ganz ohne Furcht vor der Beäugung, dem Skandal. Das Glück des guten Lebens.“ Mit einer Lovestory fing es an: Patricia Daszel, eine vermögende Amerikanerin, und ihr britischer Ehemann Michael Graham, ein bekannter Pilot, fanden das Kap vor 50 Jahren auf ihrer Suche nach einem Liebesnest. Sie kauften das Kliff, setzten eine Villa darauf und tauften sie „Il Pellicano“. Wohlhabende Freunde halfen bei der Finanzierung, im Gegenzug beka- men sie kostenlos Logis. Und die besten Partys: „Die Feste der Grahams waren legendär und zogen Aristokraten, Hollywoodstars und Industrielle aus der ganzen Welt an“, erzählt Roberto Sciò, Immobiliensammler aus Rom, und erinnert sich an früher: „Michael war unglaublich elegant – und ein Snob dazu. Damals gab es 18 Zimmer hier, neun davon nur für die Chauffeure, wenn Sie verstehen, was ich meine ...“ Sciò verliebte sich in das Anwesen und kaufte es Graham im Jahr 1979 ab. „Ich habe es nur ein wenig vergrößert und den Garten in Schuss bringen lassen.“ Sciò war nie Hotelier, sagt aber, es sei alles ganz einfach, wenn man die Verhaltensregeln beherrsche: „Money talks, wealth whispers, nicht wahr. Tragisch, heute haben Angestellte wie etwa Nannys oft bessere Manieren als ihre Herrschaften. Aber, ecco, wenn jemand nicht zu uns passt, sind wir eben ausgebucht.“ Nach der Vergrößerung des Hotels kam 2007 Robertos Tochter Marie-Louise Sciò zum Einsatz und modernisierte sämtliche Innenräume. Aber sachte, betont die studierte Innenarchitektin und heutige „Pellicano“-Chefin. Gerade steckt sie inmitten der Vorbereitungen für die große „Pellicano“-Jubiläumsparty zum Fünfzigsten. Missoni rollt bereits meterlange Teppiche im Garten aus und schmückt die Bäume mit riesengroßen bunten Lampions. Sie müsste eigentlich dringend das Placement fürs Dinner arrangieren. Egal. Sie streicht sich durchs poolnasse Haar. „Dies ist mein absolutes Glück!“, sagt sie. „Nichts kann mich hier aus der Ruhe bringen.“ Mit einem Badezimmer fing sie die Renovierung an – „hellere Farben, keinen aggressiven Glamour, einfach nur komfortabler.“ Sie lacht. „Nachdem mein Vater überzeugt war, durfte ich an den Rest.“ Seitdem hängen in den Zimmern tropische Pierre-Frey-Stoffe und eine Fornasetti-Tapete im Restaurant. Vom Liegestuhl über die Fliesen im Bad bis zur Menü-Karte – das meiste hat sie selbst entworfen. Der Barefoot-Contessa-Stil: „Es darf nicht bemüht wirken, sollte mit der Gegend verbunden sein, man muss es fühlen, gekonnt mischen, aber auch wissen, wann man aufhört!“ Das schönste Kompliment sei für sie, wenn Gäste sagten: „Irgendetwas hat sich hier verändert, aber ich weiß nicht, was.“ Nun muss sie aber doch los, Barmann Federico wartet auf sie. Er war in sämtlichen Grandhotels beschäftigt, von der Schweiz bis runter nach Sardinien. Und türmt nun für die große Party Gläserpyramiden auf für seinen Select auf Eis: „Der ist nicht so süß wie Aperol und hat eine noch schönere Farbe!“ Überhaupt: Wenige ausgesuchte Gäste hat er mit einem Signature-Cocktail auf seiner Karte verewigt: Für Margherita Missoni entwarf er den „Angurita“ mit Melonensaft, Juergen Teller liebt seinen „Negroni“ mit ein paar Spritzern Chinotto. Und wenn der Mond dann über dem Meer steht, endet es immer mit dem berühmten Wer-als-Erster-in-denDagmar von Taube Pool-fällt-Tanz. Statt üblicher Hotelpuschen: Supergas mit Initial; Personalisierte Bar-Karte: Juergen Teller mag’s mit Chinotto; Angelika Taschen schwört auf ihren „Pink Angel“ mit Mandelmilch Ralph Lauren Sportmax Salvatore Ferragamo Mulberry Alberta Ferretti Etro GETTY IMAGES (8); FILMMAGIC (1); WIRE IMAGE (1); MONTAGE: ICON; ZUSAMMENGESTELLT VON MIRA WIESINGER Chloé Tory Burch Jimmy Choo Lanvin Gucci Marc Jacobs Immer wieder Bohème Anna Sui HIPPIE-GLAM 70er-Jahre-Silhouette, Blütenprints, Erdtöne, Mustermix, Fransen, Fell und Flatterhaftes – wear it easy, babe! & Oth er Sto r ie s Burberry Prorsum Hermès Cada KOMPLETTES OUTFIT: DOLCE & GABBANA L Eigentlich kommt hier keiner rein. Nicht umsonst handelt es sich bei Mustique um eine Privatinsel. Umso schöner, dass wir an diesem Ort in der Karibik vier Tage lang Mode inszenieren durften. Wo andere unbeobachtet die Hüllen fallen lassen können, hüllen wir unser Model in die Gewänder der Saison e venmyt stique FOTOGRAF: ANDERS OVERGAARD C/O KATHRIN HOHBERG; STYLING: NADIA RATH C/O KATHRIN HOHBERG; MODEL: ALEXINA GRAHAM C/O MUNICH MODELS; HAARE/MAKE-UP: RIKKE DENGSOE C/O KATHRIN HOHBERG; PRODUKTION: DENISE BROWN; FOTOASSISTENT: DAVID JAFFE; STYLING-ASSISTENZ: JANELLE OLSEN; DIGITALASSISTENT: TERTIUS BUNE. BESONDERER DANK AN DENISE BROWN, DAS VILLA YEMANJÁ HOTEL UND DIE MUSTIQUE COMPANY 82 SONST WOHNT HIER TOMMY HILFIGER IN SEINER VILLA AM PALM BEACH. STRICKKLEID MIT PAILLETTENVERZIERUNG: CHANEL. JACQUARDMANTEL MIT ANGESETZTEM PELZ, BESTICKT MIT PERLEN UND SPITZE: ANTONIA MARRAS. LEDERSTIEFEL MIT METALLKAPPE: PORSCHE DESIGN LEDERBLUSE MIT AUSGESTANZTEM MUSTER: TOD’S. DREIVIERTEL-ROCK AUS LEDER MIT ANGESETZTEN SEITENTEILEN AUS PONYFELL: FENDI. LEDERCLUTCH MIT PONYFELLDETAIL: LONGCHAMP GROSSE PAUSE IN DER GRUNDSCHULE VON MUSTIQUE. WEISSE SEIDENCHIFFON-BLUSE MIT STEHKRAGEN UND GROSSER ANGESETZTER PASSE: VALENTINO. KLEID MIT CUTOUTS, PERLEN UND FRANSEN: ASHISH. MANTEL AUS MOHAIR-SCHURWOLLE: MICHAEL KORS. STIEFELETTEN AUS PONYFELL: SANTONI IM MANDALAY, DAS SCHON DAVID BOWIE GEHÖRTE. OVERSIZED LAMMFELLWESTE: MARGIELAS MM6 KOLLEKTION. SCHWARZ/ SILBERNES KLEID: BOSS. BLAUES ETUIKLEID, BESTICKT MIT PAILLETTEN IN VERSCHIEDENEN BLAUTÖNEN IN KREISFORM: ALICE&OLIVIA. PONYFELL PLATEAUSCHUHE: WUNDERKIND 85 AUF DEM WEG ZUM PALM BEACH. KLEID AUS CHIFFON UND WOLLGABARDINE MIT FALTENROCK UND PONYFELL-PEEPTOES: TOMMY HILFIGER. MANTEL IN BURGUND MIT LAMMFELLKRAGEN: BURBERRY. DARUNTER, LEDERROCK MIT NIETEN: DIESEL BLACK GOLD BLICK ÜBER DIE BUCHT VON L’ANSECOY. SCHWARZES KLEID MIT GELBEN DIAGONAL- UND LACKLEDERSTREIFEN: VERSACE. MANTEL MIT ASYMMETRISCHEM KONTRASTREVERS UND SCHÄRPE: SPORT MAX. LEDERLOAFER MIT GRAFISCHEM MUSTER: TOD’S SMARAGDGRÜNES KLEID MIT PERLENBESTICKTEN NETZEINSÄTZEN: ELIE SAAB. 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STILETTOS AUS PELZ UND LEDER MIT BREITEN FESSELRIEMEN: SANTONI M agic Mustique Heißt Mustique die „Mückeninsel“, weil sie so klein ist? Oder wurde sie nach den lästigen Blutsaugern getauft? Niemand weiß es. Fest steht dagegen: Es ist eine der exklusivsten Privatinseln der Welt. Eine Stippvisite in der Karibik Die Nebensaison auf Mustique hat etwas für sich: Nicht nur, dass die Strände noch leerer und die Villen wenigstens etwas günstiger sind. Das Schöne ist, dass die ohnehin nie überlaufene Insel dann noch privater wirkt und man sofort zur Familie gehört. Das Wetter ist ja das ganze Jahr gleich – mollige 30 Grad. Das einzige Hotel der Insel, das „Cotton House“, lädt jeden Dienstagabend zum Champagner-Empfang. Und in Ermangelung anderer abendlicher Amusements kommen sie alle: Die wenigen Langzeitbewohner und der gesamte Vorstand der „Mustique Company“, der die Insel gehört und der sie wie eine Privatregierung verwaltet. Es sind etwa zwei Dutzend Menschen, die sich seit Jahrzehnten kennen und denen jedes frische Gesicht eine Abwechslung vom Palmen umwedelten Inselalltag ist. Die gesellige Nicki Archibald, deren Ehemann James die Baufirma auf der Insel betreibt und die die meiste Zeit des Jahres hier verbringt, stellt vor: „Gestatten, das ist unser Präsident, unser Premier- und Umweltminister und dort der Verteidigungsminister.“ Gelächter. Simon Humphrey, der als „Verteidigungsminister“ titulierte Sicherheitsbeauftragte, ist ein gemütlicher Scotland-Yard-Veteran. Wenn er lacht, wogt sein ganzer Körper. Im Moment hat er kaum zu tun, denn es sind keine VIPs oder gar Royals auf der Insel. Kriminalität ist auf Mustique so gut wie inexistent, seine Hauptaufgabe ist somit die Abwehr von Paparazzi. Als 2013 Fotos von der schwangeren Kate, Herzogin von Cambridge, im Bikini auftauchten, war das in etwa das Watergate von Mustique. Jedoch: „Wir haben den Übeltäter gefunden“, erzählt er zerknirscht. „Es war ein Gast, der in der Villa nebenan einquartiert war – er hat nun lebenslanges Einreiseverbot.“ Je später der Abend, desto prickelnder die Klatschgeschichten, „Aber pssst ... Das bleibt doch unter uns?“ Natürlich. Auf Mustique, diesem nur rund fünf mal zwei Kilometer großen Eiland, sind etwa 100 Privatvillen über die vielen steilen Hügel und Strände verteilt; die rund 500 einheimischen Kreolen leben im Lovell Village und arbeiten hauptsächlich als Angestellte in den Villen oder für die Mustique Company. Diese finanziert auch die Grundschule, mehrere Kirchen, den Inselarzt, den Flughafen, die Flugzeuge und die gesamte Infrastruktur der Insel, und zwar mit den Steuern, die die Villenbesitzer als Teilhaber der Gesellschaft bezahlen. Am nächsten Tag führt Stuart Ward, der Chief Operating Officer und „Umweltminister“, stolz durch die Recyclinganlagen, in der die Essensreste aus den Villen mit Gartenabfällen zu Humus verarbeitet werden und mit dem er unter anderem den Schulungsgarten düngt: Hier können die Inselbewohner nachhaltigen Gemüse- und Obstanbau lernen. Ein kleines, exklusives System, das der Exzentriker Colin Tennant – ein Mann aus dem britischem Hochadel – ab 1958 entwickelte. Für nur 45.000 Pfund kaufte Tennant einst die gesamte Insel, die nach dem Niedergang der Zuckerrohr- und Baumwollproduktion brach lag. Er baute mit dem „Cotton House“ das erste Hotel, brachte erst den Strom und dann den Jetset auf die Insel – allen voran Prinzessin Margaret und Lord Snowdon, denen er zur Hochzeit ein Stück Land schenkte, auf dem sie ihre Villa „Les Jolies Eaux“ errichteten. Mit ihnen kam wiederum der Pferdesport, in Ehren gehalten von Liz Saint, die einen Reitstall mit 17 Tieren betreibt. Mit den englischen Royals kamen die Rockstars und der amerikanische Geldadel. Heute sind entlang der Ansecoy Bay Leute wie Bryan Adams, Mick Jagger und Tommy Hilfiger direkte Nachbarn. Fast alle diese Villen, jede mit ihrem eigenen Stil, stehen zur Vermietung, wenn die Besitzer nicht da sind. Die Mustique Company setzt auf Diskretion: Vermarktet werden die Villen einfach nur nach der Anzahl der Schlafzimmer. „Star-Stalker, die unbedingt im Bett von Mick oder Bryan schlafen wollen, werden aussortiert“, sagt Denise Brown, die Managerin von „Yemanja“. Die nach der Meeresgöttin der Yoruba benannte Villa verfügt über acht Schlafzimmer, drei Pools, zehn Hausangestellte und den wohl schönsten 360-Grad-PanoramaBlick über die Insel; 1800 Quadratmeter Wohnfläche, kleine Terrassen und Gartenecken, die Rückzugsorte für jeden bereithalten. Der Infinity-Pool mit dem Blick auf Strän- de, Meer und Berge und der mit Palmwedeln bedeckte, gigantische Pavillon aber sind so einladend, dass man nur eines will: diesen außergewöhnlichen Ort ebenfalls erleben. Wann steht einem schon ein Butler zur Verfügung, der Drinks, hausgemachten Eistee und ausgezeichnetes Essen reicht, wann immer einem danach ist? Ein bisschen Star-Stalking können wir uns am nächsten Tag dennoch nicht verkneifen. Wir wollen zum ehemaligen Haus von David Bowie. Wegweiser fehlen gänzlich. Wer auf den steilen und kurvenreichen Straßen mit den offenen „Mules“, einer Art benzinbetriebener Golfkarren, fährt, fühlt sich als Indiana Jones, der eine unbewohnte Robinson-Insel bereist. Selbst Denise, unser Guide und seit Jahren auf Mustique zu Hause, braucht mehrere Anläufe, bis sie „Mandalay“ findet. Dieses Haus im balinesischen Stil gehörte zehn Jahre lang dem britischen Popstar. Kostbare Schnitzkunst, bizarre Masken, Wandmalereien und eine asiatische Gartenarchitektur mit Wasserfällen und Koi-Teichen machen dieses üppig dekorierte Anwesen zu einer markanten Kulisse. 1996 kaufte es der britische Verleger Felix Dennis. Er wandelte das ehemalige Studio des Sängers in ein Gästehaus um, das versteckt im unteren Teil der Anlage liegt. Der im letzten Jahr verstorbene Maxim-Gründer vererbte das Haus seiner Stiftung „The Heart of England Forest“, die nun von den Vermietungen profitiert. Dennis war passionierter Raucher, kunstvolle Aschenbecher in jeder Ecke des Hauses zeugen davon. Selbst wenn die Besitzer nicht anwesend sind, erzählen ihre Möbel, Kunst und privaten Fotos in den Häusern eine Menge. Ein großer Schuss weißer Bacardi, etwas Cola zwei Eiswürfel und ein Spritzer Zitrone: So verlangte Colin Tennant einst seinen Cuba Libre bei Basil Charles. 1972 war Charles, Fischersohn von der Nachbarinsel St. Vincent, noch Barkeeper im „Cotton House“, nun ist er seit fast 40 Jahren Besitzer von „Basil’s Bar“. Es kommt schon mal vor, dass einer wie Denzel Washington den grau melierten Herrn im weißen Kaftan kennenlernen will: „Denzel wer?, habe ich gefragt“, sagt Basil und lacht. „Ich kannte seinen Namen nicht, sein Gesicht aber schon.“ Er hat die Geschichte der Insel von den Anfängen bis heute erlebt: die rauschenden Partys von Tennant in den Seventies und die schrillen Kostüme von Bianca Jagger. Eric Clapton spielte auf dem von Basil begründeten Mustique Blues Festival. „Basil’s Bar“, diese angenehm unprätentiöse Bretterbude gleich neben dem Fischmarkt im Dorf, ist und bleibt Treffpunkt des Nachtlebens – Einheimische sind ausdrücklich willkommen. An diesem Abend im „Cotton House“ ist Basil selbst ein hofierter Gast am Tresen. Er lernte Skifahren mit britischen Adligen im fernen St. Moritz, und er war zur Hochzeit von Kate und William eingeladen. Es dauert lange, bis er sich kritischere Töne entlocken lässt: „Es wäre schön, wenn Einheimische hier endlich die Jobs machen würden, die bisher nur Ausländer bekommen – und sie gleich bezahlt würden.“ Basil selbst träumt von Bali: „The Balinese do it better“, sagt er. Englische Zeitungen zitierten ihn jedoch: „Wenn Leute mich fragen, woher ich komme, sage ich immer: Ich weiß nicht, wo das Paradies ist, aber ich wohne nebenan.“ Beides sei irgendwie wahr. Nächstes Jahr will er endlich seine Autobiografie veröffentlichen. Bis dahin habe er sicher eine klare Antwort parat. Silke Bender 93 REINEN WEIN EINSCHENKEN Die Welt ist ungerecht – jedenfalls sieht es in der Franciacorta ganz anders aus als – sagen wir mal – in LiverpoolCroxteth oder so. Doch bei aller Schönheit wird hier zur Erntezeit sehr hart gearbeitet Gönn dir ein Gläschen: Wer in der Franciacorta am örtlichen Produkt nippt, hält die Erde hinterher für ein ganz angenehmes Fleckchen in den Weiten des Weltalls M aurizio Zanellas Geschäft mag der Wein sein, doch wer den Präsidenten der Vereinigung der Franciacorta-Winzer auf seinem Gut besucht, wird zuerst einmal Zeuge einer eigenwilligen Liebe zum Tier. Die Störe beispielsweise, die direkt neben der Einfahrt im Becken der 007reifen Gesamtanlage mit Hubschrauberlandeplatz herumpaddeln, werden nicht etwa wie sonst so oft getötet, wenn sie ihren Zweck als Kaviarlieferant erfüllen. Zanella lässt sie mit einer Injektion betäuben, die Eier herausmassieren – und danach geht es für die Fische bedröhnt, aber immerhin lebendig zurück ins Bassin. Die Plastikwölfe, die überall auf dem Gut Ca’ del Bosco zu finden sind, erklären sich schnell: Beim Wolf handelt es sich um das Symboltier der gesamten Region in Italiens schönem Norden. Erläuterungsbedarf herrscht dagegen bei Zanellas lebensgroßem Kunststoff-Nashorn; es hängt an der Decke über den Stahlbehältern, in denen sie nach der Ernte im August den Saft sammeln und passt dorthin wie – tja – ein Plastikrhinozeros in die Produktionsstätte hochwertiger Weine. Nachfragen betreffs dieses Werks vom Künstler Stefano Bombardieri bringen Zanella keineswegs in Verlegenheit: „Diese Tiere gehen unbeirrt ihren Weg“, sagt er unter seiner Halbglatze, „Das kann auch in meinem Geschäft nicht schaden.“ Aber das ist wahrscheinlich nur ein Teil der Wahrheit. Alles weitere hängt am „Gentleman im Stockwerk über uns“, wie Zanella seinen Boss im Himmel bezeichnet: Der entscheidet nach fester Überzeugung des Gutbesitzers durch das Wetter mehr über die Qualität des Produktes als er selbst. Lang anhaltender Regen oder zu viel Sonne kann das Niveau eines ganzen Jahr- gangs drücken – dieser Sommer war sehr warm und trocken. Da kann man das Nashorn als eine Art rausgestreckte Zunge interpretieren: Lieber Gott, in der Halle beginnt mein Einflussbereich – und wenn ich da ein Plastiknashorn haben will, dann häng ich das eben hin, ätsch, mach doch was dagegen. Die Aktion besagt nicht nur etwas über Zanella, der seine Lippen bevorzugt dann kräuselt, wenn er über Dinge wie sein Verhältnis zum großen Gentleman spricht, sondern auch viel über die Bewohner dieses Landstrichs in der Lombardei. Traditionell der Stahlindustrie genauso verbunden wie der Landwirtschaft, wissen die Menschen zwischen den Gipfeln der Alpen und dem Wasser des Iseo-Sees um die Macht der Elemente. Weinbau ist bereits seit dem Jahr 1809 überliefert, doch mit dem edlen Stoff ging es erst zu Beginn der 60erJahre des 20. Jahrhunderts los. Davor, so erklärt es Zanella, war es seit dem Ersten Weltkrieg mehr als 50 Jahre lang das Ziel gewesen, möglichst viel zu produzieren, um die Versorgung mit dem Grundnahrungsmittel Wein sicherzustellen. Über die Landesgrenzen hinaus entstand ein entsprechendes Billig-Image, mit dem man noch immer zu kämpfen hat. Der sehr mineralhaltige Boden in der Franciacorta eignete sich kaum für industrielle Landwirtschaft, die Erzeugnisse von Zanella und Co. sind somit recht neu auf dem Markt. Weil das Produkt meistens perlt, muss sich die Region heutzutage, ob sie will oder nicht, mit der Champagne vergleichen lassen. Es ist die Geschichte des antiken gallischen ComicDorfs, das mit seinem Zaubertrank den übermächtigen Römern trotzt, unter umgekehrten Vorzeichen: Etwas mehr als 15 Millionen Flaschen aus der Franciacorta werden jährlich verkauft, dagegen stehen 337 Millionen Flaschen Champagner. Ein eigener Humor scheint unter solchen Voraussetzungen einfach zum Handwerkszeug zu gehören. Wenn man durch die Landschaft kurvt, fällt es allerdings schwer, zu glauben, dass es für die 113 Konsortiums-Betriebe auch Härten geben könnte. Das Elend der Welt ist zwischen den sanften Hängen weit weg – zu mehr als vier Fünfteln kultivieren sie hier Chardonnay, bei den roten Trauben dominiert Pinot Noir. Die herausgeputzten orangefarbenen Häuschen, die Eichen-, Kastanien- und Pinienwälder, das türkisfarbene Wasser des Iseo-Sees, seine Brise und das Aroma seiner Fische, das Gemüse, Lamm und Rind aus der Region auf dem Teller, all das vervollständigt den Eindruck eines glücklichen Landstrichs. Angeblich wollte George Clooney vor ein paar Jahren auf dem See eine Insel mit riesiger Burg erstehen, aber er bekam sie nicht. Ob die Geschichte stimmt oder nicht, macht kaum einen Unterschied: Diese Gegend hat Hollywood nicht nötig. 3 Tier und Wein muss sein: Maurizio Zanella von Ca’ del Bosco ist Chef der Winzer-Vereinigung und mag Nashörner und Wölfe Italiens unentdeckte Perlen Jeder kennt Prosecco, kaum einer den ungleich höherwertigen Franciacorta. Das soll sich ändern. Philip Cassier und Fotograf Massimo Rodari haben sich auf in die norditalienische Region gemacht – und nicht nur über Weinbau viel gelernt 95 Franciacorta perlt – und passt doch zum Essen. Das sagt nicht nur der Winzer Riccardo Curbastro (r.) Der Beistand des Herrn kann beim Genuss nicht schaden – schließlich sind wir in Italien Cristina Ziliani vom Gut Berlucchi (l.) empfängt gern im Palazzo mit Wandgemälde und historischer Küche. Der erste Jahrgang, der glückte, war 1961 – eine Flasche steht deswegen im Keller unter Glas 96 3 Doch Einheimische registrieren sehr wohl, dass das Tempo in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen hat. Der Skipper Paolo, der auf dem Iseo-See durch die unwirkliche Kulisse aus Bergen und Wasser schippert, kam vor 56 Jahren hier zur Welt. Er lernte das Bootsbauer-Handwerk, weiß alles über das Verhältnis von den Bewohnern des Ufers zu denen der Insel und vermisst um sich herum immer mehr die Fähigkeit, einfach so in den Tag zu leben. Das Steuerrad seines Motorbootes hat er dabei auch mit seinem sonnengebräunten Fuß im Griff. Nach dem Tod seiner Frau war er eine Weile in Nicaragua, er überlegte, auszuwandern. Aber zum Schluss siegte doch, was er kannte – und das sind der See und seine Anwohner, selbst wenn es für ihn weniger gemütlich geworden ist. Der Handel mit dem edlen Wein, der heute alles dominiert, kam schleichend. Die Ursprünge lassen sich am besten beim Marktführer Guido Berlucchi nachvollziehen, rund vier Millionen Flaschen produziert der Betrieb nun jährlich. Cristina Ziliani, Tochter des Mitgründers Franco, geleitet in das Labyrinth der Kelleranlagen hinab, in dem die Flaschen in Batterien zwischen dem Mauerwerk stehen. Man kann sich kaum vorstellen, dass der Hausherr Guido Berlucchi in den 50er-Jahren nur ein paar Flaschen guten Schaumwein für den Hausgebrauch wünschte. 1955 saß der Mann, der die Jagd und Sportwagen liebte und vorzugsweise englische Maßkleidung trug, am Flügel im großen Zimmer seines Palazzos, als der Händler Franco Ziliani zu einer Audienz erschien. Die beiden – Ziliani ist bis heute im Unternehmen – wurden sich rasch einig, gemeinsam mehr zu wagen. Aber die ersten Flaschen platzten, zu viel Druck baute sich auf. Also studierte man die Methoden der Champagne; wie lange man den Wein dort bei welchen Temperaturen lagert, wie oft man die Flaschen beim Reifen bewegt, all das. Bei Maurizio Zanellas Ca’ del Bosco lief es ähnlich, bei ihm war es die Mutter, die in den 60er-Jahren von Mailand aus zunächst ein Refugium auf dem Land suchte, um hochwertige Lebensmittel für sich selbst anzubauen. Bis zu den ersten serienreifen Flaschen gingen einige Jahre ins Land. Zanella hält es bis heute für einen glücklichen Umstand, dass seine Mutter pünktlich in dem Moment den Produkten der industriellen Landwirtschaft überdrüssig wurde, als ein Markt für Exklusives entstand. Und bei Berlucchi bewahren sie die erste Flasche, deren Inhalt für gut befunden wurde, im Keller angestrahlt hinter Glas auf. Auf dem Etikett steht das Jahr 1961: „Ich weiß gar nicht, ob man die noch trinken kann“, sagt Cristina Ziliani, und gibt mit angedeutetem Lächeln Selbstironie zu erkennen. Wenig Spaß verstehen sie hier dagegen bei den Qualitätsstandards. Es ist aber auch eine vermaledeite Angelegenheit: Das Wort „Schaumwein“ klingt nicht nur in Deutschland nach Schießbude, Dinge wie Asti Spumante oder auch Prosecco bringt man welt- weit mit Italien in Verbindung, ohne dass sie annähernd Franciacorta-Niveau hätten, und mit Champagner will man wegen der Größenverhältnisse lieber nicht verglichen werden. Wie soll man da eine Position definieren? Meist behilft man sich doch mit dem Verweis auf Frankreich – denn die Richtlinien in der Franciacorta sind rigider als die in der Champagne; so müssen die Trauben mit der Hand gepflückt werden, weil nur das eine Kontrolle durch das menschliche Auge garantiert. Pro Hektar Anbaufläche werden höchstens 9,5 Tonnen Trauben gewonnen, und jede Flasche muss mindestens 18 Monate lagern, Vintageund Reserva-Produkte sogar erheblich länger. All das sorgt dafür, dass die Schwankungen in der Qualität recht gering sind, ob das Gut nun 10.000 Flaschen produziert oder Millionen. Wer allerdings schon einmal mehr als einen Italiener in einem Raum erlebt hat, wird einen Begriff von den Nöten eines Maurizio Zanellas gewinnen, wenn er 113 Winzer auf immer höhere Standards einschwören muss. Bisher hat er sich noch immer durchgesetzt. Ihm helfen allerdings auch Mitstreiter wie Riccardo Ricci Curbastro. Der Spross einer 1200 Jahre alten Familie war selbst schon Präsident des Konsortiums: Ein Typ mit extrabreitem Lachen, grauen Haaren und Weimaraner Jagdhunden, den man eine wandelnde Definition des Wortes „Nobilität“ nennen darf. Er gibt zu, Italiener seien nicht besonders qualifiziert in der Disziplin, gut zusammenzuarbeiten. Historisch sei Italien sehr durch seine Regionen geprägt – die Konflikte zwischen ihnen seien sehr hart gewesen, das wirke nach. Dann fügt Curbastro frei nach de Gaulle hinzu, in einem Land, das mehr als 400 Sorten Bohnen kenne, sei ein Konsens nun einmal schwierig zu erreichen. Curbastros und Zanellas Strategie? Überzeugen, so lässt Curbastro völlig schweißfrei in der Mittagssonne durchblicken, könne man die Gegenpartei nur, wenn man ihr das Gefühl vermittele, sie sei zuerst auf die Idee gekommen, die man selbst vertrete. Er garniert den Satz mit einem ganz beiläufigen Heben der Augenbrauen. Auf seinem Gut hat Curbastro ein kleines Museum untergebracht – zu jedem Ausstellungsstück, sei es eine Säge oder ein Ochsenjoch, kann er präzise sagen, was es damit auf sich hat. Und obwohl er wie Zanella nicht davon überzeugt ist, dass das Logo „bio“ eine höhere Qualität garantiere, weil man sich bei einer vollkommen ökologischen Bewirtschaftung noch mehr von den Launen des „Gentleman im Stockwerk über uns“ abhängig machen würde, arbeiten sie beim Anbau so viel wie möglich mit natürlichen Lösungen. Ob es den perfekten Wein gebe? Ricci Curbastro kneift die Augen zusammen. „Unmöglich“, sagt er entschieden. „Was für Sie perfekt ist, muss mir nicht schmecken.“ Ein schöner Satz. Ob er stimmt? Nach der Verkostung am schweren Holztisch bei mildem Sonnenschein vor der Tür lässt sich sagen: Zunächst einmal ist es möglich, Franciacorta trotz seiner Perlen nicht nur als Aperitif zu trinken, sondern sogar zum Fleischgang beim Essen. Speziell bei den Vintage-Weinen kann nur ein Ignorant den Aufwand hinter diesem Produkt nicht erschmecken. Und die Wirkung nach dem ersten Glas – mehr muss gar nicht sein – trägt einen dahin, wo man offen gestanden gern häufiger wäre: Mitten hinein ins Bewusstsein, jetzt leicht einen sitzen und unbeschwerte Minuten vor sich zu haben. Der Iseo-See zeigt mit seinem türkisfarbenen Wasser nicht nur ein einzigartiges Farbenspiel – er sorgt auch mit seiner Brise dafür, dass die Temperaturen im Sommer nicht zu hoch für die Trauben werden SONNTAG, 13. SEPTEMBER 2015 Global Diary CAP-FERRAT Wenn die Formulierung „Ein Ort, an dem die Zeit stehen geblieben ist“ auftaucht, bedeutet das für gewöhnlich, dass dem Autor nichts eingefallen ist. Noch dazu stellt sich die Frage, ob es überhaupt wünschenswert ist, wenn nichts vorangeht: Jeder, der beispielsweise je in einem deutschen Restaurant den 50er-Jahre-Klassiker „Fettiges Kotelett mit einer umgedrehten Dose Erbsen“ vorgesetzt bekam, wird eine eindeutige Antwort auf diese Frage haben. Doch existieren diese Momente, in denen man einfach froh ist, wenn ein Blick aus dem Fenster vor 100 Jahren nicht anders war als heute, wenn man glauben darf, früher sei alles besser, weil langsamer und MONASTERIO DE SANTA MARÍA 98 Erinnern Sie sich? An die Zeit, als man statt WhatsApp und E-Mail noch Karten von fremden Orten schrieb? Wir tun es noch immer. Illustriert von Tim Dinter übersichtlicher gewesen. Deshalb ist es immer wieder ein so gutes Investment, an der Côte d’Azur vorbeizuschauen – und hier speziell im „Grand-Hôtel du Cap-Ferrat“. Ganz allein an der Spitze des Caps gelegen, herrscht sofort Distanz zu allem, was auf der Erde sonst noch so los sein könnte. Das großzügige weiße Gebäude mit seinen hohen Decken, der opulente Garten voller Pinien und Palmen und das tatsächlich azurblaue Wasser hinter der felsigen Küste bürgen für den diskreten Hauch von Ewigkeit – vollends das Personal sieht in seinen grauen Uniformen aus, wie man das aus dem Hitchcock-Film „Über den Dächern von Nizza“ kennt. Die Zimmer sind selbstverständlich mit allem ausgerüstet, was die technische Moderne hergibt, aber mal ehrlich: Wer dazu in der Lage ist, bei diesem Blick aufs Meer den Fernseher einzuschalten oder mobil im Netz zu surfen, dem hilft kein Hotel der Welt mehr, der muss wohl ganz woanders mal vorbeischauen. Wer unbedingt Abwechslung braucht, sollte sich bei Pierre Gruneberg im Freiluft-Salzwasserpool eine Schwimmstunde genehmigen. Seit 1951 ist der 84-jährige Mann aus Draht da und hat sie dementsprechend alle erlebt: Elton John, Belmondo, Bono und so weiter. Das allein ist schon ein Alleinstellungsmerkmal – wirklich einzigartig aber ist Grunebergs Methode, Schwimmer ausund weiterzubilden: Bevor es ins Salzwasser des Pools in den Felsen geht, muss der Schüler in ei- Auf ins Kloster. Rund 900 Jahre Geschichte stecken in den Sandsteinmauern des Fünf-Sterne-Hotels „Abadía Retuerta LeDomaine“ am Ufer des Duero in Kastilien. Ich residiere in den ehemaligen Stallungen. Alle Räume sind heute wohltemperiert durch ein Warmwasser-Ökoheizsystem. Die Zimmer haben einen direkten Zugang zum 1000 Quadratmeter großen Spa, mit über vier Meter hohen Räumen und sonnigen Lichthöfen unter Weinreben. Dort wird eine recht einzigartige Önotherapie angeboten, was naheliegend ist in der vom Weinbau malerisch geprägten Umgebung. Glücklich machender Weise gehören auch innere Anwendungen zum Konzept. Bereits bei der Weinverkostung setzt unmittelbar die entspannende Wirkung des „Blanco de Guarda“ ein, ein exzellenter regionaler Weißwein. Zeder mit Mandeln, Calendula und Macadamianuss, diese Aromen begleiten den Gast durch alle Anwendungen. Tiefenmassagen setzen Endorphine frei, selbstwärmende Mineralmasken alles Ungute in den Poren an die Luft. Zweieinhalb Stunden gar dauert ein Detox-Wrap, fest in Algen und Weinblätter eingewickelt komme ich mir vor wie ein griechischer Dolma. Das „Desayuno“, also Frühstück à la carte, lässt sich wunderbar still im Refectorio genießen. Dort, wo früher die Mönche aßen, leitet ein gewisser Pablo Montereo heute das Gourmetrestaurant. Meditation und innere Seelenruhe waren bereits dem Prämonstratenser-Orden im 12. Jahrhundert heilig. Orte dafür gibt es einige zu entdecken: Im Kreuzgang mit Lavendelhecken und Brunnen, im Klostergarten mit Froschteich, zwischen den Weinreben am Flussufer. Im Dunkeln lenkt ein Teleskop im Hof den Blick nach ganz oben. Kein irdischer Schein stört in dieser Abgeschiedenheit den Anblick des dichten Sternenzelts. Uta Petersen sammelt Spa-Erfahrungen wie andere Postkarten ner halb mit Wasser gefüllten Salatschüssel das Atmen üben. Das sieht ziemlich bescheuert aus, wenn man den Kopf hineinsteckt, wirkt aber fantastisch, wenn man beispielsweise beim Kraulen endlich weniger Wasser schlucken will. Pierre Gruneberg wird einen bei allem gleichermaßen aufmerksam wie nachsichtig begleiten. Küchenchef Didier Aniès ist einer der wenigen französischen Köche, die in Deutschland gearbeitet haben: Was er auf die Karte schreibt, bewegt sich zwischen reiner Klassik – ein definitiver Salade niçoise – und angepasster Tradition: Sterneküche bedeutet für ihn, dass ein gebratener Langostino in einer lauen Nacht auf der Terrasse nach Langostino schmeckt und eine Karotte nach Karotte. Sein Oberkellner garniert den Gang beim Servieren nach ausführlichen Erläuterungen gern noch mit einem „Vive la France!“ – damit man auch bestimmt nicht vergisst, wo man sich befindet. Seit Mai gehört das Haus zur FourSeasons-Gruppe, altgediente Mitarbeiter loben die neue Servicekultur, freilich ohne dass je der überlaute amerikanische Enthusiasmus ausbrechen würde. Und seit selbst die Russen hier begriffen haben, wie leise vornehme Menschen auftreten, gibt es nichts mehr, das die Würde dieses Ortes anfechten könnte. Sich an so einem Ort ein paar Tage vom Lauf der Welt freimachen zu können, darauf lohnt es sich zu sparen. Philip Cassier glaubt seit diesem Besuch an der Côte d’Azur wieder fest an Frankreich SKELETON COAST, NAMIBIA Endloser, blauweißer Himmel, rote und goldgelbe Dünen, auf denen bei Sonnenuntergang eine Giraffe spaziert. Ich liebe die Wüste! Aber Design in der Wüste? Ich habe nicht dran geglaubt – bis mich eine 30 Jahre alte winzige Cessna in der Palmwag Konzession in Namibia absetzte. „Wilderness Safaris“, das südafrikanische Ökotourismus- und Umweltschutz-Unternehmen, hat dort sein zwölftes Resort namens „Hoanib Skeleton Coast Camp“ eröffnet: Fünf Sterne und acht sandfarbene Zeltbauten in einer von Steinbergen umringten Ebene am Hoanib Flussbett. Heiß und kalt, diesen TagNacht-Bedingungen muss die Anlage trotzen. Die Möbel ließ der Designer Chris Weyland hauptsächlich in Südafrika fertigen. Den Accessoires, wie den Schalen aus Kabeldraht, gab er einen modernen Twist. Gelaufen wird auf Holz und Beton. 30 Angestellte begleiten maximal 12 Gäste, die Lebensmittel werden über 76 km mit einem Truck in die Einöde geliefert. Urlaub im Kaokoland kann bedeuten: Aufwachen im Boxspringbett mit Blick aus dem Panoramafenster, wenn gerade ein Elefant seinen Rüssel in ein Wasserloch taucht. Oder der Gast wird mit dem Landrover in das trockene Tal des Hoanib gefahren und kann dort Tiere bestaunen, Löwen, Wüstenelefanten, Hyänen, Oryxe. Oder man bleibt einfach sitzen im Camp und staunt über das Ambiente. Wenn die Ausrüstung stimmt, lässt sich Inge Ahrens auch gern mal von Naturschauspielen überwältigen CAROLIN SAAGE FOR DESIGN HOTELS™ MADE BY ORIGINALS; PIET BOON BONAIRE/DESIGN HOTELS; GETTY IMAGES UNTERWEGS Chillen auf den Antillen Modernes Design, Salzfelder und der kleinste Strand der Welt. Die karibische Insel Bonaire ist nicht groß, aber voller Überraschungen D Das Aufpumpen des Kites hört sich an wie das Rufen eines kleinen Esels. Piet Boon, in Shorts und Sport-Shirt, entwirrt die Seile seines „Drachens“, dann zieht er ihn ans Wasser, und Sekunden später fliegt der Niederländer die Küste entlang. Fährt man mit der Vespa parallel zu ihm die Straße hinunter, sieht man ständig wechselnde Blautöne des Meeres. Und dann das: wilde Esel, die zwischen Sträuchern Schatten suchen. Es ist offensichtlich, warum der niederländische Designer und Bauherr Piet Boon sich in Bonaire verliebte, diesen winzigen Fleck in den Kleinen Antillen, der geografisch zu Südamerika gehört, aber von den Niederländern verwaltet wird. Inzwischen könnte man die Insel auch „Boonaire“ nennen. Boon boomt hier. Die erste seiner 16 Villen sieht man schon beim Landeanflug auf das Eiland, zwischen den typisch karibischen Häusern fällt die große Glasfront des modernen Kubus gleich auf. Der sportliche Unternehmer empfängt auf dem größten der von ihm erschaffenen Anwesen, dem „Kas Dorrie“. Man tritt durch ein gigantisches Holzportal ein und sieht als Erstes: das Meer! Hinter Wohn- und Esszimmer glitzert es zwischen schwarzen Sonnenschirmen. Der Gastgeber lässt Zeit zum Staunen. „Hey, ich bin Piet“, sagt der Mann in Shorts und sonst nichts. Sein linkes Bein ist böse zerkratzt. „Kiten“, sagt er grinsend. Wie hat er Bonaire für sich entdeckt? „Ich verbrachte mit meiner Familie die Weihnachtszeit im Haus eines Freundes. Am letzten Tag erfuhr ich, dass in der Nähe ein Grundstück verkauft werden sollte“, sagt Boon. Tatsächlich schaffte er es, das Land zu erwerben, und erbaute seine erste Villa im Südwesten der Insel. Dort besuchte ihn ein anderer Freund, der verliebte sich auch, man kaufte ein weiteres Grundstück, und so ging es weiter. Der niederländische Designer Piet Boon (oben) und seine modernen Ferienvillen (oben links); Blick auf Bonaire (links) Boons Villen sind frei stehende Ferienhäuser, kein Resort oder Club verbindet sie. Jede Villa ist anders konzipiert, sie eint der „boonsche Stil“. Er, international erfolgreich als Designer moderner, klassisch-luxuriöser Möbel, hat einen Faible für Qualität, Gemütlichkeit und ganz besonders für Symmetrie. Seine weiß getünchten Häuser bringen zeitgenössisches Flair auf die sonst ein wenig verschlafene Insel mit ihren wechselnd im Kolonialstil oder Shabby Chic gehaltenen Hotels. Sie haben leicht angeschrägte Dächer, mehrere Terrassen, die dank konstanter 27 Grad Außentemperatur als zweite Wohnzimmer dienen, sowie einen Pool. Die ebenfalls von ihm entworfenen, schweren Holzmöbel trotzen Sonne und Wind, die meisten Schlafgemächer haben Bäder en suite. Alle Böden sind aus gegossenem Beton, ebenso die Küchenblöcke. „Auf Bonaire haben wir dem Wind zugewandt gebaut. Wenn man die Jalousien, die wir entworfen haben und die hier produziert werden, öffnet, wird das Haus automatisch durchgepustet“, erklärt der Designer. Tatsächlich umweht uns während des Gespräches im Salon immer eine leichte Brise, die vertikalen Holzlamellen an den Fenstern und Türen sind leicht geöffnet und generieren zusätzlich ein schönes Schattenspiel an den Wänden. Eigentlich müsste man seine Villa gar nicht verlassen: Jossie, die Verwalterin, füllt für jeden Gast den Kühlschrank. Morgens kann man im Halbschlaf in den Pool plumpsen und sich danach in der Hängematte vom steten Wind schaukeln lassen. Aber mit Jossie, auf Bonaire geboren und nach langjährigem Europa-Aufenthalt wieder zurück auf Bonaire, lässt sich einfach zu gut auf dem Vespa-Sozius die Insel erkunden. Immer auf der Hauptstraße von Kradelijk gen Süden kurvend, ist ständig etwas zu entdecken. Wie der vermutlich kleinste Strand der Welt: Auf einem Parkplatz ziehen Menschen ihre Schuhe aus und verschwinden an einer PoolLeiter in die Tiefe. Einige Kilometer weiter stehen Häuschen aus Stein neben der Straße, ehemalige Sklavenhütten, wie ein Schild erklärt. Schaurig – aber nur hier, weiß Jossie, gibt es die wunderbaren „Fingerkorallen“, die aussehen wie ausgeblichene, kleine Knochen. An riesigen, rosafarbenen Salzfeldern vorbei, die von gigantischen Schaumkränzen umrahmt sind, führt die schmale Straße immer am Meer entlang. Der Wind, konstant aus Nordosten pustend, wird stärker, je mehr man sich der Südspitze nähert. Rechts kämpfen Pelikane gegenan, links dösen Flamingos im Salzgebiet. Ein kurzer Stop im „Sorobon“, einem Hotel direkt am Strand, das von Windsurfern geschätzt wird. Dann geht es durchs Landesinnere zurück, durch Felder von Kakteen. Ziegen kreuzen unseren Weg, und als wir uns wieder dem Städtchen nähern, schwirren aufgeregte „Loris“, grüne Papageien, zwischen den Baumwipfeln. Und das sind nur die buchstäblich überirdischen Eindrücke – berühmt ist Bonaire für seine weitgehend unbeschadeten Unterwasserwelten. Sogar die Abreise ist viel schöner als anderswo. Schnell den Koffer eingecheckt, kann man noch zum gegenüberliegenden „Te Amo“Strand laufen, sich im Food-Truck einen MahiMahi-Burger oder grandioses Sushi und Weißwein bestellen, in die Sitzsäcke im Sand sinken lassen und den Sonnenuntergang bewundern, bevor man schweren Herzens RichEsther Strerath tung Gate schlendert. 99 PARFÜMERIEN MIT PERSÖNLICHKEIT empfehlen CLARINS Hochwirksame Pflege, die das Beste aus Wissenschaft und Pflanzenwelt vereint: Seit mehr als 60 Jahren setzt Clarins auf die leistungsstärksten Aktivstoffe für Ihre Schönheit. Die Pflegelinie Multi-Intensive ist ideal für die Bedürfnisse anspruchsvoller Haut. Sie vereint Extrakte aus Haronga, Spitzwegerich und Montpellier-Zistrose für eine jugendlichere Ausstrahlung, mehr Hautdichte und gemilderte Falten. Spitzwegerich Der Extrakt aus den Blättern dieser wilden Wiesenpflanze hilft dabei, ein harmonisches Gesichtsvolumen zu bewahren. Erleben Sie Clarins hautnah bei uns mit persönlichem Service und individueller Beratung entsprechend Ihrem Hautbedürfnis. Entdecken Sie das neue Supra Sérum sowie die Tages- und Nachtcremes von Multi-Intensive, der Pflegelinie für höchste Ansprüche! Ihre PARFÜMERIEN MIT PERSÖNLICHKEIT freuen sich auf Ihren Besuch! Tauchen Sie ein in das großartige Pflege-Universum der inhabergeführten PARFÜMERIEN MIT PERSÖNLICHKEIT und finden Sie hier Ihren Pflege-Experten: www.parfuemerien-mit-persoenlichkeit.de Besuchen Sie uns auch auf Facebook! BEAUTY STILISTEN HIER KOMMEN UNSERE KOSMETIKEXPERTEN ZU WORT NEUANFANG Hübsch gemacht Im September geht das Leben wieder los. Finden Sie nicht auch? In Modegeschäften ist das Sortiment längst auf Herbst und Winter umgeräumt. Auch in den Parfümerieregalen finden sich viele neue Düfte, Cremes (ganz besonders toll: das Augen-Concentré aus der Le Lift-Serie von Chanel) sowie Make-up-Farben ein. Und wie in der Mode bieten die FashionHäuser auch bei uns ihre neuesten Kreationen an. Wie Miu Miu, die kleine Schwester von Prada. Erstmals gibt es einen Duft, der das Gefühl der Marke einfangen soll. Wie das riecht? Meiner Nase zufolge nach Maiglöckchen, Jasmin, Rose und einer holzigen Note. Verspielt und extravagant. Das passt. Und der hellblaue Flakon zaubert gute Laune, wenn der Sommerblues einsetzt. Öl-Check: Die Wirkstoffe des „The Renewal Oil“ von La Mer werden durch Schütteln der kleinen Glasflasche aktiviert und dann als Elixier unter einer Creme angewendet oder pur (etwa auf langen Flugreisen) aufgetragen. Es soll die Zellerneuerung anregen, mit dem Ziel, die Haut jugendlich-glatter aussehen zu lassen. Daran könnte man sich ja gewöhnen. 10 2 COURTESY ARMIN MORBACH Zugegeben, ganz alltagstauglich ist dieses Styling nicht. Aber das ist ja auch gar nicht die Aufgabe von modischer Inszenierung. Und bei diesen Lippen ist es ohnehin egal, ob man unter den Fransen der Lampenschirmhaube noch den Durchblick hat. Die Aufnahme stammt aus Armin Morbachs Ausstellung „Position before Pose“ im Berliner Departmentstore Quartier 206, bis 7. November Olé: Als Kind spazierte Isabelle d’Ornano, Inhaberin von Sisley, durch die Gärten des Alcázar von Sevilla. Dies inspirierte sie jetzt zu „Soir d’Orient“ – einem floral-würzigen Duft, der von Sandelholz, Patchouli und Weihrauch erzählt. Olé! Echt Leder: In den 20erJahren ging es in Berlin heiß her, der Duft „Spanisch Leder“ von der Berliner Duftmanufaktur J. F. Schwarzlose fing dieses Lebensgefühl ein. Jetzt gibt es ihn in einer Neuauflage als: „Fetisch“. Ab Oktober Kein Schatten mehr: Er ist der Schöpfer von Davidoff Cool Water und Jil Sander Sun. Doch die wenigsten kennen seinen Namen. Nun hat Pierre Bourdon erstmals eine eigene Duftlinie kreiert. Passt zur Jahreszeit: „la fin d’un été“. Duftet warm und frisch. Über pierrebourdon.com Goldfinger: In einem James-Bond-Film hätte diese Tube das perfekte Gimmick abgegeben, in dem Tüftler „Q“ für 007 eine Waffe versteckt. Zurück in der Realität (und bald bei uns im Badezimmer), hat Guerlain für seine neueste „Abeille Royale Gold Eyetech“-Augenpflege diesen Finger-Applikator entwickelt. Warum? Das Serum soll durch ihn jeden Winkel um die Augen erreichen, kühlen, massieren und gleichzeitig straffen. Klingt nach einem Wundermittel. Ob „Q“ womöglich doch seine Finger im Spiel hatte?! Dagmar Zimmermann Inhaberin der „Schlossparfümerie“ in Bayreuth À LA BEAUTÉ Was ich mit Chanel verbinde? Klar, die Schöpferin der Marke, Gabrielle „Coco“ Chanel. Ihre hübschen Tweedkostüme, ihre Perlenkette, die sie stets trug. Haute Couture und No. 5, das Kult-Parfüm. Doch nicht weniger Aufmerksamkeit sollte man der Pflegelinie der Franzosen schenken, die schon 1927 von der Modedesignerin selbst lanciert wurde, und erst in den 1990er-Jahren ausgebaut wurde. Heute ist sie mit, wie ich sie nenne, Haute-Couture-Inhaltsstoffen angereichert. Etwa mit der Vanilla Planifolia, einer hoch konzentrierten Wunderwaffe aus Madagaskar gegen Falten. Sie steckt etwa in der reichhaltigen „La Crème“ aus der Sublimage-Reihe, der ich seit Jahren treu bin. Und bleiben werde. Andrea Kruse Inhaberin der Parfümerie „Aurel“ in Sindelfingen T H E C U L T U R E O F T O TA L B E A U T Y Exklusive Haarpflege und Kosmetik. In ausgesuchten Friseur – Salons: labiosthetique.de LA BIOSTHETIQUE CHEVEUX LONGS In voller Länge Langes, seidiges Haar ist sexy. Es ist aber auch empfindlich und anfällig für Sprödigkeit und Haarbruch. Das luxuriöse Spa – Konzept Cheveux Longs gleicht Strukturschäden aus, pflegt das Haar mit hochwirksamen Inhaltsstoffen und umschmeichelt es mit einem bezaubernden Parfum. ge e NSSSt! eu lin Alles soll so bleiben Di PS Wie häufig hat man Ihnen schon gesagt, dass die Lippenstiftfarbe, die Sie jahrelang benutzten „aus dem Sortiment genommen wurde“? Hätten Sie „Le Rouge No. 1“ von Yves Saint Laurent gewählt, wäre Ihnen das womöglich nicht passiert. Denn bis heute ist DAS Rot in der „Rouge Pur CoutureLinie“ (1978 kreiert) ein Klassiker im Sortiment. Jetzt gibt es lediglich eine neue Hülle. Gegen ein bisschen neu haben wir ja auch gar nichts einzuwenden ... Hauptsache, der Inhalt bleibt. Überraschung! Auf den zweiten Blick werden Dior-Kennerinnen staunen, dass sich in diesem Behältnis nicht der geliebte Lipgloss versteckt. Für seine erste Dior-Kollektion hat der neue Kreativdirektor Make-up, Peter Philips, einen flüssigen Lidschatten entwickelt, „der die Lider mit nur einem Pinselstrich in pures Licht mit Spiegeleffekt“ verwandeln soll. Das „Dior Addict Fluid Shadow“ gibt’s in sechs Nuancen. Alle cool. Herbstgefühle Siamesische Zwillinge Die Mode muss zum Make-up passen und umgekehrt. Jedenfalls gilt das für Giorgio Armanis aktuelle Kollektion. Der Maestro verwendete Blau-, Grün-, Taupe-Töne kombiniert mit Pink. Seine Make-up-Artistin Linda Cantello setzte das in die Kosmetiksprache um. Ergebnis? Eine limitierte „Runway Palette“, farblich innen wie außen (Seide aus der Kollektion) auf die Mode abgestimmt. Unter anderem bei Oberpollinger in München. Klar weiß man, wie Rosen duften. Aber haben Sie sich schon einmal überlegt, wie die Zistrose, ein Strauch, dem Heilkräfte nachgesagt werden, riecht? Tja. Sie riecht nach nix. Dennoch hat Parfümeurin Émilie Coppermann ihr mit „Floriental“ für Comme des Garçons einen Duft gewidmet und dafür das Harz des Strauches (Labdanum) verwendet. Denn das gilt als „berauschend und mysteriös“. Der neue Boss Sister Act 10 4 Endlich, mögen Fans der Marke Miu Miu denken, gibt’s nun einen Duft. Ein regelrechter Nachholbedarf bestand bei der kleinen Schwester von Prada, die seit gefühlten Ewigkeiten in zahlreichen Düften verewigt ist. Nun hat Miuccia Prada die Parfümeurin Daniela Andrier gebeten, auch die junge Marke in ein Eau de Parfum umzusetzen: Blumig-holzig solle es duften und, bitte, keineswegs zu mädchenhaft. Geschafft. Bravissimo! Dem Metzinger Welt-Modeunternehmen gelang 2013 ein Coup – es verpflichtete den hoch gehandelten, amerikanischen Designer Jason Wu als Chef-Kreativen. Nun hat der New Yorker auch die Flakons der drei bereits existierenden Boss-Damendüfte Jour, Ma vie (Foto) und Nuit eingekleidet. Trendgerecht: Gleicher Inhalt, neuer Look. ZUSAMMENGESTELLT VON CAROLINE BÖRGER Geruchlos, aber gut Noch ist September, noch freuen wir uns über spätsommerliche, sonnige Tage. Doch auch der Herbst hat seine Magie, hat man sich wohl bei Chanel gedacht und die Nagellack-Serie „Les Automnales“ entwickelt. Bitte vormerken: Die Kollektion (ja, auch der kastanienbraune Nagellack Nr. 669) kommt am 10. Oktober in die Parfümerien. Herbst, wir freuen uns auf dich! F ast täglich landen Pressemitteilungen über Cremes und absolut einzigartige Parfüms auf dem Redaktionsschreibtisch. In großem Marketing-Aufwand werden fantasievolle Geschichten zum neuen Produkt erzählt. Kein Wunder also, dass kürzlich besonders eine Broschüre ins Auge stach: ein schlichtes, weißes Heftchen, das in nur wenigen Sätzen den Parfümeur Zarko Ahlmann Pavlov und seine sechs Kreationen vorstellt. Keine lange Geschichte, kaum Bilder. Der mitgelieferte Tester mit dem Namen „Pink Molécule“, schlicht in einem weißen Zylinder aus recyceltem Papier verpackt, macht also neugierig, wird gleich versprüht – und sofort steigt ein Hauch von prickelndem Rosé-Champagner in die Nase. Aha! Der Mann hinter dem Duft ist ein Däne, auch wenn weder sein Name noch sein Äußeres das zunächst vermuten lassen. Ende der 60er kam er mit seinen Eltern aus Jugoslawien ins Königreich. Und ist so smart und nordisch geerdet, wie man sich die nordischen Nachbarn immer vorstellt. „Ich lebe und arbeite an der Küste nördlich von Kopenhagen, habe das Meer vor der Haustür, liebe den Wind und das Segeln“, erzählt er bei einem Treffen in Berlin. Sein Traum war es stets, „den Duft des Nordens in einem Flakon einzufangen“. Nicht einfach in Flaschen abfüllen und an Touristen verkaufen, sondern als Parfüm. Die Idee dazu kam ihm, als er noch Inhaber einer Modeboutique in Kopenhagen war und mit der DuftBranche eigentlich gar keinen Kontakt hatte. 16 Jahre später ist das Gegenteil der Fall. Zarko investierte fünf Jahre in die Ausbildung, arbeitete sich in die Alchemie der Düfte ein, verkaufte die Boutique. „Jetzt bin ich der einzige Parfümeur Dänemarks.“ Der Familienvater ist sichtlich stolz darauf. Viele hätten ihm damals geraten, die Finger davon zu lassen – es hätte schließlich noch nie ein Parfümhaus gegeben, das aus Skandinavien kommt und auch dort produziere. Er ließ sich nicht beirren. Im Herbst 2013 brachte er seine ersten vier Düfte heraus. „Meine Eltern haben immer gesagt: Mach, was immer du möchtest, glaube an dich. Hör nicht auf die Masse.“ Daran hält er sich, seine Kreationen haben wenig mit dem Massengeschmack gemein. Unisex-Düfte sind sie alle. Anders als herkömmliche Parfümeure entwickelt der 45-Jährige Düfte auf Molekularebene, losgelöst vom klassischen, französischen Duftaufbau. Er experimentiert lieber mit Riechstoffen, wie etwa mineralischen Molekülen und ätherischen Essenzen. Getreu seinem Motto: Arbeite ohne Regeln. „Die Grundvoraussetzung dafür ist jedoch, dass man die Rohstoffe kennt. Jedes Mal, wenn ich einen neuen Stoff ausprobiere, teste ich ihn direkt auf der Haut, nicht auf einem Papierstreifen. Erst dann weiß ich, wie und ob es funktioniert.“ Häufig entstehen die Düfte auf Wasserbasis, was – entgegen der allgemeinen Meinung – das Parfüm nicht verdünne. „Vielmehr haftet es dadurch länger auf der Haut“, erklärt Zarko resolut. Für ihn ist die traditionelle „Duftpyramide“ überholt. „Viele Firmen glauben, dass die Kopfnote, also das, was man nach dem Aufsprühen zuerst riecht, explodieren müsse.“ So könne man auf günstigere Noten in der Mitte und der Basis setzen, die der Kunde erst nach Stunden bemerke, nur um sich zu wundern, dass es ganz anders rieche als noch am Regal. Bei Zarkos Kreationen entwickeln sich die verschiedenen Phasen parallel. „Nehmen Sie sich Zeit. Testen Sie meine Düfte direkt auf der Haut, gehen Sie nach Hause und warten Sie ab, erst durch Körperwärme können sie sich entfalten. Probieren Sie bloß keine sechs Düfte hintereinander aus, erschnüffeln sie lieber die Dimensionen eines einzigen.“ Die „Nase“ entwickelt die Düfte im Atelier, das praktischerweise im Haus liegt. „Ich entscheide, kein anderer. Noch nicht einmal meine Frau Lene beeinflusst mich. Erst wenn ein Duft fertig ist, dürfen die anderen ihn riechen“, erzählt er und lacht, wie so oft in dem Gespräch, laut und herzlich. Das könne manchmal Monate dauern. Unterstützt wird er dabei von seiner Frau, PARFÜM Frederick, einem Geschäftspartner und Freund aus Teenagerzeiten, und dessen Frau. Von Hand füllen die vier die Flüssigkeiten in die schlichten Flakons. Zu ihrem „Hauptquartier“ im Süden der dänischen Hauptstadt hat sonst niemand ZuIn seinen Düften lässt ein tritt. Viel zu sehen gäbe es ohnehin nicht: „Steldänischer Parfümeur die Moleküle len Sie sich einfach eitanzen. Jedenfalls wenn er Lust darauf nen Chemielabor-Platz vor.“ hat. Caroline Börger hat sich den Die großen Firmen ließen nicht lange auf sich Mann mal angeschaut warten. Sie riefen bei Pavlov und Fredrik Eriksen an, wollten den Vertrieb übernehmen, das Geschäft mit den duftenden Kostbarkeiten vergrößern. Doch die zwei lehnten ab. Nicht aus Überheblichkeit, sondern ganz einfach, weil Stress nicht ihr Ding sei, erklärt Zarko in seiner stoisch-ruhigen Art, und man glaubt ihm. „Wir könnten größer sein, doch wir haben Zeit. In Nordish by nature: den 16 Jahren in der Modebranche habe ich oft erlebt, dass viele Die aktuelle KreaMarken es nicht geschafft haben, weil sie zu viel auf einmal wolltion des Dänen ist ten. Und nur weil uns Distributoren sagen: ‚Produziert mal alle „Molécule No. 8“ – sechs Monate etwas Neues, das machen die anderen auch, machen ein holzigwir das lange noch nicht.‘“ Er meint es ernst, will weder sich noch rauchiger Duft seine Düfte vereinnahmen lassen – ganz dänischer Individualist. Vergleichbares gebe es auf dem Markt auch kaum, obwohl Geza Schön, der Berliner Parfümeur und Wegbereiter der Molekulardüfte, „natürlich verdammt gut“ sei. In diesem Jahr haben sie für „Pink Molécule“ den Danish Beauty Award gewonnen – gleich in zwei Kategorien. Außerdem wurden sie erneut als bestes dänisches Produkt ausgezeichnet. Viel Ehre für die Mini-Firma. Die steigt dem umgänglichen Parfümeur nicht zu Kopf, er konzentriert sich auf seine Kunden: „Menschen, die sich für den Duft interessieren, die kein Bling-Bling brauchen.“ Zarko selber trägt „Molécule 234.38“ – einen Duft, der die Aura unterstreiche und somit bei jedem anders rieche. „Ein Duft für Fortgeschrittene“, wie er zugibt. Und da er nur macht, was und das auch nur wenn es ihm passt, hat er „noch nicht einmal darüber nachgedacht, was als Nächstes kommt“. Und ja, auch das kauft man ihm ab. Frische Brise 10 5 In Pose beim Denker Dass Auguste Rodin auf einem Berg über der Stadt wohnte, wissen selbst viele Pariser nicht. Das wiederum reizte La Biosthétique D Quell der Inspiration: In seinem Haus in Meudon fand Auguste Rodin die Ruhe für seine Skulpturen. Heute dient die Villa als Museum und manchmal als Kulisse, wie für die neue Kampagne von La Biosthétique (oben) 10 6 ie Mail mit der Adresse irritiert und erfordert eine Nachfrage: Das Musée Rodin, ja klar – aber in Meudon? Selbst für passionierte Pariser Museumsgänger ist das ein blinder Fleck auf der Kulturlandkarte. Kein Wunder, dass einen der Busfahrer, wenn man an der Endhaltestelle aussteigt, erst einmal in die falsche Richtung schickt. Meudon ist grün und liegt ziemlich hoch auf einem Berg, ruhige und mit steilen Treppen gepflasterte Fußwege führen durch alte Weinberge und deutsch anmutende Kleingartenkolonien; auch Leute, die lange in Paris leben, wissen nicht, dass es sie überhaupt gibt. Doch wenn man schließlich etwas atemlos oben ankommt und sich umdreht, weiß man, warum Frankreichs bekanntester Bildhauer Auguste Rodin hier lebte und arbeitete: Der Blick auf die nicht allzu ferne Stadt wird ihm stete Inspiration gewesen sein. Die nächste kulturelle Verwirrung folgt umgehend: Als ich mich wortreich auf Französisch bei Jean-Marc Weiser, dem CEO von La Biosthétique, für die kleine Verspätung entschuldige, antwortet dieser mit gurrend-rundem, süddeutschem Zungenschlag. Parlezvous etwa Schwäbisch? „Nein, um Gottes willen, Badisch“, sagt er lachend. Er stellt dann seinen Frankreich-Direktor Philip Morano vor. Auch er spricht Badisch. Bei La Biosthétique klingt alles sehr französisch und ist doch ganz deutsch. Das Unternehmen wurde Anfang der 50erJahre von dem Pariser Biochemiker Marcel Contier gegründet und beliefert bis heute Highend-Friseure und Spas mit Haar-, Makeup- und Hautpflegeprodukten. Siegfried Weisers Schwiegervater vertrieb La Biosthétique in Deutschland, wo die Marke schnell erfolgreicher wurde als im Heimatland. Weiser stieg in den Betrieb ein, expandierte in andere Länder und übernahm im Jahr 2006 endgültig auch die französische Mutterfirma. In Pforzheim wird geforscht, entwickelt, produziert, in Paris repräsentiert und geschult. Heute leitet sein ältester Sohn Jean-Marc das Familienunternehmen in dritter Generation. „Meinen frankophilen Namen verdanke ich meinem Vater Siegfried“, erzählt er. Im Schwarzwald brachte ihn das sein Leben lang in Erklärungsnot und langatmiges Buchstabieren erforderte es obendrein. „Jan-Marc“ war da noch die eleganteste Variante. „Ich habe daraus gelernt und meinen Kindern einfache deutsche Namen gegeben: Oskar und Maja“, sagt er, während sein Weg durch den Garten von Auguste Rodin führt, vorbei an einer Kopie des berühmten „Denkers“, der hier auf der grünen Wiese mit Blick über Paris vor sich hingrübelt. Unter ihm hat der Bildhauer seine letzte Ruhestätte gefunden. Die Models werden gerade neu gestylt, und das Fototeam macht Pause. Also haben wir Zeit, auch das Wohnhaus zu besichtigen. Von den Wandmalereien im Badezimmer bis zu den Möbeln und dem Geschirr ist alles noch original 19. Jahrhundert. Doch das Beeindruckendste ist wohl das Schlafzimmer im ersten Stock: Der tiefgläubige Künstler, der zehn Jahre lang in wilder Ehe mit seiner Schülerin Camille Claudel lebte, schlief neben einem fast mannshohen Kruzifix. In diesem Bett starb er 1917. „Ein besonderer Ort, finden Sie nicht?“, sagt Weiser. Ein bisschen unheimlich auch. Um das französische Flair der Marke zu unterstreichen, werden für die Image-Kampagnen jede Saison visuell starke und überraschende Orte fernab von Frankreich-Klischees gesucht. Das Sommershooting fand in der südfranzösischen 70er-Jahre-Feriensiedlung La Grande Motte statt, davor in der modernistischen, kühnkurvigen Parteizentrale der Kommunisten von Star-Architekt Oscar Niemeyer in Paris. Der ästhetische Sprung nun zu diesem intimen, kleinen Künstlermuseum könnte nicht größer sein. Die Regie ruft, es geht weiter. Während das Haus eher klein und bescheiden ist, zeigt sich im ehemaligen, musealen Atelier Rodins sein Drang zu künstlerischer Größe. Überall Gipsplastiken seiner berühmten Werke, auch die Form, aus dem das Höllentor gegossen wurde, hat darin Platz. Die Models Karlie und Eleonor posieren ganz in Weiß vor den Skulpturen. Der deutsche Fotograf und Wahl-Pariser Horst Diekgerdes inszeniert die beiden, als seinen sie Musen des Meisters. Doch natürlich sollen die Mädchen nicht nur an den PygmalionMythos erinnern, sondern vor allem die Looks der neuen Biosthétique-Saison verkörpern. Und den nennt der Visagist Steffen Zoll „sanfte Mystik“. „Keine harten Linien, sondern ganz dezente Farben und Make-up“, erklärt er. Beeren- und Grün-Gold-Töne für die Augen und unbedingt braunen Mascara, der natürlicher aussieht als schwarzer. Für die Lippen ein leichtes Orange oder Zyklan, das flüchtig wirkt wie ein Hauch. Bloß keine Foundation, die die Gesichtshaut maskig macht, sondern eine getönte Tagescreme, die nicht deckt. Darunter sein Lieblingsprodukt, die „Glow Base“, die den Teint im Licht schimmern lässt. Und Alexander Dinter, der Haar-Supervisor bei La Biosthétique, empfiehlt kühle Brauntöne ohne Rotstich fürs Haar. „Die Frisur – ob kurz oder lang – bleibt Geschmacksfrage“, sagt er. Das Wichtigste seien den Kundinnen heute vor allem gepflegte Texturen und ein natürlicher Fall des Haares. Sie wollen Haargesundheit sehen, zeigen und fühlen. „Gesprayte Betonfrisuren und unnatürliche Haarfarben, die wie Helme wirken – das ist das einzige No-go“, weiß er. Jean-Marc Weiser und Philip Morano schauen sich das Ergebnis des Shootings auf dem Bildschirm an und nicken zufrieden. Sie fahren zurück in die Pariser Repräsentanz von La Biosthétique, die auf 800 Quadratmetern direkt am Triumphbogen französische Grandeur bis in die letzte Flügeltür behauptet – in einer schwarzen Mercedes-Limousine mit Pforzheimer Nummernschild. SB LA BIOSTHÉTIQUE PARIS/HORST DIEKGERDES (3); AFP/GETTY IMAGES MIT HAUT UND HAAR PARFÜM ALAIA (3) W ie kaltes Wasser, das auf heiße Dachziegel trifft!“ Die Parfümeurin Marie Salamagne hat bereits viele Düfte entworfen: „Black Opium“ für Yves Saint Laurent, „Tokyo“ für Kenzo, oder „Eau de Nuit“ für Giorgio Armani. Aber so ein konkretes Bild, nein, das habe ihr noch niemand als Arbeitstitel in den Block diktiert. Es sei die erste Dufterinnerung von Azzedine Alaïa gewesen, die es in einen Flakon zu bannen galt: den Geruch, wenn seine Großmutter schüsselweise Wasser aufs Dach schüttete, um das Haus innen zu klimatisieren in den heißen Mittagsstunden unter tunesischer Sonne. Wie der Schriftsteller Marcel Proust auf seiner „Suche nach der verlorenen Zeit“ mit einem in Tee getränkten Madeleine-Kuchen Erinnerungsketten lostritt und zum Katalysator des gesamten Werks werden lässt, so sollte auch dieser Duft wirken. Es sei eine schwierige Herausforderung gewesen, sagt die Parfümeurin – und eine unvergessliche Erfahrung: „Den meisten Designern bin ich noch nie persönlich begegnet“, sagt sie. Aber bei Azzedine Alaïa saß sie binnen der zwei Jahre, die die Entwicklung des Dufts brauchte, quasi auf seinem Schoß. Für das erste Parfüm der Marke mit dem Namen „Alaïa Paris“ hatte die Shiseido-Gruppe eine Ausschreibung ausgelobt, und die Nase des Meisters wählte aus der Fülle von Vorschlägen blind Salamagnes Erstentwurf. Doch es sollten noch etwa 500 Versuche folgen, bis der Duft vollendet war, erzählt die Parfümeurin unter dem Glasdach des Studios im Alaïa-Haus im Pariser Marais. Das Ergebnis: Die Probe auf dem Papier riecht eher herb wie ein Männerparfüm, auf der Haut viel runder, sinnlicher und weiblicher. Ein blumiger Wildlederduft, der mit olfaktorischen Gegensätzen spielt, mit Akkorden aus rosa Pfeffer, Moschus, Freesie und Pfingstrose, wie die Parfümeurin erläutert. Seit 1990 wohnt und arbeitet Azzedine Alaïa in der Rue de Moussy. In dem hallenartigen Studio finden auch seine Modenschauen statt, die sich nicht nach dem Kalender der Branche richten, sondern nach seiner inneren Uhr. Er ist fertig, wenn er fertig ist. Ganz so war es auch bei dem Parfüm: Es hätte vor 30 oder 60 Jahren erscheinen können. Dem Zeitgeist verpflichtet zu sein, das hat ihn nie interessiert. Das zeigt auch die Werbekampagne für das Parfüm. Das Model trägt das als „houpette“ (Puderquaste) berühmt gewordene Kleid von 1994. Die hautenge, aus Stretchbändern und transparenten Elementen bestehende Robe könnte auch aus seiner jüngsten Kollektion sein. Zeit spielt keine Rolle. Das hat auch die Parfümeurin Marie bei den vielen Treffen erfahren, gleich nebenan in der großen Wohnküche, wo sie stets an den großen Glastisch zu den Kreativen gerufen wurde. „Ein Essen gehörte immer dazu“, sagt sie lachend. „Sich erst einmal kennenzulernen und gemeinsam zu essen.“ Für Alaïa zu arbeiten bedeutet, in die Monsieur Alaïa nimmt sich Zeit Fast 60 Jahre dauerte es, bis einer letzten großen Couturiers von Paris sein erstes Parfüm auf den Markt brachte. Der Launch kam einer Schnupperparty im Familienkreis gleich. Der Meister kam, schwieg und tanzte Flamenco. Silke Bender feierte mit Im Kreise seiner selbst geschaffenen Großfamilie (ganz oben) nahmen die Dufterinnerungen von Alaïa über Jahre Gestalt an Familie aufgenommen zu werden. Der Modemacher, der ohne Vater im Kreis von vielen geschiedenen Frauen aufwuchs, hat sich heute eine eigene Großfamilie geschaffen, beschäftigt einen Leibkoch und eine Art beratenden Hofstaat. Der einzige schwarze Stuhl ist stets für ihn reserviert, den Mann im immer gleichen schwarzen Mao-Anzug. Von dort aus warf er Salamagne Bilder und Metaphern zu, mäkelte hier und dort über ihre Proben und ermutigte sie stets, weiterzumachen. Mal roch es ihm „zu jung“, mal war ihm eine Nuance zu dominant. „Meine Idealfrau ist alterslos, elegant und von selbstbewusster Erotik, ohne diese jedoch aufreizend einzusetzen. Es ist dein Job, meine Vorstellungen in einen Duft umzusetzen. Wie das geht, kann ich dir nicht sagen, aber ich bin mir sicher, du kannst das“, war sein Standardsatz, wenn die Parfümeurin nicht weiterwusste. Auch Martin Szekely, der Flakon-Designer, brauchte länger, bis die Farbe der Flasche passte: nicht zu transparent, nicht zu opak. Bis es dem perfektionistischen Alaïa gefiel. Den Flakon ziert das Leder-Lochmuster, das seit 1992 bereits ein Leitmotiv seiner Entwürfe ist. Der Pariser Dachkammer, in der der Student der Bildhauerei 1957 anfing, als Hausschneider für die Comtesse de Blégiers zu arbeiten, ist er längst entwachsen. Trotzdem blieb er immer in seiner kleinen, sehr exklusiven Nische. Bis heute, auch nach mehrmaligen Verkäufen seiner Marke, zuletzt an die Richemont-Gruppe 2007, entzieht er sich, als einer der letzten Couturiers alter Schule den Markt- und Marketinggesetzen des Modebusiness. Streitbar ist er auch: Er kritisierte Anna Wintour für ihren seiner Meinung nach nur der PR verpflichteten Geschmack und Karl Lagerfeld dafür, auf zu vielen Feldern aktiv zu sein. Interviews zu seinem ersten Duft wollte er keine geben. Beim Dinner abends in seinem Studio schlich sich der kleine, große Alaïa fast unerkannt an den Tisch. Ein paar Selfies mit Journalisten, okay, dann führten ihn hilfreiche Arme höflich, aber bestimmt fort. Fragen? „Non merci, ich bin müde.“ Man mag bei ihm nicht insistieren. Auf der Bühne tanzte und musizierte das Ensemble von Blanca Li. Der Flamenco-Star ist eine gute Freundin, seit sie in den späten 80er-Jahren in einem AlaïaKleid für „Vogue“ posierte. Nach dem Dessert, gegen Mitternacht, tanzten die beiden: In bester Flamenco-Manier stampfte Alaïa mit den Füßen. Müde wirkte das ganz und gar nicht. 10 7 Wenn Prada eine neues Produkt vorstellt, ist Kunst nicht weit. Lok Jansen hat die eh schon kunstvollen Kampagnenbilder von Marcel Christ noch einmal verfremdet DUFTNOTEN Guter Stoff Die Infusions-Düfte von Prada waren als limitierter Luxus geplant. Der Erfolg aber war so groß, dass es nun eine ganze Kollektion gibt. Die Werbung dafür hat Marcel Christ fotografiert – der Meister der Infusionstechnik 10 8 E ine herrschaftliche Villa in Mailand, fantastische Blumenarrangements in Vasen und als Kunst an den Wänden. Alles nur für wenige Stunden aufgebaut, von flüchtiger Schönheit. Wie eben Parfüm. Der Kosmetik-Konzern Puig bittet zur Duftprobe. Für Prada bringt er eine ganze Kollektion heraus, gleich sechs Düfte aus der Infusions-Serie. 2007 hatte die „Nase“ Daniela Andrier für Miuccia Prada „Infusion d’Iris“ erdacht, ein Duft wie ein immer richtiges Lieblingskleid. Der Erfolg war derart groß, dass 2009 „Infusion de Fleur d’Oranger“ folgte, 2010 dann das holzige „Infusion de Vétiver“ und mit „Infusion d’Iris Cèdre“, „Infusion d’Amande“ und dem kräftigen „Infusion d’Oeillet“ ist es nun ein verführerisches Sixpack. Wer wäre geeigneter, die Werbekampagne zu gestalten, als der Niederländische Fotograf Marcel Christ, dessen ungewöhnliche Bildsprache durch Experimente mit unterschiedlichen Zutaten und eben Infusionen zustande kommt. Seine Splash-Bilder für Coca Cola sind so berühmt wie die Shoots für Absolut Vodka. Was aussieht wie eine Computersimulation ist eine Momentaufnahme. Ich werde in einen Raum im Erdgeschoss geführt. Bei diesen Terminen ist es wie beim Arzt, man nimmt schon mal Platz, dann kommt er rein. Der erste Eindruck: gut sitzender Anzug. Es bleibt so positiv im weiteren Gespräch. Ihre Bildsprache ist ja sehr, nun, explosiv? Wie kommt’s? Vielen Dank. Ich achte auf die wirklich zufälligen Dinge – die, die wir mit bloßem Auge nicht sehen können. Ich mache „Stillleben“, aber daran ist nichts Stilles. Ich versuche, alles mit dem richtigen Timing und vergleichsweise hoher Geschwindigkeit einzufangen. Haben Sie das endgültige Bild vor der Umsetzung schon im Kopf? Ja, schon. Für die Vorbereitungen brauche ich immer lange, weil ich alle möglichen Techniken anwende, was man aber am Ende nicht mehr merken soll. Das Set-up zu entwickeln und den Zufall zu kontrollieren – das ist interessant. Aber es braucht Zeit. Und dann kommt noch der ganze Infusionsprozess hinzu. Man muss eine Idee haben. Aber man muss sie auch umsetzen und es muss funktionieren. Werden Sie nervös, wenn das Ergebnis nicht richtig ausfällt? Der Druck ist eine Herausforderung, weil man viele, viele Dinge auslotet und versucht umzusetzen. Eine besondere Rolle spielt dabei ein Becken, das wir als Grundlage verwenden. In diesem Fall versuchten wir, ein „Infusions-Universum“ unter Wasser zu schaffen, mit Substanzen und Blumen, die sich gegenseitig beeinflussen und einander entgegenstehen. Das war sehr aufregend. Aber um noch einmal darauf zurückzukommen: Man weiß nie, wo und wann was passieren wird. Es ist ein intuitiver Schaffensprozess. Das klingt ja beinahe nach Alchemie ... Nein, im Grunde habe ich mir nur das Experimentelle und meinen individuellen Blick auf die Dinge aus der Kindheit bewahrt. Danach suche ich. Ich habe viel gebaut und gebastelt. Technikkram. Etwas Neues erschaffen. In dieser Hinsicht ist das Kind in mir noch lebendig. Deshalb war die Arbeit mit Prada großartig. Sie ließen mir völlig freie Hand. Es gab keine Kompromisse. Und das sehen Sie der Kampagne an – sie wurde schön. Die Infusion ist gelungen. LOK JANSEN Sie sind inzwischen ziemlich berühmt: Können Sie Einmischung daher ablehnen? Ich fühle mich privilegiert, richtig glücklich, weil ich eigentlich nie Kompromisse eingehen muss. Einige Marken versuchen, einen dazu zu drängen, aber wenn sie das tun, mache ich immer meinen eigenen „Director’s Cut“ sozusagen. Denn Kompromisse sind nicht gut, sie führen zu einem generischen Bild, dabei will man es innovativ gestalten, damit die Leute es mit anderen Augen sehen. Man fühlt sich frei, wenn man Dinge ablehnen kann. Sie hätten wohl Techniker werden sollen, warum wurden Sie Fotograf? Stimmt, ich studierte zunächst chemische Verfahrenstechnik, erst in Delft, dann in Amsterdam. Ich brach ab, weil es mir nicht kreativ genug war. Aber es kommt der Sache, die ich jetzt mache, nahe: In den ersten Jahren als Fotograf machte ich fast alles, dann spezialisierte ich mich auf Stillleben, was meiner Meinung nach in gewisser Weise der kreativste Entwicklungsprozess war. Man startet bei null und es entstehen schöne Ergebnisse. Nach ein paar Jahren fand ich meine Nische mit diesen „Stillleben, an denen nichts Stilles ist“. Wie muss man sich Ihre Arbeit vorstellen? Ein großes Studio, Prada hat Berge von Ingredienzien geliefert und sie fangen um 8 Uhr an zu experimentieren? (Lacht). 9 Uhr. Wir fangen am Becken an, übersetzen den ganzen Infusionsprozess, das Studio ist voll, ein Team von sieben Leuten und einen guter Blumen-Stylist, ein Freund aus dem Bereich Spezialeffekte. Wir besprechen das Set-up für jeden einzelnen Duft. Dann beginnt das Experiment und ich schaue genau hin, was passiert. Man ändert Kleinigkeiten oder auch alles radikal, bis man das Gefühl hat, es stimmt. Das ist reiner Instinkt . Erinnern Sie, als sie das das erste Mal durchziehen konnten? Ja, das ist schon einige Jahre her. Es ist ein Segen, aber ich habe hart dafür gearbeitet. Ich hatte schon vorher meinen eigenen Kopf, auch wenn ich für meine Familie sorgen muss. Aber so bin ich und so gehe ich durchs Leben. Interessant ist: Je nachdrücklicher man den Leuten einen Korb gibt, desto mehr wollen sie einen. Arbeiten Sie lieber mit Produkten als mit Menschen? Ja, schon. Was nicht heißt, dass es einfacher ist. Bei dieser InfusionKampagne gab es viele Herausforderungen. Zum Beispiel die Mandelblüten: Wir hatten nur acht Stück aus Argentinien, noch alle geschlossen am Zweig – sie öffnen sich und nach einem Tag ist es vorbei. Mit lebendigem Material ist es sehr spannend. Aber das Wichtigste – und daher mag ich Stillleben so gerne – ist, dass es immer Überraschungen gibt. Man arbeitet mit Substanzen, Blumen, allem Möglichem. Aber wie erweckt man die Dinge zum Leben, wie kombiniert man sie? Und wie zeigt man die Wirkung? Das ist meine eigentliche Inspiration. Wir beklagen oft, dass so viel am Bild manipuliert werde. Wenn ich mir die Titelseiten der Zeitschriften anschaue, sehen sie alle gleich aus, oder nicht? Ich versuche, so viel wie möglich mit der Kamera einzufangen, ohne allzu viel zu manipulieren, denn dann merkt man den Unterschied. Einerseits sind Ihre Bilder sehr ausdrucksvoll, aber sie sind überhaupt nicht natürlich. Dabei sind sie eigentlich natürlich, aber sie zeigen etwas, das man auf diese Weise zuvor noch nie gesehen hat. Das ist der Unterschied. Sie sind natürlich, aber ich denke, man ist an diese Art von Bildern nicht gewöhnt. Das ist meine bescheidene Meinung. Die Menschen sind überrascht. Immer kommt die Frage: „Wie hat er das gemacht?“ Können Sie das erklären? Ich nutze dieses Universum, indem ich Dinge einfange, die man mit bloßem Auge nicht sehen kann. Mit dem richtigen Timing ergibt sich daraus etwas wirklich Wundervolles. Denn im nächsten Augenblick kann etwas völlig zerstört sein oder es landet als großer Schlamassel im Wasserbecken – und wir müssen es wieder sauber machen. Das ist ein Foto! Von Marcel Christ für die neue Infusion de Prada Duftkollektion Wie stehen Sie zu Parfüm? Meine persönliche Wahl unter den Prada-Infusionen ist das Iris Cedar. Weil es edel ist. Wann fingen Sie an, Kosmetik zu benutzen? Als ich meine ersten grauen Haare bekam. Ist auch Ihr Verhältnis zu Parfüm von Ihrer Mutter beeinflusst? Von meiner Großmutter. Sie hatte das Kölnisch Wasser 4711. Sie hat immer sehr viel davon verwendet – es war wie eine Art Mantel. Und wenn ich es rieche, bin ich sofort wieder im Haus meiner Großeltern, und der ganze glückliche Film läuft von vorne ab. Das Gespräch führte Inga Griese, die hofft, dass auch ihre Enkelkinder mal so etwas sagen. Sie benutzt, Zufall, meist Infusion d’Iris. 10 9 BAUPLAN 1 2 3 8 6 5 7 DER „GOMMINO“ VON TOD’S In den Ateliers und Manufakturen dieser Welt werden weiterhin Handwerkskünste gepflegt, und wir schauen zu Die Italiener wissen Füße zu würdigen. Sie stecken sie konsequent in hochwertiges Schuhwerk. Manchmal mit hohen Hacken, gelegentlich flach und mit einer Sohle aus 133 Gumminoppen wie bei unserem Mokassin von Tod´s. Das Unternehmen mit Sitz in Sant’Elpidio a Mare ist heute für seine handgemachten Schuhe, Taschen und Lederaccessoires weltweit bekannt. Der erste Paar Gomminos ging 1978 über den Ladentisch. Der Name bezieht sich auf die Noppensohle. In rund 100 Produktionsschritten entsteht das klassisch italienische Design, das jede Saison durch neue Farben und Details aufgefrischt wird. Das Ergebnis ist vor allem eines: schön (bequem). 35 lose Lederstücke, und so wird ein Schuh aus der aktuellen Kollektion draus: 1. Zweidimensional fängt alles an, mit einer genauen Skizze des zukünftigen Schuhs. 2. Der Schuhmacher schlägt mit Hammer und einem kleinen Meißel Löcher in die Sohle. Hier finden später die Gumminoppen Platz. 3. Mithilfe einer Nähmaschine werden diese vorsichtig mit der Ledersohle verbunden. 4. Per Hand näht der Schuhmacher nun die restlichen Lederteile des Gomminos zusammen 5. Jetzt beginnt die Präzisionsarbeit: Das Vorderblatt, also die Oberseite des Schuhs, bekommt ihre Verzierung: eingeflochtenes Lackleder in Schwarz und Emaille-Schmucksteine in Dunkelgrün. 6. Nun werden das aufwendig verzierte Vorderblatt und der Schuh miteinander verbunden. 7. Schließlich werden die Nähte mit einer speziellen Gabel nachgezogen. Im nächsten Schritt 8. klopft der Schuhmacher dann mit einem flachen Hammer verbliebene Unebenheiten aus dem Leder, bis der Schuh makellos erscheint. Übrigens: Einen Spaziergang durch den goldenen Herbst machen die Gomminos in jedem Fall mit. Alternativ gibt’s die Wintervariante des Schuhs mit dicker Sohle. 110 TOD’S 4 www.porsche-design.com