Plötzlich hatte ich diesen Gedankenblitz

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Plötzlich hatte ich diesen Gedankenblitz
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b!
Das Magazin der Buchhandlungen von Orell Füssli
Nr. 4/2014
Schöner Lesen
Das Beste für den
Coffee Table
Für jede Blutgruppe
Neue Krimis von Könnerinnen
und Könnern
«Plötzlich hatte
ich diesen
Gedankenblitz»
Exklusivinterview mit Rachel Joyce
Und ausserdem:
Aussergewöhnliche Kochbücher,
musikalische Kinderbücher, Neues
von Knausgård und Barreau
AARAU –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Meissner Thalia
Bahnhofstrasse 41, 5001 Aarau
Mo – Fr: 9.00 – 18.30 Uhr | Do: 9.00 – 20.00 Uhr
Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
Wirz Thalia
Hintere Vorstadt 18, 5001 Aarau
Mo – Mi, Fr: 9.00 – 18.30 Uhr
Do: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 8.00 – 17.00 Uhr
BADEN –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Thalia
Langhaus beim Bahnhof, 5401 Baden
Mo – Fr: 9.00 – 19.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
BASEL ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Orell Füssli Bahnhof SBB
Passerelle, Güterstrasse 115, 4053 Basel
Mo – Fr: 7.00 – 21.00 Uhr | Sa: 8.00 – 21.00 Uhr
So: 9.00 – 20.00 Uhr
Thalia
Freie Strasse 32, 4001 Basel
Mo – Mi, Fr: 9.00 – 18.30 Uhr
Do: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 18.00 Uhr
BERN ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Stauffacher
Neuengasse 25 – 37, 3001 Bern
Mo – Mi, Fr: 9.00 – 19.00 Uhr
Do: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
Thalia Spitalgasse
Spitalgasse 47/51, 3001 Bern
Mo – Mi: 9.00 – 19.00 Uhr | Do: 9.00 – 21.00 Uhr
Fr: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 8.00 – 17.00 Uhr
Thalia Bahnhof SBB
Bahnhofplatz 10, 3001 Bern
Mo – Sa: 7.00 – 22.00 Uhr | So: 9.00 – 22.00 Uhr
BRIG –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
ZAP
Furkastrasse 3, 3900 Brig
Mo – Fr: 9.00 – 18.30 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
ZAP Bürostore
Englischgrussstrasse 6, 3900 Brig
Mo – Fr: 8.30 – 12.00 und 13.30 – 17.00 Uhr
FRAUENFELD –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Orell Füssli Einkaufszentrum Passage
Bahnhofstrasse 70 / 72, 8500 Frauenfeld
Mo – Fr: 8.00 – 20.00 Uhr
Sa: 8.00 – 18.00 Uhr
FRIBOURG
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Thalia
Bahnhof / Gare, 1700 Fribourg
Mo – Fr: 7.00 – 21.00 Uhr
Sa, So: 9.00 – 21.00 Uhr
––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Thalia
Vordergasse 77, 8200 Schaffhausen
Mo – Mi, Fr: 9.00 – 18.30 Uhr
Do: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
SCHAFFHAUSEN
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Thalia Shoppyland
Industriestrasse 10, 3322 Schönbühl
Mo – Do: 9.00 – 20.00 Uhr | Fr: 9.00 – 21.30 Uhr
Sa: 8.00 – 17.00 Uhr
SCHÖNBÜHL
SIERRE –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
ZAP
Place de la Gare 2, 3960 Sierre
Mo – Fr: 9.00 – 12.00 und 13.30 – 18.30 Uhr
Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Thalia Shoppi & Tivoli
8957 Spreitenbach
Mo – Sa: 9.00 – 20.00 Uhr
SPREITENBACH
ST. GALLEN ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Orell Füssli Bahnhof
Poststrasse 28, 9000 St. Gallen
Mo – Fr: 8.00 – 21.00 Uhr
Sa: 9.00 – 20.00 Uhr | So: 10.00 – 20.00 Uhr
Rösslitor Bücher
Multergasse 1 – 3, 9001 St. Gallen
Mo – Mi, Fr: 9.00 – 18.30 Uhr
Do: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
Thalia Shopping Arena
Zürcher Strasse 464, 9015 St. Gallen
Mo – Mi, Fr: 9.00 – 19.00 Uhr,
Do: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
BRUGG –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
ST. MARGRETHEN –––––––––––––––––––––––––––––––––––
Thalia
Neumarktplatz 12, 5200 Brugg
Mo – Do: 9.00 – 18.30 Uhr | Fr: 9.00 – 20.00 Uhr
Sa: 8.00 – 17.00 Uhr
Thalia Einkaufszentrum Rheinpark
9430 St. Margrethen
Mo – Do: 9.00 – 19.00 Uhr | Fr: 9.00 – 21.00 Uhr
Sa: 8.00 – 17.00 Uhr
CHUR –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
THUN –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Thalia Einkaufscenter City West
Raschärenstrasse 35, 7000 Chur
Mo – Do: 9.00 – 19.00 Uhr | Fr: 9.00 – 20.00 Uhr
Sa: 8.00 – 18.00 Uhr
EMMENBRÜCKE –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Thalia Emmen Center
Stauffacherstrasse 1, 6020 Emmenbrücke
Mo, Di, Do: 9.00 – 18.30 Uhr
Mi, Fr: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 8.00 – 16.00 Uhr
Thalia
Bälliz 60, 3600 Thun
Mo – Mi, Fr: 9.00 – 18.30 Uhr
Do: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
VISP ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Editorial | 3
WINTERTHUR ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Orell Füssli Marktgasse
Marktgasse 3, 8400 Winterthur
Mo – Mi, Fr: 9.00 – 18.30 Uhr
Do: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
Inhalt
Orell Füssli Einkaufszentrum Rosenberg
Schaffhauserstrasse 152, 8400 Winterthur
Mo – Fr: 8.30 – 20.00 Uhr | Sa: 8.00 – 18.00 Uhr
Vogel Thalia
Marktgasse 41, 8400 Winterthur
Mo – Mi, Fr: 9.00 – 18.30 Uhr
Do: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
ZERMATT ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
ZAP
Hofmattstrasse 3, 3920 Zermatt
Mo – Fr: 9.00 – 12.00 Uhr und 14.00 – 18.30 Uhr
Während der Saison:
Mo – Fr: 9.00 – 12.30 Uhr und 14.00 – 19.00 Uhr
So: 16.00 – 19.00 Uhr
ZÜRICH ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Orell Füssli Kramhof
Füsslistrasse 4, 8001 Zürich
Mo – Fr: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 18.00 Uhr
Orell Füssli Am Bellevue
Theaterstrasse 8, 8001 Zürich
Mo – Fr: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 18.00 Uhr
Orell Füssli The Bookshop
Bahnhofstrasse 70, 8001 Zürich
Mo – Fr: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 18.00 Uhr
Orell Füssli Flughafen
Airport Center, 8060 Zürich-Flughafen
Mo – Fr: 7.00 – 21.00 Uhr | Sa – So: 8.00 – 21.00 Uhr
Orell Füssli Zürich Hauptbahnhof
Shopville, Halle Landesmuseum, 8001 Zürich
Mo – Fr: 7.00 – 21.00 Uhr | Sa: 8.00 – 21.00 Uhr
So: 9.00 – 20.00 Uhr
Orell Füssli im Bahnhof Stadelhofen
Stadelhoferstrasse 8, 8001 Zürich
Mo – Fr: 8.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 19.00 Uhr
So: 10.00 – 18.00 Uhr
Orell Füssli im Franz Carl Weber
Bahnhofstrasse 62, 8001 Zürich
Mo – Mi: 9.00 – 18.30 Uhr
Do, Fr: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 18.00 Uhr
www.books.ch
0848 849 848
www.buch.ch
0848 28 24 24
www.thalia.ch
0848 842 542
Sowohl als auch
Liebe Leserin
Lieber Leser
Bücher enthalten Buchstaben – und Buchstaben
transportieren Informationen. Wer das Buch so
beschreibt, erfasst aber nur einen kleinen Teil
seines Wesens. Schliesslich kann das Buch viel
mehr! Zunächst einmal transportieren Buchstaben nicht nur Informationen, sondern sie können auch Emotionen hervorrufen. Aber gerade
so wichtig ist: Bücher haben eine materielle
Form, die wir mit allen Sinnen erfassen. Ich
zum Beispiel geniesse es, beim Lesen den feinen
Geruch des bedruckten Papiers wahrzunehmen.
Ein Leineneinband fühlt sich einfach gut an, und
Illustrationen können eine Freude fürs Auge sein.
Grossen Genuss für alle Sinne bieten die «Schönen Bücher», die wir Ihnen ab Seite 24 dieses
Magazins vorstellen. Es gibt fast für jeden Geschmack und jedes Interesse das passende Buch.
Jedes von ihnen nimmt man gern zur Hand, und
man stöbert gern durch die liebevoll gestalteten
Seiten. Das macht solche «Schönen Bücher» auch
zu einem ganz besonderen Geschenk für Weihnachten. Geht es dagegen wirklich nur um Informationen und Leseerlebnisse, sind eBooks eine
sehr gute Alternative. Sie verfügen über Vorteile,
die ein gewichtiger Bildband nicht hat. Zum Glück
finden Sie bei Orell Füssli Thalia beides.
NEUE KRIMIS
Für jede Blutgruppe
Seite 14
NEUE BÜCHER ÜBER UND ZU
WEIHNACHTEN
Stille Nacht,
originelle Nacht
Seite 18
4Notizen
10«Plötzlich hatte ich diesen
Gedankenblitz»
Exklusivinterview mit Rachel
Joyce, Autorin von «Der nie
abgeschickte Liebesbrief an
Harold Fry»
20Im Schaufenster 1
«Historische Begegnungen»
21Im Schaufenster 2
«Leben» von Karl Ove
Knausgård
23Im Schaufenster 3
«Paris ist immer eine gute
Idee» von Nicolas Barreau
24Spezial
Schöne Bücher
32 Kaffeepause
Die Books-Debatte
36 Fantastisch!
Fantasy-Neuerscheinungen
41Mein Buch
42Im Schaufenster 4
«Wahre Monster: Ein unglaubliches Bestiarium» von
Caspar Henderson
44 Da steckt Musik drin!
Neues aus der Kinderwelt
46 Kunst oder Steinzeit
Neue Kochbücher
48 Kreuzworträtsel
49 Veranstaltungen
50 Kolumne
Darum schreibe ich –
von Kaspar Schnetzler
Ihr Michele Bomio
CEO Orell Füssli Thalia AG
ZAP
Bahnhofstrasse 21, 3930 Visp
Mo – Fr: 9.00 – 12.00 und 13.30 – 18.30 Uhr
Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
Impressum
Die nächste Ausgabe von Books, dem Magazin der Orell Füssli
Thalia AG, erscheint im März 2015. Sie erhalten Books kostenlos in
jeder Filiale. Bestellungen nehmen wir gern entgegen unter www.
books.ch, [email protected] und Telefon 0848 849 848.
Jetzt Fan werden:
www.facebook.com/OrellFuessli
www.facebook.com/Thalia.ch
Preisänderungen vorbehalten. Unsere aktuellen Verkaufspreise
und eine umfassende Auswahl an Büchern, Filmen und Spielen
finden Sie auf www.books.ch, www.thalia.ch und www.buch.ch.
Herausgeber:
Orell Füssli Thalia AG, Dietzingerstrasse 3, Postfach, 8036 Zürich
Gesamtherstellung und Redaktion:
Die Blattmacher GmbH, Zürich
Gestaltung / LAYOUT: Strichpunkt GmbH, Winterthur
CoverFoto: Gaby Gerster
Bücher mit diesen Zeichen auch als eBook oder
Hörbuch erhältlich.
NOTIZEN | 5
Marius Leutenegger
Ein Buch über die Menschen? Ja, wovon
soll ein solches denn handeln? Schliesslich fallen einem zum Menschen unzählige Aspekte ein, von der Biologie, seiner
Geschichte und Entwicklung bis hin zu
seiner Kultur, seiner Wirtschaft, seiner
Philosophie oder der Art, wie er sich den
Planeten untertan gemacht hat. Tatsächlich schafft es eine Neuerscheinung aus
dem Droemer-Verlag, mit dem Titel «Das
grosse Buch vom Menschen» nicht zu
übertreiben. Der grossformatige, über 400
Seiten dicke Schmöker deckt tatsächlich
so ziemlich alles ab, was den Menschen
ausmacht – von «Liebigs Fleischextrakt»
über die Atombombe und das Geheimnis
des Schlafs bis zu Poppers Paradox. Und
er setzt die vielen Themen mit leicht
lesbaren Texten, unzähligen eindrücklichen Bildern und klugen Grafiken um.
Kreiert wurde dieses üppige Standardwerk, das wohl jeden und jede zum
Blättern animiert, vom Heidelberger
Wissenschaftshistoriker und Naturwissenschaftler Ernst Peter Fischer. Ihm
gelingt das Kunststück, die höchst
komplexe Materie federleicht zu präsentieren – und dem Menschen so unvoreingenommen gegenüberzutreten, wie das
einem Menschen überhaupt möglich ist.
Im Oktober wurde der deutsche Buchpreis
verliehen. Dass der Roman «Das achte Leben (für Brilka)» von Nino Haratischwili
nicht unter den 20 Finalisten war, sorgte in
der Kritikerszene für einiges Kopfschütteln.
«Damit fehlt der zumindest wagemutigste
deutschsprachige Roman des Herbsts – und
für mich auch der beste», schrieb Andrea
Platthaus, Literaturverantwortlicher der
FAZ. Platthaus vermutete, der Roman sei
für die Jury schlicht zu anspruchsvoll und zu
umfangreich gewesen. Tatsächlich ist das
Buch der aus Georgien stammenden und in
Hamburg lebenden Autorin mit 1300 Sei-
ten unzeitgemäss dick. Doch keine Seite
davon ist überflüssig: Nino Haratischwili
braucht so viel Platz, weil ihr opulenter Gesellschaftsroman acht Frauenschicksale
über sechs Generationen erzählt – und damit auch die Geschichte von Georgien zwischen 1900 und der Wende. Haratischwili
schreibt entlang der Chronologie, was die
Orientierung in der gewaltigen Familiensaga erleichtert, aber auch die Kausalität der
Ereignisse nachvollziehbar macht. Es gibt
viel Leid in diesem Buch, viele brutale
Schicksalsschläge, manches Grauen, aber
auch sagenhafte Triumphe und grosse
Lieben. Schliesslich entpuppt sich die
Länge dieses Buchs gar als dessen grosse
Stärke: Selten hat man als Leserin oder
Leser Gelegenheit,
derart intensiv in
eine Geschichte einzutauchen. Ob im
Buchpreis-Final oder
nicht: «Das achte
Leben (für Brilka)»
ist fraglos eines der
besten Bücher des
Jahrs. Und darüber
hinaus.
Charles
Lewinsky
© Kristofer Samuelsson
Notizen
Bei uns wurde Eric-Emmanuel Schmitt
spätestens 2003 zum Begriff – damals
erschien im Zürcher Ammann-Verlag
seine Erzählung «Monsieur Ibrahim und
die Blumen des Koran». Sie wurde ein
veritabler Hit, gewann im Jahr darauf den
Deutschen Bücherpreis
und durch die Verfilmung
mit Omar Sharif viele
zusätzliche Fans. Zu dem
Zeitpunkt, als man ihn bei
uns kennenlernte, war
Eric-Emmanuel Schmitt
aber bereits ein
gestandener Autor: Der
Elsässer gehört zu den
erfolgreichsten zeitgenössischen Dramatikern des französischen
Sprachraums – auch «Monsieur Ibrahim»
war erst ein Theaterstück. Immer wieder
beschäftigt sich Schmitt mit der Annäherung der Kulturen. Auch in seiner
neuesten, bei Fischer erschienenen
Erzählung «Die zehn Kinder, die Frau
Ming nie hatte» geht es um eine Begegnung zwischen Ost und West. Der IchErzähler ist ein französischer Geschäftsmann, der in China mit einer Toilettenfrau
ins Gespräch kommt. Mit viel Farbe und
Leidenschaft berichtet Frau Ming von
ihren zehn Kindern. Doch der Geschäftsmann weiss: Im modernen China gibt es
keine Grossfamilien mehr. Und er
versucht, hinter Frau Mings Geheimnis zu
kommen. Die kurze Erzählung ist typisch
Schmitt: sehr süffig, etwas melancholisch
und voller Lebensphilosophie. Schmitt
wird oft ein Hang zum Kitsch vorgeworfen, man könnte aber auch sagen: Seine
Geschichten sind lieb. Und das ist nun
wirklich nicht das Schlimmste, was man
über eine Geschichte sagen kann.
© Danny Merz/Sollsuchstelle
Books Nr. 4/2014
Foto: © Lukas Maeder
4 | NOTIZEN
Seit 20 Jahren sind Douglas und – die weit attraktivere – Connie miteinander verheiratet. Sohn Albie ist mittlerweile (fast) erwachsen, und
das Familienleben ist so harmonisch, wie es in einer solchen Situation sein kann. Doch eines Abends eröffnet Connie ihrem Mann:
«Ich habe das Gefühl, unsere Ehe ist am Ende. Ich glaube, ich will
dich verlassen.» Noch steht allerdings ein seit langem vereinbartes Projekt an: eine Familienreise zu dritt durch Europa. Wird
sie die Ehe von Connie und Douglas abschliessen? Diese Ausgangslage verwendet David Nicholls für einen so schmissigen wie dicken Roman über die Liebe: «Drei auf Reisen», publiziert von Kein & Aber. Mit
der Materie kennt sich der britische Autor aus: Sein 2010 auf Deutsch erschienener
Roman «Zwei an einem Tag» erzählte ebenfalls von einer liebevollen und schwierigen
Beziehung im Standby-Modus. Er wurde ein Bestseller, und ein ähnlicher Erfolg ist auch
bei «Drei auf Reisen» zu erwarten. Denn der Roman ist ausgesprochen süffig, hat den typischen melancholisch-heiteren Nicholls-Ton und steckt erst noch voller anregender Preziosen über europäische Reisedestinationen. Ein richtiges Wohlfühlbuch!
»Eine tragikomische
Geschichte um Liebe und Verrat,
um Ehrgeiz und Feigheit.«
Manfred Papst, NZZ am Sonntag
400 Seiten. Gebunden mit Lesebändchen
Auch als
-Book. www.nagel-kimche.ch
6 | NOTIZEN
Seit seinem 1985 veröffentlichten Roman
«Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen» ist der
1949 geborene Franzose Philippe Djian ein
Star der internationalen Literaturszene.
Seither schreibt er fast jedes Jahr einen neuen Roman. Die meisten sind von
hohem Tempo und einer ans
Mündliche angelehnten Sprache
geprägt. Bei den Leserinnen und
Lesern kommt das gut an; die Literaturbourgeoisie macht hingegen traditionellerweise eher einen Bogen um Djian. Immerhin
gewann er 2012 wieder einmal
einen Preis für ein Buch: «Oh ...»
wurde mit dem Prix Interallié
ausgezeichnet. Jetzt hat Dioge-
Bis jetzt sind von Hilary Mantels Tudor-Trilogie erst zwei Bände erschienen – aber sowohl für «Wölfe» als auch für «Falken» erhielt die Engländerin den Booker-Preis. Das
Kunststück, mit zwei Teilen einer einzigen
Geschichte bei der wichtigsten britischen
Literatur-Auszeichnung
gleich doppelt abzusahnen, wird Hilary Mantel
wohl so schnell keiner
nachmachen. Die Schriftstellerin hat versprochen, den dritten Teil ihrer dicken Saga noch
dieses Jahr zu schreiben.
Zwischendurch hat sie
sich aber eine Art schriftstellerischen Snack
gegönnt: eine Sammlung von Kurzgeschichten. «Die Ermordung Margaret Thatchers»,
erschienen bei Dumont, ist allerdings nur
hinsichtlich des Umfangs leichte Kost. Wie
immer überzeugt die Autorin durch Schärfe
der Sprache und der Gedanken – und durch
eine Subtilität, die den Raum zwischen den
Zeilen geistreich füllt. Dass die Titelgeschichte in England für ein Skändalchen sorgte –
darf man sich ein Attentat auf die Eiserne
Lady vorstellen? –, zeigt vor allem, welchen
Rang sich Hilary Mantel mit ihren grandiosen
Werken verdient hat.
nes den Roman auch auf Deutsch veröffentlicht. «Oh ...» erzählt die Geschichte der
Filmproduzentin Michèle, die in einen Strudel aus Sex und Gewalt gerät und deren Leben mit Ankündigung den Bach herunterzugehen scheint. Man reibt sich
beim Lesen gelegentlich die Augen: Diese vielschichtige weibliche Protagonistin wurde von einem Mann erschaffen? Der
Franzose beschreibt das Innenleben seiner Figur einfühlsam,
glaubwürdig und frei von jedem
Klischee – und findet dabei erst
noch Raum, einen spannenden
Seelenkrimi zu entwickeln. Fazit: Preis verdient!
Was lesen Sie gerade?
Denise Biellmann, Eiskunstläuferin, Erfinderin der BiellmannPirouette sowie Welt- und Europameisterin 1981:
«Da ich zurzeit den Eiskunstlauf-Nachwuchs unterrichte, für mich selbst
immer noch trainiere und auch sonst
ziemlich engagiert bin, ist meine Lesezeit weitgehend auf den Morgen und
den Abend begrenzt. Diese Zeit nehme
ich mir aber – schliesslich braucht man
auch Erholungsphasen.
Im weitesten Sinn darum geht es auch
in einem Büchlein, das ich schon lange besitze und immer wieder lese: ‹Zen
in der Kunst des Bogenschiessens› des
deutschen Philosophen Eugen Herrigel.
Anhand des Bogenschiessens wird hier
erklärt, wie man sich konzentriert, ohne
sich zu verkrampfen. Um beste Leistungen zu erzielen, müssen Körper und
Geist zwar fokussiert, aber dennoch locker sein. Man muss darauf vertrauen,
dass das eigene Können vorhanden ist
Francesco Guidicini
und nur im richtigen Moment aktiviert
zu werden braucht. Kurz gesagt geht
es darum, die Unbekümmertheit des
Anfängers zu bewahren oder wieder
zu finden und sie mit dem Können des
Profis zu verbinden. Das gilt natürlich
nicht nur für Bogenschützen, sondern
für alle Bereiche des Lebens. Und dazu
bietet dieses kleine Büchlein praktische
Hinweise und Anleitungen, die sich ganz
einfach umsetzen lassen.»
... und ausserdem
In einer der letzten Ausgabe von Books berichteten wir über Bücher, die Kinder
wohlig gruseln. Als Nachtrag weisen wir gern auf ein Spiel mit einer ähnlichen
Eigenschaft hin: «Geister, Geister, Schatzsuchmeister!». Es wurde zum Kinderspiel
des Jahres 2014 gewählt. Im alten Haus sind die Geister los, trotzdem trauen sich
vier wagemutige Schatzsucher hinein – denn schliesslich sind im Haus acht
wertvolle Juwelen versteckt. Die bekommt aber nur, wer Geschick, Glück
Geister, Geister,
und Teamgeist kombiniert. Die MitspieSchatzsuchmeister!
Kinderspiel des
ler müssen zusammenarbeiten und verJahres 2014
hindern, dass es in zu vielen Räumen
Für 2–4 Spieler
ab 8 Jahren
spukt – denn sonst haben alle verloren.
CHF 49.90
Weil das Spiel in verschiedenen Schwierigkeitsgraden gespielt werden kann,
eignet es sich ebenso für kleinere wie für
grössere Kinder.
Martin Suter ist heute einer der berühmtesten Schriftsteller der Schweiz; jedes seiner Bücher erobert die Bestseller-Listen im
Sturm. Berühmt wurde der Zürcher, der in
Ibiza und Guatemala lebt und schon unzählige Literaturpreise gewonnen hat, zunächst aber durch
seine ab 1992 erschienene
Zeitungskolumne
«Business
Class». Suter erwies sich mit
diesen kurzen Prosastückchen
als profunder Kenner und feinsinniger Beobachter des Lebens im Management.Von März
bis Dezember 2004 liess er im
Magazin des Tages-Anzeigers
die Kolumnen-Serie «Alles im Griff» folgen.
Deren Untertitel «Eine Business-Soap» ist
so trocken und träf wie die gesamte Reihe.
Zen in der Kunst des
Bogenschiessens
Eugen Herrigel
94 Seiten
CHF 24.90
O. W. Barth
Suter erzählt in über drei Dutzend kurzen
Kapiteln vom Haifischbecken der Firma
cronsa, in der sich das Middle Management
eingebildete Karrierechancen gegenseitig
vermiest, die Chefs die Krise schieben und
Picknickausflüge zur schulbuchmässigen Logistikaufgabe
mutieren. Man spürt bei Suter
stets die Herkunft aus der Werbebranche – im besten Sinn:
Keine Zeile ist langweilig, die
Pointen sind gekonnt gesetzt
und meist überraschend, die
Figuren sind wunderbar aufs
Wesentliche eingedampft. Diogenes hat die «Business-Soap»
jetzt zwischen zwei Buchdeckeln herausgebracht. Ein ideales Geschenk für Business-Leute mit Hang zur Selbstironie.
Entdecken Sie die erstaunliche Kra‚ und Intelligenz Ihres Herzens –
es wird Ihr Leben für immer verändern!
WWWDROEMER-KNAURDE/BEWUSST-LEBEN
288 Seiten
Ich beschäftige mich schon seit meiner
aktiven Sportlerkarriere besonders mit
Büchern über Buddhismus und das Unterbewusstsein. Damals, etwa mit 15
Jahren, besuchte ich das Friebe Alpha
Training, das mich auf dem Eis, aber
auch im Leben weiterbrachte. Das Unterbewusstsein gezielt nutzen zu können, kann den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen – gerade
im Spitzensport, wo alle auf einem technisch sehr ähnlichen Niveau sind und es
nur noch um Details geht.
© FABIENNE BÜHLER
Der Brite Nick Hornby zählt zu den
bedeutendsten zeitgenössischen Popliteraten. Sein erster Grosserfolg «Fever
Pitch» handelt von Fussball, sein
vielleicht berühmtestes Buch «High
Fidelity» dreht sich ebenso um Rockmusik wie sein bislang letztes Werk «Juliet,
Naked». Und jetzt also Fernsehen:
Hornbys neuester Roman «Miss Blackpool» erzählt die Geschichte von
Barbara, die aus einem englischen
Küstenort nach London kommt, um hier
als Sophie grosse Karriere zu machen.
Barbara-Sophie will nichts weniger sein
als die neue Lucille Ball – was darauf
hinweist, dass dieses Buch in den
1960er-Jahren spielt, als die Hauptfigur
der Serie «I Love Lucy» die beliebteste
Komödiantin der Welt war. Wie immer
bei Hornby geht der Text runter wie
Honig, und ehe man sich versieht, hat
man das Buch gelesen. Der Ton ist wie
immer lakonischwitzig-sentimental,
auch die kleinsten
Nebenfiguren haben
Charme (obwohl sie,
von der sexy jungen
Frau bis zum alten
Knacker, alle
irgendwie wie Nick
Hornby persönlich
klingen), und die
Unterhaltungsindustrie wird mit Lust
durch den Kakao gezogen. Obwohl «Miss
Blackpool» weniger berührt als zum
Beispiel «About a Boy», ist eines sicher:
Auch dieser neueste Streich von Hornby
wird ein Bestseller. Die Bücher des Briten
sind eben alle so etwas wie geglückte
Popsongs: Sie treffen einen Nerv und
machen auch in Moll Spass.
NOTIZEN | 7
Books Nr. 4/2014
Erhältlich auch als Knaur MensSana eBook
und als Hörbuch bei Argon Balance.
FORDERT ALLES, WAS DU KANNST.
ENDGAME
8 | NOTIZEN
Leute, die das mögen, mögen auch ...
Sie kennen das: Man hofft, ein Buch ginge nie zu Ende, weil es einem so gut
gefällt – aber irgendwann ist die letzte
Seite doch gelesen. Zum Glück kann
man sich in solchen Momenten vertrauensvoll an Fachleute wenden, die einem
ein Buch mit vergleichbaren Qualitäten
empfehlen. Zum Beispiel an Céline Tapis.
Nach der Matura absolvierte die heute
22-Jährige eine Buchhändlerlehre; mittlerweile arbeitet sie zu 50
Prozent bei Stauffacher Bern, daneben
studiert sie Germanistik sowie Interreligiöse
Studien. «‹Der Schatten des Windes› von
Carlos Ruiz Zafón ist
ein Weltbestseller: Er
wurde in 36 Sprachen
übersetzt und 10 Millionen Mal verkauft. Ich verstehe diesen
Erfolg voll und ganz. Der Roman erzählt
vom jungen Daniel Sempere aus Barcelona, der sich in die Literatur verliebt.
Das Buch eines gewissen Julián Carax
fasziniert ihn derart, dass er den Autor
unbedingt kennenlernen möchte. Doch
Carax ist verschwunden. Daniel macht
sich auf die Suche nach ihm – und lernt
auf seiner Reise unzählige Leute kennen,
die Opfer des Bürgerkriegs und der jungen Franco-Diktatur wurden. Anhand
der Suche nach Carax erfahren wir sehr
viel über diese dunkle Epoche Spaniens.
Das Buch ist aber nicht nur tragisch, sondern ausgesprochen bunt, gleichermassen Krimi, Liebesgeschichte und Politthriller.
Ganz ähnliche Qualitäten weist ‹Die unsichtbaren Stimmen› auf. Autorin Carolina De Robertis erzählt darin die Geschichte dreier Frauengenerationen in Uruguay
und Argentinien. Der Beginn ist märchenhaft: Pajarita verschwindet kurz nach ihrer Geburt, wird dann aber in der Krone
eines Baums entdeckt. Sie überlebt den
Sturz und wächst in einem
sehr traditionellen, ländlichen Umfeld auf. Später
zieht sie mit ihrem Mann in
die grosse Stadt, nach
Montevideo. Ihre Tochter
Eva flieht von dort wegen
einer schlimmen Geschichte über den Río de la Plata
nach Buenos Aires, wo sie
als Dichterin Erfolg hat.
Eva heiratet einen Arzt und
gelangt dadurch in höchste
Kreise. Später kehrt sie allein mit den Kindern nach
Uruguay zurück. Ihre Tochter Salomé
schliesslich wird Mitglied einer Untergrundorganisation, die gegen das Militärregime kämpft. Sie kommt für sehr lange
Zeit ins Gefängnis und vegetiert dort unter
erbärmlichen Umständen dahin. Am Ende
sind die drei Generationen wieder miteinander vereint. Das Ende ist nicht kitschig,
aber versöhnlich.
Wie bei ‹Der Schatten des Windes› ist toll
an diesem Buch, dass es einem einen tiefen
Einblick in eine Zeit und ein Land ermöglicht – und das sozusagen nebenher, indem
es die Geschichte von glaubwürdigen und
starken Charakteren erzählt. Ich habe beide Bücher sehr schnell gelesen und nachher viel darüber nachgedacht. Sie berühren einen beide gleichermassen.»
Wettbewerbs-Gewinner
JAMES FREY
ENDGAME
DIE AUSERWÄHLTEN
Mit kostenlosem E-Booklet mit
allen Krypto-Rätsel-Links.
592 Seiten · ab 16 Jahren
ISBN 978-3-7891-3522-4
NOTIZEN | 9
Books Nr. 4/2014
In jeder Ausgabe von Books publizieren wir einen Kreuzworträtsel-Wettbewerb; in
dieser Ausgabe finden Sie ihn auf Seite 48. Zu gewinnen gibt es jeweils zehn Büchergutscheine im Wert von 20 bis 200 Franken. Beim letzten Wettbewerb – das Lösungswort
lautete «Schattenkrieger» – hatten folgende drei Teilnehmenden die Nase vorn:
1. Preis (200 Franken): Nils Hellstern, Basel
2. Preis (100 Franken): Heidi Sahli, Thun
3. Preis (50 Franken): Elsi Bruggmann, Birmensdorf
Herzliche Gratulation!
Die Gewinnerinnen und Gewinner der Preise 4 bis 10 werden schriftlich benachrichtigt.
Jahrestage
Am 11. November konnte ein ganz Grosser der Deutschen Literatur seinen 85.
Geburtstag feiern: Hans Magnus Enzensberger. Der Essayist, Lyriker, Dramatiker,
Romancier, Übersetzer und Herausgeber
wurde bereits 1957
durch seinen ersten
Gedichtband «verteidigung der wölfe»
berühmt.
Seither
publiziert der literarische Tausendsassa regelmässig
Bücher, die nicht
selten die kulturelle oder gesellschaftliche
Debatte befeuern und immer von einem
virtuosen Umgang mit Sprache und einer
selten gewordenen stilistischen Sorgfalt
zeugen. Den Buchmarkt geprägt hat
Enzensberger auch mit der von ihm herausgegebenen, hochwertigen Reihe «Die
andere Bibliothek». In seinem neuesten
Werk «Tumult», erschienen bei Suhrkamp, begegnet der Autor sich selbst: Er
führt ein Streitgespräch mit dem politisch
überaus aktiven Enzensberger von Mitte
der 1960er-Jahre.
Und gleich noch ein wichtiger deutscher
Autor kann einen runden Geburtstag feiern: Am 2. Dezember wird Botho Strauss
70. Ihn kennt man vor allem seiner Theaterstücke wegen, die zu den meistgespielten im deutschen Sprachraum gehören.
Hier wollen wir aber auf ein Prosawerk
von ihm hinweisen: Bei Hanser ist gerade
das schmale Bändchen «Herkunft» erschienen, in dem Strauss von seiner Kindheit und Jugend erzählt. Er tut das auf
sehr persönliche, ehrliche und zuweilen gar
herzergreifende Weise. Ein schönes Buch
über eine Zeit voller
Hoffnung und Aufbruch. Und zuweilen auch ein ganz
schön weises Buch
voller reifer Reflexionen.
Noch viel mehr gespielt als
Botho Strauss wird auf den Bühnen der
Welt Samuel Beckett. Der Ire wurde 1906
in Dublin in eine grossbürgerliche Familie
hineingeboren. Als er sich entschied, nach
dem Französisch- und Italienisch-Studium in London und Paris als Schriftsteller
zu leben, blieb Beckett der Erfolg lange
verwehrt; er lebte von elterlichen Zuwendungen und Gelegenheitsjobs. Erst
nach dem Zweiten Weltkrieg, während
dem er in der französischen Widerstandsbewegung aktiv war, erlebte er seinen
Durchbruch: 1953 wurde sein bereits
1948 verfasstes Stück «En attendant Godot» schlagartig zum
Prototyp des sogenannten Absurden
Theaters. Sein Erfolg, der 1969 mit
dem Nobelpreis für
Literatur
gekrönt
wurde, konnte Becketts Geister aber
nicht verscheuchen:
Der Autor litt zeitlebens unter schwersten Depressionen. Er starb vor genau 25
Jahren, am 22. Dezember 1989. Bei Suhrkamp ist soeben «Ein Unglück, das man
bis zum Ende verteidigen muss» erschienen – eine Sammlung von Briefen
aus den Jahren 1941 bis 1956, also aus
jener Zeit, in der Beckett seine wichtigsten Werke schrieb und vom untergetauchten Widerstandskämpfer zum Literaturstar wurde.
Manche Autoren kennt man heute nur
noch wegen eines einzigen Buchs, auch
wenn sie zeitlebens geschrieben haben.
Das gilt etwa für den Moskauer Boris Pasternak, dessen Geburtstag sich am 11.
Februar 2015 zum 125. Mal jährt. In seiner Lebensmitte zählte Pasternak zu den
wichtigsten Dichtern der russischen Moderne. Dem Roman wandte er sich erst
mit fast 60 Jahren zu,
und am Ende verfasste er auch nur
einen einzigen. Dieser wurde aber zum
Welterfolg, vor allem auch dank der
Verfilmung mit Omar Sharif
in der Hauptrolle: «Doktor Shiwago».
Das Buch brachte Pasternak aber kein
Glück. Weil es die russische Revolution
kritisch darstellte, konnte es nur im Westen, aber nicht in der Sowjetunion erscheinen. Als Pasternak 1958 der Nobelpreis für Literatur verliehen wurde,
zwang ihn das Sowjetregime, diesen abzulehnen. Pasternak starb 1960; sein
Sohn nahm den Nobelpreis 1989 für den
von Gorbatschow rehabilitierten Vater
entgegen. Anfang Dezember erscheint
«Doktor Shiwago» bei Fischer in einer
neuen Hardcover-Ausgabe.
Auf den Seiten 14 bis 17 dieser Ausgabe
von Books stellen wir hochkarätige KrimiNeuerscheinungen vor. Ein Buch, das in
diesen Beitrag gehörte, fehlt – weil sein
Verfasser Geburtstag hat und ihm die
Ehre gebührt, in der Jahrestag-Rubrik
präsentiert zu werden. Dieser Autor ist
der Schwede Håkan Nesser. Berühmt
wurde er mit der Kommissar-Van-Veeteren-Reihe, die in einem fiktiven europäischen Land spielt. Seit 2006 ist Inspektor
Barbarotti die Hauptfigur seiner Thriller.
Immer wieder schreibt er aber auch Krimis ausserhalb einer Reihe – dazu zählt
auch sein neuester, «Die Lebenden und
die Toten von Winsford». In einem kleinen
Dorf in der südenglischen Moorlandschaft
lässt sich eine mysteriöse Fremde nieder,
der nicht alle Bewohner wohlgesonnen zu
sein scheinen. Plötzlich liegen tote Vögel
vor ihrer Tür ...
10 | Interview
Books Nr. 4/2014
Interview | 11
«Plötzlich hatte ich
diesen Gedankenblitz»
Mit ihrem Erstling «Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry» landete
die englische Autorin Rachel Joyce vor zwei Jahren einen so charmanten wie
tiefsinnigen und unerwarteten Weltbestseller. Nun erzählt sie auch noch die Geschichte der Frau, wegen der Harold eines Tags auszog, um die fünfhundert
Meilen vom südwestlichen Zipfel von England ganz in den Norden unter die Füsse
zu nehmen: «Der nie abgeschickte Liebesbrief an Harold Fry» ist subtil,
bittersüss und oft sehr lustig.
Hanspeter Künzler
«Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry» war Ihrem Vater
gewidmet. Er starb 2005 an derselben
Art von Krebs, an der auch Queenie
Hennessy leidet. Als Queenie damals
ihr knappes, aber schicksalhaftes
Briefchen an Harold Fry abschickte,
lag sie todkrank im Hospiz in Berwickupon-Tweed. Hatten Sie keine Bange
vor der Vorstellung, sich nochmals mit
dieser schweren Materie und vor allem
mit den schwierigen Erinnerungen
beschäftigen zu müssen?
Als die Idee erst einmal da war, fing ich
gleich zu schreiben an. Die Idee war
einfach stimmig. Ich hatte bereits einen
anderen Text in Arbeit, mit dem ich
keineswegs unzufrieden war. Aber den
musste ich liegenlassen. Erst als ich mit
dem Buch angefangen hatte, wurde mir
bewusst, was mich da erwartete. Aber
ich freute mich auch darauf. Es gab mir
die Möglichkeit, dem Denken meines
Vaters in seinen letzten Monaten nahe
zu kommen. Nicht, dass er darüber gesprochen hätte. Aber ich hatte ihn erlebt.
Gerade die Hospiz-Szenen sind im
wahrsten Sinn des Worts zum Heulen
lustig. Ein Panorama von ur-englischen
Charakteren, das vom zugeknöpften
Snob bis hin zur schrillen Partykanone reicht, sorgt für eine grandiose
Zirkusatmosphäre. War das bei Ihrem
Vater auch so?
Mein Vater war nie im Hospiz, und er
hätte nie ein Hospiz gehen wollen. Er
fürchtete sich sehr davor. Auch Queenie
will am Anfang nicht im Hospiz liegen,
aber sie ist nun mal da und kämpft gegen ihr Schicksal. Das macht ihre Reise
nur noch länger und noch beschwerlicher. Natürlich begann ich zu recherchieren. Ich besuchte einige Hospize,
sprach mit Ärzten und Pflegern. Das war
schon deswegen gut, weil mein Vater es
hasste, über seine Krankheit zu sprechen. So lernte ich vieles neu zu verstehen. Vor allem auch war ich zutiefst
überrascht über die Stimmung in diesen
Krankenzimmern. Es wurde dort sehr
viel gelacht. Der Umgang und der Humor
waren äusserst robust. So ist denn
Queenies Krankensaal eine Art Kindergarten, wo alles passieren kann. Es hat
RACHEL JOYCE
Rachel Joyce, 52, ist die Tochter eines
Architekten und einer Englischlehrerin. Schon als Kind verfasste sie viele
Geschichten, mit acht Jahren schrieb sie
ihre erste Autobiographie. Sie studierte
englische Literatur an der Universität Bristol, ehe sie die berühmte Schauspielschule
RADA in London besuchte. Zwanzig Jahre
lang war sie als Bühnen- und TV-Schauspielerin tätig und gehörte zum Ensemble der
Royal Shakespeare Company. 1999 kehrte
sie der Bühne den Rücken, um sich ganz
der Familie zu widmen. Daneben begann
sie mit dem Schreiben von Radiohörspielen. Eines davon bildete den Kern ihres
Romanerstlings «Die unwahrscheinliche
Pilgerreise des Harold Fry». Im Dezember
2012 wurde ihr dafür bei den National
Book Awards der Preis für den «New
Writer of the Year» zugesprochen. Rachel
Joyce lebt mit ihrem Ehemann und vier
Kindern in der Nähe von Stroud in der
Grafschaft Gloucestershire.
Foto: Gaby Gerster
«Books»: Hatten Sie immer schon vor,
auch noch die Schreiberin des Liebesbriefs an Harold Fry auf die Reise zu
schicken?
Rachel Joyce: Nein, absolut nicht! Es
gab zwar Leserinnen und Leser, die
gern mehr über einige Randfiguren im
ersten Buch erfahren hätten. Es gab
auch solche, die sich eine Fortsetzung
der Geschichte von Harold und Maureen
wünschten. Aber ich war mir sicher,
dass es beides nicht brauchte. Dann
stand ich mit meiner Tochter in der
Küche, wir plauderten über dies und
das, und plötzlich hatte ich diesen
Gedankenblitz: die Story von Queenie!
Warum bin ich nicht vorher darauf gekommen? Ich muss damit laut herausgeplatzt sein, denn jetzt ist meine Tochter
überzeugt, der Einfall stamme von ihr!
MIDAS
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12 | Interview
enorm Spass gemacht, diese Szenen zu
schreiben.
Sie verstehen es ausgezeichnet, düstere Gefühle in Worte zu fassen, die
keine Angst machen und einem sogar
wohl tun. Anders als zum Beispiel bei
einem Dostojewskji muss man sich zur
Lektüre nicht in schwarz kleiden und
sich zu Tode rauchen. Man kann Ihre
Bücher auch im Biergarten zu einem
Glas Cider geniessen. Dabei werden
die düsteren Gefühle nie verniedlicht.
Wie schaffen Sie das nur, scheinbare
Gegensätze so locker zu vereinen?
Das ist wohl etwas, was ich aus meiner
Zeit als Schauspielerin ins Schreiben
mitgebracht habe. Auf der Bühne spürt
man, wenn das Publikum mitgeht und
wenn es unbeteiligt bleibt. Wenn eine
Figur nur trüb ist, ständig heult und vor
Selbstmitleid nur so trieft, lässt das dem
Zuschauer keinen Raum, Emotionen
mitzuleben. Das Geschehen lässt ihn
kalt. Wenn eine Figur sich aber wehrt
oder Humor zeigt, bleibt Raum für
einen Gefühlsaustausch. Ich gehe meine
Geschichten ähnlich an. Ich versuche,
sie mit so viel Witz, Leichtigkeit und
Spannung wie möglich zu erzählen.
Ein bisschen wie in der Musik, wo die
schönsten Melodien oft mit den traurigsten Gefühlen daherkommen.
Ich liebe es, wenn ein munter klingendes Lied eine traurige Geschichte erzählt – oder umgekehrt! «Moondance»
von Van Morrison zum Beispiel – grossartig.
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«Wenn mich eine
Geschichte gepackt
hat, lässt sie mich Tag
und Nacht nicht los.
Meine Kinder haben
gelernt, im Auto jederzeit bereit zu sein,
einen Post-It-Zettel zu
finden, um einen Einfall festzuhalten.»
Interview | 13
Books Nr. 4/2014
David, der Sohn von Harold Fry, rückt
im «Nie abgeschickten Liebesbrief
der Queenie Hennessy» stark in den
Vordergrund. Der Charakter erinnert
an den Singer/Songwriter Nick Drake.
Ein rätselhafter, atemberaubend
schöner Mann, der drei wunderbar
melancholische Alben veröffentlichte,
die zu seinen Lebzeiten kein Mensch
kaufte. Er war psychisch krank, wurde für seine Freunde immer unnahbarer und verstarb 1974 jung unter
ungeklärten Umständen.
Das trifft die Sache haargenau! Nick
Drake liegt mir sehr am Herzen. Ich
hörte mir seine Platten sehr oft an, als
ich dieses Buch schrieb. Ein aussergewöhnlich faszinierendes Talent, das von
seinen eigenen Gefühlen aufgefressen
wurde. Ein Mensch wie ein Boot, das
im Wasser treibt, ohne dass wir es noch
einmal erreichen könnten.
Das klingt sehr intensiv!
Ist es auch. Wenn mich eine Geschichte gepackt hat, lässt sie mich Tag und
Nacht nicht los. Meine Kinder haben
gelernt, im Auto jederzeit bereit zu sein,
einen Post-It-Zettel zu finden, um einen
Einfall festzuhalten. Sie drücken ihn
aufs Armaturenbrett, und ich hoffe, dass
er noch da ist, wenn ich nach Hause
komme.
«Die unwahrscheinliche Pilgerreise
des Harold Fry» war ihr Debut-Roman.
Damit landeten sie gleich einen Welterfolg, wurden gar für den prestigeträchtigen Booker-Preis nominiert.
Wie haben Sie den Rummel erlebt?
Plötzlich in der Öffentlichkeit zu stehen, das war schon eigenartig. Vorher
hatte ich jahrelang Hörspiele fürs Radio
geschrieben, da blieb ich vollkommen
anonym. Den Rummel erlebe ich zwar
nicht ganz als unwirklich, aber doch
irgendwie so, als gehöre er zu einer anderen Person. Meine Familie ist mir sehr
wichtig, wir haben ein intensives Familienleben. Wenn ich daheim bin, tritt der
Rest in den Hintergrund. Lesereisen sind
schwieriger. Aber als ich zum Beispiel
nach Kanada ging, machten wir daraus
gleich einen Familienurlaub.
Woher kommt diese Zurückhaltung,
die so viele Engländer an den Tag
legen, wenn es darum geht, etwas von
sich selber zu erzählen?
Ich glaube, das hängt mit einem eigenartigen Höflichkeitsgefühl zusammen. Man
will ein Gespräch nicht in eine Richtung
führen, von der man vermutet, sie könnte
dem anderen unangenehm sein. In dieser
Hinsicht ist mein Mann das pure Gegenteil von mir. Er ist Schauspieler, aber
auch als Psychotherapeut tätig. Er stellt
ständig Fragen! Manchmal denke ich insgeheim: Um Himmels Willen, das hättest
du nun wirklich nicht fragen dürfen. Aber
die Menschen lieben es. Sie wollen reden.
Vier Kinder im Alter von 18, 16, 13
und 11 Jahren, ein Ehemann, zwei
Hunde, dazu Hühner und Gänse sowie
ein Haus auf dem Land – früher eine
Farm –, das es zu pflegen gilt. Wann
kommen Sie nur zum Schreiben?
Jagen Sie die anderen aus dem Haus
und fangen an?
Ich jage nie jemanden aus dem Haus!
Habe ich einen Text in Arbeit, schlafe
ich schlecht. Ich gehe so um zehn Uhr
zu Bett, wache aber um zwei oder drei
Uhr wieder auf und muss dann einfach
aufstehen und schreiben. Im Morgengrauen lege ich eine Pause ein, wecke
die Familie auf, bringe die Kinder zur
Schule und schreibe nachher weiter. Ein
Nickerchen? Schön wär’s!
Ihre Grosseltern waren Wirte, haben
Pubs geführt. Zehren Sie beim Schreiben von den Erinnerungen daran?
Ich bin stolz auf diesen Teil meiner Familiengeschichte! Meine Grosseltern führten
Pubs in Gegenden wie Woolwich in
London und später Redruth in Cornwall,
wo es ziemlich ruppig sein konnte. Ich
wünschte mir sehr, sie hätten mir mehr
davon erzählt. So, wie ich wünschte, mein
Vater hätte mehr von sich geredet.
Wie erleben Sie die Literaturwelt im
Vergleich zur Theaterwelt, in welcher
Sie ja auch viele Jahre zugebracht
haben?
Ich kann die zwei Welten nicht miteinander vergleichen. In der Theaterwelt
bewege ich mich schon lang nicht mehr,
und andere Schriftsteller kenne ich
fast keine. Wir haben einen Kreis von
alten Freunden, die Schauspieler sind
oder waren und die Bücher schrieben
oder schreiben. Aber im Freundeskreis
redet man selten darüber. Die eigentliche Arbeit aber, das Schreiben und das
Theaterspielen, das sind für mich ganz
ähnliche Vorgänge. Man versucht, einen
Charakter zu verstehen und dieses Verstehen auszudrücken.
Welche Rolle haben Sie am liebsten
gespielt?
Ich liebte Ibsen. Die Nora in «Nora oder
ein Puppenheim» war eindeutig meine
Lieblingsrolle.
Dafür wurden Sie ja von der Londoner
Stadtzeitung Time Out zur «Schauspielerin des Jahres» gekürt!
Stimmt, ja! Das war wirklich sehr toll,
weil wir das Stück in einem winzigen
Theater mit winzigem Budget inszenierten. Alle arbeiteten sehr hart, und es
zahlte sich aus. Ebenfalls sehr genossen
habe ich eine Aufführung von Lope de
Vegas «Fuente Ovejuna» im National
Theatre. Da wusste man schon bei den
Proben, dass hier etwas Aufregendes,
Aufwühlendes geschah. Und dann spürte
man es auch während den Aufführungen. Man blickte ins Publikum und
sah die Spannung und Freude in den
Gesichtern. Anders als einmal bei der
Royal Shakespeare Company, da blickte
man in die Reihen und sah die Leute
überall schlafen. So etwas kann schon
ans Lebendige gehen.
Wie geht’s eigentlich den Hunden und
Hühnern?
Einer von den Hunden hat kürzlich das
Bein gebrochen. Ist irgendwo hinuntergesprungen. Ein Lurcher halt. Das
Leben mit einem Lurcher ist wie das
Leben mit einem Dichter – ein Luftibus,
der nicht zu bändigen ist. Hühner haben
wir derzeit nur noch zwei. Den Rest
hat der Fuchs geholt; wir kehrten aus
London zurück und fanden ein grässliches Gemetzel vor. Bis jetzt haben wir es
nicht fertiggebracht, die Erinnerung zu
vergessen und neue Hühner zu kaufen.
Wir haben auch einen kleinen Teich
im Garten mit Gänsen. Manchmal sitze
ich stundenlang dort, um ans Gänseei
heranzukommen, ehe es sich die Krähen
schnappen. Die sind gnadenlos. Wenn
das Ei da ist, fallen sie wie Sturzflieger
über die arme Gans her. Früher hasste
ich sie, die Krähen. Inzwischen bringe
ich eine gewisse Bewunderung für ihre
Schlauheit auf.
Der nie abgeschickte
Liebesbrief an
Harold Fry
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Die unwahrscheinliche
Pilgerreise des
Harold Fry
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Eines Tages erhält Harold Fry ein Briefchen: Die tief in seiner Vergangenheit liegende Queenie Hennessy liegt im Sterben.
Harold schreibt eine ungelenke Antwort.
Doch statt diese einzuwerfen, geht er
am Briefkasten vorbei, immer weiter, um
Queenie im Hospiz am anderen Ende des
Landes zu besuchen. Eine herzerwärmende
Geschichte eines späten Erwachens.
Das Jahr, das
zwei Sekunden
brauchte
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1972: Der Mutter von Byron Hemmings
ist ein schreckliches Missgeschick passiert.
Der Sohn, an der Schwelle zum Teenager,
setzt alles daran, sie von den Folgen des
Malheurs zu bewahren. Die Geschichte
von zwei Lieben und zwei Freunden.
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wie von Zitronen
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Binny hat noch genau fünf Stunden Zeit,
um alles für die Festtage vorzubereiten. Sie
fühlt sich ganz und gar nicht weihnachtlich:
Es regnet Bindfäden, ihr Haus fällt auseinander, und die Stadt ist völlig überfüllt.
Um nicht auch noch Smalltalk mit einer
Bekannten machen zu müssen, flieht Binny
in einen Laden, den sie normalerweise nie
betreten würde ... Eine Kurzgeschichte
exklusiv als eBook.
14 | KRIMIS
KRIMIS | 15
Books Nr. 4/2014
Für jede Blutgruppe
In Krimis dreht sich meist alles um die Aufklärung eines Verbrechens –
aber nicht in allen. Und auch sonst hat die Gattung für jeden Geschmack
etwas zu bieten. Einige Neuerscheinungen belegen die Vielfalt der Krimiliteratur eindrücklich.
Benjamin Gygax
Als das Krimigenre im 19. Jahrhundert zum Leben
erwachte, gab es ein vorherrschendes Strickmuster. Die Autorinnen und Autoren präsentierten den
Lesenden die Abenteuer eines Polizisten oder Privatdetektivs, der immer der gleichen zentralen
Frage nachging: Wer war der Mörder? Einige Nuancen gab es aber schon damals. Auguste Groner,
die als Mutter des deutschsprachigen Krimis gelten kann und 1889 ihre erste Geschichte veröffentlichte, beschrieb die sozialen und psychologischen
Aspekte eines Verbrechens. Dies tat auch Edgar
Allan Poe. Der etwas jüngere Arthur Conan Doyle
dagegen interessierte sich sehr für die neuen Naturwissenschaften als Mittel der Polizeiarbeit.
Doch sie alle schrieben Krimis, die man heute der
Gattung der «Whodunnit» zuordnen würde – der
Romane, die sich um die Frage «Wer hat es getan?» drehen. Seither hat sich der Krimi in vielfältiger Weise weiterentwickelt. In den Auslagen der
Buchhandlungen liegen Bücher für jeden Geschmack. Wie breit das Angebot ist, zeigt eine Auswahl aktueller Neuerscheinungen.
Solide Polizeiarbeit
«Die Lebenden und die Toten» heisst der neue
Krimi von Nele Neuhaus. Die deutsche Autorin
bleibt mit ihrer Krimiserie dem klassischen Muster
verpflichtet: Kriminalhauptkommissarin Pia Kirchhoff und ihr Team suchen einen Täter, der als
Scharfschütze scheinbar wahllos eine ältere Frau
ermordet hat. Bald steigt die Zahl seiner Opfer, und
die Polizei erkennt, dass es doch ein Muster zu geben scheint. Es führt zu einer Organspende, die
viele Jahre zurück liegt. Recht bald schränkt die
Autorin die Reihe der Verdächtigen ein, doch sie
hält uns gekonnt bis zum Ende im Ungewissen über
den Täter. Auch Ian Rankin beschreibt in seinem
neusten Roman «Schlafende Hunde» klassische
Aufklärungsarbeit der Polizei – selbst wenn sie sich
mitunter unorthodoxer Methoden bedient. Meist ist
Detective Inspector John Rebus von der Edinburgher Polizei für diese Arbeit verantwortlich. Der respektlose Ermittler, Musikliebhaber und «funktionale Alkoholiker» war 2007 mit 60 Jahren in den
Ruhestand geschickt und durch den jüngeren und
hyperkorrekten Inspector Malcom Fox von der «Internen» abgelöst worden. Doch Ian Rankin spekulierte schon damals, vielleicht müsse Fox mal eine
Ermittlung führen, die mit einer alten Leiche aus
Rebus’ Schrank zu tun habe. Und tatsächlich arbeiten jetzt die beiden ungleichen Polizisten zusammen. In einem Fall, der mit einem simplen, aber
seltsamen Autounfall begonnen hat, wühlen sich
die beiden durch Edinburghs dreckige Geheimnisse. Das ist nicht nur spannend und unterhaltend,
sondern liefert auch eine lebhafte Skizze der schottischen Metropole und ihrer Bewohner.
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Akte «Missing. New York»
Personen: Frank Decker, Ermittler bei der Polizei in Lincoln,
Nebraska.
Ort der Verbrechen: Lincoln und New York.
Straftatbestand: Kindsentführung.
Geeignet für:
Wer einen soliden amerikanischen Krimi mag, kommt hier voll
auf seine Kosten. Beeindruckend ist, wie Don Winslow die
Überlegungen schildert, welche die Suche nach einem vermissten Kind begleiten.
Hetzjagd durch Kapstadt
Wer gern solche Sittengemälde einer Stadt liest,
aber lieber etwas mehr Action hätte, sollte die Krimis des Südafrikaners Deon Meyer zur Hand nehmen. Sein jüngster heisst «Cobra». Die rasante
Geschichte setzt die Reihe von Kaptein Bennie
Griessel fort. Mit seinem Team bei der Kriminalpolizei Kapstadt ermittelt er auch diesmal in einem
spektakulären Fall und unter enormem Zeitdruck:
Ein Engländer wird entführt, seine drei Bodyguards werden mit präzisen Kopfschüssen getötet.
Das Ermittlerteam geht davon aus, dass der ominöse, international gesuchte Auftragsmörder
«Cobra» für die Tat verantwortlich ist. Noch bevor
das Team viel mehr in Erfahrung bringen kann,
spitzt sich die Situation weiter zu. Ein junger Taschendieb hat das Pech, die falsche Person zu bestehlen – von da an rennt er vor den Verbrechern
davon, und die Opferzahl steigt. Für Griessel und
seine Leute wird während der tödlichen Schnitzeljagd bald klar: Die Ausläufer dieser Verbrechen
reichen weit über Südafrika hinaus.
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16 | KRIMIS
AUF WEISSEM
SCHNEE LEUCHTET
ROTES BLUT AM
HELLSTEN
Es geht auch ohne Polizei
Eine äusserst lebendige Milieustudie bietet auch der Roman «Kains Opfer» von
Alfred Bodenheimer. Sie gelingt dem
Schweizer Autor, indem er uns einen ungewöhnlichen Ermittler vorstellt: Gabriel
Klein, Rabbi der Jüdischen Gemeinde Zürich. In seiner Gemeinde rumort es gewaltig, als der allseits beliebte Lehrer Nachum
Berger tot aufgefunden wird. Von seiner
Neugier mindestens so sehr getrieben wie
von seiner Fürsorge und seinem Pflichtgefühl, beschliesst Rabbi Klein, der Sache
auf den Grund zu gehen. Und da er für die
Polizei einige E-Mails des Verstorbenen
übersetzen soll, ist er Kommissarin Karin
Bänziger ein Schrittchen voraus. Bald
schon bereut Rabbi Klein seine Neugier,
denn was er herausfindet, beginnt ihm
über den Kopf zu wachsen. Immer mehr
gerät er in moralische Zwickmühlen.
Die Lebenden
und die Toten
Nele Neuhaus
560 Seiten
CHF 29.90
Ullstein
Schlafende
Hunde
Ian Rankin
464 Seiten
CHF 29.90
Manhattan
Cobra
Deon Meyer
448 Seiten
CHF 29.90
Brüchiges Glück in den USA
Salla Simukka
So rot wie Blut
Aus dem Finnischen von Elina Kritzokat
304 Seiten • 13,5 x 20,5 cm • Gebunden
Mit Schutzumschlag • CHF 22,90
978-3-401-60010-9
Als Einzelgängerin hält sie sich aus allem
raus ‒ bis Lumikki die tropfnassen Geldscheine auf einer Wäscheleine entdeckt
und in eine gefährliche Geschichte hineingezogen wird. Was für ihre Mitschüler als
dummer Streich begann, entwickelt sich
schnell zu einer Hetzjagd auf Leben und
Tod. Die 17-Jährige muss sich im gnadenlosen Drogengeschäft zurechtfinden, in
dem nur eine Währung zählt: Blut. Wem
kann sie noch trauen?
Als Hörbuch bei
HÖRCOMPANY
Hier gehts direkt
zur Leseprobe
www.lumikki-trilogie.de
Nicht nur ohne Polizei, sondern sogar
gänzlich ohne Ermittlung kommt Nic Pizzolatto aus. Der Autor ist bei uns bekannt,
seit ihm mit der Miniserie «True Detective» mit Matthew McConaughey und
Woody Harrelson ein Coup gelang. Im düsteren Krimi verwebte Pizzolatto als Drehbuchautor Motive aus der klassischen
amerikanischen Horrorliteratur mit existentialistischen Dialogen. Wer die Serie
gesehen hat und die schwüle Atmosphäre
Louisianas nicht missen will, kann jetzt
«Galveston» lesen. Ein Krimi ist das Buch
eigentlich nicht – eher eine Art «Roadmovie» im kriminellen Milieu: Roy Cady steht
als Mann fürs Grobe im Sold eines Gangsterbosses, doch der will ihn loswerden
und schickt ihn deshalb mitten in eine inszenierte Schiesserei. Cady überlebt und
flüchtet mit dem jungen Escort-Girl Rocky,
das ebenfalls an den Ort des Geschehens
bestellt worden war. Die Notgemeinschaft
auf der Flucht arrangiert sich, und als
auch noch ein kleines Mädchen dazustösst, wird sie zur kleinen Familie der
Gefallenen und Hoffnungslosen. In Südtexas erleben sie eine kurze Zeit des Glücks,
bis die harte Vergangenheit sie einholt.
Eine ähnlich düstere Stimmung beschreibt
auch Don Winslow in «Missing. New
York». Frank Decker ermittelt im Fall der
verschwundenen Hailey Hansen und erträgt die Tatsache nicht, dass mit jeder
vergehenden Stunde unwahrscheinlicher
wird, dass das Mädchen noch lebt. Er quittiert den Polizeidienst und verfolgt die
Spur bis nach New York, auch wenn sein
eigenes Leben dabei in die Brüche geht.
KRIMIS | 17
Books Nr. 4/2014
Kains Opfer
Alfred
Bodenheimer
224 Seiten
CHF 27.90
Nagel & Kimche
Galveston
Nic Pizzolatto
253 Seiten
CHF 29.90
Metrolit
Missing.
New York
Don Winslow
400 Seiten
CHF 22.90
Droemer Knaur
Exklusivinterview:
Fünf Fragen an Don Winslow
«Books»: Sie haben bisher über viele
Dinge geschrieben, zuletzt über Drogenhandel. Was hat Sie veranlasst, sich
für «Missing. New York» das Thema
«verschwundene Kinder» vorzunehmen?
Don Winslow: Ich habe lange gewartet,
bis ich das Thema in Angriff nahm. Es
fehlte mir die Bühne dafür, bis ich auf
die Figur von Frank Decker stiess – ein
Mann, der es zu seiner Lebensaufgabe
macht, Vermisste zu finden. Wie bei
vielen Kriminalromanen findet sich ein
Vorläufer dafür im Western, namentlich
in Alan LeMays «The Searchers», der mit
John Wayne verfilmt wurde. Die übliche
psychologische Deutung lautet, dass jemand, der nach anderen forscht, eigentlich sich selber sucht. Ihr wollte ich einen
Dreh geben: Frank Decker ist nicht so. Er
weiss genau, wer er ist, und er fühlt sich
wohl in seiner Haut. Er ist einfach der
Mann, der Vermisste aufspüren kann.
Als Vater eines Sohns ist der Verlust eines Kinds wahrscheinlich das
Schlimmstmögliche, das Sie sich vorstellen können. War die lange Arbeit
mit diesem Thema nicht sehr belastend?
Das ist die grösste Angst aller Eltern,
nicht wahr? Schreibt man ein solches
Buch, kommt man natürlich nicht umhin
sich vorzustellen, wie es wäre, wenn
es sich um das eigene Kind handelte.
Diesen Gedanken musste ich ausblenden
– meinem Sohn geht es gut. Belastend
war das Wissen, dass es Kinder gibt,
denen es nicht gut geht. Die Statistiken,
Akten und Interviews durchzugehen und
zu recherchieren – ja, das war ziemlich
hart. Aber natürlich nichts im Vergleich
zu jenen Menschen, die das tatsächlich
erleben müssen.
Ihre Hauptfigur, Ermittler Frank
Decker, sagt: «Jeden Tag werden in
den USA fünf Kinder getötet. Das sind
fünfmal soviel wie in den fünfundzwanzig nächstgrösseren Industrienationen
zusammengenommen, und ich frage
mich, was das über unser Land sagt.»
Was antwortet Don Winslow auf diese
Frage?
Viel zu viele Kinder fallen durch das soziale Netz. Wir lassen aus Nachlässigkeit,
Gleichgültigkeit und Ablehnung unserer
sozialen Verantwortung Löcher in diesem
Netz zu. Die Mehrheit der ermordeten
Kinder wird nicht von Unbekannten
getötet, sondern von Familienmitgliedern
und Freunden zuhause. Kinderschutzbehörden haben zu wenig Geld und Personal zur Verfügung und sind überfordert.
Unser unsinniger Puritanismus verbietet
uns, über Verhütung zu informieren.
Die Folge daraus sind zu viele Kinder,
die Kinder bekommen – mit tragischen
Konsequenzen.
Sie beschreiben sehr plastisch und
detailliert, was die Polizei bei einem
vermissten Kind unternimmt. Kennen
Sie das aus Ihrer Zeit als Detektiv –
oder haben Sie dazu mit Polizisten
gesprochen?
Ich recherchierte. Es gibt keine spezifischen Vorgaben, wie bei einem vermissten Kind vorzugehen ist. Als Privatdetektiv habe ich zwar einige Vermisste
gesucht, doch obwohl mir diese Arbeit
nützte, wollte ich mich nicht zu stark
darauf verlassen, denn die Technik hat
sich seither stark weiterentwickelt. Man
kann in diesem Bereich nicht pfuschen.
Was ich meinen Lesern mitgeben wollte:
Man soll nicht einen Moment zögern, ein
vermisstes Kind zu melden, nur weil man
die peinliche Situation fürchtet, wenn es
einfach wieder auftaucht. Das wäre doch
grossartig. Die Polizei hätte sicher lieber
hundert falsche Alarme als eine echte
Entführung, die nicht gemeldet wird.
Denn die Zeit kann zum guten Freund
oder tödlichen Feind werden.
Frank Decker tritt in diesem Buch
zum ersten Mal auf und quittiert auch
gleich den Polizeidienst. Werden Sie
weitere Fälle mit diesem Ermittler
schreiben, und wird er zur Polizei zurückkehren?
Auf jeden Fall wird Decker zurückkommen! Er wird weiter nach vermissten
Personen suchen, doch es werden nicht
immer Kinder sein. Ob er zur Polizei
zurückkehrt ... man weiss ja nie, nicht
wahr?
WEIHNACHTEN | 19
Books Nr. 4/2014
Pünktlich zur Weihnachtszeit erscheinen jedes Jahr Bücher, die sich mit dem schönsten aller
Feste beschäftigen. Nicht alle erzählen dabei einfach die Weihnachtsgeschichte neu.
Erik Brühlmann
Schonungslos reisst
Gsella die weihnachtlich-bunte, aber
auch so trügerische
Geschenkpackung
vom Fest und packt
aus, was sich darunter verbirgt.
Mit «Stille Nacht. Die Weihnachtsgeschichte ohne Worte» verfolgt
der deutsche Illustrator Frank
Flöthmann ein Konzept weiter, das
er bereits bei seiner Adaption der
Grimmschen Märchen anwandte.
© Frank Flöthmann
Der Weihnachtsmann ist ein Fliegenpilz!
Das zumindest behauptet Christian
Rätsch in seinem Buch «Abgründige
Weihnachten». Rätsch versucht aber
nicht, auf Gedeih und Verderb Weihnachten lächerlich zu machen. Vielmehr ist der
Autor ein ausgewiesener Fachmann auf
dem Gebiet der Ethnologie und Volkskunde. Sein Buch ist demzufolge ein Streifzug
durch die meist heidnischen Ursprünge
vieler Weihnachtsbräuche. Man erfährt
hier ebenso, warum die Neanderthaler roten Ocker als Ritualfarbe benutzten, wie
auch Geschichten über Wotan und die Wilde Jagd. Rätsch diskutiert den Schamanismus und beleuchtet den Fliegenpilz von
allen Seiten. «Abgründige Weihnachten»
ist letztlich aber weder ein Weihnachtsnoch ein staubtrockenes Geschichtsbuch.
Vielmehr ist es ein interessantes und sehr
unterhaltsames Lesestück, das einen
ziemlich schrägen Blick auf Weihnachten
wirft – und das erst noch durch zahlreiche,
manchmal recht skurrile Bilder aufgelockert wird.
Der deutsche Satiriker und Humorist Thomas Gsella scheint überhaupt keine Lust
auf verordnete Weihnachtsstimmung zu
haben. Die Gedichte, Texte und Bilder in
«Achtung, Achtung, hier spricht der
Weihnachtsmann!» bewegen sich denn
auch irgendwo zwischen Wilhelm Busch
und Satiriker-Ikone Dieter Hildebrandt.
Ironisch, bissig, tief- und abgründig beschreibt Gsella zum Beispiel, wie er das
Problem löst, mal wieder keine Ahnung davon zu haben, «was ich all meinen Liebsten, all meinen nutzlosen und verhassten
Freundinnen und Freunden schenken und
aufhalsen könnte». Schonungslos reisst er
die weihnachtlich-bunte, aber auch so trügerische Geschenkpackung vom Fest und
packt aus, was sich darunter verbirgt –
manchmal böse, aber nie bösartig, denn
ein schelmisches Augenzwinkern ist stets
dabei. Wer partout keinen Kratzer am
Weihnachtslack haben möchte, sollte von
diesem Buch die Finger lassen. Wer aber
lachen und manchmal auch zerknirschtzustimmend nicken möchte, ist hier an der
richtigen Adresse.
Zum Schluss doch noch ein wenig Besinnlichkeit: «Wienachtsgschichte – von Klaus
Schädelin bis Pedro Lenz» ist eine klassische Geschichtensammlung mit weihnachtlichem Flair. Insgesamt 15 Autorinnen und Autoren haben kurze Texte
beigetragen, von den im Titel erwähnten
Klaus Schädelin und Pedro Lenz bis zu Spoken-Word Autorin Stefanie Grob und der
bereits verstorbenen Moderatorin und Autorin Margrit Staub-Hadorn. Apropos Titel:
Dieser ist ein wenig irreführend, da nicht
alle Geschichten in Schweizerdeutscher
Sprache verfasst sind. Doch das tut dem
Lesevergnügen keinen Abbruch, zu charmant sind Geschichten wie Pedro Lenz’
«Der Inder von Celtic» oder Margrit StaubHadorns «Was isch kes Läbe meh?». «Wienachtsgschichte» ist ein kleines, feines
Büchlein, mit dem man es sich über die
Feiertage gemütlich machen kann – ganz
so, wie es sich zur Weihnachtszeit gehört.
Foto: Privat
Stille Nacht,
originelle Nacht
Was macht man, wenn man die Weihnachtsgeschichte ohne Worte erzählen
möchte? Man zeichnet sie! Auf diese Idee
sind natürlich schon unzählige Künstler
gekommen. Aber wohl noch niemand hat
es im Stil von Frank Flöthmann getan. Der
deutsche Grafikdesigner und Illustrator
hat für «Stille Nacht. Die Weihnachtsgeschichte ohne Worte» einen sehr modernen Weg gewählt. Die Zeichnungen, die
von Josef und Maria, den drei Weisen aus
dem Morgenland und natürlich der Geburt
des Christkinds erzählen, ähneln modernen Piktogrammen, wie wir sie von Hinweisschildern auf der ganzen Welt kennen. Flöthmann verwendet ausschliesslich
die Farben Blau, Rot, Schwarz und Weiss.
Das Schöne ist, dass das Buch sowohl als
Grundlage zum Nacherzählen als auch einfach als ungewöhnliche «Lektüre» dienen
kann – auch wenn es zuweilen eine kleine
Herausforderung darstellt, einzelne Bilder
richtig zu interpretieren. Wer Comics mag
oder sich einmal an einem etwas anderen
Bilderbuch versuchen möchte, liegt mit diesem Buch genau richtig.
Der Ethnologe Christian Rätsch beleuchtet die Geschichte des Weihnachtsfests auf höchst originelle
Art und Weise.
Foto: Gabriele Klaes
18 | WEIHNACHTEN
Thomas Gsella nähert sich Weihnachten von der
satirisch-humoristischen Seite.
Stille Nacht.
Die Weihnachtsgeschichte ohne
Worte
Frank Flöthmann
100 Seiten
CHF 24.90
DuMont
Abgründige
Weihnachten.
Die wahre
Geschichte eines
ganz und gar unheiligen Festes
Christian Rätsch
160 Seiten
CHF 24.90
Riemann
Achtung,
Achtung, hier
spricht der
Weihnachtsmann!
Thomas Gsella
160 Seiten
CHF 19.90
Carl’s Books
Wienachtsgschichte – von
Klaus Schädelin
bis Pedro Lenz
Roland Schärer
(Hrsg.)
144 Seiten
CHF 30.90
Cosmos
20 | IM SCHAUFENSTER
Eine Neuerscheinung berichtet über zehn Begegnungen zwischen 20 Persönlichkeiten, welche die Geschichte der Schweiz
massgeblich prägten.
© Hier und Jetzt
Benjamin Gygax
IM SCHAUFENSTER | 21
fenden Schlachten und hehren Schwüre,
die noch immer in Fernsehserien und Schulbüchern abgehandelt werden», urteilen die
Herausgeber. Auf diesem Zusammentreffen
sei die «Erbfeindschaft» der Eidgenossen zu
Habsburg-Österreich gediehen, die in der
eidgenössischen Geschichtsschreibung eine
zentrale Rolle spielt.
Die Detailtreue sorgt auch dafür, dass sich
derselbe Effekt einstellt, der auch den Konsum einer TV-Soap zur Sucht macht: Ob
spannend oder nicht, man möchte einfach
wissen, wie es weitergeht, weil man die
Figuren bald so gut kennt wie die eigenen
Geschwister.
Aus unserer Primarschulzeit kennen wir
die Helden der Schweizer Geschichte: Sie
heissen Wilhelm Tell, Werner Stauffacher,
Walter Fürst, Arnold von Melchtal, Arnold
Winkelried oder Niklaus von Flüe. Sie verdienten sich ihren Platz im Helvetischen
Pantheon dadurch, dass sie die Eidgenossenschaft tatkräftig gegen «fremde Vögte»
verteidigten. Gegen eine solche Betrachtung stemmt sich die Geschichtswissenschaft schon seit vielen Jahrzehnten. Moderne Experten sagen: Nicht Personen
bestimmen den Lauf der Geschichte, sondern politische und soziale Strukturen,
Wirtschaft, Technik oder Geisteshaltungen. So überzeugend diese Argumente
aber auch vorgetragen werden – Menschen interessieren sich nun einmal für
Menschen mit ihren Ecken und Kanten,
Stärken und Schwächen. Wahrscheinlich
stiess die Fernsehserie «Die Schweizer»
auch deshalb auf so grosses Echo. Die
Sendungen blieben aber trotz Historikerkommentaren etwas anekdotisch.
Wichtiger als bluttriefende Schlachten
Der Verlag Hier und Jetzt hat soeben ein
Buch veröffentlicht, das sich abseits solch
ausgetretener Pfade bewegt: In «Historische Begegnungen» präsentieren die Herausgeber zehn Essays verschiedener Autorinnen und Autoren. «Wir haben zehn
historische Begegnungen ausgewählt und
richten damit das Scheinwerferlicht auf
zehn Zusammentreffen bekannter und
unbekannter Frauen und Männer, die einander bekämpften oder ergänzten, eine
gemeinsame Vision oder gegensätzliche
Ziele verfolgten», schreiben die Herausgeber. So begegnete Königin Agnes von Ungarn zum Beispiel 1351 bei Brugg dem
Zürcher Bürgermeister Rudolf Brun. Im
Streit um Einfluss und Land zwischen
Habsburg und verschiedenen Schweizer
Orten sollte die 70-jährige Königin im
Kloster Königsfelden einen Schiedsspruch
fällen. «Diese Begegnung auf Augenhöhe
war für die Entwicklung der frühen Eidgenossenschaft wichtiger als alle bluttrie-
Der norwegische Autor Karl Ove Knausgård verfolgt gegenwärtig ein Mammutprojekt: Er beschreibt seine bisherige Biografie detailversessen in sechs Bänden. Gerade ist der vierte
Teil «Leben» auf Deutsch erschienen. Er ist ein internationaler
Grosserfolg – und polarisiert.
Duttweiler oder Gasser?
Um Macht geht es in vielen Beiträgen,
letztlich auch in jenem über das Zusammentreffen des Reformators Ulrich Zwingli
und des Täufers Konrad Grebel, das Letzterem das Todesurteil einbrachte. Anderes
steht im Vordergrund bei der Begegnung
von Gottlieb Duttweiler und Elsa Gasser –
nämlich deren Einfluss auf unseren Alltag
bis heute. Der Migros-Gründer ist eine bekannte Figur der Zeitgeschichte, doch wer
kennt schon Elsa Gasser? Immerhin ist sie
Doktorin der Nationalökonomie und Journalistin bei der NZZ. 1935 wirbt der Detailhandelspionier die Mutter zweier kleiner
Kinder als volkswirtschaftliche Beraterin
für sein junges Unternehmen an: damals
schon mit 40-Prozent-Pensum und HomeOffice an zwei Halbtagen! Sie wird das Gegengewicht zum impulsiven Praktiker Duttweiler. Ihrem Einfluss ist es zu verdanken,
dass das Kulturprozent seine heutige Gestalt annahm und dass 1948 «die erste echte Self-Service-Verkaufsstelle» eröffnete.
Keine leichte Kost
Eine eher schwierige Begegnung: der lebenshungrige Ulrich Bräker und seine gestrenge Frau Salome.
Verwirrend genau
Muss man sich in den Essays zum Mittelalter gelegentlich noch durch zahlreiche Jahreszahlen, Namen und Verwandtschaftsverhältnisse arbeiten, werden die Texte zu
weniger weit entfernten Zeiten immer
leichter und lebendiger. Ganz ohne Aufwand ist ein differenziertes Bild unseres
Wegs in die Gegenwart halt nicht zu bekommen. Doch der engagierte Verlag, der auf
Schweizer Geschichte und Politik spezialisiert ist, will uns diese Geschichtslektion
so angenehm wie möglich machen: Keine
Fussnoten stören den Lesefluss, das Buch
ist schön gestaltet und mit ausdrucksstarken schwarz-weissen Porträts der Protagonistinnen und Protagonisten illustriert.
Historische
Begegnungen
Elisabeth Joris, Bruno
Meier, Martin Widmer
(Hrsg.)
280 Seiten
CHF 52.90
Hier und Jetzt
Marius Leutenegger
Hier seziert einer
sein Leben und
legt es unter die
Lupe. Für den Leser
und die Leserin
ist das je nach persönlicher Vorliebe
Segen oder Fluch.
© Jimmy Kets
Begegnung mit
unserer Geschichte
Books Nr. 4/2014
Im literaturaffinen NZZ-Verlag ist man sich
offensichtlich uneins. «Es ist, als machte
man bei der Lektüre eine jede Bewegung
mit, mehr noch: als atmete man mit dem
Erzähler», schreibt Andrea Köhler begeistert in der «Neuen Zürcher Zeitung». Sieglinde Geisel poltert hingegen in der «NZZ
am Sonntag»: Sie habe jetzt die Hälfte des
Buchs gelesen, «aufs Weiterlesen verzichte
ich, denn warum sollte es auf den nächsten
300 Seiten besser werden?»
seine Autobiografie dennoch so viele Seiten füllt, ist Folge einer fast einmaligen Detailversessenheit. Diesen Lebensbeschrieb
als «minutiös» zu bezeichnen, käme einer
glatten Untertreibung gleich: Es gibt offenbar nichts, was Knausgård nicht für erwähnenswert hält, und alles verdient bei
ihm gleich viel Platz, gleichgültig, ob es sich
um eine lebensphilosophische Betrachtung oder um die Beschreibung der eigenen Unterhose handelt.
Gegenstand der beiden Kritiken ist ein
weltweiter Sensationserfolg: die bis jetzt in
30 Sprachen übersetzte Autobiografie des
norwegischen Schriftstellers Karl Ove
Knausgård. Angelegt ist das Mammutwerk
auf sechs Bände und total rund 4000 Seiten. Im Original erscheint die Reihe unter
der Überschrift «Min Kamp»; aus naheliegenden Gründen kommt dieser Titel bei
der deutschen Ausgabe nicht zum Einsatz,
und darum heissen die bis jetzt vorliegenden ersten vier Bände bei uns «Sterben»,
«Lieben», «Spielen» und «Leben». Autor
Knausgård hat mit seinen 45 Jahren bis
jetzt erst ein halbes Leben gelebt – und
keineswegs ein überaus aufregendes. Dass
Das ist Programm: Hier seziert einer sein
Leben und legt es unter die Lupe. Für den
Leser und die Leserin ist das je nach persönlicher Vorliebe Segen oder Fluch. Wer
eintauchen will in eine fremde Existenz,
wird von Knausgård reich bedient, und
auch wer sein eigenes Leben anhand eines
anderen durchdenken mag, kommt voll auf
seine Kosten. Denn unweigerlich lässt die
Lektüre Fragen aufsteigen: Wie war es
denn bei mir mit den Mädchen, dem
Selbstbewusstsein und dem ganzen Rest,
als ich ein einsamer junger Mann war? Wie
beobachte ich die Welt? Warum sieht
Knausgård das alles so ähnlich wie ich?
Haben wir zwei einfach Recht?
Was aber, wenn einem der SchlüssellochEffekt allein nicht genug Antrieb ist, ein
Buch zu lesen? Wer nach sprachlicher und
gedanklicher Substanz lechzt, wird von
«Min Kamp» jedenfalls nicht gesättigt. Weil
Knausgård trotz gelegentlicher Rückblicke
einfach der Chronologie der Ereignisse
folgt und nur immer beschreibt, was war,
gibt es keine künstlerische Gestaltung des
immensen Materials, keinen überraschenden Kniff, keinen Spannungsbogen. Der
Bach plätschert unentwegt vor sich hin.
Das tut er aber in schöner Landschaft und
in durchaus angenehmem Ton. So unentschlossen die NZZ-Redaktion bezüglich
«Min Kamp» ist, so unentschlossen bleibt
am Ende auch der Books-Redaktor:
Manchmal sehnte ich mich nach einer freien Stunde, um noch etwas länger mitverfolgen zu können, wie der junge Karl Ove
durchs Leben schwebt und all das entdeckt, was ich auch entdecken musste –
dann aber war es wieder eine echte Pflichtübung, das Buch erneut zur Hand zu
nehmen und in dieses norwegische Durchschnittsdasein einzusteigen, das mich ja
eigentlich nicht interessiert und dessen
«schonungslose Offenheit» mir mehr als
einmal kokett und plump erschien.
So ist «Leben» halt einfach ein bisschen
wie – das Leben selbst: Mal nimmt man
begeistert teil, mal ist es eher mühselig, nie
aber ist es einfach nur wunderbar oder nur
schlecht. Oder wie ein amerikanischer Kritiker treffend schrieb: «Even when I was
bored, I was interested.» Das Leben bleibt
eben per se spannend.
Leben
624 Seiten
CHF 33.90
Luchterhand
22 | Buchtipps
IM SCHAUFENSTER | 23
Books Nr. 4/2014
Auf den Spuren
des Autors
«Paris ist immer eine gute Idee» ist ein Autorenrätsel im doppelten Sinn. Im Buch ist die Suche nach dem wahren Urheber einer
Kindergeschichte der Ausgangspunkt für eine herzergreifende
Romanze. Aber auch die Identität von Autor Nicolas Barreau
ist ein kleines Mysterium.
Silvia Avallone
Marina Bellezza
Die bildhübsche Marina will die Welt
erobern, ihre Jugendliebe Andrea
möchte diese hinter sich lassen. Die
beiden können nicht mit-, aber auch
nicht ohne einander. Was sie verbindet, ist der übermächtige Wunsch,
der Gegenwart zu entkommen – und
damit auch dem langweiligen Provinzstädtchen Biella, in dem beide gross
wurden.
Silvia Avallone ist ein ungewöhnlich
starkes Buch gelungen. Es erzählt
vom Hunger nach Leben und von
unbedingter Liebe, die sehr schnell
in Hass umschlagen kann. Avallones
Erstlingsroman «Ein Sommer in
Stahl» war in Italien ein Bestseller und
erhielt zahlreiche Preise. Mit «Marina
Bellezza» kann die Autorin die durch
das fulminante Debüt geschürten
Erwartungen gar noch übertreffen.
Ted Thompson
Land der
Gewohnheit
Deon Meyer
Cobra
Möglicherweise war es nicht Anders' brillanteste Idee, sich auf der
Weihnachtsparty der Ashbys sinnlos
zu betrinken. Aber die Begegnung
mit seiner Exfrau und ihrem neuen
Partner setzt Anders mehr zu als
gedacht, und so endet die Party im
Eklat. Dabei hatte er gehofft, dass
seine Scheidung eine Befreiung aus
einem Leben voller Zwänge sein würde. Was für eine Täuschung! Anders
bereut seine Entscheidung und will
sein altes Leben zurück, doch dort
hat niemand auf ihn gewartet. Dann
passiert eine Katastrophe ...
Auf einem Weingut bei Kapstadt
werden drei Angestellte eines privaten
Sicherheitsdiensts erschossen. Ihr
Schützling, ein berühmter britischer
Mathematiker, ist verschwunden. Die
skrupellosen Täter haben nur eine Spur
hinterlassen: Auf den Patronenhülsen
ist eine speiende Kobra abgebildet –
das Markenzeichen eines gefährlichen
Auftragskillers. Bei der Lösung des Falls
könnte Ermittler Bennie Griessel ein
smarter Taschendieb helfen. Denn der
hat etwas gestohlen, was die Mörder
suchen: ein Handy mit geheimen
Daten.
Ein junger Autor blickt auf die
Generation seiner Eltern und fragt,
wie ihre Entscheidungen von damals
unsere Gesellschaft bis heute prägen.
Ein kluges, scharfsinniges und brillant
geschriebenes Porträt unserer Zeit.
Härter, packender und besser denn
je – der neue Deon Meyer mit einer
faszinierenden Hauptfigur: dem von
Selbstzweifeln geplagten und mit
einer Alkoholsucht ringenden Benny
Griessel.
Andreas Eschbach
Thomas Mäder
Spass an mysteriösen Urhebern
Der Jesus-Deal
Mit seinem Verschwörungs-Thriller
«Das Jesus-Video» sorgte Andreas
Eschbach für Furore. Darin ging es um
einen Zeitreisenden, der Videoaufnahmen von Jesus Christus gemacht hatte,
die in der Gegenwart entdeckt wurden.
Nun ist endlich die langersehnte Fortsetzung von «Das Jesus-Video» da. Sie
ist gleichzeitig dessen Vorgeschichte.
Dennoch kann man den spannenden
Thriller auch lesen, ohne den Vorgänger zu kennen.
In «Der Jesus-Deal» kommt der ehemalige Archäologie-Student Stephen
Foxx einer Gruppierung auf die Spur,
die das originale Jesus-Video gestohlen
hat. Von der Existenz der Gruppe
wusste er zwar, aber nicht von ihrer
wahren Macht. Wie sich herausstellt,
spielt die Video-Kassette eine wesentliche Rolle in einem Plan von unglaublichen Dimensionen.
568 Seiten
320 Seiten
448 Seiten
688 Seiten
CHF 35.90
CHF 30.90
CHF 29.90
CHF 33.90
Klett-Cotta
Ullstein
Rütten & Loening
Lübbe
ISBN 978-3-608-98018-9
ISBN 978-3-550-08074-6
ISBN 978-3-352-00686-9
ISBN 978-3-431-03900-9
Rosalie führt in Paris einen Postkartenladen namens «Luna, Luna». Ihre Spezialität
sind individuell gestaltete Wunschkarten,
die sie für ihre Kundinnen und Kunden illustriert. Rosalies eigene Wünsche scheinen hingegen nicht in Erfüllung zu gehen:
dass ihr Freund René sie endlich ins Restaurant «Jules Verne» auf dem Eiffelturm
einlädt oder mit ihr an der Brücke Pont des
Arts als Zeichen ihrer Liebe ein Schloss mit
ihren Namen anbringt. Rosalie schreibt
ihre Wünsche auf eine Karte, die sie an ihrem Geburtstag vom Eiffelturm segeln lässt
– in der Hoffnung, sie gingen so in Erfüllung. Doch René ist kein so romantischverträumter Mensch wie Rosalie. Schlösser
an Brückengeländern empfindet er als
Kitsch, ein Restaurant auf dem Eiffelturm
hält er für überflüssig. Man ahnt bald: Diese Beziehung wird kaum ewig halten.
Schicksalhafte Begegnungen
Aus diesem beschaulichen, aber unerfüllten Leben wird Rosalie schliesslich herausgerissen – und zwar durch ein Kinderbuch
mit dem Titel «Der blaue Tiger». Dabei handelt es sich um das neuste Werk des erfolgreichen Kinderbuchautors Max Marchais,
und sein Verlag hat Rosalie dafür ausgewählt, es zu illustrieren. Das mutet insofern
schon einmal schicksalhaft an, als blau seit
jeher ihre absolute Lieblingsfarbe war. So
richtig schicksalhaft wird das Buch für die
junge Französin aber erst, als der amerikanische Literaturprofessor Robert in ihren
Laden stolpert und wutentbrannt behauptet, die Geschichte vom blauen Tiger gehöre
ihm. Seine kürzlich verstorbene Mutter
habe sie ihm als Kind jeden Abend am Bett
erzählt. Kurz: Marchais habe die Geschichte gestohlen. Es entbrennt erst ein unschöner Streit zwischen Rosalie und Robert,
dann machen sich die beiden gemeinsam
erscheinen. Franzose sei der Autor jedoch
sehr wohl, heisst es dort. Allerdings sind die
Bücher von Barreau zuerst alle auf Deutsch
erschienen, angeblich übersetzt aus dem
Französischen. Eine Internetsuche nach
dem Namen der angegebenen Übersetzerin
– einer gewissen Sophie Scherrer – führt zu
einem Autorenprofil des Verlags arsEdition,
wo bald ein Kinderbuch von ihr erscheint.
Das Foto zeigt aber Daniela Thiele, die Verlagsleiterin des Thiele-Verlags. Es spricht
daher einiges für die von der «Welt» geäusserte These, dass sich hinter Nicolas Barreau eben jene Daniela Thiele verbirgt, deren
Verlag die Bücher publiziert.
auf die Suche nach dem Geheimnis hinter
der Geschichte ...
Französischer als Frankreich
Seine romantische Erzählung mit leichtem
Krimi-Einschlag würzt Nicolas Barreau mit
viel Pariser Charme. Man kann den Roman
durchaus als Liebeserklärung an die französische Hauptstadt werten, die ja gemeinhin als Stadt der Liebe gilt. Das hier geschilderte Postkartenparis und das französische
Savoir-vivre entsprechen wohl exakt dem
Bild, das man sich von der Stadt macht. Da
werden Croissants gegessen, es fliessen
Pastis und französischer Rotwein, und die
Touristenattraktionen spielen zentrale Rollen. Dass hier Klischees bedient werden,
macht den Einstieg in diese Erzählwelt
leicht – und das hat wohl wesentlich zum
riesigen Erfolg von Barreau im generell parisverliebten Deutschland beigetragen.
«Paris ist immer eine gute Idee» ist das
mittlerweile sechste Buch einer Reihe von
Liebesgeschichten, die in einem sehr idyllischen Paris spielen. Besonders erfolgreich
war «Das Lächeln der Frauen», das dem
Autor den internationalen Durchbruch
brachte und sich rund ein Jahr auf der
Spiegel-Liste der erfolgreichsten Taschenbücher hielt. Barreau trifft offenbar exakt
den Nerv seiner vorwiegend weiblichen
deutschsprachigen Leserschaft.
Wer auch immer «Paris ist immer eine gute
Idee» geschrieben hat: Er oder sie scheint
Spass zu haben an unbekannten Identitäten. So bildet ja auch die Jagd nach dem
wahren Urheber der Geschichte des blauen
Tigers den roten Faden des Buchs. Und
noch deutlicher war ein Hinweis in «Das
Lächeln der Frauen». Dort will die Protagonistin einen englischen Autor kennenlernen, von dem sie ein Buch gelesen hat.
Doch wie sich herausstellt, handelt es sich
in Wirklichkeit um einen französischen
Lektor, der das Buch unter einem Pseudonym veröffentlicht hat. Übrigens ist es gar
keine Seltenheit, dass Verlagsleiter Romane
unter falschem Namen publizieren. KrimiAutor Jean-Luc Bannalec soll ein Pseudonym des Leiters des Fischer-Verlags sein,
liest man, und hinter der Basler Regio-Krimi-Autorin Anne Gold sollen sich die beiden Verlagsleiter des Friedrich-ReinhardtVerlags verstecken.
Anrührend und sympathisch
Der – vermutlich mehrheitlich weiblichen –
Leserschaft der Romane von Nicolas Barreau kann aber letztendlich eigentlich egal
sein, wer «Paris ist immer eine gute Idee»
tatsächlich geschrieben hat. Denn die anrührende Liebesgeschichte mit ihrer sympathischen Hauptdarstellerin will vor allem
mit Leichtigkeit unterhalten und das Herz
erwärmen – und das gelingt vortrefflich.
Die Übersetzerin als Hinweis
Zufall ist das kaum – denn unter Umständen ist Barreau in Tat und Wahrheit eine
deutsche Autorin. Schon früh haben Fans
dieser Bücher mehr über den gemäss Autorenfoto schönen jungen Mann erfahren
wollen, der sie verfasst haben soll. Sie blieben dabei aber erfolglos. Dass Nicolas Barreau ein Pseudonym ist, gibt auch der Thiele-Verlag zu, bei dem «Barreaus» Bücher
Paris ist immer
eine gute Idee
320 Seiten
CHF 26.90
Thiele
24 | SPEZIAL – Schöne Bücher
Spezial – Schöne Bücher | 25
Books Nr. 4/2014
Books
Spezial
Das Kleid ist Sinnbild von Femininität, Eleganz und Schönheit –
und das zentrale Kleidungsstück jeder modebewussten
Frau. «Vogue: Das Kleid» zeigt
aussergewöhnliche Kreationen
an aussergewöhnlichen Frauen,
aufgenommen von aussergewöhnlichen Fotografen.
© Prestel
Für das Auge und den Geist
Bei Romanen geht es nur um den Text. Beim Coffee Table Book
ist das Aussehen hingegen ebenso wichtig wie der Inhalt. Entstanden ist der moderne Bildband in den USA.
Erik Brühlmann
zumindest ungewöhnliche Formate sind
mittlerweile üblich. Ein Bildband ist ein
Gesamtkunstwerk, das sich vom durchschnittlichen Buch auf jede nur erdenkliche Weise abheben will. Doch nicht allein
gestalterisch, auch thematisch gibt es keine Grenzen: Ob Natur- oder Architekturfotografie, Malerei, Autos, Lebensmittel
oder Geschichte, alles kann in einem Bildband veranschaulicht werden.
Sex Sells – auch auf dem Coffee Table
Coffee Table Books sind anders als andere
Bücher. Man kauft sie nicht unbedingt, um
sich weiterzubilden, und man kauft sie
auch nicht, um sie in irgendeinem Regal
verschwinden zu lassen. Coffee Table
Books – im weiteren Sinn Bildbände – sind
dazu da, um gezeigt und angeschaut zu
werden. Der Bezeichnung nach am besten
auf einem Beistelltischchen.
Einfach schön
Es gibt Bücher, bei denen die äussere Form nicht so entscheidend ist. Und es gibt die «Schönen Bücher», die gleichermassen durch Inhalt und Erscheinung beglücken: Bildbände über
aussergewöhnliche Orte und Menschen, über Architektur, Mode
und Natur. Oder Bücher, hinten denen ein besonderes visuelles
Konzept steht. Das Spezial dieser Ausgabe von Books ist ganz
diesen «Coffee Table Books» gewidmet.
Die «Erfindung» des
modernen Coffee
Table Books wird
einem Amerikaner
zugeschrieben.
Der Fluch des Coffee Tables
Heute ist ein Autor, Fotograf oder Maler
stolz darauf, seine Werke in einem edlen
Bildband verewigen zu dürfen. Früher
war der Platz auf dem «Coffee Table» jedoch nicht immer erstrebenswert. So
schrieb der französische Politiker, Philosoph und Essayist Michel de Montaigne
1580 in einem Aufsatz sinngemäss: «Es
ärgert mich, dass meine Essays den Damen nur als Buch dienen, das man ins
Fenster des Salons stellen kann.» In England verwendet man den Begriff «Coffee
Table Book» im heutigen Sinn bereits seit
dem 19. Jahrhundert. Die «Erfindung»
des modernen Coffee Table Books wird
aber einem Amerikaner zugeschrieben.
Der Umweltschützer David R. Brower
(1912–2000), Gründer verschiedener Umweltorganisationen wie des Sierra Clubs,
kam Mitte des letzten Jahrhunderts auf
die Idee, eine Buchreihe mit Naturfotografien und Texten zu veröffentlichen. Jedes Buch sollte gross genug sein, «um die
Dynamik jedes Bilds zu tragen. Das Auge
soll sich über das Bild bewegen und es
nicht auf den ersten Blick einfangen können.» So erschien 1960 das Buch «This Is
the American Earth». Unter anderem
steuerte der amerikanische Fotograf Ansel Adams Bilder bei, Nancy Newhall war
für die Texte zuständig. 19 weitere Bildbände dieser Art folgten.
Fast alles ist erlaubt
Bilder machen auch heute noch den
grössten Teil eines Coffee Table Books aus
– egal ob als Zeichnung, Gemälde oder
Fotografie. Und auch Überformate oder
Allen Bildbänden gemeinsam ist, dass sie
Liebhaberstücke sind, die ihren Preis haben. «Marilyn & Me» von Lawrence Schiller schlägt mit über 1000 Franken zu Buche; «Taking My Time» von Joel
Meyerowitz ist beim Phaidon Verlag für
750 Pfund zu haben; die limitierte Ausgabe von «Star Wars: A Galactic Pop-Up Adventure» kostet immerhin noch rund 327
Franken. Klar, dass bei diesen Preisen die
Auflagen jeweils nur einen Bruchteil dessen betragen, was ein Stephen King oder
ein John Grisham mit jedem neuen Roman umschlagen. Die grosse Ausnahme
dieser Regel brachte die amerikanische
Künstlerin Madonna 1992 auf den Markt.
Ihr höchst umstrittenes Buch «Sex» gilt
als das bislang erfolgreichste Coffee Table
Book. Die erste Auflage von 1,5 Millionen
Exemplaren war innerhalb einer Woche
ausverkauft – und dies, obwohl das Buch
in Japan und Indien verboten wurde. Ob
alle Madonna-Bücher auch wirklich auf
einem Beistelltischchen landeten, darf
aber bezweifelt werden.
26 | SPEZIAL – Schöne Bücher
Spezial – Schöne Bücher | 27
Books Nr. 4/2014
Prachtvolle Bände
für Bücherfans
Spezia
l
SCHÖN
E
BÜCHE
R
FASZINIERENDE
EINBLICKE
Was schenkt man jemandem, der schon alles in seiner Bibliothek stehen hat?
Ein schönes Buch, natürlich! Carola Klein, Stellvertretende Filialleiterin bei
Stauffacher in Bern und Spezialistin für schöne Bücher, hat die eindrücklichsten
Neuerscheinungen herausgesucht.
X
Eine Trouvaille für jeden Literaturfan:
«Die Geschichte vom Prinzen
Genji» in prachtvoller Aufmachung
mit japanischem Leinen.
«‹Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste›,
schrieb der deutsche Schriftsteller Heinrich
Heine. Was er wohl von den aussergewöhnlichen Büchern halten würde, die als Liebhaberstücke so manche heimische Bibliothek zieren? ‹Gewaltig› wäre wohl ein
Begriff, der ihm passend erschiene.
ISBN 978-3-613-03689-5
Alexander von Humboldt war der vielleicht letzte Universalgelehrte. Der Naturforscher und Reiseschriftsteller verfasste
über 700 Aufsätze, Artikel und Essays.
Und er lieferte als Grafiker und Zeichner
gleich noch die Illustrationen dazu. ‹Das
graphische Gesamtwerk› versammelt
rund 1500 Abbildungen, die vorrangig
aus dem amerikanischen Reisewerk
stammen, erstmals in einem opulenten
Band. Ob Menschen, Gebäude, Pflanzen,
Tiere, Gebirge oder Gewässer: Jede Illustration ist ein kleines Kunstwerk. Der
Humboldt-Spezialist Oliver Lubrich ergänzt das Buch mit einer fachkundigen
Einleitung; im Anhang finden sich Werkübersicht, Bildbeschreibung und Zeittafel.
Dieses Buch ist nicht nur für Naturfreunde oder Naturwissenschaftler eine wahre
Schatztruhe.
Foto-Freunde, aufgepasst! Die Werke der
Fotografen des National Geographic sind
weltbekannt und fast schon legendär. Deshalb ist ‹National Geographic. In 125
Jahren um die Welt› eine Edition für alle,
die Spass an opulenten, aussergewöhnlichen Fotografien haben. Die drei übergrossen und insgesamt über 15 Kilogramm schweren Bände bieten so etwas
wie die totale Weltreise: von der Antarktis
bis Timbuktu, von Nordamerika bis Asien.
Doch diese Edition ist nicht nur eine Welt-,
sondern auch eine Zeitreise. Schliesslich
geben die über 1600 Seiten auch einen
Einblick in die Geschichte der Fotografie
der vergangenen 125 Jahre, von frühen
Schwarzweiss-Fotografien bis zur Digitalisierung. Ein Buch, das nicht nur bildet!
© Lambert Schneider
Bilder aus «Das graphische Gesamtwerk».
Günter Engelen zeigt erstmals die komplette
Geschichte des R 129 von den Anfängen bis zu
seinem letzten Baujahr 2001.
352 Seiten, Format 230 x 265 mm
Die drei übergrossen
und insgesamt über
15 Kilogramm
schweren Bände
bieten so etwas wie
die totale Weltreise:
von der Antarktis bis
Timbuktu, von Nordamerika bis Asien.
Wer einen Hang zu Asiatischem hat, dem
sei ‹Die Geschichte vom Prinzen Genji›
ans Herz gelegt. Sie handelt von höfischer
Etikette, tiefer Liebe, Intrigen und dem
Leben am kaiserlichen Hof im Kyoto der
Heian-Zeit. Der eintausend Jahre alte japanische Liebesroman von Murasaki
Shikibu erscheint jetzt in der einzig vollständigen Übersetzung von Oscar Benl
und in prachtvoller Aufmachung mit japanischem Leinen, Goldprägung, Leseband
und Schmuckschuber. Ein kleines Juwel
für Literaturbegeisterte, die einmal in die
philosophische, sprachliche und nicht zuletzt erzählerische Eleganz des fernen Ostens eintauchen wollen. Eine Trouvaille
für jeden Literaturfan! Die alte Geschichte
kann immer wieder neu entdeckt werden.
Fast jeder hantiert mit ihnen, aber kaum
einer weiss mehr über sie, als dass sie
scharf sind – höchste Zeit für ein Coffee
Table Book über ‹Messer›. Das neue Standardwerk erzählt in Wort und Bild von
Ursprung, Herstellung und Verwendung
verschiedenster Küchenmesser. Darüber
hinaus beschreibt es 30 Schneidetechniken, und es liefert gleich noch die dazu
passenden Rezepte. So gelingt es bald mühelos, ein Sashimi stilecht mit einem japanischen Yanagiba-Messer zuzubereiten.
Die limitierte und nummerierte Edition
im handgefertigten Holzschuber kommt
zusätzlich mit einem scharfen Extra:
einem hochwertigen Damastmesser von
‹kai› mit Sonderprägung.
CHF 74,90
Ob Enzmann, Sipani, Treser, Autobleu, Hino oder
Unic – Roger Gloor erinnert hier beispielhaft an die
Namen von vergessenen Herstellern.
336 Seiten, Format 220 x 290 mm
ISBN 978-3-613-03688-8
CHF 94,90
Dieser Band reicht von den Magistralen durch die
Alpen, über die zahlreichen Schmalspurbahnen, die
auch entlegene Täler erschließen, bis zu den eindrucksvollen Zahnradbahnen, die selbst steile Gipfel
erklimmen.
144 Seiten, Format 230 x 265 mm
ISBN 978-3-613-71478-6
Überall, wo es Bücher gibt, oder unter
CHF 29,90
WWW.PAUL-PIETSCH-VERLAGE.DE
Service-Hotline: 0711/ 98 80 99 85
28 | SPEZIAL – Schöne Bücher
Spezial – Schöne Bücher | 29
Books Nr. 4/2014
Das graphische
Gesamtwerk
Alexander von
Humboldt
800 Seiten
CHF 179.00
Lambert Schneider
l
Spezia
E
N
SCHÖ
R
E
H
BÜC
National Geographic. In 125 Jahren
um die Welt
«Unser Publikum sind
Bibliophile»
Der Thurgauer Benteli-Verlag ist auf schöne Bücher fernab des
Mainstreams spezialisiert. Verlagsleiterin Andrea Wiegelmann
und Lektorin Miriam Waldvogel geben Einblick hinter die
Kulissen und erzählen, wie ein Bildband entsteht.
n
Reuel Golden
(Hrsg.)
1468 Seiten
CHF 539.00
Taschen
© Bank™
Die Geschichte
vom Prinzen Genji
Murasaki Shikibu
1900 Seiten
CHF 80.00
Manesse
In «Tausend und Ein Tag» werden
die Geschichten aus dem
Morgenland von alten orientalischen
Bildern begleitet.
TEUBNER Messer
Limited Edition
288 Seiten
CHF 449.00
Gräfe und Unzer
Hat man seine Zutaten erst einmal fachgerecht zerlegt, ist es Zeit für ‹Grillen und
Räuchern›. Auch dieses Buch mit Schuber
ist ebenso praktisch wie prachtvoll: Es zeigt,
was man braucht, um am offenen Feuer
oder in der Räucherkammer zu bestehen,
es liefert hervorragende Rezepte und jede
Menge Tipps und Tricks – und während das
Fleisch gemütlich vor sich hin brutzelt, erfreuen die atemberaubenden Bilder das
Auge. Ein Buch aus lodernden Flammen, an
dem alle Grillfans viel Freude haben werden.
Wer kennt nicht die ‹Vogue›? Das Modemagazin ist berühmt für seine geschmackvollen und spektakulären Modeaufnahmen.
‹Vogue: Das Kleid› ist daher auch wie ein
Laufsteg für alles, was mit Kleidern zu tun
hat. Elegantes, Feminines, Aufreizendes
und Luxuriöses versammeln sich auf den
rund 300 Seiten. Das lässt Frauenherzen
höher schlagen und Männerherzen in Tagträumen versinken. Passend dazu ist
die Aufmachung mit Stoffbezug und silberner Folienprägung in einer veredelten
Schmuckbox. Ein Buch zum Schwelgen,
Hinlegen und dauernd Anschauen – ein
klassisches Coffee Table Book eben.
Die morgenländischen Erzählungen aus
‹1001 Nacht› gehören längst zur Weltliteratur. Quasi eine Ergänzung bildet die
Sammlung ‹Tausend und Ein Tag›. Zum
ersten Mal erschien die Geschichtensammlung 1710. Um sie zu erweitern, stöberten die Herausgeber in Archiven und
Bibliotheken und förderten längst vergessene, aber nicht minder lesenswerte Geschichten zutage. Hinzu kommt eine geradezu opulente Bebilderung. Ihr Höhepunkt
ist ein Bildfries aus alten persischen, indischen und arabischen Abbildungen, der
das ganze Werk durchzieht. Ein prachtvoll gestaltetes Buch für Liebhaber und
Liebhaberinnen guter Geschichten, orientalischer Träume und all dem, was wir uns
darunter vorstellen.»
TEUBNER Grillen
und Räuchern
Limited Edition
360 Seiten
CHF 189.00
Gräfe und Unzer
Vogue: Das Kleid
304 Seiten
CHF 119.00
Prestel
Tausend und
Ein Tag
1200 Seiten
CHF 179.00
Die Andere Bibliothek
Miriam Waldvogel (links) und Andrea Wiegelmann vom Benteli Verlag wissen, was aus einem normalen
Bildband ein aussergewöhnliches Werk macht.
«Books»: «Coffee Table Books» sind im
Grund Nischenprodukte, oder?
Andrea Wiegelmann: Ja – in dem Sinn,
dass die Themen, die wir behandeln, nicht
auf den Massenmarkt ausgerichtet sind.
Auch die Künstler, Fotografen und Autoren
suchen sich zumeist Themenbereiche, die
eher nicht auf ein breites Publikum abzielen. Das ist der Vorteil von Benteli als verhältnismässig kleinem Verlag: Wir können
uns erlauben, Themenfelder zu bestellen,
die jenseits des Mainstreams liegen, denn
wir können auch mit kleineren Auflagen
leben.
Was bedeutet «kleinere Auflagen»?
Das beginnt bei wenigen hundert Exemplaren, je nach Titel. Natürlich haben wir
auch auflagenstärkere Titel wie «Über das
Geistige in der Kunst» von Wassily Kandinsky oder «Niki de Saint Phalle und der
Tarot-Garten», die immer wieder aufgelegt
werden und sich stetig verkaufen. Hier
erreichen wir Auflagen von bis zu 15’000
Exemplaren. Diese Einnahmen nutzen wir
dann für die Finanzierung von Titeln mit
kleineren Auflagen. Dazu kommen teilweise Drittmittel von Sponsoren oder Stiftungen. Andere Titel sind Co-Produktionen,
bei denen die Kosten aufgeteilt werden –
zum Beispiel, wenn ein Titel gleichzeitig
Ausstellungskatalog ist. Grundsätzlich gilt
für uns jedoch wie für alle anderen Verlage: Wir müssen die Verkäuflichkeit unserer
Bücher im Blick behalten.
Viele Belletristik-Verlage spezialisieren
sich auf ein bestimmtes Publikum. Wie
ist das bei Ihnen?
Unser Publikum ist so bunt wie die Bücher,
die wir im Programm haben. Es sind Kultur-, Kunst- und Fotografie-Interessierte
aus allen Altersklassen. Das ist für unsere
Arbeit ebenso ein Vorteil wie ein Nachteil,
denn einerseits lässt uns das eine grosse
thematische Freiheit, andererseits ist es
umso schwieriger, zum richtigen Zeitpunkt
das richtige Thema aufzugreifen. Unter
dem Strich weist unsere Leserschaft vermutlich einen gemeinsamen Nenner auf:
Sie besteht aus Bibliophilen.
Woher nehmen Sie die Themen?
Oft treten Autoren oder Veranstalter an uns
heran. Manchmal kommt man aber auch
schlicht per Zufall zu einem Buch. Das war
der Fall bei der neuen Publikation von Joël
Tettamanti. Mit den Herausgebern hatte
ich wegen eines anderen Projekts zu tun,
und ich sah eine Maquette des Projekts.
Joël Tettamanti –
ein Buchexperiment
Die Bilder des in Kamerun geborenen
Schweizer Fotografen Joël Tettamanti sind
faszinierende, bisweilen bizarre Zeugen
seiner Reisen durch die ganze Welt. Das
Buch «Joël Tettamanti. Works 2001–2019»
stellt eine Gesamtschau seiner Werke dar.
Moment: 2019? «Nur ein Teil des Buchs
ist fix», erklärt Benteli-Verlagsleiterin
Andrea Wiegelmann. «Ein anderer Teil wird
jeweils aktualisiert, wenn Tettamanti auf
seinen Reisen neues Material fotografiert.»
Das allein ist schon ungewöhnlich, doch
mit diesem Buch will man bei Benteli noch
einen Schritt weitergehen: «Wir wollen
das Buch interaktiv ausrichten und so
den traditionellen Offset-Druck mit dem
Print-on-Demand-Verfahren innovativ verbinden.» Konkret bedeutet dies, dass das
Buch in drei Varianten erscheinen wird: Die
Basic Edition ist das traditionelle, komplett
fertige Buch mit Schwarz-Weiss-Bildern.
Die Special Edition bietet der Leserschaft
die Möglichkeit, über eine Website aus
einer Serie ein Bild auszuwählen und dieses
farbig eindrucken zu lassen. Der Clou: Jedes
Bild wird nur sechs Mal farbig produziert!
Die Premium Edition schliesslich beinhaltet
zusätzlich einen limitierten, vom Fotografen
ausgewählten Farbprint. «Wir wollen damit
aber nicht die Buchhändler ausbremsen»,
hält Wiegelmann fest. «Im Gegenteil: Die
Buchhandlungen werden Flyer bekommen,
welche die Kunden auf die Website führen.
Dort können die Kunden bei der Bestellung
angeben, bei welcher Buchhandlung sie den
Flyer erhalten haben. So wird die entsprechende Buchhandlung an jeder Bestellung
beteiligt.» Mit diesem wohl einmaligen
Projekt wolle man versuchen, neue Arten
der Buchproduktion und des Buchsammelns
auszuloten – «und das Traditionelle mit
Innovation verbinden».
Joël Tettamanti.
Works 2001-2019
Sven Ehmann und
Nicolas Bourqin (Hrsg.)
Basic Edition: CHF 49.90
Special Edition: CHF 98.00
Limited Edition: CHF 450.00
Benteli
30 | SPEZIAL – Schöne Bücher
Auf meine Nachfrage, bei wem das denn
erscheinen solle, hiess es, man fände
keinen Verlag, der das Projekt nach ihren
Vorstellungen verwirklichen wolle. Wir
schauten uns dieses Manuskript dann an,
fanden es sehr gut – und machen jetzt ein
Buch damit.
Braucht man einen bekannten Namen,
um mit einem Buchvorschlag bei Ihnen
landen zu können – oder hat auch Herr
Müller mit seinen Fotografien aus den
letzten 50 Jahren eine Chance auf Veröffentlichung?
Miriam Waldvogel: Es reicht nicht, uns
einfach einen Karton voller Bilder zu
bringen – selbst wenn sie noch so gut sind.
Man sollte ein Konzept haben, das aus
einem Buch mehr als nur ein teures Fotoalbum macht. Es braucht eine Idee, eine
Geschichte, einen Spannungsbogen, eben
etwas, das ein Buch für andere Menschen
interessant macht. Und natürlich ist die
Qualität der Aufnahmen entscheidend, der
Anspruch, mit dem der Fotograf arbeitet.
Wir verlegen professionelle Fotografen.
Coffee Table Books sind in der Regel
deutlich teurer als ein Roman. Das
BUCHTIPPS | 31
Books Nr. 4/2014
erklärt sich nicht nur aus der verhältnismässig kleinen Auflage, oder?
Nein, das liegt auch daran, dass die Entstehung unserer Titel sehr aufwändig ist.
Jedes Buch beginnt bei Null und wird von
Grund auf neu konzipiert und gestatet. Wir
haben keine Standard-Layouts, Formate
oder Cover. Die Papierqualität ist ungleich
höher als bei einem Taschenbuch, und bei
den Einbänden lassen sich die wildesten
Sachen machen, von der Haptik über die
Prägung bis hin zum Druck. Hinzu kommt,
dass jeder Titel von Anfang bis Ende individuell eng betreut wird, um sicher zu gehen,
dass das Resultat auch genau so ist, wie
man sich das vorgestellt hat. So entstehen
schnell einmal Kosten von mehreren zehntausend Franken. Bei Benteli legen wir
auch grossen Wert darauf, unsere Bücher
nicht in Billiglohnländern herstellen zu
lassen, sondern möglichst in der Schweiz
oder je nach Druckanforderungen im
benachbarten Ausland.
Grafiker, dem Bildbearbeiter und so weiter.
Jeder hat seine Vorstellungen, die man im
Gespräch auf einen Nenner zu bringen
versucht. Im Gegensatz zu einem Romanprojekt, wo ja vieles zwischen dem Autoren
und seinem Lektor abläuft, sind bei uns
mehrere Parteien beteiligt. Und während
ein Romanautor und sein Lektor oft ein
über Jahre eingespieltes Team sind, fangen
wir bei fast jedem Buchprojekt wieder von
vorn an – weil wir ständig andere Autoren
haben und jedes Projekt völlig andere
Anforderungen stellt.
Und wer sorgt für die Texte? Nicht jeder
hat ja gleich viel Talent für Bilder und
Texte ...
Oft haben die Künstler schon Personen
an der Hand, welche die Texte schreiben
können. Das hat den Vorteil, dass der Texter schon mit den Arbeiten des Künstlers
vertraut ist. Ansonsten verfügen wir über
einen Pool von externen Textern, denen
wir Aufträge vergeben.
Jo Ellison
Ist der Künstler bei all diesen Entstehungsschritten involviert?
Auf jeden Fall. Ein wichtiger Teil des Prozesses ist die Diskussion zwischen allen
Beteiligten: dem Verlag, dem Künstler, dem
Lavanya
Sankaran
Die Farben
der Hoffnung
Dennis Lehane
The Drop
Bargeld
RLAGE
DIE ROMANVO
GHT PICTURES
FOX SEARCHLI
ZUM FILM VON
Roman · Diogenes
Roman · Diogenes
224 Seiten, Leinen, sFr 28.90*
Auch als E-Book
416 Seiten, Leinen, sFr 24.90*
Auch als E-Book
464 Seiten, Leinen, sFr 32.90*
Auch als E-Book
Ein Überfall auf eine zwielichtige Bar, die
Beute: Mafiageld. Die Täter sind schnell gefasst, doch wer steckt wirklich hinter dieser
selbstmörderischen Aktion?
Ein übereifriger Polizist, ein aufgebrachter
Mafiaboss, ein psychopathischer Gangster,
und plötzlich sieht der stille Barkeeper Bob
Saginowski ein Geheimnis ans Licht gezerrt, das er jahrzehntelang gehütet hat.
Ab 4.12.2014 auch im Kino.
Der Schweizer Autor Stefan Bachmann
liefert die Fortsetzung des Fantasy-Bestsellers Die Seltsamen. Bartholomew hat aus
nächster Nähe mit angesehen, wie sich ein
Tor zwischen seiner Welt und dem verzauberten Feenforst auftat und seine Schwester
dahinter verschwand. Er hatte versprochen,
Hettie nach Hause zu holen, koste es, was
es wolle.
Anand ist Unternehmer in Bangalore,
Kamala seine Hausangestellte. Arm und
Reich, Tradition und Moderne, Aufstieg
und bodenloser Fall – in der boomenden
Metropole im Süden Indiens ist all dies nie
mehr als einen Schritt voneinander entfernt.
Lavanya Sankaran erzählt von zwei Familien, die in ein und derselben Stadt in verschiedenen Welten leben. Und von dem, was
sie verbindet: glühende Hoffnung.
* unverbindliche Preisempfehlung
Neue Bücher von Diogenes
Maria Luisa Tagariello
Jamie Oliver
Jamies
Wohlfühlküche
Yotam Ottolenghi
VOGUE:
Das Kleid
Masters of
Fashion
Seit über einem Jahrhundert ist die
Zeitschrift VOGUE die Instanz für
Mode- und Stilfragen. Für den vorliegenden Bildband öffnet die britische
VOGUE ihre Archive und zeigt die
besten Fotografien des zentralen
Kleidungsstücks jeder modebewussten Frau: des Kleids – Sinnbild von
Femininität, Eleganz und Schönheit.
Mode ist stets der Spiegel ihrer
Epoche – und die Modeschöpfer sind
ihre Erfinder. Maria Luisa Tagariello
ist eine ausgemachte Kennerin der
Modebranche. In ihrem neuen Buch
nimmt sie alle Modeliebhaberinnen
und -liebhaber auf eine Reise durch
die Zeit von 1900 bis heute. Erstklassige Porträts stellen die grossen
Couturiers vor: Prada, Versace, Dior,
Saint Laurent.
Von kulinarischen Kindheitserinnerungen über typische Lieblingsgerichte
bis hin zu köstlichen Trostpflastern:
In Jamies Wohlfühl-Küche geht es
dem Starkoch um Essen für die Seele.
Er präsentiert 100 Rezepte aus allen
Ecken der Welt, die man mit viel Herz
für Freunde und Familie zubereitet
und für die man sich Zeit nimmt – für
gemütliche Abende, Wochenenden,
Feiertage und Feste.
Haben Sie schon einmal Korsische
Tarte mit Zucchiniblüten, Artischockensalat mit Mozzarella oder
Quitten in Granatapfelsauce probiert?
Yotam Ottolenghi macht mit seinem
neuen Kochbuch Lust darauf, diese
und andere ungewöhnliche Gerichte
auszuprobieren. Die Küche des Israeli
mit deutschen und italienischen Wurzeln ist eine faszinierende Mischung
von Aromen aus Ost und West.
Wir folgen diesen mythischen Figuren
der Mode-Traumwelt den Catwalk
hinunter, entdecken die zeitlose Klasse von Chanel, den aristokratischen
und innovativen Geist von Schiaparelli oder die visionäre Kreativität
von Alexander McQueen. Der Blick
hinter die Kulissen sorgt für viele
Überraschungen – und exklusive
Fotografien zeigen die elegantesten
Modelle.
Schon beim Durchblättern des Buchs
stellt sich durch die stimmungsvollen
Fotos von David Loftus Wohlgefühl
ein. Mit seiner Slowfood-Küche zelebriert Jamie Oliver die Herrlichkeit
guten Essens und das Ritual des
Kochens an sich – wie immer natürlich
mit exklusiven Tipps, Tricks und
Ideen, wie man den Zutaten den
bestmöglichen Geschmack entlocken
kann.
In seiner Wahlheimat Grossbritannien ist Yotam Ottolenghi ein
Star. Er schreibt eine wöchentliche
Food-Kolumne für die renommierte
Zeitung «The Guardian» und betreibt
in London mehrere Restaurants,
Imbissbuden und Feinkostläden. Mit
«Vegetarische Köstlichkeiten» legt er
sein zweites vegetarisches Kochbuch
vor, das auch gelegentliche Fleisches-
304 Seiten
304 Seiten
408 Seiten
352 Seiten
CHF 119.00
CHF 52.90
CHF 39.90
CHF 39.90
Prestel
White Star
Dorling Kindersley
Dorling Kindersley
ISBN 978-3-7913-4803-2
ISBN 978-88-6312230-5
ISBN 978-3-8310-2716-3
ISBN 978-3-8310-2691-3
Das Buch umreisst das Who is Who
der Modewelt: Schönheiten wie Jean
Shrimpton, Twiggy, Naomi Campbell
oder Kate Moss in Kleidern von
Designern wie Elsa Schiaparelli, Dior,
Givenchy oder Alexander McQueen,
in Szene gesetzt von Fotografie-Ikonen wie Horst P. Horst, Cecil Beaton,
Nick Knight und Mario Testino. Der
grossformatige Prachtband erscheint
mit Stoffbezug und silberner
Folienprägung in einer hochwertig
veredelten Schmuckbox.
Vegetarische
Köstlichkeiten
ser zu begeistern vermag.
32 | K affeepause
K affeepause | 33
Books Nr. 4/2014
Die Debatte
Was machen Buchhändler in ihrer Kaffeepause? Sie plaudern über Bücher. Zum Beispiel im Starbucks des Kramhofs,
der Filiale von Orell Füssli an der Zürcher Bahnhofstrasse.
Books hat sich dort zu Sabine Obi und Dario Widmer gesetzt.
Sabine Obi:
«Die Sprache von
Anna Gavalda ist
sehr direkt und
schnörkellos, immer
wieder bekam ich das
Gefühl, die Autorin
sässe neben mir und
erzählte mir spontan
diese Biografien.»
manches geht einem richtig unter die
Haut, man spürt die Hitze förmlich beim
Lesen, man riecht den Stall.
Sabine, folgt jetzt deine Retourkutsche – oder kannst du dich Darios Urteil
anschliessen?
SO: Keine Retourkutsche: Dieses Buch hat
mir ebenfalls sehr gut gefallen! Ich bin
selber auf einem Bauernhof aufgewachsen, und ich fühlte mich ständig an meine
eigene Kindheit erinnert. Was Dario über
das Talent von Buti sagt, kann ich bestätigen: Der Autor beschreibt alles ungeheuer
plastisch und zieht einen dadurch ins
Buch hinein. Ich finde das beeindruckend.
Marius Leutenegger
Nur wer fällt,
lernt fliegen
Anna Gavalda
187 Seiten
CHF 27.90
Hanser
Das Flirren am
Horizont
Roland Buti
192 Seiten
CHF 27.90
Nagel & Kimche
Cider mit Rosie
Laurie Lee
260 Seiten
CHF 33.90
Bilger
Books: Ihr bringt jeweils ein Buch in
unsere Debatte ein – und ein drittes
liefert die Redaktion. Sabine, du hast
den neuesten Roman der französischen
Erfolgsautorin Anna Gavalda mitgebracht: «Nur wer fällt, lernt fliegen».
Sabine Obi (SO): Hauptfiguren sind Billie
und Franck, eine Frau und ein Mann,
aber kein Paar. Die beiden unternehmen
mit einer Gruppe eine Wanderung in
einem Nationalpark. Am Abend setzen
sie sich von der Gruppe ab – und stürzen
in eine Felsspalte. Franck hat sich dabei
offenbar schwer verletzt. Allein schaffen
es die beiden nicht, sich aus der Spalte
zu befreien, Hilfe ist erst am Morgen zu
erwarten, deshalb müssen sie nun die
Nacht in der Felsspalte verbringen. Um
wach zu bleiben und Franck notfalls
beistehen zu können, beginnt Billie,
ihre beiden Lebensgeschichten einem
Stern am Nachthimmel zu erzählen.
Wovon handeln denn die Lebensgeschichten?
SO: Franck wuchs in einem liebevollen
Elternhaus auf; schon im Alter von acht
Jahren wurde ihm klar, dass er schwul
ist. Billie stammt aus einem völlig zerrütteten Elternhaus und lebte mit Vater und
Stiefmutter in einem Wohnwagenpark. Die
beiden lernten einander kennen, als sie
im Schultheater die Hauptrollen spielten.
Seither sind sie Freunde.
Warum hast du dieses Buch gewählt?
SO: Ich hatte schon andere Bücher von
Anna Gavalda gelesen – ihr Bestseller ist
ja «Zusammen ist man weniger allein» –,
und weil mir diese gefallen hatten, stürzte
ich mich sofort auf diese Neuerscheinung.
Und ich wurde nicht enttäuscht: «Nur wer
fällt, lernt fliegen» gefällt mir sehr gut.
Die Sprache von Anna Gavalda ist sehr
direkt und schnörkellos, immer wieder
bekam ich das Gefühl, die Autorin sässe
neben mir und erzählte mir spontan diese
Biografien.
Damit erübrigt sich wohl die Frage, für
wen sich dieses Buch eignet.
SO: Für Frauen!
DW: Auf jeden Fall ist das nichts für
Männer.
Dario, warst du ähnlich begeistert?
Dario Widmer (DW): Darf ich ehrlich sein?
Dann wollen wir doch mal sehen, was
Männer wie Dario gern lesen. Du hast
«Das Flirren am Horizont» mitgebracht.
Der Lausanner Roland Buti erhielt dafür
den Schweizer Literaturpreis 2014.
DW: Die Geschichte spielt 1976 in der
Romandie. In diesem Jahr ist es in ganz
Europa sehr heiss, überall herrscht Dürre.
Hauptfigur ist der 13-jährige Gus. Er lebt
mit seiner Familie auf einem abgelegenen
Bauernhof. Man lernt die Mitglieder der
Familie durch Gus’ Augen kennen: Die
Mutter schaut immer, dass alles gut läuft.
Die Schwester träumt von der weiten
Welt. Der wortkarge Vater, der sich soeben
eine Hühnerfarm zugelegt hat, will keine
Veränderungen. Und dann ist da auch
noch Knecht Rudy, der am Down-Syndrom
leidet. Zunächst präsentiert uns Buti ein
bäuerliches Idyll, doch in diesem heissen
Sommer verändert sich alles: Die Freundin der Mutter entpuppt sich als deren
Geliebte, in der Hitze kommen alle Hühner
um, die Familie fällt auseinander und der
Hof ist ruiniert.
Wir bitten darum!
DW: Ich fand das Buch eine Zumutung.
Immer wieder dachte ich: Na, das kann
doch wohl nicht wahr sein! Gerade diese
direkte Sprache hat mich mehr als irritiert, wie zum Beispiel minutiös festgehalten wird, was Billie dem Stern sagt: «Okay,
lieber Stern, dann war ich dort ... ich will
zwar nicht vor dir fluchen, aber ...» So
lau steht das dann da. Und die Geschichte
fand ich letztlich nur schmalzig.
Das ist doch eine ziemliche Packung.
Was sagst du dazu, Sabine?
SO: Ich verstehe schon, was Dario meint,
aber ich finde trotzdem: Das ist ein schönes
Buch mit einem schönen Happyend. Viele
Menschen lesen gern eine erfreuliche Geschichte, doch viele Bücher sind anstrengend und bedrückend. «Nur wer fällt, lernt
fliegen» kann man hingegen einfach so
lesen, ohne dass schlechte Gefühle hochkommen – das ist ein Buch, das glücklich
macht. Ich hätte jedenfalls gern weiter
gelesen und fand schade, dass das Buch so
schmal ist – denn ich hätte gern erfahren,
wie es mit Billie und Franck weitergeht.
DW: Stellenweise kam mir das Buch
allerdings vor wie eine Tour durch alle
Klischees aus typischen Frauenfilmen.
SO: Das heisst, du hast schon viele Frauenfilme gesehen – mit deiner Freundin?
DW: Ja, und ich muss annehmen, dass ihr
dieser Roman auch gefallen würde!
Das ist offenbar ein ziemliches Kontrastprogramm zu «Nur wer fällt, lernt
fliegen».
DW: Auf jeden Fall. Mit einem Happyend
darf man hier nicht rechnen. Mir wurde
dieses Buch empfohlen, und es interessierte mich sofort – auch deshalb, weil meine
Grosseltern ebenfalls Bauern waren und
ich wissen wollte, wie es sich zu jener
Zeit auf einem Hof lebte. Buti ist enorm
talentiert darin, Details zu beschreiben;
Aber schön ist diese Geschichte ja nicht ...
SO: Nein, aber das hat mich überhaupt
nicht gestört.
Warum soll man diese vielleicht deprimierende Geschichte vom Ende eines
Idylls lesen?
DW: Weil sie sehr interessant ist. Ich
habe noch kein Buch gelesen, das auf
eine solche Art und Weise zeigt, wie eine
Familie auseinanderbricht – und wie ein
Kind versuchen muss, sich mit der neuen
Situation zurechtzufinden. Die Geschichte
ist sehr real. Ich finde, dieses Buch müsste
in den Schweizer Abteilungen unserer
Buchhandlungen ganz vorn liegen. Es ist
genau richtig, wenn man einem Touristen
ein Buch schenken will, dass einem die
Schweiz näher bringt und das gleichzeitig
spannend ist.
SO: Darüber hinaus kann man dieses
Buch wirklich allen empfehlen.
DW: Ja, denn es ist bei aller Nüchternheit sehr tiefgründig. Und es ist so flüssig
geschrieben, dass man es in einem Zug
durchlesen kann.
SO: Man merkt beim Lesen jedenfalls gar
nicht richtig, was einem Buti alles eröffnet.
«Das Flirren am Horizont» kann man daher auch jemandem empfehlen, der nicht
so viel liest.
Das dritte Buch, über das wir reden, ist
eine Wiederentdeckung: «Cider mit Rosie». Es handelt sich dabei um die erste
von drei autobiografischen Erzählungen
des englischen Poeten Laurie Lee. Die
Originalausgabe erschien 1959; jetzt hat
der Bilgerverlag das Buch auf Deutsch
neu herausgebracht.
SO: Laurie Lee erzählt darin die Geschichte seiner Kindheit und Jugend um
1918. Nein, er beginnt schon früher – mit
der Geschichte seiner Mutter. Sie heiratete mit etwa 30 Jahren einen Witwer,
Sabine Obi, 41, lebt in Volketswil und
arbeitet in der Filiale von Orell Füssli am
Flughafen Zürich. Buchhändlerin wurde sie,
weil sie ihr Hobby – das Lesen – zu einem
Teil ihres Berufs machen wollte. Sie mag vor
allem Krimis «oder Bücher, bei denen man
etwas über die Welt erfährt».
Dario Widmer, 22, lebt in Bühler in
Appenzell Ausserrhoden. Seine Lehre zum
Buchhändler absolvierte er im Rösslitor,
heute arbeitet er in der Orell-Füssli-Filiale
Kramhof in Zürich. Er hat schon seit jeher
grosses Interesse an Literatur.
34 | Buchtipps
K affeepause | 35
Books Nr. 4/2014
Dario Widmer:
«Ich fand das Buch
eine Zumutung. Immer wieder dachte
ich: Na, das kann
doch wohl nicht wahr
sein!»
Markus Bühler-Rasom
Landwirtschaft
Schweiz
Die Schweizer Landwirtschaft ist
Symbol, Attraktion, Folklore und
Politikum. Der Fotograf Markus
Bühler-Rasom nimmt eine Haltung
jenseits von Stereotypen ein. Nicht
weniger als eine Bestandsaufnahme
der Schweizer Landwirtschaft hat er
sich vorgenommen, und er hat diese
immense Aufgabe, die ihn über Jahre
beschäftigte, mit dem Blick eines
Forschers ausgeführt. «Ich möchte
wissen, wie es ist», sagt er schlicht.
Sein Blick auf die so nahe und
zugleich ferne Welt der heimischen
Bauern hat etwas Subversives, gerade
weil er nicht subversiv sein will. Will
er den Bauern mit dem Tuch auf dem
Kopf, der ihn ein bisschen wie Tell
aussehen lässt, zum Nationalhelden
verklären? Will er ihn lächerlich
machen? Weder noch. BühlerRasoms Bilder entziehen sich allen
Kategorien.
Alfonso Pecorelli
Yves Bossart
Mord und andere Ohne Heute
kleine Geschenke gäbe es morgen
kein Gestern
des Himmels
Ein Ehepaar aus Hamburg ist schon
40 Jahre lang bieder verheiratet. Wie
konnte innerhalb von Minuten tödlicher Hass entstehen? Und wieso hat
die Erpressung einer Unternehmerin
durch einen Mafioso fatale Folgen –
für ihn? Und dann sind da noch die
neckischen Streiche zweier Yuppies,
aus denen ungewollt tödlicher
Ernst wird. Nicht zu vergessen die
englische Adelige, die den perfekten
Mord begeht – wäre da nicht diese
Kleinigkeit. Und da ist auch noch der
Mann, der wegen seiner Liebe zu
Katzen in Lebensgefahr gerät.
Eine Sammlung abgründig-maliziöser
Erzählungen, ironisch, menschlich
und immer wieder überraschend.
Atemberaubend unterhaltsam und
leichtfüssig erzählt der Autor seine
mit viel schwarzem Humor gewürzten Geschichten.
Gedankenspiele sind seit über
zweitausend Jahren die Werkzeuge
der Philosophie. Sie helfen dabei,
Antworten auf die grundlegenden Fragen des Lebens zu finden. Die grossen
Philosophen von Sokrates bis Sartre
haben solche geistigen Experimente
entwickelt, um sich den grossen
Themen wie Moral, Freiheit oder
Gerechtigkeit zu nähern: Wie würden
wir leben, wenn wir unsterblich wären? Wie kann ein angeketteter Hund
glücklich werden? Könnte unser Leben
ein langer Traum sein?
Yves Bossart versammelt die wichtigsten Gedankenspiele, stellt sie
verständlich dar, kommentiert und
verführt den Leser dazu, sich selbst
Antworten zu geben. Sein Buch bietet
eine Fülle von verblüffend einfachen,
raumgreifenden und herrlich absurden
Abkürzungen in die Welt der Philosophie.
Werner Tiki Küstenmacher
Limbi
«Simplify your life» heisst der
grosse Bestseller von Werner Tiki
Küstenmacher: millionenfach verkauft
und in 40 Sprachen übersetzt. Auch
mit seinem neuen Ratgeber will uns
der evangelische Pfarrer helfen, das
Leben einfacher zu gestalten. Ins
Zentrum rückt er dabei das limbische
System, unser emotionales Gehirn –
veranschaulicht durch die Comicfigur
Limbi.
Es geht also darum, Limbi besser
kennenzulernen – zu wissen, wie
er tickt. So wird beispielsweise klar,
warum das Sofa uns so magisch anzieht, wenn wir gerade joggen gehen
wollen. Küstenmacher nimmt uns mit
auf eine Reise durch die neuropsychologischen Untiefen des Lebens
und leitet uns ganz konkret zu einem
limbifreundlichen Leben im Fluss mit
uns selbst an.
der vier Kinder in die Ehe brachte. Das
Paar bekam drei weitere Kinder, darunter
Laurie Lee, doch dann verliess der Mann
die Familie. Die Mutter musste von da an
die sieben Kinder allein durchbringen.
Das Leben war für alle sehr hart, aber als
Bub empfand Laurie Lee das ganz anders
– ihm gefiel das Leben in dieser armen
Familie, und ihm war kaum bewusst, wie
ernst die Situation manchmal war.
Das alles klingt ein wenig nach Charles
Dickens ...
DW: Genau! Die Geschichte erinnert entfernt an Oliver Twist.
Wie ist sie geschrieben?
DW: «Cider mit Rosie» ist eigentlich kein
zusammenhängender Roman, sondern
127 Seiten
256 Seiten
288 Seiten
CHF 74.90
CHF 25.90
CHF 29.90
CHF 32.90
AS
WOA
Blessing
Campus
ISBN 978-3-906055-27-5
ISBN 978-3-9524265-2-4
ISBN 978-3-89667-529-3
ISBN 978-3-593-39223-3
Es ist also sozusagen die goldene Mitte
zwischen den ersten beiden Büchern,
über die wir gesprochen haben?
SO: In gewissem Sinne schon. Aber «Das
Flirren am Horizont» hat mir am Ende
am besten gefallen.
DW: Obwohl es überhaupt nicht kitschig
ist!
ZEIT,
T, FREUD
FREUDE ZU TEILEN
GINGERBREAD
LATTE
288 Seiten
eher eine Sammlung von Kurzgeschichten: Laurie Lee erzählt Episoden aus
seiner Kindheit und Jugend. Man kann
eine dieser Episoden lesen, das Buch
dann weglegen und ein paar Wochen
später wieder zur Hand nehmen, ohne
dass man den Faden verloren hätte.
Interessant fand ich das Buch, weil ich
noch nie etwas über das Leben zu jener
Zeit las. Hauptsächlich spielt es während
des Ersten Weltkriegs und in den Jahren
danach, aber die historischen Ereignisse
kommen nur am Rand vor.
SO: Für mich ist «Cider mit Rosie» eine
Entdeckung. Ohne unsere Debatte wäre
ich wohl kaum darauf gestossen, und das
wäre schade gewesen. Das Buch erzählt
hübsche Geschichten, aber ohne jeden
Kitsch.
NEU
HONEY & ALMOND
HOT CHOCOLATE
TOFFEE
NUT LATTE
Besuche auch unsere
Starbucks Coffee Houses
in den Orell Füssli Buchhandlungen
im Kramhof und
am Bellevue in Zürich.
36 | Fantastisch!
Fantastisch! | 37
Books Nr. 4/2014
überhaupt nicht freundlich gesinnt ist, weil
ihn die Parallel-Lily so schlecht behandelte.
Fantastisch!
Eine Mitarbeiterin von Orell Füssli Thalia präsentiert Neuerscheinungen und Geheimtipps
aus dem Fantasy-Genre: Bücher für alle, die sich gern in fremde Welten entführen lassen.
Marius Leutenegger
«Auch in diesem Bücherherbst erscheinen
enorm viele neue Fantasy- und All-AgeRomane. Es ist diesmal aber nicht so, dass
man als Genrefan kaum noch weiss, wo
man mit dem Lesen beginnen soll. Viele
Neuerscheinungen haben mich nämlich
nicht so recht überzeugt; manches ist mir
eher lau vorgekommen, anderes habe ich
einfach als Aufguss von Altbekanntem
empfunden, manches eignet sich nur für
ein sehr junges Publikum. Aber zum Glück
lassen sich im riesigen Angebot doch einige echte Perlen ausmachen. Dazu zählen
zwei Fortsetzungen: Cornelia Funke brilliert mit dem dritten Teil der RecklessReihe, und der junge Schweizer Stefan
Bachmann zeigt mit ‹Die Wedernoch›, dass
sein Erstling ‹Die Seltsamen› kein Glückstreffer war.
Da wir in dieser Rubrik in der Regel keine
Fortsetzungen vorstellen, habe ich drei andere Neuerscheinungen ausgesucht, hinter
denen ich voll und ganz stehen kann –
mehr noch: die mich in jeder Hinsicht
überrascht und überzeugt haben. Ich bin ja
eine sogenannte Cover-Käuferin. Zunächst
muss mich bei einem Buch der Umschlag
ansprechen, dann lese ich die Zusammenfassung auf der Rückseite – und wenn ich
dann immer noch interessiert bin, steige
ich ins Buch ein. Manchmal aber greife ich
bei einem Buch auch deshalb zu, weil ich
andere Werke des Autors oder der Autorin
geschätzt habe. Das war der Fall bei ‹Everflame› von Josephine Angelini. Deren
‹Göttlich›-Reihe habe ich geliebt, und darum war ich auf diesen Auftakt einer neuer
Trilogie sehr gespannt.
«Ich fand cool,
dass sich diese
Hauptfigur mit den
gleichen Problemen
herumschlagen
muss wie ich!»
sprach mich sofort an, denn auch ich leide
an Lebensmittelallergien. Ich fand cool,
dass sich diese Hauptfigur mit den gleichen
Problemen herumschlagen muss wie ich.
So sehen heute Fantasy-Autorinnen aus: Josephine
Angelini. Nach der «Göttlich»-Trilogie brilliert sie
jetzt mit dem Auftakt zu einer neuen Serie.
Ich wurde nicht enttäuscht: ‹Everflame›
enthält alles, was einen Roman von Josephine Angelini ausmacht. Für die ‹Göttlich›Bücher bediente sich die Autorin bei den
Legenden um den Trojanischen Krieg,
diesmal hat sie sich von den Hexenprozessen in Salem inspirieren lassen – von diesen Prozessen handelt auch Arthur Millers
berühmtes Theaterstück ‹Hexenjagd›. Wie
in den ‹Göttlich›-Romanen steht auch hier
eine junge Frau im Zentrum: die 17-Jährige Lily Proctor. Sie lebt im heutigen Salem
an der US-amerikanischen Ostküste und
ist auf alles Denkbare allergisch. Das
Die Allergien haben dazu geführt, dass Lily
sehr introvertiert ist und sich nichts zutraut. Als sie sich doch einmal überwindet,
mit ihrem besten Freund auf eine Party zu
gehen, erlebt sie dort sozusagen den Supergau: Alles, was schief gehen kann, geht
schief. Lily wünscht sich weg von diesem
Ort der Peinlichkeiten – und findet sich
plötzlich in einer anderen Welt wieder, in
einem parallelen Salem. Dort gibt es alle
Menschen, die ihr bekannt sind, noch einmal. Auch sie selbst ist in der Parallelwelt
noch einmal vorhanden: Die zweite Lily ist
eine gefürchtete Oberhexe. Lily erkennt
bald, dass ihre Allergien aufgetreten sind,
weil sie ihre magischen Kräfte unterdrückte. Und sie lernt Rowan kennen, der ihr
An diesem Buch hat mich vor allem die
Ausgangslage angesprochen. Der Anfang
im gewöhnlichen Salem ist ein bisschen
langfädig, aber sobald die Geschichte im
Parallel-Salem spielt, gewinnt sie mächtig
an Fahrt und Feuer. Die Liebesgeschichte
ist schön, und der Humor kommt auch
nicht zu kurz. Ich bin überzeugt, dass dieses Buch sehr vielen Leserinnen gefallen
wird. Für männliche Fantasyfans ist ‹Everflame› aber eher nichts.
terzulesen. Dann kam der Verlagsvertreter
und legte mir das Buch noch einmal ans
Herz – es sei super, ich müsse nur etwas
geduldiger sein.
Er hatte Recht! Am Ende hat mir dieser
Auftakt zu einer neuen Serie schon sehr
gut gefallen. ‹Salt & Storm› ist ein Buch,
bei dem man ständig das Gefühl hat, bei
schlechtem Wetter auf einer Klippe zu stehen. Auch wenn es einmal eher ruhiger zu
und her geht, spürt man, dass sich bereits
der nächste Sturm zusammenbraut.
Angelina Rubli, 29, ist im Kanton
Schaffhausen aufgewachsen, wohnt in
Dachsen und arbeitet bei Orell Füssli am
Bellevue. «Das erste Geschenk, an das ich
mich erinnern kann, war das Buch ‹Ronja
Räubertochter›», erzählt sie. «Von da an
wollte ich nur noch lesen – und Buchhändlerin werden.» Angelina verschlingt
etwa drei bis vier Bücher pro Woche;
eigenartigerweise liest sie bei jedem Buch
zuerst das Ende.
Auf das nächste Buch, das ich vorstelle,
war ich nach dem Lesen fast etwas sauer:
‹Vogelherz› von Katherine Catmull gefiel
mir derart gut, dass mich ein Monat lang
nichts anderes mehr ansprach, weil es
eben nicht ‹Vogelherz› war. Im Zentrum
der Geschichte stehen die beiden Schwestern Bird und Summer, die verschiedener
nicht sein könnten. Summer sieht aus wie
eine Sommerbrise, sie ist schlank und sonnig, Bird hingegen ist dunkelhaarig, sehr
introvertiert und stark mit der Natur verbunden. Sie kommuniziert mit den Vögeln
– nomen est omen – und würde wohl am
liebsten dem Gras beim Wachsen zuhören.
Man weiss nie so ganz, ob Bird eigentlich
von dieser Welt ist.
Eines Nachts verschwinden die Eltern der
Schwestern. In den Unterlagen ihres Vaters, eines Ornithologen, finden die beiden
einen Brief voller seltsamer Zeichen und
mit dem Bild eines Schwans. Sie begreifen,
dass diese Hinweise sie zu den Eltern führen werden, und sie machen sich auf den
Weg. Bald trennen sich die beiden. Ein alter Mann entpuppt sich als Phoenix, und
fortan spielen Vögel bis hinauf zur Vogelkönigin entscheidende Rollen.
Dieses Buch ist so schön geschrieben! Seine Stimmung ist traurig, melancholisch,
zuweilen gar düster, die Geschichte aber
bleibt bis zur letzten Seite hochspannend.
Den Plot finde ich sehr originell, und die
Auflösung hat mich überzeugt. Weil sich
ein solches Buch einer unbekannten Autorin nicht von allein verkauft, freue ich mich
darauf, es in der Buchhandlung allen zu
empfehlen, die ein gutes Buch suchen.
Auch auf das letzte Buch, das ich hier vorstelle, wurde ich wegen des tollen Covers
aufmerksam: ‹Salt & Storm› von Kendall
Kulper. Nachdem ich die ersten 50 Seiten
gelesen hatte, war ich überhaupt nicht davon angetan, und ich weigerte mich wei-
Everflame
Und so stellen sich die Leser ihre Heldinnen vor:
Darstellung von Avery Roe, der Hauptfigur von
«Salt & Storm», auf einem Fan-Blog.
Die Geschichte spielt in einer irischen Hafenstadt. Die Roe-Frauen sind eine Art Hexen; früher fuhr kein Schiff aus dem Hafen
ohne einen schützenden Talisman von ihnen. Avery ist die letzte Roe-Frau. Ihre biestige Mutter hat sich aber von der Tradition
losgesagt und verbietet der Tochter jeglichen Kontakt zur praktizierenden Grossmutter. Avery schafft es aber doch, zu ihrer
Grossmutter zu gelangen und zur Roe-Frau
zu werden.
In diesem Buch brodelt es ständig, und es
gibt auch eine stürmische Liebesgeschichte. ‹Salt & Storm› eignet sich für alle Leserinnen und Leser, denen die Atmosphäre
wichtiger ist als der Plot. Natürlich will man
wissen, welche Geheimnisse sich hinter
den Roe-Frauen verbergen, was das für ein
junger Mann ist, in den sich Avery verliebt – aber zentral bleibt die Stimmung.»
Josephine
Angelini
480 Seiten
CHF 29.90
Dressler
Vogelherz
Katherine
Catmull
448 Seiten
CHF 25.90
Sauerländer
Salt & Storm
Kendall Kulper
448 Seiten
CHF 25.90
Sauerländer
38 | BUCHTIPPS
FANTASTISCH | 39
Books Nr. 4/2014
Weitere Tipps aus dem Fantasy-Genre
Lorna Byrne
Eva-Maria Zurhorst
Gunter Sachs
Gerold Biner
Mein astrologisches
Vermächtnis
Fliegen um
Leben und Tod
Lorna Byrne konnte bereits in früher
Kindheit mit Engeln, Geistführern und
Verstorbenen Kontakt aufnehmen. In
ihrem autobiografischen Erstlingswerk «Engel in meinem Haar» brach
sie ihr Schweigen. Jetzt macht sie ihre
mediale Fähigkeit in einem neuen
Buch einer breiten Öffentlichkeit
weiter zugänglich.
Die Bestsellerautorin Eva-Maria
Zurhorst hat mit ihrem ersten Buch
«Liebe dich selbst und es ist egal,
wen du heiratest» Tausenden von
Frauen aus der Seele geschrieben.
Ebenso einfühlsam, persönlich und
leidenschaftlich enthüllt sie in ihrem
neuen Buch das Geheimnis der
Sexualität.
Viele sahen in Gunter Sachs den
sorglosen Playboy, doch er war
ein Mann mit vielen unbekannten
Seiten – und zeitlebens ein Suchender.
In der Astrologie erkannte er ein
funktionierendes Prinzip, durch das
er lernte, sich selbst und andere
besser zu verstehen, und das er
wissenschaftlich hinterfragte.
In «Liebe – Das Geschenk des
Himmels» zeigt sie, wie man mit Hilfe
der Engel sein Herz wieder öffnen
kann – gegenüber dem Partner, der
Familie oder gegenüber Menschen,
die einem Leid zugefügt haben. Denn
viele von uns haben sich aufgrund
schmerzhafter Erfahrungen der Liebe
verschlossen. Vor allem lehrt Lorna
Byrne uns aber, uns wieder selbst zu
lieben und bereit zu werden für die
wunderbare Erkenntnis, dass unser
ureigenes Wesen die Liebe ist.
Probleme mit der Sexualität bringt
fast jedes Paar mit, das in die Praxis
von Eva-Maria Zurhorst kommt.
Frauen fühlen sich von der Lust an
der Liebe verlassen und Männern
schlägt Stress, Leistungsdruck oder
Zurückweisung durch die Partnerin
auf die Seele. «Soul Sex» beschreibt
Zurhorsts persönliches Wundermittel für die Heilung von Beziehungsstress und die Rückkehr der körperlichen Lust: Der Sex muss wieder mit
dem Herzen verbunden werden.
Mit seinem Vermächtnis führt Gunter
Sachs den Leser in die Welt der
Astrologie, gestützt auf wissenschaftliche Fakten, bereichert durch
seine eigenen anregenden Erlebnisse
und Erfahrungen. Auf faszinierende
und berührende Weise begegnen
einander ein gelebtes Leben und statistische Ergebnisse. Und es entsteht
das Porträt eines charismatischen
Querdenkers im Spiegel seiner astrologischen Leidenschaft.
Mit beispiellosem Engagement und
eisernem Willen organisieren Gerold
Biner und seine Kollegen aus Zermatt
den Aufbau einer Rettungsstation
und ein Ausbildungsprogramm in
Nepal. Dabei erleben sie wunderbare
Fortschritte, aber auch dramatische
Rückschläge. Eine Abenteuergeschichte, der es nicht an persönlichen
Stellungnahmen fehlt, sei es zur
Leichtsinnigkeit mancher Berggänger
oder zu Extremsportarten, die den
Tod herausfordern.
Liebe –
Das Geschenk
des Himmels
Soul Sex
Gerold Biner redet Klartext und
kontert die Kritik an den Schweizer
Bergrettern, die im Zusammenhang
mit Rettungseinsätzen auf dem Dach
der Welt entstanden ist.
224 Seiten
352 Seiten
240 Seiten
256 Seiten
CHF 27.90
CHF 29.90
CHF 29.90
CHF 37.90
Kailash
Arkana
Scorpio
Orell Füssli
ISBN 978-3-424-63096-1
ISBN 978-3-442-34163-4
ISBN 978-3-943416-85-5
ISBN 978-3-280-05525-0
Ramona Gilomen,
24, wohnt in Grenchen und arbeitet
bei Stauffacher in
Bern. Sie hat sich
zur Buchhändlerin
ausbilden lassen,
weil sie sehr gern
liest und ihre Freude am Gelesenen
gern weitergibt. Am allerliebsten sind ihr
Fantasybücher und Comics – kein Wunder
also, arbeitet sie bei Stauffacher in der Comic- und Fantasyabteilung. «Fantasy bietet
mehr als unsere bekannte Welt», erklärt sie
ihre Leidenschaft, «denn die Autorinnen
und Autoren müssen sich an kein Naturgesetz halten.» Ihr Tipp: «Das Lied des Blutes» von Anthony Ryan. «Der Krieger Vaelin Al Sorna ist mit seinen rund 30 Jahren
bereits eine Legende. Man nennt ihn Hoffnungstöter – weil er einst den Hoffnungsträger umbrachte, den Nachfolger des Kaisers.
Der kaiserliche Geschichtsschreiber wird
beauftragt, die Geschichte vom Ende des
Kriegers zu schreiben, denn Al Sorna ist auf
dem Weg zu seinem letzten Duell. In diesem
ersten Band der Reihe ‹Rabenschatten› erfahren wir, wie der Krieger zum Hoffnungstöter wurde, wir besuchen die Orte, an denen er ausgebildet wurde, wir machen mit
seinen Weggefährten Bekanntschaft – und
erkennen, woher der Krieger seine Macht
hat. Die Geschichte ist ein gewaltiges Epos.
Ihr einziges Fantasy-Element ist die Magie;
sie spielt in einer realistisch anmutenden
Welt, die ziemlich genau unserem Hochmittelalter entspricht. Ich finde, dass unter all
den Neuerscheinungen im High-FantasyBereich jährlich etwa zwei wirklich überzeugen – ‹Das Lied des Blutes› ist eine davon. Ich mag solche Bücher, auf die man
sich so richtig einlassen kann. Und mir gefällt an diesem Serien-Auftakt vor allem,
dass die Charaktere vielschichtig sind. Die
Personen haben Ecken und Kanten, und
auch der Held hat Dinge gemacht, auf die er
nicht stolz ist – er ist sehr menschlich.»
Kai Mader, 32,
wohnt in einem
kleinen Vorort von
Basel auf deutscher Seite. Weil
er gern liest, stieg
er vor etwa zehn
Jahren mit einem
Praktikum in den
Buchhändler-Beruf ein. Seit vier Jahren leitet er die Fantasy-Abteilung bei Thalia, die mit Abstand
grösste ihrer Art in Basel. Sein Tipp:
«Chronik des Cthulhu-Mythos I + II» von
H.P. Lovecraft. «Viele Kritiker setzen Lovecrafts Einfluss auf die moderne Literatur
dem von Edgar Allen Poe gleich. Oft begegnen wir den Werken des Amerikaners,
ohne dass uns das bewusst wäre – Anspielungen und Auszüge gibt es in zahllosen
Büchern, Filmen und Computerspielen.
‹Chronik des Cthulhu-Mythos› vereint Lovecrafts Werke über die ‹grossen Alten›.
Der Einfluss und die Herkunft dieser
mächtigen und uralten Wesen werden in
insgesamt 17 Kurzgeschichten und Novellen dargelegt. Tapfere Forscher werden
von ihren ungeheuren Entdeckungen in
den Wahnsinn getrieben. Neugierige Narren experimentieren mit verbotenem Wissen. Und Dinge, die keinen Namen haben
sollten, entsteigen den Tiefen der Ozeane.
Lovecraft schafft es auf einzigartige Weise,
etwas Fremdes und Unheimliches in unsere so geordnete Welt einbrechen zu lassen.
Jede der 17 Geschichten ist fesselnd. Liest
man sie jedoch alle nacheinander, erkennt
man die Parallelen und das grosse
Gesamtbild, das so viele Schriftsteller
beeinflusste. Die Werke wurden in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschrieben und unterscheiden sich daher
auch sprachlich vom Stil moderner Autoren.»
Das Lied des Blutes
(Rabenschatten 1)
Chronik des CthulhuMythos I + II
Anthony Ryan
775 Seiten
CHF 35.90
Klett-Cotta
H. P. Lovecraft
499 Seiten
CHF 21.90
Festa
Katharina Kromer,
30, lebt in Wutach,
etwa eine halbe
Stunde von Schaffhausen entfernt. Seit
vier Jahren arbeitet sie bei Thalia
Schaffhausen. Buchhändlerin wurde sie,
«weil ich schon immer sehr gern las und nicht studieren wollte». Am liebsten verschlingt sie FantasyRomane für Jugendliche und Erwachsene.
Ihr Tipp: «Die Seiten der Welt» von Kai
Meyer. «Dieser Roman dreht sich um Bücher und Bücherwelten, und das lässt natürlich das Herz jeder Buchhändlerin höher
schlagen – und auch jenes aller anderen
Bücherfreunde. Im Mittelpunkt stehen die
Bibliomanten: Magier, die mit Hilfe von Büchern zaubern und durch Bücher an einen
anderen Ort oder in eine andere Welt springen können. Furia ist die Tochter eines Bibliomanten. Zusammen mit ihrem Vater unternimmt sie einen Sprung durch ein Buch.
Dabei kommt der Vater ums Leben, und als
Furia in ihre Welt zurückkehrt, geht es
drunter und drüber. Ihr Bruder wird entführt, sie selbst entkommt ihren Verfolgern
nur knapp und muss um ihre Freiheit
kämpfen. Die Rettung liegt für sie in Libropolis, der magischen Stadt der verschwundenen Buchläden, in die man nur auf Einladung gelangt ...
‹Die Seiten der Welt› liest sich superlockerflockig und bleibt immer spannend. Man
wird förmlich hineingesogen in diese magische Bücherwelt. Das Allerbeste aber ist der
Schluss, der mich sehr überrascht hat und
alles Vorangehende in einem anderen Licht
erscheinen lässt. Er ist sozusagen das iTüpfelchen, das dieses Buch zu etwas ganz
Besonderem macht. Alle Leserinnen und
Leser von ‹Tintenherz› und der ‹Unendlichen Geschichte›, in denen ja auch Bücherwelten im Zentrum stehen, werden von ‹Die
Seiten der Welt› begeistert sein.»
Die Seiten der Welt
Kai Meyer
560 Seiten
CHF 29.90
Fischer FJB
40 | BUCHTIPPs
Mein Buch | 41
Books Nr. 4/2014
Ohne Buchhandlung
geht es nicht!
Wir möchten von Kundinnen und Kunden wissen: Welches ist Ihr liebstes
Buch? Heute antwortet Susanne Stahl aus Zell. Getroffen haben wir sie bei
Orell Füssli in Winterthur.
Thomas Gonschior,
Christa Spannhauer
Hermann Alexander
Beyeler, Gerd J. Schneeweis
Peter Prange
Christa Schmeide
Als Gefangene in Auschwitz waren
Esther Bejarano, Yehuda Bacon, Éva
Pusztai-Fahidi und Greta Klingsberg
einem der schwersten Angriffe auf
die Menschlichkeit in der Geschichte der Zivilisation ausgesetzt. Wie
gelang es ihnen, diese Erfahrung zu
überstehen? Was gab ihnen die Kraft
zum Weiterleben?
Der «Bozzetto» Michelangelos, der
1534 auf einer Holztafel geschaffene Entwurf für die Gestaltung des
Wandfreskos zum «Jüngsten Gericht»
in der Sixtinischen Kapelle, wird 1546
von einem liebesblinden Kardinal seinem angestammten Platz im Vatikan
entrissen.
Er wird einmal über halb Europa
herrschen. Doch als er seiner Lebensliebe Rosina von Krain begegnet, ist
Maximilian I. von Habsburg noch ein
Bettelprinz, der sich am verarmten
Wiener Kaiserhof nach Ruhm und
Ehre sehnt. Angetrieben von seiner
Idee, das alte römisch-deutsche
Kaiserreich wiederaufzurichten, wirbt
er um Maria, die Erbin von Burgund.
Fortan wird er ein Zerrissener sein in
der Liebe zu zwei ganz unterschiedlichen Frauen – und im Zwiespalt
zwischen Kalkül und Gefühl.
Das Leben schreibt die besten
Geschichten. Deshalb hat sich Christa
Schmeide entschieden, einen Roman
zu schreiben. Es ist die traurige, lustige,
glamouröse, gefährliche und sexy
Story von Claire Prosniaki. Sie war
Stewardess und Chefhostess auf einer
Privatyacht, bereiste das Mittelmeer,
erlebte das mondäne Leben in Monaco
und musste lernen, mit brenzligen
Situationen umzugehen.
Mut zum Leben
Thomas Gonschior und Christa
Spannbauer porträtieren vier
Menschen von beeindruckendem
Lebensmut und unzerstörter Hoffnung. Ihre Schilderungen bezeugen:
Neben dem Leiden des Holocaust
gibt es noch etwas anderes. Nämlich
den Triumph der Menschlichkeit über
die Unmenschlichkeit, der sich in
einer grossen Liebeserklärung an das
Leben kundtut.
Bozzetto
Der Schweizer Galerist Bilgrin und
der ehemalige Rechtsanwalt Prückner
finden mithilfe der wundersam
begabten Sofie heraus, welch blutige Spur der Bozzetto auf seinem
Weg quer durch die europäische
Geschichte hinterlassen hat. In der
Holztafel verborgen, kämpft das Gute
mit dem Bösen – bis zum heutigen
Tag. Bei dem Versuch, den Fluch
des Bozzetto zu bannen, sieht sich
das Trio plötzlich einer völlig neuen,
tödlichen Bedrohung gegenüber ...
www.bozzetto-dasbuch.de
Ich, Maximilian,
Kaiser der Welt
Maximilian war der letzte Ritter des
Abendlands und der erste Kaiser der
Neuzeit. Im Mittelalter verwurzelt,
stiess er das Tor zur Renaissance auf.
Seine dramatische Lebensgeschichte
erzählt Erfolgsautor Peter Prange
ebenso sachkundig wie mitreissend.
First Class Flüge
und Bruchlandungen
Neben all dem führte sie einen unerbittlichen Kampf gegen die Ungerechtigkeit, die ihr widerfuhr, als man eine
Testament-Unterschrift fälschte. Auf
dem Tiefpunkt ihres Lebens angekommen, fand sie eine neue Heimat
in der Schweiz. Eine Achterbahn der
Gefühle – und ein Buch mit vielen autobiografischen Zügen.
Geht es um Bücher, hat Susanne Stahl keine Berührungsängste. «Ich bin Viel- und
Querbeetleserin!», sagt die 56-jährige Erwachsenenbildnerin. Es hänge von der Situation ab, welches Buch sie jeweils aus
dem Regal ziehe. «Abends im Bett muss
es zum Beispiel etwas sein, das nicht so
spannend ist, dass es mich um den Schlaf
bringt – aber natürlich darf es auch nicht
so langweilig sein, dass ich die Lust verliere.» An regnerischen Sonntagen nimmt sie
auch einmal einen Klassiker zur Hand, der
den Tag literarisch aufhellt. «Nur historische Romane lese ich keine mehr», sagt
sie. «Das Genre war vor einiger Zeit, als
zum Beispiel ‹Die Päpstin› auf den Markt
kam, ganz interessant. Mittlerweile finde
ich es aber zu kommerziell.»
Der Gang in die Buchhandlung ist für Susanne Stahl unverzichtbar. «Ich bestelle
nicht gern Bücher im Internet. Ich möchte
in einem Buch blättern können, bevor ich
es kaufe, und mich nicht nur auf den Klappentext verlassen müssen, der ja sowieso
nur PR ist.» So habe sie schon Entdeckungen gemacht, die sie aufgrund der Sprache
oder der Idee faszinierten. «Gefällt mir ein
Autor, schaue ich oft, was er oder sie sonst
noch geschrieben hat.» Manchmal kauft
sie ein Buch auch nur deshalb, weil ihr das
Cover zusagt. «Da ist dann aber auch der
eine oder andere Fehlgriff dabei», gesteht
sie lachend. Damit die heimische Bibliothek nicht aus allen Nähten platzt, gibt sie
viele der ausgelesen Bücher in der Familie,
an Freunde oder an Brockenhäuser weiter,
«auch wenn mir das Ausmisten manchmal
schwer fällt».
Für unsere Rubrik empfiehlt Susanne Stahl
«Hüsnü, hilf!» der Kolumnistin, Autorin
und Regisseurin Güzin Kar. In diesem Buch
fragt sich die Autorin, was in ihrem Leben
schief laufe – und findet die Antwort beim
türkischen Lebemann Hüsnü. Als dieser
von einer Zeitung als «Kummertante» engagiert wird, avanciert Hüsnü gar zum ratgebenden Liebling der Leserschaft. «Das
Buch macht unheimlich Spass», sagt Susanne Stahl, «denn Güzin Kar spielt mit
mehr als einem doppelten Boden.» Hüsnus
Kolumne in «Tiefdeutsch» sei köstlich,
aber trotz allem Humor könne man auch
QUASTHOFF & FROWIN WANDERFUL
208 Seiten
589 Seiten
672 Seiten
272 Seiten
CHF 29.90
CHF 30.90
CHF 29.90
CHF 29.90
Weissbooks
Weissbooks
FISCHER Scherz
WOA Verlag
ISBN 978-3-944305-57-8
ISBN 978-3-86337-069-5
ISBN 978-3-651-00069-8
ISBN 978-3-9524265-1-7
für sich etwas herausziehen. «Es werden
eigentlich alle Themen, die einem auf dem
Herzen liegen könnten, behandelt. Und die
Antworten sind so schlagfertig, dass sie einem im Gedächtnis bleiben.» Ein weiterer
Vorteil sei schliesslich, dass sich das Buch
gut in kleinen Häppchen lesen lasse – die
ideale Bettlektüre also!
Hüsnü, hilf!
Sofortglück für alle
Güzin Kar
224 Seiten
CHF 24.90
Kein & Aber
BUNDESORDNER 2014
Leben
There’s no Piz Like Show Piz
S0 7. DEZ
MI 17. – SA 20. DEZ / FR 26. – SO 28. DEZ DO 8. – SO 18. JAN / FR 30. JAN / SA 31. JAN
17.00 Uhr
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Ein satirischer Jahresrückblick
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CHF 27.90
Luchterhand
Keine Kunst
20.00 Uhr, SO 17.00 Uhr
Kartenbestellung und weitere Infos: www.casinotheater.ch oder Telefon 052 260 58 58
42 | IM SCHAUFENSTER
IM SCHAUFENSTER | 43
Books Nr. 4/2014
«Selbst der schleimige
Xenophyophore ist irgendwie cool»
In seinem modernen Bestiarium «Wahre Monster» beweist der englische Wissenschaftler und Schriftsteller Caspar Henderson, dass die Fabelwesen in unseren Märchen, Mythen und Science-Fiction-Romanen nicht halb so eigenartig sind wie die Kreaturen, die tatsächlich in unseren Wäldern, Wüsten
und Ozeanen fleuchen. Sein Buch ist ein Geschenk für alle: für Naturliebhaber, Fans des Grotesken –
und Bücherfreunde.
«Ich liebe es, Dinge
zusammenzubringen, die auf den
ersten Blick nicht
zusammenzupassen scheinen.»
© Matthes & Seizt Berlin
Hanspeter Künzler
Caspar Henderson
Caspar Henderson wuchs in London auf
und studierte in Cambridge. Als Journalist
beschäftigte er sich von Anfang an mit
Umweltfragen und Menschenrechtsproblemen. Seine Beiträge erschienen
unter anderem in der Financial Times,
OpenDemocracy, New Scientist, The
Ecologist und Green Futures. 1999 wurde
er mit dem IUCN-Reuters-Preis für Umweltjournalismus in West- und Mitteleuropa ausgezeichnet. Daneben wirkte er in
einer Arbeitsgruppe mit, die versuchte,
Politiker in die Geheimnisse der Wissenschaft einzuweihen. Seit 2008 ist er als
Autor tätig.
«Für den Naturphilosophen gibt es kein
natürliches Objekt, dass zu wenig wichtig
wäre oder zu banal», schrieb der englische
Forscher John Frederick Herschel im 19.
Jahrhundert: «Eine Seifenblase ... ein Apfel
... ein Kieselstein ... er wandelt inmitten von
Wundern.» Der englische Schriftsteller Caspar Henderson hat sich diese Maxime zu
Herzen genommen. In einem Buch präsentiert er ein Sammelsurium von Tieren, die
über derart verrückte Eigenschaften und
Fähigkeiten verfügen, dass kein Mensch sie
je hätte erfinden können. Dabei schlägt er
einen verspielten Bogen zwischen dem römischen Naturforscher Plinius dem Älteren
über die imaginären Tierwelten von Jorge
Luis Borges und Italo Calvino zu den neuesten Erkenntnissen der modernen Tiefseeforschung. Das Meisterwerk wurde bereits
als «work in progress» – als im Entstehen
begriffenes Buch – mehrfach ausgezeichnet. Jetzt liegt es auch auf Deutsch vor.
Books traf den Autor in London.
Books: Caspar Henderson, wie sind
Sie auf die Idee für Ihr wunderbar
süffiges und doch so tiefsinniges Buch
gekommen?
Caspar Henderson: Eines Tages unternahm ich mit meiner Familie einen Ausflug
aufs Land. Es war ein herrlicher Sommertag, wir picknickten an einem Flüsschen,
bald schlief die Kleine zufrieden ein. Ich
kramte in meiner Tasche nach Lesestoff
und förderte «Das Buch der imaginären
Wesen» von Jorge Luis Borges zutage, das
mich daheim vom Regal her angelacht
hatte. Bei der Lektüre kam mir plötzlich
der Gedanke, dass viele real existierende
Tiere wesentlich eigenartiger sind als all
diese erfundenen Biester – und dass unser
Wissen schlicht noch nicht ausreicht, ihr
Wesen zu erfassen. So packte mich die
Neugierde.
Das Buch enthält viele Fotos und
Illustrationen. Die gezeigten Kreaturen
wie etwa der Dornteufel aus der australischen Wüste oder gar die beiden streitenden Plattwürmer könnten der Kinderbuchwelt des «Grüffelo» entstiegen sein.
Ich will nicht predigen, sondern Staunen,
Freude und Überraschung auslösen – und
vor allem eine durchaus kindliche Lust
fördern, mehr über die Natur wissen zu
wollen. Ein roter Faden durch das Buch ist
natürlich die Tatsache, dass wir uns in
einer Phase der massiven Veränderungen
befinden. Der Einfluss des Menschen auf
unsere Biotope ist enorm. Auf der anderen
Seite entdecken wir ständig wieder neue
Tiere – oder wir entdecken neue Dinge über
Tiere, die wir bereits zu kennen glaubten.
Erst heute Morgen ging die Meldung durch
die Medien, vor der Küste Australiens sei
ein bisher unbekanntes Tier entdeckt
worden, das vielleicht mit einem vermeintlich vor 542 Millionen Jahren ausgestorbenen Organismus verwandt ist. Das Buch soll
die Vielfalt der Natur preisen und gleichzei-
tig zum Nachdenken über die Verantwortung des Menschen in der Natur anregen.
Sie strecken in Ihrem Bestiarium die
Fühler weit über die Welt grotesker
Tiere hinaus. So beginnt ein Kapitel bei
den Würmern und endet beim Philosophen Bertrand Russell und dem tschechischen Schrifsteller Karel Capek.
Dazwischen treffen wir auf die Dichter
Samuel Taylor Coleridge und William
Blake. Eine Randnotiz zu Blake führt
die Leserschaft gar noch weiter hinaus
aus dem Alltag in die metaphysische
Welt eines Gedichts, in dem die «dunkle
geheime Liebe» des «unsichtbaren
Wurms» die Rose erkranken und sterben
lässt.
Was mich an einen Ausspruch von Winston
Churchill erinnert: «Alle Menschen sind
Würmer. Aber ich bin ein Glühwurm.» Ich
liebe es, Dinge zusammenzubringen, die
auf den ersten Blick nicht zusammenzupassen scheinen. Italo Clavino schrieb ein
Vorwort für eine Neuausgabe der Naturgeschichte von Plinius dem Älteren und
prägte dort den Ausdruck «unerwartete
Gegenüberstellungen». Solche Kombinationen können unversehens neue Einsichten
ermöglichen, ähnlich, wie ein überraschender Reim einem Gedicht eine neue
Richtung geben kann. Ich liebe übrigens
auch diese Randnotizen. Randnotizen
waren im Mittelalter und in all den alten
Bestiarien, mit denen die Forscher vergangener Epochen das Leben zu erklären
versuchten, ein beliebtes Stilmittel.
Wie haben Sie die Tiere im Buch eigentlich ausgewählt?
Leicht fiel die Auswahl wahrhaftig nicht.
Dieses Projekt könnte die ganze Bibliothek von Babel füllen! Um das Gebiet
einzuschränken, hielt ich mich ans
Alphabet. Mindestens im Englischen gibt
es für jeden Buchstaben ein Tier – wobei
ich mir mit X eine Ausnahme zugestand,
das war ein kleiner Scherz. Des Weiteren
wählte ich Tiere aus, die es mir erlaubten,
einen spezifischen Aspekt der Tierwelt
genauer unter die Lupe zu nehmen.
Sie schaffen das Kunststück, einen Text
zu schreiben, der spannend ist wie ein
Krimi, dabei aber von Informationen
und philosophischen Seitensprüngen
strotzt. Ihre Leseliste muss gigantisch
sein. Hocken Sie rund um die Uhr in der
Bibliothek?
Ich brauche eine neue Brille. Meine armen
alten Augen sind ruiniert vom vielen Lesen und Schreiben. Aber erst wenn ich
mich auch körperlich betätige, kann ich
gut arbeiten. Ich laufe sehr gern und
paddle mit dem Kajak im Fluss. Aber
mein ganzes Leben fühlt sich manchmal
an wie ein Rennen zwischen Lernen und
Vergessen.
Der Dornenkronenseestern, der seinen
Magen ausspuckt und umstülpt, um
seine Opfer zu verdauen, noch bevor er
sie «frisst»; der Axolotl, der abgebissene Gliedmassen nachbilden kann; das
Bärtierchen, das problemlos Tempera-
turen zwischen -272,8 und +151 Grad
Celsius überlebt – haben Sie unter all
diesen Freaks ein Lieblingstier?
Ich könnte jetzt ein oder zwei Tiere
nennen, aber es wäre eine Lüge. Ich
mag sie alle, auch die, die oberflächlich
gesehen widerlich erscheinen mögen.
Selbst der Xenophyophore, dieses
schleimige Ding, das in 4000 Meter
Tiefe über den Ozeanboden kreucht, ist
irgendwie cool. Ein Tier aber hat mir
ganz besonders Eindruck gemacht –
der Krake. Seine Intelligenz ist erstaunlich, und er hat noch viele andere, bemerkenswerte Eigenschaften. Seine
Arme – Tentakel ist das falsche Wort! –
sind bedeckt von Nerven, die so etwas
wie ein vernetztes Gehirn darstellen.
Darum bewegen sich die Arme auch
noch, wenn man sie, wie es in gewissen
Ländern Sitte ist, bei lebendigem Leibe
abschneidet. Seit ich dieses Buch geschrieben habe, bringe ich es nicht
mehr fertig, Tintenfische zu essen.
Wahre
Monster: Ein
unglaubliches
Bestiarium
340 Seiten
CHF 52.00
Matthes & Seitz
44 | kINDERWELT
KINDERWELT | 45
Da steckt Musik drin!
Singende Igel und rockende Jungs: Diese Bücher stecken voller Musik. Ausgewählt wurden
sie von Nicole Stäuble, der Kinderbuchexpertin der Frauenfelder Filiale von Orell Füssli.
Marius Leutenegger
ein Ei legt! Der Igel hockt sich hin und
drückt und drückt, doch kein Ei will kommen. Endlich ist Ruhe! Die Tiere feiern zusammen ein Fest, nur Pavarotti hockt seufzend in seinem Nest.
© Arena / Illustration von Sophie Schmid
Leider aber ist nun doch niemand zufrieden: Die Tiere merken, dass ihnen Pavarottis Gesang, der sie zuvor so nervte, fehlt.
Sie können nicht mehr schlafen, und die
Situation ist jetzt noch schlimmer als am
Anfang. Da kommt dem Eichhörnchen die
rettende Idee: Wir schieben Pavarotti ein
Ei unter, damit er sich wieder für eine
Nachtigall hält!
«Igel Pavarotti. Du bist
toll, so wie du bist» von
Sophie Schmid.
«Mögen Kinder Musik ganz besonders? Ich
kann das nur in Bezug auf meinen eigenen
Buben beurteilen, und dann lautet die Antwort eindeutig ja. Als ganz kleines Kind
nahm er Gegenstände nicht in den Mund,
sondern klopfte mit ihnen auf den Boden,
um zu hören, welcher Klang entsteht. Vermutlich sind für jedes Kind gewisse Sinne
besonders wichtig. Heute stelle ich einmal
Bücher vor für die ‹Ohrenkinder›: Alle meine Empfehlungen handeln von Musik.
Auf ‹Igel Pavarotti. Du bist toll, so wie du
bist› von Sophie Schmid stiess ich beim
Durchblättern der Kataloge mit den
Herbst-Neuerscheinungen – und ich fühlte
mich von den Zeichnungen sofort angesprochen. Als ich das Buch dann in den
Händen hielt, war ich schlicht begeistert:
Schon das allererste Bild ist so schnügelig,
und es kommt immer besser und besser.
Der Igel Pavarotti singt unermüdlich Tag
und Nacht, und das nicht einmal schlecht.
Er singt, weil er davon überzeugt ist, eine
Nachtigall zu sein. Für die Tiere im Wald
wird die ständige Singerei zum grossen Ärgernis, denn sie können nachts nicht mehr
schlafen. Alle sind mit den Nerven am
Ende und haben dunkle Augenringe.
Schliesslich entscheiden sie: Wir müssen
Pavarotti endlich klar machen, dass er keine Nachtigall ist.
Diese Geschichte fetzt total, und die Zeichnungen sind einfach ein Genuss. In den
inbrünstig singenden Igel habe ich mich
sofort verliebt. Und die Tierchen mit den
Augenringen sind einfach köstlich. Das ist
ein ganz tolles Bilderbuch, das man wieder
und wieder erzählen kann.
Doch der Igel lässt sich nicht von seinem
Irrtum abbringen. Die Tiere zeigen ihm
eine richtige Nachtigall, aber er sagt nur:
‹Ich bin halt eine spezielle Sorte.› Sie erklären ihm, dass Nachtigallen Nester bauen,
aber er baut halt einfach auch eines – wenn
auch ein sehr wackliges. Und den Hinweis,
Nachtigallen würden fliegen, kontert er mit
einem mutigen Sprung in die Tiefe.
Richtig begeistert hat mich auch ‹Die
Nacht, in der ich supercool wurde› von
Juma Kliebenstein. Hauptfiguren sind die
etwa zwölfjährigen Buben Karli und Martin. Sie haben in den Sommerferien herausgefunden, dass Karli eine tolle Stimme
hat – und dass Martin unbedingt Schlagzeug lernen will. Die beiden melden sich
zum Musikunterricht an und erweisen sich
sofort als ziemlich talentiert. Deshalb bewerben sie sich auch, als eine neue Schulband gesucht wird. Aber ein Sänger und
ein Schlagzeuger machen natürlich noch
keine Band, und deshalb müssen die zwei
ziemlich viele Schwierigkeiten überwinden, damit aus ihrem Traum etwas wird.
Eine Bande macht ihnen das Leben zusätzlich schwer.
Dann aber kommt den Tieren die rettende
Idee: Pavarotti soll doch beweisen, dass er
eine Nachtigall ist, indem er wie eine solche
Der Anziehung dieses Buchs kann man sich
fast nicht entziehen. Die beiden Hauptfiguren sind derart sympathisch, dass man sie
© Oetinger / Illustration von Alexander Bux
Books Nr. 4/2014
Karli und Martin lassen es krachen: «Die Nacht, in der ich
supercool wurde» von Juma
Kliebenstein.
einfach ins Herz schliessen muss. Karli hat
Segelohren und wird schnell knallrot, ausserdem bekommt er immer eine piepsige
Stimme, wenn er nervös ist. Die beiden sind
Jungs, wie Jungs sind – mit all ihren Sorgen
und Nöten. Dieses Buch eignet sich ideal für
alle jungen Musikangefressenen, und ich
werde es auch Lehrern zum Vorlesen empfehlen. Supercool an ‹Die Nacht, in der ich
supercool wurde› finde ich, dass man den
Song, den Karli und Martin komponieren,
im Internet hören kann – unter www.oetinger.de/supercool. Darüber hinaus ist das
Buch auch fast so etwas wie ein Leitfaden,
wie man eine Band gründet: Karli und
Martin machen es einem detailliert vor.
Auch in meiner dritten Empfehlung geht es
auf coole Weise um coole Musik. ‹Rock War
– Unter Strom› von Robert Muchamore
lässt sich allerdings nicht so einfach zusammenfassen. Das Buch bildet den Auftakt zu einer Serie, und vieles ist in dieser
ersten Folge noch nicht so klar. Grundsätzlich geht es um einen grossen Band-Wettbewerb – eben den Rock War –, und im
Mittelpunkt stehen drei Hauptfiguren, die
weit auseinander wohnen und noch nichts
miteinander zu tun haben.
Da ist zum Beispiel Jay. Er spielt Gitarre
und ist mit viel Herzblut bei der Sache.
Aber er weiss: Seine Band ist so schlecht,
dass er mit ihr nicht weiterkommt. Also
muss er sich neue Leute suchen. Dabei hat
er eigentlich schon genug zu tun mit seiner
Familie, denn seine Geschwister sind alle
kriminell und stehen mit einem Fuss im
Gefängnis.
Eine andere Figur ist Summer, die bei ihrer
kranken Grossmutter lebt. Die beiden sind
wirklich arm, und die Grossmutter braucht
ständig neue Sauerstoffflaschen, die von
Summer die Treppe hochgeschleppt werden müssen. Summer tut einem richtig
leid. Ein anderes Mädchen weiss, dass
Summer eine tolle Stimme hat, will sie für
die eigene Band gewinnen und lädt sie zu
sich nach Hause ein. Die Familie des
Mädchens ist sehr reich, und der ganze
Luxus beeindruckt Summer natürlich tief.
Die dritte Hauptfigur schliesslich ist Dillon.
Er ist ein ziemlicher Herumhänger und
macht ständig Ärger. Durch Zufall lernt er
eine Band kennen, die mit der Technik nicht
klar kommt, und hilft ihr. Darauf wird er zu
ihrem Haustechniker. Dillon lädt alle zu sich
nach Hause ein, und wir erfahren, dass sein
Vater ein superreicher Sänger ist ...
Der Rock War liegt ständig in der Luft, er
wird aber erst in einer späteren Folge der
Serie stattfinden. Ich hätte gern mehr erfahren über Jay, Summer und Dillon, und
ich freue mich bereits sehr auf die Fortsetzung – die werde ich sofort verschlingen.
Die Hauptpersonen sind faszinierend, vielschichtig und realitätsnah. Sie müssen sich
richtig durchs Leben kämpfen, haben auch
schwierige Zeiten, und damit können sich
sicher viele Jugendliche identifizieren. Das
Buch eignet sich für Jungs und Mädchen
ab etwa 13 Jahren.
Leider habe ich keine Ahnung, wie viele
Bücher der ‹Rock War› am Ende umfassen
wird. Der Autor Robert Muchamore ist
aber bekannt für eher längere Serien. Das
ist in diesem Fall vielversprechend – denn
so etwas wie ‹Rock War›, bei dem die Musik derart im Zentrum steht, habe ich noch
nie gelesen.»
Nicole Stäuble, 41, ist Buchhändlerin bei Orell
Füssli in Frauenfeld; sie hat einen vierjährigen Sohn. «Ich machte bereits meine Lehre
zur Buchhändlerin bei Orell Füssli», erzählt
sie. Schon in der Lehre seien Kinder- und
Jugendbücher für sie das Grösste gewesen,
denn «dieser Bereich ist so vielseitig – und
fast so etwas wie eine Buchhandlung in der
Buchhandlung!» Ausserdem könne man die
Kundinnen und Kunden, die Kinderbücher
suchten, richtig beraten: «Die meisten Leute
sind dankbar für Empfehlungen, weil sie sich
mit den Neuerscheinungen nicht so gut
auskennen.»
Igel Pavarotti.
Du bist toll, so wie
du bist
Sophie Schmid
32 Seiten
CHF 19.90
Arena
Die Nacht, in der ich
supercool wurde
Juma Kliebenstein
256 Seiten
CHF 19.90
Oetinger
Rock War –
Unter Strom
Robert
Muchamore
384 Seiten
CHF 19.90
cbt
46 | KOCHBÜCHER
Kunst oder Steinzeit?
Neue Kochbücher regen mit originellen Ansätzen dazu an, neue
Wege der Essenszubereitung und der Ernährung auszuprobieren.
Markus Ganz
«Willkommen in der Steinzeit!», schreiben Keris Marsden und Matt Whitmore
am Anfang ihres Kochbuchs «Paleo – Die
Steinzeitdiät». Die beiden Fitnesstrainer
aus London wissen natürlich, dass früher
nicht alles besser war, schon gar nicht in
der frühesten Epoche der Menschheitsgeschichte: Die Höhlenmenschen wurden
höchstens 35 Jahre alt. Doch führen die
Autoren die heute viel höhere Lebenserwartung vor allem auf den Siegeszug der
modernen Medizin zurück. Sie resümieren: «Dummerweise werden wir zwar älter, bleiben aber nicht gesund.» Und dies
sei nicht nur auf Zeiterscheinungen wie
Stress und Bewegungsmangel, sondern zu
einem guten Teil auch auf ungesunde Ernährung zurückzuführen.
Und da wird deutlich, dass es nicht um
Verzicht, sondern um lustvolles Essen geht.
Auch typische «Sucht»-Speisen wie Schokoladenkuchen und Pizza fallen nicht aus
den Traktanden. Wer von Getreide abrät,
muss allerdings alternative Rezepte anbieten können. Bei der Pizza führt dies zu einem originellen Rezept, bei dem der Teigboden aus geraspeltem Blumenkohl, Eiern
und Büffelmozzarella gemacht wird.
Kunst irgendwie zugänglicher zu machen». Sie gibt Anleitungen, wie man Werke bekannter Künstler nachbilden kann –
mit einer Scheibe Toast, geröstetem Brot
oder einem Pfannkuchen als Leinwand.
Wie wär’s mit Frida Kahlos «Selbstporträt», Piet Mondrians «Komposition mit
Rot, Blau und Gelb» oder Pablo Picassos
«Marie-Thérèse, mit aufgestütztem Ellenbogen» zum Frühstück?
Ereignis auf Instagram
Ida Frosk versteht ihre Objekte nicht als
wirkliche Kunst, sondern als Gebrauchskunst: Sie werden zubereitet, um gegessen zu werden. Doch der Blog der norwegischen Hobbyfotografin wurde auf der
Plattform Instagram zum Ereignis: «Art
Toast Project» hat inzwischen über
200’000 Followers. Im Buch finden sich
auch Beispiele, die von Zeichentrickserien
Teigboden mit geraspeltem
Blumenkohl
Keris Marsden und Matt Whitmore beschreiben in der ersten Hälfte des Buchs
ausführlich die Grundlagen dieser Steinzeitdiät und begründen sie auch mit zahlreichen Verweisen auf wissenschaftliche
Studien. In der zweiten Hälfte geht es an
die praktische Umsetzung mit vielen Rezepten, die meist einfacher Natur sind.
Gründe zum Selberkochen auf, wie bereits einige Titel verraten: «Weil Schokoladenpudding Männer nachts in die Küche lockt», «Weil man von türkischen
Spezialitäten in Ohnmacht fallen kann»
oder «Weil Sauerkraut Pickel verschwinden lässt». Aus manchem Titel spricht jedoch auch die engagierte und zuweilen
esoterisch angehauchte Ernährungswissenschaftlerin, die zu gesundem Essen
motivieren und vor Gefahren warnen
möchte: «Weil Buchweizen-Blinis vor
Krampfadern schützen», «Weil Mikrowellen den Durst unserer Zellen veralbern»
oder «Weil Aluminium womöglich Alzheimer verursacht».
Für Sie probiert:
Pfannkuchen «Der rosa Hai»
Dieses Frühstücksgericht aus dem nebenan besprochenen Buch
«Kunst aufessen» ist vom Film «Der weisse Hai» von 1975 inspiriert.
Paleo –
Die Steinzeitdiät
Keris Marsden,
Matt Whitmore
272 Seiten
CHF 19.90
Goldmann
Essen wie Familie Feuerstein
Deshalb propagieren Keris Marsden und
Matt Whitmore eine Steinzeitdiät, die auf
Obst, Gemüse, Eier, Fisch und Fleisch
setzt. Von raffiniertem Zucker, künstlichen
Süssungsmitteln sowie Getreide inklusive
Teigwaren und Hülsenfrüchten raten sie ab.
Tabu sind auch verarbeitete Lebensmittel,
da diese stark mit ungesunden Zusatzmitteln angereichert seien. Die beiden Fitnesstrainer sind aber nicht sektiererisch und
lassen Milchprodukte zu, damit einem das
Essen besser schmeckt. Denn «gesund
heisst nicht fad und langweilig», betonen
sie. Und immer wieder blitzt Humor auf,
etwa wenn sie fragen: «Wissen Sie, wie es
Menschen geht, die eine fettarme Diät machen? Wir schon.» Und sie führen an, dass
«Fett nicht fett macht». Tatsächlich setzen
sie beispielsweise Butter, aber auch Eier
und Fleisch, oft reichlich ein.
KOCHBÜCHER | 47
Books Nr. 4/2014
Kunst aufessen –
Bildschöne Frühstücksideen
Ida Frosk
160 Seiten
CHF 24.90
Antje Kunstmann
«Wissen Sie,
wie es Menschen
geht, die eine
fettarme Diät
machen? Wir
schon.»
Kunst zum Essen
Dass man Speisen kunstvoll anrichten
kann, ist nicht nur Restaurants von Spitzenköchen oder der japanischen BentoTradition vorbehalten. Ida Frosk alias Ida
Skivenes geht in ihrem Buch «Kunst aufessen – Bildschöne Frühstücksideen»
noch einen Schritt weiter. Im Buchteil
«Toast-Kunst-Projekt» nimmt sie den Begriff «Food Art» wörtlich, um «grosse
und Filmen inspiriert wurden. Und bei
vielen der vegetarischen Rezepte geht es
offensichtlich vor allem darum, Kinder
zum Essen eines gesunden Frühstücks zu
animieren. Denn welches Kind würde
schon auf einen «Panda-Porridge» oder einen «Giraffenpfannkuchen» verzichten?
Geschichten zum Rezept
Ganz schön mutig ist der Ansatz von
Anke Nussbücker. In ihrem Buch «111
Gründe, selbst zu kochen» verzichtet sie
mit wenigen Ausnahmen auf Bilder der
Gerichte – und damit auf eines der wichtigsten Verkaufsargumente für Kochbücher. Stattdessen setzt die deutsche Autorin
auf kurze Geschichten, mit denen sie die
Leserschaft zum Kochen – «eines der sinnlichsten Vergnügen» – verführen möchte.
Oft vergnüglich sind denn auch diese Erzählungen, die meist persönliche Erlebnisse mit dem Hintergrund eines Gerichts
verbinden. Anke Nussbücker führt gute
111 Gründe, selbst
zu kochen
Anke Nussbücker
288 Seiten
CHF 15.90
Schwarzkopf & Schwarzkopf
Für zwei hungrige Personen
ZUTATEN:
150 g Hüttenkäse
2 Eier
1 mittelgrosse reife Banane
20 g Haferflocken
60 g feines Vollkornmehl
1 TL Backpulver
½ TL Salz
Heidelbeerjoghurt, frische und getrocknete Heidelbeeren, Trockenpflaume, Mandelblättchen, Banane
Zubereitung:
Hüttenkäse, Eier und Banane mit der
Hand oder in der Küchenmaschine zu
einer feinen, geschmeidigen Masse
verrühren; will man mit der Spritzflasche Figuren spritzen, ist die Küchenmaschine besser, weil keine Stückchen
bleiben, welche die Tülle verstopfen
würden.
Die trockenen Zutaten mischen und die
Hüttenkäse-Ei-Banane-Mischung
gründlich unterrühren. Die Masse sollte
ziemlich dick sein. Falls sie zu dick ist,
etwas Milch unterrühren.
Bei mittlerer Hitze ovale Pfannkuchen
golden backen. Nach dem Abkühlen mit
Heidelbeerjoghurt bestreichen.
Zwei getrocknete Heidelbeeren oder
Rosinen als Augen auflegen. Das Maul
aus einer flach gedrückten Trockenpflaume zuschneiden und scharfe
Zähne aus Mandelblättchen einsetzen.
Frische Heidelbeeren als Wasser um
den Hai verteilen und einen kleinen
mutigen Bananenmenschen am oberen
Tellerrand schwimmen lassen.
48 | WETTBEWERB
VERANSTALTUNGEN | 49
Books Nr. 4/2014
Das Literatur-Kreuzworträtsel
Veranstaltungen
Unter den richtigen Lösungen verlosen wir Gutscheinkarten von Orell Füssli Thalia:
1. Preis: CHF 200.–, 2. Preis: CHF 100.–, 3. Preis: CHF 50.–, 4. bis 10. Preis: je CHF 20.–.
30. Kinderparadies bei der Zuschauer-
NOVEMBER
18. Wirz Thalia Aarau
terrasse im Flughafen Zürich
Märlistunde für die Kleinen
20 Uhr
Das Team präsentiert:
Buchtipps für Erwachsene,
Jugendliche und Kinder
18. Stauffacher Bern
14–15 Uhr
MÄRZ
6.Thalia Baden
Veranstaltet von Orell Füssli und dem Flughafen
11.ZAP Brig
20 Uhr
Raumstation Sehnsucht
19.30 Uhr
«Radio»
DEZEMBER
Lesung mit Pedro Lenz
2.Stauffacher Bern
20 Uhr
«Immer schön langsam»
Comic-Lesung mit Ralf König
19 Uhr
Nacht der Frau
18.Wirz Thalia Aarau
20 Uhr
Lesung mit Diccon Bewes
19. Thalia Basel
20 Uhr
Raumstation Sehnsucht
4.
Comic-Lesung mit Ralf König
Orell Füssli am Bellevue, Zürich
20.30 Uhr
«Mindfuck Love»
Lesung mit Petra Bock
19. Vogel Thalia Winterthur
20 Uhr
«Hypnose – Gesundheit und
Heilung auf natürlichem Weg»
Vortrag von Hansruedi Wipf mit Demonstration
20. Thalia Thun
18.30 Uhr
«Anastasia – Die letzte Zarentochter»
Kinderbuch-Vernissage mit Annemarie Stähli,
musikalische Begleitung von Anna-Lena Schulz
24. ZAP Brig
19.30 Uhr
«Der Mann der Armut. Franziskus – ein Name wird Programm»
7. Kinderparadies bei der Zuschauerterrasse im Flughafen Zürich
14–15 Uhr
Märlistunde für die Kleinen
Veranstaltet von Orell Füssli und dem Flughafen
14. Kinderparadies bei der Zuschauerterrasse
im Flughafen Zürich
14–15 Uhr
Märlistunde für die Kleinen
Veranstaltet von Orell Füssli und dem Flughafen
FEBRUAR
21.Stauffacher Bern
«Radio»
20 Uhr
Lesung mit Pedro Lenz
Vortrag von Niklaus Kuster mit Bilderschau
25. Thalia Bern
23.Kellerbühne St. Gallen
«Die 3??? – Der gefiederte
Schrecken»
Lesung mit Christian Gasser, veranstaltet von
der Kellerbühne in Zusammenarbeit mit der
Buchhandlung Rösslitor
Lesung von Christoph Dittert
27. Thalia Basel
25.Thalia Basel
17.30 Uhr
«Vegan Love Story»
20 Uhr
«Radio»
Buchpräsentation mit Rolf Hiltl und Reto Frei;
Gespräch & Degustation. Moderation: -minu
29. Thalia Bern
20 Uhr
«Rakkaus»
20 Uhr
Lesung mit Pedro Lenz
10 Uhr
«Anastasia – Die letzte Zarentochter»
Kinderbuch-Lesung mit Annemarie Stähli, musikalische Begleitung von Anna-Lena Schulz
✁
Lösungswort:
Bis zum 6. Januar 2015 in einer Filiale von Orell Füssli, Thalia, Stauffacher, ZAP,
Meissner oder bei Rösslitor Bücher abgeben – oder per E-Mail senden an: [email protected].
Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt.
29. Meissner Bücher, Aarau
«Globis Schweizer Küche»
Adresse
Mitmach-Aktion für Kinder ab vier Jahren – mit
Wendolina, Globi und Koch Albi von Felten
Wortkabarett mit Mambo Kurt
26.Hotel National Bern
20 Uhr
«Montecristo»
Lesung mit Martin Suter, veranstaltet von
Stauffacher Bern
PLZ / Ort
Lösungswort
(04/2014)
RABENSCHATTEN
Lösungswort (04/2014)
RABENSCHATTEN
Mit der Angabe ihrer E-Mail-Adresse akzeptieren die Teilnehmenden die Teilnahmebedingungen. Die Orell Füssli
Thalia AG ist berechtigt, die angegebenen Daten zu speichern – und sie für den Versand des kostenlosen Newsletters
von buch.ch, thalia.ch und books.ch sowie zu Markt- oder Meinungsforschungszwecken zu nutzen.
14 Uhr
Vorname / Name
«Heimorgel to Hell»
E-Mail
Alle Veranstaltungen finden Sie auf www.books.ch, www.thalia.ch und www.buch.ch
50 | KOLUMNE
Books Nr. 4/2014
Schweizer Autorinnen und
Autoren erzählen in Books,
warum sie schreiben.
Heute: Kaspar Schnetzler
Zum Journalismus, am Anfang meines Erwachsenenlebens, kam ich, weil mich der
Ehrgeiz trieb, meinen Namen in der NZZ
veröffentlicht zu sehen. Das war etwas! So
bin ich ins Schreiben geraten.
Meinen ersten Roman, «Der Fall Bruder»,
deklarierte ich als Kleinkrimi. Mit ihm
brachte ich meine unbewältigte deutsche
Vergangenheit zur Sprache. Das war in den
68er-Jahren, als das Thema sowohl von
den jungen Gegenwartspolitikern als auch
von den Alten mit Vergangenheit aus unterschiedlichen Gründen verdrängt war. Kam
dazu, dass kein seriöser Autor – und welcher deutschschreibende Autor war nicht
seriös – je daran gedacht hätte, sich auf die
Ebene eines Krimis herabzulassen. Damals. Die Grenze zwischen E-Literatur (E
wie Ernst, was seriös belehrend bedeutete)
und U-Literatur (U wie Unterhaltung, was
zum Vergnügen ohne Mehrwert bedeutete)
war mauerhoch gezogen. Zweimal ausserhalb, fuori le mura, gelegen, fand mein
Erstling keinen Zugang zum deutschen Literaturbetrieb, auch nicht durch den
Schweizer Nebeneingang.
Ich kehrte zum Journalismus zurück und
wurde dort freundlich aufgenommen. Der
Wunsch, ein eigenes Buch in Händen zu
halten (siehe unten), blieb aber lebendig.
Seit Ricco Bilger und Dario Benassa mich in
ihren bilgerverlag Zürich aufgenommen
haben, schreibe ich dicke, seriöse Romane.
Warum?
Ich habe drei Antworten parat.
Zum einen handle ich Erfahrungen ab, die
mich ein Leben lang beschäftigten. Im Roman «Die Gilde» ist es eine bestimmte Berufsgruppe und das Verhalten ihrer Mitglieder. «Das Gute» ist die Geschichte einer
unauffälligen kleinbürgerlichen Familie.
Zum zweiten ist es mir mehr als einmal
passiert, dass mir wie aus dem Nichts, das
es nicht gibt, die Schlussszene eines Romans einfiel, ausformuliert bis zum letzten
Buchstaben im letzten Satz. Eine A4-Seite
lang. Was blieb mir anderes übrig, als die
Geschichte zu schreiben, die zu diesem
Ende führt? Darum habe ich die Romane
«Kaufmann und das Klavierfräulein»,
«Nach Berlin» und als neuesten «das modell» geschrieben.
Drittens liebe ich das Handwerk des Erzählens. Es ist ein erhebendes Gefühl, Menschen literarisch nachzubilden, Figuren zu
erschaffen, ihnen eine Umwelt zur Verfügung zu stellen, ein Leben zu geben, ein
Schicksal, das sie zum Handeln bringt. Und
dieser Ausgangslage eine erzählerische
Struktur zu geben, die der Leserin, auch
dem Leser ermöglicht, meine fiktive Geschichte in Bezug zu ihrem faktischen Leben zu setzen. Gelingt mir das, fühle ich
mich wie «der kleine Gott der Welt». Das ist
ein guter Grund zu schreiben.
Schliesslich das Wohlgefühl, das ich während all der Jahre, die ich Bücher schreibe,
nie losgeworden bin: am Ende eines langen
kreativen Prozesses, der sich abgesehen
vom mechanischen Schreiben grösstenteils
im seelisch-geistigen Bereich abspielt, ein
eigenes Buch als Gegenstand in den Händen zu halten. Das ist ein sehr schönes Ge-
fühl. Aber noch schöner ist es, das Gewicht
des Buchs zu spüren und mir einzubilden,
es seien nicht Karton, Papier und Druckerschwärze, sondern meine Worte, die das
Gewicht ausmachen.
Das ist ein guter Grund weiter zu schreiben.
© Ayse Yavas
... weil ich es vor 65 Jahren in der ersten
Klasse der Primarschule bei Herrn Beglinger im Schulhaus Hirschengraben in Zürich gelernt habe. Schreiben? Ich habe Kartonschnipsel aus dem Setzkasten geklaubt
und die Buchstaben auf der Setzleiste zu
«Roti Rösli im Garte» aufgereiht. Mit Ernst.
In der vierten Klasse habe ich im Klassenverband auf Diktat von Lehrer Schmid die
Stahlfeder am Federhalter (Ende abgekaut)
Linie für Linie über Heftseiten hin «auf ab,
auf ab, auf ab» geführt «und Bogen und
Bogen und Bogen» gezogen. So habe ich
Schönschreiben gelernt, Belletristik im
wahrsten Sinn des Worts.
KASPAR SCHNETZLER
Kaspar Schnetzler, 72, hat an der Universität
Zürich und der Freien Universität Berlin studiert und mit dem Doktorat abgeschlossen.
Als Lehrer arbeitete er für die Kantonsschule Zürich, als freier Journalist hauptsächlich
für die NZZ. 1993 wurde er mit dem Zürcher Journalistenpreis ausgezeichnet. 1977
versuchte er das erste Mal, sein germanistisches Wissen über die Erzählkunst praktisch
anzuwenden. Für seinen Roman «Der Fall
Bruder – Neues aus New Hampshire»
erhielt er den Preis der Schweizerischen
Schillerstiftung. Es folgten Erzählungen,
Theaterstücke, Satiren, Essays sowie eine
Auszeichnung und drei Stipendien. Im bilgerverlag Zürich hat er bis heute fünf Romane
veröffentlicht, soeben folgenden:
das modell
270 Seiten
CHF 35.90
bilgerverlag
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