2011 - Evangelische Kirche in Hessen und Nassau

Transcription

2011 - Evangelische Kirche in Hessen und Nassau
Advent
Heiligabend
Erster Weihnachtstag
Zweiter Weihnachtstag
Epiphanias
Septuagesimae
Sexagesimae
Weltgebetstag
Estomihi
Invocavit
Reminiscere
Oculi
Laetare
Judica
Palmarum
Gründonnerstag
Karfreitag
Ostersonntag
Ostermontag
Quasimodogeniti
Misericordias Domini
Jubilate
Kantate
Rogate
Christi Himmelfahrt
Exaudi
Pfingstsonntag
Pfingstmontag
Trinitatis
Erntedankfest
Reformationstag
Buß- und Bettag
Ewigkeitssonntag
Jahresbericht
der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
Zahlen und Bilder aus den Jahren 2011/2012
EKHN-Jahresbericht 2011/2012
Inhalt
Juli 2011
Vorwort von Kirchenpräsident Dr. Volker Jung
Mit uns durch das Jahr
Gottesdienst auf der Schleuseninsel
4
in Runkel an der Lahn
Regen macht nichts
August 2011
Der Leiter der Kirchenverwaltung
und Finanzdezernent Heinz Thomas Striegler
Tauffest am Langener Waldsee
Ein unkonventionelles Angebot
zum Thema Geld
Der finanzielle Rahmen ist noch stabil
18
6
20
August 2011
Konfirmandenprojekt des Dekanats Wiesbaden
Cooles Camp
Kleine Geschichte der Evangelischen Kirche
in Hessen und Nassau (EKHN)
Protestanten eben
9
Gebauter Glaube
Open-Air-Gottesdienst auf dem Römerberg in Frankfurt
13
27
September 2011
Radio Wein-Welle zum Weinfest in Groß-Umstadt
Juni 2011, Hessentag
am Nordrand des Odenwalds
Sechs Tage Ausnahmezustand
Traumkirche und Musical »Ursula«
auf dem Hessentag in Oberursel
Gottes Farben
September 2011, Tag des offenen Denkmals
Die Ringkirche in Wiesbaden
Juni 2011, Pfingsten
Toleranz und Fair Play
23
15
30
September 2011
Interkulturelle Woche in Offenbach
Kein Kuschelkurs, sondern gegenseitiger Respekt
32
September 2011, Erntedankfest
Die Dekanatskonferenz Gladenbach
auf einem Milchviehbetrieb
Kuhstall trifft Kirche
35
Oktober 2011, Reformationstag
Luther-Oratorium in Worms
Keine Musik für politisch Korrekte
39
November 2011, Buß- und Bettag
Sozialpolitischer Tag in Rüsselsheim und Frankfurt
Deutliches Ausrufezeichen
42
November 2011, Ewigkeitssonntag
Treffpunkt der Kirchengemeinde Herrnhaag
Wo der Tod ein Teil des Lebens ist
2
44
Dezember 2011, Adventszeit
April 2012, Karfreitag
Adventskranz in Zotzenbach im Odenwald
Ganz groß im Advent
Aktion der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
46
Dezember 2011, Weihnachten
Ein stiller Feiertag für die Opfer
61
April 2012
Frankfurter Winterreise
Das Zentrum für Frauen der Diakonie Frankfurt
Glanz und Elend, Armut und Reichtum
Überlebenswichtig
zusammenbringen
48
Februar 2012
im Kreis Marburg-Biedenkopf
Willkommen in der Welt
der Weißfrauen-Diakoniekirche in Frankfurt
50
Februar 2012, Passionszeit
68
Juni 2012
Das Global Youth Village
Sodener Passion in Bad Soden am Taunus
Wo die toten Kinder wohnen
Mai 2012
Krippengruppe in Oberdieten
Winterspeisung in der Katharinen- und
Essen, Wärme und Gemeinschaft
64
auf dem Jugendkirchentag in Michelstadt
53
»Wir sind alle sooo verschieden –
und zugleich sooo ähnlich«
März 2012, Weltgebetstag
71
Aktionstag der Frauen in Oberhessen
Steht auf für Gerechtigkeit
55
EKHN-Haushalt
Einnahmen 2011
März 2012
74
Glaubenskurs in Gambach
Der See Genezareth in der Wetterau
57
EKHN-Haushalt
Ausgaben 2011
März 2012
75
Predigen im Ehrenamt
Du sollst nicht begehren deines Nächsten Festgeld
59
Impressum
Adressen
80
Zahlen und Fakten
Kennzahlen der EKHN 2011
Mitgliedschaften in der EKHN 2011
n Pfarrstellen in der EKHN 2011
n EKHN-Mitarbeiter/-innen 2011
n Gottesdienste in der EKHN 2011
n Freiluftgottesdienste
n Taufen in der EKHN 2011
n Konfirmationen in der EKHN 2011
n Gebäude in der EKHN 2011
n Kirchenmusik in der EKHN 2011
n Einrichtungen des DWHN 2011
n Kindertagesstätten in der EKHN 2011
n Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in der EKHN
n
n
10
11
12
12
19
19
21
24
28
41
67
70
73
3
Vorwort von Kirchenpräsident Dr. Volker Jung
Mit uns durch das Jahr
Liebe Leserinnen,
liebe Leser,
mit der evangelischen Kirche durch das Jahr – das ist das
und Weihnachten, sind sogar Anlass für Schulferien. Wir
Motto und der rote Faden des aktuellen Jahresberichts.
gestalten aber auch gesellschaftliche Ereignisse mit, deren
Er bietet Ihnen Einblicke in die Vielfalt dessen, was in der
Wurzeln außerhalb der Kirche liegen. Dazu gehören der Tag
Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) all­-
des offenen Denkmals, die Inter­k ulturelle Woche sowie
jähr­­lich und an vielen Orten geschieht. Der Jahresbericht
viele Volksfeste und Sportereignisse wie im Jahr 2011 die
legt damit Rechenschaft darüber ab, was wir mit dem Geld
Fußball-WM der Frauen. Es liegt uns auch am Herzen,
tun, das uns unsere Mitglieder in Form von Kirchensteuer
Initiativen mitzugestalten, die Hilfe in der Not organisieren,
und Kollekten anvertrauen. Und er dokumentiert, was wir
wie zum Beispiel die Winterspeise für Obdachlose.
mit den Mitteln tun, mit denen uns die Gesellschaft unter­stützt in Form von Erstattungen und Staatsleistungen.
Als Kirche, die sich der ganzen Gesellschaft und
ihren vielen einzelnen Menschen verpflichtet weiß, gestalten
verlagert, finden Sie uns oder wir Sie bei Gottesdiensten im
Grünen, bei Tauffesten an einem See oder auf Freizeiten.
Vieles von dem, was wir tun, wird allerdings nicht
wir das Jahr bewusst mit. Dabei bringen wir eigene Akzente
nur einmal im Jahr gebraucht, sondern jeden Tag. Dazu
ein wie zum Beispiel unsere großen christ­lichen Feste.
gehören die häusliche Krankenpflege, soziale Hilfen, die
Sie bieten Tage der Besinnung. Zwei von ihnen, Ostern
4
Im Sommer, wenn sich das Leben nach draußen
Erläuterungen zur
Bedeutung aller evangelischen
Feiertage finden Sie unter
www.ekhn.de/jahresbericht.
Kindertagesstätten und vieles andere mehr. Auch diese
Arbeit veranschaulicht Ihnen der Jahresbericht an vielen
Beispielen.
Alles, was wir tun, machen wir in der Gewissheit:
Gott hält uns und begleitet uns durch unser Leben. Deshalb
können wir uns getrost auch den schweren Seiten und
Themen des Lebens stellen. Nicht nur an den stillen Feiertagen wie dem Karfreitag – da aber besonders – sind unsere
Gedanken und Gebete bei den Opfern und den Leidenden.
Das haben wir in diesem Jahr mit einer Plakataktion öffent­lich bekundet und damit in der gesellschaftlichen Debatte
um ihren Wert, Partei für die Feiertage ergriffen. Die vielfältige öffentliche Resonanz bestätigt uns ein­drucks­voll,
wie wichtig es für uns als Kirche geworden ist, offensiv und
weithin sichtbar zu vertreten, was wir glauben. Als Kirche
müssen wir uns immer wieder klar machen, dass religiöses
Wissen nicht mehr selbstverständlich ist. Wir laufen Gefahr,
aus dem öffentlichen Raum zu verschwinden, wenn wir uns
nicht mit unseren Themen und Anliegen kräftig bemerkbar
machen.
Über die Bilder und Geschichten von unseren
Aktivitäten hinaus finden Sie auf den folgenden Seiten auch
in diesem Jahresbericht wieder viele Zahlen: statistische
Angaben über die Handlungsfelder und einen Überblick
über die Finanzen der EKHN.
Als Kirche, die sich als Teil der offenen Gesellschaft
versteht, stellen wir an uns selbst den Anspruch, unser
Handeln offenzulegen und uns der Kritik zu stellen. In
diesem Sinne danke ich Ihnen schon jetzt für Ihr Interesse,
Ihre Kritik und Ihr Lob.
Viele Menschen unterstützen uns mit ihren Kirchensteuern und Kollekten, mit ihrem persönlichen Engage­ment
und ihren Gebeten. Ihnen allen danke ich sehr herzlich
dafür. Ich erlebe es immer wieder, dass auch Menschen, die
selbst wenig am aktiven Leben der Kirche teilnehmen oder
teilnehmen können, uns im Inneren doch sehr verbunden
sind. Es ist gut, das zu wissen, und gibt Mut für die weitere
Arbeit. Sie alle ermöglichen es uns, unseren Auftrag zu
erfüllen: in die Welt das Evangelium von Gottes Liebe zu
tragen, das Menschen tröstet, bestärkt und verwandelt.
Dr. Volker Jung
Paulusplatz 1 · 64285 Darmstadt · Telefon (06151) 405-291
E-Mail [email protected]
Der Leiter der Kirchenverwaltung und Finanzdezernent
Heinz Thomas Striegler zum Thema Geld
Der finanzielle Rahmen
ist noch stabil
Der Haushaltsüberschuss 2011 fällt mit 10,1 Mio. Euro deutlich geringer aus als in den Vorjahren.
Davon sollen 9,2 Mio. Euro ausgeschüttet werden an die Beschäftigten der E­ vangelischen Kirche
in Hessen und Nassau (EKHN), um die Sonderzahlung (circa 30 Prozent eines Monatsgehalts)
aufzustocken. 0,9 Mio. Euro sollen abgeführt werden an die Rücklage für Kirchen­gemeinden und
Dekanate.
A
uch 2011 bildete die Kirchensteuer mit
Der etwas stärkere Anstieg in der Versorgungsstiftung ist
424 Mio. Euro und rund 83 Prozent den mit
vor allem auf die Zuführung von 25 Mio. Euro aus dem
Abstand größten Teil der Gesamteinnahmen
Jahresabschluss 2010 zurückzuführen.
der EKHN in Höhe von 509 Mio. Euro. Hinzu­
weisen in diesem Zusammenhang ist auf ein
Die EKHN bemüht sich schon seit über zehn Jahren
darum, ihre Rücklagen und Vorsorgegelder nach ethisch
wichtiges Detail: Bei den übrigen Einnahmepositionen wie
nachhaltigen Gesichtspunkten anzulegen. Dies hat inter­-
Zuschüssen und Kostenerstattungen, Rücklagen­entnahmen,
essanter­weise keine signifikanten Einbußen bei der Rendite
Staatsleistungen sowie Zins- und Vermögenserträgen hat
zur Folge gehabt. Im Gegenteil: Ihre hohen Anforderungen
die EKHN auf die Zuführung von Erträgen aus der Kirch­bau­
an die Transparenz ihrer Investments haben die EKHN vor
rücklage verzichtet (geplant waren 5 Mio. Euro). Sonst
manchem Fehlinvestment bewahrt. Die etwas in die Jahre
wäre bei einer Ausschüttung der Buchwert deutlicher
gekommenen Anlagerichtlinien aus dem Jahr 2000 hat
unterschritten worden. Ordentliche Erträge sollen aber nur
die Kirchenleitung nunmehr – nach Anhörung synodaler
dann aus­ge­schüttet werden, wenn dies nicht zulasten der
Aus­schüsse – durch die Übernahme des Leitfadens der
Vermögens­substanz geht. Das hätte sonst dem Grund­
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für ethisch
gedanken der Kirch­bau­rücklage wider­sprochen, die die
nachhaltige Geldanlage ersetzt. Ziel ist es, EKD-weit einheit-
Kirchengemeinden langfristig entlasten soll. Dass hier in
liche Regelungen für ethisch nachhaltige Geld­anlagen
den vergangenen drei Jahren noch keine ausreichenden
anzuwenden und die Entwicklung zu unterstützen.
stillen Reserven aufgebaut werden konnten, ist in erster
Auf der Ausgabenseite gibt es gegenüber den
Linie der schwierigen Situation an den Kapital­märkten zu­-
geplanten Budgets keine nennenswerten Abweichungen.
zuschreiben. In einem historisch niedrigen Zinsumfeld und
An den Gesamtausgaben im Jahr 2011 in Höhe von knapp
bei hoch­volatilen Aktienmärkten mussten wir besonders
509 Mio. Euro sind die Kirchengemeinden mit 281 Mio. Euro
vorsichtig agieren. Deshalb ließen sich die ­Renditen
und die Dekanate und Regionalverwaltungen mit rund
­früherer Jahre und Jahrzehnte in diesem Zeitraum nicht
77 Mio. Euro beteiligt. Das bedeutet: 70 Prozent aller
erzielen.
Ausgaben sind direkt oder indirekt – zum Beispiel durch
zentrale Kosten für die elektronische Datenverarbeitung –
Trotz dieser schwierigen Rahmenbedingungen
konnte die EKHN ihre Rücklagen insgesamt leicht erhöhen:
den Gemeinden, Dekanaten und Regionalverwaltungen
zuzuordnen. Von den rund 358 Mio. Euro Ausgaben für
Gemeinden, Dekanate und Regionalverwaltungen wurden
Rücklagen der EKHN
Hintergrundinformationen
zu den Rücklagen der EKHN
finden Sie unter
www.ekhn.de/jahresbericht.
212 Mio. Euro diesen Ebenen direkt durch Zuweisungen
Vermögen
+/– Vermögen
31.12.201031.12.2011
[Mio. Euro] [Mio. Euro] [Mio. Euro]
für Personal- und Sachkosten, Gebäudeinvestitionen und
Kinder­tages­stätten zur Verfügung gestellt. Hinzuzurechnen
sind etwa 90 Mio. Euro an Kosten für den Gemeinde­-
n
Allgemeine Rücklagen
448
+5
453
pfarr­dienst inklusive Ver­sorgung und Beihilfen. In den
n
Kirchbaurücklage
194
–2
192
fünf zentralen Handlungs­feldern der EKHN stehen diesen
n
Versorgungsstiftung
475
+ 41
516
Ebenen noch einmal rund 30 Mio. Euro zur Verfügung.
Hinzu kommen weitere rund 26 Mio. Euro an allgemeinen
6
­schließlich Schulen und die kirchlichen Schulämter und
Tagungs­häuser. Hierhin gehören unter anderem die Kosten
der ver­schiedenen Handlungsfelder, die Ausgaben für
Gesamtausgaben
2011
508,8 Mio. Euro
n
n
[Mio. Euro]
[%]
die großen Zuweisungsempfänger wie das Diakonische
281,0
55,1
Werk in Hessen und Nassau und die Evangelische Hoch­
77,0
15,1
gesamt­kirchlichen Dienstleistungen und das Rechnungs­
Gemeinden
Dekanate und
Regionalverwaltungen
schule. Hierhin gehören aber auch die Kosten für die
prüfungs­amt, die Synode, die Kirchenleitung sowie die
Kosten (Over­head­kosten) in allen Verwaltungs­bereichen
Pröpstinnen und Pröpste, die Überbrückungsfonds,
sowie die Ausgaben für Dekanspfarrstellen sowie Fach-
die Sammel­­versicherungen sowie die Rückstellungen und
und Profil­stellen einschließlich Versorgung und Beihilfen,
Rück­lagen.
Die direkten und indirekten Ausgaben für Kirchen­
für Vergütung von Umzugskosten, Kirchen­verwaltung
und Rechnungs­prüfungsamt, Aus­bildung, das Institut für
gemeinden, Dekanate und Regionalverwaltungen sind zwar
Personalberatung, Organisations­entwicklung und Super­­
gegenüber dem Vorjahr nominell leicht gestiegen, unter­
vision (IPOS) sowie Rücklagenzuführungen.
lagen zum großen Teil aber auch den langfristigen s­ ynodalen
Die verbleibenden 30 Prozent der Ausgaben gehen
an die Gesamtkirche. Die größten Posten dabei sind die Aus-
Einsparvorgaben aus dem Jahr 2007 im Zusammen­hang mit
der »Perspektive 2025«.
gaben für die Umlage der EKD, der Bildungsbereich ein-
Einsparvorgaben gemäß »Perspektive 2025«
Budgetbereiche
Einsparvorgaben [% pro Jahr]
n
Zuweisungen an Kirchengemeinden, Zuweisungen an Dekanate
0,5
n
Zuweisungen für Gebäudeinvestitionen der Kirchengemeinden
0,75
Zuweisungen an Diakoniestationen, Pfarrstellenabbau, Theologische Ausbildung, Kirchenverwaltung,
Kirchenleitung, Synode, Zentrales Gebäudemanagement, Rechnungsprüfungsamt
1,0
n
Zuweisungen an Regionalverwaltungen (25 % bei Gemeindeverbänden)
1,5
n
Handlungsfelder und Zentren
1,65
n
7
In der Herbstsynode 2011 wurde ein Zwischenfazit im
ob unser Währungssystem die Belastungen überstehen
Sinne eines Vergleichs der geplanten mit den tat­säch­lichen
wird und ob das Verhalten der Notenbanken in der rest­
Einsparungen vorgenommen.
Bis auf die Bereiche Pfarrdienst, Kinder­tages­stätten
lichen Welt nicht zwangsläufig zu mehr oder minder auch
ge­­wollten Inflationsentwicklungen führen muss. In der
und Zuweisungen an den Evangelischen Entwicklungs­
Staats­schuldenkrise kommt man immer mehr zu der
dienst, die mit synodaler Zustimmung einstweilen von den
Erkenntnis: »Die Dosis macht das Gift.« Während die
Einsparauflagen ausgenommen wurden, sind die unter­
Regularien der Europäischen Union bereits bei einer
schied­lichen Einsparauflagen in den übrigen Budget­
Staatsverschuldung von 60 Prozent des Brutto­inlands­
bereichen im Wesentlichen erbracht worden, allerdings mit
produkts den Beginn einer toxischen Wirkung definierten,
einer zeitlichen Verzögerung.
sehen verschiedene Experten die Grenze der noch ­tolerablen
Die Einsparauflagen wurden nach folgendem Grobschema umgesetzt:
Staatsverschuldung bei etwa 90 Prozent des Brutto­inlands­
produkts. Etwa ab dieser Größenordnung würde der Einfluss
der Staatsschulden so groß, dass Wachstumschancen
Einsparauflagen
Budget des Arbeitsbereichs des laufenden Jahres
– Einsparauflage (von 0,5 bis 1,65 %)
+ Inflations-/Personalkostenausgleich (etwa 2,0 %)
= Budgetobergrenze für das kommende Jahr
negativ beeinflusst werden.
Der derzeitige europäische Plan, Schulden mit
Schulden abzusichern, verschafft Zeit und ist als Sofort­
maßnahme im Notfall wohl auch zu akzeptieren, überwindet
aber die Staatsschuldenkrise nicht. Ohne Abbau der
Schulden wird die Finanzbranche auf Dauer kein Vertrauen
aufbauen, dass die Staaten auch in der Lage sind, die
an­ge­nommenen Kredite auch zu bedienen. Gleichzeitig
muss ein positives Investitionsklima gerade für die Länder
Obwohl in der Regel nominell nach diesen Vorgaben kein
in Südeuropa geschaffen werden, um aus der Negativ-
Budget reduziert werden musste, wird der Zwang, Kosten
spirale herauskommen zu können. Deutschland wird, in
und Preissteigerungen über mehrere Jahre hinweg auf-
welcher Form auch immer, einen bedeutenden Beitrag zur
­f angen zu müssen, für viele Budgetverantwortlichen zu
Stabilisierung des Euro leisten müssen. Die Bankenbranche
einem Problem. Haben sie anfangs noch versucht, die
als wichtiger Wirtschaftsfaktor im Rhein-Main-Gebiet wird
Ein­spar­auflagen intern zu verrechnen, wird nun vielen
durch die Staatsschuldenkrise immer wieder negativ
bewusst, dass die Vorgaben ohne echte Aufgabenkritik und
be­­troffen sein. Für die Einnahmesituation bei den Kirchen­
wirklichen Verzicht auf bestimmte Aufgabenbereiche nicht
steuern im Kirchengebiet birgt das Risiken. Sowohl dieser
eingehalten werden können.
Ausblick als auch die demografische Entwicklung der
Besonders die beiden großen Bereiche Pfarrdienst
Mit­glieder­zahlen stellt uns vor die Aufgabe, auch in
und Kindertagesstätten haben weniger eingespart als
Zukunft sehr bewusst hauszuhalten und künftige Aufgaben
ursprünglich geplant. Um den Druck auf sie wie auch auf
auch mit Rücklagen zu sichern.
Gerade vor diesem Hintergrund wird noch deut­
die übrigen Ausgabenbereiche nicht noch weiter zu
erhöhen, müssen alle weder die Einsparungen nachholen
noch den fehlenden Betrag ausgleichen.
licher, wie sehr die Kirche bei der Erfüllung ihrer Aufgaben
für die Menschen und die Gesellschaft auf den Einsatz und
die finanzielle Unterstützung ihrer Mitglieder angewiesen
Ausblick auf das laufende Jahr 2012
Für das Jahr 2012 hat die EKHN Steuereinnahmen in Höhe
ist.
An dieser Stelle danke ich daher herzlich all jenen,
von 420 Mio. Euro eingeplant, was etwa ein Prozent unter
die die Aufgaben der EKHN unterstützen und Kirchen-
dem Ergebnis des Vorjahrs liegt. Die Steuereinnahmen bis
steuern zahlen. Sie ermöglichen damit erst die Arbeit in
Ende April bestätigen bislang diese Planung.
den Bereichen der Verkündigung, der Seelsorge und
Nach allgemeiner Auffassung ist für 2012 weltweit
Beratung, der Diakonie und der Ökumene sowie in der
mit einer Abkühlung der Konjunkturdaten zu rechnen.
Bildung und der gesellschaftlichen Verantwortung. Noch
Nach wie vor besteht eine große Unsicherheit darüber,
einmal: Herzlichen Dank!
Heinz Thomas Striegler
Leiter der Kirchenverwaltung und Finanzdezernent
Paulusplatz 1 · 64285 Darmstadt · Telefon (06151) 405-296
E-Mail [email protected]
8
Kleine Geschichte der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN)
Protestanten eben
Die Idee ist fünfhundert Jahre alt und sie lautet schlicht: größtmögliche Beteiligung der
Menschen – auch in Fragen des Glaubens. Hinter diesem Leitsatz steht eine Erkenntnis, die der
Reformator Martin Luther Anfang des 16. Jahrhunderts nach intensivem Studium der Bibel und
besonders der Briefe des Apostels Paulus gewann: Jeder Mensch kann in seinem persönlichen
Glauben die Gnade Gottes erfahren – ganz ohne die Vermittlung kirchlicher Zwischeninstanzen.
L
uther konnte nicht ahnen, dass dieser Gedanke
Solche Protestanten gibt es im Gebiet der Evangelischen
faktisch das Mittelalter beenden und die Neuzeit
Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) bereits seit den
mit begründen würde. Aufklärung, Demokratie­
Anfangs­jahren der Reformation. Dennoch ist die EKHN in
bewegungen und auch modernes Management
ihrer heutigen Gestalt eine der jüngsten evangelischen
sind ohne Luthers Idee von der Beteiligung der
Landeskirchen in der Bundesrepublik Deutschland. Mit
betroffenen Menschen nicht vorstellbar. Weil sich die
ihrem Selbstverständnis, ihrer Philosophie und ihrer Grund­-
­evangelischen Christen seit Luther nicht mehr den Mund
ordnung steht sie fest in der protestantischen Tradition der
verbieten ließen, protestierten sie am 19. April 1529 in
Beteiligung und der Mündigkeit aller Gemeinde­mitglieder.
Speyer feier­lich gegen eine kaiserliche Entscheidung, die
sie ins Unrecht setzen sollte. Sie handelten sich damit bei
Diese Tradition stand den Vätern und Müttern der
EKHN-Verfassung von 1947 besonders lebhaft vor Augen.
der Gegenseite den Spitznamen »Protestanten« ein. Aber
Sie hatten eines während des Dritten Reiches, den Zeiten
schon bald übernahmen sie den Spitznamen als einen mit
der politischen Gleichschaltung und der Verfolgung der
Selbst­bewusstsein getragenen Ehrennamen für mündige
protestantischen und protestierenden Bekennenden Kirche,
evangelische Christen: Protestanten eben.
noch einmal neu gelernt: Evangelischer Glaube lässt sich
9
Kennzahlen der EKHN 2011
Kirchengebiet der EKHN
Bevölkerung im Kirchengebiet
n davon EKHN-Mitglieder
mit erstem Wohnsitz innerhalb der EKHN
n Propsteien
n Dekanate
n Gemeinden
n Beschäftigte
n Ehrenamtliche
davon circa zwei Drittel Frauen,
ein Drittel Männer
13.359 km2
5 Mio.
n
n
Kassel ■
1,7 Mio.
6
47
1.170
ca. 20.000
ca. 65.500
■
Korbach
Hallenberg ■
■
Bromskirchen
Battenberg ■
Nordrhein-Westfalen
■ Siegen
■
Hessen
Biedenkopf
■
Marburg
Gladenbach ■
Hachenburg ■
■
Haiger
■
Hohensolms ■
■
■
Montabaur
■
Koblenz ■
■
■
■
Gießen
Weilburg
■
■
■
Marienfels
■
■
■
■
■
Friedberg
Bad Schwalbach
■ Taunusstein
Eltville ■
Rüdesheim ■
■
■
Büdingen ■
Mainz ■
Karben ■
Bad Vilbel ■
Frankfurt ■
■ Wiesbaden
■
Ingelheim
■
Seligenstadt ■
■
Rüsselsheim
Dietzenbach
■
Langen
■
■
Groß-Gerau
■
Bad Kreuznach ■
■
Badenheim
■
Wöllstein
Darmstadt ■
Riedstadt ■
■
■
■
Alzey
Rheinland-Pfalz
Gernsheim
■
Bürstadt
Worms ■
Ludwigshafen ■
Bayern
Dieburg
Höchst ■
Seeheim-Jugenheim
Michelstadt ■
Bensheim
■
■
Heppenheim
■
■
10
■
Aschaffenburg
Groß-Umstadt ■
■ Ober-Ramstadt
Pfungstadt
Osthofen ■
■
Hanau
■ Offenbach
Neu-Isenburg ■
Bingen
Nierstein ■
Oppenheim ■
Ortenberg
Herrnhaag ■
Bad Soden ■
■
Freiensteinau
Nidda
■
■
Bad Homburg ■
Oberursel ■
Idstein
■
Gedern
Bad Nauheim
Schmitten ■
Nastätten ■
Schotten
Butzbach
■
St. Goarshausen
Laubach
Gambach
Usingen ■
Nassau
■
Limburg
Bad Ems
■
Grünberg
Fernwald
Lich ■
Wetzlar
Weilmünster ■
Runkel
Lahnstein
■
■
■
■
Diez ■
Lauterbach ■
Mainzlar
■
Selters
Höhr-Grenzhausen
■
Waldgirmes ■
■
Alsfeld
Homberg
Schlitz ■
Fraurombach ■
Westernohe ■
■ Westerburg
■
■
■
Dillenburg
Herborn ■
Bad
Marienberg
Bad Hersfeld
Oberdieten
■
■
■
Amorbach ■
Zotzenbach
Beerfelden ■
Viernheim
■ Mannheim
Heidelberg ■
Erbach
Baden-Württemberg
■
Neckarsteinach
Fulda
Mitgliedschaften in der EKHN 2011
nicht hierarchisch verordnen, er kann nur im Gespräch,
in der Diskussion und gegebenenfalls auch im Streit der
Mitglieder
Aufnahmen insgesamt
davon:
n Kindertaufen
n Aufnahmen mit Erwachsenentaufen
n Wiedereintritte
n Austritte
n Bestattungen
n
Christen lebendig bleiben. Gelernt hatten sie zudem: Auch
n
Kirchenleitungen können dazulernen – und manchmal
müssen sie das sogar.
Seit 1947 ist aus den drei ehemals selbstständigen
Kirchen im alten Großherzogtum Hessen, der alten
preußischen Provinz Nassau und der Freien Reichsstadt
1.706.128
17.152
12.621
4.531
1.702
10.545
20.722
Frankfurt eine Kirche entstanden, in der sehr unter­schied­
liche Arten des Lebens und des Glaubens nebeneinander
und miteinander existieren. Es gibt in der EKHN Gemeinden
Zwischen dem Frömmigkeitsstil einer Gemeinde im Dillkreis
ganz unterschiedlicher Bekenntnisse und unterschiedlicher
und dem einer Innenstadtgemeinde Frankfurts mögen
Geschichte: Lutheraner in der Tradition Martin Luthers,
Welten liegen und doch entsenden die Dekanate an der Dill
Reformierte in der Tradition der Schweizer Reformatoren
ebenso wie die in Frankfurt einträchtig ihre Ver­treter in die
Ulrich Zwingli und Johannes Calvin, Französisch-Refor-
zweimal jährlich tagende Kirchensynode, wo alle wichtigen
mierte als Nachkommen von französischen Hugenotten-
Fragen der EKHN verhandelt und entschieden werden.
und italienischen Waldenser-Flüchtlingen und Unierte, in
Das geht nie ohne Diskussionen und häufig nicht
deren Gemeinden Lutheraner und Reformierte sich bereits
ohne Streit ab, aber die EKHN lässt sich auch nicht so
im 19. Jahrhundert zusammengeschlossen haben.
schnell auseinanderdividieren, im Gegenteil: Die Vielfalt
Lutherisch, reformiert, uniert
A
us den Anfängen der Reformation haben sich zwei
Kirchen sind Kanzel und Altar nebeneinander angebracht.
große theologische Traditionslinien entwickelt:
Bilder sind willkommene Anregungen für den persönlichen
die reformierte und die lutherische. Die reformierte
Glauben.
Konfession breitete sich von Zürich, Basel, Straßburg
und Genf überwiegend im Süden und im Westen aus. Die
Ein wichtiges Merkmal ist die Wechselwirkung
zwischen dem Glauben und der Lebensgestaltung. Die
lutherische strahlte von Wittenberg überwiegend in den
reformierte Konfession hat dabei neben der Rechtfertigung
Norden und den Osten aus. Fürsten und Stadträte führten
allein durch den Glauben das Element der Heiligung gestellt.
in ihrem Gebiet die Reformation in unterschiedlicher
Ihm zufolge lässt sich aus dem Verlauf des Lebens erkennen,
Prägung ein. Reformierte und lutherische Kirchen­
ob ein Mensch Gottes Wohlgefallen gefunden hat oder nicht.
ordnungen wurden festgelegt. In den reformierten Stadt­-
Ein geheiligtes Leben ist demnach ein sichtbar gesegnetes,
staaten der Schweiz, die von Räten geführt wurden,
mithin auch ein äußerlich erfolgreiches Leben. Manche
entschied man sich, auch die Leitung der Kirche einem
haben dabei auch wirtschaftlichen Erfolg als Folge ihres
Gremium zu übertragen (synodales oder presbyteriales
Glaubens verstanden. Die lutherische Konfession lehnt es
Prinzip). Die lutherische Konfession wurde überwiegend
dagegen ab, vom weltlichen auf den geistlichen Zustand zu
in traditionellen Fürstentümern eingeführt und legt die
schließen – oder umgekehrt.
Leitung in die Hand einer Person (bischöfliches oder
episkopales Prinzip).
In der Liturgie stellt die reformierte Konfession das
Seine wesentlichen theologischen Einsichten hat
Luther im »Kleinen Katechismus für Unterricht und Seelsorge« zusammengefasst. Sein reformiertes Pendant ist der
gesprochene Wort und damit die Predigt in den Mittelpunkt
»Heidelberger Katechismus«. Beide sind im Evangelischen
des Gottesdienstes. Die lutherische Konfession ist hier
Gesangbuch abgedruckt.
näher an der katholischen Praxis, zu der mehr sinnliche
Bis Anfang des 19. Jahrhunderts waren die Fürsten-
Elemente gehören. Beim Abendmahl gibt es verschiedene
tümer konfessionell einheitliche Territorien. Im Zuge
theologische Auffassungen, ob Christus im Abendmahl
der Neuordnung Europas nach Napoleon entstanden kon-
selbst real oder symbolisch präsent ist.
Die theologischen Programme spiegeln sich auch
fessionell gemischte Gebiete. Dort hat sich eine unierte
Konfession entwickelt, die die Vielfalt nicht als Mangel an
im Kirchenbau wider. Reformierte Kirchen sind betont
Einheit begreift, sondern als Reichtum und als legitimes
schlicht, damit nichts die Wahrnehmung des Wortes stört.
Abbild dafür, dass die Kirche in der Welt nur eine vorläufige
Die Kanzel als Symbol des in der Predigt gesprochenen
Gestalt hat und haben kann.
Wortes steht oftmals über dem Altar. In lutherischen
n
11
Pfarrstellen in der EKHN 2011
EKHN-Mitarbeiter/-innen 2011
[Stellen]
n
Gemeindepfarrstellen
1.036
Regionale Pfarrstellen:
Schulpfarrstellen
n Pfarrstellen in der Spezialseelsorge
n Fach- und Profilstellen
n Dekaninnen und Dekane
n Pfarrstellen in der Stadtkirchenarbeit
n Pfarrstellen in den Studierendengemeinden
n Pfarrstellen in der Stadtjugendarbeit
n
154
135
70
35
9
8
5
416
n
n
Landeskirchliche Pfarrstellen
einschließlich Kirchenleitung
und Kirchenverwaltung
n Pfarrstellen
insgesamt
109
1.561
der Stimmen und Sichtweisen lässt immer wieder über­-
[Beschäftigte]
Beschäftigte ohne Pfarrdienst
mit mindestens einer halben Stelle:
n Erzieher/-innen
n Sekretariat/Sachbearbeitung
n Krankenpflegeberufe
n Gemeinde-/Sozialpädagogik, Sozialarbeit
n Reinigungskräfte
n Hauswirtschaft
n Küster/-innen und Hausmeister/-innen
n Kirchenmusiker/-innen
n andere Berufe
n
n
Beschäftigte mit weniger als einer halben Stelle
n
Beschäftigte insgesamt
5.152
1.250
674
960
505
458
393
131
1.789
11.312
9.709
21.021
schaftlichen und politischen Fragen wie der wachsenden
raschende Impulse und gesellschaftliche Initiativen ent-
Kluft zwischen Arm und Reich in unserem Land oder auch
stehen. Eine Konstante ist dabei das Erbe ihres ersten
zu Auswüchsen im Geschäft der Banken.
Kirchenpräsidenten, Martin Niemöller. Er war im Ersten
Aber die EKHN steht auch selbst vor großen
Weltkrieg U-Boot-Kommandant, studierte dann Theologie
internen Herausforderungen: Welche Aufgaben erwarten
und gehörte als Pfarrer in Berlin zu den Gründern der
die evangelische Kirche in einer Gesellschaft, die mehr
Bekennenden Kirche gegen den Nationalsozialismus. Das
und mehr durch Zuwanderer aus anderen Ländern Kulturen
brachte ihm sieben Jahre Konzentrationslager bis zum
und Religionen geprägt sein wird? Wie wird sich der demo-
Kriegsende ein. Nach dem Krieg widmete er sich un­ermüd­
­grafische Schwund von etwa 200.000 Mitgliedern auf ihre
lich der Aufgabe, für Frieden und Versöhnung zu werben
wirtschaftliche Situation auswirken? Welche Schwerpunkte
und gegen Atomwaffen und Aufrüstung zu kämpfen.
der kirchlichen Arbeit sollen auch dann noch unbedingt
Auch in den folgenden Jahrzehnten hat sich die
erhalten werden? Wie viele Pfarrerinnen und Pfarrer wird
EKHN immer wieder für Themen starkgemacht, um die in
die EKHN haben, wenn ab 2017 viele von ihnen in den
der Öffentlichkeit heftig gestritten wurde. Ob es um die
Ruhestand gehen werden? Klar ist: Die EKHN wird dann
Bekämpfung von Rassismus ging oder Asylpolitik, um den
immer noch flächendeckend präsent sein. Aber wie viele
Ausbau des Frankfurter Flughafens, die Gleichstellung von
Gemeinden wird es dann – sinnvollerweise – noch geben und
Frauen und Männern oder die wachsende Kluft zwischen
wie werden die Strukturen in Dekanaten und Propsteien
Arm und Reich in der Bundesrepublik: Die Diskussion
aussehen?
darüber beschäftigte immer wieder viele Gemeinden und
führte nicht selten zu engagierten Erklärungen der Kirchensynode, die auch eine politische Wirkung entfalteten.
In dieser Tradition steht heute zum Beispiel das
Viele Fragen sind im Detail zu diskutieren und zu
klären. Viele Antworten zeichnen sich erst in Umrissen ab.
Sicher ist: Das Evangelium von Jesus Christus wird weiter in
den Gemeinden und auf vielen anderen Wegen verkündet
Engagement der EKHN-Synode und vieler Gemeinden gegen
werden. Und bleiben wird auch der urprotestantische Weg,
den zunehmenden Fluglärm des Flughafens Rhein-Main
so viele mündige Christen wie möglich in das Gespräch über
durch die neue Landebahn und veränderte Flugrouten
den Weg der Kirche einzubeziehen.
ebenso wie die Initiativen gegen den Lärm durch den
wachsenden Bahnverkehr auf den Strecken im Rheintal.
Hierher gehören auch die Wortmeldungen der EKHN zu wirt12
n
Juni 2011, Pfingsten
Open-Air-Gottesdienst auf dem Römerberg in Frankfurt
Toleranz und Fair Play
Wie präsentiert sich die evangelische Kirche in einer weltoffenen, internationalen, aber kaum
mehr religiös geprägten Stadt? Wie mischt sie sich ein mit ihrem traditionellen Angebot ins
öffentliche Gespräch? – Am Pfingstmontag feiern die Frankfurter ein großes internationales
Fest. Die Kirchen sind dabei, mit einem längst schon traditionellen ökumenischen Gottesdienst
auf dem Römerberg. Auch 2011, im Jahr der Fußballweltmeisterschaft der Frauen in Deutsch­
land: wenige Wochen vor Beginn der Spiele im pfingstlichen Geist von Fair Play, Toleranz und
Völkerverständigung.
T
ypisch Frankfurt: Zwei Japanerinnen stehen
regen, doch das stört niemanden. Für die einen ist dies das
zusammen unter einem Minischirm und wippen
traditionell an diesem Tag stattfindende inter­religiöse und
zur Musik, eine Gruppe Ordensfrauen schaut
interkulturelle Fest – für andere der spezielle Akzent dieses
sich erwartungsvoll um. Ein dunkelhäutiges
Jahres: die Fußball-WM der Frauen.
Paar, das einen guten Platz vor der großen Bühne
gefunden hat, klatscht im Takt. In ihren traditionellen
Gelebte Integration – auch in der Kirche?
afrikanisch-farbenprächtigen Gewändern strahlen sie eine
Das Motto »Dabei sein können alle« spielt auf ein kurzes
fröhliche Stimmung aus. Zweitausend Menschen jeden
Video an, das mit der Nationalmannschaft der Frauen
Alters, national und religiös kunterbunt gemischt, strömen
produziert worden ist. Am Schluss des Films sagt Trainerin
an diesem Pfingstmontag auf den Römerberg, um gemein-
Silvia Neid: »Mitspielen wollen viele – dabei sein können
sam den ökumenischen Pfingstgottesdienst 2011 unter
alle.« Gabriele Scherle, Pröpstin für die Region Rhein-Main,
freiem Himmel zu erleben. Noch tröpfelt leichter Niesel­
formuliert daraus eine nachdenkliche Frage: »Unsere
13
spielen können«. Jetzt gleich nämlich sind sie selbst auf der
Bühne Botschafterinnen des Mädchenfußballs und viel zu
aufgeregt, um weiter Interviews geben zu können. Mit
ihrem Trainer haben sie überlegt, wie sie die Liturgie mit
Balljonglage unterstützen können, und heftig dafür geübt.
»Was auch immer passiert«, zwinkert der ihnen jetzt zu,
»danach gehen wir Eis essen!« Nichts geht schief. Alles
klappt wunderbar.
Während der Liturgie kommt Begeisterung unter
den Teilnehmern auf, die Dialogpredigt von Kirchen­
präsident Volker Jung und der kurhessischen Prälatin
Marita Natt mündet in eine Luftballonaktion, die auf die
Gemeinde überspringt. Nur der orthodoxe äthiopische
Pfarrer verzieht keine Miene. Seine Meinung zum OpenAir-Gottesdienst? Er lächelt diplomatisch: »Es geht.«
Klar ist: So eine offene Veranstaltung zählt für ihn nicht als
echter Gottesdienst. Die meisten sehen das anders. Ein
kalifornischer Pfarrer aus San Francisco hat auf der Bühne
einen Teil der Pfingstbotschaft auf Englisch vorgetragen
deutsche Mannschaft mit Frauen aus vielen verschiedenen Herkunftsländern steht für gelebte Integration. Wir
here!« Ungewöhnlich sei es, herrlich, »the Spirit«, den
als Kirchen fragen uns: Gilt das auch für uns? Sind wir auf
Heiligen Geist zu spüren und das in Verbindung mit Fuß-
einem guten Weg, bewegt vom Geist Gottes, Herzen und
ball. Auch der katholische Stadtdekan Johannes zu Eltz
Türen zu öffnen für die Menschen um uns herum?«
ist angetan: »Es imponiert mir sehr, wie offen Pfarrer
Die Musik verbindet als roter Faden die Botschaften
Eckert auf die Menschen und deren Belange reagiert.
der Menschen, die auf der Bühne zu Wort kommen. In
Das gehört auch zum Heiligen Geist: dass es nicht so abge-
diesem Jahr trägt sie ganz deutlich die Handschrift von
standen ist.«
Studenten- und Stadionpfarrer Eugen Eckert. Bei solchen
Open-Air-Veranstaltungen ist er in seinem Element. Die
Band Habakuk, zu der er selbst gehört, die Posaunenchöre
der Propstei und die professionellen Bläser von Blech pur
spielen wunderbar zusammen.
Ein Höhepunkt dieses Pfingstmontags ist das
Gespräch mit Steffi Jones, der Präsidentin des Organisations­
komitees der Frauen-WM. Als sie ans Mikrofon tritt, ist nur
noch das Klicken der Journalistenkameras zu hören.
Weltweit hat sie als Botschafterin für die WM geworben,
darunter in den USA, Japan, Korea, Nigeria. Eugen Eckert
fragt: »Auch als Botschafterin für Menschenrechte?«
Steffi Jones lächelt. »Ja natürlich. Ich bin in Frankfurt
groß geworden und habe mich hier wohlgefühlt. Ich weiß
auch, dass man diskriminiert werden kann. Aber: Fußball
bedeutet für mich immer: Integration, Toleranz und Fair
Play.« Als dann noch der Frankfurter Stadtkämmerer hin­zu­gebeten wird und erklärt: »Wir sind das Herz des Frauen­
fußballs, darauf sind wir stolz!«, brandet stürmischer Beifall
auf.
»Great to be here!«
Auch die neun- bis14-jährigen Nachwuchsfußballerinnen
aus Hanau und Gelnhausen jubeln mit. »Das ist neu – und
neu ist immer gut«, findet die elfjährige Julia. Die gleich­
altrige Celina ist vor allem stolz darauf, dass »gleich ganz
viele Leute sehen können, dass Mädchen auch gut Fußball
14
und ist noch ganz bewegt: »It’s wonderful, so great to be
n
Juni 2011, Hessentag
Traumkirche und Musical »Ursula« auf dem Hessentag in Oberursel
Gottes Farben
Kirche gehört unter Menschen. Vom Hessentag ist die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau
(EKHN) mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Seit vielen Jahren wartet sie dort mit einem
vielfältigen Programm auf. Im Jahre 2011 lockte sie Besucherinnen und Besucher in die
aufwendig umgestaltete Traumkirche und in die Uraufführung eines Musicals über das Leben
der Namenspatronin der gastgebenden Stadt, die als christliches Vorbild verehrte Ursula.
M
agenta, grün und blau schillern die Orgel­
pfeifen der Oberurseler Christuskirche,
Orchideen werfen bunte Schatten. Auf der
Empore laden riesige Kissen zum Ent­spannen
ein. Dazu wehen zarte Instrumental­klänge
durch den Raum. Am Kirchengewölbe pulsieren Farb­licht­
wellen. Sachte, sachte scheint das Dach zurückzufahren,
es gibt Raum für den Nachthimmel. Sterne funkeln auf,
Wolken­bilder ziehen vorbei. Ein Traum? Nein, eine Licht­
projektion. Sie eröffnet einen Raum für Träume, eine
Traumkirche. Die Christuskirche präsentiert sich ver­
wandelt durch Pflanzen und Licht. Komplett mit weißen
Tüchern verhüllt, auf denen sich bunt die Schatten von
beleuchteten Orchideen abzeichnen, bietet sie ein un­­ge­
wohntes Kirchengefühl, eine Atmosphäre zwischen
Felsen­dom und Exotarium. Im Säulengang des Mittelschiffs
ist ein Sinnenparcours aufgebaut, der mit dem Duft von
Lilien und Äpfeln lockt oder dem Tasterlebnis von Pflanzen­
blättern und Birkenrinde.
»Kirchen werden oft als eine Art Museum erlebt.
Wir wollen erreichen, dass die Kirche die Menschen im Hier
und Jetzt berührt«, sagt Wolfgang Weinrich, Hessentags­
beauftragter der EKHN. Dafür hat er das Modell »Themen­
kirche« entwickelt. Die Gestaltung ist auf jedem Hessentag
einem theologischen Thema gewidmet, das im Alltag der
Menschen eine wichtige Rolle spielt. Wie das Träumen.
Alb­träume, schöne Träume oder Wunschträume begleiten
Menschen in allen Lebenslagen. Die Bibel hat viel zum
Thema Träume zu sagen, aber eigenartigerweise kommt
das in der Kirche nur selten zur Sprache. Hier setzen die
Themenkirchen an, mit Überraschungen aus der Bibel, der
Mittlerin zwischen Irdischem und Göttlichem.
Mehr als 130.000 Besucher in zehn Tagen
Die knapp 100 Jahre alte Oberurseler Christuskirche ist die
dritte evangelische »Themenkirche« auf einem Hessentag.
Für zehn Tage findet in dem völlig umgestalteten Raum eine
Art Dauergottesdienst statt, oft mit nur wenigen Worten,
15
dafür aber umso vielfältigeren Anregungen für die Sinne.
erfrischtem Sinn. Das bezeugen die Gästebucheinträge:
Und es gibt Andachten, Konzerte, Lesungen, Kabarett,
»Dem Himmel ein wenig näher: Gottes Farben sind bunt,
Impulse zum Nachdenken und jeden Abend ein Nachtgebet.
heißen uns willkommen.« »Ein Ruhepol im Alltag« und
Und stets ist die Kirche dicht gefüllt. Oft warten dichte
»Sehr schön – super jugendlich – angenehm: Chill-Kirche!«
Menschentrauben auf Einlass, mehrfach müssen die ehren­amtlichen Helferinnen und Helfer den Strom der Besucher
Ursula – eine Geschichte von der Liebe
anhalten, damit das Gebäude den Ansturm bewältigen kann.
Vorher hätte wohl kaum jemand in Oberursel die Geschichte
An diesen herrlichen Frühsommertagen werden
der heiligen Ursula erzählen können. Aber die Hessentags­
schließlich mehr als eine Million Menschen in Oberursel
besucher und viele Einheimische sind neugierig. Zweimal
gewesen sein. Weit mehr als 130.000 von ihnen werden die
sind die knapp 2.000 Plätze in dem riesigen Hessentagszelt
Kirche neugierig betreten haben. Manche setzen sich gleich
fast ausverkauft. Es wird für alle eine große Überraschung.
nach dem Eintreten auf einen der Holzstühle und staunen.
Die Zuschauer erleben routinierte Schauspieler und den
Andere erklimmen die ächzenden Holzstufen, genießen
Saal füllende, geschulte Stimmen, professionelle Kostüme
den Blick von oben und entdecken die Kissen direkt vor der
und eine schlichte, aber pfiffige Bühnenausstattung.
Orgel. Dort lässt sich das Spiel der Farben besonders ent­­spannt beobachten.
Doch nicht jeder ist sofort begeistert. Bernd Beck
Mit Verve erzählt das Musical eine verzwickte
Liebesgeschichte. Denn die Liebe hat viele Spielarten. So ist
die zwischen Menschen etwas anderes als die Liebe zu Gott.
aus der Oberurseler Gemeinde gesteht: »Erst konnte ich mir
Es geht um die uralte Legende von der Prinzessin Ursula. Der
das gar nicht vorstellen, aber jetzt – gefällt es mir doch.« Er
Feldherr Conan will sie zu seiner Frau machen. Er möchte
gehört in dieser Hessentagswoche zu jenen, die täglich ein
mit ihr eine neue Siedlung und ein neues Fürsten­geschlecht
grünes Helfer-T-Shirt überziehen und in der Kirche als
gründen. Als König von Cornwall, Ursulas Vater, steht
Ansprechpartner bereitstehen. Die Beobachtungen des
Oberursels Bürgermeister Georg Brum auf der Bühne. Mit
60-jährigen aus den ersten Tagen: »Die Jungen finden
sichtlicher Freude verkündet er, was der Autor des Musicals,
das gut, aber Ältere verstehen oft nicht, dass man sich
der Oberurseler Pfarrer Fabian Vogt, ihm in den Mund legt:
in der Kirche so ›hinfläzen‹ darf. Manche rennen einfach
»Wer wollte nicht für eine bessre Gesellschaft kämpfen?!«
nur schnell durch, aber die meisten lassen sich auf die
Installation ein und bleiben.« Wer sich dann wieder auf den
Besonders Frauen sind angetan
Weg nach draußen macht, geht mit leuchtenden Augen und
Allein, Ursula hat einen Schwur getan: Ihre Liebe und ihr
Leben will sie ausschließlich Gott und dem Glauben widmen.
Dabei bleibt sie und gerät jedes Mal in Rage, wenn irgend-
Traumkirche
Vorbereitungszeit: ein Jahr
Hauptamtliche: sieben
n Ehrenamtliche: 250
n Mitwirkende: 600
n Veranstaltungen: mehr als 50
n Sponsoren: Zimmer + Rohde, Stadt Oberursel,
Dekanat Hochtaunus
n Kooperation: Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck,
Diakonisches Werk Hochtaunus
n Arbeitstage vor Ort: zwölf
n Kosten für die EKHN: 135.000 Euro
n Besuchende: über 130.000
n
n
16
ein Mann meint, über ihr Leben bestimmen zu können. Das
ist witzig und frech inszeniert und weckt besonders bei den
Frauen im Publikum große Sympathie. Die pointierten
Dialoge ernten immer wieder Szenenapplaus. Doch die
Zeiten sind unruhig und der Fall verwickelt: Ursula reist mitsamt ihren Zofen und Conans Soldaten Richtung ­Bretagne
und gerät nach stürmischer Irrfahrt bei Köln mitten in die
Eroberung der Stadt durch die Hunnen. Hunnenkönig Attila
ist von der streitbaren Prinzessin entzückt und macht ihr
ein verlockendes Angebot: Wenn Ursula ihn heiratet, wird er
die Einwohner Kölns am Leben lassen.
Heilige durch und durch, bleibt sie standhaft und das
Schicksal der armen Kölner scheint besiegelt. Doch am
Ende der frommen Legende und des Musicals rettet Ursulas
Glaubenstreue einem Großteil der Städter doch das Leben
und treibt die Hunnen in die Flucht. Jessica Simon, die
Ursula von Cornwall Gesicht und Stimme gibt, nimmt am
Schluss stehende Ovationen entgegen.
Mehr als »Oberurseliges«
Der Autor des Musicals, Fabian Vogt, ist nicht nur Pfarrer in
»Mit dem Musical wollten wir Stoff zum Nachdenken über
Oberursel, sondern außerdem Musiker und Kabarettist, und
Liebe und Glauben liefern und im Programm ein lokales
»Ursula« ist nicht sein erstes Musical. Auch die anderen
Glanzlicht setzen«, sagt Fabian Vogt. »Außerdem fanden
Akteure sind keine Anfänger. Musikalische Farbe und Tiefe
wir, dass das Programm des Oberurseler Hessentags noch
geben dem Stück ein wogender 120-köpfiger Chor und elf
etwas Eigenes braucht, etwas Oberurseliges.« Das fanden
Musiker. Aus wenigen Requisiten – etwa einem dicken
die Menschen wohl auch. Anfang Oktober wurde das
Seil – entsteht die Illusion eines schwankenden Schiffs.
Musical wegen der großen Nachfrage noch einmal aufge­
Die Liebe selbst schwebt als Tangopaar durch die Szenerie.
führt.
Die Gruppe Sweet Fire Devils tanzt Meereswellen, spielt
Bedienstete des Hunnenkönigs oder gibt Träumen Gestalt.
n
Hessentagsmusical »Ursula«
Mitwirkende: 160
Vorbereitungszeit: ein Jahr
n Proben: vier Tage
n Zuschauer: 6.000
n
n
Eine Hörprobe sowie Informationen über CD oder DVD
finden Sie unter www.ursula-das-musical.de.
17
Juli 2011
Gottesdienst auf der Schleuseninsel in Runkel an der Lahn
Regen macht nichts
Gottesdienste im Grünen erfreuen sich – meist im Sommer – steigender Beliebtheit. Der enge
Kontakt zur Umgebung öffnet vielen ein tieferes Gespür für die Natur als Schöpfung und für
das Leben als Geschenk Gottes. Die Schleuseninsel in Runkel mitten in der Lahn bietet dafür
einen besonders geeigneten Ort. Gottesdienstbesucher werden mit historischen Holzbooten
dorthin gerudert.
N
ebelschwaden hüllen die Runkeler Burg ein.
Nur hin und wieder ist durch den leichten
Nieselregen ein Blick auf den mächtigen Berg­
fried möglich.
Es ist ein Sonntagmorgen Ende Juli, eigentlich
sollte die Sonne bei sommerlichen Temperaturen vom
Himmel strahlen, wie es in den vergangenen Jahren immer
der Fall war. Denn die evangelische Kirchengemeinde feiert
ihren Gottesdienst auf der Schleuseninsel in der Lahn. Seit
etlichen Jahren ist das so.
»Die ganze Gemeinde, ja das ganze Dorf freut sich
auf diesen besonderen Gottesdienst. Im Sommer mitten in
der Natur unter hohen alten Bäumen umgeben von Wasser
Gottesdienst zu feiern«, sagt ein Besucher. Dies ist etwas
Besonderes. »Die Nähe zu Gott, der Wert der Schöpfung
ist hier viel sinnlicher, direkter erfahrbar als in der doch
eher dunklen Kirche.« Deshalb sind dieser und andere
Frei­luft­gottesdienste besonders gut besucht. – Auch wenn
es regnet.
Pfarrer Carsten Adams und viele fleißige Helfer des
Vereins RunkeLahner haben vorgesorgt. Ein großes Zelt
bietet Schutz, nicht nur für die Gemeinde, auch für die
Pfarrerband Level 32 des Dekanats Runkel. Während diese
»Down by the Riverside« intoniert, machen die Runke­
Lahner am Ufer ihre historischen Nachen los. Die hölzernen
Ruderboote haben die Vereinsmitglieder gebaut. Sie
kommen nur zu besonderen Gelegenheiten zum Einsatz.
Das ganze Dorf ist versammelt
Eine dieser Gelegenheiten ist der Gottesdienst. Das Zelt ist
bis auf den letzten Platz gefüllt, als er beginnt. Viele, vor
allem jüngere Menschen, die keinen Platz mehr gefunden
haben, singen draußen auf der feuchten Wiese das Eingangs­lied mit: »Großer Gott, wir loben dich«. Gottes­dienst im
Freien, sagen auch die anwesenden Konfirmanden, macht
viel mehr Spaß als in der Kirche oder im Gemeinde­haus. Für
die RunkeLahner ist der Gottesdienst ein Höhepunkt ihres
18
Freiluftgottesdienste
Im Bereich der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau gibt
es etwa 280 Orte, an denen Freiluftgottesdienste stattfinden.
Die »Saison« beginnt traditionell mit Himmelfahrt (2011 gab es
hier allein 54 Gottesdienste) und reicht bis zur Waldweihnacht.
Letztere erfreut sich zunehmender Beliebtheit.
und ist eine gute Gelegenheit, die Nachen zu nutzen.
Orte: überall, wo es schön ist! Beispielsweise auch
n in Frankfurt-Riedberg, Bonifatiusbrunnen
Geodaten: 50° 17’ 68” Nord, 8° 63’ 82” Ost
n in Frankfurt-Dornbusch, Kirchplatz
Geodaten: 50° 14’ 03” Nord, 8° 67’ 34” Ost
n am Glaskopf/Taunus (ab Juni jeden Sonntag)
Geodaten: 50° 12’ 54” Nord, 8° 25’ 46” Ost
n im Freilichtmuseum Hessenpark, Neu-Anspach/Taunus
(ab Juni mehrmals im Monat)
Geodaten: 50° 31’ 56” Nord, 8° 53’ 91” Ost
n in der Andachtsstätte »Not Gottes« im Erbacher Brudergrund,
Erbach (Odenwald)
Geodaten: 49° 67’ 20” Nord, 8° 99’ 36” Ost
Pfarrer Adams hat 2007 sofort zugesagt, als der Verein ihn
Weitere Informationen finden Sie auf www.freiluftkirche.de.
Vereinslebens. Er »krönt unser Fest ›Fährmann hol’ über‹«
bat, einen Gottesdienst auf dem Fest zu feiern. Inzwischen,
das bestätigt der Ortsvorsteher, kommt »das ganze Dorf, wie
man sieht, auch bei Regenwetter«.
Gottesdienste in der EKHN 2011
In seiner Predigt greift der Pfarrer einen Gegen­
stand auf, der mit Wasser, Boot fahren und Gefahr
zusammen­hängt: den Rettungsring. Der hilft in gefähr­
lichen Situationen. Ein Ruderer oder Schwimmer braucht
ihn nicht ständig, aber er weiß: Wenn ich ihn mal brauche,
kann ich mich daran festhalten. Ein Bild für den Glauben.
Invokavit (Beginn der Passionszeit im Februar)
Karfreitag
n Erntedank
n Erster Advent
n Heiligabend
n
Längst ist das letzte Lied gesungen, der Pfarrer hat
den Segen gesprochen, aber viele aus der Gemeinde sitzen
immer noch im Zelt. Die Pfarrerband lädt zum Mitsingen ein,
manche diskutieren über die Predigt, andere genießen
n
57.775
73.889
135.757
82.141
532.613
Der Gottesdienstbesuch sinkt parallel zur Mitgliederzahl
leicht. Seit Jahrzehnten besuchen etwa vier Prozent der
Mitglieder den Gottesdienst.
einfach noch die Natur. Es hat aufgehört zu regnen. Die
Burg Runkel erhebt sich inzwischen gut sichtbar über dem
Lahntal. Die RunkeLahner sind zufrieden. Niemand ist ins
Kindergottesdienste im Jahr
Teilnehmende pro Sonntag, durchschnittlich
n Kinderbibelwochen
Teilnehmende
n
Wasser gefallen, trotz des Wetters gibt es nur strahlende
Gesichter und ihr Gottesdienst war einfach wieder feierlich
und schön.
Insgesamt wurden im Jahr 2011 an den Sonn- und Feiertagen
72.689 Gottesdienste gefeiert.
Allein an Heiligabend waren es 2.846.
Fünf Mal im Jahr werden die Gottesdienstbesucher/-innen
gezählt:
19.636
9.458
606
18.594
n
19
August 2011
Tauffest am Langener Waldsee
Ein unkonventionelles Angebot
Im Kamelhaarmantel stieg Johannes der Täufer in den Jordan und taufte die Menschen, die
zu ihm kamen. Acht Pfarrerinnen und Pfarrer des Dekanats Dreieich taten es ihm gleich –
statt Kamelhaarmantel trugen sie Talar. Und statt in den Jordan stiegen sie in den Langener
Waldsee südlich von Frankfurt, bekannt durch den alljährlichen Start des Ironman-Triathlons.
Dort tauften sie 47 Kinder und zwei Erwachsene.
D
ie achtjährige Lilian Dann trägt ein kurzes
weißes Kleid. Sie rollt das Faltblatt mit den
Liedtexten zu einem Fernrohr und betrachtet
das Ohr ihrer Oma neben sich. In der Mitte des
weißen Zeltes steht Dekan Reinhard Zincke in
seinem Talar vor einem provisorischen Altar mit weißen
Rosen darauf. Er erzählt von den Tauben, die eigent­lich
eine Plage sind. In der Geschichte von der Arche Noah aber
bringt eine Taube Menschen und Tieren die gute Nach­r icht
der Rettung.
Das Zelt auf einer Wiese oberhalb des Sees ist voll
besetzt mit Familien, die heute ihre Kinder am Langener
Waldsee taufen lassen wollen. Die offenen Türen geben den
Blick frei auf den See und den sandigen Weg, den Lilian
gleich hinunterlaufen wird. Gemeinsam mit ihrem kleinen
Bruder, ihren Eltern, ihren Großeltern und ihrem Paten.
Ihr Pate trägt einen Anzug, Krawatte und Lederschuhe. Und
damit will er gleich mit ihr zusammen ins Wasser? Na ja,
wenn er meint.
Schlagzeug, Gitarre und Keyboard setzen ein: »Gott
hält die Welt in seiner Hand.« Ein Lied, das man schon
nach den ersten Tönen gut mitsingen kann. Die zusammen­
ge­würfelte Gemeinde steht auf, singt mit, hebt die Hände
für die Pantomime zu jeder Zeile. Lilian drückt ihrer Oma
das Faltblatt in die Hand und springt auf die Bank. »Er hält
auch dich und mich in seiner Hand«, singt sie laut und zeigt
dabei auf ihren Opa und dann sich selbst.
Dann wird Lilian Dann aufgerufen, sich auf den Weg
hinunter zum Wasser zu machen. So beschäftigt sie vorher
mit ihrem Papierfernrohr war, so ruhig und konzentriert
wirkt sie jetzt. Mutter und Vater nehmen sie an der Hand.
Der Vater ist evangelisch, die Mutter katholisch. Sie haben
ihr in den vergangenen Monaten die Unterschiede zwischen
den Konfessionen erklärt. Sie sind mit ihr in Gottesdienste
gegangen und haben alle ihre Fragen beantwortet. Dann hat
sich Lilian entschieden: Sie möchte evangelisch getauft
20
Taufen in der EKHN 2011
n
n
Kindertaufen
Erwachsenentaufen
12.621
1.245
werden. Und zufällig kam das Angebot der Gemeinde: Wie
wäre eine Taufe unter freiem Himmel? Mit vielen anderen
zusammen?
Ein anderer Zugang zum Glauben und zur Kirche
Im Dekanat Dreieich war das Angebot eines Tauffestes am
Waldsee unter freiem Himmel zunächst umstritten. Man
solle doch kirchliche Rituale nicht durch sporadische
Events in einer Spaßkultur ersetzen, hieß es. Dekan
Reinhard Zincke teilte diese Befürchtungen nicht. Er hielt
dagegen. Taufen wie zu Jesu Zeiten seien vielmehr ein
»missionarischer Akt«, sagt er. »Dadurch eröffnen wir
Menschen einen anderen Zugang zum Glauben und zur
Kirche.« Im Vorjahr hatte man mit einem solchen Tauffest
in Darmstadt gute Erfahrungen gemacht.
Jeweils sieben Familien gleichzeitig drängen sich
nun aus dem Zelt heraus und strömen Richtung Wasser.
Insgesamt werden heute 47 Kinder zwischen vier Monaten
und 13 Jahren sowie zwei Erwachsene an Taufbecken
am Waldsee und im Waldsee selbst von Pfarrerinnen und
Pfarrern des Dekanats Dreieich getauft.
21
Das große Fest am Waldsee ist Höhepunkt und Abschluss
dieses zweijährigen Projekts, das die Kirchengemeinden in
Neu-Isenburg, Dreieich, Langen und Egelsbach zusammen
durchlebt haben. »Taufe heißt die Zusage: Du bist ange­
nommen, so wie du bist«, sagt Reinhard Zincke. Gottes
Zusage geht über herkömmliche Grenzen und Konventionen
hinaus. Deshalb reiche die Taufe viel weiter als nur bis zur
Kerngemeinde im Ort.
Die offene Taufe am Waldsee spricht auch viele
Patchworkfamilien an, die mit ihren durcheinander­
gewirbelten Familienstrukturen ein konventionelles Fest
fürchten. Es ist auch eine Hilfe für Menschen, die nicht
verwurzelt sind in einer Gemeinde, für Alleinerziehende,
Der 100 Meter lange Weg zum Wasser ist mit rot-weißem
konfessionsverbindende Paare und mittellose Eltern, die
Absperrband und Kordeln markiert. Weiße und lilafarbene
ein traditionelles Tauffest scheuen, hat Reinhard Zincke
Wimpel mit dem Facettenkreuz der Evangelischen Kirche
erfahren. Die Taufe am Waldsee sieht er als ein nieder­
in Hessen und Nassau wehen im Wind. Links und rechts
schwelliges Angebot. Die evangelische Kirche müsse mehr
des Wegs blicken Badegäste des Sees neugierig auf das
davon schaffen, sagt er. »Wir müssen die Mobilität der
Geschehen.
Menschen berücksichtigen.« Er denkt dabei auch an jene,
die sich nicht trauen, vor einer ihnen unbekannten
»Taufe heißt die Zusage: Du bist angenommen ...«
In den Jahren 2010 und 2011 hat sich das Dekanat Dreieich
Gemeinde Taufe zu feiern.
In Gottesdiensten für Familien zu Beginn des
mit dem Thema »Taufe ist ...« beschäftigt. Zum Programm
Themenjahrs hatten Getaufte ihre Taufsprüche auf manns­-
gehörten eine Ausstellung in der Langener Stadtkirche zum
hohe Stoffbahnen geschrieben. Heute hängen diese
Thema Taufe und eine Diskussionsrunde in Götzenhain mit
Bahnen an den Seitenwänden des weißen Zelts am Waldsee,
dem Thema »Was bedeutet Taufe für mich und mein Leben?«.
wo die Familien darauf warten, dass ihre Kinder zur Taufe
gerufen werden und wo die Pfarrerinnen und Pfarrer den
Täuflingen ihre eigenen Taufsprüche mit auf den Weg geben.
Lilian Dann und ihre Familie stehen am Rande des
Wassers. Unter einem orangefarbenen Schirm ist ein kleiner
runder Tisch aufgebaut. Lilians Taufkerze steht darauf.
Lilians ist aufgeregt, sie knetet ihre Hände. Zusammen mit
Pfarrerin Martina Schefzyk läuft sie ins Wasser, bis es ihr bis
zur Hüfte reicht. Sie beugt ihren blonden Haarschopf nach
vorne. Ihr Pate im schwarzen Anzug steht daneben, er hat
seine Hosenbeine hochgekrempelt. Die Pfarrerin benetzt
Lilians Kopf mit Waldseewasser, legt ihr die Hände auf
und spricht einen Segen. Lilian ist getauft. Sie ist jetzt
evangelisch. Ihren anspruchsvollen Taufspruch hat sie
sich selbst ausgesucht: »Liebt eure Feinde; tut wohl denen,
die euch hassen; segnet, die euch verfluchen; bittet für
die, die euch beleidigen.« (Lukas 6,27 f.) Sie nimmt ihre
Taufkerze entgegen, ihre Eltern küssen sie. Lilian hat sich
entschieden.
22
n
August 2011
Konfirmandenprojekt des Dekanats Wiesbaden
Cooles Camp
650 Konfirmanden sowie rund 190 ehren- und hauptamtliche Helfer machten sich im August
2011 auf in den Westerwald: Dort, in Westernohe, auf dem Gelände der Deutschen Pfadfinder­
schaft St. Georg, fand für zweieinhalb Tage das elfte Wiesbadener Konficamp statt. Entwickelt
wurde das Camp als toller Auftakt zu Beginn der Konfirmandenzeit, bei dem die Jugend­lichen
erleben können: Wir sind viele und die Kirche hat auch jungen Leuten etwas Tolles zu bieten.
Im vergangenen Jahr beteiligten sich 37 von 43 Gemeinden des evangelischen Dekanats Wiesbaden: ein neuer Rekord! Damit organisiert das Dekanat Wiesbaden das größte Konfirmanden­
lager in Deutschland.
A
strid Stephan sieht es auf ihrem Computer
schon morgens kommen: »Es wird am Abend
ein Gewitter geben, die Frage ist nur, ob vor,
während oder nach dem Gottesdienst.« Doch
noch ist früher Vormittag in Westernohe, auf
dem Gelände der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg. Die
Sonne scheint vom Himmel und Pfarrer Roland Falk von der
Auferstehungsgemeinde aus Wiesbaden-Schierstein sagt zu
seinen Schützlingen: »Ihr müsst euch dringend noch ein­
cremen!«
Die zwölf Konfirmanden seiner Gemeinde bewohnen
im Campbereich »Nazareth« zwei weiße Zelte, eins die
Jungen, eins die Mädchen. Ein eigenes Zelt gibt es für die
Teamer: die beiden Tanjas, Studentinnen und seit Kind­heits­tagen beste Freundinnen, sowie Markus, Büro­kauf­mann
und engagierter Jugendgruppenleiter.
Nach dem Frühstück sind die Konfirmanden und
ihre 140 ehrenamtlichen und 50 hauptamtlichen Helfer in
der Camparena ins morgendliche Programm gestartet. Zu
sind, stellt sie dann die Frage: »Würdet ihr manchmal aber
den rockigen Klängen der Band haben sie gesungen und mit
auch gerne alles hinschmeißen und einfach weggehen?«
großen Stoffbahnen einen leuchtend-tanzenden Regen­
Und diese Frage führt direkt zum Thema der Gruppenarbeit
bogen in den Sitzreihen gebildet. Das Publikum ist ein
in den »Minicamps« der einzelnen Konfirmandengruppen.
buntes Meer: Alle tragen eigens gestaltete farbige T-Shirts
mit selbst gewählten Campmottos auf dem Rücken.
Die »Blaukappen« führen ein kurzes Anspiel auf.
Sich im Vertrauen auf Gott auf den Lebensweg machen
15 Minuten haben die Konfirmanden, um aufzuschreiben,
Um Israel, das Volk Gottes, geht es, das in Ägypten in der
was ihnen in ihrem derzeitigen Leben gefällt und was
Knechtschaft litt und von Moses in die Freiheit geführt
nicht. Und sie sollen ihre Zukunft ausmalen: Was macht
wurde. In der zweiten Szene schnauzt ein Vater seine
ihnen Angst, was ermutigt sie? Dafür gilt es, Symbole zu
Töchter an: »Hey, ihr Faulpelze, ihr sollt aufräumen!« –
finden, die auf einen überdimensionalen Pappfuß gemalt
»Ist zu Hause aufräumen auch Sklaverei?«, hakt die Stadt-
werden sollen. Benita zum Beispiel hat den Papp­fuß­-
­jugend­pfarrerin nach. Auch wenn schnell klar wird, dass
nägeln eine Regen­bogenlackierung verpasst: »Das steht
Sklaverei und das – manchmal vielleicht stressige – Leben
für die Hoffnung.« Stadtjugendpfarrerin Astrid Stephan:
in einer heutigen Familie nicht miteinander zu vergleichen
»Wir setzen auf Elementarisierung.« Die Botschaft dieser
23
arbeit. »Wir pflegen ein sehr offenes Miteinander.« Er und
die Teamer seien »nicht gerade Mama und Papa – aber so
etwas Ähnliches«.
Täglich 1.700 Brötchen
Zum Mittag gibt es Reis mit Putencurry und Gemüse. Nach
dem Essen geht’s zum Geschirrspülen. Jeder ist für seinen
Teller zuständig. Im Küchenzelt füllt derweil Jörg Kreyscher
heißes Wasser in einen riesigen Kaffeefilter. Auch er ist ein
Camporganisator der ersten Stunde: Im normalen Leben
ist er Mitarbeiter eines Telekommunikationsunternehmens
und hier für die Verpflegung zuständig. Zu seinen Stamm­
lieferanten zählt er eine Metzgerei, die das warme Mittag­
essen bringt, aber auch eine kleine Bäckerei aus Westernohe.
Am Nachmittag stehen Sport und Kreativität auf
dem Programm. Es gibt Mitmachangebote: Fußball- und
Volleyballturniere, Kletteroptionen, wie ein zwischen
Bäumen gespanntes »Spinnennetz« aus Tauen, dazu zahlreiche Workshops, in denen die Konfis Kronkorkenohrringe,
Lederschmuck und Jonglierbälle herstellen, Taschen filzen
didaktischen Vereinfachung des Inhalts auf einen
Teil­aspekt: »Du kannst dich voller Vertrauen auf Gott auf
oder Specksteine bearbeiten können.
deinen Lebensweg machen.«
Roland Falk, seit zehn Jahren Pfarrer in der Schier­-
Unterdessen ist Astrid Stephan in der Arena mit der Vor-
Gespräche. Er sieht seine Rolle vor allem in der Beziehungs­
bereitung des Gottesdienstes beschäftigt. Zahllose Füße
Konfirmationen in der EKHN 2011
n
Konfirmationen
18.357
Nahezu alle getauften 14-Jährigen lassen sich auch
konfirmieren. Die Zahlen von Taufen und Konfirmationen
sind seit Jahren aufgrund der geringeren Geburtenzahlen
rück­läufig.
24
Der Sturm kommt
steiner Gemeinde, nutzt die Gelegenheit für persönliche
Interview mit Achim Hoock, Leiter
und Mit-»Erfinder« des Konficamps
Wenig Schlaf
muss man aushalten
Wie kommt man darauf, ein solches Riesencamp zu
Wie bereiten Sie so etwas vor? Ihr Computer ist vermutlich voll
organisieren?
von Listen?
H oock :
»Die Idee dazu ist 1999 im Kollegenkreis ent­
H oock :
»Ich glaube, jeder im Kernteam hat x Listen in
standen. Damals schlossen sich drei Wiesbadener Dekanate
seinem Computer. Wir haben Verantwortungsbereiche unter
zu einem zusammen. Schon vorher gab es in den Dekanaten
uns aufgeteilt und fangen fast ein Jahr im Voraus mit der
Konfirmandentage, wir haben uns überlegt, wie wir daraus
Planung an. Verschiedene Arbeitsgruppen bereiten einzelne
etwas Gemeinsames machen können. Angefangen haben wir
Themen vor. Inzwischen haben wir natürlich auch viel
im Jahr 2000 mit 21 Gemeinden und 250 Konfirmanden.«
Erfahrung, das erleichtert die Organisation ungemein.«
Inzwischen sind 37 von 43 Gemeinden dabei.
Welche Rolle spielt Führung?
»Ich würde eher von Leitung sprechen. Natürlich
Worin liegt der Reiz einer Großveranstaltung zum Auftakt der
H oock :
Konfirmanden­zeit?
braucht es bei einer Veranstaltung dieser Größenordnung
H oock :
»In Zeiten, in denen sie selbst immer weniger
werden, erleben die Jugendlichen hier: Wir sind viele! Das
definierte Entscheidungsstrukturen. Wenn es darauf
ankommt, müssen klare Entscheidungen getroffen und
ist etwa in der Arena zu spüren, wenn wir gemeinsam
befolgt werden. Diesen Konsens brauchen wir – auch wenn
Gottesdienst feiern und alle zusammen singen. Und sie
wir auf der anderen Seite Wert darauf legen, in der Vor- und
erfahren, dass christlicher Glaube Spaß machen kann.
Nach­bereitung Raum für Diskussionen zu geben und viele
Zugleich ist dafür gesorgt, dass die Konfirmandengruppen
Stimmen einzubeziehen.«
auch unter sich bleiben können und Gelegenheit haben, als
Gemeinschaft zusammenzuwachsen.«
Was muss man als Campleiter mitbringen?
So ein Camp bindet natürlich Ressourcen in der Jugendarbeit.
Wenig Schlaf muss man aushalten, daher ist eine gewisse
H oock :
Warum lohnt es sich – trotz knapper Mittel?
H oock :
»Es lohnt sich immer wieder, das merken wir an
»Ruhe und Geduld, auch wenn es hoch hergeht.
körperliche Robustheit von Vorteil. Der Tag beginnt
morgens um sieben und geht bis etwa eins, wenn wir die
den Rückmeldungen der Konfirmanden, die unglaublich
letzte Runde machen, auch mal drei Uhr, da bleibt nicht viel
viel mitnehmen. Auch von den Gemeinden bekommen wir
Zeit zur Regeneration.«
ein gutes Feedback. Das Camp ermuntert viele dazu, sich
ehrenamtlich zu engagieren – das allein ist schon etwas
Was sind Momente, die Sie im Gedächtnis behalten?
Wertvolles. Wir haben zahllose Jugendliche, die seit Jahren
H oock :
als Teamer dabei sind und in ihrem Einsatz immer wieder
die, wenn wir beim Gottesdienst in der Arena ein Gebet
über sich hinauswachsen.«
sprechen – und Hunderte Jugendliche sind ganz still.«
»Die bewegendsten Momente sind immer wieder
n
25
aus den Gruppenarbeiten warten schon ausgebreitet auf
Dann herrscht überall im Camp Ruhe. Alle haben einen
dem Boden, die Band probt. Um 15 Uhr ist ein Treffen mit
trockenen Schlafsack gefunden, die meisten sogar noch in
den Hauptamtlichen angesetzt. Zur Sicherheit zieht die
den Zelten, andere sind in feste Quartiere umgezogen. Hält
Camp­leitung den Gottesdienst auf 19.30 Uhr vor, doch kaum
so ein Gewitter davon ab, ein solches Camp noch mal zu
sitzen die knapp 900 Teilnehmer und Mitwirkenden in der
organisieren? »Niemals«, ist die Stadtjugendpfarrerin
Arena, gießt es wie aus Eimern. Kommando zurück in die
überzeugt. Das Konficamp ist fest etabliert in Wiesbaden,
Notquartiere. Der neue Wiesbadener Dekan Dr. Martin
die Nachfrage ist groß – doch nicht alle Gemeinden fahren
Mencke ist als Gast dabei und staunt, wie wohlgeordnet
mit. Manche bleiben lieber unter sich in ihren Gemeinden
Hunderte Jugendliche ihren Weg finden.
oder scheuen das Zelten als begleitende »Rotkappe«.
Die Begleitpersonen und die Konfis der Auferste-
Eine Stunde harren alle in den Gebäuden aus und
werden kurzweilig von den Blaukappen unterhalten. Der
hungsgemeinde aus Schierstein sind jedenfalls sehr
Gottesdienst muss ausfallen, doch die später angesetzte
angetan. Ihre einhellige Meinung zum Camp: »Cool.«
Disco kann stattfinden. Die Stimmung ist prächtig. »Das
Warum? – Louisa: »Weil wir hier zusammensitzen, was
kriegt kein Erlebnispädagoge hin«, kommentiert Gemeinde­
lernen und Spaß haben.«
pädagoge Achim Hoock den ungeplanten Verlauf.
n
Farbige Kappen und eingespielte Teams:
Ordnung im Megacamp
D
rei Faktoren bestimmen den Erfolg der Konficamps,
programm, geben Essen aus und sind unverzichtbare
selbst bei schlechtem Wetter: hohes ehrenamtliches
Stützen der Organisation. Als Betreuer und Teamer der
Engagement, eine professionelle Organisation und
einzelnen Gruppen reisen rund 100 »Rotkappen« an,
eine ausgeklügelte Logistik. Die Arbeitsteilung der rund
darunter zahlreiche Pfarrerinnen und Pfarrer. Alle werden
190 Organisatoren und Helfer zeigt sich an der Farbe ihrer
intensiv auf ihren Einsatz vorbereitet.
Die Konfirmandengruppen bilden auf dem 40 Fuß­-
Schirmmützen: Das Kernteam um die Stadtjugendpfarrerin
Astrid Stephan und den Gemeindepädagogen und Camp­
ball­felder großen Pfadfindergelände eigene »Minicamps«.
leiter Achim Hoock trägt schwarze Kappen. Rund 80 »Blau­
Ein kleines Campheft erleichtert die Orientierung. Darin
kappen«, die selbst einmal als Konfi teilgenommen haben,
findet sich ein Lageplan mit allen wichtigen Stationen
bauen die Zelte auf und ab, betreuen das tägliche Camp­
wie Campbüro, Essenszelt oder Erste-Hilfe-Zelt. Auch das
Programm, das von einer »Gameshow« über ein Nacht­
Das Wiesbadener Konficamp in Zahlen
n
n
n
n
n
26
650 Konfirmandinnen und Konfirmanden
aus 37 Kirchengemeinden
190 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
davon 140 Ehrenamtliche
elf Tonnen Material (zwei voll beladene Lkw und vier
Kleinbusse mit Anhänger)
90 Schlafzelte und sechs Aufenthaltszelte, Bühne und Technik
rund 2.000 Äpfel, 160 Kilo Brot, 3.500 Brötchen,
40 Kilo Marmelade, 18 Kilo Kaffee und Tee, 80 Kilo Wurst,
90 Kilo Käse, 250 Kästen Wasser
gelände­spiel bis zu einem »riesigen« Gottesdienst reicht.
Es gibt klare Campregeln, etwa zum Thema Mülltrennung
oder zum Sauberhalten der Toiletten. Drogen jeglicher
Art sind verboten. Die Hauptmahlzeiten werden im Drei­schichten­betrieb organisiert. Kalter und warmer Tee steht
jederzeit zur Verfügung, darüber hinaus kann sich jeder
Teilnehmer am Campkiosk versorgen. Der reguläre Teil­
nahme­beitrag für das Camp beträgt 55 Euro, rund 20 Euro
pro Person schießen Dekanat, Stadt und Kirchengemeinden
dazu.
n
September 2011, Tag des offenen Denkmals
Die Ringkirche in Wiesbaden
Gebauter Glaube
Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) ist mit ihren wertvollen Kulturgütern
ein ­wichtiger Akteur beim »Tag des offenen Denkmals«. Dieser Tag der Deutschen Stiftung
Denk­mal­schutz stand 2011 unter dem Motto »Romantik, Realismus, Revolution – das
19. Jahrhundert«. Mit auf dem Programm: die Wiesbadener Ringkirche, ein typisches und
zugleich höchst originelles 120 Jahre altes Baudenkmal, das zu den Wegweisern des modernen
evangelischen Kirchenbaus gehört.
D
ie Ringkirche auf einer von Straßenarmen
umschlungenen Insel direkt am viel befahrenen
Wiesbadener Kaiser-Friedrich-Ring ist ein
architektonisches Überraschungspaket: Ihr
Äußeres lässt anderes erwarten, als drinnen
folgt – selbst Kenner werden da schnell irregeführt. Pfarrer
Ralf-Andreas Gmelin legt seine Hand an das wuchtige
Gemäuer. Es ist Sonntagnachmittag, ein noch sommerlichwarmer Septemberwind weht. Zur Führung am Tag des
offenen Denkmals sind gut drei Dutzend Besucher
gekommen.
»Von außen ist die Ringkirche eine relativ brave
Basilika«, stellt Gmelin fest. Ein Baudenkmal des Historis­mus mit mittelalterlicher Anmutung. Aber von innen
präsentiert sich die Kirche ganz anders: als rund wirkender
Zentralbau mit überraschend modernen Akzenten. »Diese
Kirche verdankt sich praktischen Überlegungen zum
evangelischen Gottesdienst«, erklärt Gmelin. In ihrer Mitte
ist alles versammelt, was dazugehört: »Altar und Kanzel,
Chorempore und Orgel.« Von jedem Platz aus – der Pfarrer
macht eine weite Handbewegung – kann man gleicher­
maßen gut sehen und hören.
»Form follows function«
Die Grundidee zu einer solchen Anordnung entwickelte
Martin Luther vor 500 Jahren, indem er ein »Priestertum
aller Gläubigen« forderte. Für die Form der Kirchen blieb
das zunächst folgenlos. Am Ende des 19. Jahrhunderts
entdeckte man Luthers Forderung neu: Alle sollten
gemeinsam und gleichberechtigt Gottesdienst und Sakramente in einem einheitlichen Raum feiern, nicht wie in
der katholischen Tradition des Mittelalters Klerus und
Volk getrennt durch eine Wand vor dem Altarraum, dem
sogenannten Lettner. Man rückte bei Kirchenneubauten
den Altar in die Mitte des Raums, möglichst auch Orgel und
Kanzel dazu. Die Gemeinde sollte von allen Seiten freien
27
Zugang zum Wort Gottes und zum Abendmahl haben.
Die Wiesbadener Ringkirche wurde mit dieser Innen­
architektur Ende des 19. Jahrhunderts zum Modell für viele
andere Kirchen. Grundlage für diesen Baustil war das
»Wiesbadener Programm« des Wiesbadener Pfarrers Emil
Veesenmeyer. Niemand ahnte damals, dass hier ein späterer
Grundgedanke der Architektur-Moderne vorausgedacht
war: »Form follows function« – die Form ergibt sich aus der
Funktion.
Die Gäste der Kirchenführung, die es sich anfangs
auf den kunstvoll im Halbrund geschwungenen Kirchen­
bänken bequem gemacht haben, müssen nur nach vorne
schauen, um zu verstehen, was gemeint ist: Die Ringkirche
erhebt die liturgische Teilhabe der Gottesdienstbesucher
zum architektonischen Prinzip und betont die Gleich­wertig­
Gebäude in der EKHN 2011
Kirchen
n Gemeindehäuser
n Pfarrhäuser
n Kindertagesstätten
n sonstige Gebäude
n
keit von Sakrament und Verkündigung, von Priester und
1.287
974
973
309
611
4.154
Die meisten Gebäude sind Eigentum der Kirchengemeinden.
Lediglich 59 Gebäude gehören der Landeskirche. Neun von zehn
Kirchen in der EKHN stehen unter Denkmalschutz.
Laie. Das, so Gmelin, »ist vielleicht das Revolutionärste an
diesem Bauwerk«. Zugleich steht es in einer alten Tradition:
Denn schon im Barock gab es den Kanzelaltar.
»Ich spüre, dass ich hier in einer Kirche bin«
Als Erstling dieser Wiederentdeckung ist die Ringkirche
aber auch »ein Kompromiss«, das kann Gmelin in der
Fort­führung des Rundgangs verdeutlichen. Mittelalterlich
wirken nicht nur die zahlreichen gotisch-romanischen
Stilelemente, mittelalterlich mutet auch die eher dunkle
Grundstimmung der Kirche an. »Ohne zusätzliches
elektrisches Licht kann hier keiner ein Liederbuch lesen«,
sagt Gmelin.
Eine »düstere Kirche«, das ist auch eine der
häufigen Rückmeldungen der Führungsteilnehmer. Elke
Flentge, seit zehn Jahren Vorsitzende des Kirchenvorstands
der Ringkirche, musste sich anfangs ebenfalls daran gewöhnen, dass es hier, abgesehen von den zurück­gesetzten
farbigen Rundfenstern über den Emporen, »kein Fenster
zum Rausschauen gibt«.
Möglicherweise hat das stark gedämpfte Licht aber
sogar seinen Wert, weil es den Kirchenraum vom All­täg­
lichen abhebt? Die Meinungen dazu gehen auseinander.
»Ich spüre, dass ich hier in einer Kirche bin«, sagt Irene
Scherer, 78 Jahre, aus Dotzheim. Gisela Hielscher, die 1946
in der Ringkirche getauft wurde, findet es im Gottesdienst­
raum ebenfalls düster, aber darauf kommt es ihr gar nicht
so an: »Was diese Kirche ausmacht, das ist das Gefühl des
Dazugehörens.« Vor allem wenn der Raum voll ist und beim
Abendmahl, »dann ist das spürbar«.
Die Reformatorenhalle ist heute ein Café
Die Ringkirche wartet noch mit einer anderen Über­raschung
auf. Dort, wo man ihren Haupteingang vermutet – zu Füßen
der Türme und zur Straße hin –, sucht man ihn nämlich
ver­gebens. Er befindet sich exakt auf der gegenüberliegenden Seite. Auch das ist ein Kompromiss: Nur so ließen
sich kirchenbauliche Vorschriften und städteplanerische
28
Vorgaben in Einklang bringen. Die Vorgaben sahen einen
nach Osten ausgerichteten Altar vor. Aber auch die Türme
sollten nach Osten ausgerichtet werden und als optischer
Abschluss der Rheinstraße dienen, die breit auf die Kirche
zuläuft. Hinter dem Altar aber kann es keinen Eingang
geben.
Dennoch ist der Eingangsbereich bei den Türmen
repräsentativ gestaltet, sodass einige Teilnehmer der
Führung ihn automatisch gewählt haben. Dort gelangten
sie als Erstes in die Reformatorenhalle. Ursprünglich war
diese Halle offen, heute, nach einer umfassenden Kirchen­
sanierung, ist sie mit einer großen gläsernen Tür versehen und beherbergt das Kirchencafé. Elke Flentge, die
Vor­sitzende des Kirchenvorstands, schätzt den neu ge­wonnenen Raum, nicht zuletzt »weil es der einzige in dieser
Kirche ist, aus dem man wirklich rausschauen kann.«
n
Mehr Informationen:
Ralf-Andreas Gmelin: »Der Dom der kleinen Leute.
Kirchenführer und Baugeschichte.
Ein Porträt der Wiesbadener Ringkirche,
ihrer Baugeschichte und Architektur«,
herausgegeben im Auftrag des Kirchenvorstands,
Wiesbaden 2008 (3. Auflage).
29
September 2011
Radio Wein-Welle zum Weinfest in Groß-Umstadt am Nordrand des Odenwalds
Sechs Tage Ausnahmezustand
Mit großem Enthusiasmus organisierte die Jugendarbeit des Dekanats Vorderer Odenwald das
Projekt Radio Wein-Welle. Über 100 Rundfunkbegeisterte schufen zum sechsten Mal ein viel
gehörtes Radioprogramm zum Groß-Umstädter Weinfest: große Wirkung bei kleinem Budget.
A
uf den XXL-Werbeplakaten ist Matthias
Meitzler zu sehen. Er hält seinen Daumen nach
wichen dem Mischpult, den Mikrofonen, den Kopfhörern
oben. Mit Radio Wein-Welle erfüllt er sich
und all den Menschen, die jetzt sechs Tage lang ein und aus
einen Traum: »Ich wollte als Kind immer
gehen. Stündlich tauschen Techniker, Moderatoren und
Radiomoderator werden«, sagt er. Jetzt darf er
Studiogäste im fliegenden Wechsel die Plätze – immer dann,
es. Der 27-jährige Soziologe traute sich 2011 zum ersten
wenn für wenige Minuten das rote Sendelicht vor der Tür
Mal, richtig mitzumachen, und durfte auch gleich drei
erlischt: Ausnahmezustand für sechs Tage auf Sendung.
Sendungen moderieren. In der Sendung »Kultur und Kirche«
sprach er mit Gästen zum Beispiel über das Thema Tod.
Die evangelische Kirche ist mit ihrem Radio
mitten drin im Fest und bietet eine Plattform über alle
Keine leichte Kost für ein Volksfest. Aber es ­funktionierte.
Generationen hinweg. Das Fest stiftet Identität für die
»Bei Radio Wein-Welle wird zwar auch, aber nicht nur Party
ganze Stadt. Das Radio hat daran mittlerweile einen maß­-
gemacht«, sagt Dekanatsjugendreferent Rainer Volkmar.
geblichen Anteil. Groß-Umstadt ist sonst eher ein ruhiger
Damit das Radio überhaupt senden kann, musste
30
kreuz durfte an der Rückwand hängen bleiben. Seine Möbel
Ort ohne große Vorkommnisse. Aber das Winzerfest und
Rainer Volkmar sein Büro im Dekanatssitz, vor Ort als
Radio Wein-Welle schieben die Kleinstadtidylle für sechs
Darmstädter Schloss bekannt, räumen. Nur das helle Holz-
Tage beiseite. Obwohl das Radio das traditionelle Winzerfest
2011 erst zum sechsten Mal begleitet hat, ist es in der
Region schon selbst eine Tradition.
Es ist nicht irgendein Spruch: »Deine Region, dein
Anteil bekommen wir über Spenden und Sponsoring«, sagt
Rainer Volkmar. Und je beliebter Radio Wein-Welle werde,
desto einfacher fiele es auch den vielen Sponsoren und
Radio!« Jeder darf mitmachen, darf lernen, Radio zu
Privat­personen aus der Region, Geld zu geben. Die Stadt
machen, darf sich einbringen: als Redakteur, Moderator,
Groß-Umstadt beteiligt sich mit einer Ausfallbürgschaft.
Rainer Volkmar hat Radio Wein-Welle ins Leben
Techniker, Webmaster oder Reporter. Ob Anfänger, Fort­
geschrittener oder Profi, jeder darf sich seine Nische suchen
gerufen und damit einen Nerv getroffen, nicht nur bei den
und das beisteuern, was er kann oder möchte. Es ist tatsäch-
Jugendlichen: Die jüngste Mitarbeiterin ist zwölf Jahre alt,
lich das Radio der Region.
der Älteste ist 70. »Das Winzerfest ist hier so etwas wie die
»Die Menschen nehmen sehr deutlich wahr, dass wir
Datumsgrenze«, sagt Rainer Volkmar. Ausgewanderte
als evangelische Kirche dieses Radio Wein-Welle veran­
kommen nicht an Weihnachten zurück, sondern für das
stalten«, sagt Rainer Volkmar. Genau deshalb engagiert sich
Fest. Und Menschen, die am Fest nicht da sein können,
auch das Dekanat jedes Jahr neu beim Groß-Umstädter
nehmen über Radio Wein-Welle teil. Denn das sendet auch
Mitmachsender: Kirche als Plattform für Austausch. Denn
über das Internet. »Viele Grüße aus Schwaben«, »aus
auch wegen der großen Anzahl an beteiligten Ehrenamt­
Georgia in Atlanta«, »aus Neuseeland« ist im Gästebuch zu
lichen und Gästen schalten viele Leute den Sender ein. Sie
lesen. »Ihr seid spitze«, »so cool«, »danke, dass es euch
haben ständig die Chance, über den Äther oder das Netz
gibt«.
n
Familie, Freunde oder Bekannte zu hören.
Die Qualität ist in den vergangenen Jahren stetig
gestiegen: Ausrüstung und Erfahrung wachsen mit dem
Engagement der Ehrenamtlichen. Und alles machen sie
selber. Der 17-jährige Tobias Neidig hat gemeinsam mit
anderen eine Internetseite für Radio Wein-Welle aufgebaut.
Mitmachen wollte er, nachdem er in seiner Schule einen
Aushang für das Eventradio entdeckte. So wie er kamen
auch andere dazu, brachten ihre Freunde und ihr Können
mit.
Wie es sich für einen Radiosender mit breiter
Hörerschaft gehört, läuft viel Musik. In der Sendung
»Damals und heute« stellen Ältere Musik aus vergangenen
Jahrzehnten vor, die Sendung »Plopp« lädt neue Bands
ein und lässt sie live im Studio spielen. Morgens und
abends halten Pfarrer kleine Andachten. In der Sendung
»Begegnungen« erzählen Menschen ihre ganz persönlichen
Geschichten und in der Sendung »Nachgefragt« sind die
Vereine der Region sowie die Sponsoren an der Reihe und
berichten von ihrer Arbeit – die Sparkassenvertreter genauso wie die Jugendfeuerwehr.
Rund 11.000 Euro kostet der Betrieb des Event­radios.
1.000 Euro davon investierte das Dekanat selbst, 2011
zahlte die EKHN Stiftung weitere 1.000. »Doch den größten
Junge Radiomacher
In Hessen senden derzeit mindestens sieben Initiativen und
Vereine ein sogenanntes Veranstaltungsradio. Dazu zählt auch
das Hessentagsradio, das jedes Jahr das größte Volksfest in
Hessen begleitet.
Der überwiegende Teil dieser Radioinitiativen ist Mitglied in
der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Veranstaltungsradios
und wird von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
unterstützt.
Die evangelische Hörfunkschule Frankfurt fördert die Radiomacher durch eine professionelle Ausbildung: Einmal im Jahr
beteiligen sich rund 70 Jung­journalistinnen und -journalisten
am »Ausbildungsradio« auf UKW. In zwei Wochen schnuppern
die Teilnehmer in alle Jobs beim Radio, ob als Reporter,
Redakteur oder Moderator. Auch das multimediale Handwerkszeug lernen die Jugendlichen im Medienhaus, zum Beispiel in
der Video- oder in der Onlineredaktion des Ausbildungsradios.
Gemeinsam mit der evangelischen Journalistenschule in Berlin
zeichnet die Hörfunkschule jetzt junge Radiomacher auch
mit einem Radiopreis aus: Der »Hinhörer« ist in diesem Jahr
zum ersten Mal vergeben worden – auf die Gewinner wartet ein
Wochenendworkshop in der Hauptstadt Berlin.
Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter
www.derhinhoerer.de oder
www.hoerfunkschule-frankfurt.de.
31
September 2011
Interkulturelle Woche in Offenbach
Kein Kuschelkurs, sondern
gegenseitiger Respekt
Offenbach ist das, was man einen »Schmelztiegel« nennt. Menschen aus 140 Nationen leben
hier. Der Anteil an Einwanderern liegt bei 65 Prozent. Seit 15 Jahren feiert Offenbach die
Inter­kulturelle Woche, die 1975 unter dem Titel »Woche des ausländischen Mitbürgers« von den
Kirchen ins Leben gerufen wurde. Eine der treibenden Kräfte ist jedes Jahr das e­ vangelische
Dekanat.
Interkulturelle Woche
I
m Freiluft-Kunstatelier werden Mitarbeiterinnen
des Spielmobils der Jugendkunstschule von Mädchen belagert. Sie zeigen den Kindern, wie man aus
Trockenbohnen, Pappe und Farbe ein Menschärgere-dich-nicht-Spiel bastelt oder aus einem
Nylonstrumpf und einem Drahtkleiderbügel einen Feder­
ball­schläger. Im vergangenen Jahr hat Diplompädagogin
Stephanie Ludwig, die Organisatorin des Fests, auch die
griechische Gemeinde und den deutsch-türkischen Freund­
schaftsverein mit ins Boot geholt.
Daraus ist ein Höhepunkt des Kinderfests geworden:
die Tanzvorführung der Kinder. Etwa 200 kleine Fest­
besucher spielen und toben im Park, bis schließlich die
Stunde des Zusammenrückens für den großen Kreis um die
Tanzenden kommt: Stolz zeigen die griechischen Kinder
in schwarzen Hosen und weißen Hemden oder Blusen ihr
Können. Was zunächst nach einfachen Wechselschritten
aussieht, erweist sich bei näherem Hinschauen als
komplizierte Schrittfolge, die gar nicht so einfach nach­
zumachen ist. Nach ihnen sind die türkischen Kinder am
Zug und führen zuletzt einen Tanz vor, bei dem die Mädchen effektvoll die Haare zurückwerfen. Die Erwachsenen,
die drum herum im Kreis stehen, sind entzückt, klatschen
und wiegen sich im Takt. Selten sieht man griechische und
türkische Nachbarn gemeinsam so gelöst und mit so viel
Freude an einem Fest teilnehmen.
Kooperationspartner finden und Orte für Dialoge schaffen
Das Kinderfest ist eine von vielen Veranstaltungen der
Interkulturellen Woche in Offenbach und es »funktioniert
nur deshalb so gut, weil sich hier alle Beteiligten gut vernetzen«, sagt Stephanie Ludwig, während sie ein buntes
Schwungtuch ausbreitet. Kooperationspartner finden und
Orte für Dialoge schaffen – genau das ist das Ziel der Inter32
Die Interkulturelle Woche, bis in die 90er-Jahre »Woche
des ausländischen Mitbürgers«, wurde 1975 von der
evangelischen Kirche, der Deutschen Bischofskonferenz
und der Verwaltung der griechisch-orthodoxen Kirchen in
Deutschland (Metropolie) ins Leben gerufen.
Seit 1991 hat sich die Bezeichnung »Interkulturelle Woche«
eingebürgert. Sie wird von den Gewerkschaften, Wohlfahrts­
verbänden, Kommunen, Ausländerbeiräten und Integrations­
beauftragten, Migranten­organisationen und Initiativgruppen
mitgetragen. Unter dem Motto »Zusammenhalten – Zukunft
gestalten« finden jährlich bundesweit von Mitte September
bis Anfang Oktober rund 4.000 Veranstaltungen an etwa
400 Orten statt. Das Ziel: die angeblich unversöhnlichen
interreligiösen und inter­kulturellen Gegensätze aufzubrechen
und durch gemein­same Aktivitäten Begegnung zu ermög­lichen. Offenbach feiert seine Interkulturellen Wochen seit
15 Jahren.
kulturellen Woche. Zu den Kooperationspartnern des
Kinderfests gehören, neben den beiden großen christlichen
Kirchen, der Stadtjugendring Offenbach und der Kinder­
schutz­bund. Kooperation heißt hier wie überall: Arbeitsund Kostenteilung. Nicht jeder muss eine Rollenrutsche
anschaffen, die hat die Kolpingfamilie und die evangelische
Jugend baut sie auf. Die wiederum muss keine Hüpfburg
haben, denn ein solches Spielgerät hat das Stadtjugendamt
im Gepäck und diesmal sogar das Jugendkunstmobil als
zusätzliche Attraktion gemietet. Beim Kinderfest sieht man
dunkel- und hellhäutige Kinder, hört man neben deutschen
auch russische, türkische und englische Wörter. Für eine
gute Nachbarschaft ist es wichtig, ins Gespräch zu kommen.
Pfarrerin Anja Harzke ist im Dekanat Offenbach
für Interreligiöses zuständig und sagt: »Es reicht nicht,
einfache Infoveranstaltungen oder Tage der offenen Tür zu
machen – es geht um viel mehr: um gegenseitige Infor­
mation und Begegnung. Wir suchen nicht den Kuschelkurs,
sondern gegenseitigen Respekt.« Dafür bietet die Inter­
kulturelle Woche Gelegenheit – bei engagierten Debatten
und bunten Festen mit leckerem Essen.
33
»Wir haben viel mehr Gemeinsames als Trennendes«
Hasan Temiztürk weiß, dass es nicht leicht ist, echte
Die »offene Stadtkirche« lädt zum Verweilen ein. Manche
kommen vorbei, um eine kleine Auszeit vom Stadttrubel
Kommunikation und Begegnungen anzustoßen. Der Kalli-
zu nehmen und zu beten. Drinnen begegnen die Ruhe­
graf ist einer der interkulturellen Akteure der Stadt, die
suchenden den strahlend türkisblauen Bildern von Hasan
sich in den letzten 15 Jahren sehr gut kennen- und gegen-
Temiztürk, die er während der Malaktion hier ausstellt.
seitig unterstützen gelernt haben. Seit Jahren beteiligt er
Bilder, die zunächst als Moschee, stilisierte Hand oder als
sich an christlich-muslimisch-jüdischen Veranstaltungen.
abstrakte Gemälde wahrgenommen werden, erweisen
Gern hat er der Offenbacher Dekanin Eva Reiß die Teil­
sich bei näherem Hinsehen als kunstvoll kalligrafierte
nahme an einer Malaktion vor der offenen Stadtkirche zu-
muslimische Gebete. »Es ist ein großes Geschenk für mich,
gesagt.
dass ich meine Schriftkunst und meinen Glauben verbinden
»Wir haben viel mehr Gemeinsames als Trennendes«,
kann«, sagt Temiztürk. Im kommenden Winter­semester
ist Temiztürk überzeugt. »Ich bin zuversichtlich, dass die
wird er als bundesweit erster Dozent für Kalligrafie Kurse für
jungen Menschen die Kommunikationsschwelle bald über-
die rund 200 islamischen Theologiestudenten der Frank­
winden werden. Sie kennen mehrere Kulturen, sie haben
furter Goethe-Universität geben.
nicht mehr das sprachliche Problem.« Er selbst wurde in der
Türkei geboren, wuchs in Schwaben auf und ist mit einer
Deutschen verheiratet.
Dekanin Eva Reiß lässt die großen Bilder, die vor
der Kirche entstehen, in Kunststoffhüllen gleiten. Dann
hängt sie sie an einer Nylonleine auf, die rund um die Kirche
gespannt ist. Dort bleiben sie. Auch über Nacht »und niemand vergreift sich daran«. Das macht sie stolz. Das Viertel
und die Anwohner rund um die Innenstadtkirche liegen ihr
am Herzen.
Die Wege Gottes sind verschlungen
Eine ihrer Aufgaben als Pfarrerin ist die offene Stadt­
kirchen­arbeit. Reiß lädt auch Muslime zum Beten ein. Sie
betrachtet es als Zeichen – und »als Geschenk« –, dass das
Kirchenfenster nicht mit Heiligenbildnissen geschmückt ist,
sondern mit einem Text aus der Thora: »Herr, du bist mein
Gott ...« Als feministische Theologin würde Eva Reiß Gott
nicht unbedingt mit »Herr« anreden. Aber in diesem Fall
liegen die Dinge anders. »Gerade dieser Text ermöglicht es
uns Christen und den Muslimen, unter ihm gemeinsam zu
beten.« Das wäre Muslimen unter dem Abbild von Menschen
nämlich sonst verboten. Reiß lächelt: »Die Wege Gottes sind
verschlungen.«
Draußen vor der Kirche werden Gesprächsfäden
geknüpft: Ein Teheraner bleibt stehen und spricht mit
Temiztürk über die aktuelle Lage im Nahen Osten. Eine
Bulgarin schreibt »Ortak yol« in ihrer Muttersprache und
eine Spanierin schüttelt den Kopf: »Nein, mit der Kirche
habe ich nichts zu tun.« Dann aber diskutiert sie mit über
Unter dem Motto »Ortak yol«, türkisch für »Gemein­same
Israel und Palästina und erklärt, wie schlimm sie es finde,
Wege« lädt er nun zusammen mit Dekanin Eva Reiß die
dass die Völker so unsensibel miteinander umgehen. Eine
Passanten vor der Stadtkirche zum Malen und Kalli­grafieren
Brasilianerin gesellt sich hinzu und lacht, als ein deutscher
ein, also zum künstlerischen Gestalten von Schriftzeichen.
Passant schwungvoll und kreativ einen arabischen Schrift-
Einer Frau, die stehen bleibt, um ihm zuzuschauen, ver-
zug imitiert und dazu ein Boot mit zwei Liebenden malt.
sichert der Künstler: »Die arabische Schrift ist ganz einfach.
»Pst«, sagt sie verschwörerisch, »nicht verraten, ich kann
In zwei Stunden können Sie Ihren Namen s­ chreiben.«
Arabisch.«
Es geht sogar noch schneller und währenddessen erzählt
er ihr und weiteren Neugierigen, was Orient und Okzident
Es scheint, als übertrage sich die Herzlichkeit und
Ruhe des rundlichen Schriftkünstlers auf die Passanten.
gemeinsam haben. Goethe zum Beispiel sei ein begeisterter
Eva Reiß hängt Bild um Bild an die Kirchenwand. Jetzt hat
Anhänger der islamischen Literatur gewesen, habe viele
die Spanierin doch noch etwas aufgeschrieben. »Ortak Yol«
Stücke nachgedichtet.
hat sie für sich in »El camino de la paz« übersetzt: »Der Weg
des Friedens«.
34
n
September 2011, Erntedankfest
Die Dekanatskonferenz Gladenbach auf einem Milchviehbetrieb
Kuhstall trifft Kirche
Auslandsimporte und Agrarfabriken machen den mittelständischen bäuerlichen Familien­
betrieben in Hessen das Leben schwer. Jeder Landwirt muss sich längst am Weltmarkt
­orientieren. Viele Betriebe kommen nur mit äußerster Anstrengung über die Runden.
­Pfarrerinnen und Pfarrer im Dekanat Gladenbach besuchten zum Erntedankfest den Bauern­hof
von Kurt Werner. Sie wollten lernen, die Schwierigkeiten hessischer Landwirte besser zu
verstehen. Es sollte auch ein Signal an die Bauern sein: Wir nehmen eure Probleme wahr.
D
er Bauernhof liegt an diesem Septembermorgen
noch im Nebel. Die Pfarrerinnen und Pfarrer –
meist in Gummistiefeln und Regenjacke –
warten fröstelnd auf den Beginn der Führung.
Bei ihnen sind auch Erwin Koch, Vorsitzender
des Kreisbauernverbands Marburg-Biedenkopf, und Dr.
Maren Heincke, die Agrarreferentin aus dem Zentrum
Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche
in Hessen und Nassau (EKHN). Landwirt Werner beginnt
seine Führung mit dem Herzstück seines Hofs: dem Kuh­
stall. Es riecht streng, die Fliegen sind überall.
Der Bauer will seinen Besuchern zeigen, wie er
die Kühe jeden Morgen auf die Weide treibt. Das aber ist
angesichts der vielen fremden Gesichter gar nicht so einfach. »Es gibt nichts Neugierigeres als Kühe«, lacht Werner.
Seine Kühe verbringen den ganzen Tag auf der Weide
und werden erst abends zum Melken wieder in den Stall
getrieben. Anderswo stehen sie den ganzen Tag im Stall.
Dabei ist das Weiden ein Grundbedürfnis der Kuh, das auch
ihr Immunsystem stärkt. Die gute Behandlung der Kühe auf
Werners Hof trägt Früchte: Mit einer Milchleistung von
9.100 Kilogramm pro Kuh und Jahr liegt der Hof weit über
dem hessischen Durchschnitt.
Das Sterben der Bauernhöfe in Hessen ist eine Folge des
Aber dahinter steckt harte Arbeit mit vielen
starken strukturellen Wandels der Landwirtschaft während
Problemen. »Mehr als sechs oder sieben Euro in der Stunde
der letzten 50 Jahre. Natürlich sind davon auch die Kirchen
verdiene ich nicht«, erklärt der Landwirt seinen Besuchern.
hier vor Ort betroffen, erklärt Dekan Matthias Ullrich.
Sein Hof ist ein echtes Familienunternehmen: Zusammen
»An den Höfen hängen doch Menschen und Schicksale aus
mit seiner Frau leitet er den Betrieb, seine erwachsenen
unseren Gemeinden.« Aber die Landwirte sind nicht nur
Kinder packen mit an, wenn es nötig ist. Werner ist Realist.
ein Teil dörflicher Tradition und der gewachsenen länd­
Auf die Frage, wie er sich die Zukunft des Hofs vorstellt,
lichen Kultur. Auch unter ökologischen Gesichtspunkten ist
antwortet er: »Wenn meine Frau und ich nicht mehr melken
es viel sinnvoller, in der Region zu produzieren und lange
können, müssen auch die Kühe gehen.« Erwin Koch, der
Transportwege zu vermeiden.
Vorsitzende des Kreisbauernverbands, meint: »Heutzutage
Landwirt Kurt Werner engagiert sich im Bundes­
machen sich Bauern mehr Gedanken um ihre Zukunft als zu
verband Deutscher Milchviehhalter und setzt sich für
Zeiten des Feudalismus.«
Projekte ein, die traditionellen bäuerlichen Betrieben
35
helfen. Aber nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch
das Leben in der Gemeinde ist ihm wichtig. Er singt im
Kirchenchor, seine Frau arbeitet am Kindergottesdienst mit.
Er wünscht sich eine klare Position der Kirche zu seinen
Problemen: »Die Kirche sollte mehr Rückgrat zeigen und
eindeutig Stellung beziehen – auch für ihre Mitglieder hier
vor Ort.« Auch Dekan Matthias Ullrich, der selbst auf einem
Bauern­hof aufwuchs, sieht eine tiefe Verbindung zwischen
Landwirtschaft und Kirche: »Landwirtschaft ist nicht bloß
ein Produktionszweig wie jeder andere, denn sie arbeitet
mit Pflanzen und Tieren – und damit mit der Schöpfung
Gottes. An Erntedank machen wir uns – nicht nur in länd­lichen Regionen – bewusst, dass die Lebensmittel nicht aus
dem Supermarkt kommen, sondern dass Gott sie wachsen
lässt.«
36
n
Interview mit der EKHN-Referentin
Maren Heincke
Der globale Markt
kann unsere Landwirte
nicht ersetzen
D
r. Maren Heincke arbeitet als Referentin für den
Ländlichen Raum im Zentrum Gesellschaftliche
Verantwortung der Evangelischen Kirche in Hessen
und Nassau (EKHN). Das Tätigkeitsfeld der Diplom-Agrar­
ingenieurin reicht von Agrarpolitik über Flächenverbrauch
bis hin zur Regionalentwicklung im EKHN-Gebiet. Außer­-
dann als windelweiche Ausweichstrategie gewertet. Auch
dem arbeitet sie mit an Stellungnahmen der Evangelischen
mit meinen Kollegen aus den entwicklungspolitischen
Kirche in Deutschland (EKD) zu landwirtschaftlichen und
Hilfswerken führe ich zum Teil kontroverse, jedoch stets
bioethischen Themen.
konstruktive Debatten, die einen wichtigen Bestandteil
unserer guten Zusammenarbeit ausmachen.«
Warum ist es so wichtig, traditionelle Landwirtschaft zu
unterstützen?
H eincke :
»Landwirte leisten einen hohen Mehrwert für
Welche Bedeutung hat Agrarpolitik gesellschaftlich?
H eincke :
»Aus meiner Sicht ist es extrem wichtig, dass
ihre Region, den der globale Markt nicht ersetzen kann.
man versteht: Agrarpolitik ist eine gesamtgesellschaftliche
Sie erhalten die Traditionen, Artenvielfalt und Kultur­
Aufgabe und keine reine Sektorenpolitik. Landwirtschaft,
landschaft ihrer Heimat. Zudem übernehmen Landwirte
Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Konsumenten
über­proportional oft Ehrenämter, beispielsweise bei der
müssen hier zusammenarbeiten, um Ergebnisse zu erzielen,
Feuer­wehr oder im Kirchenvorstand.«
die allen nützen. Schließlich hat Agrarpolitik unmittelbare Auswirkungen auf viele Bereiche unseres Lebens – vom
Wie hilft die Kirche diesen Landwirten?
H eincke :
Naturschutz bis zum Verbraucherschutz.«
»Die Evangelische Kirche in Deutschland mischt
sich deutlich in die Agrarpolitik der Europäischen Union
mit ein. Im Oktober 2011 haben wir beispielsweise die
EKD-Stellungnahme ›Leitlinien für eine multifunktionale
und nachhaltige Landwirtschaft‹ veröffentlicht. Durch
politische Äußerungen und Mitarbeit in Gremien beziehen
wir Position für berechtigte Anliegen der Landwirte und
unterstützen sie. Allerdings suchen wir gleichzeitig auch
den kritischen Dialog mit dem landwirtschaftlichen Berufsstand.«
Inwiefern kritischer Dialog?
H eincke :
»Als kirchliche Referentin habe ich einen
doppelten Loyalitätsauftrag: Ich muss die Belange der
deutschen Landwirte genauso berücksichtigen wie die
Belange der Landwirte in Entwicklungsländern, Stichwort
Entwicklungszusammenarbeit. Die Interessen beider Seiten
stehen mitunter entgegen. Daraus ergeben sich auto­
Landwirtschaftliche Familienberatung
Für Familien in Landwirtschafts- oder Winzerbetrieben hält die
EKHN ein eigenes Beratungsangebot vor: Die landwirtschaft­
liche Familienberatung kennt sich mit ihren Problemen aus und
kann bei Existenzgefährdung oder Ehekonflikten gezielt
weiterhelfen. Im kostenlosen, vertraulichen Gespräch am
­Telefon, in der Beratungsstelle oder auf dem Betrieb besprechen
ihre Mitarbeitenden mit den Betroffenen neue Perspektiven.
Landwirtschaftliche Familienberatung
in Rheinhessen und der Pfalz,
Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung,
Albert-Schweitzer-Straße 113 – 115,
55128 Mainz,
Telefon (06131) 287440
matisch Zielkonflikte in einer globalisierten Welt, die ich
versuche darzustellen. Häufig wird von den Gesprächs­
partnern jedoch erwartet, dass sich die Kirche einseitig für
ihre Belange einsetzt. Meine Differenzierungen werden
Ländliche Familienberatung in Hessen
in Kooperation mit der
Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck,
Elisabeth-Seitz-Straße 16,
34613 Schwalmstadt-Treysa,
Telefon (06691) 23008
37
Wie steht die Kirche zum Tierschutz?
H eincke :
»Die öffentliche Diskussion über Tierschutz wird
häufig entweder von extremen Tierrechtlern geprägt oder
dessen zu fairen Erzeugerpreisen Fleisch kaufen, das aus
besseren Haltungsbedingungen stammt. Das ist gut für die
Tiere, die Landwirte und die Ver­braucher.«
von Organisationen, für die Tiere bloß ein ökonomisch zu
optimierender Produktionsfaktor sind. Für die meisten
Aber Sie empfehlen nicht, Vegetarier zu sein?
Menschen sind Nutztiere jedoch ein ignorierter blinder
H eincke :
Fleck, der mit latenten Schuldgefühlen verknüpft ist.«
generell ab. Wir verweisen auf die starken Fortschritte in
Für welchen Umgang mit Nutztieren tritt die Kirche ein?
Gleichzeitig verweisen wir auf die großen Defizite im
»Die Kirche lehnt den Fleischverzehr nicht
Teilen der Tierhaltung, zum Beispiel bei den Milchkühen.
H eincke :
»Als Kirche setzen wir uns für mehr Versach­
sollten jedoch nicht als Sündenböcke an den Pranger
hohen Eigenwert und ein grundsätzliches Recht auf Leben
gestellt werden. Denn über die Tierhaltungspraktiken
haben. Schweine oder Rinder sind intelligent und zu
ent­scheiden die Verbraucher, die Politik und andere massiv
Emotionen fähig. Sie sollten deshalb möglichst tiergerecht
mit. Sehr problematisch finde ich persönlich die verbreitete
gehalten und so angst- und schmerzfrei wie möglich
Vermenschlichung von kuscheligen Haustieren, während
ge­­schlachtet werden. Außerdem plädiere ich für die Rück­-
gleichzeitig das Leiden von Nutztieren weithin ignoriert
kehr zum Sonntagsbraten – anstelle von ent­wertendem
wird.«
täglichen Massenkonsum. Weniger Fleisch essen und statt-
38
Bereich der Schweine- und Geflügelhaltung. Landwirte
lichung ein: Nutztiere sind Geschöpfe Gottes, die einen
n
Oktober 2011, Reformationstag
Luther-Oratorium in Worms
Keine Musik für politisch Korrekte
Die Reformation ist die Geburtsstunde der neuzeitlichen Kirchenmusik. Von Anfang an war
die Musik in den reformatorischen Kirchen ein zentrales Mittel, um Glauben auszudrücken.
Und daran hat sich bis heute nichts geändert, wie das Jahr der Kirchenmusik 2012 zeigt.
Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau eröffnete dieses Jahr in Worms mit der viel
­beachteten Uraufführung eines Oratoriums über Martin Luther. Seine 95 Thesen gegen
die ­traditionelle Lehre der katholischen Kirche leiteten 1517 die Reformation ein. Das wird
2017 ein halbes Jahrtausend her sein und gebührend gefeiert werden, auch musikalisch.
Der Countdown läuft.
M
artin Luther war kein Leisetreter, ganz im
sogar der Kaiser persönlich 1521 in Worms mit dem »kleinen
Gegenteil. Seine Sprache ist seine schärfste
Mönch« befasste.
Waffe, präzise und klar: »Rom, die große
Hure Babylon und der Antichrist sind eins.«
Aggressive, ja unflätige Worte. »Der Papst
ist der Kuckuck. Er frisst der Kirche ihre Eier und scheißt
Vinje lässt den Menschen Luther in seiner ganzen
Widersprüchlichkeit durch eigene Äußerungen lebendig
werden. Der Poet, Komponist und Gelehrte steht dem
Polemiker und Zyniker gegenüber, dessen gewalttätige
dagegen eitel Cardinäl aus.« Doch auch sich selbst gegen-
Worte in der Tat zu Gewalt anregten – gegen Juden und
über ist Luther kaum gnädiger, wenn er sich »alter,
Bauern. Die Kontraste, grell und unvermittelt, spiegeln sich
­stinkender Madensack« nennt – »ich bin der reife Dreck, so
in der Musik. Die berüchtigte Ablasspredigt Tetzels ist als
ist die Welt das weite Arschloch«.
Zirkuswalzer vertont und erinnert an den Klang einer
Heutige Ohren, gewohnt an »politisch korrekte«
Worthülsen, können solche Originalzitate peinlich
berühren. Sie wirken immer noch peinlich, werden sie
öffentlich vorgetragen. So wie jüngst im Oratorium
»Luther – ein Lebensbogen«, einem Auftragswerk der
Stadt Worms zum Beginn der Lutherdekade und dort am
Reformationstag 2011 uraufgeführt. Kritische Stimmen
meldeten sich zu Wort, besorgt um die Verletzung religiöser
Gefühle in einer Stadt, in der neben 32.000 evangelischen
auch 24.000 katholische Christen und Angehörige anderer
Glaubensgemeinschaften leben.
Die brachiale Seite des Reformators zu zeigen sei
»dramaturgisch notwendig«, sagt der 43-jährige Komponist
Jakob Vinje, der auch das Libretto zusammenstellte. Nur so
könne das Publikum überhaupt nachvollziehen, wieso ein
Hörproben des LutherOratoriums finden Sie unter
www.ekhn.de/jahresbericht.
»kleiner Augustinermönch« ins Zentrum der Geschichte
geraten und die religiös-politische Weltordnung ins Wanken
bringen konnte. Nichts lag ihm ferner, als »die Gefühle der
Katholiken zu verletzen und dem Bestreben der Ökumene
entgegenzuwirken«. Denn Luther wirkte nun einmal durch
seine Worte, die, in gedruckter Form verbreitet, zur
scharfen, wirksamen Waffe wurden. So wirksam, dass sich
39
Drehorgel. Wilde Rhythmen illustrieren den Streit der
Ideen und Anschauungen auf dem Wormser Reichstag im
dritten Bild des Oratoriums. Mit Elementen aus Musical und
Filmmusik schafft der Komponist den »Lebensbogen« auch
musikalisch.
Imitations- und Kanontechniken huldigen der
Kirchenmusik und lutherischen Chorälen: »Aus tiefer Not
schrei ich zu dir« im ersten Bild zeigt den jungen Luther,
der im Unwetter bei Todesangst sein Mönchsgelübde ablegt.
Jahr der Kirchenmusik
2017 wird der 500. Jahrestag jenes Tages sein, an dem Martin
Luther seine berühmten 95 Thesen in Wittenberg veröffentlicht
hat. Sie haben die Reformation ausgelöst, an sie erinnert
deshalb jeweils der Reformationstag, der 31. Oktober.
Die zehn Jahre vor diesem 500. Jahrestag hat die Evangelische
Kirche in Deutschland als Reformationsdekade ausgerufen.
Jedes Jahr, das jeweils am Reformationstag beginnt, hat ein
eigenes Thema mit evangelischem Profil. Das derzeitige Thema
lautet »Reformation und Musik«.
Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) beteiligt
sich daran. Alleine in ihren 1.200 Kirchengemeinden finden
in diesem Jahr etwa 5.000 Veranstaltungen statt, an denen
2.000 Musikensembles sowie 35.000 Musikerinnen und Musiker
mitwirken.
Das Eröffnungskonzert in Worms war eines davon. Das
Programm steht in der EKHN unter dem Slogan »Kirche macht
Musik – Musik macht Kirche!«
Weitere Informationen erhalten Sie unter
www.kirche-macht-musik-ekhn.de.
40
Im zweiten Bild, der Auseinandersetzung mit dem
um­strittenen Ablassprediger Tetzel und Luthers Thesen­
anschlag 1517, erscheinen »Jesus Christus, unser Heiland«
und »Ein feste Burg«. Auf dem Höhepunkt des Reichs­tags­
geschehens im dritten Bild erklingt der Pfingstchoral
»Komm, heiliger Geist, Herre Gott«. Der Satz schließt mit
dem strahlenden »Nun freut euch lieben Christen«. Das
abschließende vierte Bild zeigt den anderen, nachdenk­
lichen Luther, der am Ende seines Lebens Rückschau hält.
Dort findet sich, wie zur Versöhnung, die schönste und
ergreifendste Textpassage: »Wenn du ein Kind siehst, so
hast du Gott auf frischer Tat ertappt. Gott ist ein glühender
Backofen voller Liebe, der von der Erde bis an den Himmel
reicht.«
Das Werk ist mit zwei Gesangssolisten, Sprecherin,
Chor und Orchester besetzt. Jakob Vinje, der Ähnliches
schon 2005 mit dem Stück »Die Zaubergans« im Wormser
Auftrag leistete, machte es Sängern und Musikern nicht
leicht, obwohl er bei seiner Arbeit auch an Laienchöre
dachte. »Ein Riesenaufwand«, sagt Dekanatskirchen­
musikerin Ellen Drolshagen, die die Uraufführung leitete.
Die rund 160 Musiker aus dem Wormser Bachchor, dem Chor
des Rudi-Stephan-Gymnasiums und dem Orchester der
Lucie-Kölsch-Musikschule waren dennoch »begeistert
dabei«. Schulorchester gestalten seit zehn Jahren gemein­
same Weihnachtskonzerte. Die meist sehr jungen Musiker
meisterten die Mammutaufgabe beachtlich.
Kirchenmusik in der EKHN 2011
Die evangelische Kirche ist in Worms einfach
»ein wichtiger Partner in kulturpolitischen Fragen«, sagt
Luther-Oratorium wünscht sich Gallé im Einklang mit dem
Kom­ponisten eine »intensive und produktive Auseinandersetzung« mit Religion, Konfession, Geschichte und heutiger
Moral. Weitere Aufführungen, im gegenwärtigen Jahr der
Kirchenmusik und darüber hinaus, wünscht sich Ellen Drolshagen: »ein mitreißendes, gut verständliches Stück.«
Chöre, inklusive circa 150 Gospelchören
Sänger/-innen
n Bläserchöre
Mitglieder
n Instrumentalkreise
Mitglieder
n Kinder- und Jugendchöre, Musikgruppen
Mitglieder
n Konzerte
Besucher/-innen
n
der städtische Kulturkoordinator Volker Gallé. Vom
n
hauptamtliche Kirchenmusiker/-innen
nebenamtliche Chorleiter/-innen*
n nebenamtliche Organist(inn)en*
n
n
898
21.451
367
5.075
283
2.462
709
8.949
4. 218
424.167
131
1.100
3.300
*Honorarkräfte mit geringem Stundenaufwand
in den Gemeinden
41
November 2011, Buß- und Bettag
Sozialpolitischer Tag in Rüsselsheim und Frankfurt
Deutliches Ausrufezeichen
1995 wurde der Buß- und Bettag als gesetzlicher Feiertag abgeschafft – um die Pflege­
versicherung zu finanzieren. Seither erlebt er eine Renaissance, oft sogar ökumenisch.
In zahlreichen Städten und Gemeinden werden nun abends Gottesdienste gefeiert und
­Veranstaltungen organisiert.
E
in nasskalter Novemberabend. Gleich am Eingang
er seine Auswahl. Helga und Harald Gesswein lassen sich
der Rüsselsheimer Matthäuskirche treffen die
mit dem Schild »Der Sonntag ist ein Geschenk des Himmels«
Besucher des Gottesdienstes auf einen Tisch mit
ablichten. Am Sonntag solle man zur Ruhe kommen, finden
zahlreichen beschrifteten Pappen. Es ist Mitt-
die beiden. Sie sind in der katholischen Arbeitnehmer­
woch, kurz vor 19 Uhr. Die Menschen strömen ins
bewegung aktiv. Am Ende wird aus allen Fotos eine Collage
Gottes­haus. Volkhard Guth, Gemeinde­pfarrer und Inhaber
für ein Plakat entstehen, das in den evangelischen und
der Profilstelle Gesellschaftliche Verantwortung, begrüßt
katholischen Gemeinden der Stadt ausgehängt wird.
mit Handschlag und erklärt die Aktion »Gib dem Sonntag
Der Gottesdienst zum Buß- und Bettag in der
(d)ein Gesicht«: Die Besucher sollen sich eine Pappe mit
Rüsselsheimer Matthäuskirche ist seit Langem ökumenisch
einem Spruch zum freien Sonntag auswählen und damit
ausgerichtet, Volkhard Guth bildet mit der katholischen
foto­grafieren lassen – »Wer den Mut dazu hat!« Die
Betriebsseelsorgerin Ingrid Reidt ein eingespieltes Team.
wenigsten muss man lange bitten. Sebastian Bernschein,
Geeignete Themen gibt es immer wieder neu: In diesem Jahr
Kirchen­vorstand der benachbarten Stadtkirchengemeinde,
ist es der Schutz des Sonntags, den die hessische Landes­
greift zum Spruch »Der freie Sonntag hat keinen Zweck und
regierung mit einem novellierten Ladenöffnungsgesetz
das ist gut so«. »Der hat politische Schlagkraft«, begründet
und – ganz aktuell – mit einer neuen Verordnung aufweicht.
In den Vorjahren ging es um den Mindestlohn, die Finanz­
krise oder den Verlust von Arbeitsplätzen bei Opel, der die
Menschen am Stammsitz Rüsselsheim empfindlich traf.
»Hat der Sonntag seine Zeit?«
Den passenden Text zur Predigt von Ingrid Reidt liefert die
Schöpfungsgeschichte im ersten Buch der Genesis. »Schon
damals war das Gebot der Feiertagsheiligung Ausdruck
einer dringenden Notwendigkeit: nämlich der alten Logik
jener Menschen ausbeutenden Zweckdienlichkeit und
Verzweckung zu entkommen«, sagt Volkhard Guth. Sein
Fazit: »Es bedarf des Muts zur Veränderung, der Umkehr der
bisherigen Verhältnisse und der Buße im originären Sinne,
wenn das Heilige zum Tragen kommen soll.«
An den Gottesdienst, der sich bewusst an der vertrauten Liturgie orientiert, schließt sich eine Gesprächs­
runde an, für die der Altarraum zu einem Podium umgebaut
wird. Moderiert vom Pfarrer debattieren ein Gewerk­schafts­
sekretär, die Betriebsseelsorgerin Reidt sowie der Senior­chef
eines bekannten Rüsselsheimer Augen­optik ­unter ­nehmens
die Folgen der zunehmenden Nutzbar­machung des Sonntags
für kommerzielle Interessen.
42
Abgeschafft, aber sehr lebendig
Schon immer griffen Buß- und Bettage gesellschaftliche
Fehlentwicklungen und Krisen auf. Früher allerdings wurden
Tage wie Themen von der Obrigkeit verordnet. Das begann im
Römischen Reich und setzte sich im Mittelalter fort. 1816
bestimmte zuerst Preußen den Mittwoch vor dem letzten
Sonntag im Kirchenjahr zum Buß- und Bettag, andere Länder
folgten. 1892 führte Kaiser Wilhelm II. im gesamten Reich einen
einheitlichen Feiertag zur gemeinsamen Einkehr und Besinnung
ein. Seit 1995 ist der Buß- und Bettag nirgendwo in Deutschland
mehr gesetzlicher Feiertag – bis auf Sachsen. »Viele haben erst
mit dieser Abschaffung erkannt, wie wichtig der Buß- und
Bettag ist«, meint Dr. Brigitte Bertelmann vom Zentrum
Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN. »Strukturelle
Fehlentwicklungen in der Gesellschaft sind nicht naturgegeben,
wir können sie verändern. Dafür tragen wir als Christen mit
Verantwortung.«
Gemeinsame Initiativen mit anderen gesellschaftlichen
Akteuren
Wie in Rüsselsheim finden an diesem Tag in vielen
Gemeinden der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
(EKHN) Gottesdienste, Nachtgebete und Gesprächsrunden
statt. Immer abends, damit sie die Berufstätigen nach
der Abschaffung des Feiertags besuchen können. Häufig
sind andere Akteure wie Gewerkschaften, Umwelt­
organisationen und die katholische Kirche mit im Boot.
»Solche Kooperationen mit Partnern, die gleiche Ziele
verfolgen, sind einfach sinnvoll, wenn wir uns als Kirche
für und in der Welt verstehen«, sagt Brigitte Bertelmann,
stellvertretende Leiterin des Zentrums Gesellschaftliche
Verantwortung der EKHN.
In Frankfurt arbeiten die beiden großen Kirchen,
Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaftsvertreter in einer
sozialpolitischen Initiative zusammen. Sie organisieren
eine Veranstaltung zum Buß- und Bettag in der Frankfurter
Matthäuskirche in der Nähe des Messeturms. Unter dem
Motto »Viele Krisen, nichts gelernt!« geht es um die Frage:
»Brauchen wir ein neues ökumenisches Sozialwort?«
Auf einem Podium diskutiert unter anderem Professor
Dr. Gerhard Wegner, Direktor des Sozialwissenschaftlichen
Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er
rechnet noch 2012 mit einem neuen sozialkritischen Wort
der beiden großen Kirchen – »in kurzer und knackiger
Form« und ähnlich substanziell wie das letzte Sozialwort
von 1997. »Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Krisen
müssen wir uns zusammenraufen und mit wichtigen,
spannenden und deutlichen Thesen öffentlich Position
beziehen.«
Dr. Gunter Volz, Pfarrer auf der Profilstelle für
Gesell­schaftliche Verantwortung in Frankfurt und Mit­
initiator der Sozialwortveranstaltung, ist mit der Resonanz
staltung keine Eintagsfliege bleiben. Die Initiative will ein
zufrieden: »Ich denke, wir haben ein deutliches Ausrufe­
Thesenpapier als Vorlage für ein mögliches Sozialwort ent­-
zeichen setzen können.« Echte Buße verlangt nach
wickeln. Katholische und evangelische Kirche in Frankfurt
praktischer Umkehr, sagt er. Deshalb darf auch diese Veran-
wollen verstärkt zusammenarbeiten.
n
43
November 2011, Ewigkeitssonntag
Treffpunkt der Kirchengemeinde Herrnhaag
Wo der Tod ein Teil des Lebens ist
»Mitten im Leben sind wir vom Tode umfangen«: Martin Luther hat das gesagt. Auf dem Herrnhaag bei Büdingen bekommen Konfirmanden eine Vorstellung davon. Gleich neben der Kirche
steht die Leichenhalle, ein Ort, der jeden zum Innehalten auffordert. Aber mitten auf dem kirchlichen Friedhof blüht auch Leben: Gotteshaus und Friedhof bilden das Zentrum dieser Gemeinde.
E
inmal im Jahr geht das Pfarrerehepaar Kerstin und
Herrnhaag versucht, Luthers Satz neu zu füllen: Mitten im
Oliver Mohn mit den Konfirmanden in die kleine
Tod blüht hier kirchliches Leben. Zu der Gemeinde mit
Leichenhalle der Gemeinde auf der Anhöhe zwi-
Gotteshaus und Friedhof gehören drei Dörfer und 1.800
schen den Büdinger Ortsteilen Diebach, Lorbach
evangelische Christen. An vielen Samstagen trifft man auf
und Vonhausen. Dann gibt es einen Konfirmanden-
­tag zum Thema »Tod und Sterben«. Die Teilnahme ist frei­
willig, aber selbst aus umliegenden Gemeinden kommen
Bau­maßnahmen auf dem gesamten Friedhofsgelände
immer wieder Jugendliche dazu. Die Pfarrerin hat einen
anstehen, finden sich immer wieder viele Freiwillige ein.
Bestatter eingeladen, der einen leeren Sarg mitbringt und
Und am Sonntag versammeln sie sich zum Gottesdienst in
auch einige Urnen. Alles zum Anfassen, auch wenn es ein
der Kirche, deren Inneres weiß, pastellgelb und sand­stein­
seltsames Gefühl ist. Der Tag bietet den Jugendlichen die
farben schimmert. Schon im 13. Jahrhundert gab es an
Gelegenheit, offen alles zu fragen, was mit diesem sensiblen
diesem Platz christliches Leben. Die kleine Kirche aus alter
Thema zu tun hat. Sein Ziel hat der Tag erreicht, wenn die
Zeit lag verkehrsgünstig an der uralten Reffenstraße, die
Jugendlichen ihre Angst davor verloren haben.
die Messestädte Frankfurt und Leipzig verbindet. »Wir
Das Gespräch über Tod und Sterben ist immer noch
ein Tabu, sagt Pfarrerin Mohn. Aber die Gemeinde auf dem
44
dem Gelände Menschen, die traditionell die Gräber ihrer
Angehörigen pflegen. Aber auch wenn Pflege- oder
waren sozusagen die erste Autobahnkirche«, sagt Pfarrerin
Kerstin Mohn lächelnd.
www.kirche-herrnhaag.de
Ungewöhnlich ist nicht nur die Lage der Kirche auf dem
schon gibt es 20 neue Gräber. »Eine Urne braucht viel
Hügel zwischen den drei Dörfern, sondern auch, dass die
weniger Platz, außerdem ist das Grab einfacher zu pflegen«,
Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) Träger
so die Pfarrerin.
des Friedhofs ist. Im gesamten Gebiet der EKHN gibt es nur
noch drei »Kirchhöfe«. Für die Herrnhaager gehört der
Bei den Menschen auf dem Friedhof fühlt sich das
Pfarrerehepaar Mohn oft »wie in der Sprechstunde«. Neben
Friedhof einfach zum Gemeindeleben. Doch die Spielregeln
praktischen Dingen geht es dabei vor allem auch um Seel-
sind klar: »Ein Friedhof kostet Geld. Wir müssen immer
sorge. Sie wollen den Menschen Mut machen, offener mit
dafür sorgen, dass die Kosten gedeckt werden können«,
dem Tod umzugehen – und ihre Trauer zuzulassen. Die
sagt Pfarrer Oliver Mohn.
seelsorgerliche Arbeit verlangt viel Fingerspitzengefühl.
Ohne die Menschen vor Ort wäre das undenkbar. »Das
Denn wenn ein Mensch stirbt, löst das oft auch materielle
meiste hier geschieht ehrenamtlich«, berichtet der Pfarrer
Nöte aus. »Immer häufiger können Angehörige das
und schwärmt vom großen Engagement der Gemeinde.
Begräbnis nicht bezahlen«, sagt Kerstin Mohn. Dann muss
Kürzlich wurde die Leichenhalle erweitert, draußen
nach Lösungen gesucht werden.
entstand ein neuer Parkplatz und ganz aktuell brach das
Die Konfirmanden haben einen Rundgang über den
Gewölbe einer Grabgruft neben der Kirche ein und musste
Friedhof unternommen, jetzt sitzen sie in der Kirche und
gesichert werden. Ständig fallen neue Arbeiten an.
sprechen über das, was sie gesehen haben: das Ehrenmal
Die Mohns kamen 1992 in die Wetterau. Oliver Mohn
für Soldaten, das Urnenfeld – und die Kindergräber. Es ist
ist seit Kurzem in der Nachbargemeinde tätig. Seine Frau
der Moment, der einen der Jungen besonders berührt. Sein
Kerstin hat neben der Seelsorge die Friedhofs­verwaltung
Geschwisterchen war vor Jahren bei der Geburt gestorben
übernommen. Sie bearbeitet Baugutachten, kümmert sich
und liegt dort bestattet. Der Junge schluckt, als die
um wackelige Grabsteine und fahndet nach gestohlenen
Sprache darauf kommt. Er weint nicht. Ein Mädchen weint,
Grablampen. Fachlich kann sie es mit jedem Bestatter
Hände legen sich auf ihre Schultern. Am Ende sagt die
aufnehmen. Die meisten Bestattungen erfolgen zurzeit in
Zwölfjährige auf die Frage, was ihr am besten gefallen hat:
Urnen. Im letzten Sommer musste daher auf dem Herrn­
»Als ich traurig war, wart ihr für mich da.«
haager Friedhof ein weiteres Urnenfeld eröffnet werden,
n
45
Dezember 2011, Adventszeit
Adventskranz in Zotzenbach im Odenwald
Ganz groß im Advent
Mit einem besonderen Adventskranz sorgt eine Kirchengemeinde im Odenwald jedes Jahr für
Aufsehen, bringt mit dem preisgekrönten Projekt Menschen das Anliegen der Adventszeit nahe
und begründet so ganz nebenbei eine Tradition, auf die alle im Ort ein bisschen stolz sind.
Z
wei Kilometer weit streckt sich das über tausend
Jahre alte Zotzenbach, ältestes »Waldhufendorf« Deutschlands, in einem Nebenarm des
Weschnitztals. Es ist Mitte November. Pfarrer
Hermann Birschel baut mit zwei Helfern mitten
im Dorf einen riesigen Adventskranz auf, vor dem Pfarrhaus
gegenüber der Kirche. Immer wieder grüßen Fußgänger
durch den schmiedeeisernen Zaun in den Vorgarten des
Pfarrhauses. Hermann Birschel grüßt zurück. Man kennt
sich. Die Hälfte der Zotzenbacher gehört zu seiner
Gemeinde. Die anderen irgendwie auch. Die evangelische
Kirche – ein imposanter Ziegelsteinbau von 1877 auf der
gegenüberliegenden Straßenseite – ist die einzige im Dorf
und für alle da.
Aber: 25 Stufen führen hinauf zur Kirche. Nicht
gerade niederschwellig, wie es heute so schön heißt. Als
Pfarrer Birschel 2008 in die Gemeinde kam, herrschte
Aufbruchstimmung. Man suchte nach etwas Besonderem,
einem neuen kirchlichen Angebot für alle im Dorf.
Gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Kirchenvorstands
ent­wickelte ein Zotzenbacher Zimmermann die Idee zum
Adventskranz im Vorgarten des Pfarrhauses gegenüber der
Kirche.
Er bearbeitete vier Baumstämme, der größte
2,20 Meter, der kleinste 1,20 Meter lang, und befestigte sie
im Winter 2008 im Pfarrgarten, alles unentgeltlich. Und
Pfarrer Birschel lud zum ersten Mal alle im Dorf an jeden
Adventssamstag zum »Treffpunkt Adventskranz« ein. Immer
um 16.59 Uhr, kurz bevor die Kirchenglocken den Sonntag
einläuteten, wurde die entsprechende Anzahl an Flamm­
schalen angezündet: erst ein, dann zwei, dann drei, dann
vier. Beim ersten Mal, sagt Birschel, kamen einige Dutzend
Gemeindemitglieder, beim vierten Advent war es schon an
die hundert. Bei 2.500 Einwohnern ist das eine ordentliche
Quote. Eine Erfolgsgeschichte begann.
Mehr als die erste Strophe von »Macht hoch die
Tür« bekamen sie freilich aus dem Stand kaum zusammen.
Deshalb organisierte der Pfarrer bald einen Beamer, der
den Text der Lieder auf die Wand eines Nachbarhauses
projizierte. Ein Posaunenchor, der Kirchenchor und der
Gesangverein kamen gerne und sorgten für ein solides
46
musikalisches Gerüst. Die Menschen sangen und Pfarrer
kinder und die Erzieherinnen. Hermann Birschel erklärt per
Birschel erzählte jeweils eine Geschichte zum Advent.
Mikrofon den Ablauf. Der Beamer projiziert Bilder aus der
Es gab Glühwein, heißen Apfelsaft und Bratwurst. Alle
Kirche und später Liedertexte. »Dicke rote Kerzen«, singen
freuten sich auf das nächste Mal und jedes Jahr kamen rund
die Kinder.
200 Euro Reinerlös in die Kasse der Gemeinde. Seit 2010 hat
Die Leute auf der Straße halten sich an den Glüh-
der Evangelische Kindergarten seine Weihnachtsfeier für
weinbechern fest, reden darüber, ob Star-Wars-DVDs ein
die jungen Familien an einem der Samstage an den großen
gutes Weihnachtsgeschenk sind und wie es den Großeltern
Adventskranz verlegt.
geht. Über die Frage, wie es ihnen beim »Treffpunkt
Auf der Ideenmesse der Evangelischen Kirche in
Advents­kranz« gefällt, lachen sie ein bisschen. »Gut! Man
Hessen und Nassau im August 2009 in Wiesbaden stellte die
trifft halt hier alle.« Wie lange es das schon gibt, wissen die
Gemeinde ein Modell ihres Adventskranzes aus und gewann
meisten gar nicht mehr so genau, aber eines steht für sie
den Publikumspreis. Die 2.000 Euro Preisgeld wurden unter
fest: »Ist eine super Tradition.«
n
anderem in eine dauerhafte Bepflanzung und eine Elektro­
leitung in den Vorgarten investiert. Die vier Löcher für die
Stämme wurden mit Beton ausgegossen, Halterungen aus
Metall im Boden verankert. Das Feuer in den Flammschalen
brennt nur an den Adventssamstagen. Die Woche über
simulieren umgedrehte Champagnerflaschen das Kerzen­
licht. Durch deren Milchglas schimmern Glühbirnen. Und
das Modell von der Ideenmesse steht im Kindergarten.
Für Kinder und Eltern knüpft es eine sichtbare Brücke zur
Kirchengemeinde.
Ende November sieht Zotzenbach dann wieder
weihnachtlich aus. Beleuchtete Tannenbäume säumen die
Dorfstraße, Lichterketten hängen an den Häusern.
Samstags vor dem dritten Advent stehen mehr als hundert
Menschen vor dem Pfarrhaus, darunter viele junge Eltern
Innovationspreise beim Ideenwettbewerb 2009
Anlässlich des Kirchenvorstandstags
der Evangelische Kirche in Hessen und Nassau
»Lust auf Gemeinde« wurden ausgezeichnet:
n 1. Preis (2.000 Euro):
Kirchengemeinde Zotzenbach für ihren »Treffpunkt
Adventskranz«
n 2. Preis (1.000 Euro):
Evangelische Kirchengemeinde Michelstadt-Steinbach
für ihr »SteinbachLabyrinth«, ein begehbares Labyrinth
als Meditationsweg
n 2. Preis (1.000 Euro):
Christuskirchengemeinde Bad Vilbel für das Projekt
»Schaufensterchristen«.
Eine Woche lang lebten 14 Jugendmitarbeiter in einem
leer stehenden Geschäftslokal in einer Einkaufsstraße
und boten unter dem Motto »Eine Woche meines Lebens«
Installationen, Gespräche und Andachten an.
und Großeltern. Auf dem Rasen stehen die Kinder­garten­
47
Dezember 2011, Weihnachten
Frankfurter Winterreise
Glanz und Elend, Armut und
Reichtum zusammenbringen
Eine neue Idee breitet sich aus. Erdacht in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
(EKHN), findet sie inzwischen bundesweit Resonanz: die Frankfurter Winterreise. Der gleich­
namige Liederzyklus von Franz Schubert wird verknüpft mit Lebensgeschichten von Obdach­
losen. Hohe Kunst und menschliche Abgründe kommen zusammen.
»
48
Es heißt immer, die Hoffnung stirbt zu-
licher ist als zwischen vier Wänden mit einem prügelnden
letzt. Das ist falsch. Hoffnung stirbt viel
Ehemann. »In einer Nacht bin ich ab. ›Ich kann nicht
früher, die ist tot und ich bin noch da.«
mehr!‹, habe ich auf den Zettel geschrieben und bin
Ohne Vorwurf oder Klage zieht eine
gegangen. Gnade dir Gott, wenn er dich findet.«
wohnungs­lose Frau ihre ernüchternde
Die von Stefan Weiller, Öffentlichkeitsreferent des
Lebensbilanz. Längst ist ihr jeder Glaube an die Zukunft
Diakonischen Werkes Wiesbaden, gesammelten Lebens­
abhandengekommen. Ihre »größte Angst« ist nur noch,
abrisse stoßen die Tür auf zu Wahrheiten, die viele von uns
»dass meine Familie erfährt, was mit mir passiert ist«. Kein
lieber ausblenden. Er hat eine Präsentationsform entwickelt,
Text lässt die Zuhörer kalt, die am 4. Advent in die Kirche
die »kein Liederabend, keine Dokumentation, keine
der Evangelischen Hoffnungsgemeinde gekommen sind. Die
Dichter­lesung und kein Konzert – und doch zugleich alles
Stadtbevölkerung hat sich an den Anblick Wohnsitzloser
zusammen« ist. Von der Schauspielerin Hansi Jochmann
gewöhnt, aber was sie zu sagen haben, hört man so gut wie
gesprochen, gehen die Texte unter die Haut, eindringlich
nie. Und ebenso selten erfährt man, welches Unglück sie
verknüpft mit Franz Schuberts Musik aus seiner »Winter­
auf die Straße geworfen hat. Dass es hier für manche erträg­
reise«. »Wo sollen wir denn hin in dieser Welt?«, fragt eine
der Frauen. »Man will doch mitmachen. Man will doch
Christi und daran, wie zentral für Maria und Josef die
seinen Platz. Wir können ja nicht einmal lächeln. Wir
Erfahrungen von Heimat und Heimatlosigkeit sind: »Gott
nehmen die Hand vor den Mund, damit die anderen sich
findet seine Wohnung ausgerechnet unter den Wohnungs­
nicht vor Karies ekeln.«
losen.«
Als gemeinsame Veranstaltung der Evangelischen
Unter Männern wie jenem also, der in Weillers erster
Hoffnungsgemeinde und des Diakonischen Werkes für
Winterreise mit der Ansicht aufräumte, im Winter sei die
Frankfurt am Main gab es die erste »Frankfurter Winter­
Wohnungslosigkeit besonders schlimm. »Weihnachten,
reise« im Januar 2011 mit den Erlebnissen wohnungsloser
da kommen den Leuten Gefühle, da hat jeder Angst, du
Männer. Damals sprach der vielfach ausgezeichnete
könntest unter städtischem Lichterschmuck erfrieren und
Schauspieler und Synchronsprecher Christian Brückner
so richtig die Glühweinstimmung vermiesen. Sobald es
ehrenamtlich die Texte. Die zweite Aufführung im Dezember
draußen wieder blüht, glaubt jeder, jetzt sei alles gut.
verschaffte den Frauen Gehör. Dafür führte Weiller zahl-
Im Sommer, wenn sich wirklich keiner mehr für dich inter-
lose Gespräche in der von der Hoffnungsgemeinde unter­-
­essiert, dann ist die eigentliche Eiszeit.«
haltenen Kaffeestube Gutleut und im Zentrum für Frauen
der Diakonie. Er fand die »klassischen«, in Wohnungs­losig­
Die Idee der Winterreise ist bereits in vielen
größeren Städten im Gebiet der Evangelischen Kirche in
keit mündenden Wege wie Jobverlust, Krankheit, Trennung
Hessen und Nassau übernommen worden, aber auch in
oder Tod des Partners. Aber auch »erschreckend häufig«,
Augsburg, Saarbrücken, Krefeld und sogar in Luxemburg.
n
wie er sagt, das »Tabu Gewalt in der Ehe und Beziehung«.
Wie schon im Januar übernahm Oberbürger­
meisterin Petra Roth auch für die Winterreise im Dezember
die Schirmherrschaft. Michael Frase, Leiter des Diakonischen Werkes, versteht das als Zeichen, dass sich die Stadt
»dem Thema stellt«. Seit 2008 ist die Zahl wohnungsloser
www.deutsche-winterreise.de
Männer und Frauen in der Stadt um zehn Prozent gestiegen.
Das Projekt, das »Kunst, Kultur und Sozialarbeit auf
wunderbare Weise verbindet«, trägt zur Sensibilisierung
der Öffentlichkeit bei, sagt er. Nicht zuletzt deshalb, weil
es mehr vor Augen führt als nur die materielle Not der
Menschen ohne Wohnraum. Schlimmer noch ist der
»Ausschluss aus der Gemeinschaft«. Frase appelliert an die
Stadtgesellschaft, sich verantwortlich zu fühlen.
Zum Einzugsbereich der Hoffnungsgemeinde
gehört das Rotlichtmilieu des Bahnhofsviertels ebenso wie
die Bankentürme und die Luxusbehausungen des Westends
oder der Straßenstrich an der Messe. Für Weiller ist es »eine
der spannendsten Gemeinden im Stadtgebiet«. Hier sieht er
genau jene Gegensätze vertreten, zwischen denen die
Winterreise eine Brücke schlagen will: »Glanz und Elend,
Armut und Reichtum, Teilhabe und Ausgrenzung.«
Maria und Josef aus der biblischen Weihnachts­
geschichte dürften die bekanntesten Obdachlosen sein.
Lars Kessner, Pfarrer an der Hoffnungsgemeinde, erinnert
vor der Aufführung an die Geschichte von der Geburt Jesu
49
Februar 2012
Winterspeisung in der Katharinen- und der Weißfrauen-Diakoniekirche in Frankfurt
Essen, Wärme und Gemeinschaft
Als der bitterkalte Winter 1986 zahlreichen Obdachlosen das Leben kostete, diskutierte der
Frankfurter Magistrat tagelang über die nächtliche Öffnung von U-Bahnhöfen. Währenddessen
schritten die Frankfurter Katharinen- und die Weißfrauengemeinde zur Tat. Um wohnungslose
Menschen vor dem Erfrieren zu bewahren, teilten sie in ihren Kirchen heißen Tee, belegte
Brote und Kleidungsstücke aus. Aus der spontanen Aktion wurde eine feste Einrichtung. Und
bundesweit ein Vorbild für viele ähnliche Initiativen.
50
S
eit 26 Jahren ist Werner Fuchs dabei, heute
Logistik und Organisation haben im Laufe der Jahre fast
Geschäftsführer des Cateringunternehmens
professionelles Niveau erreicht. Ein harter Kern von
Martha’s finest. Ein Mann der ersten Stunde.
Ehren­amt­lichen mit vielen Helferinnen und Helfern sorgt
Damals war er Kirchenvorsteher in der Weiß­
im Januar in der Katharinenkirche und im Februar in der
frauen­gemeinde. Er sieht die damalige Aktion
Weißfrauen-Diakoniekirche für den reibungslosen Ablauf.
als Impuls für die bundesweite Tafelbewegung. Pfarrer
Dass die Weißfrauengemeinde inzwischen mit der Gutleut-
kamen aus anderen Bundesländern angereist, um sich über
und der Matthäusgemeinde zur Hoffnungsgemeinde
das Konzept zu informieren. Auch in Frankfurt zog die
fusionierte, änderte nichts am Engagement.
Sache Kreise. Bald entstand der Verein Lobby für Wohn­
sitz­lose und Arme, dann die Kaffeestube Gutleut und
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein
schließlich im ganzen Stadtgebiet weitere Initiativen –
Damit täglich von 10.30 bis 17 Uhr Hunderte von Broten ge-
unter anderem das große Diakoniezentrum Weser5.
schmiert, literweise Tee und Kaffee gekocht sowie die von
Mit den improvisierten Anfängen hat die »Winter­
Martha’s finest gelieferten Mahlzeiten ausgeteilt werden
speisung« heute nicht mehr viel zu tun. Zwar wird sie nach
können, sind rund 80 Personen im Einsatz. Seit geraumer
wie vor ausschließlich über Spenden finanziert. Aber
Zeit ordnet zudem die Deutsche Bank im Rahmen ihres
51
hätte die Theologin nicht mit einem so hohen Anteil an
Frauen oder trotz ihrer Armut oftmals gut ge­kleideter
Menschen gerechnet.
Der Mensch braucht auch Kultur
Vor allem für das Konzert, mit dem die Hoffnungsgemeinde
seit elf Jahren die Winterspeisung in der WeißfrauenDiakoniekirche eröffnet, holen viele ihre besten Stücke aus
dem Schrank. Wie etwa Rosi, die sich schon Wochen vorher
auf das Ereignis freut – obwohl sie musikalisch eigentlich
Soul vorzieht. Beim Konzert mit Bata Illic gefällt ihr aber
»die Stimmung und das ganze Drumherum«. Und dass der
Künstler »keine Berührungsängste hat, die Leute anfasst
und mitsingen lässt«. Entsprechend ausgelassen geht es
am Nachmittag zu. Viele Besucher haben sich untergehakt
und schunkeln, manche suchen sich ein Plätzchen, um das
Tanzbein zu schwingen. Bis in die Abendstunden verwandelt
sich das Gotteshaus in eine Mischung aus Konzert­saal,
freiwilligen Einsatzes für gemeinnützige Zwecke (Social
Diskothek und Festplatz.
Die Großzügigkeit eines Frankfurter Geschäfts­
Day) mehrere Mitarbeiter für die Winterspeisung ab. Auch
Konfirmanden packen immer wieder mit an.
Die heute mehrheitlich von bedürftigen Senioren
manns macht es jedes Jahr wieder möglich. Und Bata Illic
ist froh, den Menschen mit seiner Musik ein paar glückliche
und Hartz-IV-Beziehern besuchte »Winterspeisung« lindert
Stunden bereiten zu können. Er hält dem »wunderbaren
auch Einsamkeit und Isolation. Nach dem Essen bleiben
Publikum« seit elf Jahren die Treue. Die Gäste danken es
etliche der täglich bis zu 200 Gäste noch lange sitzen und
ihm.
genießen die Geselligkeit. An den Tischen wird viel geredet
und gelacht, bisweilen auch gespielt. Die Ehrenamtlichen
Kaffeestube Gutleut
haben stets ein offenes Ohr für Sorgen und Nöte. Als
Aus eigener Kraft und während des gesamten Jahres gelingt
Pfarrerin Jutta Jekel 2010 in die Hoffnungsgemeinde kam,
der Gemeinde dagegen der Betrieb eines einzigartigen
erstaunte sie das Projekt gleich mehrfach. Zum einen war
Restaurants. Seit 1991 bekommen mittellose Menschen in
sie von der großen Schar der freiwilligen Helfer überrascht –
der Kaffeestube Gutleut für 2,50 Euro (sonntags 3,50 Euro)
darunter nicht wenige über 80-jährige Damen. Zum anderen
ein Menü aus Suppe, Hauptgericht und Dessert – und zwar,
wie in der Gastronomie üblich, an den Tischen serviert.
Außer dienstags ist täglich geöffnet. Jährlich gehen im
umfunktionierten Gemeindesaal rund 20.000 Essen über
die Theke. Manchmal wurde es knapp mit der Finanzierung,
aber mit der Hilfe engagierter Bürger und Organisationen
konnte das Restaurant immer wieder überleben. In Verantwortung für die Schwachen und Ausgegrenzten setzt die
Gemeinde alles daran, dass dies auch in Zukunft so bleibt.
»Wir nennen uns nicht umsonst Hoffnungs­gemeinde«, sagt
der seit 16 Jahren mit der Buchhaltung betraute Kirchen­
vorsteher Horst Denz und zitiert ein altes lateinisches
Sprichwort: »Nomen est omen: Der Name deutet schon
darauf hin.«
52
n
Februar 2012, Passionszeit
Sodener Passion in Bad Soden am Taunus
Wo die toten Kinder wohnen
In der Kurstadt am Taunus begehen die beiden großen Kirchen die Wochen vor Ostern mit einer
eigenen Veranstaltungsreihe. Sie soll das Passionsgeschehen wieder stärker ins Bewusstsein der
Menschen rücken. Ein schlichtes großes Holzkreuz bildet das Leitmotiv. Es wird durch die Stadt
getragen, an alltägliche Orte wie ins Sozialamt, in die Schule oder ins Krankenhaus gebracht.
Das Kreuz erinnert die Christen an Jesu Leiden am Karfreitag. In die Gegenwart übersetzt heißt
das: Das Kreuz steht für die schweren Zeiten im Leben.
M
anchmal genügt ein einziges Wort. »An­­
denken« steht schlicht und ergreifend auf
dem violetten Prospekt, der zur Sodener
Passion 2012 einlädt. Diesmal lautet das
berührende Thema: »Denken und Andenken
an tote und lebende Kinder«. »Viele Menschen bewegt das
und es wird doch nur selten offen angesprochen«, sagt
Pfarrer Achim Reis, Gründer der Sodener Passion. Auf dem
örtlichen Friedhof gibt es seit zehn Jahren das Haus der
toten Kinder: für Kinder, die schon in einer frühen Phase
der Schwangerschaft gestorben sind. Die Urnengrabstätte
entstand auf Initiative der evangelischen Gemeinde, der
Stadt und der Kreiskliniken. Idee, Entwurf und Name
stammen von Reinhart Büttner. Zweimal im Jahr können
hier Eltern in einem würdigen Rahmen Abschied von ihrem
Kind nehmen.
Das Kreuz wird zum Friedhof getragen. Rund zwei
Dutzend Menschen folgen ihm. »Wir gehen Jesus hinterher
auf dem Weg des Lebens – und auf dem Weg des Leidens«,
sagt Reis und liest die Stelle aus dem Evangelium, an der es
heißt: »Wer sein Leben erhalten will, wird es verlieren; wer
werden – und dadurch Menschen helfen, leichter mit dem
es verliert, wird es erhalten.« Es ist Aschermittwoch. Reis’
einen oder anderen Kreuz im eigenen Leben umzugehen
Pfarrerkollege Andreas Heidrich trägt das Aschenkreuz auf
und es zu tragen.
der Stirn. Der Übergang von der Fastnacht zur Fastenzeit ist
Der Zug mit dem Holzkreuz kommt auf dem Fried­-
nicht ganz einfach. Besonders für die Kinder, die das Kreuz
hof an der Falkenstraße an. Den Kindern ist anzumerken,
durch die Straßen tragen. »Sie singen heute so wie gestern
wie der Ort in ihnen arbeitet. Sie sehen Kerzen, durch Glas
den Kindergarten-Boogie«, erzählt Roswitha Born-Zugaj,
vom Wind geschützt, einen steinernen Engel, einen Stein
Leiterin der evangelischen Kindertagesstätte Im Sonnen­
mit der Aufschrift »Wir vermissen dich«. Das Haus der toten
garten.
Kinder ist eine Kapelle aus weißem Beton, umgeben von
Die ökumenische Sodener Passion wurde im Jahr
einem kleinen Garten, von einer Mauer eingefasst. »Ein Ort
2004 ins Leben gerufen. Auslöser war auch ein »Oster­
des Abschieds und der Trauer, aber auch des Bewahrens«,
konzert«, zu dem die örtliche Musikgesellschaft aus­ge­
sagt Reis in seiner Ansprache. Immer wieder kommen Eltern
rechnet an einem der Passionssonntage einlud. Nur eine
hierher und gestalten ein Stück des Gartens. Wer das Haus
falsche Begrifflichkeit? »Ich dachte mir jedenfalls, dass wir
öfter besucht, findet immer etwas Neues.
die Passionszeit wieder stärker ins Bewusstsein rücken
müssen«, sagt Pfarrer Reis. Das Kreuz sollte sichtbar
Die innere Bindung an ein Kind, sagt der Pfarrer,
hängt nicht von dessen Alter und Lebensfähigkeit ab.
53
Deshalb ist der Kreißsaal ein Ort des größten Glücks –
gibt«, schildert sie die Empfindungen einer betroffenen
aber auch der tiefen Verzweiflung und Trauer. Das erlebt
Mutter. Wer ein Kind verliert, den treiben so viele Fragen
auch Dietrich Mosch, Chefarzt der gynäkologischen
um: Wer wärst du gewesen? Wieso konntest du nicht
Abteilung der ­Kliniken des Main-Taunus-Kreises. Er findet
bleiben? Wir hätten dich so gerne kennengelernt.
bei der Gedenk­feier ebenso bewegende Worte wie Kranken­
haus­seel­sorgerin Susanne Ebeling. »Trauer ist mein Gefühl,
mich an mein Kind zu erinnern, an das es keine Erinnerung
Diese schmerzliche Distanz ist auch Thema einer
Ausstellung, die Reinhart Büttner im Rahmen der Sodener
Passion zeigt. In der Stadtgalerie sind unter dem Titel
»Infantia – Kindheitsmodelle 1:1« Objekte aus Holz, Metall
und Karton zu sehen. Hier geht es nicht um den Tod,
sondern um die Erinnerung an die Kindheit, an die biografische und an die ewige. Alle Werke sind schwarz wie
Scherenschnitte oder Schattenrisse. Es ist nachdenklich
dunkel, aber nicht düster, es sind exemplarische Modelle.
Zu sehen sind etwa ein Rahmen ohne Bild, eine Leiter mit
Knick, die nie jemand besteigen wird. Ein Laufstall, der
auch eine mit Wimpeln geschmückte Burg sein könnte, ein
Stückchen Freiraum, zugleich aber ein Käfig, aus dem
niemand ausbrechen kann.
Bei der Vernissage zeigt sich Bürgermeister Norbert
Informationen zur Aktion
finden Sie online unter
www.sodener-passion.de.
Altenkamp erfreut, dass die Sodener Passion nicht nur
im kirchlichen, sondern auch im öffentlichen Raum statt­findet. Mehrere Vorträge sowie ein Konzert mit Gustav
Mahlers »Kindertotenliedern« ergänzen das Programm.
Die Arbeit an der Erinnerung ist eine Aufgabe nicht nur für
die Passionszeit. »Diese Kinder werden uns verändern,
wenn wir es zulassen«, sagt Klinikseelsorgerin Ebeling auf
dem Friedhof. Sie erzählt, was eine betroffene Mutter
gesagt hat: »Indem ich davon erzähle, kann das Kind bei
uns bleiben.«
54
n
März 2012, Weltgebetstag
Aktionstag der Frauen in Oberhessen
Steht auf für Gerechtigkeit
Der Weltgebetstag wird weltweit und ökumenisch gefeiert – immer am ersten Freitag im März.
Er verknüpft interkulturelle Frömmigkeit mit internationaler Solidarität. Schon Monate vorher stimmen Mitglieder des ökumenischen Arbeitskreises Weltgebetstag Multiplikatorinnen
in Seminaren darauf ein. Dazu kommen nicht nur Frauen aus Dekanaten und Gemeinden
der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, sondern auch aus der katholischen und aus
anderen Kirchen.
W
ie kann man himmelschreiende Un­­ge­
rechtig­keit erfahren, vor allem wenn sie
weit weg geschieht? Wenn Menschen ihrer
Lebensenergie beraubt, wenn sie unter­
drückt oder ausgebeutet werden? Sie
legen die Hände aneinander. Im Wechsel drückt eine Hand
die andere weg oder leistet Widerstand. 50 Frauen, die sich
in Gießen zur Vorbereitung des Weltgebetstags im März
2012 treffen, spüren dem Unerhörten nach und staunen,
wie viel Kraft das kostet. Für sie ist das Gegeneinander nur
ein Spiel – für viele malaysische Frauen ist es kraft­
raubender, bitterer Alltag. Ute Hohmeier und Elisabeth
Becker-Christ vom Verband der Evangelischen Frauen in
Hessen und Nassau führen die Multiplikatorinnen an das
heran, was Frauen aus Malaysia an Informationen, Gebeten,
Liedern, Tänzen und Bildern für den diesjährigen Welt­
gebets­tag zusammengestellt haben.
Erstaunen lösen die christlichen Lieder aus
Malaysia aus. Sie werden mit in sich schwingenden Vierteltönen gesungen, die an arabische Melodien erinnern. Das
Vaterunser erhält eine Melodie, einen veränderten Text und
wird durch Gesten begleitet. Das »Führe uns nicht in
Versuchung« versinnbildlichen zusammengelegte Hände,
die das Böse nach rechts und links abweisen und so wie
Fische anmuten, die sich durchs Wasser schlängeln.
Weltgebetstag der Frauen
Weltgebetstag: Das ist ein ökumenischer Gottesdienst mit
inter­nationalem Horizont, das sind entwicklungspolitische
Bildungs­veranstaltungen, Informationsveranstaltungen
über andere Länder und das sind Solidaritätsaktionen mit
den Benachteiligten diese Länder.
Christinnen aus den USA und Kanada riefen 1927 erstmals
weltweit den ökumenischen Gebetstag aus. »Informiert
beten, betend handeln« ist das Motto der Weltgebetstagsbewegung, die daraus entstanden ist.
Gefeiert wird mittlerweile in über 170 Ländern immer am
ersten Freitag im März und jedes Jahr wird der Gottesdienst
von Frauen aus einem anderen Land für die ganze Welt
vorbereitet.
Hildegard Platt aus Biebertal ist skeptisch: »Wenn
wir unseren über Achtzigjährigen mit einem neuen Text,
neuen Bewegungen und neuer Musik kommen – das über-
Als Hohmeier später mehr von den Besonderheiten des
fordert sie. Das ist doch ein Gebet, da darf man nicht so viel
Landes erzählt, gehören natürlich auch die Lebens- und
nachdenken müssen.« Die 73-Jährige wird zu Hause mit
Arbeitsbedingungen der Frauen dazu. Exemplarische
ihrem Team noch darüber sprechen. Aber vielleicht ändert
Geschichten, gesammelt von der malaysischen Frauen­
sie ja ihre Haltung auch noch, nachdem sie am Nachmittag
rechts­organisation Tenaganita (was in Deutschland wahr­-
an der Bibelarbeit teilgenommen und dabei mit der Gruppe
schein­lich mit »Frauenpower« übersetzt würde), veran­-
auch intensiv über den liturgischen Aufbau des Gottes­
schaulichen die Situation. Die Hessinnen können es kaum
dienstes der malaysischen Frauen nachgedacht hat.
glauben: Frauen, die in einer Fabrik arbeiten wollen,
55
Ihre Freundin sei ständig geschlagen und beschimpft
worden, bis sie davonlief. Weil die schlimmen Geschichten
keine Einzelfälle sind, rufen die Malaysierinnen auf, sich
zu solidarisieren. Eine Unterschriftenaktion soll dazu
beitragen, dass die UNO-Konvention von 2011 ȟber
menschen­würdige Arbeit für Hausangestellte« weltweit
anerkannt wird. Dass eine solche Aktion Wellen schlagen
kann, zeigt das Beispiel der Ökumenischen Asiengruppe in
Frankfurt. Diese Beratungs­stelle für Migrantinnen entstand,
nachdem 1980 der Gebets­tag von Thailand gestaltet worden
war, mit einer Unterschriftenaktion gegen Sextourismus.
Tragt es in unsere Haushalte!
»Den Malaysierinnen ist es ganz wichtig, dass wir für
Gerechtigkeit in unserem eigenen Land aufstehen«, betont
Ute Hohmeier. Plötzlich rückt das Thema sehr nahe. In
Malaysia kann eine Frau aus der Wetterau oder aus dem
Taunus wenig erreichen, aber die Frage »Wie geht es den
Hausangestellten bei uns?« richtet den Blick aufs Nach­bar­werden quasi zu Leibeigenen eines »Arbeitsagenten«, der
haus, wenn nicht gar auf das eigene Verhalten. Wie viel
ihnen gegen Aushändigung des Personalausweises und
Geld verdienen unsere Putzfrauen? Sind sie versichert
Provision eine Stelle verschafft – und dann noch einen Teil
und angemeldet? Man könne sich ja als Arbeitgeberteam
ihres Lohns einbehält.
zusammenschließen, lautet ein Vorschlag. Wenn dieser
Andere Frauen werden Hausangestellte. Ein
tiefgründige Frauentag zu Ende ist, soll er nachwirken:
Tenaganita-Protokoll bekundet: Eine Migrantin aus Thai-
»Aufzustehen für Gerechtigkeit« erfordert eben Engage-
land habe es sehr gut getroffen. Zwar zahle der Arbeit­geber
­ment und Mut – überall.
wenig, doch sie habe freie Tage und man behandele sie gut.
n
Stimmen vom Tag der Vorbereitung in Gießen
C armen A ppel - H au ,
40, evangelisch, aus Schotten:
experimentiert, wie wir die Menschen hier auf dem Land
»Den Weltgebetstag gestalten bei uns die katholischen und
erreichen. Abends haben nur die Zeit, die noch nicht oder
evangelischen Frauen im Wechsel. Dieses Jahr sind wir dran
nicht mehr im Stall arbeiten müssen. Deshalb feiern wir
und ich bin froh, dass ich beim Vorbereitungstreffen so viel
den Weltgebetstag vormittags, nach­mittags und abends,
über den Hintergrund Malaysias erfahre – auch wie der
mittler­weile auch mit Besuchern aus Nachbar­gemeinden.
Alltag für die Frauen aussieht. Am besten gefällt mir die
Das freut mich umso mehr, als wir eine evangelisch
Musik. Mal sehen, was wir davon mit übernehmen können.
geprägte Gegend sind. Von der Vorbereitung heute nehme
Bei uns wird erst der Gottesdienst in der Kirche gefeiert,
ich die Art der Kirchengestaltung mit. Mal die Kultur in
danach gehen wir ins Gemeindehaus. Dort werden wir ein
den Mittelpunkt zu stellen, mit Musik­instrumenten und
kleines Anspiel machen, indem wir aus dem Alltag einer
Handwerks­k unst – da wäre ich nicht drauf gekommen.«
Malaysierin erzählen. Vielleicht haben wir ja jemanden mit
eigenen Erfahrungen in der Gemeinde. Wir werden Dias
H eide F uchs ,
vom Land zeigen und erläutern. Danach wird es für alle ein
ist schon 17 Jahre her, haben wir einfach die vor­geschlagene
schönes, passendes Essen geben.«
70, evangelisch, aus Niddatal: »Früher, das
Liturgie abgelesen. Heute sind wir mutiger, wir bringen
unsere eigenen Ideen ein. Letztes Jahr zum Beispiel haben
T raudel T ausch ,
59, katholisch, aus Alsfeld-Schwalmtal:
»Ich bin jedes Jahr für den Weltgebetstag verantwortlich –
56
wir überlegt: Wie kann man deutlich machen, was ›arm‹
und ›reich‹ wirklich bedeutet? Wir haben dann ein Bild aus
zum einen auf Dekanatsebene, wo ich Informationen und
unserem Alltag dafür gefunden: Wie viele Brötchen hat
Anregungen weitergebe –, zum anderen aber in der
Amerika und wie viele hat Afrika? Das sah dann so aus, dass
Gemeinde Wallenrod, wo ich wohne und wo wir jedes Jahr in
eine Person (stellvertretend für einen Amerikaner) für sich
der katholischen Kirche ökumenisch feiern. Auch Muslime
allein so viele Brötchen hatte wie zehn Personen in Afrika
kommen vorab zu den Infoveranstaltungen, am Gottes­dienst
zusammen. So kommt die Gemeinde in einen Dialog und das
dann nehmen sie jedoch nicht teil. Wir haben mehrere Jahre
finde ich ganz wichtig.«
n
März 2012
Glaubenskurs in Gambach
Der See Genezareth in der Wetterau
Gambach in der Wetterau, das Gemeindehaus der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde,
ein Gemeindesaal in gedeckten Farben, 16 Personen bilden einen Stuhlkreis: In dessen
Mitte liegt der See Genezareth. Petrus steht in olivgrüner Regenkleidung am Ufer und sortiert
seine Fischernetze. Es ist einer der ersten Abende, seit die Jünger ihren Herrn zu Grabe
getragen haben. Und es ist der letzte Abend des Glaubenskurses »Farbe kommt in dein Leben«.
D
ie ehrenamtliche Kursleiterin Regina Vasserot-
Britta Laubvogel liest die biblische Erzählung (Johannes
Kraus steckt in Gummistiefeln und Fischer­
21) vor, die diesen Abend am See überliefert. Sie entfaltet
montur – und leiht dem Jünger ihre Stimme.
ein farbiges Arrangement am Boden: Unter einem grauen
»Ich geh’ fischen!« Die Parole hat Petrus aus­
Stoff erscheint kräftiges Blau für das Wasser des Sees. Als
gegeben. Zurück an die Arbeit, zurück zu den
Fang, der den Jüngern ins Netz gehen soll, verteilt sie
Ursprüngen, ehe der umtriebige Wander­prediger Jesus das
bunte Papierfische. Sie lädt die Zuhörer ein, sich jeweils
Leben seiner Jünger gründlich auf­gemischt hat. Jetzt ist ihr
einen der Bibelverse auf Pappkarten auszusuchen. Im Zwie-
Meister tot und die Schar weiß nicht, wie es weitergehen
­gespräch und in der großen Runde tauschen die Kurs­teil­
soll. Die Geschichten vom auf­erstandenen Jesus hält Petrus
nehmer ihre Ideen, Fragen und persönlichen Geschichten
für »Frauengewäsch«. Lässig und ein bisschen abgebrüht
dazu aus. Viel kommt zur Sprache: Eindrücke von Israel­
gibt sich der Mann im Ölzeug. Aber seine Gedanken kreisen
urlauben, Momente aus dem eigenen Alltag, aber auch der
um die letzten Begegnungen mit Jesus. Wie er, Petrus, der
Abschied von einem kürzlich verstorbenen Angehörigen.
Macher, immer wieder gefragt wurde, ob er den Rabbi kenne,
»Für alle, die nicht alles glauben«, stand auf dem
der sich für den Sohn Gottes hält. »Ich kenn’ den nicht, wie
Flyer, der Jutta Mihm auf den Glaubenskurs aufmerksam
kommst du darauf?!«, hat er beteuert, dreimal. »Erst die
gemacht hat. Das hat sie angesprochen. »Ich kann nicht
großen Sprüche geklopft und dann gekniffen«, stellt er
alles so glauben, wie es angesagt wird«, sagt die Kinder­-
jetzt kleinlaut fest und nestelt verlegen an seinen Netzen.
kranken­schwester und erzählt von einem Pfarrer, der Aids
Der Gambacher Glaubenskurs, durch das szenische
Spiel mit ans Seeufer versetzt, lauscht gebannt. Kursleiterin
eine »Strafe Gottes« genannt hatte. Aus ihrer Arbeit kannte
sie Kinder, die mit dem Virus infiziert sind, und wusste:
57
darüber ins Gespräch, wie etwas Neues beginnt. Wenn
Menschen sich wiederfinden in biblischen Geschichten, das
sind für Laubvogel die »ganz spannenden Momente« in
ihren Gruppen. »Auch Erwachsene brauchen biblische
Geschichten«, sagt sie, »und die brauchen Deutungen.«
Die Glaubenskurse sind für sie deshalb ein Bildungsangebot.
»Da werden auch Inhalte vermittelt.« Glauben und Denken
sind keine Gegensätze, im Gegenteil. Dass der Glaube
»reflektierend geschieht«, darin liegt die Chance zum
erwachsenen Glauben. Bei aller Beliebigkeit der spirituellen
Landschaft wollen Menschen ihre eigene Sprache im
Glauben finden. »Die wollen sich nicht anpredigen lassen«,
sagt die Bildungsreferentin im Dekanat Wetterau.
Katrin Dippe-Bochinski bedankt sich in der
Abschlussrunde für all die Empfindungen und Geschichten,
die die Teilnehmenden eingebracht haben. »Den Glauben
entdecken und aussprechen unter Gleichgesinnten, offen,
ohne schräge Blicke«, das war für sie eine gute Erfahrung.
Es sei ja eher unüblich, sich unter Freunden über Glaube
zu unterhalten – »man schämt sich irgendwie«, sagt sie
und fragt sich, warum das eigentlich so ist. Die Grund­schul­
lehrerin hat sich schon immer mehr Raum im Alltag ge­­wünscht, um Geschichten zu lesen, zu beten, zu singen,
»das kommt sonst zu kurz im Alltag«. Das Motto des Kurses
»Farbe kommt in dein Leben« findet sie einen »ganz wert­vollen Ansatz«. Farbe nimmt sie nicht nur aus den bunten
Bodenbildern mit. Sie scheint auch auf in ihren Gedanken
zum Bibelvers aus der Geschichte am See Genezareth, als
am Morgen der auferstandene Jesus die Jünger auf einmal
am Ufer erwartet. In leuchtenden Farben schildert sie, wie
»Das kann nicht sein!« Man kann nicht wider die eigene
sie morgens die Jalousie vor den Fenstern hochzieht und
Überzeugung glauben, »das muss sich von innen heraus ent-
hinausschaut in die Natur, wo sich der neue Tag im Morgen­-
­wickeln«, sagt sie und fühlt sich darin durch die vier Abende
licht ankündigt.
im Glaubenskurs bestätigt. »Meine eigene Geschichte hatte
hier Platz.«
Immer stand eine biblische Geschichte im Zentrum
Ganz gemischt ist die Teilnehmerschar der Glaubens­kurse, weiß Britta Laubvogel, die seit 14 Jahren Kurse
leitet. Die Altersspanne reicht von 20 bis 75, ent­sprechend
der Abende, die Laubvogel nach dem Kursmodell »Stufen
vielfältig sind auch die Lebensgeschichten, Prägungen
des Lebens« gestaltet hat. Sie arbeitet gerne mit diesem
und Erwartungen. »Ich nutze das als Chance«, sagt Laub-
Konzept. Es folgt biografischen Linien und spricht mit den
­vogel. Die unterschiedlichen Blickwinkel bereicherten den
farbigen Bodenbildern mehrere Sinne an. Heute kommt die
Austausch.
Gruppe anhand der Geschichte vom Auferstandenen am See
Mit der Initiative »Erwachsen glauben« der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die die
»Erwachsen glauben«
Die Aktion »Erwachsen glauben« begann in der EKHN nach
einigen Vorbereitungen in der Passionszeit 2012. Inzwischen
gibt es 120 Kurse, die zwischen vier und 50 Teilnehmerinnen
und Teilnehmer besuchen.
Für alle interessierten Teilnehmer (www.kurse-zumglauben.de) und Anbieter (www.kurse-zum-glauben.org) von
Glaubenskursen zur Initiative »Erwachsen glauben« stellt die
EKD viele Informationen im Internet bereit.
Evangelische Kirche in Hessen und Nassau aufgreift, sieht
sie das Thema insgesamt im Aufwind. Die Glaubenskurse
würden so »aus der verstaubten Ecke« geholt: befristete
Angebote, für die immer neue Gruppen zusammenkommen.
Laubvogel wünscht sich, dass diese gute Resonanz »nicht
nur eine Stichflamme« ist, sondern sich die Ergebnisse der
Arbeit in den Glaubenskursen auf Dauer in die Gemeinden
übertragen. Die Gambacher Gruppe will ihren Kurs zunächst mit einem gemeinsam vorbereiteten Gottesdienst
abschließen – und im Herbst vielleicht einen weiteren Kurs
starten. Dann wären sie auf jeden Fall wieder dabei, sagen
Jutta Mihm und Katrin Dippe-Bochinski.
58
n
März 2012
Predigen im Ehrenamt
Du sollst nicht begehren
deines Nächsten Festgeld
Auskunftsfähiger Glaube: Die Fortbildungsreihe »Zwischen Bibel und Tagesschau« ermuntert
Prädikantinnen und Prädikanten, aktuelle Fragen zu stellen.
W
ie spricht die Bibel über Geld: gut,
Die Fortbildungsteilnehmer staunen: Nur selten ist die
schlecht, neutral? Die Lautstärke unter
Sicht der Bibel aufs Geld negativ. Die grünen Zettel, die
den 20 Prädikantinnen und Prädikanten
Christiane Braungart vom Zentrum Verkündigung zum
steigt mit der Zahl der Gleichnisse, die sie
Sortieren der positiven Bibelstellen ausgegeben hat, sind
finden. In den fünf Arbeitsgruppen des
jedenfalls zuerst verbraucht. Kaum jemand im Raum hätte
Workshops »Geld regiert die Welt« wird heftig diskutiert.
es für möglich gehalten, doch am Ende steht fest: Die Bibel
Es sieht so aus, als gebe es Argumente für und gegen jedes
enthält im Alten Testament viele »kapitalfreundliche«
Gleichnis. Auf der einen Seite das »Scherflein der Witwe«,
Stellen. Es gibt sie auch im Neuen Testament, aber dort wird
wo auch die kleinste Gabe zählt. Auf der anderen Seite »Der
häufiger vor dem falschen Umgang mit ihm gewarnt. Geld
verlorene Sohn«, wo Geld offenbar keine Rolle spielt. Ist es
ist also ein Segen – sofern es »ehrlich erworben und sozial
dem Vater egal, was mit dem Geld geschehen ist? Oder die
verträglich verwendet wird«, fasst Braungart zusammen.
berühmten »Talente«, die nicht brachliegen dürfen. Im
Birgit Bertelmann, die Diplom-Volkswirtin und
Neuen Testament ist Geld ein handfestes Thema. Theologen
Referentin für Ökonomie im Zentrum für gesellschaftliche
sprechen heute bei diesem Gleichnis lieber vornehm von
Verantwortung, und die Pfarrerin Christiane Braungart
den gottgegebenen Gaben. Selten klar dagegen das Wort im
führen die Fort­bildung gemeinsam durch. Die Teilnehmer
Brief des Paulus an Timotheus: »Geld ist die Wurzel allen
bringen eine große Vielfalt an Erfahrungen ein. Die Jüngste
Übels.«
ist Anfang dreißig, der Älteste über siebzig Jahre alt.
59
»Der Alltagsbezug ist mir wichtig. Es macht keinen Sinn,
nur Sonntagschrist zu sein.« Oft handeln ihre Predig­ten
vom Familienleben. Sie betrachtet Bibelstellen gern im
größeren Zusammenhang – und die übergeordnete Botschaft lautet immer: »Wir sind alle Gottes geliebte Kinder.«
Den scheinbar so fernen Geschichten haucht die Mutter
zweier erwachsener Kinder zeitgemäße Spannung ein. Das
hört sich leicht an. Tatsächlich aber steckt viel Zeit und
Eine Gruppe Erfahrener etwa gehört zum Verein »Lektoren und Prädikanten«, der die ehrenamtliche Verkündi-
manchmal auch Kraft im Ringen um die angemessenen
Worte. Mit meinem Sohn »diskutier ich da heftig«. Dennoch
gung unterstützt und die Akteure vernetzt, während
möchte Claudia Hermanni den Aufwand nicht missen, denn:
eine andere Teil­nehmerin gerade erst ihre Prädikanten­
»Je mehr ich mir die Zähne ausgebissen habe, umso besser
ausbildung beendet hat.
war es hinterher.«
Das Spektrum bewegt sich zwischen zwei Polen:
»Wieso soll ich über Geld oder gar Tagespolitik reden, ich will
das Wort Gottes verkündigen« und »Genau deshalb bin ich
hier – ich will die richtigen Fragen richtig stellen können.«
Dieses Jahr sind viele gekommen, die beruflich
im Finanzbereich arbeiten und wissen wollen, was ihre
Landeskirche zu diesem Thema zu sagen hat. Kein Wunder,
dass sie das alttestamentarische »Mehren« von Gütern flugs
als »Kapitalerhaltung«, die Berücksichtigung von Waisen
und Witwen als »sozial-ethische Anlage« übersetzen.
Die Runde lacht. Zugleich zeigt sich, wie frisch die alten
Geschichten gelesen werden können. Braungart spitzt es
zur theologischen Doppelfrage: Wie spricht die Bibel in die
Zeit hinein – und wie das Leben in die Bibel?
T orsten K eil ,
47, verantwortet die finanzielle Verwaltung
von Projekten der Entwicklungszusammenarbeit. Ver­heiratet,
zwei Kinder, Prädikant seit 2006:
»Die meisten Predigten waren mir zu verkopft, zu praxis­fern – ich dachte, das kann ich besser«, beschreibt Torsten
Keil, weshalb er sich für eine Prädikantenausbildung
entschieden hat. Seine Predigt will er lebensnah, »nicht so
abgehoben«. Vor allem will er »die Möglichkeit einer
persönlichen Beziehung mit Jesus« aufzeigen. Eine echte
Diskussion nach der Predigt, gern auch kontrovers – das
würde ihm gut gefallen. Er denkt an Gottesdienste, wie er
sie in Afrika erlebt hat, in denen es üblich ist, sich während
der Predigt zu äußern. Jenes Bedauern über seltene
Rückmeldungen teilt er mit anderen Prädikantinnen und
C laudia H ermanni ,
51, Krankenschwester, Trainerin für
Kinästhetik und Versicherungskauffrau. Verheiratet, zwei
Kinder, Prädikantin seit zehn Jahren:
Prädikanten.
Aus eigener Erfahrung weiß er, wie schnell man
ausbrennen kann, wenn man immer mehr arbeitet und die
»Ich muss mich ja nicht auf die Kanzel stellen, hab ich zu
innere, spirituelle Beziehung zum Tun verliert. »Wenn ich
Anfang gedacht – und bin dann doch auf der Kanzel
meinen Wert darin spüre, dass ich Gottes Kind bin, ist das
gelandet«, erzählt Claudia Hermanni mit einem Augen­
eine andere Lebensqualität. Es entspannt, wenn ich mich
zwinkern. Den Anstoß gab ihr Mann beim Lesen des
nicht permanent bemühen muss, dass mich irgendjemand
Gemeindebriefs: »Prädikanten­ausbildung? – Das liegt dir!«
gut findet.« Torsten Keil wünscht sich die Menschen weniger
Für eine Weiterbildung ist die energiegeladene Frau aus dem
»pfarrergläubig«. Einmal hat er sogar an der Kirchen­tür
Westerwald offenbar immer zu haben. Aktives Gemeinde­
Bibeln verteilt. »Und ich habe keine wieder mitnehmen
mitglied ist sie seit ihrer Konfirmation, aber predigen?
müssen«, freut er sich über diese Aktion. »Nicht umsonst
»Konnte ich mir nicht vorstellen«, versichert sie lachend.
hat Martin Luther die Bibel übersetzt: damit wir sie selbst
Bis sie plötzlich doch das Gefühl hatte, die Gemeinde
lesen können.«
könnte von ihrem weiblichen und nicht theologischen Blick
profitieren.
60
n
April 2012, Karfreitag
Aktion der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
Ein stiller Feiertag für die Opfer
2011 und 2012 gab es in Frankfurt und anderswo harte Kontroversen um den Karfreitag.
Der stille gesetzliche Feiertag ist den einen unverzichtbar als Raum für ernste Themen, für
andere eine Provokation, weil er längst als willkommener Tag zur freien Verfügung gilt.
Der Protest gegen die Beschränkungen des Feiertagsgesetzes äußerte sich beispielsweise in
öffentlichen Tanz­demos. Auf die Frage der Kritiker, ob ein rein christlich geprägter Feiertag
in einer pluralistischen Gesellschaft noch zeitgemäß sei, hat die Evangelische Kirche in
Hessen und Nassau (EKHN) reagiert. Mit einer öffentlichen Werbeaktion – für diesen Tag und
seine ganz eigene Botschaft.
D
ie großen Banner und Plakate auf den Litfaß­
säulen zeigten eine blutig durchbohrte Hand
wie die des gekreuzigten Jesus. Die Finger
waren zum Victoryzeichen erhoben. Verletzung
und Siegeszeichen zugleich? – Der optische
Widerspruch sollte Nachdenken auslösen und auf die
christliche Botschaft des Karfreitags hinweisen: In Jesus
Christus hat sich Gott an die Seite der Opfer gestellt und
den Tod besiegt. Nur dieses einzige Wort stand neben der
Hand: »opfer?«. Es ist der Schlüssel zur theologischen
Tiefe des Karfreitags, löst aber auch in der Umgangsprache
viele Assoziationen aus. Unter Jugendlichen gilt »du
Opfer« gegenwärtig als schlimmes Schimpfwort. Die Kurz­
botschaft des Plakats, das der Darmstädter Künstler Ralf
Kopp geschaffen hat, lautet: »Dieser Tag ist wichtig!«
Eigentliches Ziel der Aktion war es, Menschen dazu
anzuregen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, und
Neugier auf die Website www.karfreitag.de zu wecken. Dort
nachgedruckt werden. Bestellungen kamen nicht nur aus
fanden alle Interessierten vertiefende Informationen und
der EKHN, sondern auch aus dem ganzen Bundesgebiet.
ein Diskussionsforum. Auf der Website, aber auch auf
Das Motiv prangte auf 62 Bannern, jedes acht Meter
Facebook, dem größten (kommerziellen) Kontaktnetzwerk
hoch, in 54 Orten. Hinzu kamen 131 Litfaßsäulen in den
im Internet, wurde eifrig und kontrovers diskutiert. Viele
fünf größten Städten der Landeskirche Frankfurt, Wies­
ablehnende Beiträge bezogen sich hauptsächlich auf das
baden, Darmstadt, Mainz und Gießen. Das sorgte für erheb-
Tanzverbot an Karfreitag: Feiertag ja – Beschränkung nein.
liches öffentliches Aufsehen. Nahezu alle Medien im EKHN-
Wer sich nicht ins Internet einklicken konnte oder wollte,
Gebiet berichteten, teils mehrfach. Nicht nur das Plakat,
dem stand ein Infotelefon zur Verfügung. Aber das wurde
sondern auch die Fassadenkletterer, die sie anbrachten,
nur von wenigen Anrufern genutzt. Menschen, die sich
waren ein gutes Bildmotiv. Die Aktion wurde auch über­
anderen mitteilen möchten, nutzen dazu heutzutage bevor-
regional bekannt, so durch Berichte im TV-Sender VOX, im
zugt das Internet.
Deutschlandfunk und in einer österreichischen Zeitung.
Begleitende Leporellos, Postkarten, Plakate und
Die Reaktion der Medien übertraf alle Erwartungen
Theologische Handreichungen boten weiteren Informations-
und lässt sich nicht alleine mit dem Umfang der Aktion
und Gesprächsstoff. Die Nachfrage war groß. Es musste
erklären. Denn für sie standen lediglich 100.000 Euro
61
Karfreitagsaktion der EKHN
62 Banner an 54 Einsatzorten
131 Litfaßsäulen
n 20.500 Plakate
n 50.000 Postkarten
n 50.000 Leporellos
n 3.000 Theologische Handreichungen
n 70.445 Aufrufe der Website www.karfreitag.de
n Budget: 100.000 Euro
n
n
Am Karfreitag 2012 haben 15 Prozent mehr Protestantinnen
und Protestanten den Gottesdienst besucht als noch 2011.
bereit, was für solche Kampagnen eher wenig ist.
Kon­genialen Konfliktstoff boten die Demonstrationspläne
der Piratenpartei und der Grünen Jugend, die jedoch
aufgrund der eindeutigen Rechtslage zurückgezogen
wurden. Der Erfolg der Aktion zeigt: Die Gesellschaft ist
im Tiefsten uneins über das Thema Feiertag, besonders
über die stillen Feiertage Karfreitag und Totensonntag. Das
Thema ist brisant, weit über die EKHN hinaus.
n
»Offene Kirche am Karfreitag« in der Cyriakuskirche in Frankfurt-Rödelheim
Ein Tag in der Schwebe
»
›Der Karfreitag wird abgeschafft?!‹ Das war mein
unterschiedlichen Gesten zeigen. »Als ich sie gefragt habe,
erster Gedanke, als ich vor einer Woche das Plakat
was ihnen dazu einfällt – kam erst mal nichts«, schmunzelt
gesehen habe«, erzählt eine Frau aus dem Chor
er. »Alle kannten das Victoryzeichen, aber kaum einer
der Cyriakusgemeinde. »Danach habe ich mit meiner
wusste, was das Wundmal bedeutet.«
Nachbarin diskutiert, wir wären sonst bestimmt nicht auf
dieses Thema gekommen.« Warum sie heute, am Karfreitag
Jeder kennt die Erfahrung, Opfer zu werden
in die Kirche gehen? »Weil es der höchste christliche
Sind Tanzen und Feiern den Jugendlichen einfach näher als
Feiertag ist«, antworten sie wie aus einem Mund. Eine
die Themen des Karfreitags? – »Aber die Bezüge liegen doch
andere Gottesdienstbesucherin ist gerade am Karfreitag
auf der Hand. Jeder von ihnen hat schon mal die Erfahrung
gern in der Kirche, »denn es ist ein Tag in der Schwebe:
gemacht, Opfer zu sein.« Darüber hinaus registriert Ludwig
Noch ist Jesus nicht wieder auferstanden.«
Schneider Entwicklungen wie »Freeze Flashmobs«, bei
Das Motiv der Kampagne empfindet sie als »zu
brutal«. Wie Pfarrer Ludwig Schneider beobachtet hat,
Öffentlichkeit für fünf Minuten wie eingefroren zu ver­
lehnen es vor allem Ältere ab. Trotzdem hat sich die
harren. »Ich finde das spannend, es zeigt doch, dass auch
Gemeinde entschieden, an der Aktion teilzunehmen, »weil
sie das Bedürfnis verspüren, innezuhalten, mal wirklich
wir es wichtig finden, die Kirche an diesem Tag über den
Ruhe zu haben. Hier müssen wir ansetzen und das immer
Gottesdienst hinaus zu öffnen und den Karfreitag ins
wieder thematisieren.«
Gespräch zu bringen.« Und das gilt auch für die Konfirman-
62
denen sich junge Menschen im Internet verabreden, in der
Ein weiterer Beitrag der Cyriakusgemeinde zur
dinnen und Konfirmanden. Schon während der Freizeit vor
Frankfurter Aktion »Offene Kirchen am Karfreitag« ist die
drei Wochen hat der Rödelheimer Pfarrer mit ihnen über die
Kreuzwegausstellung, geschnitzt vom südafrikanischen
Bildmotive gesprochen, die die Hand des Gekreuzigten mit
Künstler Joel Mbuyisa. Verantwortlich dafür ist Elke
Gutberlet aus dem Kirchenvorstand. Auch ihr missfiel
anfangs das Motiv der blutenden Hand, gesteht sie. »Aber
je mehr ich darüber nachdenke, desto schlüssiger wird
es mir, mich mit dem Thema ›Opfersein‹ auseinander­
zusetzen.« Bei Führungen lenkt sie daher den Blick der
Besucher auf Details: »Schauen Sie mal: wie der Soldat
auf Jesu kniet und einfach auf ihn losschlägt. Da habe ich
ganz schnell Opfersituationen im Sinn, die bei Schülern
heute weit verbreitet sind, dass die einfach losschlagen.«
Neben der Figurengruppe hat sie einen Infotisch
vorbereitet mit Flyern und einem Gästebuch, in das man
seine Gedanken eintragen kann. Doch die Seiten bleiben
leer, zu ungewohnt und neu scheint die Einladung, sich
zum Karfreitag zu äußern. Vielleicht braucht es noch
weitere Kar-Momente der Besinnung. Mehr Anstöße, die
zeigen, welche Chance ein Tag bietet, der – anders als
Weih­nachten – vor der Überlagerung durch hektische
Geschäfte­macherei gefeit ist: einen Tag in der Schwebe des
Mitgefühls.
n
63
April 2012
Das Zentrum für Frauen der Diakonie Frankfurt
Überlebenswichtig
Wertschätzung, Respekt und Hilfe zur Selbsthilfe stehen im Mittelpunkt der Arbeit des
­Zentrums am Alfred-Brehm-Platz.
Sozialpädagogin Inge Wienert. Ähnlich einem Café bietet
17 OST Gelegenheit zu ungezwungenen Gesprächen mit
anderen Besucherinnen oder den zwei Sozialarbeiterinnen.
Die finanziellen Träger des Angebots sind die Stadt
Frankfurt, der Landeswohlfahrtsverband Hessen und das
Diakonische Werk für Frankfurt am Main. »Zudem wird der
Tagestreff seit Jahren von Stiftungen und Spendern unterstützt, ohne die unsere Arbeit so nicht möglich wäre. Dafür
sind wir sehr dankbar«, betont die Leiterin des Zentrums für
Frauen (Zefra), Karin Kühn.
Wegweisendes Konzept
Heike S.* schätzt die angenehme, warme Atmosphäre in
den künstlerisch gestalteten Räumen. »Für jemanden,
der keine Arbeit hat und daher sehr viel Zeit, ist der
kommunikative Teil wichtig. Wenn ich Rat brauche, finde
ich jederzeit eine Ansprechpartnerin.« Häufig nutzt die
S
53-Jährige den PC-Raum und entsprechende Schulungs­
eit 2008 wird in der ModeKreativWerkstatt in der
angebote. »Ich habe meine Computerkenntnisse stark
Frankfurter Rohrbachstraße 54 von Frauen für
verbessert. Das ist sehr wichtig für den Wiedereinstieg in
Frauen geschneidert: Blusen und Blazer, Kleider
den Beruf. Normale Kurse hätte ich mir aber nie leisten
und Kuscheltiere. Alle 16 Schneiderinnen waren
können.« 17 OST ist für sie ein »Leuchtturm« in Frankfurt.
vorher lange arbeitslos und hatten keinerlei Näh-
erfahrung. Jetzt absolvieren sie als Ein-Euro-Jobberinnen
mit Feuereifer einen zwölfmonatigen Kurs in der Hoffnung,
anderen Einrichtungen und war für mich überraschend«,
danach einen festen Arbeitsplatz zu bekommen. Einige
ergänzt Birgit M.*. »Einzigartig«, findet sie die Kreativ­
sind alleinerziehend und gelten auf dem Arbeitsmarkt als
angebote wie Malen, Tanz und Bewegung oder Yoga und
schwer vermittelbar. Es ist nicht die einzige Initiative, die
nutzt regelmäßig auch Waschmaschine, Küche und Dusche.
das Zentrum für Frauen der Diakonie Frankfurt ins Leben
gerufen hat.
* Die Namen der Frauen
hat die Redaktion geändert.
64
Das schöne, einladende Ambiente drücke sehr viel Wert­
schätzung aus. »Das unterscheidet 17 OST von vielen
Bunt und fröhlich wirken sie, die großen Figuren
im Garten des Tagestreffs 17 OST der Diakonie Frankfurt.
2001 wurde der Tagestreff für Frauen eröffnet,
damals ein wegweisendes Konzept im Bereich Wohnungs­
losenhilfe. »Sozialarbeit und Bildung gehörten von Beginn
an zu den Schwerpunkten«, erklärt Karin Kühn. Das
Geschaffen haben sie keine Künstlerinnen, sondern Frauen,
Konzept setzt an den individuellen und gemeinschaftlichen
die regelmäßig in die Einrichtung am Alfred-Brehm-Platz
Selbsthilfepotenzialen der Frauen an, es stärkt die Eigen-
kommen. Alle sind sie in schwierigen Lebenslagen, teil-
­kompetenz und Selbstorganisation und fördert gezielt
weise wohnungslos. Zum zehnjährigen Bestehen von 17 OST
Gemeinschaft. »Ein Großteil der Besucherinnen von 17 OST
fotografierten Nutzer- und Besucherinnen ihre Lieblings­
lebt in Armut und ist von Wohnungslosigkeit betroffen«,
plätze in der Stadt. Herausgekommen ist ein buntes
ergänzt Sozialpädagogin Inge Wienert. »Dazu kommen
Kaleidos­kop, das vom oft schwierigen Alltag der Frauen,
seelische, psychische und körperliche Erkrankungen, auch
aber auch von ihren Hoffnungen und Wünschen erzählt.
bedingt von Armut und Wohnungslosigkeit. Hinzu kommen
»17 OST steht Frauen offen, die Gespräche, Kontakte,
Trennung, Scheidung, Arbeitslosigkeit, Überschuldung,
Bildungsangebote oder einfach Ruhe suchen«, erläutert
Inobhutnahme der Kinder durch das Jugendamt.«
Von der Fürsorge zur modernen Sozialarbeit
I
m Jahr 1909 eröffnete der Verein »Weibliche Stadt­
wichtige Aufgabe der Diakonie, hier umfassend zu unter­
mission« am Frankfurter Alfred-Brehm-Platz sein
stützen und gleichzeitig die Öffentlichkeit für ein Thema
Hilfe­angebot »für Hilfs- und Ratbedürftige, ferner für
zu sensibilisieren, das noch immer zu wenig beachtet wird:
gefährdete sowie für verwahrloste oder gefallene Personen
So ist nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft
weiblichen Geschlechts«. Ein geschichtsträchtiger Ort,
Wohnungs­losen­hilfe e. V. (BAG W) die Zahl der Wohnungs-
an dem das Zentrum für Frauen der Diakonie Frankfurt
losen seit 2008 bundesweit um zehn Prozent auf aktuell
heute Frauen auf vielfältige Weise unterstützt, die sich in
248.000 Personen gestiegen – darunter etwa ein Viertel
Not befinden, ihr Leben in den Griff bekommen wollen
Frauen. Wie viele Frauen in keiner Statistik erfasst werden,
oder eine schwere Krise durchlaufen. Es umfasst folgende
kann niemand genau sagen. Nach allen Erfahrungen aber
Ein­r ichtungen und Projekte:
sind es wesent­lich mehr.
■■ Beratungsstelle
■■17
n
für Frauen
OST – Tagestreff für Frauen
■■ Lilith
– Wohnen für Frauen (mit 28 Einzelzimmern und
vier Notbetten)
■■ Tamara
– Beratung und Hilfe für Prostituierte
■■ ModeKreativWerkstatt
■■ Stark
■■ Brot
mit Kind
& Rosen
Jährlich ist das Zentrum Anlaufstelle für über
1.900 Frauen. Wie der Leiter des Diakonischen Werkes für
Frankfurt am Main, Dr. Michael Frase, betont, ist es eine
65
Kommunikativer Schutzraum ohne Druck
Für Birgit M. war 17 OST ein Rettungsanker. Weil sie krank
wurde, konnte sie ihre freiberufliche Tätigkeit von einem
auf den anderen Tag nicht mehr ausüben. »Der Tagestreff
hat mir geholfen, aus der Isolation herauszukommen, ein
normales Café kann man sich nicht oft leisten. Hier weiß
man, wo man hingehen kann, wenn einem die Decke auf
den Kopf fällt. Ohne den Tagestreff wäre ich ins soziale
Abseits gestürzt.«
»Viele Besucherinnen sind vereinsamt«, sagt Inge
Wienert. Zunehmend seien auch Ältere oder alleinstehende
Frauen aus finanziellen Gründen von sozialer Isolation betroffen. Im gesamten Frankfurter Stadtgebiet und darüber
hinaus gibt es kein vergleichbares Hilfeangebot für Frauen,
das in ein so umfassendes Gesamtkonzept ­integriert ist.
»Alle Bereiche greifen ineinander und stehen in enger
Vernetzung zu den anderen Angeboten im Zefra. Das ist ein
großer Vorteil.« Jedes Jahr verzeichnet der Tages­treff weit
über 4.300 Kontakte. Während der vierstündigen Öffnungs­
zeiten besuchen täglich bis zu 30 Frauen 17 OST.
Die ModeKreativWerkstatt befindet sich nicht im
Frauenhaus selbst, sondern in der Rohrbachstraße: eine
Initiative des Frauenhauses, bei der Hartz-IV-Empfängerinnen in einem Ein-Euro-Job für ein Jahr täglich nähen
lernen und arbeiten. Sie nähen oder ändern Kleidungs­
stücke, die dann im dazugehörigen Laden für bedürftige
Menschen mit dem Frankfurt-Pass preiswert verkauft werden.
Stärken, ermutigen, Veränderungen einleiten
Nadia P.* leidet unter Depressionen, seit ihr Männer Gewalt
angetan haben. Die 39-Jährige ist in ärztlicher Behandlung
und zurzeit nicht erwerbsfähig. »Die Krankheit hat mich
66
total vom Weg abgebracht.« Nach der Maßnahme des Arbeitsamts zur Wiedereingliederung fiel sie in ein Loch. »Ich
wusste nicht mehr, was ich den Tag über machen sollte.«
Dann besuchte sie Kurse bei 17 OST, entdeckte das Malen
als Hobby. Einen regulären Kurs hätte sie sich nie leisten
können. »Das gibt mir sehr viel Kraft ...« Nadia S. kommt
mittlerweile regelmäßig, vor allem die Kreativ­angebote
reizen sie. »Sie bringen Sinn in mein momentanes Leben,
in dem es sonst sehr viel Leerlauf gibt.« Wenn ein Bild fertig
gemalt ist, freut sie sich, dass sie etwas geschaffen hat,
was wirklich einen Wert hat. Solche Erfolgserlebnisse seien
»überlebenswichtig«, pflichtet Birgit M. bei.
Das gilt auch für die Kunstwerke, die sie gemeinsam mit anderen Frauen zum zehnjährigen Bestehen von
17 OST gestalteten. »Wir haben mitgewirkt, dass etwas so
Tolles entstehen konnte!«, lächelt Nadia P. stolz. Einmütig
wünschen sich die Frauen erweiterte Öffnungszeiten, doch
dazu fehlen bisher die finanziellen Mittel. »Die Forderung
nach bedarfsgerechten niederschwelligen Hilfeangeboten
mit Schutzraum für Frauen in Not- und Krisensituationen
hat nicht an Bedeutung verloren, sie ist so aktuell wie vor
zehn Jahren«, erklärt Karin Kühn. Für die Zukunft stehe
zudem das Thema Gesundheit im Mittelpunkt. »Die Erfolge
zeigen, dass die Angebote von 17 OST Frauen stärken, ermutigen und gezielte Veränderungen einleiten.«
n
Das Diakonische Werk in Hessen und Nassau (DWHN)
Mitglieder des DWHN:
205Rechtsträger* mit 398 Einrichtungen/ambulanten Diensten und 21.911 Betten/Plätzen
13Vereine für Jugend- und Erwachsenenhilfe*/Betreuungsvereine*
47Dekanate der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
265 Mitglieder
*mit insgesamt rund 17.500 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
[Stand: Dezember 2011]
Einrichtungen und ambulante Dienste der DWHN-Mitglieder:
[Arbeitsbereiche]
n Krankenhilfe
n Jugendhilfe
n Familienhilfe
n Altenhilfe
n Hospizhilfe
n Behindertenhilfe
n Hilfen für Personen
in besonderen sozialen
Situationen
n Ausbildung
n Sonstige Einrichtungen
n Gesamt
[Zahl] [Einrichtungen][Betten/Plätze]
15 Krankenhäuser
31 stationäre Einrichtungen
32 teilstationäre Einrichtungen
29 Beratungsstellen sowie ambulante Dienste
4 stationäre Einrichtungen
1 Tageseinrichtung
33 Beratungsstellen sowie ambulante Dienste
90 vollstationäre Einrichtungen inklusive Kurzzeitpflege
38 Betreutes Wohnen für Senioren und Altenwohnungen
13 Tages- und Nachtpflege­einrichtungen
2 stationäre Einrichtungen
10 ambulante Hospizdienste
25 stationäre Einrichtungen
13 Tageseinrichtungen
9 Beratungsstellen sowie ambulante Dienste
10 stationäre Einrichtungen
4 Tageseinrichtungen
14 Beratungsstellen sowie ambulante Dienste
8 Ausbildungsstätten
3 Tageseinrichtungen
14 weitere Einrichtungen und Dienste
398
55
2.778
1.114
1.365
125
275
149
8.505
1.601
202
24
Das DWHN gibt einen eigenen
Jahresbericht heraus.
Sie können ihn hier anfordern:
Diakonisches Werk
in Hessen und Nassau
Ederstraße 12
60486 Frankfurt
Telefon (069) 7947-0
E-Mail [email protected]
2.300
1.971
400
288
18
67
520
40
169
21.911
Diakoniestationen sind dem DWHN
nach Paragraf 13 Absatz 1 Satz 2 des Diakoniegesetzes angeschlossen.
67
Mai 2012
Krippengruppe in Oberdieten im Kreis Marburg-Biedenkopf
Willkommen in der Welt
Im Jahre 2013 wird jedes Kind ab zwölf Monaten einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz haben. Die Kommunen werden diesen Anspruch nicht voll einlösen können, doch die
Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) leistet bereits jetzt ihren Beitrag für ein
möglichst flächendeckendes Angebot. In 80 der 602 EKHN-Kindertagesstätten sind in den
letzten Jahren Gruppen für Kinder unter drei Jahren eingerichtet worden. Das Beispiel Oberdieten zeigt, welche hohen Qualitätsstandards hier – wie auch in den evangelischen Kinder­
tages­stätten – gelten. Das entsprechende Investitionsprogramm ist Ende 2011 aus­gelaufen.
»
Es umfasste acht Millionen Euro.
68
Wie sollen wir dich begrüßen?« Die
»Sind Krabbelkinder unter drei Jahren zu Hause nicht
18 Monate alte Mia klatscht in die Hände
besser aufgehoben?« Oder auch: »Muss ausgerechnet die
und gluckst voller Vorfreude, denn
evangelische Kirche Krippen anbieten?« In ländlich
schon singen die Erzieherinnen:
geprägten Gebieten wie im Kreis Marburg-Biedenkopf
»Wir sagen guten Morgen! Hallo, hallo,
werden solche Fragen oft gestellt. Vor allem die ältere
hallo. ... Wir klatschen für die Mia, die Mia, die Mia – und
Groß­eltern­generation denkt bei Krippen eher an Auf­
wünschen guten Tag!« Jeder Morgen in der mittelhessi-
bewahr­anstalten denn an liebevolle Fürsorge, Bildung und
schen Kinderkrippe Oberdieten beginnt mit diesem Ritual.
Erziehung. Doch heute gelten andere Maßstäbe. Viele
Es gibt jedem Krabbelkind die Sicherheit, willkommen zu
Eltern wissen: Gerade die Kleinsten brauchen eine
sein, und stärkt seine Fähigkeit, sich zu beteiligen und sich
anspruchsvolle Betreuung, weil in diesem Alter wichtige
auszukennen.
geistige und psychische Weichen gestellt werden. Aber
Oberdietener Krippe
Die Krippe wurde 2011 an die Kita angebaut.
Sie bietet in zwei Gruppen Platz für je zehn Kinder im Alter
zwischen einem und drei Jahren. Zurzeit gibt es eine Gruppe.
Vier Erzieherinnen teilen sich zwei Stellen, mindestens
zwei sind immer bei den Kindern.
Die Gruppe ist eine von 80, welche die EKHN in den letzten
vier Jahren gemeinsam mit den Kommunen neu eingerichtet
hat: Bis zum Jahr 2013 soll es bundesweit für 35 Prozent
aller Kinder ab dem ersten Lebensjahr einen Rechtsanspruch
auf einen Platz in einer Kindertagesstätte geben.
nicht nur die Kleinsten gilt es zu begleiten, sondern auch
ihre Eltern. Die EKHN setzt daher wie bei den Kinder­tages­
stätten auf hohe Standards.
Beziehungsbänder knüpfen
Frühe Bildung und Entwicklung von Kindern unter drei
Jahren gehörte bis vor Kurzem nicht zur Ausbildung einer
Erzieherin. Deshalb hat der Fachbereich Kindertagesstätten
im Zentrum Bildung der EKHN ein fünftägiges Seminar
zum Grundlagenwissen erarbeitet, das alle neuen Krippen­
erzieherinnen absolvieren können. Schließlich geht es
nicht nur um einen Betreuungsplatz, in gewissem Sinne
wird die Familie des Kindes erweitert. Die junge Mutter
Rebecca Schneider vertraute auf ihr Bauchgefühl: »Hier
habe ich mich sofort wohlgefühlt.« Ihre 16 Monate alte
Emily befindet sich in der letzten Phase der Eingewöhnung.
Der erste Trennungsschmerz ist überwunden. Nur manchmal fragt die Kleine: »Mama?« »Bald kommt die Mama«, versichert ihre Eingewöhnungserzieherin Nadja Petri.
69
Ein­r ichtungen aus dem Dekanat wurden aufgenommen:
»Die Wasserhähne haben wir in kindgerechter Höhe am
Wasch­becken anbringen lassen, damit den Kindern beim
Öffnen der Hähne das Wasser nicht in den Ärmel läuft.«
Sehr stolz sind die Mitarbeiterinnen auf den Nassbereich
Kindertagesstätten in der EKHN 2011
Hessen Rheinland
Pfalz
n Kitas
491
111
n Kita-Gruppen
1.443
324
n Kita-Plätze
33.450
7.506
n belegte Plätze
31.183
6.880
n Auslastung
93,2 %
91,7 %
im Waschraum, den Handwerker aus dem Ort nach deren
EKHN
602
1.767
40.956
38.063
92,9 %
Im Jahr 2011 wurden zahlreiche »Regelgruppen«
für Kinder von drei bis sechs Jahren in Krippengruppen
für Kinder unter drei Jahren umgewandelt.
Regelgruppen dürfen bis zu 25 Kinder aufnehmen,
Krippengruppen aber nur zehn.
Deshalb gibt es im Jahr 2011 weniger Plätze in Kinder­
tagesstätten als im Jahr davor.
Ideen gefertigt haben. »Da drin können sie nach Herzens­lust mit Fingerfarben malen – und natürlich planschen.«
Die Einrichtung der Krippe unterstützt die Kinder dabei,
sich den ganzen Tag über selbstbestimmt zu bewegen und
ihre Umgebung zu entdecken.
Gekonnt rutscht die 16 Monate alte Serah jetzt auf
einer Seite ihres Windelpopos eine sanfte Schräge herunter.
Die großen braunen Augen verraten ihre Freude. Doch was
ist dort los? Janni schreit. Entdeckerlust, Schmerz und
Konflikte liegen bei den Kleinen oft nah beieinander. Er hat
sich den Kopf gestoßen. Serah ist voller Mitgefühl für den
Anderthalbjährigen, den die Erzieherin tröstet – eine große
Leistung für ein so kleines Kind.
Evangelische Kindertagesstätten sind aber auch
Orte religiöser Bildung. Ihre Botschaft: Gott liebt alle
Kinder, so wie sie sind. In Oberdieten erfahren Kinder
das etwa beim Tischgebet oder durch die Bibelgeschichte,
die derzeit jeden Morgen erzählt wird. Heute die vom
ver­lorenen Schaf. Der Hirte sucht es so lange, bis er es
Je fester die Beziehung zu den Eltern ist, desto selbst­
wieder­gefunden hat. Erzählt mit kleinen Figuren und Natur­-
bewusster gelingen den Kleinen die Schritte in die auf-
materialien. Die Bibelgeschichte wird auch Thema des
regende neue Welt. Das Oberdietener Kita-Team will Kindern
Familiengottesdienstes in zwei Wochen sein. »Da stehe ich
und Eltern dabei helfen. Intensive Erziehungs­partner-
voll dahinter«, sagt Michaela Tremmel, die jetzt ihr zweites
schaft mit den Eltern gehört daher ebenso zum Konzept wie
Kind erwartet und es unbedingt auch hierher bringen will.
eine achtsame Pflege der Kinder, betont Krippenleiterin
»Schön, dass hier auch christliche Lieder gesungen werden.
Anika Hermann. »Es kommt weniger auf die Aktionen an,
In der Gruppe haben die Kinder so viel Spaß daran und
als darauf, wie wir uns auf die Kinder einlassen.«
machen mit – alleine und zu Hause könnte ich das so gar
nicht.«
Lernen mit allen Sinnen
Die viel gelobte Ausstattung haben die Verantwortlichen
mit großem Aufwand geplant. Vor dem Neubau hat sich
Kita-Leiterin Heike Weidenbach Krippen in Hamburg
und Berlin angeschaut. Auch die Erfahrungen anderer
70
n
Juni 2012
Das Global Youth Village auf dem Jugendkirchentag in Michelstadt
»Wir sind alle sooo verschieden –
und zugleich sooo ähnlich«
Zum dritten Mal hat die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) junge Erwachsene
aus ihren 16 Partnerkirchen zum ökumenischen Lernen und interkulturellen Austausch eingeladen. Die 60 jungen Leute, zwischen 18 und 26 Jahre alt, kamen aus Afrika, Asien, Amerika,
Europa und aus der Landeskirche. In Gastfamilien, Schulen und Gemeinden lernten sie den
Alltag in Deutschland kennen. Dann trafen sie sich in Michelstadt im Odenwald und erlebten
­intensive Tage im multikulturellen Ausnahmezustand. Um sie herum und mit ihnen tobte derweil
der Jugendkirchentag mit 4.000 Jugendlichen.
K
onzentriert greift der Koreaner in die Tasten.
lächeln sie einander an, klatschen sich ab und freuen sich
Das Klavier steht im berühmten Michelstädter
mächtig über das, was ihnen da gerade gelungen ist.
Stadt­haus. Den Saal, in dem sonst steife
Nicht alle Momente der Begegnung im Village sind
­Sitzungen stattfinden, haben fleißige Hände
so beglückend, denn Sprachbarrieren – man ver­ständigt
umfunktioniert zum Eine-Welt-Café, dem Pausen-
sich auf Englisch – und eine gewisse Scheu gegenüber den
­treff­punkt des Global Youth Village. Und der summt vor
Fremden sind zu überwinden. Doch die Musik trägt darüber
Gelächter und Gesprächen wie ein Bienenstock. Mitten­drin
hinweg. Nicht umsonst haben die Organisatoren Helga
das Klavierspiel des 20-Jährigen. Jetzt kommt in schwarzer
Rau, Friedhelm Pieper und Johny Thonipara vom Zentrum
Südafrikaner mit Baseballkappe dazu. Er äugt dem anderen
für Ökumene die Partnerkirchen gebeten, ­Delegierte zu
über die Schulter, setzt die Trompete an und folgt nun auch
­schicken, die einen Bezug zur Musik haben.
dem Notenblatt auf dem Klavier. Vorsichtig tastend ver­
Das erste Dorf für die Jugend der Welt (Global Youth
binden sie ihre Tonfarben – bis ein Tansanier aus der Afrika-
Village) veranstaltete die EKHN 2001 zum Deutschen
Ecke den Rhythmus aufgreift und wie selbst­verständlich
Evangelischen Kirchentag in Frankfurt. Das zweite folgte
seine Trommel dazu schlägt. Nach dem letzten Akkord
zum Jugend­kirchen­tag der EKHN in Friedberg/Bad Nau­71
Der Jugendkirchentag in Zahlen
vier Tage und drei Nächte, vom 7. bis 10. Juni 2012
insgesamt 4.000 Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren,
davon 1.400 Dauergäste in sieben Quartierschulen
n 800 Helfer und Mitarbeiter
n sechs Bühnen
n über 150 Programmpunkte
n 20 Bibelarbeiten und Jugendgottesdienste
n fünf Themenparks
n
n
Als Highlights benannten die Jugendlichen:
n die Aquaparty (eine Party im Michelstädter Hallenbad mit
lauter Musik und Diskolichtern)
n der Tauchtruck (ein großer Sattelschlepper mit einem
Tauchbecken aus Glas, das mit 36.000 Litern Wasser
gefüllt ist)
n das Café Jazz (eine Band aus Bautzen)
n der Hochseilgarten »Stairway to Heaven«
(gemeinsam organisiert von Dekanat Schotten und der
Evangelischen Jugend in Hessen und Nassau)
n das Bobbycar-Rennen (eine 100 Meter lange Rennstrecke
für rennfit gemachte Bobbycars)
n die »Nacht der Kulturen« im Global Youth Village
n die Konfirallye – »Nur mal kurz die Welt retten«
www.good-days.de
einer Andacht in jeder der sieben Quartiersschulen für die
Dauergäste. Intensive Momente entstehen. Als ein junger
Mann aus Südkorea inbrünstig für die Aussöhnung seines
Landes mit Nordkorea betet und dabei anfängt zu weinen,
fließen auch über viele andere Wangen die Tränen. Gemein­
schaft im Glauben und im Hoffen entsteht, sie ist stärker
als Sprach- und Kulturbarrieren.
Das Programm geht auf dem Jugendkirchentag
weiter mit Bibelarbeiten und Workshops zu Themen wie
Spiritualität, Klimawandel, Umwelt, Gleichberechtigung
und Sexualität. Themen, die für junge Menschen wichtig
sind. Oft klaffen die Vorstellungen weit auseinander.
»Manchmal habe ich Mühe, das, was ich hier höre, mit dem
unter einen Hut zu bringen, was ich kenne«, sagt etwa
Michael Wandusim aus Ghana. Im Workshop »Wo ich zu
Hause bin« hat der 22-jährige Student gerade seinen Alltag
beschrieben: Morgens um 4.30 Uhr steht er auf, bereitet
Gebete vor, liest in der Bibel, frühstückt. Danach läuft er
zur Universität, wo er täglich vier Seminare ab­­solviert.
Zwei Mal täglich trifft er sich zudem mit anderen
heim. Einge­laden sind jeweils 18- bis 26-Jährige aus den
­Presbyterianern im Gebetszentrum auf dem Campus. Gegen
Dekanaten der EKHN und deren Partnerkirchen in Ghana,
halb acht abends kehrt er in sein Zimmer zurück. Am
Tansania, Süd­afrika, Indonesien, Indien, Korea, Polen,
Sonntag: Kirchgang, Gebete, Bibelexegese. ... Der schmale
Italien und den USA.
junge Mann sagt selbstbewusst: »Das ist mein Leben seit
In Michelstadt haben die Village-Bewohner ein
strammes Programm. Es steht unter dem Motto »Zwischen
Globalisierung und Tradition« und beginnt morgens mit
drei Jahren – da ist nicht viel Platz für Freizeit oder Party.
Aber das ist normal für mich.« Die Deutschen fragt er: »Geht
ihr wirklich nur sonntags in die Kirche?« Zwar hatte er
zuvor schon gelesen, dass hier vieles anders sei, dennoch
war er mit der Erwartung gekommen, »Gebetsgemeinschaft
mit den Deutschen« zu erleben. »Liest du die Bibel?«,
lautet seine Standardfrage, die Antwort lautet in der Regel:
»Nein«. »Aber woran glaubst du dann?«, wollte er von
Rebekka Hermann wissen. »Ich habe ihm erklärt, dass ich
noch nicht so gefestigt bin in meinem Glauben – und da hat
er mir dringend empfohlen, die Bibel zu lesen.« Sie lacht
belustigt, doch dann überlegt die 17-Jährige: »Irgendwie
72
hat er mich überzeugt, ich werde es mal versuchen.« Ein
Was nimmt Michael mit nach Ghana? – »Es gehört bei uns
Impuls für beide, wenn die tiefe persönliche Frömmigkeit
nicht zum Alltag, dass die Ansicht eines Jüngeren zählt.
eines afrikanischen Christen auf die eher zurückhaltende
Das freie Reden hier hat mir gut getan. Es befreit den Kopf,
Glaubenshaltung vieler Mitglieder der Volkskirchen in
Dinge anders zu sehen und darüber nachzudenken.« Es ist
Deutschland trifft.
genau das, was die Organisatoren antreibt. Un­­be­f angener,
Die aus aller Welt angereisten jungen Leute sind
als sich das Erwachsene – auch die als Anstands­hüter aus
meist fest in alten Traditionen verwurzelt. Das befremdet
Tansania mitgereisten – je vorstellen können, gehen die
und fasziniert die Deutschen zugleich. Anderes verbindet
Jungen aufeinander zu. Nicht alles verstehen sie dabei, aber
sie, zum Beispiel der dringende Wunsch, manches zu
sie nehmen es als Vielfalt des Lebens mit. Ein Mädchen
ändern: unbedingt und sofort! So kritisiert Akshim Bindra
bringt es auf den Punkt: »Es ist unglaublich: Wir sind alle
aus Indien den Ablauf von Gottesdiensten hier ebenso wie
sooo verschieden – und zugleich sooo ähnlich.«
n
bei ihm zu Hause: »Vorn steht der Pfarrer und die Gemeinde
betet alles nach. Langsame Lieder, alle müssen still sein –
und schlafen ein. Wir sollten mehr zusammen machen
und uns aufeinander beziehen.« Verschmitzt plädiert er
für mehr Enthusiasmus. »Wir wollen nicht still sein. Wir
wollen ein bisschen zu Christus schreien!« Hätten ihm die
Konfirmandengruppen zugehört, die immer mal wieder vom
Jugendkirchentag hereinschneien – sie würden sicher mit
ihm lachen. Meist schauen sie nur kurz herein und flattern
wieder davon, nach draußen ins vertraute Gemisch aus
Klettern, bekannter Musik und zig anderen Gelegenheiten,
etwas zu erleben. Dieses bunte Angebot des Jugend­kirchen­
tags befremdet dagegen manche Gäste aus Übersee. Sie
staunen über die Mischung aus geistlichen und thema­
tischen Angeboten, Konzerten, sportlichen Aktivitäten –
einem Freizeitpark nicht unähnlich – aus evangelischer
Hand. Damit trifft der Jugendkirchentag den Geschmack
der jungen Leute, doch manche Gäste fragen kritisch: »Was
gebt ihr den jungen Leuten von Christus mit?« Einige von
ihnen haben dann aber auch viel Spaß, zum Beispiel am
Hochseilgarten und am Bobbycar-Rennen.
Organisator Johny Thonipara vom Zentrum für
Ökumene zieht kritisch Bilanz und lernt daraus für das
nächste Mal: weniger Programm – mehr Zeit für persönliche
Begegnungen. »Die Jugendlichen tauschen sich in den
Pausen viel intensiver aus als in den Workshops«, hat er
Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in der EKHN
In den Kirchengemeinden der EKHN gab es im Jahr 2011 –
einschließlich der Chöre und der Angebote für
Konfirmandinnen und Konfirmanden – insgesamt:
n 2.129 Gruppen für Kinder
(darunter Kinderchöre, Pfadfindergruppen)
n 1.217 Gruppen für Jugendliche
Viele Gemeinden bieten Veranstaltungen für Jugendliche an:
75 Prozent aller Gemeinden machen, unabhängig
vom Konfirmandenunterricht, besondere Angebote
für Konfirmandinnen und Konfirmanden (dazu gehören
Konfi-Treffs und -Freizeiten).
n 27 Prozent der Gemeinden machen gezielt
spirituelle Angebote für Jugendliche.
n
Bei 100 Angeboten kooperiert die
gemeindliche Jugendarbeit in …
n … 67 Fällen mit der Dekanatsjugendarbeit.
n … 23 Fällen mit der Schule.
n … 32 Fällen mit anderen Anbietern von Jugendarbeit.
In mehr als der Hälfte aller Gemeinden haben die ehren­amt­
lichen Mitarbeiter/-innen in der Jugendarbeit eine Schulung
oder Fortbildung für die Arbeit mit Jugendlichen besucht.
n In 53 Prozent der Gemeinden sind Kinder und Jugendliche an
der Planung des Gemeindelebens beteiligt.
n Fast 68 Prozent der Gemeinden haben für Kinder und
Jugendliche eigene Räume eingerichtet.
n 54 Prozent der Gemeinden finanzierten im Jahr 2011 ihre
Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zu einem Teil durch
Spenden.
n
beobachtet.
73
EKHN-Haushalt
Einnahmen 2011
2010
2011
2011
Anteil an den
Gesamteinnahmen
[T Euro]
[T Euro]
[%]
Laufende Einnahmen
Kirchensteuer netto
428.982,60
424.393,88
83,4
2011
Veränderung
gegenüber
2010
[%]
– 1,1
Erlöse, Kostenerstattungen
26.900,06
24.855,06
4,9
– 7,6
Staatsleistungen und -erstattungen
12.943,84
13.094,39
2,6
+ 1,2
Zins- und Vermögenserträge
[1]
14.508,34
16.731,94
3,3
+ 15,3
Sonstige laufenden Einnahmen
[2]
13.286,34
7.052,04
1,4
– 46,9
496.621,18
486.127,32
95,5
– 2,1
22.872,87
19.756,29
3,9
– 13,6
Vermögenswirksame Einnahmen
Rücklagenentnahmen
[3]
921,56
2.916,31
0,6
+ 216,5
Sonstige vermögenswirksame Einnahmen
23.794,43
22.672,60
4,5
– 4,7
520.415,61
508.799,92
100,0
– 2,2
Summe aller Einnahmen
Erläuterungen:
[1] Die EKHN hat ihr Vermögen umgeschichtet. Dadurch
erzielte sie bei diesem Posten höhere Erträge.
[2] Im Jahr 2011 schüttete die EKHN keine Mittel
aus der Kirchbaurücklage an den gesamtkirchlichen
Haushalt aus.
[3] Im Jahr 2011 schichtete die EKHN die Betriebs­
mittel­rücklage der Regionalverwaltungsverbände um.
Für das Jahr 2012 rechnet die EKHN mit Kirchen­steuer­
einnahmen in Höhe von 420 Mio. Euro (ein Minus
von 4 Mio. Euro) und Gesamteinnahmen in Höhe von
544 Mio. Euro (ein Plus von 31 Mio. Euro).
74
EKHN-Haushalt
Ausgaben 2011
D
iese Übersicht über den Haushalt 2011
Gottes­dienste werden in den Gemeinden gefeiert, deshalb
­informiert Sie nur darüber, mit welchen
fällt dort auch der Großteil der Kosten dafür an. Sie sind
­zentralen Leistungen die Landeskirche die
hier aber nicht im Budget Verkündigung enthalten,
einzelnen Handlungsfelder unterstützt.
sondern im Budget der Gemeinden und Dekanate.
Der landeskirchliche Haushalt erfasst lediglich die
Sie gibt nicht die realen Aufwendungen
wieder, welche die ­Evangelische Kirche in Hessen und
Ausgaben und Dienstleistungen, die in den einzelnen
Nassau (EKHN) auf allen Ebenen für die einzelnen
Arbeitsbereichen auf Ebene der Landeskirche anfallen.
Bereiche des Budgets aufbringt. Eine Gesamtschau
In etlichen Arbeitsbereichen stehen ihnen auch Ein-
müsste zusätzlich die Aufwendungen der Gemeinden
nahmen gegenüber – vorwiegend öffentliche Entgelte und
und Dekanate erfassen, die den jeweils größten Teil
Förder ­mittel (➔ Seite 74).
­ausmachen. – Beispiel Verkündigung: Die meisten
Ausgaben 2011
508,8 Mio. Euro
n
Kirchliche Arbeit auf Gemeinde- und Dekanatsebene
55,3 %
n
Kirchliche Handlungsfelder
15,4 %
n
Allgemeines Finanzwesen
(Versorgungsleistungen, Beihilfen ...)
14,6 %
Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)
6,3 %
Dienstleistungen incl. Kirchenverwaltung,
Öffentlichkeitsarbeit und Rechnungsprüfungsamt
4,8 %
n
Theologische Ausbildung und IPOS
2,4 %
n
Zentrales Management landeskirchlicher Gebäude
0,7 %
n
Leitungsgremien Synode und Kirchenleitung
0,5 %
n
n
Bildung
6,3 %
Gesellschaftliche
Verantwortung
und Diakonie
4,2 %
Ökumene
2,1 %
Seelsorge
1,7 %
Verkündigung
1,1 %
Auf den folgenden Seiten
finden Sie
eine detaillierte Übersicht
der Ausgaben.
Einige Kennzahlen aus dem Jahre 2011
n
Kindertagesstätten: Mit etwa 953 Euro pro Jahr fördert die EKHN jeden Kitaplatz.
Insgesamt gab sie 36,0 Mio. Euro für 37.791 Plätze aus.
n
Gebäude:
11.993 Euro investierte die EKHN durchschnittlich in jedes ihrer Gebäude.
Insgesamt gab sie 49,8. Mio. Euro für die Erhaltung ihrer 1.287 meist denkmalgeschützten Kirchen
und 2.867 weiterer Gebäude aus.
n
Kirchensteuer:
248 Euro Kirchensteuer erhielt die EKHN im Jahresdurchschnitt von jedem Mitglied.
Insgesamt 424 Mio. Euro von 1.706.128 Mitgliedern.
n
Tagungshäuser:
Im Jahr 2011 gab es insgesamt 63.400 Übernachtungen, davon 37.120 von EKHN-Mitgliedern.
Für diese gab es einen reduzierten Tarif. Die Zuschüsse dafür – 17 Euro pro Übernachtung –
betrugen insgesamt 630.200 Euro.
75
EKHN-Haushalt
Ausgaben 2011 [Fortsetzung]
Ausgaben
Anteil an
den Gesamtausgaben
[T Euro]
[%]
Budgetbereich Kirchliche Arbeit auf Gemeindeund Dekanatsebene
Kirchengemeinden91.609,71
Kindertagesstätten36.017,93
Gebäudeinvestitionen37.410,93
Dekanate37.390,11
[4]
[4] Einmaliger Effekt 2011 durch die Regionalverwaltungen
Umschichtung von 2,39 Mio. Euro
Zuführungen an kirchengemeindliche Rückstellungen/Rücklagen
aus der Betriebsmittelrücklage der
Ergebnisorientierte Entgeltsonderzahlung an Mitarbeitende
Regionalverwaltungsverbände.
der Kirchengemeinden und Dekanate
[5]
9.373,76
3.355,52
4.600,00
Gemeindepfarrdienst61.735,48
[5] Die Bonuszahlungen für
landes­kirchliche Mitarbeitende –
weitere 4,6 Mio. Euro – bucht die
EKHN im Budgetbereich
»Allgemeines Finanzwesen«.
Sonstige Vertretungen
37,67
281.531,11
Nachrichtlich: Anteil Versorgungs- und Beihilfekosten für diesen Bereich
(enthalten im Budgetbereich »Allgemeines Finanzwesen« auf Seite 79)
55,3
34.639,69
Budgetbereich Verkündigung
Gottesdienst25,95
Bibelgesellschaften492,13
Sonstige Kirchenmusik
76,47
Evangelischer Kirchentag
29,86
Evangelische Studierendengemeinden
1.452,79
Sonstige Verkündigung
1.058,79
Zentrum für Verkündigung
2.669,75
5.805,74
Nachrichtlich: Anteil Versorgungs- und Beihilfekosten für diesen Bereich
(enthalten im Budgetbereich »Allgemeines Finanzwesen« auf Seite 79)
1,1
1.003,32
Budgetbereich Seelsorge
Klinikseelsorge3.163,06
Altenheimseelsorge570,43
[6] Aus den Kollekten führte die
EKHN 0,16 Mio. Euro den Rücklagen
der Hospizarbeit zu.
Hospizarbeit
[6]
204,85
Altenheim-, Krankenhaus- und Hospizseelsorge
978,46
Seelsorge an Sprach- und Gehörgeschädigten
264,96
Behindertenseelsorge354,60
Notfallseelsorge596,65
Telefonseelsorge333,00
Polizeiseelsorge204,97
Flughafenseelsorge101,34
Gefängnisseelsorge878,53
Kapellenausstattung49,00
Zentrum für Seelsorge und Beratung
980,06
8.679,90
Nachrichtlich: Anteil Versorgungs- und Beihilfekosten für diesen Bereich
(enthalten im Budgetbereich »Allgemeines Finanzwesen« auf Seite 79)
76
4.191,25
1,7
Ausgaben
Anteil an
den Gesamtausgaben
[T Euro]
[%]
Budgetbereich Bildung
Stadtjugendpfarrstellen274,34
Jugendkulturkirche650,53
Religionsunterricht10.888,14
Konfirmandenunterricht7,66
Religionsunterricht durch gesamtkirchliche Gemeindepädagogen
222,58
Kirchliche Schulämter
716,03
Religionspädagogische Institute
1.437,00
Kirchliche Grundschulen
Laubach-Kolleg
865,99
[7]
3.989,32
Evangelisches Gymnasium Bad Marienberg
1.653,44
Evangelische Akademie
697,49
Freizeitheim Ebernburg
26,10
Sonstige Bildung
1.725,30
Zentrum Bildung
5.334,36
Betriebsgemeinschaft Tagungshäuser
3.588,06
[8]
32.076,33
Nachrichtlich: Anteil Versorgungs- und Beihilfekosten für diesen Bereich
(enthalten im Budgetbereich »Allgemeines Finanzwesen« auf Seite 79)
[7] Durch die energetische
Sanierung des Laubach-Kollegs
stiegen die Ausgaben um
0,8 Mio. Euro.
6,3
8.013,36
[8] Durch die Grundsanierung des
Tagungshotels Martin-NiemöllerHaus entstanden Ausgaben in Höhe
von 1,9 Mio. Euro.
Budgetbereich Gesellschaftliche Verantwortung und Diakonie
Diakonisches Werk in Hessen und Nassau
18.926,45
Sonstige Gesellschaftliche Verantwortung und Diakonie
1.009,97
Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung
1.483,64
21.420,06
Nachrichtlich: Anteil Versorgungs- und Beihilfekosten für diesen Bereich
(enthalten im Budgetbereich »Allgemeines Finanzwesen« auf Seite 79)
4,2
441,50
Budgetbereich Ökumene
Missionswerke und Partnerkirchen
2.996,11
Friedensdienst50,76
Bekämpfung der Not in der Welt (kirchlicher Entwicklungsdienst)
303,65
Ökumenische Bildungsarbeit
(interkonfessioneller und interreligiöser Dialog)
151,32
Evangelischer Entwicklungsdienst
4.703,83
Sonstige Ökumene
346,71
Zentrum für Ökumene
1.973,38
10.525,76
Nachrichtlich: Anteil Versorgungs- und Beihilfekosten für diesen Bereich
(enthalten im Budgetbereich »Allgemeines Finanzwesen« auf Seite 79)
2,1
351,10
77
EKHN-Haushalt
Ausgaben 2011 [Fortsetzung]
Ausgaben
Anteil an
den Gesamtausgaben
[T Euro]
[%]
Budgetbereich Theologische Ausbildung und IPOS
Vorbereitungsdienst der Vikarinnen und Vikare
[9] Die bis 2012 durchgeführte
Renovierung verursachte Ausgaben
in Höhe von 3,5 Mio. Euro.
1.164,35
Sozialstipendien/-darlehen aus zweckgebundenen Kollektenmitteln
46,50
Theologisches Seminar
733,33
Kirchliche Studienbegleitung
158,92
Universitäten, Theologiestudium
79,22
Evangelische Hochschule Darmstadt
[9]
Berufspraktikum Gemeindepädagogen/sozialpädagogische
Fachschulen und sonstige Ausbildung
Institut für Personalberatung, Organisationsentwicklung
und Supervision
7.687,01
475,72
2.015,32
12.360,36
Nachrichtlich: Anteil Versorgungs- und Beihilfekosten für diesen Bereich
(enthalten im Budgetbereich »Allgemeines Finanzwesen« auf Seite 79)
2,4
1.020,57
Budgetbereich Landeskirchliche Dienstleistungen
Kirchenverwaltung16.566,54
Sonstige Verwaltung, Gerichtsbarkeit
1.119,54
17.686,08
Nachrichtlich: Anteil Versorgungs- und Beihilfekosten für diesen Bereich
(enthalten im Budgetbereich »Allgemeines Finanzwesen« auf Seite 79)
3,5
2.228,28
Budgetbereich Öffentlichkeitsarbeit
5.149,96
Nachrichtlich: Anteil Versorgungs- und Beihilfekosten für diesen Bereich
(enthalten im Budgetbereich »Allgemeines Finanzwesen« auf Seite 79)
1,0
171,23
Budgetbereich Synode
647,28
Nachrichtlich: Anteil Versorgungs- und Beihilfekosten für diesen Bereich
(enthalten im Budgetbereich »Allgemeines Finanzwesen« auf Seite 79)
0,1
35,27
Budgetbereich Kirchenleitung
1.823,34
Nachrichtlich: Anteil Versorgungs- und Beihilfekosten für diesen Bereich
(enthalten im Budgetbereich »Allgemeines Finanzwesen« auf Seite 79)
78
514,50
0,4
Ausgaben
Anteil an
den Gesamtausgaben
[T Euro]
[%]
Budgetbereich Allgemeines Finanzwesen
Versorgungsleistungen Pfarrer/-innen
und Kirchenbeamtinnen/-beamte
38.738,21
Sonstige Altersversorgung
8,40
Beihilfe15.590,74
Überbrückungsfonds/Übergangsstellenplan
[10]
6.091,61
[10] Die EKHN stockte
den Überbrückungs­fonds um
5,5 Mio. Euro auf.
Kirchensteuerverwaltung/Clearing0,12
Sammelversicherungen3.004,93
Zuführung an Ausgleichsrücklage
2.379,89
Ergebnisorientierte Entgeltsonderzahlung
an Mitarbeitende der Landeskirche
4.600,00
Sonstige Vermögensverwaltung
3.716,34
74.130,25
14,6
Budgetbereich Rechnungsprüfungsamt
1.328,55
Nachrichtlich: Anteil Versorgungs- und Beihilfekosten für diesen Bereich
(enthalten im Budgetbereich »Allgemeines Finanzwesen« auf Seite 79)
0,3
389,29
Budgetbereich Zentrales Management landeskirchlicher Gebäude
3.454,46
0,7
Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)
Allgemeine Umlage
10.114,52
Finanzausgleich an östliche Landeskirchen
20.018,61
Ostpfarrerversorgung1.002,82
Andere Umlagen
1.044,77
32.180,72
6,3
Summe
508.799,92
100,00
79
Impressum
EKHN © August 2012
Herausgegeben von der
Kirchenleitung der EKHN
Paulusplatz 1
64285 Darmstadt
Telefon (06151) 405-504
E-Mail [email protected]
www.ekhn.de
Verantwortlich:
Oberkirchenrat Pfarrer Dr. Joachim Schmidt
Redaktion/Koordination:
Oberkirchenrat Pfarrer Dr. Joachim Schmidt,
Oberkirchenrat Pfarrer Stephan Krebs,
Pfarrer Matthias Pape
Texte:
n Kathrin Althans: Seiten 57 – 58
n Lilith Becker: Seiten 20 – 22, 30 – 31
n Gesine Bonnet: Seiten 23 – 26, 27 – 29,
42 – 43
n Bernd Buchner: Seiten 44 – 45, 53 – 54
n Jörn Dietze: Seiten 64 – 67
n Jörg Echtler: Seiten 39 – 41
n Volker Jung: Seiten 4 – 5
n Stephan Krebs: Seiten 11, 61 – 62
n Hanna Lucassen: Seiten 46 – 47
n Sylvia Meise: Seiten 13 – 14, 15 – 17, 32 – 34,
55 – 56, 59 – 60, 62 – 63, 68 – 70, 71 – 73
n Susanna Roßbach: Seiten 35 – 38
n Joachim Schmidt: Seiten 9 – 12
n Doris Stickler: Seiten 48 – 49, 50 – 52
n Heinz Thomas Striegler: Seiten 6 – 8
n Helmut Völkel: Seiten 18 – 19
Darstellung der Haushalte:
Dipl.-Verwaltungswirt Steffen Antel,
M. Sc. BWL Sonja Müller-Rusam
Statistische Daten:
Oberkirchenrat Dr. Franz Grubauer,
Robin Pejas
Gestaltung:
Prof. Marian Nestmann
Fotos:
n epd-foto/Norbert Neetz: Seite 4
n Fototeam Jugendkirchentag:
Seiten 72/73 oben
n Eva Giovannini: Seiten 27 – 29, 32/33
n Stephan Krebs: Seiten 61 – 63 oben
n Jule Kühn: Seiten 9, 13/14, 15 – 17, 20 – 22,
23 – 25, 30/31, 39 – 41, 44/45, 46/47, 48/49,
50 – 52, 53/54, 59/60, 64 – 67
n Pat Meise: Seite 34
n Friederike Schaab: Seiten 7, 18/19, 24 – 26,
35 – 38, 42/43, 57/58, 63 unten, 71, 72 unten
n Annika Schulz: Seiten 55/56, 68 – 70
Lektorat:
Peter Schughart,
Iljitsch Rumpf
Druck:
Frotscher Druck, Darmstadt
80
Adressen
Wir freuen uns
über Ihre Fragen, Anregungen,
Kritiken oder Kommentare.
Präses der Kirchensynode
Dr. Ulrich Oelschläger
Paulusplatz 1
64285 Darmstadt
Telefon (06151) 405-308
E-Mail [email protected]
Zentrum Bildung
Erbacher Straße 17
64287 Darmstadt
Telefon (06151) 6690-100
E-Mail [email protected]
www.zentrumbildung-ekhn.de
Stellvertreterin des Kirchen­
präsidenten
Oberkirchenrätin Pfarrerin
Cordelia Kopsch
Telefon (06151) 405-298
E-Mail [email protected]
Propstei Nord-Nassau
Pröpstin: Pfarrerin
Annegret Puttkammer
Am Hintersand 15
35745 Herborn
Telefon (02772) 5834-100
E-Mail ev.propstei.nord-nassau
@ekhn-net.de
Zentrum Gesellschaftliche
Verantwortung
Leitung: Oberkirchenrat Pfarrer
Christian Schwindt
Albert-Schweitzer-Straße 113 – 115
55128 Mainz
Telefon (06131) 28744-0
E-Mail [email protected]
www.zgv.info
Leiter der Kirchenverwaltung
und des Dezernats Finanzen
Leitender Oberkirchenrat
Heinz Thomas Striegler
Telefon (06151) 405-296
E-Mail heinz-thomas.striegler
@ekhn-kv.de
Propstei Oberhessen
Propst: Pfarrer Matthias Schmidt
Lonystraße 13
35390 Gießen
Telefon (0641) 7949610
E-Mail propstei.oberhessen
@ekhn.de
Leiter des Dezernats Personal
und stellvertretender Leiter
der Kirchenverwaltung
Oberkirchenrat Pfarrer
Dr. Walter Bechinger
Telefon (06151) 405-375
E-Mail walter.bechinger
@ekhn-kv.de
Propstei Rheinhessen
Propst: Pfarrer
Dr. Klaus-Volker Schütz
Am Gonsenheimer Spieß 1
55122 Mainz
Telefon (06131) 31027
E-Mail propstei.rheinhessen
@t-online.de
Leiterin des Dezernats
Kirchliche Dienste
Oberkirchenrätin Pfarrerin
Christine Noschka
Telefon (06151) 405-306
E-Mail christine.noschka
@ekhn-kv.de
Propstei Süd-Nassau
Propst: Pfarrer Dr. Sigurd Rink
Schwalbacher Straße 6
65185 Wiesbaden
Telefon (0611) 1409-800
E-Mail ev.propstei.sued-nassau
@ekhn-net.de
Leiter des Dezernats Organisation,
Bau und Liegenschaften
Oberkirchenrat Wolfgang Heine
Telefon (06151) 405-202
E-Mail [email protected]
Propstei Rhein-Main
Pröpstin: Pfarrerin Gabriele Scherle
Rechneigrabenstraße 10
60311 Frankfurt
Telefon (069) 92107388
E-Mail ev.propstei.rhein-main
@ekhn-net.de
EKHN
Paulusplatz 1
64285 Darmstadt
Kirchenpräsident
Pfarrer Dr. Volker Jung
Telefon (06151) 405-291
E-Mail [email protected]
Leiter der Öffentlichkeitsarbeit
Oberkirchenrat Pfarrer
Dr. Joachim Schmidt
Telefon (06151) 405-289
E-Mail joachim.schmidt
@ekhn-kv.de
Ansprechpartner für Fragen
rund um die Kirchensteuer
Kirchenrat Bernd Karn
Telefon (06151) 405-353
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Kirchenamtsrat Peter Lemke
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Ohlystraße 71
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E-Mail propstei.starkenburg
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Ehrenamtsakademie
Leitung: Pfarrerin
Helga Engler-Heidle
Paulusplatz 1
64285 Darmstadt
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Zentrum Ökumene
Leitung: Oberkirchenrat
Pfarrer Detlev Knoche
Praunheimer Landstraße 206
60488 Frankfurt
Telefon (069) 97651811
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Zentrum Verkündigung
Leitung: Oberkirchenrätin
Pfarrerin Sabine Bäuerle
Markgrafenstraße 14
60487 Frankfurt
Telefon (069) 71379-0
E-Mail willkommen
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Zentrum Seelsorge und Beratung
Leitung: Oberkirchenrat Pfarrer
Christof Schuster
Kaiserstraße 2
61169 Friedberg
Telefon (06031) 162950
E-Mail [email protected]
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Institut für Personalberatung,
Organisationsentwicklung
und Supervision in der EKHN
Leitung: Gerd Bauz
Kaiserstraße 2
61169 Friedberg
Telefon (06031) 162970
E-Mail [email protected]
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