2012 - Matthias Hell

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2012 - Matthias Hell
2012/2013 ...und schon ist wieder ein jahr vorueber - dankenswerterweise ein jahr, das fuer
mich voll und ganz positiv verlaufen ist. papa eines wundervollen jungen zu sein, ist fuer
mich weiterhin jeden tag ein grund zu grosser freude. beruflich ist mir der start in die
selbststaendigkeit erfolgreich geglueckt. und was all die kulturellen zeitvertreibe betrifft, die
mir so wichtig sind, war 2012 ebenfalls ein volltreffer: fast alle meiner lieblings-acts haben
im zurueckliegenden jahr neue alben veroeffentlicht, ich habe eine reihe hochklassiger
konzerte gesehen und auch musse dafuer gefunden, einige der interessantesten buchneuerscheinungen des jahres zu lesen. unter den erwartungen blieben lediglich die etwas fade
fussball-em und der uninspirierte, krisenbestimmte politbetrieb - immerhin sorgt die damit
zusammenhaengende europa-debatte fuer einige spannende denkanstoesse.
das jahr 2013 duerfte es also nicht allzu leicht haben, die zurueckliegenden zwoelf monate zu
toppen. einen fussball-grossanlass gibt es nicht, dafuer wird im september der bundestag neu
gewaehlt. doch was soll aus dem duell zwischen der stillstandsverwalterin merkel und dem
moechtegern-schmidt peer steinbrueck schon grosses herauskommen? auch musikalisch laeuft
das jahr eher verhalten an. immerhin sind bereits rock-neuerscheinungen von i am kloot und
the courteeners, elektro-news von darkstar und mia sowie neue afrikanische alben von
bassekou kouyate und rokia traore angekuendigt. recht erfreulich sieht zudem bereits der
konzertkalender aus. im buch-bereich scheint 2013 ein richtig gutes jahr zu werden. bereits
fest vorgemerkt sind neuveroeffentlichungen von nadeem aslam, roberto bolano, mohsin
hamid, chimamanda ngozie adichie und colum mccann. schliesslich sollte ich auch versuchen,
es wieder oefter ins kino zu schaffen. hier stehen 2013 unter anderem neustarts von pedro
almodovar, wong kar wai, sofia coppola, luc besson, jim jarmusch und den coen-bruedern auf
dem programm.
fuer kulturelle aktivitaeten ist also gesorgt - stellt sich noch die frage, was ich mir auf
persoenlicher ebene fuer 2013 erwarte bzw. vornehme. optimierungsmoeglichkeiten gibt es
im beruflichen bereich: zum einen gilt es die bei freiberuflern beruehmt-beruechtigte
work/life-balance zu verbessern und zum anderen wuerde ich kuenftig gerne noch mehr
begeisternde aufgaben erledigen, wie es 2012 vor allem die arbeit an meine olympia-buch
war. ansonsten wuerde ich mir gerne in bewaehrt ominoeser weise eine wiederausweitung
meines aktionsradius, eine optimierte konstitution sowie frieden und liebe wuenschen.
in diesem sinne: prosit neujahr!
das christkind war da - und hat mir meine neue lieblingsband mitgebracht: by the sea aus
liverpool haben mit ihrem selbstbetitelten debut ein album abgeliefert, das rechtzeitig gehoert
locker einen platz in meiner jahres-bestenliste erhalten haette. aber auch so wird mir die band
eindruecklich in erinnerung bleiben, denn schon mit ihrem fokus auf 80er indiebands wie
house of love, cocteau twins und the smiths treffen by the sea bei mir voll ins schwarze. hinzu
kommt eine sympathische sixties-schlagseite sowie ein maritimer, auch mal an die uswestkueste schielender sound, wie er einer band aus einer hafenstadt gut zu gesicht steht. das
album 'by the sea' wurde zudem vom frueheren the-coral-gitarristen und hochmusikalischen
sensibelchen bill ryder-jones in einer liverpooler seemannskirche grossartig atmosphaerisch
aufgenommen und produziert. es ist sicherlich an die fuenf jahre her, dass mich zum letzten
mal das debut einer britischen band so begeistert hat - und damit sind by the sea fuer mich das
optimale zuckerl am ende eines auch so schon sehr guten musikjahres.
fuer springsteen in asbury park,
morrissey in manchester und reggae in
jamaica hat es bisher nicht gereicht. aber
immerhin fuer ostbahn-kurti in wien und jetzt fuer denk in fischamend. einen
kuenstler vor heimischer kulisse zu
sehen, bietet die moeglichkeit ihn
unverfaelscht zu sehen und auch im falle
von denk liessen sich beim
weihnachtskonzert im jugendzentrum
stand up club noch ein paar zusaetzliche
feinheiten feststellen. nach mittlerweile
fuenf 'ausgsteckt'-konzerten erlebten wir
denk einerseits zum ersten mal in der
'laut'- (oder auch 'wild und gefaehrlich')version. die trommelfelle waren zum
glueck nicht ernsthaft in gefahr, aber das
elektrifizierte konzert bot dennoch ein
deutlich breiteres dynamikspektrum. von
haarscharf der geschmackspolizei entkommenen mainstream-rockern reichte dies bis zu
subtilen balladen, feinsten instrumentalbeitraegen (allen voran ludwig 'gitarrengott' ebner)
und altbewaehrten singalongs. zum zweiten liess sich daran auch sehr deutlich der integrative
imperativ erkennen, den die wurzeln einer band wie denk mit sich bringen: man kann es sich
nicht immer leisten, nur songperlen wie 'rannersdorf' zu spielen, mit der talentshowgewinnerin und musikalischen urgewalt christine hoedl im duett zu singen oder eine italopophomage wie 'un attimo' aufzufuehren. aber denk haben genau das bei ihrem
weihnachtskonzert gemacht und damit nicht nur fuer einen superspassigen abend gesorgt,
sondern einmal mehr ihre klasse unter beweis gestellt. und weil fischamend so praktisch nah
bei wien liegt, bot der roadgig auch noch die bundeshauptstadt im weihnachtsfeeling, so
manche stunde im kaffeehaus, leckere beisl-kost im reinthalers, eine feine ausstellung zur
sowjetischen architekturmoderne und den ausgezeichneten bordbistro-service im railjet, dem
'premiumzug der oebb'.
1 jahr selbststaendigkeit vor einem jahr berichtete ich an dieser stelle ueber meinen schritt in
die selbststaendigkeit - grund genug, um zwoelf monate spaeter ein erstes zwischenresuemee
zu ziehen, das erfreulicherweise uneingeschraenkt positiv ausfaellt.
das liegt zunaechst daran, dass mir mit exciting commerce, channelpartner, shopanbieter.de
und chip.de von anfang ein netzwerk von ebenso angesehenen wie auch angenehmen
auftraggebern zur verfuegung stand. im laufe des jahres habe ich zudem beitraege fuer t3n
und die internetagentur cyberdays geschrieben sowie pr-aufgaben unter anderem fuer pcspezialist und meine-it uebernommen, von denen ich mich inzwischen aber bewusst frei
gemacht habe.
das wichtigste resultat meiner selbststaendigkeit ist damit, dass ich heute nur noch ueber
themen schreibe, die direkt mit meinem zentralen interesse in verbindung stehen: dem durch
das internet in bewegung gesetzten digitalen umbruch und seinen auswirkungen auf die
handelswelt. neben dem bewaehrten fokus auf der elektronikbranche freue ich mich auch
ueber den zusaetzlichen schwerpunkt im publishing-bereich, wo ueber vertriebsthemen hinaus
gerade sehr spannende entwicklungen passieren.
meine thematische ausrichtung und das renomee meiner auftraggeber sorgen dafuer, dass
meine arbeit heute eine groessere resonanz erhaelt als je zuvor. und auch finanziell war der
schritt in die selbststaendigkeit die richtige entscheidung. gerade im lichte aktueller
diskussionen in der medienbranche ist es dabei uebrigens interessant, dass der ueberwiegende
anteil meiner auftraggeber aus dem online- bzw. blog-bereich stammt...
auch 2013 werde ich den eingeschlagenen kurs weiterverfolgen und wuerde mich freuen,
wenn plaene, die zusammenarbeit mit meinen hauptauftraggebern noch weiter auszubauen,
sich schon bald umsetzen liessen. zudem gibt es bereits heute weitere anfragen und bin ich trotz inzwischen knapper kapazitaeten - auch weiterhin fuer spannende themen offen.
neben meiner journalistischen taetigkeit im e-commerce-bereich ist es mir 2012 schliesslich
auch gelungen, als buchautor erstmals in erscheinung zu treten. mit meinem buch ueber den
staedtebaulich-architektonischen hintergrund von 'muenchen 72' konnte ich nicht nur einige
meiner kulturellen interessen auf einem guten niveau in wort und bild darstellen, sondern
habe auch privat und oeffentlich ein erfreuliches feedback erhalten. aufschlussreiche
erfahrungen als buchautor, die kraeftezehrende autorenarbeit an sich sowie die
herausforderungen bei der findung von weiteren buchthemen werden dazu fuehren, dass sich
ein nachfolger fuer mein olympia-buch noch etwas zeit lassen duerfte. doch habe ich in den
vergangenen zwoelf monaten nicht zuletzt gelernt, dass sich viele dinge bewegen lassen,
wenn man erst einmal den mut findet, diese in angriff zu nehmen. und so schaue ich
optimistisch in die zukunft und freue mich auf alles, was 2013 beruflich kommen mag.
welche stellung weihnachtssongs in der popmusik haben, kann man unter anderem daran
erkennen, dass in diesem jahr nicht nur die anglo-indische band cornershop erstmals eine
weihnachtssingle herausbringt, sondern auch der juedische raggae-rapper matisyahu bereits
zum wiederholten mal einen hannukah-track veroeffentlicht (und ich wage mal die these, dass
hannukah so etwas wie das 'juedische weihnachten' ist).
auch ich habe die alljaehrliche weihnachtliche veroeffentlichungsflut wieder sorgfaeltig
beobachtet und dabei eine zwar etwas weniger reichhaltige, aber trotzdem sehr gefaellige
ausbeute gemacht. klares weihnachts-highlight des jahres ist sufjan stevens' zweite festtags5cd-box 'silver and gold'. jedes jahr nimmt stevens fuer seine freunde ein weihnachtsalbum
auf und veroeffentlicht diese dann in geballter form. 'silver and gold' spiegelt dabei das auf
sympathische art zunehmend manische in stevens' oeuvre wieder: jede der fuenf weihnachtscds hat ihren eigenen musikalischen charakter - von schrulligen do-it-yourself-charme ueber
synthipop bis hin zu ueppigen orchesterarrangements - und dazu gibt es in der box
seitenweise liner notes, weihnachtssticker- und -klebetattoos sowie einen bastelbogen (der
fuer normalsterbliche meiner meinung nach nicht bastelbar ist - ich hab's versucht). da unter
den 58 songs der cd-box auch viele musikalische volltreffer sind, ist 'silver and gold' eine
absolut lohnenswerte anschaffung.
an der albenfront weiterhin erwaehnenswert sind in diesem jahr das sehr erwachsene festtagsalbum 'tinsel and lights' der everything but the girl-saengerin tracey thorn sowie das mit
schoen altmodischem rhythm'n'blues aufwartende 'christmas is on' von gary us bonds.
gelungene weihnachtssingles gibt es nicht nur von cornershop (wobei die mit sinead o'connor
aufgenommene, inzwischen zurueckgezogene variante 'posing as an angel' dem offiziellen
'every year so different' vorzuziehen ist) und matisyahu, sondern auch von glasvegas, the
shins und der entzueckenden franzoesin olivia ruiz. in diesem sinne: a wonderful christmas
time!
nach so viel blick zurueck bleibt noch der ebenso traditionelle blick in die glaskugel - meine
musiktipps: 10 fuer 2013
mit den palma violets scheinen endlich die neuen libertines gefunden. ob das debutalbum mit
der ersten single 'best of friends' mithalten kann, wird sich zeigen - und vor allem, ob man
sich noch einmal wird aehnlich begeistern koennen... +++ stylisch, stylisch, die all-female
post-punk-band savages. mit ein paar guten songs koennte es 2013 etwas werden +++ in die
kategorie souliger post-dubstep fallen alunageorge aus london. mir gefaellt soetwas +++
reduzierten folkigen, leicht elektronischen pop machen daughter. auch hier wird es auf die
qualitaet der songs ankommen +++ ein 17jaehriger londoner backfisch mit afrikanischen
wurzeln ist a*m*e. ihr cockney-charme koennte sie vom pop-einheitsbrei abheben. aber
vorsicht: a*m*e wurde von gary barlows plattenlabel unter vertrag genommen +++ waere
cool, wenn laura mvula 2013 aehnlich gute musik liefert, wie josephine oniyama in diesem
jahr - die voraussetzungen stimmen jedenfalls: beide kommen aus nordengland, sind soulgepraegt und haben afrikanische wurzeln +++ von uk nach deutschland: in der
telekom/spotify-werbung kommt man laings 'morgens immer muede' nicht aus dem weg. mal
schauen, ob auch das debutalbum aehnlich knallig wird +++ obwohl mich castingshows nicht
mehr interessieren, bin ich in diesem jahr auf die einzigartige 'ein song fuer baku'ausscheiderin shelly phillips gestossen. auch als mitglied der band kein fruehstueck macht
die aschaffenburgerin grossartige musik +++ als opener von lianna la havas war mir josh
kumra zu singer-songwriter-gefuehlig, seine aktuelle single 'waiting for you' laesst jedoch
auf einiges potenzial hoffen +++ und last but not least noch ein tipp aus den usa: die moderne
blueserin valerie june hat zwar schon ein paar indie-alben veroeffentlicht, will 2013 aber mit
hilfe der black keys den durchbruch schaffen. dabei gefallen mir nicht nur die dreadlocks der
dame absolut grossartig
um ein ranking meiner lieblings-filme komme ich in diesem jahr herum, da ich es nicht
haeufiger als ein paar mal ins kino geschafft habe. erfreulicherweise ist es mir aber immerhin
gelungen, in diesem jahr ein gutes dutzend buecher zu lesen, so dass ich im folgenden meine
fuenf lieblingsbuecher auflisten kann:
1. peter nadas - paralellgeschichten nadas 1700-seiten-roman war auch fuer mich eine tour
de force, ist mir aber in seinen vielen facetten eindruecklich in erinnerung geblieben - ein
ziemlich einzigartiges und glaenzend geschriebenes jahrhundert-panorama
2. zadie smith - nw zadie smiths debutroman 'white teeth' hatte einst meine londonbegeisterung ausgeloest und dass smith mit 'nw' in das umfeld und zur klasse ihres erstlings
zurueckfand, war fuer mich ein echtes highlight
3. roberto bolano - das dritte reich das buch in der oeffentlichkeit zu lesen, war wegen des
titels fuer mich zwar etwas delikat. dafuer bekam man aber eine weitere dieser sinistren
bolano-geschichten ueber menschliche umtriebe zu lesen - dieses mal mit einem reizvollen
setting an der spanischen costa brava
4. francis spufford - red plenty dass chruschtschow seinerzeit plante, die usa auf
wirtschaftlichem gebiet zu ueberholen, ist eher unbekannt. dem historiker francis spufford
gebuehrt das verdienst, diesen sachverhalt nicht nur belichtet, sondern auch in einem
exzellenten doku-roman aufbereitet zu haben
5. martin suter - die zeit, die zeit einen nobelpreis wird martin suter zwar wohl nicht so
schnell gewinnen, dennoch zaehlen seine romane fuer mich zu dem besten, was es an
unterhaltungsliteratur gibt. und in diesem jahr gefiel mir sogar 'der neue suter' besser als 'der
neue djian'
hier die besten konzerte des jahres 2012:
1. bruce springsteen (commerzbank-arena frankfurt) ...weil die fast vier stunden mit dem
boss und der estreet band ein unvergessliches rock'n'roll-erlebnis waren
2. der nino aus wien (buergerfest graefelfing) ein zirkuszelt auf einer wuermwiese,
wunderschoen arroganter indierock aus wien und dazwischen ein perfektes sommergewitter
3. lianne la havas (ampere) ...weil sie super-sympathisch war und mit ihrer stimme und ihren
cleveren songs noch jede menge potenzial hat
4. lee scratch perry (backstage) der reggae-ikone jenseits von gut uns boese verdanke ich
den spassig-exzessivsten abend des jahres
5. lou reed (tollwood) john cale war in diesem jahr auch nicht uebel, aber der alternde lou
reed zeigte noch einmal eindruecklicher die massstaebe im underground rock auf
6. gaslight anthem (zenith) ob es klug war, mit heftiger erkaeltung zu dem konzert zu gehen,
ist eine andere sache. aber der working class rock der band aus new jersey ist live einfach
eine bank
7. the temper trap (backstage) die band hat das rad nicht neu erfunden und ihr in diesem
jahr erschienenes zweites album ist auch eher soso, aber live war das einfach perfekter
moderner stadionrock
8. peter gabriel (olympiahalle) der auftritt mit orchester bot nicht nur einfallsreiche neuarrangements bekannter gabriel-klassiker, sondern einmal mehr ein grossartiges,
performance-artiges buehnen-design
9. portico quartet (unterfahrt) die jungen brit-jazzer brachten ihre immer mehr in richtung
aktuelle bass-sounds tendierende musik auch live absolut sensationell rueber
10. esperanza spalding (kongresshalle) das zweite konzert, zu dem ich von der unterfahrt
akreditiert wurde: auch wenn ich kein jazz-aficionado bin, ist mir die wundervolle frau
spalding lebhaft in erinnerung geblieben
weiter gehts mit der koenigsklasse: die alben des jahres 2012
1. bob dylan - tempest
2. salif keita - tale
3. josephine - portrait
4. sinead o'connor - how abaout i be me (and you be you)?
5. bongeziwe mabandla - umlilo
6. bruce springsteen - wrecking ball
7. matisyahu - spark seeker
8. leonard cohen - old ideas
9. cooly g - playin' me
10. sophie hunger - the danger of light
es ist ja ein nettes paradox: hoert man auf die texte der neuen alicia keys cd 'girl on fire', ist
unabhaengigkeit und neu gefundene selbstbestimmung das zentrale thema. musikalisch schaut
es jedoch anders aus. waehrend die bisherigen alicia keys alben durchwegs mit einem
geschlossenen konzept und soundkleid punkten konnten, herrscht auf 'girl on fire' ein
munteres anything-goes. mit emeli sande komponierte keys ein paar gefuehlvolle pianonummern, jamie xx produzierte das retrofuturistische 'when it's all over', beim titeltrack ist
amy-winehouse-producer salaam remi mit von der partie und die schoene motown-hommage
'tears always win' ist mit newcomer bruno mars entstanden. und das sind nur einige der in den
cd-credits aufgefuehrten namen - ausserdem beteiligt an 'girl on fire' waren auch noch john
legend, dr. dre, gary clark jr., frank ocean und edelkitsch-altmeister babyface. aber vielleicht
geht es auch 'superwoman' alicia keys, die seit zwei jahren mutter eines sohnes ist, wie vielen
anderen jungen eltern: fuer die arbeit bleibt einfach nicht mehr so viel zeit. der kollaborative
ansatz von 'girl on fire' waere da eine probate loesung. wie auch immer verderben im falle des
neuen alicia keys albums die vielen koeche den brei jedenfalls ganz und gar nicht, sondern
erhaelt der hoerer ein state-of-the-art r'n'b-album mit einer grossen bandbreite, gewohnt
engagierten vocals und einigen schoenen highlights. und den naechsten grossen wurf kann
frau keys ja spaetestens dann angehen, wenn der kleine erst einmal in den kindergarten geht.
alles eine frage des blickwinkels: als im vorfeld bekannt wurde, dass 'talé', das neue album
von salif keita, vom gotan-project-mitglied philippe cohen solal produziert wurde, konnte
man leicht ein oberflaechliches stueck exotik-pop befuerchten. nun, kurz nach dem erscheinen
der cd hat keita erklaert, dass es sich bei 'talè' um sein letztes album handelt - und schon ist
man geneigt, die platte als grosses alterswerk (keita ist in diesem jahr 62 jahre alt geworden)
zu betrachten. hoert man 'talè', so wird schnell klar, dass beide sichtweisen genauso richtig
wie falsch sind - und dass man es mit einem exzellenten album zu tun hat. producer solal
bringt tatsaechlich ein ganzes mass an trendigkeit in keitas musik: 'c'est bon, c'est bon', eine
kooperation mit brit-mc roots manuva, ist dubbiger mali-pop, gastmusiker manu dibango
veredelt mit seinem saxophon den afrobeat-workout 'aprés demain' und fuer das funkige
'samfy' werden sogar die b52's gesampelt. aber so zeitgemaess 'talè' damit auch klingt, haben
doch alle songs ihren ursprung in bodenstaendigen akustik-sessions, die solal in keitas studio
in der malischen hauptstadt bamako aufnahm. und auch die klanglichen finessen, die der
gotan-project-mann beisteuert, verstaerken letztlich nur den eindruck eines klassisches salifkeita-albums. denn seit 'soro', keitas afropop-klassiker aus dem jahr 1987, hatte der
stilpraegende saenger immer auf maximale bandbreite gesetzt und afro-tradition, state-of-theart-pop, treibenden funk und jazzige subtilitaet miteinander verbunden. auch textlich blickte
keita stets weiter ueber den tellerrand hinaus als viele seiner afropop-peers. auf 'talè' fuehrt
der saenger diese tradition weiter und kritisiert im opener 'da' den gemeinschaftschaedigenden
materialismus im modernen afrika, widmet das stueck 'tassi' der mutter eines in den usa
hingerichteten jungen landsmanns und gestaltet das mit esperanza spalding aufgenommene
'chérie s'en va' als zwiesprache zwischen einem vater und seiner im ausland ein besseres leben
suchenden tochter. daneben bleibt aber auch platz fuer einfache, eindringlich liebeslieder wie
dem titelsong oder 'natty', einem warmherzigen duett mit keitas gleichnamiger juengster
tochter. sollte es also dabei bleiben, waere 'talè' ein grossartiger abschluss fuer keitas
musikkarriere - doch wer wuerde sich nach einem solchen album-highlight nicht noch
moeglichst viele weitere fortsetzungen wuenschen!
auch wenn man einen blog nur fuer
sich und ein paar freunde schreibt,
ist es doch immer eine sensible
frage, was man alles oeffentlich
machen will. was einmal
veroeffentlicht ist, befindet sich
fuer jeden zugaenglich im netz und
da sollte man sich schon gut fragen,
ob man sich damit auch einen
gefallen tut. vielleicht hat sich das
der eine oder andere auch schon
gedacht, wenn es um beitraege
ueber mein eigenes musikaliches
schaffen ging. denn selbst fuer
meine gelungensten produktionen
gilt: singen kann ich nicht. umso
mehr ist es begruendungswuerdig,
warum ich nun mit 'wegen dir'
eine weitere cd mit 12 neuen,
lediglich zur gitarrenbegleitung
aufgenommenen songs vorstelle.
ich tue das, nicht weil ich das ergebnis fuer so ueberaus kuenstlerisch wertvoll halte. sondern
weil das liederschreiben (und aufnehmen) fuer mich ein wichtiger bestandteil meiner
persoenlichkeit ist und ich das auf diese weise auch fuer mich festhalten will. unser umzug ins
westend vor 3 jahren besiegelte das ende meines 'heimstudios' und seitdem ich vaterfreuden
geniessen darf, ist die zeit fuers musikmachen noch weniger geworden. 'wegen dir' ist fuer
mich der beweis, dass ich mein songwriter-mojo trotzdem nicht verloren habe. die darauf
enthaltenen songs beschaeftigen sich mit den familien-, beziehungs- und berufsthemen, die
mein leben in den lezten eineinhalb jahren gepraegt haben. natuerlich ist das alles viel zu
persoenlich, zu skizzenhaft und unprofessionell. aber einmal mehr bin ich ueberzeugt: wuerde
man sich die muehe machen, das ganze auszuarbeiten und professionell anzugehen, koennte
das richtig gut sein ;-)
wie kaum eine andere band repraesentieren freshlyground die 'rainbow nation' suedafrika.
die gruppe vereint nicht nur schwarz und weiss, sondern steht auch darueber hinaus fuer
vielfaeltigkeit: die grossartige saengerin zolani mahola ist xhosa, afrogitarrengott julio
sigauque stammt aus mosambik, violonistin kyla-rose smith hat britische wurzeln und der fuer
die blasinstrumente zustaendige simon attwell ist in zimbabwe aufgewachsen. 'take me to the
dance', dem fuenften album in zehn jahren bandgeschichte, merkt man an, dass es sich um ein
reifes werk handelt. nicht nur gehen freshlyground beim vertrieb neue wege (das in eigenregie
produzierte album wird zu einem reduzierten preis ueber die suedafrikanische
supermarktkette pick'n'pay verkauft), sondern die band balanciert ihren bewaehrten afropop-
sound auch mit vorstoessen in elektronische und urbane spielarten aus. das resultat ist ein
gelungenes album mit einer beeindruckenden bandbreite, das immer dann am besten klingt,
wenn man das gefuehl hat, dass die bandmitglieder ihre grenzen ueberschreiten, um in die
musikalischen gefilden der jeweils 'anderen' vorzustossen.
dass ich auf meine bzw. seine alten tage noch zum neil young fan werde, haette ich auch
nicht gedacht. lustigerweise war es gerade youngs autobiographie 'waging heavy peace', die
mir den immer etwas seltsamen singer/songwriter naeherbrachte und mich auch auf das neue,
zusammen mit crazy horse veroeffentlichte album 'psychedelic pill' heiss machte. denn das
war ja der grosse 'cliffhanger' in youngs buch: wird es dem alterndem musiker gelingen, noch
einmal seine band zusammenzubringen, neue songs zu schreiben und diese im typischen
crazy horse stil aufzunehmen? eine sehr eindrueckliche antwort gibt bereits der 28-minuetige
(!) opener 'drifting back'. ein derart langer song geht zwar schon an die grenzen des jamsession-formats, doch nicht umsonst trug youngs autobiographie den untertitel 'a hippie
dream'. das bemerkenswerte ist, dass dieser ueberlange song durchaus kurzweilig ist - nicht
zuletzt dank neil youngs grossartigem e-gitarren spiel, aber auch aufgrund der sympathisch
nostalgischen lyrics. an die spieldauer des openers kommt der rest von 'psychedelic pill' zwar
nicht mehr heran, doch geht es in diesem stil weiter: die lyrics erweisen bob dylan die ehre,
raetseln uber den lauf des lebens und feiern alte freunde und ideale. 'psychedelic pill' erweist
sich damit als musikalisches companion piece zu 'waging heavy peace'. und als beweis dafuer,
dass der alte hippie tatsaechlich recht hat, wenn er seitenlang darueber schwaermt, wie gut
rumpelnder garagenrock auch heute noch klingen kann.
die musik von stephan eicher verfolgt mich nun schon eine ganze weile: zwar habe ich seine
zeit mit grauzone und den zuercher underground-hit 'les filles du limmatquai' nicht bewusst
mitgekriegt, doch seit dem album 'my place' von 1989 bin ich am ball. eichers zusammen mit
schriftstellern wie philippe djian und martin suter entstandene songs brauchen manchmal zeit
und so kam mir zumindest in dieser hinsicht der erste herbstinfekt des jahres nicht ganz
ungelegen. denn stephan eichers neues album 'envolées' klingt zwar gewohnt europaeischelegant, ist aber auch eher auf der herberen, sperrigeren seite seines oeuvres angesiedelt.
musikalisch werden oft herbstliche farben bedient und auch dass alle songs maximal drei
minuten lang sind - eine von 10 regeln, die sich eicher fuer das album gesetzt hat - traegt nicht
unbedingt zum kuschelfaktor bei. dennoch haken sich die songs und die erneut estklassigen
texte von djian und suter mit der zeit in der stimmung des hoerers fest und machen 'envolées'
zu einem typisch stilsicheren eicher-werk.
wahrscheinlich unbeabsichtigt - aber trotzdem sehr passend - erschien parallell zum neuen
stephan-eicher-album auch die neueste deutsch-uebersetzung von philippe djian, 'die
rastlosen'. abgesehen davon dass der franzoesische titel 'incidences' einmal wieder deutlich
passgenauer ist, handelt es sich um eine sehr munter beginnende geschichte: der
literaturdozent marc hat ein faible fuer junge studentinnen, das sich allerdings unguenstig
auswirkt, als eines morgens eines der maedchen tot in marcs bett liegt. man weiss ja, wie die
polizei heute mit unschuldigen umgeht, also muss die leiche entsorgt werden. dumm nur, dass
bald ein neugieriger polizist in marcs gegenwart ebenfalls ein vorzeitiges ende findet. wie bei
djian ueblich gibt es auch in dem aktuellen roman eine deftige lovestory (dieses mal mit der
mutter der verstorbenen studentin), den lobgesang auf die droge der wahl (dieses mal das
rauchen) und launige betrachtungen zur literatur. gegen ende wird der makabre spass des
buchs zunehmend duesterer - und passt 'die rastlosen/incidences' damit letztlich ganz gut zu
stephan eichers 'envolées'.
auch ich konnte mich vor 4 jahren nicht der obama-euphorie verschliessen, doch scheint die
us-wahl 2012 fuer den 'black president' zu einer holprigen spazierfahrt werden. woran liegts?
sind es wieder einmal die dummen amerikaner? oder liegts auch an obama selbst? zur
wahlvorbereitung suchte ich antworten auf diese und andere fragen in der mikroperspektive
von jodi kantors buch 'die obamas: ein oeffentliches leben'. die langzeit-reportage ueber
barack und michelle obama bestaetigt einige der eindruecke, die man auch aus der
fernbeobachtung erhalten konnte: mit grossem ideellen eifer ist obama an seine
praesidentschaft herangegangen - nur um stueck fuer stueck von einem alles andere als fairen
politischen gegner ausgebremst zu werden und dadurch immer mehr in die ungeliebten
niederungen des politbetriebs hinuntergezwungen zu werden. gegen den widerstand vieler
berater hat obama an grundsatzprojekten wie der gesundheitsreform festgehalten und droht
nun, dafuer von den waehlern bestraft zu werden. doch sind das wirklich fehler? auch nach
der lektuere des buches will man solchen schlussfolgerungen nicht folgen und wuenscht sich
vielmehr auch hier in europa einiges mehr an idealistischer konsequenz. so gesehen gefaellt
mir auch die aktuelle wahlempfehlung des new yorker sehr gut.
k'naans album 'the troubadour' zaehlte 2009 wegen der einfallsreichen samples, den
intelligenten texten und dem einzigartigen flow der raps zu meinem favoriten. dass der rapper
mit somalischen background im umfeld der fussball-wm 2010 mit dem popstueck 'waving
flags' zum weltweiten star wurde, war da schon ein bisschen kurios. aber k'naan hatte genug
ausstrahlung und begeisterung, um auch dieses gefaellige stueck ueber die geschmacksgrenze
zu heben. nun kehrt er mit 'country, god or the girl' zurueck - und setzt quasi auf albumlaenge
auf das 'waving flags'-prinzip: das hip hop element ist in den hintergrund getreten, stattdessen
dominieren eingaengige popmuster mit gelegentlichem ethno-einschlag. gefaehrlich,
gefaehrlich, doch fuer mich kratzt k'naan einmal mehr die kurve: kein anderer pop-rapper
schreibt so poetische texte, hat das herz derart am richtigen fleck und weiss seinen singsang
mit aehnlich viel charisma auszufuellen. 'country, god or the girl' ist damit globale popmusik
im absolut besten sinn.
der arbeitstag war lang und da steht man nun am abend in der freiheizhalle und hoert der band
zu, wie sie minutenlang das gleiche, zaehe riff wiederholt, abwechselnd begleitet von den
textfragmenten 'pablo picasso was never called an asshole like you' und 'y'know what i mean'.
man koennte sich erholsameres vorstellen. und doch hat es sich gelohnt, wieder einmal john
cale live auf der buehne zu sehen. warum? sicherlich weil es sich bei dem velvet
underground-mitgruender um eine rock-legende handelt. mehr aber noch weil cale auch mit
70 jahren weiterhin die personifizierung des underground rock darstellt. also jener in
kunstkreisen geborenen spielart des rock'n'roll, der es ganz sicher nicht um gefaelligkeit geht
und auch nicht vordergruendig um den jugendlichen adrenalin-ausstoss. rock bleibt in dieser
lesart auch 2012 teil der gegenkultur und bewahrt sich sein verstoerendes potenzial. das ist
konsequent, unangepasst und vorwaertsgewandt - und damit das perfekte gegengift gegen die
einlullende verfuehrungskraft der idylle. auch am ende eines langen arbeitstags.
banken-rettungen, schuldenkrise, merkozy - ich muss zugeben, dass auch mich die europanews der letzten zeit nicht sonderlich begeisterten. die aktuellen buch-veroeffentlichungen
von robert menasse sowie von daniel cohn bendit und guy verhofstadt boten da einen
willkommenen anlass, die eigenen positionen zu ueberpruefen.
robert menasse hatte ich durch seinen erzaehlband 'ich kann jeder sagen' nicht unbedingt als
politischen denker erster klasse kennengelernt. dennoch machte mich sein eu-essay 'der
europaeische landbote' neugierig. auch wenn es sich vordergruendig um einen bericht ueber
die bruesseler eu-buerokratie handelt, erfaehrt man in dem buch darueber nur sehr wenig. nur
so viel, dass die oft gescholtenen eu-beamten alles andere als prasssuechtige technokraten
sind: menasse sieht in ihnen vielmehr eine avantgarde, die losgeloest von ihren
herkunftsstaaten und ausgeruestet mit einem schmalen budget wichtige pionierarbeit auf dem
weg zu einer postnationalen zukunft europas leistet. und genau darum geht es dem
schriftsteller: angesichts einer im nationalen verharrenden und deshalb krisen-geplagten
europaeischen union fuer eine echte nationen-ueberwindende demokratie einzutreten. alles
realitaetsblinder wunschglauben? menasse ist ueberzeugt, dass es angesichts der aktuellen
problemlagen fuer das ueberleben der eu keine andere alternative gibt. dafuer, dass sich diese
einsicht bis jetzt noch nicht durchgesetzt hat, macht der oesterreichische schriftsteller
machtgierige politiker und auf nationale interessen fixierte medien - allen voran in
deutschland - verantwortlich.
als gegengewicht zu menasses idealisierender vision machte ich mich an die lektuere des
manifests "fuer europa!" der beiden realpolitiker daniel cohn-bendit und guy verhofstadt.
interessanterweise liegt das ungleiche autoren-duo gar nicht so weit von menasse entfernt:
auch die beiden politiker erkennen eine unzureichende politische union als ursache fuer die
krise der europaeischen waehrungsunion und rufen nach entschlossenen schritten in richtung
einer europaeischen foederation mit einem gestaerkten parlament, einer von nationaler
einflussnahme befreiten eu-kommission und einem von den eu-buergern gewaehlten
europaeischen praesidenten. laut cohn-bendit und verhofstadt gibt dabei nicht nur die krise die
wegrichtung vor, sondern auch die notwendigkeit der bildung eines gegenpols zu den usa und
den bric-laendern.
erfrischend, wie die beiden buecher dem realpolitisch sedierten leser endlich wieder eine
vorwaertsgewandte und begeisternde vision von europa um die ohren hauen. doch dass die zu
ueberwindenden huerden nicht gering sind, zeigte die bekanntgabe des friedensnobelpreises
fuer die eu ende letzter woche: laut nzz wuerdigte kommissionspraesident manuel barroso die
auszeichnung als anerkennung der leistung des friedensprojekts eu, das 'als solches gehegt
und gepflegt werden müsse'. visionen? weitere integrationsschritte? fehlanzeige...
Eingestellt um 12:16
staffel um staffel, tv-format um tv-format rennen die kids in die casting-shows und heraus
kommt doch nur immer dasselbe: die x-te kopie eines ohnehin unoriginellen
gesangssternchens wie sarah connor. einen groesseren kontrast dazu als josephine oniyama 30 jahre alt, aus manchester und kind nigerianischer einwanderer - koennte es nicht geben.
josephine (das oniyama hat sie wohl auf anraten ihrer plattenfirma in den hintergrund
gerueckt) hat zwar das, was man allgemein eine soulstimme nennt, doch heben sie ihr dunkles
timbre, eine leichte kratzigkeit, sanfte hoehen und und generell ganz viel charakter meilenweit
vom rest ab. seit vier jahren habe ich nun auf ihr album gewartet und wurde von 'portrait' kein
bisschen enttaeuscht. die kraeftige, aber doch geschmackvolle produktion kleidet josephines
folkige songwriter-stuecke in pop-, blues- und jazzfarben. dazu kommen texte, die auf
angenehm erwachsene art herzensangelegenheiten und andere persoenliche belange
verhandeln. 'portrait' ist ein album, das ganz grosse chance auf einen vorderen platz in meiner
jahresbestenliste hat und genauso bezaubernd klingt, wie es auch seine schoepferin zu sein
scheint.
eigentlich bin ich ja nicht der allergroesste neil young fan, aber als ende september 'waging
heavy peace', die autobiographie des singer/songwriters, erschien, war ich so heiss auf das
buch, dass ich mir kurzentschlossen das ebook mitsamt kindle reader anschaffte. keine falsche
entscheidung: das lesegefuehl auf dem kindle stellte sich als ueberraschend angenehm heraus
und auch das buch uebertraf meine erwartungen. gut, neil young schreibt (uebrigens ohne
ghostwriter) ziemlich extensiv ueber seine aktuellen unternehmungen im digitalmusik- und eauto(!)-bereich. doch gleichzeitig liefert die musiklegende auch viele einblicke in die
verschiedenen stationen seiner karriere. am spannendsten ist aber, dass young in seinem buch
ohne sicherheitsnetz schreibt und freimuetig ueber seine familie, gesundheitliche fallstricke,
verstorbene weggenossen, das verhaeltnis zu prominenten kollegen und die angst vor einer
schwindenden kreativitaet berichtet. bob dylan's autobiographie 'chronicles vol. 1' ist
demgegenueber ein ganz anderes kaliber - doch dass eine musiklegende derart freizuegig aus
dem naehkaestchen plaudert, gibt es auch nicht jeden tag. dabei kommt neil young
sympathischer rueber als gedacht und schafft es zumindest bei mir, mit seiner autobiographie
das interesse am musikalischen werk weiter zu steigern.
manchmal reicht ein kleiner anstoss aus, um einen kuenstler den man jahrelang nie richtig
wahrnahm, auf einmal im fokus zu haben. im fall der schweizer singer/songwriterin sophie
hunger war das ein gastauftritt auf max herres ueberraschend gelungenem aktuellen album
'hallo welt' sowie ein ausfuehrliches interview in der nzz. und siehe da: hungers neue cd 'the
danger of light" gefaellt mir ausgesprochen gut: zum einen wegen des anregend-affektierten
gesangs der zuercherin, der mal an schwyzerdeutsche intonation, mal an den jungen bob
dylan erinnert. zum anderen wegen der tollen songs und der breiten arrangements, die
irgendwo zwischen piano-pop, grosser live-band, klassischen einschueben und jazzigen
blaesern liegen.
david byrne begleitet mich musikalisch nun auch schon seit meiner teenager-zeit. um so
schoener, dass es ihm auf 'love this giant', seinem neuen collaboration-album mit der new
yorker saengerin st. vincent, gelungen ist, altbekannte strukturen mit neuen sounds
upzudaten. so harmoniert byrne mit seiner neuer kreativ-partnerin wie einst mit talking-headskollegin tina weymouth und behandeln auch die lyrics des aktuelle albums die typischen
reibungspunkte trieb/intellekt und natur/kultur. neu sind allerdings die zeitgemaessen beats
und die einfallsreichen blaeser-arrangements, zu denen unter anderen die new yorker trendkombos dap kings und antibalas beitrugen. und schliesslich zeigen sich auch bei der
verpackung des albums einmal mehr byrnes new yorker kunstszenen-wurzeln.
mein zweites album der woche ist ebenfalls ein duo-projekt: in der musikszene von san
francisco haben sich die singer/songwriterin mit aethiopischen wurzeln meklit hadero und
der soulsaenger quinn deveaux zu einem sehr stilsicheren modernen soul-album
zusammengefunden. neben drei eigenkompositionen gibt es auf 'meklit & quinn' ausnahmslos
gelungene coverversionen, die den originalen u.a. von mgmt, sam cooke und eben auch den
talking heads zum teil ganz neue facetten abgewinnen.
ihr 40-jaehriges jubilaeumsjahr sind akvarium mit einem tribute-album sowie einer outtakescompilation bisher eher zurueckhaltend angegangen. doch genau zur richtigen zeit sind boris
grebenshikov und co. nun da: mit der pay-as-you-like download-single 'Расти, борода, расти'
('wachse, bart, wachse') - einem meachtigen rocker, der das riff von 'jumping jack flash' in die
russische weite traegt.
schwarz/weiss, laut/leise, politisch/sentimental - skunk anansie waren mitte der 90er eine der
interessantesten bands aus england und ein wohltuender kontrast zum damaligen britpopeinerlei. nach einigen solo-aktivitaeten von saengerin skin ist die band seit 2009 wieder
zusammen und legt mit 'black traffic' nun das zweite album nach dem neuanfang vor. klang
der vorgaenger 'wonderlustre' noch etwas forciert, haben skunk anasie nun wieder
betriebstemperatur erreicht: die punkig-metallenen knaller harmonieren gut mit den ruhigeren,
modern produzierten tracks und der band merkt man die wiedergefundene freude am
zusammenspiel an. in summe ergibt das ein gelungenes zeitgemaesses rock-portraet von
london - und erinnert interessanterweise stellenweise angenehm an das aktuelle bloc party
album 'four'.
urlaubs-update zwei wochen
mit der familie und ohne arbeit so viel urlaub hatte ich seit
meiner elternzeit nicht mehr!
trotz ganz schoen viel action hat
mir die zeit richtig gut getan.
und auch mein sohnemann hat in
den zwei wochen - vielleicht gar
nicht so zufaellig - einige
wichtige skills hinzugewonnen.
verbracht haben wir die tage
zum teil im chiemgau. trotz zum
teil recht herbstlichen wetter
scheint die gegend zu meiner
bevorzugten heimatlichen
urlaubsregion zu werden: man
kommt gut hin, ist nah-an aber
noch-nicht-in den bergen, hat
den chiemsee und auch nette
staedte wie salzburg und
rosenheim in greifbarer naehe.
ausserdem kann man klasse tiere anschauen, was fuer den nachwuchs eminent wichtig war.
ein bisserl zeit blieb in den zwei wochen auch fuer kulturelle begleitfreuden: neben dem
neuen bob-dylan-album waren das lee 'scratch' perry's sehr praesente kooperation mit dem
britischen techno-duo the orb auf 'the observer in the star house', khaled's gerade noch die
geschmackspolizei passierende, von lady-gaga-producer red one produzierte neue cd 'c'est la
la vie', der tiefgruendig-ruhige london-sound von the xx auf 'coexist' sowie das ziemlich
knallige neue nelly furtado-album 'the spirit indestructable'. und auch was lesestoff betraf,
blieb es nicht nur bei zadie smiths's 'nw': martin suter's neuer roman 'die zeit, die zeit'
unterhaelt den leser gekonnt, dieses mal mit einem wahrlich fabel-haften plot ueber das
konstruierte wesen des phaenomens zeit. mehr als nur ein magazin-artikel war schliesslich
mikal gilmore's interview mit bob dylan in der aktuellen ausgabe des rolling stone. neben
einigen interessanten hintergrundinfos enthaelt das interview auch dylan's behauptung, ende
der 60er jahre subjekt einer transfiguration geworden zu sein. und wieder einmal fraegt man
sich: ist's ernst gemeint oder spinnt die songwriter-legende einfach nur grossartigen
seemansgarn?
nach vielem vorab-hype ist es nun erschienen, das neue bob dylan-album 'tempest'. die kritik
hat bereits fast einstimmig mit lobeshymnen reagiert, doch laesst sich an der kompetenz der
rezensenten durchaus zweifeln: waehrend die einen 'tempest' schlicht als altersmeisterwerk in
einer reihe mit den dylan-alben der nuller-jahre sehen, beissen sich andere an dylan dem
literaten fest (sueddeutsche) oder weisen darauf hin, wie sehr 'tempest' in musikalischen
traditionen der vor-rock-aera verwurzelt ist. aus meiner sicht ist das alles nur bedingt korrekt.
in der tat kamen die letzten drei 'grossen' dylan-alben 'time out of mind' (1997), 'love and
theft' (2001) und 'modern times' (2006) recht gewichtig, altersweise und auch monochrom
daher. auch ist richtig, dass dabei dylans - auch aus seiner radio-show 'theme time' bekannte vorlieben fuer vorkriegs-swing, -blues und -country immer mehr in den mittelpunkt rueckten.
aber eben genau in diesen punkten unterscheidet sich 'tempest' markant von den vorgaengern:
die produktion der cd (fuer die dylan selbst verantwortlich zeichnet) wirkt zeitgemaesser, die
sound-palette breiter und der meister himself lauter und wuetender als zuvor. dazu passt, dass
auch dylans neue songs teilweise deutlich aus dem rahmen fallen. sie schwelgen in gewaltphantasien ('pay in blood'), machen voll auf dicke hose ('early roman kings') oder sind auch
einfach nur sentimental (die abschliessende ode an john lennon 'roll on, john'). 'tempest' wirkt
damit - angefangen beim hart an der geschmacksgrenze schrammenden cover - wie eine
annaeherung dylans an die pop-aesthetik von heute. pulp fiction gewissermassen: der
staendige kontrast zwischen dem profanen und dem sublimen. ausfuehrlich
auseinandergesetzt habe ich mich somit mit 'tempest' bereits, doch gefaellt mir das album? ja,
weil wer sonst liefert einem 2012 songs wie das wehmuetig-sarkastische liebeslied 'soon after
midnight', die apokalyptische country-nummer 'scarlett town' oder den titelsong 'tempest',
dylans 14-minuetiges, 45-strophiges walzer-epos ueber den untergang der titanic als
menschheits-tragoedie.
zadie smith's im jahr 2000 erschienener debutroman 'white teeth' war fuer mich die
initialzuendung meiner london-begeisterung. da war auf einmal jemand in meinem alter, der
die britische hauptstadt als wundervolles multikulturelles chaos beschrieb und dabei sichtlich
viele meiner vorlieben - musikalisch, film, kulturell - teilte. in meiner damaligen favoritenliste konnte sich zadie smith damit auf anhieb einen platz neben lauryn hill, shara nelson und
china moses sichern. dass die autorin nach ihrem etwas kuenstlichen usa-ausflug in 'on
beauty' mit 'nw' nun wieder nach london zurueckehrt, gefaellt mir daher ausgesprochen gut.
zudem der neue roman auch als eine art update zu 'white teeth' verstanden werden kann: im
zentrum des buchs stehen vier mittdreissiger, die im gleichen council estate in kilburn
aufwuchsen. waehrend sich die jungs auf der verliererseite des lebens wiederfinden, scheinen
leah und natalie zu den gewinnern zu zaehlen. doch erfolgsdruck, beziehungsstress und die
frage nach dem sinn des lebens bringen auch die beiden maedels an den rand eines
nervenzusammenbruchs. nicht unzufaellig aehneln die protagonisten damit der metropole
london, die ja auch selbst zwischen optimierungsstreben und alltaeglichen abgruenden hinund herpendelt. schade ist, dass zadie smith's rueckkehr nach 'nw' vor allem am anfang
stilistisch etwas gestelzt wirkt. doch mit der zeit findet der roman seine stimme und
ueberzeugt mich einmal mehr dadurch, dass ich mich in vielen detals wiederfinden kann: den
wuenschen und aengsten seiner protagonisten, den referenzen an amy winehouse und die
kinks sowie dem gespuer fuer das alltags-london von heute.
rund um die fussball-wm 2010 stiess ich erstmals auf den jungen suedafrikanischen
singer/songwriter bongeziwe mabandla. zwei jahre spaeter liegt nun sein debutalbum 'umlilo'
vor - und beweist, dass sich die treue ausgezahlt hat: mabandlas 'urban folk' vereint zuluchants, akustik-gitarren, hiphop-beats, reggae und soulige ohrwurm-melodien. damit setzt
sich der auch als schauspieler erfolgreiche nachwuchsmusiker zwischen alle stuehle des
suedafrikanischen pop, der sonst meist zwischen den spielarten afropop und der lokalen
rap/house-variante kwaito alterniert. reichlich charisma sorgt zudem dafuer, dass bongeziwe
mabandlas debut ein richtig grosser wurf geworden ist.
als paul simon, peter gabriel und david byrne in den achtziger jahren ethno-klaenge in ihre
musik einfliessen liessen, warf man ihnen schnell neokoloniale attitueden vor. dabei
bemuehten sie sich immerhin aufrichtig, sich das jeweilige musikalische idiom anzueignen.
den pop-weltenwanderern von heute wie damon albarn, vampire weekend oder m.i.a. kommt
es dagegen kaum in den sinn, wie ihre drittwelt-kollegen klingen zu wollen - und gerade
deshalb werden sie als musterbeispiele egalitaerer musikergesinnung gefeiert. aehnliches
laesst sich auch an 'sebenza' dem 'suedafrikanischen' album des londoner dubstep-kollektivs
lv beobachten: waehrend die beteiligten mc's vom kap (okmalumkoolkat, spoek mathambo
und das duo ruffest) ihr ding machen, bleiben die briten ihrem soundgemisch aus (post)dubstep, grime und funky treu. das ergebnis klingt allerdings so spannend und erfrischend,
dass alle theoretischen diskussionen schnell obsolet sind.
meine tv-karriere geht weiter ;-)
nach dem fruehstuecksfernsehen
gestern habe ich es heute mit
meinem olympia-buch schon in
die abendnachrichten von
muenchen tv geschafft. das video
gibt es hier.
ueber die jahre ist mir ry cooder immer wieder ueber den weg gelaufen: als 11-jaehriger sah
ich seine version von johnny cashs 'get rhythm' als hit-tip bei 'formel 1', als teenager entdeckte
ich den coolen slide-gitarren-soundtrack zu 'paris, texas', seine duett-platte mit ali farka toure
'talking timbuktu' spielte fuer mich mitte der neunziger jahre eine grosse rolle und den von
cooder produzierten buena vista social club verkaufte ich wie warme broetchen im dritte-weltladen. so richtig mit ry cooders solo-werk klappte es bei mir aber erst mit dem letztjaehrigen
album 'pull up some dust and sit down' und seiner sympathisch linkslastigen message. seitdem
sehe ich den mann als eine art musikalische antwort auf den big lebowski: kalifornier, ewiger
hippie und das herz am rechten fleck. cooders neues album 'election special' ist politisch nun
noch eindeutiger. in neun, auf das tagesgeschehen gemuenzten songs erhaelt mitt romneys
bemitleidenswerter hund eine stimme, wird das schwere schicksal von praesident obama
beklagt und der occupation-bewegung eine stimme gegeben. waehrend das vom songwriting
her alles schoen retro-maessig auf woody guthrie getrimmt ist, praegt cooders musik eine
gerechte wut, die in wunderbaren rootsrock-workouts muendet.
au mann, zu was so eine buchveroeffentlichung alles fuehrt:
heute morgen war ich als gast im
fruehstuecksfernsehen von
muenchen tv, um mein olympiabuch vorzustellen. das webvideo
dazu gibt es hier zu sehen.
2007/2008, als bloc party mit ihrem zweiten album 'a weekend in the city' aktuelle
clubsounds aufzugreifen begannen und dann das nachfolge-album 'intimacy' im
schnellverfahren online veroeffentlichten, war die band fuer mich der act der stunde: keine
andere band der britrock-welle wirkte so im hier und jetzt und niemand sonst lieferte eine
aehnlich dynamisch-atmosphaerische grossstadtmusik. doch wer gestern auf der trendwelle
obenauf surft, hat noch lange nicht fuer das heute ausgesorgt. und in diesem sinn waren der
zwischenzeitliche split von bloc party sowie die etwas weniger aufregenderen soloveroeffentlichungen von frontmann kele nicht unbedingt dazu angetan, mein vertrauen in das
vierte album der band zu staerken. doch nun ist 'four' da und bloc party beweisen einmal
mehr, dass ihnen in sachen cleverness so leicht keiner das wasser abgraebt. das album feiert
naemlich die wiedergeburt von bloc party als live-band, verzichtet auf elektronische
spielereien und bietet stattdessen den puren viermann-sound der band. dieser klingt auf 'four'
haerter denn je - stellenweise ist's schon fast metal -, laesst aber auch platz fuer
atmosphaerische bedindlichkeits-erkundungen. und, tada!, da ist sie dann wieder: grossartige
grossstadtmusik.
jemand wie mich, dessen teenager-zeit kraeftig von der begeisterung fuer die musik und
person bob marleys gepraegt war, ist kevin macdonalds kino-dokumentation 'marley'
natuerlich ein gefundenes fressen. auch wenn trotz zweieinhalb stunden laufzeit die musik in
dem film kurioserweise etwas kurz kam, liess es sich doch praechtig in dieser reggaeikonographie schwelgen - sympathisch-verkauzte weggestalten inklusive. am besten gefielen
mir an dem film jedoch die leiseren zwischentoene, die die globale pop-ikone bob marley
wieder auf menschliches mass zurechtstutzen. ausserdem verdeutlichte die gewichtung der
dokumentation, dass marleys internationale hit-alben mit den wailers nur ein teil der medaille
waren und wurden so auch seine jamaikanischen, mehr roots-lastigen aufnahmen staerker in
den fokus gerueckt.
das inspirierte mich gleich dazu, mir eine marley-playlist mit jamaikanischen singleaufnahmen der siebziger jahre zusammenzustellen u.a. mit den 12"-versionen von 'keep on
moving' und 'punky reggae party' (von der deluxe-edition von 'exodus') sowie den raren titeln
'who colt the game' und 'i know a place'. waehrend das weltweite rock-publikum 'no woman
no cry' und 'i shot the sheriff' bejubelte, bewahrte sich marley so in der heimat ein ganz
anderes profil.
grossen anteil an den coolen marley-singles hatte producer lee scratch perry (definitiv einer
der sympathisch-verkauzten weggestalten der reggae-ikone). neue musik von perry gibt es
2012 noch nicht, aber wie ich jetzt feststellte, wurde mit 'lee scratch perry presents candy
mckenzie' ein bisher 'verlorenes' album aus den spaeten 70ern neu herausgebracht. die 2003
leider frueh verstorbene mckenzie bezaubert darauf mit sinnlich-energischen soul-vocals,
waehrend perry fuer gewohnte hall-effekte sorgt.
musik hoeren geht irgendwie immer, ins kino gehen jedoch nur noch selten und auch mit der
zeit zum lesen wurde es zunehmend schwierig. also beschloss ich mir, mich der ultimativen
herausforderung zu stellen und besorgte mir 'parallelgeschichten', den neu auf deutsch
erschienenen 1700-seiten-roman des ungarn peter nadas, kurz nach der veroeffentlichung.
knapp ein halbes jahr spaeter habe ich mir nun bewiesen, dass ich auch ein so ausuferndes
buch noch zu lesen vermag und blicke auf eine fordernde, aber meistens auch ansprechende
lektuere zurueck. peter nadas roman besteht aus einem netz weit ausgreifender geschichten,
das sich geografisch von der ungarischen tiefebene bis zur hollaendisch-deutschen grenze
erstreckt, nahezu das gesamte 20. jahrhundert umfasst und eine vielzahl von teilweise nur lose
miteinander verbundenen charakteren vorfuehrt. zentrale orientierungspunkte bilden dabei die
verwerfungen der (ungarischen) geschichte des 20. jahrhunderts, der aufkommende
faschismus der vorkriegszeit, der weltkrieg im zeichen der nazi-barbarei und die darauf
folgende unterwerfung durch die kommunistische diktatur. erzaehlt wird allerdings, wie der
buchtitel schon klarmacht, nicht die grosse, offizielle geschichte, sondern deren
widerspiegelung im privaten leben der protagonisten. und hier erweist sich ueber alle
geschichtlichen brueche hinweg das wirken der menschlichen triebe als dauerhafter und
unzaehmbarer grundantrieb. 'parallelgeschichten' beschwoert ein kaleidoskop an stimmungen,
orten, leidenschaften und abscheulichkeiten und bietet so ein faszinierendes, historischsinnliches panorama aus mitteleuropaeischer sicht. sehr lesenswert dazu ist uebrigens auch die
rezension von andreas breitenstein in der nzz.
angesichts der geringen bekanntheit ist fuer viele oesterreichische musiker eine konzerttour in
deutschland wirtschaftlich nur schwer darstellbar. umso mehr verwundert es, dass die
oesterreichische indie-kombo der nino aus wien nun auf einer wuerm-wiese beim
kulturfestival graefelfing auftrat. aber welche zufaelle hier auch zusammengekommen sein
moegen, fuer mich bot der gig die moeglichkeit, mich endlich einmal auf den nicht ganz
unkomplizierten act einzulassen. denn als ich das hochgelobte dritte nino-album 'schwunder'
in diesem fruehjahr zum ersten mal hoerte, klang mir doch vieles zu arg nach indieverkopftheit und gewollter kuenstlichkeit. im graefelfinger zirkuszelt praesentierte sich nino
mandl (2009er album: 'down in albern') nun als schluessige wiener antwort auf pete doherty.
zumindest strahlte er eine aehnliche 'fuck forever'-attituede aus, quaelte sich aehnlich am
mikrofonstaender herum und sorgte auch seine band fuer einen aehnlich drahtigen, sixitiesgepraegten sound. doch besser noch als doherty, der das versprechen ein poet zu sein bis
heute nicht eingeloest hat, beeindruckt der nino aus wien mit wahren wortkaskaden, die
selbstironisch-verspult die orientierungslosigkeit der gegenwart zelebrieren. dargeboten
werden diese lyrics in einer eigenwilligen rhythmik und mit provokativen dehnungen, die an
klassische vorbilder von lou reed ueber mick jagger bis zum jungen bob dylan erinnern. keine
ganz leichte kost, aber ein gelungeners konzert in einer ueberraschenden location. und wie zu
erfahren war, soll bereits im november das naechste nino-album erscheinen.
das muster prominenter-fan-rettet-alten-helden erhaelt nach den paarungen rick rubin/johhny
cash, jack white/loretta lynn und ernst molden/willi resetarits eine weitere gelungene
fortsetzung: us-neo-punk tim armstrong (rancid) hat der mittlweile auch schon 64-jaehrigen
reggae-ikone jimmy cliff mit 'rebirth' nach fast zehn jahren ein tolles comeback-album
massgeschneidert. der sound klingt bewusst retro, doch weist das stilspektrum von ska ueber
roots bis soul ins hier und jetzt und praesentiert sich jimmy cliff selbst in bester form mission wiedergeburt gelungen.
mein buch ist da! nachdem das
'olympia 72'-projekt erst etwas
zaeh anlief und ich im fruehjahr
dann ganz hurtig fotos und texte
zusammenstellte, hat es mit der
buchproduktion doch noch etwas
gedauert. doch seit anfang der
woche sind die buecher nun da
und auch bereits im onlineshop
des muenchenverlags bestellbar.
bei amazon gibt es leider noch
immer nur den dummy-artikel
und wie es im lokalen
buchhandel so ausschaut, muss
ich erst noch testen (im
zweifelsfall empfehle ich aber
konstantin von harders buchhandlung lese&lebe in der waldfriedhofstrasse).
mit dem fertigen buch bin ich ziemlich zufrieden. in gebundener form hat das buch auch mir
noch einmal verdeutlicht, mit wie vielen interessanten menschen ich dafuer in relativ kurzer
zeit zusammentreffen durfte. zudem finde ich, dass meine fotos sich auf buchpapier gedruckt
wirklich gut machen. natuerlich bin in keinem boese, wenn er sich mein buch nicht kauft. aber
jedem, der sich fuer muenchen, architektur und die siebziger jahre interessiert, kann ich
'muenchen 72 - olympia-architektur damals und heute' wirklich ans herz legen.
einen gefallen tut mir auch, wer die nachricht ueber mein buch weiterverbreitet. um das zu
erleichtern habe ich auch eine facebook-page fuer 'muenchen 72 - das buch' eingerichtet.
neben bildern und praegnanten zitaten werde ich darauf auch aktuelle informationen ueber das
feedback auf mein buch teilen.
desweiteren mache ich mich daran, den mit dem olympia-buch begonnenen faden
weiterzuspinnen, daraus neue projekte zu entwickeln und weitere buchideen voranzutreiben.
ein weisser mittelklasse-amerikaner, der zum orthodoxen judentum kovertiert die welt mit
reggae-rap im jamaikanischen patois beglueckt - einen usp wie matisyahu haben nur wenige,
bzw. hatten: denn seit ende letzten jahres ist bei dem us-saenger der bart ab (mehr dazu hier).
dabei war es unter anderem ein trip nach israel, der matisyahu die enge des bisherigen
glaubens vor augen fuehrte. nun will sich mathew miller, wie der musiker mit buergerlichem
namen heisst, nicht einmal mehr explizit als jude bezeichen. sein neues album 'spark seeker'
spiegelt viel von dieser mischung aus freiheit und fortgesetzter sinnsuche wieder. als quasirahmenhandlung fungieren in israel aufgenommene ethno-sounds, dazwischen froent
matisyahu mit hilfe des hit-produzenten kool kojak ungehemmt seinen pop-instinkten und
kombiniert bibel-zitate mit breitwand-sounds. was auf dem papier leicht nach zu-viel-vonallem klingt, ergibt aber dennoch ein stimmungsvolles album. nicht zuletzt deshalb, weil
matisyahus musik weiterhin eine spirituelle grundierung und ein sympathisches
sendungsbewusstsein beinhalten, die ihn positiv vom mainstream-rest abheben. bleibt zu
hoffen, dass das auch in zukunft so bleibt.
als bekennender springsteenianer ist es schon fast ein wunder, dass ich es bisher geschafft
habe um die new jersey nachwuchs-rocker von the gaslight anthem herumzukommen. auch
mit dem aktuellen album 'handwritten' lief es bei mir erst nicht so gut, bis mich ein von nick
hornby fuer die album liner-notes geschriebener text ('the gaslight anthem are my kind of
people') dazu motivierte, genauer hinzuhoeren. den ausschlag gab schliesslich die
hemdsaermlige romantik der songtexte, die dem leidenschaftlichen heartland-rock der band
erst die noetige tiefe verleiht. die vorstellung, dass es eine art indie-version von springsteen
braucht, finde ich zwar noch immer nicht besonders ueberzeugend. aber zum glueck
funktioniert der zeitgemaesse, mit herz gespielte amerikanische rock von 'handwritten' auch
ohne diese referenzgroesse.
goodbye obersendling nach einem halben jahr selbststaendigkeit habe ich mein buero in
muenchen-obersendling gekuendigt - einfach weil ich woanders besser arbeiten kann. dem
abschied von meinem 19qm-arbeitsdomizil als untermieter des e-commerce-startups conexco
moechte ich nun einen kurzen, leicht wehmuetigen rueckblick widmen. urspruenglich hatte
ich ja mit obersendling ueberhaupt nichts am hut. wer wie ich aus dem muenchner westen
stammt, kommt nun einmal nicht besonders oft in den sueden. dennoch, wenn ich wo bin, will
ich die gegend auch kennenlernen. und so habe ich in den letzten monaten festgestellt, dass
obersendling durchaus seinen - wenn auch eher herben - charme hat. da ist zum einen die
ehemalige siemens-town: grossartige 50er-jahre-ensembles, das anfang der 60er jahre
errichtete, inzwischen verwaiste siemens-hochhaus und die spaeter dazugekommenen
erweiterungsbauten, in einem von denen sich auch mein buero befand. daneben gibt es das
historisch gewachsene obersendling mit seinen gruenderzeithaeusern und
vorkriegssiedlungen. erstaunlich viele restaurants und kneipen finden sich in dem viertel: der
preisguenstige-aber-exzellente grieche santorini, das dillinger mit schoener bar-atmosphaere,
die serbische hausmannkost in der gaststaette freiland, der gute thai-imbiss kaisergarten und
das ueberraschend geschmackvolle cafe 111. aus kulturellen gesichtspunkten interessant sind
zudem die postmodernen ergaenzungen zum erscheinungsbild des stadtteils, wie die betonueberbauung der aidenbachstraße, die u-bahn-station obersendling und das u.a. vom kuenstler
flatz umgebaute fabrikareal kistlerhof. und dann ist im muenchner sueden schliesslich vieles
ueberraschend nahgelegen. in ein paar spazier-minuten ist man am asamschloessl, am tierpark
oder auch einfach nur so an der isar. alles in allem stellt sich also die frage, warum ich mich
nach der harten kennenlernphase schon wieder aus diesem gar nicht so abwegigen stadtteil
verabschiede. die antwort ist einfach ein lernprozess, den ich bisher mit meiner
selbststaendigen arbeit als 'journalist, e-commerce-experte und buchautor' (vorsicht:
veraenderte reihenfolge!) gemacht habe: allein im buero gerate ich zu oft in geistigen leerlauf
und finde nicht die noetigen impulse fuer meine arbeit. besser gelingt mir das zurzeit unter
leuten und an wechselnden orten - in der bibliothek, im cafe oder auch mal mit dem notebook
im park. im winter koennte das natuerlich wieder anders aussehen. aber dann kann ich mir ja
wieder etwas anderes einfallen lassen.
als ich bei meinem letzten london-besuch 2009 eines abends mit den geraeuschen der
grossstadt noch im kopf und den beleuchteten hochhaeusern von canary wharf am horizont
die 'five years of hyperdub'-compilation hoerte, machte die musik des stilpraegenden
elektronik-labels fuer mich perfekten sinn: waehrend die hektischen beats das pulsierende
stadtleben wiederspiegelten, reflektierten die dubstep-halleffekte und bass-sounds die
naechtliche atmosphaere. veroeffentlichungen von acts wie king midas sound, ikonika, lv und
burial bestaetigten mich seitdem in dieser ansicht, doch tat ich mich in letzter zeit mit den
hyperdub-veroeffentlichungen etwas schwerer. das mag zum einen daran liegen, dass das
label seine grenzen sowohl soundtechnisch wie auch geographisch bewusst erweiterte. zum
anderen haengt das aber auch damit zusammen, dass das genre dubstep in die jahre
gekommen ist: waehrend acts wie chase & status und skrillex auf bass-sounds mit dem
holzhammer setzen, verfluechtigt sich post-dubstep zunehmend in esoterische gefilde. gerade
zur rechten zeit veroffentlicht hyperdub da 'playin' me', das debutalbum der producerin cooly
g. die londonerin mit jamaikanisch-guanesischen wurzeln durchmisst dabei das gesamte stilterritorium von lovers rock ueber garage bis zu grime, dubstep und funky. angenehm trocken
mit atmosphaerischen hall-effekten produziert, gewinnt 'playin' me' seine praegnanz durch
cooly g's laszive vocals. und hyperdub ist damit genau bei jener grossartigen grosstadt-musik
zurueck, die mich urspruenglich zum fan des labens gemacht hat.
die verknuepfung von afrikanischem pop und den club-sounds der stunde ist nichts neues und
verfuegt ueber eine ahnenreihe die von the art of noise ('yebo') ueber neneh cherry & youssou
n'dour ('7 seconds') bis zum franzoesischen one-hit-wonder wes ('alane') reicht. the very best
werden gerne insofern als ein gegenentwurf dazu praesentiert, als es sich bei der
zusammenarbeit zwischen dem malawischen saenger esau mwamwaya und dem londoner
electro-duo radioclit um eine gleichberechtigte partnerschaft handelt. beim ersten album
ueberzeugte mich das - trotz des charmanten cheri samba-covers - dennoch nicht, zu sehr
klang das ergebnis nach afropop-einerlei. richtig punkten konnten the very best bei mir dann
mit 'mulomo', ihrem genialen revoicing des yeasayer-songs 'ambling alp'. und auch das
aktuelle album 'mtmtmk' gefaellt mir sehr gut: vom afropop-durchschnitt hat sich der sound
stark in richtung elektro, ragga und sogar dubstep entfernt. das ergebnis ist ein topmoderner
afrikanischer sound aus einem guss, der gleichermassen weltgewandt wie authentisch klingt
und viel gute laune macht.
rian malan's beitrag in der suedafrikanischen sunday times ist das beste, was ich bisher zum
50-jaehrigen jubilaeum der rolling stones gelesen habe. der von mir sehr geschaetzte
journalist und schriftsteller aus johannesburg beweist darin eine profunde kenntnis des stonesoeuvre, weiss eine launige anekdote ueber mick jagger zu erzaehlen und liefert ganz nebenbei
noch eine absolut schluessige einordnung der band in die juengere kulturgeschichte:
'In previous generations, people lived in dread of losing their jobs, and if they wanted sex,
they had to get married. In the ’60s, all that changed. You could get vrot, get laid, indulge
yourself.
None of this was the Stones’s fault, but they provided the soundtrack for a movie whose final
scenes are now playing out on your TV screen – the decline of Western civilization, as
evidenced by the bankruptcy of Europe and the US. Historians in the next millennium will
cite a thousand reasons for this decline, but the cleverest of them will use a song to dramatise
the critical watershed: ‘Sympathy for the Devil’. If Elvis had recorded such a song in the
1950s, it would have led to ruin and damnation. In 1968, it got girls to throw their panties and
earned the Stones tens of millions.
It takes a helluva song to leave a mark that deep. What more can I say? The Stones were the
band of their century.'
mit meinen '141 jahren rockgeschichte in einer woche' wurde es nichts. stattdessen radelte ich
durch die nacht bei sturm und wind und besorgte fieberzaepfchen fuer mein kind. als trost
kann man den einmal mehr veraenderten bob dylan live-sound mit der singer-songwriterlegende am fluegel immerhin als bootleg hoeren (wobei da schon etwas wehmut aufkommt).
ausserdem sorgte die schnelle und zuverlaessige schadensleistung einer eventimticketversicherung fuer trost, was man lobend erwaehnen sollte. seit heute ist nun auch klar,
dass ich dieses jahr nicht ganz auf bob dylan verzichten muss: am 11. september erscheint
sein neues album 'tempest'. was es mit dem seltsam trashigen 80er-jahre cover auf sich hat?
ob es den geheimnisvollen neuen, texmex-gepraegten sound zu hoeren gibt? und ob auf dem
album wirklich ein 14-minuetiges stueck ueber den untergang der titanic enthalten sein wird?
schau ma mal. sicher ist jedenfalls, dass ich bei der 'tempest'-tour wieder dabei sein werde ;-)
um meine jazzwoche zu komplettieren, entwickelte sich schliesslich lianne la havas'
debutalbum 'is your love big enough' auf meinem ipod zum aktuellen favoriten. die junge
londonerin kredenzt darauf eine schmackvolle melange aus r'n'b, jazz und folk. liannes sound
ist subtil, klingt aber auch immer urban. hin und wieder fuehlt man sich sogar an das debut
von amy winehouse erinnert. und wenn lianne la havas dann im titelstueck fraegt 'is your love
big enough for what's to come?' kann man als mittelalter sack genuesslich in so viel
jugendlichkeit schwelgen...
wenn man mehr ueber das aeussere erscheinungsbild einer musikerin schreibt als ueber ihre
kuenstlerischen qualitaeten, begibt man sich als rezensent schnell aufs glatteis. doch im fall
von esperanza spalding liegt die vermutung mehr als nahe, dass ihr gewinnendes aeusseres
ihrer karriere foerderlich war. denn es passiert nicht jeden tag, dass eine kontrabass spielende
jazzmusikern bei den grammys abraeumt. und auch fans wie us-praesident obama hat nicht
jeder moderne jazzkuenstler vorzuweisen. dennoch waere es grundfalsch esperanza spalding
auf das adjektiv 'huebsch' zu reduzieren. wie sich bei ihrem muenchen-auftritt in der (mit
einem grandiosen 50er-jahre-ambiente aufwartenden) alten kongresshalle zeigt, ist esperanza
ein sinnliches gesamterlebnis: die frau ist wunderschoen mit ihrem neckisch hochtoupierten
afro und ihrem gertenschlanken koerper in einem entzueckenden sommerkleid. dazu kommt
ein beeindruckendes technisches koennen sowohl am e-bass wie auch am maechtigen
kontrabass, mit dem esperanza spalding fortlaufend zu tanzen scheint. und schliesslich hat die
dame auch noch eine absolut treffsichere und einschmeichelnd klingende stimme. das waere
fast zu viel perfektion auf einmal, doch hat die natur zum glueck bei esperanza mit einer
markanten zahnluecke fuer einen charmanten gegenakzent gesorgt. musikalisch setzten
spalding und ihre elfkoepfige band an dem abend ganz auf das aktuelle album 'radio music
society'. das bedeutete zumeist zugaenglichen stoff im songformat, der den beteiligten
dennoch genug freiraum liess, um sowohl ihre individuelle instrumental-brillianz wie auch
ihren bezug zu diversen modernen jazz-spielarten unter beweis zu stellen. bisweilen erinnerte
das - zwar nicht vom sound, aber von der perfektion des gesamteindrucks her - an die junge
whitney houston oder alicia keys, die beide ebenfalls gelegentlich fuer zu viel glattheit
kritisiert wurden. doch waere das nur sinnlose maekelei. und so lohnte es sich vielmehr,
dieses wunderbare konzerterlebnis ohne vorbehalte zu geniessen.
aethiopien bleibt ein weltmusik-hotspot - das zeigen gleich vier aktuelle neuerscheinungen.
zum einen ist dies der solide aufgefrischte ethio jazz des saxofonisten getatchew mekuria auf
'y'anbessaw tezeta', seiner bereits zweiten zusammenarbeit mit den niederlaendischen freepunkern the ex. ebenfalls solide ist das selbstbetitelte debut der debo band, einem uskollektiv, das amerikanische und aethiopische musiker vereint und sich auf folkige weise
klassischen ethiopiques-sounds annimmt.
eine spur raffinierter ist allerdings 'guzo', das auf dem realworld-label erschienene erste album
von samuel yirga. der junge pianist erweist sich darauf nicht nur als fingerfertiger solointerpret klassischer aethipischer melodien, sondern kredenzt zusammen mit musikern aus
dem umfeld des britischen weltmusik-kollektivs dub colossus eine reihe verfuehrerischer
fusion-sounds. das ergebnis geht mal in richtung 'ethiopiques', streift soul jazz und latin und
verweilt ein andermal in klassischen piano-jazz-gefilden. die groesstenteils instrumentale
platte ist immer hochklassig, vermittelt eine zeitgemaesse vision aethiopischer jazz-klaenge
und empfiehlt samuel yirga fuer eine langandauernde musik-karriere.
die mit abstand uebarraschendste neuerscheinung aus aethiopien ist 'ertale', das von kultproduzent bill laswell in szene gesetzte debutalbum der band jano. die basis bilden auch hier
ethio jazz und aktuelle aethiopische pop-klaenge, doch werden diese von deftigen metalgitarren aufgemischt. inklusive funk-sounds und elektronischen texturen ergibt das eine so
verblueffende wie gelungene uebung in afro-futurismus. 'ertale' ist dabei das erste album, das
in bill laswells neu in der aethiopischen hauptstadt addis abeba aufgebauten studio entstanden
ist und laesst auf noch viele weitere musikalische ueberraschungen vom horn von afrika
hoffen.
die fussball-em ist vorbei und hat mit spanien einen sieger gefunden, der fuer mich nicht nur
voll in ordnung geht, sondern mir auch einen soliden dritten platz im tippspiel bescherte.
haette ich nicht den dritten spieltag komplett falsch eingeschaetzt, waere moeglicherweise
noch mehr drin gewesen - aber was solls. mit der wm in suedafrika - wahrscheinlich meinem
alltime-favourite turnier - konnte die em allerdings schon deshalb nicht mithalten, da ich
dieses mal einfach nicht oft genug zum fernsehen kam. und auch die zu diesem anlass
geplante intensivere auseinandersetzung mit aktueller musik aus der ukraine und polen blieb
weitestgehend auf der strecke. immerhin kann ich ein paar links fuer alle interessierten
weitergeben: jamala (die ukrainische amy winehouse), karolina kozak (moderner pop aus
warschau), anna rusowicz (die polnische amy winehouse), star guard muffin (reggae aus
polens suedwesten), kofei.in (moderner rock aus lemberg), stepan i meduza (sehr cooler
indierock aus kiew). so, und jetzt heissts zwei jahre warten - vielleicht wird ja die wm in
brasilien wieder ein knaller.
die beiden kuenstler, die ich diese woche live sehe, sind zusammen 141 jahre alt. au mann. los
ging die woche der rock-geronten jedenfalls mit lou reed, dem in vergleich zum 71-jaehrigen
bob dylan 70 jahre jungen youngster. zwar bin ich ein entschiedener befuerworter von 'lulu',
lou reeds kontroverser, im letzten jahr erschienenen zusammenarbeit mit metallica. doch als
reed ganz schoen wacklig auf die buehne schlurfte, war das nicht unbedingt geeignet, den
glauben an die rock-power der new yorker musik-legende zu bestaerken. doch taeuschte der
eindruck gluecklicherweise, wie lou reed schon mit einem eindruecklichen konzertauftakt
bewies: auf das neue stueck 'smalltown girl' folgte gemaess dem konzertmotto 'from vu to
lulu' der velvet-underground-klassiker 'heroin'. beide stuecke wurden dank einer
ueberwiegend recht jungen begleitband ungemein kraftvoll dargeboten, was auch fuer lou
reeds unverwechselbare vocals galt. ueberhaupt scheint reed mit 70 jahren nun die
souveraenitaet zu haben, auch ganz 'normale' konzerte zu spielen. denn meine drei bisherigen
lou-reed-gigs waren stets konzeptauffuehrungen: 'magic and loss', 'the raven', 'berlin'. nun gab
es zum ersten mal ein munteres potpourri aus neuen nummern, velvet underground-tracks wie
'i'm waiting for my man' und 'sweet jane' und solo-klassikern wie 'street hassle' und 'walk on
the wild side'. neben dem 'magic and loss'-stueck 'cremation' gefielen mir kurioserweise die
metal-lastigen 'lulu'-tracks am besten - auch deshalb, weil die zeigen, dass noch immer jede
menge schaffenskraft in dem mann steckt. und in diesem sinne verlasse ich mich auch auf
reeds abschiedsankuendigung: 'i promise to come back and play munich again'.
vor ein paar jahren habe ich mit einer reihe von compilations versucht, den 'sound einer stadt'
festzuhalten. und ich bin nach wie vor ueberzeugt, dass staedte ihren klang haben: hamburg
indiepop und hiphop mit hanseatischer cleverness, die rhein-/ruhr-region breite rocksounds
fuer die arbeitenden massen und muenchen sein 'mia san mia'-gefuehl in form von rock'n'roll,
blues und funk. meine naechstgelegene lieblingsstadt wien wiederum entwickelte ueber die
jahre eine pop-sprache, die zwischen der wesensverwandschaft mit den musikalischen
geschichtenerzaehlern der usa und dem breiten schmaeh kraftvoller rhythm and blues-klaenge
schwebte. seit einigen jahren ist dazu noch die kategorie des sogenannten 'neuen wienerlieds'
gekommen, mit der ich mich aber erklaertermassen etwas schwer tue. wo mir die strottern zu
intellektuell sind, wirkt mir das kollegium kalksburg zu kleinkunstartig. lediglich die jazzigsouligen 5/8erl in ehr'n konnten mich in diesem jahr sowohl mit ihrer platte 'gut genug fuer
die city' wie auch live im vereinsheim ueberzeugen. in eine aehnliche richtung, wenn auch
merklich subtiler, zielen martin spengler und die foischn wiener. mit ihrem debut-album
'die liebe, da dod und de aundan gfrasta' ist spengler und seinen mitstreiter(inne)n nun eine
absolut grossartige wien-platte geglueckt: im eingangssong 'ins schwoazze mea' entwickelt
der donau-strom einen poetisch-fatalen sog, in 'es is zeit' ziehen schatten ueber den prater und
der 'schokoladnwind' weht im gleichnamigen song von der im stadtbezirk ottakring
angesiedelten manna-fabrik. die texte wecken assoziationen an ludwig hirsch (an den auch
das cd-cover erinnert), zitieren rilke und geben sich als nachkommen klassischer wienerlieder
zu erkennen. passend dazu durchweht ein leicht sinistres akkordeon die musik, lassen die
weiblichen backing vocals die suesse des soul erspueren und profiliert sich martin spengler
als sensibler interpret zwischen lebenserfahrenem liedermacher, wiener soulbrother und jazz-
crooner. lediglich der etwas arg saubere sound des albums steht manchmal im kontrast zur
deutlich ungeordneteren wiener realitaet. aber spaetestens wenn spengler und seine foischn
wiener auf 'schlof kindal' das bekannte kinderlied adaptieren, ist solche kritik bei mir sofort
wieder vergessen.
16 jahre ist es her, dass neneh cherry ein vollumfaengliches album veroeffentlicht hat und
irgendwie hatte ich mich schon damit abgefunden, dass sich frau cherry auf ihre rolle als
familienmami und gelegentlichen vokalistin bei cirkus, dem triphop-familienprojekt mit
partner cameron mcvey und tochter lolita moon beschieden hat. umso ueberraschender und
erfreulicher kommt da 'the cherry thing', das neneh zusammen mit dem jazz-trio the thing
aufgenommen hat. von hit-singles wie 'buffalo stance', '7 seconds' und 'woman' ist das zwar
weit entfernt, doch bringt das covers-album im recht 'freien' jazz-gewand die wichtigsten
musikalischen linien in neneh cherrys karriere auf schluessige weise zusammen: das spektrum
reicht dabei vom free jazz des vaters don cherry ('golden heart') ueber neneh's punk-roots im
umfeld der slits (das stooges-cover 'dirt') und hip hop (mf doom's 'accordion') bis hin zum
90s-trip hop (martina topley-bird's 'too tough to die'). zwar keine leichte kost, aber der beweis,
dass frau cherry nach wie vor voll praesent ist. hoffentlich dauert es jetzt nicht wieder so
lange bis zum naechsten album...
gil scott-herons comeback-album 'i'm new here' war zwar eine wucht, aber ob das producerteam richard russell/damon albarn mit soul-legende bobby womack genauso gut harmonieren
wuerde wie mit dem rap-godfather, war durchaus fraglich. und doch geht die paarung
passionierte soul-vocals mit supertrendig-minimalistischen electro-beats sensationell gut auf.
denn russell und albarn verstehen es meisterhaft, mit ihren arrangements genau die
symphonische soul-aura herbeizuzitieren, die auch womack-klassiker wie 'across 110th street'
auszeichnen. 'the bravest man in the world' ist damit der seltene fall eines albums, das
gleichzeitig das alterswerk einer legende und auch absolut auf der hoehe der zeit ist.
als fan muss man manchmal durchhaltevermoegen zeigen, wird dafuer aber auch im idealfall
belohnt. so ist es nun bei maximo park. deren letztes album 'quicken the heart' war eine
ueberraschend zaehe sache und auch die soloplatte von saenger paul smith nicht gerade easy
listening. doch mit dem neuen album 'the national health' ist jetzt wieder alles im lot: der als
opener fungierende titelsong, das in der mitte des albums angesiedelte 'banlieu' sowie der
closer 'waves of fear' verankern die platte in der grimmigen realitaet der krise. dazwischen
darf paul smith auf bewaehrte weise in grossen worten und gefuehlen schwelgen. fruehe
hoehepunkte wie 'the undercurrents', 'reluctant love' und 'until the earth will open' sind fuer
mich genau die sorte intelligent-sensibler gitarrenpop, fuer den ich diese band liebe. und dass
in der zweiten haelfte des album dann noch eine reihe von pop-smashern folgt, schadet dem
gesamteindruck auch nicht. zum positiven erscheinungsbild von 'the national health' traegt
schliesslich auch das gelungene cover-design dar, das eine abstrakt-konstruktiviste
stadtanlage in form einer gefallenen taube zeigt und mit klug gewaehlter typografie verbindet.
fuer sinead o'connor ist es ein jahr wie eine achterbahnfahrt: erst ein suizid-versuch, dann
das grossartige album 'how about i be me (and you be you)', schliesslich ein erneuter
seelischer zusammenbruch inklusive tourabbruch. nun hat sinead in der irischen 'late late
show' eine unglaublich intensive version von 'nothing compares 2 u' gesungen - hoffentlich
geht es jetzt genauso positiv weiter...
der arbeitsstress der letzten wochen hat mir doch mehr zugesetzt als gedacht, weshalb auch
meine blogtaetigkeit eher sporadisch war. um meiner 'chronistenpflicht' aber dennoch gerecht
zu werden, hier ein rueckblick auf einige musik-highlights der letzten zeit: the enemy spielen
auch auf ihrem neuen album 'streets in the sky' einen ganz schoen heftigen ladsrock, dafuer
aber mit viel energie und vor allem interessanten architektur-fotos (auf sowas stehe ich doch
zurzeit!) im booklet, die dem album einen sympathischen ortstbezug verleihen. die brit(asian-)popper von cornershop haben mit 'urban turban' eine outtakes-sammlung
veroeffentlicht, die zwar mit songs von funk ueber sitar-rock bis hip-hop ziemlich eklektisch
ist, dank der durchgehenden laidback-atmosphaere aber auch wieder gut zusammenpasst. und
auf ein quasi-kinderlied wie 'what did the hippie have in his bag?' stehe ich zurzeit sowieso.
bei dieser gelegenheit sollte ich noch gleich das mit clever stilisierten rock-papa-mit-babyfotos bebilderte booklet des neuen the walkmen-albums 'heaven' erwaehnen. zumal die
musik dazu auch sehr gelungen ist: angenehm reifer indie-rock mit klassischen
referenzpunkten (unter anderem zwei meiner favoriten: dylan und nilsson). vor einem jahr
war ich auf die musikalisch vollkommen belanglose, aber schoen harmonische kinderlied-cd
'bob marley for babies' gestossen. mit yannick noah's album-'hommage' an die rasta-ikone
gibt es nun soetwas wie eine musikalische fortsetzung. ganz der sonnige franzose der er ist,
interpretiert noah 11 marley-klassiker in einem fast easy-listening-artigen gewand und
verbreitet damit angenehmste sonnenschein-stimmung. wenn man viel stress hinter sich hat,
braucht man aktive entspannung und diese ist kaum besser erhaeltlich als in form des neuen
sigur ros-albums 'valtari'. acht lange, ruhige tracks verspruehen das flair einer
atmosphaerischen sommer-polarnacht und schimmern wunderbar ruhig vor sich hin. danach
kann man gar nicht anders als absolut tiefenentspannt zu sein.
konzert - bruce springsteen & the e street band auch zwei tage nach dem open air konzert
von bruce springsteen in frankfurt schwaerme ich noch immer von dem tollen erlebnis - was
angesichts meiner haeufigen konzertbesuche nur noch selten der fall ist. gut, nach dem anfang
mit dem kracher 'badlands' und der live sehr gut kommenden 2012er single 'we take care of
our own' dachte ich mir: 'nicht schlecht, aber extra nach frankfurt fahren, mal schauen, ob ich
das beim naechsten mal auch noch mache...' als sich dann gegen mitte des sets der boss bei
'youngstown' seine rock'n'roll-seele aus dem leib bruellte und nils lofgren zu einem nichts
weniger als spektakulaeren gitarrensolo ansetzte, war das schon ein 'mann, mann, mann, wie
gut ist das nur!' und als das konzert schon fast drei stunden dauerte und springsteen mit
frenetischem blick ein ums andere mal ins publikum stuermte, um neue requests abzuholen 'summertime blues', 'cadillac ranch', 'sherry darling' - jubelte ich schliesslich innerlich: 'das ist
das beste konzert das ich je gesehen habe.' zum schluss kamen noch rock-ikonen wie
'promised land', 'born to run' und 'born in the usa' dazu und erst nach unglaublichen
dreineinhab stunden war das konzert vorbei. natuerlich waere es jetzt deutlich hipper, solch
eine lobhymne ueber den neuesten indie-in-hype zu schreiben. und natuerlich haengen bei
einem solchen stadion-grosskonzert nicht nur die subtilsten typen ab. doch rock ist eben keine
subtile sache. seit chuck berry, elvis und eddie cochran geht es ums gross-aufschneiden,
seinen-trieben-freien-lauf-lassen und richtig-einen-drauf-machen. und das weiss auch bruce
springsteen sehr gut. mit 62 jahren hat der boss weniger bock denn je, sich um hipness und
subtilitaet zu kuemmern. zwar wird in echter, anruehrender weise an die leute erinnert, die
ueber die jahre auf der strecke geblieben sind. doch beim konzert ging es letztlich vor allem
darum, das hier und jetzt zu feiern und mit aller kraft das lebendig-sein zu zelebrieren. und
wer damit nichts anzufangen weiss, hat schlicht kein (rock-)herz.
diese journalisten sind schon ein pack: da hat gossip-frontfrau beth ditto irgendwo gesagt, sie
habe waehrend der aufnahme des neuen albums 'a joyful noise' ausschliesslich abba gehoert
und schon heisst es in allen rezensionen, the gossip haetten ihren charakter verloren und
wuerden jetzt nach abba klingen. vielleicht bin ich mit dem abba-oeuvre nicht gut genug
bewandert, aber fuer mich klingt 'a joyful noise' nach wie vor sehr nach beth ditto und ihrer
kombo - nur eben ein bisschen ueppiger produziert und mit mehr pop-appeal. da es der band
meiner meinung nach bisher ohnehin etwas an songwriting-skills fehlte, ist das gar nicht so
verkehrt. und die anklaenge an wave-sounds der 80er finde ich auch alles andere als uebel.
zum neuen gossip-album passte es ganz gut, dass ich nun - etwas verspaetet - auch auf die
alabama shakes gestossen bin. wenn es um die gewaltige stimme der bandsaengerin und die
herkunft aus den laendlicheren gebieten der usa geht, gibt es jedenfalls parallelen. musikalisch
dagegen nicht ganz so: alabama shakes klingen auf ihrem debutalbum 'boys & girls' wie eine
mischung aus otis redding, janis joplin, the walkmen und den white stripes. zusammen mit
dem entfesselten organ von saengerin brittany howard ergibt das einen der besten neuen acts
der letzten zeit.
drei sympathische jungs, die ohne ruecksicht auf verluste gas geben, einen wunderschoenen
laerm fabrizieren und jede menge ohrwuermer im gepaeck haben - bei ihren ersten muenchenauftritten im vorprogramm von bloc party und den kaiser chiefs 2005 waren the cribs
eigentlich schon perfekt. es folgten platten, mit denen die band etwas bemueht ihre us-indie
gepraegte art-igkeit demonstrieren wollte und eine etwas droege zusammenarbeit mit smithsgitarrist johnny marr. doch beim fuenften album 'in the belly of the brazen bull' stimmt nun
wieder alles: toller einsatz, catchy songs und auch was es mit den us-praeferenzen auf sich
hat, kapiert man nun - die jungs wurden schlicht und einfach mit grunge musikalisch
sozialisiert.
nachdem ernst molden bereits im vergangenen jahr zwei hochkaraetige platten
veroeffentlicht hat (und auch die letzten jahre insgesamt alles andere als faul war), kommt
nun mit 'a so a scheena dog' erneut ein neues album des wieners heraus. verglichen etwa mit
bob dylan, der in den vier jahren zwischen 1962 und 1965 sechs lps veroeffentlichte und
damit die popmusik revolutionierte, ist die veroeffentlichungsfrequenz an sich natuerlich
nichts spektakulaeres. dennoch zeigt der muntere reigen an molden-platten, dass da jemand
einen lauf hat, zu sich gefunden hat und das nun immer weiter vorantreibt. wer ernst moldens
alben seit dem 2008er doppelschlag 'wien'/'foan' verfolgt hat, weiss dass der musiker und
schriftsteller nicht nur ein adaequates wiener idiom fuer seinen trockenen indierock gefunden
hat, sondern sich mit seinen songs auch als geistiger verwandter von johnny cash, townes van
zandt und aehnlichen us-solitaeren etabliert hat. auf 'a so a scheena dog' treibt molden das
insofern logisch weiter, als er nun alleine, ausschliesslich mit gitarre und harmonika
bewaffnet, elf neue eigenkompositionen zum besten gibt. aufgenommen mit analogem
equipment ist dem wiener dabei ein atmosphaerisch-dichtes album gelungen, das angenehm
an grosse vorbilder wie springsteens 'nebraska' oder dylans standards-sammlung 'world gone
wrong' erinnert. grosses kino mit minimalen mitteln - das naechste molden-album kann
kommen, gerne noch in diesem jahr.
rip lloyd brevett mit 80 jahren
ist in jamaica skatalites-gruender
und kontrabassist lloyd brevett
gestorben. ich habe brevett 2003
in der muffathalle bei einem
denkwuerdigen auftritt gesehen.
nicht nur hatte der damals auch
schon ueber 70-jaehrige jede
menge power, sondern
verkoerperte geradezu die
musikalische reise des abends,
die von fruehem ska ueber
rocksteady bis zum seventiesreggae reichte. 'dis one's called
'guns of navarrone', 'dis one's
called 'el pussycat', 'dis one's
called 'freedom sounds' - so ging
das den ganzen abend. ach ja,
und das mochte lloyd brevett
auch gerne: 'i want you to count
with me: 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1, freedom!' als vor einiger zeit die skatalites mal wieder in
muenchen angekuendigt waren, wollte ich schon hingehen. doch als ich sah, dass lloyd
brevett aus altergruenden nicht mehr dabei war, habe ich mir den konzertbesuch gespart. mit
brevett ist nun einer der letzten zeugen der anfangstage des reggae gestorben - einer mehr, der
dafuer sorgt, dass der 'great gig in the sky' auch richtig 'irie' ist... (photo: david jiro)
konzert - peter gabriel classic rock ist ja schon fad genug, aber klassik-rock ist wirklich
nicht mein ding. warum massenhaft leute zu irgendwelchen 'nokia night of the proms'
stroemen, um abgehalfterte ex-stars in begleitung eines drittklassigen orchesters zu sehen,
habe ich bis heute nicht kapiert. und auch nicht, warum ein schon etwas glaubwuerdigerer
musiker wie sting ein album wie 'symphonicity' mit angeblich hochkaraetigen orchesterversionen alter songs veroeffentlicht, dann aber doch nur totgenudelte hits mit streicherschoenklang abliefert. so gesehen muss man peter gabriel sehr zugute halten, dass er diese
stolperfallen auf seinen beiden orchester-alben 'scratch my back' und 'new blood' vermieden
hat. denn die arrangements von gabriel und seinem arrangeur john metcalfe liegen naeher an
moderner e-musik als am 'proms'-kitsch. das bewies peter gabriel nun auch live in der
olympiahalle. die streicher klangen in der akustisch schwierigen halle erstaunlich gut und
ueberraschend war zudem, wie positiv das (dann doch eher wieder dem segment classic rock
zuzuordnende) publikum auch auf komplexeste arrangement reagierte. ein aesthetisch sehr
hochwertiges buehnen- und lichtkonzept trug zusaetzlich zu dem gelungenen konzert bei.
nach einer gut austarierten mischung aus anspruchsvollem und emotionalen momenten
muendete das konzert schliesslich in die grossen hits 'red rain', 'don't give up' und 'biko'. da
waren die arrangements zwar nicht mehr ganz so mutig, doch erinnerte ich mich gerne daran,
wie mich diese songs ende der 80er jahre nicht nur zu einem gabriel-fan machten, sondern
mich auch fuer themen wie weltmusik und das apartheid-regime in suedafrika sensibilisierten.
buch-pause zwischenzeitlich hatte selbst ich nicht mehr geglaubt, dass es termingerecht noch
etwas wird mit meinem architekturbuch ueber 'muenchen 72'. doch nach einem anruf von
hans-jochen vogel kamen die dinge ins rollen und innerhalb von eineinhalb monaten traf ich
mehr spannende leute als je zuvor in meinem journalistenleben, darunter coop-himmelb(l)auchef wolf d. prix in wien, gestalter rolf mueller in muenchen, embryo-gruender christian
burchard im westend und architekt stefan behnisch in stuttgart. und da die ganzen
olympiabauten auch ins bild gesetzt werden wollen, ging es unter anderem auf foto-tour nach
kiel-schilksee und augsburg. doch macht das alles noch kein buch, also zog ich mich in den
vergangenen zwei wochen zu einer schreib-klausur in die vertraute schweinchenbaubibliothek zurueck. es folgten ausgesprochen intensive arbeitstage und am ende hatte ich
tataechlich mein manuskript fertig - und mir bewiesen, dass ich dieses nicht unambitionierte
projekt in einem ueberschaubaren zeitrahmen bewaeltigen konnte. auf diese erfahrung sollte
ich aufbauen, ich muss nur schauen, in welcher form. auf jeden fall sieht es nun wirklich so
aus, als ob mein buch planmaessig gegen ende juni erscheinen wird, auch wenn noch ein
bisschen korrektur- und fotoarbeit noetig ist.
die buch-pause hat jedenfalls dazu gefuehrt, dass es um diesen blog etwas ruhiger wurde,
doch musik war auch in den vergangenen wochen immer dabei. deshalb hier ein kurzer
roundup: willi resetarits lieferte auf 'ois offn' einen schoen stimmungsvollen blues-folk-rock
sound, der sich seinem alter ego kurt ostbahn immer mehr annaehert. der aethiopische popstar
teddy afro kehrte nach seiner politisch kontroversen gefaengnishaft mit 'tikur sew', einem
spektakulaer gut produzierten afro-reggae-pop album, zurueck. santigold hat mit ihrem neuen
album 'master of my make-believe', das vier jahre in der mache war, zwar jegliches
momentum verloren, dafuer an pop-appeal gewonnen. wolfgang ambros macht auf johnny
cash und veroeffentlichte mit '190352' ein neues album, das sich nicht nur musikern von
jungen austro-bands wie heinz aus wien, velojet und denk bedient, sondern auch radioheads
'no suprises' auf wienerisch covert. jack white legte mit 'blunderbuss' endlich mal wieder ein
album vor, das auch zeitgemaesse pop-relevanz demonstriert. norah jones trug durch das
zusammen mit danger mouse produzierte 'little broken hearts' erfolgreich dazu bei, ihrem
niedlich-image weitere atmosphaerische bruchstellen hinzuzufuegen. und schliesslich legte
afro-pionier mory kante mit 'la guinéenne' ein schoen klassisches stueck mali-pop vor.
zudem gab es auch ein paar konzerte: peter cornelius zelebrierte sich im lustspielhaus
lustvoll als aufmuepfiger austropop-einzelgaenger. aloe blacc wagte in der bmw-welt ein
klassik-experiment mit stringquartett und ueberzeugte mit gefuehlvollen creditcrunch-soul.
und hubert von goisern drehte die zeit zurueck und rockte das 'hiatamadl', war bei seinem
konzert im circus krone aber immer dann am besten, wenn es subtiler wurde.
ach ja, und dann war da schliesslich noch die sehenswerte ausstellung 'turner monet
twombly' in der staatsgalerie stuttgart, bei der es einmal mehr monet war, der mich zum
schwelgen brachte. wo turner etwas zu britisch aufrecht ist und twombly mir zu wenig
moderne haltung hat, verzaubert monet einfach mit licht, gekonnter unschaerfe und viel
atmosphaere.
mal was anderes, aber trotzdem sehr schoen: weisse ostern
unter den britrockbands der nullerjahre stachen the futureheads mit ihrem nordischen akzent,
ihrer gang-mentalitaet und der an the clash gemahnenden power positiv heraus. 'rant', das
erste acepalla-album der band ist ein wagnis, das aber genau aufgrund dieser genannten
eigenschaften toll funktioniert. nicht dass the futureheads ab jetzt immer ohne instrumente
losziehen sollten. aber die charakteristische art und weise, wie sich die band des acapellaformats annimmt, bringt einen originellen und sehr charmanten dreh in die musik des vierers
aus sunderland.
schon seitdem amadou & mariam in den 90ern die weltmusik-buehne betraten, gefiel mir
deren knackiger, retro-toenender afroblues-sound. dieser geriet bei spaeteren allstar-projekten
u.a. mit mano chao und damon albarn etwas ins hintertreffen, dafuer wurden die songs
catchier. auf dem neuen album 'folila' stimmt nun beides: der klassische sound ist wieder da
und gaststars von santigold ueber tv on the radio bis zu ebony bones fungieren durchwegs als
positiver zugewinn. das geheimnis ist eine hochkaraetige kernband, zu der neben dem
langjaehrigen producer marc-antoine moreau auch ex-noir-desir-frontman betrand cantat und
afro-hochkaraeter wie toumani diabate und bassekou kouyate zaehlen.
vor zwei jahren habe ich melanie fiona leider im vorprogamm von alicia keys in der o2 world
in berlin verpasst, weil es sich um eine firmeneinladung handelte und die firmentypen alles
andere im sinn hatten ausser musik. jedenfalls habe ich fiona dennoch auf dem schirm
behalten und freue mich nun ueber ein sehr gelungenes album der saengerin. neben die retroklaenge ihres debutalbums sind auf 'the mf life' zeitgemaesse r'n'b-sounds getreten, doch
macht das kaum einen unterschied weil das (zum grossen teil selbstgeschriebene)
songmaterial durchwegs hochklassig ist. und am wichtigsten ist ohnehin, dass es sich bei
melanie fiona um eine echte soul-saengerin ohne die ganze pseudo-emotionalitaet vieler
nachwuchssternchen handelt.
wie es sich gehoert, hat auch die ethiojazz-kombo akale wube fuer ihr zweites album 'mata'
noch einmal kraeftig draufgelegt. dass die band den aethiopischen sound der 70er jahre
stilecht darzubieten weiss, hatte die band bereits mit ihrem debutalbum bewiesen. nun klingt
alles noch einmal etwas fetter und auch die zahl der eigenkompositionen hat deutlich
zugenommen. zudem wird der klassische ethiojazz-sound mit anleihen unter anderem aus
rock und afrobeat aufgefrischt.
wenn es an dem album von akale wube etwas zu kritisieren gibt, dann nur dass derartige
retro-musik noch cooler klingen wuerde, wenn sie auch bezug zur musikalischen gegenwart
haette. wie das gehen kann, zeigt zumindest streckenweise ex-blur-kopf damon albarn mit
seinem neuen projekt rocket juice & the moon (mit afrobeat-drummer tony allen und rhcpbassist flea). wenn als gastsaengerinnen erykah badu oder die grossartige fatoumata diawara
zu hoeren sind und albarns afrobeat-pastiche mit hip hop und elektroniksounds aufgebrochen
wird, klingt das topmodern und aufregend. nur ist das selbstbetitelte debutalbum von rocket
juice & the moon leider etwas zu skizzenhaft und auch ueberlang geraten.
paul weller setzt auch auf seinem neuen album 'sonik kicks' seine experimentierlust fort und
erfreut den geneigten hoerer innerhalb von 45 minuten mit einem wilden ritt durch rock, soul,
jazz, dubreggae, krautrock und synthipop. aus vier song-segmenten bestehend haelt 'sonik
kicks' dabei eine gute mitte zwischen wellers 2008er opus magnum '22 dreams' und dem
wilderen 2010er nachfolger 'wake up the nation'. und mit 'be happy children' gibts zum
abschluss noch ein wunderbares kinder-lied - ganz in meinem sinne.
natalie portmans 'the shins will change your life' aus dem film 'the garden state' wird the shins
jetzt, wo die band erwachsener und auch mainstream-iger ist, oft um die ohren gehauen. doch
finde ich es durchaus legitim, dass man als verheirateter mann und familienvater nicht mehr
dem gleichen weltschmerz froent wie einst. wichtiger ist fuer mich, dass shins-frontmann
james mercer nach seinem halbgaren soloprojekt broken bells auf 'port of morrow' wieder
seine faehigkeit aufblitzen laesst, vorstadt-tristesse mit schimmernder phantasie zu
ueberziehen. ein wunderschoenes fruehlings-album, dass bestens in diese tage passt.
konzert - portico quartet in mein blickfeld kam das portico quartet erstmals, als ihr zweites
album 'isla' mit seinen postmodernen jazz-soundscapes auf peter gabriels realworld-label
erschien, das ich sehr schaetze. doch richtig spannend wurde die kombo fuer mich erst durch
die seitdem eingeschlagene entwicklung: das dritte, anfang des jahres erschienene,
selbstbetitelte album zeigt sich deutlich von beats und sounds der londoner 'bass music'
beeinflusst und erinnert nicht selten positiv an referenzgroessen wie burial, zombie oder
mount kimbie. dass es dem portico quartet dabei ernst ist, zeigt nicht nur eine vor kurzem
veroffentlichte remix-ep u.a. mit einem beitrag meiner dubstep-favoriten lv, sondern auch das
kuerzlich im musik-club society of sound veroeffentlichte album von circle traps, einem
nebenprojekt von drummer will ward duncan bellamy, das fuer mich zu den bisher
gelungensten electronic-releases des jahres gehoert. bellamy erwies sich nun auch bei der
muenchen-premiere des portico quartets im jazzclub unterfahrt als treibende kraft fuer die
spektakulaere weiterentwicklung des bandsounds. simultan spielte er live-schlagzeug, bastelte
komplexe drumloops und mischte mit grandiosen hallefekten die beitraege seiner
bandkollegen zu einem berauschenden klangstrom. wie sehr das portico quartet dadurch auch
seine eigene musikalische identitaet weitergetrieben hat, zeigte der vergleich mit einigen
alten, 'naturbelassenen' stuecken, die gegenueber dem neuen material gnadenlos abfielen.
nachdem mir im letzten jahr bereits seine eps 'tell me a tale' und 'i'm getting ready' sehr gut
gefielen, freut es mich um so mehr, dass der junge londoner michael kiwanuka inzwischen
nicht nur viel medienaufmerksamkeit erhaelt (kiwanuka ist der gewinner des 'sound of 2012'polls der bbc), sondern auch mit 'home again' ein debutalbum abgeliefert hat, das haelt, was
man sich versprechen durfte: kiwanuka liefert retro-soul voller herz und erinnert auf
angenehmste weise an klassiker wie otis redding, marvin gaye und bill withers. wie guardiankritiker alexis petridis in seiner album-besprechung richtigerweise betont, ist kiwanuka damit
aber auch ein klassischer newcomer der 'post-winehouse-aera' - und gerade hier zeigt sich
dann auch eine kleine schwachstelle von 'home again': winehouse verstand es, ihre retropraegung mit modernen beats sowie zeitgemaessen themen zu verbinden und in diese richtung
koennte sich auch michael kiwanuka nach meinem empfinden gerne noch weiterentwickeln.
auch ein fan wie ich muss zugeben, dass sinead o'connor in den letzten jahren einen kleinen
durchhaenger hatte: ihre projekte wie das reggae-album 'throw down your arms' oder die
doppel-cd 'theology' waren zwar nicht schlecht, verkauften die charismatische saengerin aber
unter wert. deshalb schliesse ich mich gerne den einschlaegigen medienstimmen an und freue
mich ueber o'connors comeback mit ihrem aktuellen album 'how about i be me (and you be
you)'. in gewisser hinsicht schliesst die saengerin sogar an ihren grossen erfolg 'i do not want
what i haven't got' von 1990 an: 'reason with me' ist fast so schoen bittersuess wie 'nothing
compares 2u' und 'old lady' und 'the wolf is getting married' rocken genau so schoen wie einst
'the emperor's new clothes'. am wichtigsten ist aber, dass sinead o'connor nach wie vor diese
einzigartige stimme hat, die niemals indifferent klingt, sondern immer engagiert und voller
emotion.
denkt man an die groessen britischer gitarrenmusik, fallen einem nicht unbedingt the
cranberries ein. und doch wurden die grossen erfolge der band zu anfang der 90er jahre
allesamt unter der aegide von stephen street eingespielt - dem produzenten, der zuvor fuer the
smiths am mischpult sass und danach blur zu britpop-ruhm brachte. das neue cranberriesalbum 'roses' vereinigt die band nun wieder mit dem qualitaets-produzenten und bietet in der
tat tollen gitarrenpop mit schoenen melodien und angenehmen understatement. gut, das
beziehungs-auf-und-ab in den texten von saengerin dolores o'riordan ist nicht gerade auf
morrissey-niveau, doch gerade an den vergangenen schoenen vorfruehlingstagen gefiel mir
'roses' ausgesprochen gut.
liebes-songs an broeckelnde eisberge, hochassoziativ-kluge liner notes und ein faible fuer
krautrock und impressionistische stummfilmklassiker - british sea power sind nicht gerade
der klassische britrock-act. erhellende einsichten, warum das so ist (und auch darueber, woher
jene hochassoziativ-klugen liner notes stammen) bietet 'do it for your mum', die offizielle
bandbiographie von roy wilkinson, bruder der band-leader scott und neil wilkinson und
langjaehriger publizist/manager von british sea power. manchmal wird es ein bisschen argassoziativ, aber ansonsten ist das buch ein tolles und vor allem aussergewoehnliches stueck
rock-literatur. die band schickt sich derweil an, wieder an ihre unkonventionellen anfaenge
anzuknuepfen und spielt im rahmen der monatlichen club-nacht 'krankenhaus' in brighton
derzeit jede menge neues material, das bereits auf zwei hoerenswerten demo-cds erschienen
ist. dabei beweisen british sea power nicht nur ihre eigenstaendigkeit, sondern auch ihre
aussergewoehnlichen faehigkeiten im fach rock aufs beste.
schoen, wenn einen musiker, die man schon seit jahren verfolgt, mit auf eine intellektuelle
entdeckungsreise nehmen. genau das tut jetzt stephan eicher mit seiner als 'audiospaziergang'
gestalteten interpretation von jean jaques rousseaus 'fuenften spaziergang' aus den
'traeumerein eines einsamen spaziergaengers'. mir bot das die gelegenheit, mich mit dem
faszinierenden text des von mir ohnehin sehr geschaetzten rousseau auseinanderzusetzen. und
auch eichers sound-collage bietet ein tolles hoererlebnis - wenn auch meine beschraenkten
franzoesisch-kenntnisse mich hier etwas limitierten. bleibt am ende die erkenntnis, dass mit
rousseau und eicher zwei wesensverwandte romantiker zueinander gefunden haben.
waehrend sich bruce springsteen auf seinen letzten alben bereits mit der rolle des alternden,
rueckwaertsblickenden rockstars zu arrangieren schien (was durchaus seinen reiz hatte),
meldet er mit 'wrecking ball' wieder seinen anspruch im hier und jetzt an. seit 'born in the usa'
hat kein springsteen-album mehr so ungeniert auf den mainstream gezielt und der boss tut
dies mit allen zu verfuegung stehenden mitteln: produzent ron aniello sorgt fuer einen
kraeftigen, zeitgemaessen sound, gospelchoere und blaeser schaffen breitenwirkung und mit
drumloops sowie einem gast-rap wird hipness demonstriert. das alles ist zwar fast mehr als
die geschmackspolizei erlaubt, wird aber mit soviel elan dargeboten, dass 'wrecking ball' doch
bestens funktioniert. zum positiven eindruck des albums traegt auch seine inhaltliche
geschlossenheit bei, die sich dieses mal rund um die auswirkungen des 'credit crunch' dreht.
springsteen bietet seinen von der wirtschaftskrise gebeutelten landsleuten trost, optimismus
und auch ein gutes mass an gerechtem anti-wallstreet zorn. massentauglicher kam agit-prop
selten daher.
vor zwei jahren habe ich bei der fnac in verona nina zilli als italiens antwort auf amy
winehouse entdeckt. auf ihrem neuen album 'l'amore è femmina' geht die dame aus piacenza
nun sinnvollerweise einen schritt weiter und frischt ihren italo-retrosound mit einem
gehoerigen schuss 80s-pop auf. mir gefaellt das, mal schauen was das publikum des
eurovision song contest, bei dem zilli fuer italien antritt, damit anfangen kann.
schon als barack obama kuerzlich eine zeile von al green sang, klang das vielversprechend.
wie dieses aktuelle video von einem bluesabend im weissen haus (gabs das unter dubya
eigentlich auch?) zeigt, kann der kerl aber wirklich singen. meine wunsch-agenda: im herbst
die wiederwahl und dann in fuenf jahren das grosse obama soul-album.
schon wegen meiner familiaeren bande finde ich es schade, dass ungarn derzeit
ausschliesslich wegen seiner ultrakonservativen regierung schlagzeilen macht. der grossartige
protestsong 'nem tetszik a rendszer' ('mit gefaellt das system nicht') von dorottya karsay
gefaellt mir deshalb extragut (siehe dazu auch ein lesenswerter artikel in der nzz):
ich bin ja ein grosser fan von alicia keys, nur finde ich schade, dass sie oft etwas unterkuehlt
und professionell wirkt. das folgende video zeigt dagegen, wie viel emotion und seele
wirklich in dieser frau stecken:
musiktechnisch bin ich diese woche in london: nicht nur erfreue ich mich an den urbanen
soundscapes von burial, auch gefaellt mir die britische soul-newcomerin emeli sande
ausgesprochen gut. auf ihrem debutalbum 'our version of events' ueberzeugt sie mit eleganten
melodien und einer tollen stimme (die bisweilen auch an jemand ganz bestimmten erinnert).
kommen dann noch auf tracks wie 'heaven', 'daddy' oder 'next to me' zeitgemaesse beats dazu,
fuehlt man sich sofort in die britische kapitale versetzt.
ausserdem ist in dieser woche speech debelle mit ihrem zweiten album zurueck. auf 'freedom
of speech' rappt die junge suedlondonerin weiterhin so engagiert wie charmant. nachwievor
setzt sie dabei auf eine kleine begleitkombo, dieses mal allerdings mehr elektrifiziert als
jazzig. producer-nachwuchsstar kwes sorgt dabei mit synthi-tupfern und dub(step)-effekten
fuer ein angenehm aktuelles und sehr london-maessiges klangbild.
mit 'kindred' ist gerade eine neue ep von burial erschienen, die mit drei langen tracks schon
fast die laenge einer lp erreicht. der stilpraegende, oeffentlichkeitsscheue suedlondoner
producer ist sichtlich auf der suche nach einer erweiterung seines klangspektrums, weiss aber
weiterhin mit seiner grosstadt-melancholie zu faszinieren. das online-magazin thequietus hat
sich nun mit einer sehr anregenden interpretation zu wort gemeldet:
'It's notable that, playing 'Kindred' while out and about in London, the bleed of natural sound
from outside the headphones feels completely contingent with the music itself. (...) Burial's
cracking the surface and shedding light on the living, dying and dead things that lie below the
surface of the city holds a great deal of appeal for people far beyond UK club music
aficionados. The half-formed voices and city sounds that echo across his recordings ask
similar questions of their audience as a broken toy in an abandoned house might: who did
these traces belong to? Who were they? Where are they now? And are these things left behind
signifiers of happiness or sadness?'
rip whitney houston 'i wanna
dance with somebody' war
1987 eine meiner ersten selbst
gekauften vinylsingles, doch
danach tat ich mich ein paar
jahre eher schwer mit whitney
houston. zu sauber erschien
mir ihr image, zu perfekt die
stimme und zu glatt gebuegelt
ihr soul-sound. doch als
whitney mitte der 90er
begann, ihr repertoire mit
gospel- und r'n'b-klaengen zu
erweitern, fing auch ich an, sie
immer mehr zu schaetzen. auf
der tour zu 'my love is your
love' habe ich sie dann live in
muenchen gesehen, ein sehr
professionelles, aber auch
wirklich gutes konzert. es
folgten whitneys genueglich
bekannte drogenjahre und es
freute mich umso mehr, als sich die saengerin vor zwei jahren mit 'i look to you' noch einmal
aufrappelte. das darauffolgende konzert in der olympiahalle stellte zwar die vielen star-geilen
spiesser im publikum nicht zufrieden, doch ich hatte fuer whitney vollen respekt: man merkte,
dass die verlorenen jahre nicht nur an ihrem gesang spuren hinterlassen hatten, doch sie legte
sich voll ins zeug und sorgte mit ihrer gezeichneten stimme bei mir fuer gaensehaut. wie man
nun weiss, waren die platte und das konzert traurigerweise whitneys abschied. als ich mir
heute eine playlist ihrer besten lieder anhoerte, wurde mir noch einmal deutlich, wie
grossartig und vollendet sie schon in ganz jungem jahren phrasierte, fuer wie lange zeit sie
immer state-of-the-(pop)-art war und dass der welt kuenftig ein ganz grosses stueck 'soul'
fehlt.
konzert - lee scratch perry in ein paar wochen wird lee scratch perry 76. das ist ja auch fuer
otto normalverbraucher eine ganz schoene hausnummer und bei lee perry, dem legendaer
durchgeknallten reggae-producer-urgestein, wirkt diese zahl noch einmal beeindruckender.
nach perrys letztjaehrigem album mit bill laswell machte ich mir auch in der tat einige
gedanken ueber die fitness des oltimers, zu leichtgewichtig wirkte sein input an dem musikprojekt. im backstage demonstrierte perry nun nicht nur mit geschmeidigen kung-fu-kicks,
dass er noch bestens in form ist. liebenswert verrueckt wie eh und je praensentiert der zum
saenger gewordene producer ein munteres potpourri (sic!) aus eigenen klassikern, bob marley
hadern und neuem material. am mischpult trug waehrenddessen mad professor aus london das
seinige zu einem ausgesprochen gelungenen abend bei: feinste dub-sounds schwirrten um die
ohren, baesse wummerten in den tiefsten regionen und bei seinen hall-effekten hatte sich der
professor sichtlich auch von den trendigen dubstep-jungspunden inspirieren lassen.
dub colossus im e-commerce mag das plattform-modell ja durchaus zukunftsfaehig sein,
wenn es um musik geht, sind mir derartige diffuse kollektive jedoch eher suspekt. muss aber
nicht sein: dub colossus, das 'ethiopiques'-meets-jamaica-projekt des worldmusic-veterans
dubulah aka nick page, erweist sich als echte schatzkiste. nicht nur sind einige der
aethiopischen teilnehmer des musikprojekts wie samuel yirga und tsedenia gebremarkos drauf
und dran, selbst zu weltmusik-stars zu werden. auch bietet dub colossus einen prima
referenzpunkt fuer allerlei remix-projekte. das verdeutlicht nun die um 'part 2' erweiterte cdausgabe des dub-albums 'crazy in dub' sowie das via facebook-veroeffentlichte remix-projekt
'ezana stone sessions'. so laessig und zeitgemaess kann aethiopische musik klingen.
das musikjahr kommt langsam in gang: so veroeffentlichte in den vergangenen tagen unter
anderem die franzoesische beur-kombo zebda mit 'second tour' ein comeback-album. in den
besten momenten kriegt die band noch immer einen wundervollen multikulti-sound hin, der
das leben in franzoesischen grossstaedten bestens auf den punkt bringt.
ein formidables solo-debut veroeffentlichte hold steady-frontmann craig finn mit 'clear hearts
full eyes'. lauter stories aus dem amerikanischen hinterland, durchaus wortgewaltig und mit
sympathischen understatement produziert.
londoner brit-sound aus dem hier und jetzt bieten we have band auf 'ternion'. die
multikulturelle band ueberzeugt dabei mit einer mischung aus 80s-klaengen, indie, soul und
electro.
doch fuer den ersten wirklich grossen musikmoment des jahres brauchte es fuer mich einen
78-jaehrigen grossmeister: leonard cohen ist nach seiner ausgedehnten comeback-tour auch
auf dem neuen studioalbum 'old ideas' auf der hoehe seines koennens. mehr als einmal sorgen
seine sorgfaeltig geschmiedeten verse fuer gaensehaut. und doch sind abgeklaertheit und
weisheit nur eine seite des songwriting-altmeisters, der sich auf 'old ideas' gluecklicherweise
auch ein augenzwinkern und wohltuende leichtigkeit nicht verkneift.
als wir uns beim kaiser chiefs konzert letzten november den luxus des zuspaetkommens
leisteten und so vom support act tribes nur noch die letzten zwei lieder hoerten, haette ich
kaum gedacht, dass es sich ausgerechnet bei dieser band um das naechste grosse ding handeln
wuerde. doch deren debutalbum 'baby' feiert der nme jetzt als 'not only an early contender for
album of 2012 but a formidable salvo in the guitar rock fightback, packing the power punch
of prime oasis, the pop preen of peak suede and the sweet serrations of ‘surfer rosa’'. zwar ist
der nme schon aus ueberlebensgruenden darauf angewiesen, dass englische rockmusik
endlich wieder ein thema wird, doch muss auch ich zugeben, dass mit tribes zum ersten mal
seit laengerem wieder eine band von der insel frisch, eigenstaendig und kraftvoll klingt.
mein eintrag zum jahreswechsel 2011/12 ist aufgrund zeitmangels etwas kurz ausgefallen und
somit habe ich auch vergessen zu betonen, wie grossartig die arabischen revolten in tunesien
und aegypten vor einem jahr waren. denn waehrend fast schon alle welt an die
unvereinbarkeit von orient und okzident bzw. islam und moderne zu glauben schien, zeigte
sich hier wunderbar die wesensaehnlichkeit von arabischen und westlichen jugendlichen und
welche bedeutung perspektiven, freiheiten und muendigkeit fuer beide besitzen. waehrend die
revolutionen in nordafrika bereits wieder von den konservativen mehrheiten vereinnahmt
werden, kommt mit 'kelti horra', dem debutalbum der 1982 geborenen tunesierin emel
mathlouthi, nun so etwas wie ein offizieller soundtrack zum 'arabischen fruehling' zu uns. in
ihren songs - allen voran der grossartige titelsong, der soviel bedeutet wie 'mein wort ist frei' vermittelt mathlouthi noch einmal die themen, die anfang 2011 den aufstand der jugend
befluegelten. musikalisch setzt die saengerin/songwriterin, die im booklet als vorbilder chikh
imam, joan baez und vivaldi nennt, auf eine spannende mischung aus arabischen
liedermacher-pop und elektronischen sounds.
bob dylan gestern abend live bei den 'vh1 critics' choice movie awards' - auf einmal reisst die
glitzerwelt der tv-gala auf und dann ist da diese dunkel-poetische, markerschuetternd intesive
stimme:
mit insgesamt 75 dylan-covers begeht amnesty international auf der compilation 'chimes of
freedom: the songs of bob dylan' derzeit seinen fuenfzigsten geburtstag. obwohl ich
eigentlich der meinung bin, dass inzwischen die spannendsten dylan-coverversionen von bob
dylan himself kommen, weckte die illustre teilnehmerliste der amnesty-compilation mein
interesse. die ernuechterung folgte allerdings bald: mindestens 60 der 75 auf vier cds
versammelten titel kann man sich getrost sparen. und doch gibt es auch einige highlights, die
man nicht missen moechte: steve earles kraftvolle version von 'one more cup of coffee', ziggy
marleys neuerfindung von 'blowing in the wind' als rasta-chant, angelique kidjos gelungene
afrikanisierung von 'lay lady lay', k'naans poetisches 'with god on our side' und - fuer mich der
hammer schlechthin - 'property of jesus' mit einer unglaublich intensiven sinead o'connor:
nachdem 'property of jesus' ein titel aus dylans beruechtigter 'born again'-phase ist, bekam ich
lust, endlich auch einmal diese luecke in meiner dylan-expertise zu schliessen. und siehe da:
so schlecht sind dylans christliche alben gar nicht. so gibt es etwa die pianoballade 'when he
returns' auf 'slow train coming', das sanft fragende 'what can i do for you' auf 'saved', die
song-hommage an 'lenny bruce' auf 'shot of love' sowie an gleicher stelle das sublime 'every
grain of sand'. doch noch mehr als die durchaus vorhandene kuenstlerische qualitaet der alben
beeindruckte mich die konsequenz, mit der sich die songwriter-ikone ab 1979 dem
christlichen glauben - und noch dazu in einer recht fundamentalistischen auslegung verschrieb. auch wenn ich mit den songtexten nicht immer einverstanden bin, ist somit fuer
mich auch diese phase ein weiterer beleg fuer die einzigartigkeit von bob dylan.
wie ich heute in der nzz lese, kandidiert youssou n'dour im februar fuer das amt des
senegalesischen praesidenten. schon weil ich seit mittlerweile 20 jahren die platten und
konzerte des saengers verfolge, finde ich diese nachricht spannend. zudem haette ich vor
einigen jahren beinahe meine doktorarbeit ueber das verhaeltnis von popmusik und politik
geschrieben. beispiele fuer in die politik gewechselte musiker gibt es inzwischen mehrere:
midnight oil-frontmann peter garrett, australischer umwelt- und jetzt kultusminister; gilberto
gil, brasilianischer kulturminister 2003-08; in haiti wurde fugees-star wyclef jean im
vergangenen jahr nicht als praesidentschaftskandidat zugelassen, dafuer bekleidet das
hoechste staatsamt nun sein saenger-kollege michel martelly. youssou n'dour druecke ich
jedenfalls beide daumen - nicht nur, weil es fuer den erneut kandidierenden, 85-jaehrigen
senegalesischen praesidenten und egomanen abdoulaye wade hoechste zeit ist, abzutreten.
sondern auch, weil ich ueber die jahre durch die songtexte, konzertansagen und sonstigen
aktivitaeten des saengers ein sehr positives bild ueber seine aufgeklaerte haltung gewonnen
habe. und ein weltgewandter popstar, der in seinem land mit modernen akzenten fuer
positiven wandel sorgt, waere doch mal ein spannendes rollenbild fuer den afrikanischen
kontinent.