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Unternehmen Lidl
Der
Geheime Krämer
Im März eröffnet Lidl die ersten Geschäfte in der Schweiz.
­Während Aldi vor allem im Revier der Migros wildert, greift der
zweite deutsche Discounter nun frontal Coop und Denner an.
• Dirk
Ruschmann Text
Bei Lidl tragen sogar die Vorstände Uniform. Während die Lehrlinge in blau-rotgelbe Poloshirts mit Firmenlogo gesteckt
werden, gilt auf der Teppichetage: dunkler
Anzug, helles Hemd, keine Krawatte, den
Kragen offen. So treten Aufsichtsratsboss
Klaus Gehrig, Deutschland-Chef FrankMichael Mros und der Schweiz-Geschäftsführer Andreas Pohl auf. Wir sind zu­
packende Schaffer, unkompliziert und
erdverbunden, soll damit signalisiert werden – wir sprechen die Sprache des Volkes.
Doch direkt, in Interviews oder bei Auftritten, äussern sich die Lidl-Chefs nur dann,
wenn es gar nicht anders geht.
36 BILANZ | 4 | 2009
Lidl kontaktiert ihre Kunden am liebsten ausschliesslich via Produktwerbung
und die spartanisch eingerichteten Verkaufsstellen. Dass der Handelskonzern allerdings die volksnahe Ansprache beherrscht, hat er schon längst bewiesen.
Nicht nur durch den ruppigen Umgang
mit Beschäftigten, den ein deutscher Gewerkschafter «ausbeuterisch» und «geradezu brutal» nennt. Sondern auch mit den
Slogans. Lautet heute der Werbespruch
«Lidl lohnt sich», so hiess es früher entwaffnend direkt: «Lidl ist billig.»
Langsamer als in anderen Ländern,
aber dennoch sichtbar greift auch in der
Schweiz der Trend zum «Smart Shopping», zur Segmentierung. Bei der Mi­gros
beispielsweise kaufen immer mehr Kunden zugleich die billigen M-Budget- und
die edlen Sélection-Produkte ein, schon
­Ende 2007 war es jeder dritte. In anderen
europäischen Ländern gilt es schon lange
als Geldverschwendung, für Grundnahrungsmittel mehr als Discountpreise zu
zahlen, und in Deutschland ist es geradezu Kult, bei Aldi Müesli und Champagner,
bei Lidl Volvic-Wasser, Markenjoghurt
und Nutella zu kaufen – und das gesparte
Geld in der Feinkostabteilung eines Edelhändlers auszugeben.
Mit dem Markteintritt
von Lidl brechen für
die Schweizer Detailhändler harte Zeiten an.
trommelte vom «grössten Preissturz aller
Zeiten» – die Angst geht um, noch mehr
Kunden an die deutschen Eindringlinge zu
verlieren. Ihren Heimatmarkt haben Aldi
und Lidl längst in der Hand: Der Marktanteil der Harddiscounter, zu denen auch
Netto, Plus und Penny gehören, liegt in
Deutschland bei 44 Prozent. In schwierigen Märkten wie Spanien, England und
den USA bauen die deutschen Discounter
zügig ­ihre Filialnetze aus.
Nach fünf Jahren Vorbereitung in der
Schweiz legt Lidl am 19. März los, mit 13
Läden in sieben Kantonen. Für Loosli und
seine Kollegen Lebensmittelhändler heisst­
das: Ein neuer Sheriff ist in der Stadt.
Foto: Jörg Müller / Visum
Jüngerkultur. Von Dieter Schwarz,
In vorauseilendem Gehorsam haben
die Schweizer Detaillisten Billiglinien sowie höherwertige Eigenmarken eingeführt
und ihr Sortiment stärker segmentiert.
Genau so, wie es etwa die britische Tesco
oder die deusche Edeka vormachten, beide
auch erst auf Druck der Discounter. Mi­
gros hat ihre Billiglinie M-Budget inzwischen massiv ausgebaut, Coop gerade erst
zu Jahresbeginn 600 ­Artikel verbilligt – auf
das Niveau des einheimischen Discounters
Denner, notabene bei exakt den gleichen
Produkten. Und noch massiver als die
Preissenkung war die begleitende Werbebotschaft. Coop-Chef Hansueli Loosli
dem Sohn des schwäbischen Lidl-Gründers Josef Schwarz, existiert lediglich ein
einziges Foto; es dürfte inzwischen jahrzehntealt sein. Bekannt ist nur der oberste
Hilfssheriff: Klaus Gehrig. Der 60-Jährige
ist der starke Mann in der verschachtelten,
aus mehreren hundert Stiftungen und
Einzelgesellschaften zusammengesetzten
Gruppe. Dieter Schwarz, der Ende September 70 Jahre alt wird, hat sich vor zehn
Jahren weitgehend aus dem operativen
Geschäft zurückgezogen. Gehrig nimmt
heute unangefochten die «Unternehmerposition» ein: Er ist Aufsichtsratsvorsitzender der Lidl und der Kaufland Stiftung, der beiden Vertriebs­linien, die
getrennt voneinander agieren. Vor allem
aber amtet er als Komplementär – also
haftender Gesellschafter und Geschäftsführer – der Schwarz Unternehmenstreuhand KG in Neckarsulm, der Schalt­
zentrale des gesamten Reichs. Zuvor
befehligte er Lidl direkt.
Gehrig gilt als zögerlicher Reformer:
Die Kasernenhofatmosphäre und den
«recht rabiaten Umgangston», von dem
ein Ex-Lidl-Mann berichtet, hat er zwar
nicht eliminiert. Man siezt sich, auch in
der Schweizer Ländergesellschaft, und
hochrangige Manager achten angeblich
intensiv darauf, dass kein anderer ihre
­Akten lesen kann. Noch immer herrscht in
Neckarsulm eine Art Jüngerkultur. Die
Prinzipien des Dieter Schwarz – einfach
und billig – sind allgegenwärtig, und jeder
Lidl-Manager hat sie inhaliert. Aber unter
Gehrig gilt Lidl auch als lernfähig.
Nicht erst seit der Bespitzelungsaffäre
in Deutschland im vergangenen Jahr,
nachdem Detektive Mitarbeiter mit versteckten Kameras überwacht und sogar
Details über deren Eheprobleme ausgeforscht haben, geht Lidl behutsamer mit
den eigenen Mitarbeitern um. «Die feuern
nicht mehr so schnell», sagt ein Konzernkenner. Die Saläre liegen ohnehin über Tarif. «Wir sind doch keine Zombies», entrüstete sich Deutschland-Chef Mros vor
zwei Monaten im «Stern». Und als Gehrig
Ende 2006 den bis dato heiligen Krawattenzwang abschaffte, soll er für wochenlange Verwirrung gesorgt haben. Er zeigte
sich sogar in der Fernsehtalkshow «Kerner» und sprach in Zeitungs­redaktionen
vor, um den Imageverlust durch die Spitzelaffäre zu kontern. Der Erfolg der revolutionären Aktion war zwar bescheiden,
aber immerhin: Lidl ist am Leben und
spricht bisweilen sogar. Aldi stellt sich tot.
Das Konzept Harddiscount – alles so
einfach, schmucklos und billig wie möglich – wie auch die notorische Verschwie-
Schwarz’
Prinzipien sind
allgegenwärtig;
jeder hat
sie inhaliert. •
genheit und die produktorientierte Werbung hat Lidl mit dem ewigen
Konkurrenten Aldi gemein­sam. Tatsächlich war Lidl in den ersten Jahren eine
Kopie des Aldi-Konzepts. Die beiden Brüder Karl und Theo Albrecht (ALbrechtDIscount) bauten das 1913 gegründete
kleine Lebensmittelgeschäft ­ihrer Mutter
kurz nach dem Zweiten Weltkrieg •
Migros ungeschlagen
Migros beherrscht mit ihren Töchtern Denner
und Globus den Schweizer Detailhandel.
Rang Firma
Umsatz Detailhandel
2007 in Mio. Fr.
1
Migros Genossenschaften
14 541
2
Coop Retail
10 268
3
Manor
4
Denner inkl. Satelliten
2 893
2 717
5
Globus
1 246
6
Volg
1 148
7
Carrefour
981
8
Media Markt
976
9
Valora
919
10
Dipl. Ing. Fust
903
18
Aldi Suisse1
580
1 Schätzung. Quelle: GfK
4 | 2009 | BILANZ 37
Unternehmen Lidl
So einfach, schmucklos
und billig wie möglich:
Konzept der Lidl-Läden.
•
­zügig aus und machten in den siebziger
Jahren bereits einen dreistelligen Millionenumsatz. Zu dieser Zeit stieg Dieter
Schwarz erst in die Obstgrosshandlung
Lidl & Schwarz seines Vaters ein. Von diesem misstrauisch beäugt, eröffnete er 1973
in Ludwigshafen seinen ersten Discountmarkt. Da ihm «Schwarz-Markt» zu unschön klang, kaufte er dem pensionierten
Lehrer Ludwig Lidl für 1000 Mark die
Namensrechte ab.
Konzentration auf Europa. Als
38 BILANZ | 4 | 2009
timent, dafür aber an Stadtrandlagen mit
grossem Parkplatz. Lidl erzielt je Filiale
4,9 Millionen Euro, mit steigender Tendenz. In der Schweiz dürften beide ­einen
Ladenumsatz von 10 Millionen Franken
anstreben. Aldi Suisse, Ableger von Aldi
Süd, touchiert diese Marke bereits.
Aldi hat immer noch einen Sympathievorsprung. 2002 ergab eine deutsche Umfrage, dass 40 Prozent der Haushalte bei
Lidl einkaufen und 75 Prozent bei Aldi.
Kürzlich fragte das Marketingfachblatt
«Horizont» erneut nach – das Resultat
war ähnlich. Vor allem gut verdienende
Verbraucher tendieren zu Aldi. Bei der
«Reader’s Digest»-Erhebung der «vertrau­
enswürdigsten Marken Europas» schlägt
Aldi den Konkurrenten regelmässig.
Zwei Gründe spielen dabei eine Rolle.
Erstens die wiederkehrenden Berichte
Konzernspitze
Dieter Schwarz’ Statthalter
Andreas Pohl, Geschäftsführer von Lidl
in der Schweiz.
Klaus Gehrig, Aufsichtsratsvorsitzender
der Lidl und der Kaufland Stiftung.
Fotos: AFP, Keystone (2), Caro, Visum, Stockagentur. Photothek.net, Argum
1977 der Vater starb, begann Die­ter
Schwarz, die Aldi-Brüder zu jagen. Bis heute «ist es für Schwarz ein entscheidender
Antrieb, Aldi zu überholen», sagt der
Rheinbacher Wirtschaftsprofessor und
Handelsexperte Thomas Roeb. Doch anders als die Albrechts streute Schwarz das
Risiko: Er setzte nicht allein auf Discount,
sondern integrierte Topmarken ins Sortiment und baute mit grossen Verbrauchermärkten, die meist ­ unter dem Namen
Kaufland firmieren, ­ eine zweite erfolgreiche Vertriebslinie auf.
Während Aldi weltweit aktiv ist, konzentriert sich Lidl auf Europa. Aus dem
Schatten des Vorreiters ist der Emporkömmling aber längst herausgetreten: Vor
wenigen Jahren hat Schwarz die ­Aldi-Brüder im Gesamtumsatz überholt. Laut den
Marktforschern von GfK kommt die
Schwarz-Gruppe auf 68 Milliarden Franken, Aldi Nord und Süd gemeinsam auf 61
Milliarden. Die Zahl der Verkaufsstellen
dürfte bei beiden ungefähr bei 8000 liegen.
Beim genaueren Hinsehen differenziert sich das Bild. In Deutschland ist Aldi
weiterhin ganz klar vor Lidl – Aldi erwirtschaftete 2007 hier 23 Milliarden Euro,
die Lidl-Märkte nur knapp die Hälfte. Sogar die Kaufland-Gruppe setzt in Deutschland mehr um als ihre Discountschwester.
Im übrigen Europa liegen aber Lidl und
Kaufland mit weitem Abstand vor Aldi.
Pro Filiale in Deutschland setzt Aldi im
Schnitt rund 6,4 Millionen Euro um. Die
Zahl stagniert seit Jahren, vor allem weil
Aldi Nord viele kleine und unwirtschaftliche Innenstadtlagen betreibt. Aldi Süd,
der umsatzstärkere und rentablere Teil,
fährt einen strengeren Discountkurs mit
tendenziell kleinerem, konservativem Sor-
beitsbedingungen» gemieden hätten. An
Aldi fuhr nur jeder Zehnte vorbei.
Zweitens geht Aldi besser mit ihren
Lieferanten um – jedenfalls im Heimatmarkt Deutschland. Solange die Qualität
stimmt, zahlt Aldi prompt und vollständig,
Nachverhandlungen über Umsatzbeteiligungen oder Ähnliches gibt es nicht.
Einem darbenden Milchlieferanten soll
Aldi freiwillig mehr bezahlt haben. Aldi
wird nur dann unangenehm, wenn die
Qualität nicht stimmt. Prüft die Stiftung
Warentest ein Aldi-Produkt, muss es «sehr
gut» oder «gut» abschneiden, schon «zufriedenstellend» signalisiert Handlungsbedarf. Alles andere fliegt sowieso aus dem
Regal. Wer dann aber nachbessert, kann
wieder mit Aldi ins Geschäft kommen,
nachtragend ist man nicht. Viele Hersteller beliefern Aldi seit Jahrzehnten und
sind stetig mitgewachsen.
Militärischer Ton. Bei Lidl gibt es
über schlechte Arbeitsbedingungen bei
Lidl. Höhepunkte waren die «Schwarzbücher» der Handelsgewerkschaft Verdi vor
einigen Jahren sowie die Spitzelaffäre im
April 2008. Während laut einer Lidl-Sprecherin damals «nur ein bis zwei Tage ein
Umsatzeinbruch» entstand, besagt eine
jüngst publizierte Umfrage des Marktforschers Grass Roots, dass vier von zehn
Verbrauchern Lidl wegen «schlechter Ar-
das alles natürlich auch. Aber die Hersteller, berichtet einer, würden «straffer und
konfrontativer» bewirtschaftet, bei Preisverhandlungen «brüllen die Lidl-Einkäufer manchmal wie auf dem Truppen­
übungsplatz». Liefert ein Papierhersteller
mehr als die laut Packung garantierten 250
Blätter auf einer Rolle Toilettenpapier
(Lidl-Manager zählen das immer wieder
nach), dann hat er offensichtlich noch Margenreserven und muss mit Preisabzügen
rechnen. Liefert er Rollen mit zu wenig
Blättern, wird es erst recht kühl um ihn
herum. Der Key-­Account-Manager eines
Lidl-Lieferanten erzählt, er bekomme immer «hektische Flecken im Gesicht, wenn
am Telefon eine Nummer aus Neckars­ •
Lidl in den Top Ten
Unter den weltgrössten Detailhändlern ist Lidl die Nummer zehn, klar vor Migros und Coop.
Land
Umsatz
Detailhandel
in Mrd. $
Land
Umsatz
Detailhandel
in Mrd. $
1
Wal-Mart
USA
345,0
12
Walgreens
USA
47,4
2
Carrefour
F
97,9
13
Lowe’s
USA
46,9
3
The Home Depot
USA
90,8
14
Rewe
D
45,8
4
Tesco
GB
80,0
15
Seven & I
J
43,8
5
Metro
D
74,9
16
Groupe Auchan
F
43,2
6
Kroger
USA
66,1
17
Edeka
D
40,7
7
Target
USA
59,5
18
CVS
USA
40,3
8
Costco Wholesale
USA
59,0
19
Safeway
USA
40,2
9
Sears
USA
53,0
20
E. Leclerc
F
38,7
10
Lidl
D
52,4
57
Migros
CH
12,4
11
Aldi
D
50,0
68
Coop
CH
10,9
Fotos: BA - Geduldig. PR
Rang Firma
Zahlen 2006. Quelle: Deloitte
Rang Firma
Organisation
Management
by veto
Wie Dieter Schwarz die
Zügel in der Hand hält.
Bei seinem Rückzug aus dem ope­
rativen Geschäft gründete Dieter
Schwarz eine gemeinnützige Stiftung,
die seinen Namen trägt. Hier liegen
die Anteile an seiner Beteiligungsgesellschaft. Das Machtzentrum ist hingegen die Schwarz Unternehmenstreuhand, die von Klaus Gehrig
­geführt wird. Schwarz selbst hat hier
allerdings ein exklusives Vetorecht.
Viele von Schwarz’ langjährigen
Zuarbeitern, in ähnlichem Alter wie er
selbst, haben sich aus ihren operativen Top-Positionen zurückgezogen.
Zu den wichtigsten Figuren gehörten
Günter Fergen, Richard Meyer sowie
der ehemalige Chefeinkäufer Walter
Pötter, die der Firmengruppe nun als
«Generalbevollmächtigte» dienen.
Im CEO-Sessel von
Lidl sitzt heute
Karl-Heinz Holland,
der als linientreuer
Workaholic gilt.
Generalbevollmächtigter:
Sein Vize Holger
Walter Pötter.
Albrecht verantwortet Verwaltung und Personal, der
erst 35-jährige Robin Goudsblom das
Schlüsselressort Einkauf, Gerd Chrzanowski die zentralen Dienste wie die
Immobilienaktivitäten. Veit Weiland
und Hans Christoph Templin teilen
sich das Auslandressort. Deutschland-Chef Frank-Michael Mros
­berichtet direkt an CEO Holland,
Schweiz-Chef Andreas Pohl, 38 Jahre
alt, ist einem der beiden Auslandvorstände unterstellt – wem, verschweigt
Lidl, auch wer mit Pohl und seinem
Einkaufsleiter Reto Ruch, beide
Schweizer, in der fünfköpfigen Geschäftsleitung sitzt. Zwei davon dürften die Deutschen Frank Henning
­Kirberg und Volker Murr sein. Von den
meisten Managern existieren keine
Fotos, Lidl schirmt sie ab. Mitglieder
der Lidl-Konzernleitung dürften nach
Schätzung eines Insiders rund zwei
Millionen Euro pro Jahr verdienen.
4 | 2009 | BILANZ 39
Unternehmen Lidl
•
ulm aufleuchtet – da wird man jedes
Mal zusammengestaucht».
Lidl müsse diesen Druck ausüben, sagen Beobachter. Die Neckarsulmer sind
nicht wie Aldi weitgehend eigenfinanziert,
sondern tragen Milliardenschulden ab.
Lieferanten müssen ihren Teil dazu beitragen. Einerseits durch Tiefpreise: Grob geschätzt kauft Lidl jeden einzelnen Artikel
in einem Volumen von 22 Millionen Franken jährlich – eine Einkaufsmacht, die nur
Aldi mit ihrem kleineren Sortiment noch
übertreffen dürfte. Und anderseits durch
lange Zahlungsziele: 60 bis 90 Tage, sagt
ein Insider, lasse Lidl Lieferanten auf ihr
Geld warten, obwohl die Ware oft schon
nach einer halben Woche verkauft ist. Das
sorgt für extreme Liquidität, die Zinsen
bringt. Der Lieferantenpool übernimmt
quasi die Funktion einer eigenen Bank.
Noch, kritisiert der Luzerner Detailhandelsberater Gotthard Wangler, sei Lidl in
der Schweiz «ein Phantom ohne Gesicht –
­Aldi hingegen gilt mittlerweile als Schweizer Unternehmen». Dennoch rechnet Handelsprofessor Thomas Roeb damit, «dass
Lidl in der Schweiz Erfolg haben wird».
Denn trotz dem Markteintritt von Aldi ist
die Lage noch vergleichsweise beschaulich.
deutsche Angriffslust. Während
sich in Deutschland die Discounter eine
noch nie da gewesene Unterbietungsschlacht liefern – seit Jahresbeginn gab es
bereits drei Preissenkungswellen –, kommt
in der Schweiz «die Preisdeflation erst
ganz allmählich in Gang», sagt ein Branchenberater. Die bisherigen Bewegungen
hätten eher im Warenkorb stattgefunden,
durch die Einführung der Billiglinien MBudget und Prix Garantie. Und mit höherwertigen Eigenmarken wie Fine Food bei
Coop oder Sélection bei der Migros konnten die Grossverteiler Margenerosionen
kompensieren. Unter Aldi leidet vor allem
die Migros, die wie Aldi stark auf Eigenmarken setzt. Jeder dritte Aldi-Kunde
kommt von der Migros; von Coop jeder
vierte, von Denner nur jeder achte.
Mit Lidl wird sich das gewaltig ändern.
Lidl führt nicht 800 Artikel wie Aldi, sondern dürfte in der Schweiz eher auf 1800
kommen, genauso viele, wie Denner im
Sortiment führt.
«Der Markenartikler Lidl ist viel bedrohlicher für die Schweizer Detaillisten»,
sagt ein Branchenberater. Nicht nur die
vielen kleinen Verkaufsstellen von Migros
und Coop in Wohngebieten sind gefähr40 BILANZ | 4 | 2009
VERSCHLUNGENES REICH
Wem der deutsche Harddiscounter Lidl gehört.
Schwarz Unternehmenstreuhand KG
Dieter Schwarz Stiftung gemeinnützige GmbH
100% Stimmrechte
0,1% Anteile
0% Stimmrechte
99,9% Anteile
Schwarz Beteiligungs-GmbH
100%
Kaufland Stiftung & Co. GmbH
100%
Lidl Stiftung & Co. GmbH
Quelle: Verdi, WirtschaftsWoche. © BILANZ-Grafik
det, denn die sind oft nur 200 Quadratmeter gross und wenig rentabel. Noch gefährlicher wird es für Denner. Der Schweizer
Discounter leidet an vielen Standorten unter Platzmangel und schlechten Ladenzuschnitten. «Wäre Denner selbständig geblieben, wäre es sehr kritisch geworden»,
urteilt ­Immo-Suisse-Geschäftsführer Peter
Cammerer. Mit dem Verkauf an die Mi­gros
zog Denner-Erbe Philippe Gaydoul die
Notbremse gerade noch rechtzeitig.
Lidl, da sind sich die Experten einig,
wird mit Kampfpreisen in den Markt gehen. Am heftigsten bluten werden Denner
Denner und Coop
werden bei Lidls
Kampfpreisen am
stärksten bluten. •
und Coop, weil Kunden anhand der Markenartikel am einfachsten vergleichen
können. Besonders umkämpft sind sogenannte Eckartikel wie Milch, Kaffee oder
Mineralwasser, die von Verbrauchern besonders beachtet werden. Mit Aldi hingegen sind verblüffend wenige Lidl-Produkte direkt vergleichbar – eine gezielte
Strategie, um die Margen zu schonen.
Grundsätzlich, sagt Thomas Roeb,
­habe sich Lidl in Deutschland meistens
«preisaggressiver als Aldi» gezeigt, weil
die Schwarz-Truppe aufholen wollte. In
der Schweiz sei Lidl in vergleichbarer
Rolle, also müsse man auch hier mit Angriffslust rechnen. Und auch wenn Lidl
anfangs auf Ablehnung bei Schweizer Verbrauchern stossen sollte, «wird sich die
bald auflösen», vermutet Roeb. Laut Gotthard Wangler hat die Firma Lidl «nur
dann ­eine Daseinsberechtigung, wenn sie
bei Markenartikeln die billigsten Preise
anbieten kann». Wer Lidls wirklicher
Gegner ist, zeigt die Einschätzung eines
Insiders: Dass Lidl jahrelang mit dem
Markteintritt in die Schweiz gezögert habe, habe an der erfolgreichen Umpositionierung von Coop gelegen.
Coop hat mit ihrer grossflächigen
Preissenkung erst einmal die Eintrittshürden für Lidl etwas erhöht – nun wartet
Loosli ab. Was Lidl wirklich bringt, wissen auch die Konkurrenten erst, wenn die
Läden aufgehen.
Aus der Lidl-Zentrale in Weinfelden
TG verlautet nur, man wolle «alle Güter
des täglichen Bedarfs bieten», auch Frischwaren, Früchte und Gemüse, sogar Bioprodukte. Denner und Migros experi­
mentieren bereits eifrig mit neuen
Ladenkonzepten, um dagegenzuhalten.
Denner hat in Burgdorf BE eine Filiale auf
die grüne Wiese gesetzt, die aber nur halb
so viel Platz bietet wie ein Lidl- oder
ein Aldi-Markt. Und ausgerechnet im
­Gewerbepark Weinfelden setzen Migros
und Denner Lidl im Juni einen Pavillon
mit 100 Parkplätzen vor die Nase, in den
beide gemeinsam einziehen werden.
Schwer vorstellbar, dass sich Lidl davon beeindrucken lässt. Ein Experte
Foto: Jochen Zick / Keystone
Ausserhalb der Stadtzentren:
Lidl baut ihre Verkaufsstellen
häufig auf der grünen Wiese.
schätzt, dass der Discounter schon im
kommenden Jahr 100 Filialen in Betrieb
haben könnte. Etwa 60 braucht es, um ein
Logistikzentrum auszulasten und in die
Gewinnzone zu kommen. Wie Aldi plant
Lidl mittelfristig rund 180 Verkaufsstellen. Die Milliardengrenze im Umsatz,
von Aldi 2010 angepeilt, dürfte Lidl 2013
überqueren. Branchenexperten machen
hinter die Zukunft Denners ­jedenfalls dicke Fragezeichen. Einige erwarten, dass
die Migros («die schwimmen im Geld
und können jahrelange Experimente finanzieren») verschiedene Konzepte aus-
probieren wird. Etwa die Weinabteilung
von Denner hochwertiger zu positionieren – ein Weg, den Gaydoul mit seinen
D-Vino-Weinbars schon eingeschlagen
hat. Oder ­ Denner zum Harddiscounter
umzubauen, in Richtung Aldi, auf Eigenmarken fokussiert.
nach unten. «Man
könnte sich für Migros und Denner auch
eine Lösung vorstellen, wie sie in Deutschland Edeka mit ihrem Discounter Netto
praktiziert», sagt Peter Cammerer. Dort
bietet die Konzernmutter ein differenSpielraum
ziertes Sortiment an, auch im Billigsegment, wie die Migros bereits eines hat,
und auf der grünen Wiese stehen die Läden der Discounttochter.
Ein Berater möchte nicht einmal ausschliessen, dass Denner «nach einer Schamfrist beerdigt wird». Dagegen spricht allerdings, dass Philippe Gaydoul nach seinem
Ausscheiden als Denner-CEO als Verwaltungsratspräsident amten will und in der
Migros-Konzernleitung sein Vertrauter
Dieter Berninghaus für Denner zuständig
ist. Die beiden werden alles tun, um Denner am Leben zu erhalten.
Coop verlangt derzeit 5.50 Franken für
eine Dreierpackung des Kräuterlikörs
Underberg. Wer diese Summe bei Lidl
Deutschland investiert, kann dafür nicht
drei-, sondern fünfmal die Verdauung ankurbeln. Gleiches Geld, aber 66 Prozent
mehr Magenspülung – das zeigt, wie viel
Spielraum nach unten besteht. Fragt man
Lidl nach dem Schweizer Marktumfeld,
dann heisst es lapidar, man äussere sich
nicht zu Mitbewerbern, im Übrigen
«überlassen wir es unseren Kunden herauszufinden, dass das hohe Schweizer
Qualitätsbedürfnis zu einem günstigen
Preis möglich ist».
So langweilig hört sich eine Kriegserklärung an.
•
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