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Unternehmen Lidl Der Geheime Krämer Im März eröffnet Lidl die ersten Geschäfte in der Schweiz. Während Aldi vor allem im Revier der Migros wildert, greift der zweite deutsche Discounter nun frontal Coop und Denner an. • Dirk Ruschmann Text Bei Lidl tragen sogar die Vorstände Uniform. Während die Lehrlinge in blau-rotgelbe Poloshirts mit Firmenlogo gesteckt werden, gilt auf der Teppichetage: dunkler Anzug, helles Hemd, keine Krawatte, den Kragen offen. So treten Aufsichtsratsboss Klaus Gehrig, Deutschland-Chef FrankMichael Mros und der Schweiz-Geschäftsführer Andreas Pohl auf. Wir sind zu packende Schaffer, unkompliziert und erdverbunden, soll damit signalisiert werden – wir sprechen die Sprache des Volkes. Doch direkt, in Interviews oder bei Auftritten, äussern sich die Lidl-Chefs nur dann, wenn es gar nicht anders geht. 36 BILANZ | 4 | 2009 Lidl kontaktiert ihre Kunden am liebsten ausschliesslich via Produktwerbung und die spartanisch eingerichteten Verkaufsstellen. Dass der Handelskonzern allerdings die volksnahe Ansprache beherrscht, hat er schon längst bewiesen. Nicht nur durch den ruppigen Umgang mit Beschäftigten, den ein deutscher Gewerkschafter «ausbeuterisch» und «geradezu brutal» nennt. Sondern auch mit den Slogans. Lautet heute der Werbespruch «Lidl lohnt sich», so hiess es früher entwaffnend direkt: «Lidl ist billig.» Langsamer als in anderen Ländern, aber dennoch sichtbar greift auch in der Schweiz der Trend zum «Smart Shopping», zur Segmentierung. Bei der Migros beispielsweise kaufen immer mehr Kunden zugleich die billigen M-Budget- und die edlen Sélection-Produkte ein, schon Ende 2007 war es jeder dritte. In anderen europäischen Ländern gilt es schon lange als Geldverschwendung, für Grundnahrungsmittel mehr als Discountpreise zu zahlen, und in Deutschland ist es geradezu Kult, bei Aldi Müesli und Champagner, bei Lidl Volvic-Wasser, Markenjoghurt und Nutella zu kaufen – und das gesparte Geld in der Feinkostabteilung eines Edelhändlers auszugeben. Mit dem Markteintritt von Lidl brechen für die Schweizer Detailhändler harte Zeiten an. trommelte vom «grössten Preissturz aller Zeiten» – die Angst geht um, noch mehr Kunden an die deutschen Eindringlinge zu verlieren. Ihren Heimatmarkt haben Aldi und Lidl längst in der Hand: Der Marktanteil der Harddiscounter, zu denen auch Netto, Plus und Penny gehören, liegt in Deutschland bei 44 Prozent. In schwierigen Märkten wie Spanien, England und den USA bauen die deutschen Discounter zügig ihre Filialnetze aus. Nach fünf Jahren Vorbereitung in der Schweiz legt Lidl am 19. März los, mit 13 Läden in sieben Kantonen. Für Loosli und seine Kollegen Lebensmittelhändler heisst das: Ein neuer Sheriff ist in der Stadt. Foto: Jörg Müller / Visum Jüngerkultur. Von Dieter Schwarz, In vorauseilendem Gehorsam haben die Schweizer Detaillisten Billiglinien sowie höherwertige Eigenmarken eingeführt und ihr Sortiment stärker segmentiert. Genau so, wie es etwa die britische Tesco oder die deusche Edeka vormachten, beide auch erst auf Druck der Discounter. Mi gros hat ihre Billiglinie M-Budget inzwischen massiv ausgebaut, Coop gerade erst zu Jahresbeginn 600 Artikel verbilligt – auf das Niveau des einheimischen Discounters Denner, notabene bei exakt den gleichen Produkten. Und noch massiver als die Preissenkung war die begleitende Werbebotschaft. Coop-Chef Hansueli Loosli dem Sohn des schwäbischen Lidl-Gründers Josef Schwarz, existiert lediglich ein einziges Foto; es dürfte inzwischen jahrzehntealt sein. Bekannt ist nur der oberste Hilfssheriff: Klaus Gehrig. Der 60-Jährige ist der starke Mann in der verschachtelten, aus mehreren hundert Stiftungen und Einzelgesellschaften zusammengesetzten Gruppe. Dieter Schwarz, der Ende September 70 Jahre alt wird, hat sich vor zehn Jahren weitgehend aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Gehrig nimmt heute unangefochten die «Unternehmerposition» ein: Er ist Aufsichtsratsvorsitzender der Lidl und der Kaufland Stiftung, der beiden Vertriebslinien, die getrennt voneinander agieren. Vor allem aber amtet er als Komplementär – also haftender Gesellschafter und Geschäftsführer – der Schwarz Unternehmenstreuhand KG in Neckarsulm, der Schalt zentrale des gesamten Reichs. Zuvor befehligte er Lidl direkt. Gehrig gilt als zögerlicher Reformer: Die Kasernenhofatmosphäre und den «recht rabiaten Umgangston», von dem ein Ex-Lidl-Mann berichtet, hat er zwar nicht eliminiert. Man siezt sich, auch in der Schweizer Ländergesellschaft, und hochrangige Manager achten angeblich intensiv darauf, dass kein anderer ihre Akten lesen kann. Noch immer herrscht in Neckarsulm eine Art Jüngerkultur. Die Prinzipien des Dieter Schwarz – einfach und billig – sind allgegenwärtig, und jeder Lidl-Manager hat sie inhaliert. Aber unter Gehrig gilt Lidl auch als lernfähig. Nicht erst seit der Bespitzelungsaffäre in Deutschland im vergangenen Jahr, nachdem Detektive Mitarbeiter mit versteckten Kameras überwacht und sogar Details über deren Eheprobleme ausgeforscht haben, geht Lidl behutsamer mit den eigenen Mitarbeitern um. «Die feuern nicht mehr so schnell», sagt ein Konzernkenner. Die Saläre liegen ohnehin über Tarif. «Wir sind doch keine Zombies», entrüstete sich Deutschland-Chef Mros vor zwei Monaten im «Stern». Und als Gehrig Ende 2006 den bis dato heiligen Krawattenzwang abschaffte, soll er für wochenlange Verwirrung gesorgt haben. Er zeigte sich sogar in der Fernsehtalkshow «Kerner» und sprach in Zeitungsredaktionen vor, um den Imageverlust durch die Spitzelaffäre zu kontern. Der Erfolg der revolutionären Aktion war zwar bescheiden, aber immerhin: Lidl ist am Leben und spricht bisweilen sogar. Aldi stellt sich tot. Das Konzept Harddiscount – alles so einfach, schmucklos und billig wie möglich – wie auch die notorische Verschwie- Schwarz’ Prinzipien sind allgegenwärtig; jeder hat sie inhaliert. • genheit und die produktorientierte Werbung hat Lidl mit dem ewigen Konkurrenten Aldi gemeinsam. Tatsächlich war Lidl in den ersten Jahren eine Kopie des Aldi-Konzepts. Die beiden Brüder Karl und Theo Albrecht (ALbrechtDIscount) bauten das 1913 gegründete kleine Lebensmittelgeschäft ihrer Mutter kurz nach dem Zweiten Weltkrieg • Migros ungeschlagen Migros beherrscht mit ihren Töchtern Denner und Globus den Schweizer Detailhandel. Rang Firma Umsatz Detailhandel 2007 in Mio. Fr. 1 Migros Genossenschaften 14 541 2 Coop Retail 10 268 3 Manor 4 Denner inkl. Satelliten 2 893 2 717 5 Globus 1 246 6 Volg 1 148 7 Carrefour 981 8 Media Markt 976 9 Valora 919 10 Dipl. Ing. Fust 903 18 Aldi Suisse1 580 1 Schätzung. Quelle: GfK 4 | 2009 | BILANZ 37 Unternehmen Lidl So einfach, schmucklos und billig wie möglich: Konzept der Lidl-Läden. • zügig aus und machten in den siebziger Jahren bereits einen dreistelligen Millionenumsatz. Zu dieser Zeit stieg Dieter Schwarz erst in die Obstgrosshandlung Lidl & Schwarz seines Vaters ein. Von diesem misstrauisch beäugt, eröffnete er 1973 in Ludwigshafen seinen ersten Discountmarkt. Da ihm «Schwarz-Markt» zu unschön klang, kaufte er dem pensionierten Lehrer Ludwig Lidl für 1000 Mark die Namensrechte ab. Konzentration auf Europa. Als 38 BILANZ | 4 | 2009 timent, dafür aber an Stadtrandlagen mit grossem Parkplatz. Lidl erzielt je Filiale 4,9 Millionen Euro, mit steigender Tendenz. In der Schweiz dürften beide einen Ladenumsatz von 10 Millionen Franken anstreben. Aldi Suisse, Ableger von Aldi Süd, touchiert diese Marke bereits. Aldi hat immer noch einen Sympathievorsprung. 2002 ergab eine deutsche Umfrage, dass 40 Prozent der Haushalte bei Lidl einkaufen und 75 Prozent bei Aldi. Kürzlich fragte das Marketingfachblatt «Horizont» erneut nach – das Resultat war ähnlich. Vor allem gut verdienende Verbraucher tendieren zu Aldi. Bei der «Reader’s Digest»-Erhebung der «vertrau enswürdigsten Marken Europas» schlägt Aldi den Konkurrenten regelmässig. Zwei Gründe spielen dabei eine Rolle. Erstens die wiederkehrenden Berichte Konzernspitze Dieter Schwarz’ Statthalter Andreas Pohl, Geschäftsführer von Lidl in der Schweiz. Klaus Gehrig, Aufsichtsratsvorsitzender der Lidl und der Kaufland Stiftung. Fotos: AFP, Keystone (2), Caro, Visum, Stockagentur. Photothek.net, Argum 1977 der Vater starb, begann Dieter Schwarz, die Aldi-Brüder zu jagen. Bis heute «ist es für Schwarz ein entscheidender Antrieb, Aldi zu überholen», sagt der Rheinbacher Wirtschaftsprofessor und Handelsexperte Thomas Roeb. Doch anders als die Albrechts streute Schwarz das Risiko: Er setzte nicht allein auf Discount, sondern integrierte Topmarken ins Sortiment und baute mit grossen Verbrauchermärkten, die meist unter dem Namen Kaufland firmieren, eine zweite erfolgreiche Vertriebslinie auf. Während Aldi weltweit aktiv ist, konzentriert sich Lidl auf Europa. Aus dem Schatten des Vorreiters ist der Emporkömmling aber längst herausgetreten: Vor wenigen Jahren hat Schwarz die Aldi-Brüder im Gesamtumsatz überholt. Laut den Marktforschern von GfK kommt die Schwarz-Gruppe auf 68 Milliarden Franken, Aldi Nord und Süd gemeinsam auf 61 Milliarden. Die Zahl der Verkaufsstellen dürfte bei beiden ungefähr bei 8000 liegen. Beim genaueren Hinsehen differenziert sich das Bild. In Deutschland ist Aldi weiterhin ganz klar vor Lidl – Aldi erwirtschaftete 2007 hier 23 Milliarden Euro, die Lidl-Märkte nur knapp die Hälfte. Sogar die Kaufland-Gruppe setzt in Deutschland mehr um als ihre Discountschwester. Im übrigen Europa liegen aber Lidl und Kaufland mit weitem Abstand vor Aldi. Pro Filiale in Deutschland setzt Aldi im Schnitt rund 6,4 Millionen Euro um. Die Zahl stagniert seit Jahren, vor allem weil Aldi Nord viele kleine und unwirtschaftliche Innenstadtlagen betreibt. Aldi Süd, der umsatzstärkere und rentablere Teil, fährt einen strengeren Discountkurs mit tendenziell kleinerem, konservativem Sor- beitsbedingungen» gemieden hätten. An Aldi fuhr nur jeder Zehnte vorbei. Zweitens geht Aldi besser mit ihren Lieferanten um – jedenfalls im Heimatmarkt Deutschland. Solange die Qualität stimmt, zahlt Aldi prompt und vollständig, Nachverhandlungen über Umsatzbeteiligungen oder Ähnliches gibt es nicht. Einem darbenden Milchlieferanten soll Aldi freiwillig mehr bezahlt haben. Aldi wird nur dann unangenehm, wenn die Qualität nicht stimmt. Prüft die Stiftung Warentest ein Aldi-Produkt, muss es «sehr gut» oder «gut» abschneiden, schon «zufriedenstellend» signalisiert Handlungsbedarf. Alles andere fliegt sowieso aus dem Regal. Wer dann aber nachbessert, kann wieder mit Aldi ins Geschäft kommen, nachtragend ist man nicht. Viele Hersteller beliefern Aldi seit Jahrzehnten und sind stetig mitgewachsen. Militärischer Ton. Bei Lidl gibt es über schlechte Arbeitsbedingungen bei Lidl. Höhepunkte waren die «Schwarzbücher» der Handelsgewerkschaft Verdi vor einigen Jahren sowie die Spitzelaffäre im April 2008. Während laut einer Lidl-Sprecherin damals «nur ein bis zwei Tage ein Umsatzeinbruch» entstand, besagt eine jüngst publizierte Umfrage des Marktforschers Grass Roots, dass vier von zehn Verbrauchern Lidl wegen «schlechter Ar- das alles natürlich auch. Aber die Hersteller, berichtet einer, würden «straffer und konfrontativer» bewirtschaftet, bei Preisverhandlungen «brüllen die Lidl-Einkäufer manchmal wie auf dem Truppen übungsplatz». Liefert ein Papierhersteller mehr als die laut Packung garantierten 250 Blätter auf einer Rolle Toilettenpapier (Lidl-Manager zählen das immer wieder nach), dann hat er offensichtlich noch Margenreserven und muss mit Preisabzügen rechnen. Liefert er Rollen mit zu wenig Blättern, wird es erst recht kühl um ihn herum. Der Key-Account-Manager eines Lidl-Lieferanten erzählt, er bekomme immer «hektische Flecken im Gesicht, wenn am Telefon eine Nummer aus Neckars • Lidl in den Top Ten Unter den weltgrössten Detailhändlern ist Lidl die Nummer zehn, klar vor Migros und Coop. Land Umsatz Detailhandel in Mrd. $ Land Umsatz Detailhandel in Mrd. $ 1 Wal-Mart USA 345,0 12 Walgreens USA 47,4 2 Carrefour F 97,9 13 Lowe’s USA 46,9 3 The Home Depot USA 90,8 14 Rewe D 45,8 4 Tesco GB 80,0 15 Seven & I J 43,8 5 Metro D 74,9 16 Groupe Auchan F 43,2 6 Kroger USA 66,1 17 Edeka D 40,7 7 Target USA 59,5 18 CVS USA 40,3 8 Costco Wholesale USA 59,0 19 Safeway USA 40,2 9 Sears USA 53,0 20 E. Leclerc F 38,7 10 Lidl D 52,4 57 Migros CH 12,4 11 Aldi D 50,0 68 Coop CH 10,9 Fotos: BA - Geduldig. PR Rang Firma Zahlen 2006. Quelle: Deloitte Rang Firma Organisation Management by veto Wie Dieter Schwarz die Zügel in der Hand hält. Bei seinem Rückzug aus dem ope rativen Geschäft gründete Dieter Schwarz eine gemeinnützige Stiftung, die seinen Namen trägt. Hier liegen die Anteile an seiner Beteiligungsgesellschaft. Das Machtzentrum ist hingegen die Schwarz Unternehmenstreuhand, die von Klaus Gehrig geführt wird. Schwarz selbst hat hier allerdings ein exklusives Vetorecht. Viele von Schwarz’ langjährigen Zuarbeitern, in ähnlichem Alter wie er selbst, haben sich aus ihren operativen Top-Positionen zurückgezogen. Zu den wichtigsten Figuren gehörten Günter Fergen, Richard Meyer sowie der ehemalige Chefeinkäufer Walter Pötter, die der Firmengruppe nun als «Generalbevollmächtigte» dienen. Im CEO-Sessel von Lidl sitzt heute Karl-Heinz Holland, der als linientreuer Workaholic gilt. Generalbevollmächtigter: Sein Vize Holger Walter Pötter. Albrecht verantwortet Verwaltung und Personal, der erst 35-jährige Robin Goudsblom das Schlüsselressort Einkauf, Gerd Chrzanowski die zentralen Dienste wie die Immobilienaktivitäten. Veit Weiland und Hans Christoph Templin teilen sich das Auslandressort. Deutschland-Chef Frank-Michael Mros berichtet direkt an CEO Holland, Schweiz-Chef Andreas Pohl, 38 Jahre alt, ist einem der beiden Auslandvorstände unterstellt – wem, verschweigt Lidl, auch wer mit Pohl und seinem Einkaufsleiter Reto Ruch, beide Schweizer, in der fünfköpfigen Geschäftsleitung sitzt. Zwei davon dürften die Deutschen Frank Henning Kirberg und Volker Murr sein. Von den meisten Managern existieren keine Fotos, Lidl schirmt sie ab. Mitglieder der Lidl-Konzernleitung dürften nach Schätzung eines Insiders rund zwei Millionen Euro pro Jahr verdienen. 4 | 2009 | BILANZ 39 Unternehmen Lidl • ulm aufleuchtet – da wird man jedes Mal zusammengestaucht». Lidl müsse diesen Druck ausüben, sagen Beobachter. Die Neckarsulmer sind nicht wie Aldi weitgehend eigenfinanziert, sondern tragen Milliardenschulden ab. Lieferanten müssen ihren Teil dazu beitragen. Einerseits durch Tiefpreise: Grob geschätzt kauft Lidl jeden einzelnen Artikel in einem Volumen von 22 Millionen Franken jährlich – eine Einkaufsmacht, die nur Aldi mit ihrem kleineren Sortiment noch übertreffen dürfte. Und anderseits durch lange Zahlungsziele: 60 bis 90 Tage, sagt ein Insider, lasse Lidl Lieferanten auf ihr Geld warten, obwohl die Ware oft schon nach einer halben Woche verkauft ist. Das sorgt für extreme Liquidität, die Zinsen bringt. Der Lieferantenpool übernimmt quasi die Funktion einer eigenen Bank. Noch, kritisiert der Luzerner Detailhandelsberater Gotthard Wangler, sei Lidl in der Schweiz «ein Phantom ohne Gesicht – Aldi hingegen gilt mittlerweile als Schweizer Unternehmen». Dennoch rechnet Handelsprofessor Thomas Roeb damit, «dass Lidl in der Schweiz Erfolg haben wird». Denn trotz dem Markteintritt von Aldi ist die Lage noch vergleichsweise beschaulich. deutsche Angriffslust. Während sich in Deutschland die Discounter eine noch nie da gewesene Unterbietungsschlacht liefern – seit Jahresbeginn gab es bereits drei Preissenkungswellen –, kommt in der Schweiz «die Preisdeflation erst ganz allmählich in Gang», sagt ein Branchenberater. Die bisherigen Bewegungen hätten eher im Warenkorb stattgefunden, durch die Einführung der Billiglinien MBudget und Prix Garantie. Und mit höherwertigen Eigenmarken wie Fine Food bei Coop oder Sélection bei der Migros konnten die Grossverteiler Margenerosionen kompensieren. Unter Aldi leidet vor allem die Migros, die wie Aldi stark auf Eigenmarken setzt. Jeder dritte Aldi-Kunde kommt von der Migros; von Coop jeder vierte, von Denner nur jeder achte. Mit Lidl wird sich das gewaltig ändern. Lidl führt nicht 800 Artikel wie Aldi, sondern dürfte in der Schweiz eher auf 1800 kommen, genauso viele, wie Denner im Sortiment führt. «Der Markenartikler Lidl ist viel bedrohlicher für die Schweizer Detaillisten», sagt ein Branchenberater. Nicht nur die vielen kleinen Verkaufsstellen von Migros und Coop in Wohngebieten sind gefähr40 BILANZ | 4 | 2009 VERSCHLUNGENES REICH Wem der deutsche Harddiscounter Lidl gehört. Schwarz Unternehmenstreuhand KG Dieter Schwarz Stiftung gemeinnützige GmbH 100% Stimmrechte 0,1% Anteile 0% Stimmrechte 99,9% Anteile Schwarz Beteiligungs-GmbH 100% Kaufland Stiftung & Co. GmbH 100% Lidl Stiftung & Co. GmbH Quelle: Verdi, WirtschaftsWoche. © BILANZ-Grafik det, denn die sind oft nur 200 Quadratmeter gross und wenig rentabel. Noch gefährlicher wird es für Denner. Der Schweizer Discounter leidet an vielen Standorten unter Platzmangel und schlechten Ladenzuschnitten. «Wäre Denner selbständig geblieben, wäre es sehr kritisch geworden», urteilt Immo-Suisse-Geschäftsführer Peter Cammerer. Mit dem Verkauf an die Migros zog Denner-Erbe Philippe Gaydoul die Notbremse gerade noch rechtzeitig. Lidl, da sind sich die Experten einig, wird mit Kampfpreisen in den Markt gehen. Am heftigsten bluten werden Denner Denner und Coop werden bei Lidls Kampfpreisen am stärksten bluten. • und Coop, weil Kunden anhand der Markenartikel am einfachsten vergleichen können. Besonders umkämpft sind sogenannte Eckartikel wie Milch, Kaffee oder Mineralwasser, die von Verbrauchern besonders beachtet werden. Mit Aldi hingegen sind verblüffend wenige Lidl-Produkte direkt vergleichbar – eine gezielte Strategie, um die Margen zu schonen. Grundsätzlich, sagt Thomas Roeb, habe sich Lidl in Deutschland meistens «preisaggressiver als Aldi» gezeigt, weil die Schwarz-Truppe aufholen wollte. In der Schweiz sei Lidl in vergleichbarer Rolle, also müsse man auch hier mit Angriffslust rechnen. Und auch wenn Lidl anfangs auf Ablehnung bei Schweizer Verbrauchern stossen sollte, «wird sich die bald auflösen», vermutet Roeb. Laut Gotthard Wangler hat die Firma Lidl «nur dann eine Daseinsberechtigung, wenn sie bei Markenartikeln die billigsten Preise anbieten kann». Wer Lidls wirklicher Gegner ist, zeigt die Einschätzung eines Insiders: Dass Lidl jahrelang mit dem Markteintritt in die Schweiz gezögert habe, habe an der erfolgreichen Umpositionierung von Coop gelegen. Coop hat mit ihrer grossflächigen Preissenkung erst einmal die Eintrittshürden für Lidl etwas erhöht – nun wartet Loosli ab. Was Lidl wirklich bringt, wissen auch die Konkurrenten erst, wenn die Läden aufgehen. Aus der Lidl-Zentrale in Weinfelden TG verlautet nur, man wolle «alle Güter des täglichen Bedarfs bieten», auch Frischwaren, Früchte und Gemüse, sogar Bioprodukte. Denner und Migros experi mentieren bereits eifrig mit neuen Ladenkonzepten, um dagegenzuhalten. Denner hat in Burgdorf BE eine Filiale auf die grüne Wiese gesetzt, die aber nur halb so viel Platz bietet wie ein Lidl- oder ein Aldi-Markt. Und ausgerechnet im Gewerbepark Weinfelden setzen Migros und Denner Lidl im Juni einen Pavillon mit 100 Parkplätzen vor die Nase, in den beide gemeinsam einziehen werden. Schwer vorstellbar, dass sich Lidl davon beeindrucken lässt. Ein Experte Foto: Jochen Zick / Keystone Ausserhalb der Stadtzentren: Lidl baut ihre Verkaufsstellen häufig auf der grünen Wiese. schätzt, dass der Discounter schon im kommenden Jahr 100 Filialen in Betrieb haben könnte. Etwa 60 braucht es, um ein Logistikzentrum auszulasten und in die Gewinnzone zu kommen. Wie Aldi plant Lidl mittelfristig rund 180 Verkaufsstellen. Die Milliardengrenze im Umsatz, von Aldi 2010 angepeilt, dürfte Lidl 2013 überqueren. Branchenexperten machen hinter die Zukunft Denners jedenfalls dicke Fragezeichen. Einige erwarten, dass die Migros («die schwimmen im Geld und können jahrelange Experimente finanzieren») verschiedene Konzepte aus- probieren wird. Etwa die Weinabteilung von Denner hochwertiger zu positionieren – ein Weg, den Gaydoul mit seinen D-Vino-Weinbars schon eingeschlagen hat. Oder Denner zum Harddiscounter umzubauen, in Richtung Aldi, auf Eigenmarken fokussiert. nach unten. «Man könnte sich für Migros und Denner auch eine Lösung vorstellen, wie sie in Deutschland Edeka mit ihrem Discounter Netto praktiziert», sagt Peter Cammerer. Dort bietet die Konzernmutter ein differenSpielraum ziertes Sortiment an, auch im Billigsegment, wie die Migros bereits eines hat, und auf der grünen Wiese stehen die Läden der Discounttochter. Ein Berater möchte nicht einmal ausschliessen, dass Denner «nach einer Schamfrist beerdigt wird». Dagegen spricht allerdings, dass Philippe Gaydoul nach seinem Ausscheiden als Denner-CEO als Verwaltungsratspräsident amten will und in der Migros-Konzernleitung sein Vertrauter Dieter Berninghaus für Denner zuständig ist. Die beiden werden alles tun, um Denner am Leben zu erhalten. Coop verlangt derzeit 5.50 Franken für eine Dreierpackung des Kräuterlikörs Underberg. Wer diese Summe bei Lidl Deutschland investiert, kann dafür nicht drei-, sondern fünfmal die Verdauung ankurbeln. Gleiches Geld, aber 66 Prozent mehr Magenspülung – das zeigt, wie viel Spielraum nach unten besteht. Fragt man Lidl nach dem Schweizer Marktumfeld, dann heisst es lapidar, man äussere sich nicht zu Mitbewerbern, im Übrigen «überlassen wir es unseren Kunden herauszufinden, dass das hohe Schweizer Qualitätsbedürfnis zu einem günstigen Preis möglich ist». So langweilig hört sich eine Kriegserklärung an. • ANZEIGE